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Band 105

Rideryon-Zyklus

Der Andromeda-Feldzug

Das Quarterium greift nach der Lokalen Gruppe

Jürgen Freier & Jens Hirseland

Cover

1. Die Bestie ist tot

27. August 1307 NGZ

Es war ein sonniger Sommertag. Zwischen den grauen, hohen und tristen Gebäuden der Hauptstadt tummelten sich die Menschen in den Parks. Sie lagen auf den grünen Wiesen und ließen sich die Sonne auf den Pelz brutzeln. Lachend spielten Kinder und Servoroboter schwirrten summend wie Insekten durch die Gegend, um Transporte und Dienstleistungen für die quarterialen Bürger zu verrichten.

Eine Idylle – mitten im Krieg.

Dann erschien ein drohender Schatten, als sich das mächtige Flaggraumschiff des Quarteriums vor die Sonne schob und die Parks verdunkelte. Die Menschen schauten in den Himmel. Begeistert, beeindruckt, ängstlich. Der kühle Wind, den die Ankunft auslöste, ließ sie frösteln.

Ein Kreuzer von fast hundert Metern im Durchmesser schiffte aus dem gigantischen Stahlleib des SUPREMO-Schlachtschiffes aus. Die Sonne ließ das dunkelgraue Metall des kleinen Kugelraumers schimmern.

Das überdimensionierte Beiboot steuerte auf den Militärkomplex des Quarteriums zu. In der Mitte zwischen den quadratischen, grauschwarzen Gebäuden befand sich der dazugehörige Raumhafen.

Innenillustration: Militärkomplex auf Paxus von Stefan Wepil
Militärkomplex auf Paxus © Stefan Wepil

Weich setzte der Kugelraumer auf dem rechteckigen Landefeld auf. Eine Kompanie Grautruppen marschierte mit donnernder Marschmusik auf ihn zu. Es war die Standardprozedur zum Empfang militärischer Größen.

In dem bläulich schimmernden Antigravschacht schwebten Orlando de la Siniestro und Cauthon Despair hinab. Der Sohn des Emperadors trug eine hellgraue Uniform, er wirkte perfekt geschniegelt und gestriegelt. Alles saß. Despair trat in seiner gewohnten silbernen Raumrüstung aus dem Antigravfeld.

Orlando blinzelte ob der grellen Sonne. Despair machten die äußeren Gegebenheiten nichts aus. Sein Raumanzug, einer Ritterrüstung optisch nachempfunden, besaß allerlei Annehmlichkeiten. Das Visier filterte für die Augen schadhafte Einflüsse aus und eine Klimaanlage sorgte stets für die beste Temperatur.

Die Gedanken des Silbernen Ritters kreisten um die Ereignisse in M 87. Torsor war tot. Die Allianz mit den Bestien in Druithora war nun mehr als brüchig, was den Rückzug aus den betreffenden Gebieten nahelegte. So viel Blut war umsonst geflossen. Das Auftauchen der Entropen als neuer Gegner erschwerte die Situation zusätzlich. Und dann war da noch dieser ominöse Nistant und das geheimnisvolle Rideryon. Was verbarg sich dahinter?

Despair blickte nach vorn. Der Marschall der Cartwheel Intelligence Protective Werner Niesewitz hielt auf ihn zu. Die hagere, kernige Gestalt des alten Terraners wirkte ebenso zerbrechlich wie stark. Niesewitz war alt, aber keineswegs schwach im Geiste. Er war brandgefährlich, sowohl für Gegner als auch für Freunde des Quarteriums.

»Willkommen auf Paxus, Quarteriumsmarschall«, begrüßte Niesewitz den Oberkommandanten der Flotte.

Despair sah auf den Kleinwüchsigen hinab. »Ich verließ vor kurzem eine Unterredung mit Emperador de la Siniestro. Sie sind über die Ereignisse in M 87 informiert?«

Niesewitz nickte eifrig. »Selbstverständlich. Selbst INSELNET berichtet über den heroischen Tod von Torsor.«

Despair kam es gelegen, das sein Gesichtsausdruck verborgen blieb. Ein Vorteil seiner Rüstung. »Sein vermeintlicher Heroismus beschert uns keinen Vorteil. Der Emperador wird unseren Einsatz in M 87 beenden. Die Bestien werden ihren Krieg allein fortführen.«

Niesewitz wirkte überrascht. Die Sorgenfalten in seinem ohnehin schon faltigen Gesicht vertiefte sich.

»Aber all die Mühen? Die Millionen gefallenen Soldaten. Das Wirtschaftspotenzial und die Errichtung von Entsorgungslagern … all das soll umsonst gewesen sein?«

Er blieb stehen und kämpfte um seine Fassung.

Auch Despair und Orlando hielten inne. Diesmal sprach der Sohn des Emperadors.

»Vorerst auf Eis gelegt. Wir führen Kriege in den estartischen Galaxien und in Kürze gegen die Lokale Gruppe. Unsere Ressourcen sind begrenzt. Wir müssen dieses Opfer bringen, CIP-Marschall.«

»Ich verstehe«, seufzte Niesewitz und schüttelte den Kopf. Dann ging er weiter, nur um erneut stehenzubleiben.

»Dann … dann wird Unternehmen Friedrich beginnen?«

Despair grinste, während sein Gegenüber auf das spiegelnde Visier starrte. »Deshalb bin ich hier. Der Emperador hat mich beauftragt, Gos’Shekur Jenmuhs in den Planungen des Andromeda-Feldzugs zu beraten.«

»Das ist weise …«

Niesewitz wirkte immer noch irritiert. Kein Wunder. Despair beschloss, ihn durch einen Auftrag von seiner Verwirrung abzulenken. »Setzen Sie Ihre Agenten überall ein. Je mehr wir über Perry Rhodans Vorgehen wissen, desto besser.«

Niesewitz signalisierte sein Einverständnis. Die Wege der drei trennten sich am Rand des Raumhafens. Orlando schloss sich Niesewitz an. Despair sah den beiden eine Weile hinterher. In seinen Gefühlen war keine Achtung. Der Terraner, der durch den Aufenthalt in einer Zeitfalte aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die heutige Zeit versetzt worden war, würde sich an die Arbeit machen, während Orlando den Schoß von Uthe Scorbit suchen würde.

Der Silberne Ritter blickte in den Himmel. Einige Raumjäger stiegen zu Übungen auf. Ihre Piloten würden vielleicht bald in Andromeda auf Jagd gehen. In den nächsten Monaten würde sich zeigen, aus welchem Eisen das Quarterium geschmiedet war.

Liebende

Orlando de la Siniestro und Uthe Scorbit nutzten den sonnigen Tag, um durch den Park des Siniestro-Anwesens auf Paxus zu schlendern. Der Palast glich dem Königsschloss in Madrid, war aber viel kleiner – er bot nur zehn Zimmer und hatte immerhin einen großen Innenhof von etwa tausend Quadratmetern. Das Gebäude wurde von der de la Siniestro-Familie nur genutzt, wenn sie unbedingt auf Paxus nächtigen mussten. Ansonsten bevorzugten sie den Flug nach Siniestro. Der Planet lag jedoch tausenddreihundertfünfzig Lichtjahre von Paxus entfernt. Mit Start- und Landevorbereitungen dauerte der Flug gute zwei bis drei Stunden bei ökonomischem Energieverbrauch.

»Wie schön doch diese Ruhe und dieser Frieden hier sind. Man könnte meinen, es gäbe nur dich und mich«, sinnierte Orlando versonnen und küsste Uthe zärtlich.

»Ich liebe dich«, hauchte er ihr ins Ohr.

»Und ich liebe dich, Orly. Aber dieser unsinnige Krieg steht zwischen uns. Ich fürchte, er wird unsere Liebe zerstören«, entgegnete Uthe nachdenklich.

Er forschte in ihren grünen Augen. Sie wäre eine ideale Prinzessin für das neue Quarterium. Sie war schön. Sie war nicht so perfekt mit ihren Sommersprossen, um einschüchternd zu wirken, und andererseits so würdevoll in ihrer Art. Wie eindrucksvoll wirkte ihre manchmal kühle, zurückhaltende Ausstrahlung!

Mit tiefem inneren Ernst nahm er sie bei den Schultern. »Das dürfen wir nicht zulassen. Unsere Liebe ist stärker. Dieser Krieg wird eines Tages wieder vorbei sein und man wird Frieden schließen, glaub mir.«

»Aber um welchen Preis? Das Quarterium unterwirft eine Galaxie nach der anderen. Wie kann da Frieden herrschen, wenn andere Völker unterdrückt werden?«, fragte Uthe.

»Von Unterwerfung kann doch keine Rede sein. Mein Vater will Frieden und Freundschaft, aber Perry Rhodan und die anderen verstehen das nicht. Sie fürchten um ihre alten Machtpositionen, die sie mit Gewalt verteidigen wollen.«

Orlando stand von der Bank auf und starrte verärgert in den Himmel. Die wenigen sichtbaren Raumschiffe standen sehr hoch. Es gab auch für Gleiter eine Flugverbotszone über dem Anwesen der Siniestros.

Uthe stand ebenfalls auf und seufzte.

»Dein Vater ist doch einer der Hauptdrahtzieher dieser Kriege. Selbst wenn er wirklich Frieden wollte, verhindert er dies, indem er mit Verbrechern und Mördern wie Uwahn Jenmuhs und Leticron gemeinsame Sache macht. Warum verbündet er sich nicht stattdessen mit Perry Rhodan?«

Orlando wurde noch ärgerlicher. »Das wollte er doch, aber Rhodan lehnte ab. Er will sich der neuen Ordnung nicht beugen, weil er eifersüchtig auf meinen Vater ist.«

»Das bezweifle ich. Und ich bezweifle den Sinn dieser sogenannten neuen Ordnung, wenn sie auf Krieg und Leid beruht.«

Uthe drehte sich nachdenklich um und sah zum Teich hinüber. Exotische Enten mit buntem, leuchtendem Gefieder tummelten sich im Wasser und kühlten sich mit einem Bad ab.

»Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, Cartwheel wieder zu verlassen.«

Orlando legte erneut seine Hände auf ihre Schultern.

»Komm mit mir nach Siniestro auf unser Schloss. Mach dir dort unvoreingenommen ein Bild von meinem Vater. Dein eigenes Bild. Gib uns eine Chance.«

Uthe dachte mehrere Minuten lang nach, dann fasste sie einen Entschluss.

»Also gut. Yasmin und ich begleiten dich nach Siniestro. Dir zuliebe.«

Erfreut umarmte Orlando sie.

»Ich danke dir. Du wirst es sicher nicht bereuen«, meinte er. Doch Uthe hatte da so ihre Zweifel.

*

Am folgenden Tag reiste Orlando zusammen mit Uthe Scorbit und ihrer Freundin Yasmin Weydner zur Welt Siniestro.

Nach hundertfünfzig Minuten erreichte der SUPREMO-Kreuzer mit der schlichten Bezeichnung EC-25-B3 das New Sol-Sonnensystem mit seinen sieben Planeten. Siniestro war der dritte und lag zusammen mit Mankind in der habitablen Zone. Orlando warf einen Blick auf die Darstellung des Planeten, der nun schon seit einigen Jahren seine Heimat war.

Zwei Monde umkreisten die rötliche Welt mit ihren knapp fünftausend Kilometern Durchmesser: Mechos und Jarriba. Sie waren ohne Atmosphäre und unbewohnt, zumindest was zivile Anlagen anging.

Seit 1303 NGZ befanden sich Festungsanlagen auf beiden Monden. Auf dem 1800 Kilometer durchmessenden Mechos, der mit einer Distanz von maximal 176.000 Kilometern in rund zwölf Tagen Siniestro umkreiste, ragten Raumabwehrgeschütze in die Höhe. Zwei Geschwader der Holsteiner-Division waren zum Schutz stationiert.

Auf dem äußeren Mond Jarriba, der am weitesten Punkt seiner Umlaufbahn 212.000 Kilometer von Siniestro entfernt lag, befanden sich Bunkeranlagen, weitere Abwehrforts und ein spezielles Übungsareal für die Holsteiner.

Auf dem 2200 Kilometer durchmessenden Satelliten, der sechzehn Tage zur Siniestroumrundung benötigte, lebte Orlandos Bruder Peter seine Militärphantasien aus. Der Familie kam dieser abgeschiedene Ort gelegen. Niemand bekam mit, was Peter mit seinen virtuellen Soldaten oder Androiden anstellte, die man ihm zu Übungszwecken zur Verfügung gestellt hatte.

Siniestro lag nun vor ihnen. Der Kugelraumer steuerte auf den Kontinent New Espana zu.

Die Vegetation des Planeten war eher karg. Rote Wüsten prägten die Oberfläche. Lediglich um die Städte gab es dichte und üppige Wälder.

Die Hauptstadt New Madrid war eine moderne Rekonstruktion der spanischen Hauptstadt Madrid aus einer Zeit, in der nicht einmal Perry Rhodan gelebt hatte. Orlandos Vater ließ alte Baustile verwenden.

New Madrid war die einzige Metropole mit ihren fünfzehn Millionen Einwohnern. Point Redhorse mit fünfzigtausend Einwohnern war die zweitgrößte Stadt auf New Espana. Jedoch war Point Redhorse auch eine Militärstadt.

Auf dem zweiten großen Kontinent New Australia gab es mit Isabellaport nur eine Stadt. Der dritte Kontinent Vast blieb unbewohnt.

Gerade das zeichnete Siniestro aus. Es lebten nur knapp zwanzig Millionen Wesen auf der Welt. Knapp zwei Millionen davon waren Soldaten, CIP-Agenten und Beamte im Dienste des Quarteriums. Zwanzig Millionen Individuen waren leichter zu kontrollieren als die Milliarden auf Paxus oder Mankind.

Trotzdem lag die Residenz der Siniestros abgeschieden in einem Tal zwischen den Bergen von Mulhacen. Die hufeisenförmige Bergkette umschloss das Areal von drei Seiten. Die einzige Straße führte direkt nach New Madrid.

Hinter versteckter Hand nannten einige das Anwesen Pueblo Siniestro, also das Dorf Siniestro. Und das war es auch.

Die gesamte, abgesperrte Region durchmaß knapp dreißig Quadratkilometer. Davon waren zwanzig Quadratkilometer Befestigungen, Soldatenunterkünfte, ein kleiner Raumhafen und Sicherheitszonen.

Das Palacio Real befand sich auf einem Anwesen mit einer Ausdehnung von zehn Quadratkilometern. Gärten, Plantagen, Unterkünfte für Bedienstete, ein Restaurant, der Fuhrpark und ein kleiner See schmückten das Gebiet rund um das Schloss, welches dem Madrider Königsschloss nachempfunden wurde.

Es war ein Zeichen der royalen Macht der de la Siniestros. Und das Königsschloss des terranischen Madrids war in der Jugendzeit von Orlandos Vater ein großes Symbol der Macht gewesen. Für ihn selbst wichtiger als die Tuilerien oder das Schloss Versailles. Orlando kannte diese Monumente absolutistischer Macht nur aus Trivids und Datenblättern – er selbst war nie in Paris oder Madrid gewesen.

Doch das würde er wohl bald nachholen. Hatte das Quarterium erst einmal den Feldzug in die Lokale Gruppe begonnen, dann würde ihr Ziel Terra sein. Die Heimat seines Vaters.

Der SUPREMO-Kugelraumer landete auf dem kleinen Raumhafen und durchlief die letzten Sicherheitsüberprüfungen. Gardisten in blauer Uniform begrüßten Uthe, Yasmin und Orlando zu lauter Marschmusik.

Ein schwarzer, glänzender Gleiter brachte sie zum Palast.

»So gewaltig«, flüsterte Uthe.

»Ja«, echote Yasmin voller Ehrfurcht.

Orlando wusste, dass das Palacio Real kein alltäglicher Anblick für sie war. Zwar war Uthe in den letzten Monaten öfters hier gewesen, doch noch immer staunte sie über das Bauwerk. Es hatte sich einiges verändert seit der Zeit des Terrablocks, jener Zeit, in der Uthe die Siniestros öfters besucht hatte. Nun wurde der Kontakt wieder enger und bald würde es ihre neue, feste Heimat sein.

Der Gleiter hielt auf dem Ehrenhof. Zahlreiche Bedienstete buckelten vor ihnen, hofierten sie und schmeichelten demütig. Orlando beobachtete Uthe. Ihr schien das Aufhebens zu ihrem Empfang unangenehm zu sein.

Der Posbi Diabolo bewegte sich auf sie zu. Er war der Vertraute des Emperadors. Aus seinem ausdruckslosen Gesicht war wie immer nichts zu lesen. Nur die Tonlage des positronisch-biologischen Geschöpfes verriet dessen Gefühlslage.

»Willkommen zurück, Señor Orlando. Señoritas.«

»Bereite ein Zimmer für Miss Weydner vor. Miss Scorbit wird bei mir nächtigen«, befahl Orlando.

»Natürlich«, bestätigte Diabolo. »Euer Vater wünscht Euch in seinem Lieblingsarbeitszimmer zu sprechen.«

Nachdem er die beiden Damen gut im Familienschloss untergebracht hatte, begab sich Orlando in das Arbeitszimmer seines Vaters. Er besaß insgesamt fünfzehn, doch sein Lieblingszimmer war das mit Blick auf die Bergkette. Als Orlando den Raum mit dem knarrenden Holzboden betrat, starrten ihn seine Geschwister an.

Als erstes fiel sein Blick auf seine liebenswerte Schwester Brettany. Brett war ein richtiger Engel mit ihrem gelockten blonden Haar, ihren blauen Augen und dem herzerwärmenden, strahlenden Lächeln. Ihr offener, liebevoller Charakter passte zu ihrem Aussehen.

Seine andere Schwester war Stephanie. Sie stand Brett an Schönheit in nichts nach, aber die beiden waren charakterlich völlig unterschiedlich. Brett war ein Engel und Steph ein Teufel, worüber ihr Aussehen oft hinwegtäuschte. Ihr braun gelocktes Haar war mit zahlreichen irisierenden Steinchen geschmückt und ihr Kleid körperbetont wie eh und je. Orlando liebte seine beiden Schwestern, doch nur Brett vertraute er auch.

Dann war da noch Peter, der in einem der Sessel vor dem Schreibtisch saß. Er trug eine grünweiße Uniform, welche wohl den Armeen aus der Jugendzeit ihres Vaters nachempfunden war. Peter spielte sich gern als großer General auf, konnte diese Position allerdings nicht durch Fähigkeiten ausfüllen. Seinen Dreispitz hielt er im Arm, wodurch er seinen halb kahlen Kopf entblößte. Wieso er nicht schon längst etwas an seinem Äußeren getan hatte, blieb Orlando schleierhaft.

Ihr Vater erhob sich aus seinem braunen, schlichten Ledersessel. Sein Arbeitszimmer mit Bergblick war schlicht. Vielleicht erinnerte es ihn an die Zeit seines ersten Lebens, als er noch ein spanischer Marquês Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war. Eine Zeit, in der Elektrizität eine Schauattraktion war, es keine Raumfahrt gab und die Menschheit gerade erst damit angefangen hatte, viele Wissenschaften mit Neugier und Eifer zu erforschen. Das erste Leben seines Vaters begann in einem Zeitalter des Aufbruchs – und dann wurde er an seinem Lebensabend von außerirdischen Wesen entführt und zu Studienzwecken konserviert.

Fast dreitausend Jahre fristete er ein einsames Dasein – ohne Zeit zu erleben. Bis er zufällig von Terranern gefunden wurde. Orlando hatte an seinem Vater stets bewundert, dass er sich so einfach in dieses so unterschiedliche neue Zeitalter gefunden hatte

Jetzt war aus dem spanischen Edelmann der Emperador eines Sternenreiches geworden.

»Wie schön, dass ich endlich mal wieder alle meine Kinder um mich habe«, freute sich der alte Spanier.

»Wir freuen uns auch, Vater«, versicherte Orlando.

»Du freust dich immer nur, wenn Orlando da ist. Ich bin ja unwichtig«, giftete Peter.

»Ich sagte ausdrücklich: Ich freue mich alle meine Kinder zu sehen. Musst du zum Ohrenarzt, Peter?«, fragte der Emperador ungehalten.

»Also Schluss jetzt mit den Kindereien. Ich habe euch hergerufen, um euch etwas Wichtiges mitzuteilen.«

Aufgeregt sprang Peter auf.

»Ich bekomme endlich den Oberbefehl über die Flotte!«

Der Emperador verdrehte genervt die Augen.

»Nein, Peter. Es geht um etwas Persönliches. Also setz dich wieder hin.«

Sichtlich enttäuscht warf sich Peter wieder in den Sessel und verschränkte beleidigt die Arme. Der Emperador fuhr fort.

»Nach jahrelanger Einsamkeit und reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschlossen, noch einmal den Bund der Ehe einzugehen.«

Die vier Geschwister starrten ihn an. Dann brach Orlando das Schweigen.

»Das freut mich für dich, Vater. Wer ist denn die Glückliche?«

»Ihr kennt sie. Es ist Rosan Orbanashol, verwitwete Nordment.«

Entsetzen machte sich auf den Gesichtern von Stephanie, Peter und auch Brettany breit.

»Was? Diese billige Arkonidenschlampe? Ich höre wohl nicht recht!«, regte sich Stephanie auf.

Auch Peter konnte es nicht fassen. Sein Gesicht lief rot an vor Zorn.

»Du willst diese Verräterin heiraten? Die gehört doch erschossen. Übergib sie meinen Soldaten und ich lasse sie füsilieren.«

»Was sagst du, Brettany?«, fragte der Emperador sichtlich enttäuscht.

»Wenn Rosan dieser Hochzeit zustimmen würde, wäre ich dafür. Ich weiß aber, dass dem nicht so ist. Daher kann ich es nicht gutheißen.«

Der Emperador winkte ungehalten ab.

»Sie wird sich schon fügen und einsehen, dass es so das Beste für sie ist. Auch aus politischen Gründen halte ich diese Heirat für angebracht, um ein Zeichen zu setzen. Abgesehen davon gefällt sie mir.«

»Hast du dir das auch gut überlegt, Vater?«, fragte Orlando.

Der Emperador nickte entschlossen.

»Allerdings! Mein Entschluss ist unumstößlich. Schon im nächsten Monat werde ich Rosan heiraten, ob es euch nun passt oder nicht.«

Veränderungen
28. August 1308 NGZ

Als Cauthon Despair am nächsten Morgen sein Büro im Klotzkomplex des Quarterialen Oberkommandos betrat, traute er seinen Augen nicht. Sein schlichter Arbeitsraum hatte sich deutlich verwandelt. Mehrere Vasen mit frischen Blumen zierten die Schränke und den Schreibtisch. Am Fenster hingen jetzt Gardinen.

Gardinen? Das kam ihm doch bekannt vor. Virginia Mattaponi hatte es wieder getan. Er seufzte tief und beschloss, keine Zeit mit unnützen Gegenmaßnahmen zu vergeuden. Sollte sie ihren Willen haben.

»Bin ich hier richtig?«, fragte der Silberne Ritter höflich.

»Guten Tag, Sir. Hast du gut geschlafen?«

Die ein Meter vierundsechzig kleine Brünette mit der wilden Mähne hüpfte vor Freude, sobald sie auf den Füßen stand. Ihre braunen Augen glänzten.

»Nun … danke, gut. Denke ich«, stammelte Despair. Er war nun doch etwas verlegen, da er solche Fragen überhaupt nicht gewohnt war.

Natürlich hatte er nicht gut geschlafen. Schmerz und Einsamkeit ließen ihn niemals gut schlafen.

»Wie fühlen Sie sich? Geht es Ihnen gut, Sir?«

Despair staunte ob der Energie der jungen Dame. Er empfand sie aber als angenehm. Etwas Abwechslung konnte ihm nur gut tun.

»Warst du das?«, fragte der Marschall und deutete auf die Blumen und die Gardinen.

»Ja, Cauthy. Ich fand dein Büro irgendwie so traurig und dachte, ein bisschen Frische und Farbe könnten ihm ganz gut tun. Gefällt es dir nicht? Soll ich alles wieder wegbringen?«, fragte Virginia Mattaponi nervös.

Nun wäre Despair froh gewesen, ein Lächeln zeigen zu können.

»Oh nein, keineswegs. Es gefällt mir alles sehr gut. Es gehört ja auch durchaus zu deinen Aufgaben, für ein angenehmes Umfeld zu sorgen. Aber nenne mich nicht Cauthy. Das verbitte ich mir!«

Drohend hob er den Zeigefinger. Er meinte es aber nicht böse. Es war ein großes Zugeständnis, dass er ihr erlaubte, ihn zu duzen, wenn sie zu zweit waren. Sie sollte es jedoch nicht übertreiben.

Virginia stand ihm seit einigen Wochen zur Seite. Kurz nach den Ereignissen am Sternenportal war sie ihm als Ordonnanz von CIP-Chef Niesewitz empfohlen worden. Sie hatte Despair auf der EL CID nach M 87 begleitet und war seitdem ein Wirbelwind in seinem Leben.

Ihre persönliche Art irritierte ihn. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass sie sein Büro umdekorierte, ihm Essen kochte und eine Mischung aus fanatischer Verehrerin, Beschützerin und irgendwie auch Freundin sein wollte.

Es war ungewohnt. Einschüchternd. Surreal.

»Das freut mich, Sir. Heute Nachmittag kommen übrigens die Malerroboter, um das Büro neu zu streichen. Ich finde dieses Grau einfach deprimierend. Du nicht auch, Sir?«

»Dann nehmen wir schwarz.«

»Nee, Sir! Etwas heller, freundlicher. Cremefarben vielleicht?«

»Vielleicht …«

Despair musterte die sportliche Brünette mit der Stupsnase und den Sommersprossen. Sie lächelte, drehte sich um und richtete den Strauß Blumen in der Vase. Despair blickte auf ihren Hintern. Er war schön anzusehen. Überhaupt war sie schön. Erneut tat es ihm leid, in der Rüstung zu stecken.

Er rief sich ihren Lebenslauf in Erinnerung. Auf Terra geboren. Es hieß, sie sei eine Nachfahrin des legendären Don Redhorse. Virginia verlebte ihre Jugend in Nordamerika, scheiterte mit einer Model- und Gesangskarriere und folgte schließlich dem Rat ihrer Tante und ihres Onkels: Sie begann ein Studium an der Raumfahrtakademie von Terrania. Als Nächstes war sie dem Ruf DORGONS nach Cartwheel gefolgt, zusammen mit Onkel und Tante. Virginias Einsätze beschränkten sich zunächst auf die Administration im Terrablock. Nach zwei Jahren wurde sie als Ordonnanz auf Raumschiffen eingesetzt.

»Mein Onkel Herbert hat Blumen und Pflanzen geliebt. Er hat immer versucht, terranische und arkonidische Blumen miteinander zu kreuzen und neue Gattungen zu erfinden«, murmelte Virginia, während sie fürsorglich die Pflanzen arrangierte.

»Er war ein großer Bewunderer von dir, Cauthon.«

»War?«

»Er ist in den ersten Kriegstagen in M 87 gefallen …«

Sie drehte sich um. Ihre Augen waren wässrig. Es war das erste Mal, dass sie solche Emotionen gegenüber Despair zeigte.

»Das tut mir leid, Virginia«, sagte Despair so einfühlsam wie möglich. Gefühle waren nicht sein Ding. Zum Glück war Virginia so lebhaft. Sie strahlte schon wieder, sich die Tränen aus den Augen wischend.

»Naja, meine Tante Helga ist ja noch da. Sie arbeitet bei der CIP und hat mich Mister Niesewitz vorgestellt. Als ich ihm von meiner Bewunderung für Sie erzählte, hat er mich Ihnen zugeteilt. Ist das nicht nett von ihm?«

»In der Tat«, meinte Despair und fragte sich zum wiederholten Male, warum der unsympathische Niesewitz so etwas für ihn tat. Das Summen des Interkoms unterbrach seine Überlegungen. Am anderen Ende der Leitung war der Emperador höchstpersönlich.

Der Silberne Ritter verbeugte sich leicht.

»Was kann ich für Sie tun, Emperador?«

Der Herrscher des Quarteriums hielt sich kurz.

»Cau Thon ist in Cartwheel eingetroffen. Er wünscht eine Unterredung. Wir treffen ihn an Bord der EL CID.«

»Ich bin schon unterwegs«, sagte der Silberne Ritter und erhob sich.

Als der Bildschirm erloschen war, wandte er sich seiner Sekretärin zu.

»Ich muss gehen, Virginia.«

Die junge Frau straffte sich, jeder Zentimeter ihres kleinen Körpers drückte Entschlossenheit aus.

»Gut, ich halte hier die Stellung.«

Despair fragte sich, ob so viel Heldenverehrung nicht etwas zu viel des Guten war, aber er hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, da er sich umgehend zum Raumhafen begab. Kurz darauf hob die EL CID ab und nahm Kurs nach Siniestro.

*

Festen Schrittes hielt der Sohn des Chaos Cau Thon auf die Quarterialen zu. Seine schwarze Kutte flatterte. Nach jedem Schritt schlug er mit dem Ende seines Caritstabes auf den Boden.

Cau Thon wurde von einem zweiten Sohn des Chaos begleitet. Goshkan war größer als der Xamouri und wirkte wie eine apokalyptische Illustration aus Dantes Inferno. Sein schwerer Torso und die muskelbepackten Extremitäten wirkten drohend, die Beine mündeten in Hufe statt Füße. Sein Gesicht wirkte wie das eines Elefanten, wies jedoch vier dunkle Augen auf. Den haarlosen Kopf schmückten zahlreiche Hörner. Der Katrone Goshkan wirkte furchteinflößend und er war gefährlich.

Der Emperador verbeugte sich knapp.

»Ich heiße euch an Bord der EL CID willkommen«, sagte der alte Spanier höflich.

Cau Thon nickte wohlwollend, während Goshkan nur verächtlich grunzte.

»Was verschafft uns die Ehre eures Besuches, Brüder?«, erkundigte sich Despair. Er war beunruhigt, denn wenn Cau Thon kam, musste es einen wichtigen Grund geben.

»Ich bringe schlechte Neuigkeiten. Rodrom wurde gefangen genommen. Wir haben eine Niederlage im Kreuz der Galaxien erlitten. Der Alysker Eorthor hat es vorgezogen, alles Leben in seiner Galaxie zu vernichten. Auch das unserer Raumflotte.«

Das traf den Silbernen Ritter hart. Die Nachschublinien des Quarteriums waren weit überdehnt und die Armee hatte die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht. Das Quarterium drohte, dem Gegner zu unterliegen. Diese Bedenken drückte er aus.

Cau Thon blieb unbeeindruckt.

»Es wird sicher nicht einfach für euch, aber ihr müsst durchhalten. Wir sind in der entscheidenden Phase angelangt. Außerdem habt ihr am Sternenportal einen hervorragenden Sieg errungen. Das Quarterium muss notfalls seine letzten Reserven mobilisieren. Was allein zählt, ist der Sieg. MODRORS Dank ist euch gewiss dafür«, sagte Cau Thon beschwörend.

»Natürlich«, murmelte Despair, obwohl er alles andere als zuversichtlich war. Er war sich nicht sicher, wie lange man noch auf die Dorgonen zählen konnte. Wenn die auch noch wegfielen, drohte dem Quarterium ein Vielfrontenkrieg, in dem es nicht auf Verbündete zählen konnte.

»Sagen Sie MODROR, dass er sich auf das Quarterium verlassen kann«, versicherte der Emperador ehrerbietig.

»Das werde ich tun. Ich muss nun wieder aufbrechen«, entgegnete Cau Thon. Bald darauf war das Gespräch beendet und er begab sich mit Goshkan wieder auf sein Schiff, mit unbekanntem Ziel.

*

Beunruhigt kehrte Cauthon Despair nach Paxus in sein Hauptquartier zurück. Irgendwie fühlte er etwas, dass er schon seit langer Zeit nicht mehr gefühlt hatte – Angst vor der Zukunft. Hatte er sich da auf etwas eingelassen, was ihm über den Kopf zu wachsen schien? War er in dem, was er tat, zu weit gegangen? Fast dankbar registrierte Despair das Chaos, das er in seinem Büro vorfand. Virginia Mattaponi leitete die Renovierungsarbeiten und scheuchte die Arbeitsroboter hin und her.

»Oh, du bist ja schon zurück, Sir! Ach, und wir sind noch gar nicht fertig«, sagte Virginia erschrocken.

»Was soll das werden, wenn es fertig wird?«, fragte der Silberne Ritter ratlos, als er die rosa Farbe an der Wand betrachtete.

»Gefällt es dir nicht, Sir? Rosa ist jetzt der letzte Schrei«, meinte Virginia Mattaponi.

Allmählich fing diese Frau an, den Quarteriumsmarschall zu nerven.

»Davon kriege ich Kopfschmerzen.«

»Aber es ist doch viel schöner als dieses ewige Grau in Grau.«

»Wähle eine andere Farbe aus oder lasse es, wie es ist. Ich mache mich zum Gespött des Oberkommandos!«

Erschrocken kämpfte Virginia Mattaponi mit den Tränen, um dann doch zu weinen.

»Es tut mir so leid, Sir. Das habe ich nicht gewollt. Ich habe es doch nur gut gemeint. Was soll nur Onkel Herbert im Weltraumhimmel von mir denken?«

Despair bekam nun wieder Mitleid mit ihr. Er hatte schließlich kein Recht, seine schlechte Laune an ihr auszulassen.

»Tut mir leid, war nicht so gemeint. Einigen wir uns doch auf Blau. Das halte ich für standesgemäß.«

Virginia Mattaponi strahlte wieder.

»Natürlich, Sir. Ich hätte dich vorher fragen sollen. Aber wo du doch so wichtige Dinge für Cartwheel zu regeln hast, wollte ich Sie nicht mit solch einer Lappalie behelligen. Mein Onkel Herbert sagte auch immer zu mir, dass ich zu vorschnell sei.«

»Hm, da könnte er recht haben …«

»Hast du Hunger?«

»Nein, danke.«

»Hast du Durst?«

»Nein.«

»Möchtest du auch wirklich nichts? Möchtest du einen Mittagsschlaf machen?«

»Nein, ich gehe jetzt in mein Büro«, murmelte Despair konsterniert. Als er jedoch das Chaos und die vielen Arbeitsroboter sah, gab er dieses Vorhaben auf.

»Ich glaube, ich gehe jetzt doch was essen.«

»Schön, Sir. Ich koche dir etwas. Apropos Essen. Morgen Abend bist du zu einem Abendessen bei den de la Siniestros eingeladen.«

»Auch das noch. Mir bleibt aber auch nichts erspart.«

2. Feierlichkeiten

29. August 1308 NGZ

Am nächsten Abend fand ein Abendessen im Hause de la Siniestro statt. Neben der gesamten Familie de la Siniestro und Cauthon Despair waren noch Rosan Orbanashol, Uthe Scorbit und Yasmin Weydner sowie der Posbi Diabolo anwesend. Der Emperador hatte Yasmin mit dem Hintergedanken eingeladen, sie möglicherweise mit seinem skurrilen Sohn Peter zusammenzubringen, da er fürchtete, Peter könnte sonst niemals mehr eine Frau abbekommen. Vielleicht würde Yasmin bei ihrer Freundin Uthe bleiben wollen?

Nachdem sich alle an der üppigen Tafel versammelt hatten, hob der Emperador das Glas.

»Meine lieben, hoch verehrten Gäste! Ich habe Sie hier versammelt, um ein höchst erfreuliches Ereignis mitzuteilen: meine Hochzeit mit der bezaubernden Rosan Orbanashol, die schon bald eine de la Siniestro sein wird. Den Termin habe ich auf den 4. September dieses Jahres festgelegt.«

Innenillustration: Rosan Orbanashol-Nordment von Gaby Hylla
Rosan Orbanashol-Nordment © Gaby Hylla

Rosan Orbanashol erbleichte sichtlich, schwieg aber.

»Ich erwarte, dass ganz Cartwheel mein Glück teilt. An diesem Tage soll Feiertag sein und die Unterschicht, ähem, die sozial Schwachen bekommen extra Mahlzeiten aus dafür eingerichteten Straßenküchen. Ein alter Brauch meiner Familie. Veranlasse alles Nötige, Diabolo«, sagte der alte Spanier zu seinem Posbi-Berater.

»Sehr wohl, Emperador«, entgegnete dieser.

»Ich freue mich für dich, Vater. Ich hoffe, deinem Beispiel schon bald folgen zu können«, sagte Orlando und sah verliebt zu Uthe Scorbit herüber.

»Wer weiß«, entgegnete die Terranerin und lächelte zurück.

»Sehr schön, meine lieben Kinder. Das freut mich. Wir alle tragen Verantwortung für den Namen de la Siniestro und für den Fortbestand unserer Dynastie.«

Seiner Tochter Stephanie war alles andere als feierlich zumute. Sie sprang auf die Füße.

»Das kann doch wohl alles nicht wahr sein! Bin ich hier im falschen Film? Erst diese Arkonidenschlampe und nun noch diese terranische graue Maus. Wie tief soll unsere Familie noch sinken?«, ereiferte sie sich.

»Stephanie! Auf der Stelle entschuldigst du dich bei unseren Gästen!«, brüllte Orlando.

»Orlando hat recht. Das geht zu weit!«, pflichtete der Emperador seinem Sohn bei.

»Okay, Entschuldigung«, gab Stephanie nach. Sie setzte sich wieder. Ihr Gesichtsausdruck sah jedoch alles andere als reumütig aus.

»Im Übrigen tätest du gut daran, dir endlich einmal einen Ehepartner auszuwählen. Ich erwarte von dir, dass du innerhalb eines Jahres heiratest. Ob du Toran Ebur, Leticron, Uwahn Jenmuhs oder Elgalar wählst, ist mir gleich. Hauptsache, es ist von Nutzen für uns«, erklärte der alte Spanier streng. Stephanie zog es vor zu schweigen.

»Ich erwarte natürlich auch viele Enkel. Ansonsten muss ich selbst wieder für Nachwuchs sorgen«, fuhr der Emperador fort, wobei Rosan Orbanashol noch etwas bleicher wurde.

»Was? Aber wir sind doch deine Kinder! Das darfst du nicht!«, rief Peter entsetzt.

»Ich darf alles, mein Sohn. Auch du solltest dir endlich mal eine Freundin suchen. Wie wäre es mit dieser entzückenden jungen Dame?«

Don Philippe deutete auf Yasmin, die erschreckt aufsah.

»Die hat ja nicht mal eine Uniform«, maulte Peter.

»Du kannst ihr doch eine schenken«, meinte sein Vater.

Die Angesprochene erhob sich abrupt von der Tafel.

»Ich glaube, ich muss mich übergeben«, murmelte sie.

»Ich begleite dich«, bot Rosan Orbanashol an und begleitete die Terranerin hinaus.

»Ihre Wirkung auf Frauen ist sehr interessant«, bemerkte Diabolo trocken. Peter sah ihn böse an.

»Ja, das ist in der Tat ein Problem. Vielleicht sollte ich dich auf eine Benimmschule schicken«, meinte der Emperador.

»Bloß nicht! Im Moment wird jeder fähige Soldat an der Front gebraucht«, lehnte Peter ab.

Cauthon Despair gab einen undefinierbaren Laut von sich. Daraufhin fühlte sich fälschlicherweise Brettany angesprochen.

»Wo wir gerade dabei sind: Findet ihr nicht, dass Cauthon und ich ein gutes Paar abgeben würden?«, fragte sie in die Runde.

Daraufhin herrschte erst einmal betretenes Schweigen. Auch Cauthon Despair schwieg. Er wollte Brettany keinesfalls verletzten.

»Die Schöne und das Biest. Wie romantisch«, spottete Peter gehässig. Das reichte, um den Silbernen Ritter nun doch in die Diskussion zu ziehen.

»Pass bloß auf, Kleiner. Du kannst von mir gern noch eine Abreibung haben«, drohte Despair in Anspielung auf ihren letzten Zusammenstoß an Bord der EL CID.

»Ich muss Peter leider diesmal zustimmen. Das ist doch völlig absurd«, fiel Orlando ihm ins Wort.

»Warum? Cauthon ist genauso ein Mensch wie wir alle. Er ist besser als so mancher hier«, widersprach Brettany erbittert.

»Dieser Mann ist kein Umgang für ein so zartes Geschöpf wie dich«, gab Orlando zu bedenken und warf Despair einen strengen Blick zu.

»Ach, tatsächlich? Das sagt mir ausgerechnet jemand aus dieser Sippschaft!«, spottete der Silberne Ritter. »Wenn ich kein Umgang für die hohen Herrschaften bin, kann ich mich ja verabschieden.«

Despair erhob sich und verließ schnellen Schrittes die Villa. Brettany versuchte vergeblich, ihn zum Bleiben zu bewegen, und blieb weinend zurück. Uthe Scorbit versuchte, sie zu trösten. Auch Orlando, Peter und Stephanie verließen den Raum. Zurück blieben nur der Emperador und Diabolo, die auf die verlassene Tafel starrten.

»Das war wirklich eine tolle Party, Emperador. Die bevorstehende Hochzeit dürfte überaus interessant werden«, meinte der Posbi sarkastisch.

»Ach, halt die Klappe«, meinte der Emperador konsterniert. Er schob den Teller zurück. Der Appetit war ihm gründlich vergangen.

*

Nicht nur im Hause der de la Siniestros wurde gefeiert. Auch CIP-Chef Werner Niesewitz hatte Gäste zu sich nach Hause eingeladen. Zu den Gästen zählten Reynar Trybwater, Reinhard Katschmarek und Diethar Mykke.

»Keine Frauen?«, fragte der feiste Mykke enttäuscht.

»Ich habe noch zwei Mitarbeiterinnen eingeladen. Meine Sekretärin und ihre Nichte. Außerdem bist du glücklich verheiratet, Diethar«, hielt ihm Niesewitz entgegen.

»Wie? Ach so! Ja, natürlich«, versicherte Mykke etwas zu hastig für Niesewitz’ Geschmack.

»Eine gute, reinrassige Familie ist das wahre Glück eines jeden anständigen Mannes«, schwärmte Reinhard Katschmarek. »Unsere Frauen und unsere Familien geben uns den Rückhalt für unsere schweren Aufgaben und das Gefühl, das Richtige für Zukunft zu tun.«

»Wenn du meinst«, erwiderte Mykke gelangweilt. Seine Linientreue endete schnell, wenn es ums Feiern ging.

»Darauf wollen wir trinken«, rief Reynar Trybwater und erhob dabei sein volles Glas, um es in einem Atemzug zu leeren. Die anderen taten es ihm begeistert nach. Kurz darauf läutete es an der Eingangstür.

»Das müssen die Damen sein«, meinte Werner Niesewitz und öffnete. Herein traten Helga Meierlein und ihre Nichte Virginia Mattaponi.

»Je später der Abend, desto schöner die Gäste«, bemühte sich Niesewitz, charmant zu sein.

»Oh, vielen Dank«, zeigte sich Helga Meierlein beeindruckt.

Auch für Virginia Mattaponi war es nichts Alltägliches, in einem Raum mit so vielen prominenten Persönlichkeiten des Quarteriums zu sein, wenngleich es natürlich keiner von ihnen mit ihrem Cauthon Despair aufnehmen konnte.

Die abendliche Gesellschaft nahm Platz zum Dinner. Das Essen verlief recht harmonisch, wenngleich der Alkohol in Strömen floss, was Virginia Mattaponi nicht sonderlich gefiel. Sie wusste, dass Cauthon Despair keinen Alkohol trank und bewunderte dies an ihm ebenso wie seine Erhabenheit, die sie bei den Anwesenden nun gar nicht feststellen konnte. Werner Niesewitz erzählte Anekdoten aus seiner prästellaren Jugendzeit auf Terra und was für ein imposanter, tapferer Kämpfer er damals gewesen war. Er beeindruckte sie überhaupt nicht.

Nach dem Essen verabschiedete sich Helga Meierlein, nachdem sie einen Anruf aus dem Büro erhielt und dort noch einige Dinge regeln musste. Virginia Mattaponi blieb mit den vier Männern zurück, da Werner Niesewitz darauf bestand. Diethar Mykke zeigte sich von seiner charmanten Seite und machte ihr Komplimente.

»Sie sind ja eine ganz Flotte. Aber ich bin ja auch nicht ohne«, sagte er selbstbewusst.

»Wenn Sie das sagen, wird es schon stimmen, Sir«, erwiderte Virginia diplomatisch. Irgendwie war ihr dieser Mykke nicht geheuer.

»Interessieren Sie sich für historische Bücher?«, fragte dieser.

»Ja, durchaus«, sagte Virginia, in der Hoffnung auf ein anderes Thema zu kommen.

»Werner hat da hinten eine Bibliothek. Ich kann Sie Ihnen zeigen«, bot sich Mykke an.

»Ja, gern«, stimmte Virginia zu und folgte ihm. So kulturell interessiert hatte sie Mykke gar nicht eingeschätzt. Vielleicht erwies er sich doch als sympathisch. Niesewitz, Katschmarek und Trybwater kicherten eigenartig, was Virginia nicht so ganz verstand.

»Wie ist die Arbeit bei Despair?«, erkundigte sich Mykke, während sie den Gang entlangliefen.

»Es macht mir sehr viel Spaß. Marschall Despair ist so eine eindrucksvolle Persönlichkeit«, antwortete sie strahlend.

Mykke glotzte sie aus seinen Schweinsaugen nur verständnislos an.

»Ach tatsächlich? Der ist doch kein richtiger Mann.«

Damit hatte er sich die letzten Sympathien bei Virginia verspielt.

»Das können Sie wohl kaum beurteilen. Wo sind nun die Bücher? Das hier sieht aus wie ein Schlafzimmer«, meinte sie, als sie durch die Tür geschritten war, die er ihr aufhielt.

Tatsächlich befand sich dort ein großes Bett. Darüber befand sich immerhin ein Regal mit Büchern, die jedoch von eher freizügiger Literatur handelten.

»Da. Wir können uns ja mal vorher die Bilder angucken, bevor wir anfangen. Mit Kamasutra wollte ich es schon immer machen.«

»Anfangen womit? Und wer ist Kamasutra?«

»Es wird Zeit, dass du es mal mit einem richtigen Mann zu tun kriegst. Einem Mann wie mir und nicht so eine lächerliche Blechdose.«

Mykke packte Virginia grob an den Schultern und wollte sie küssen. Sein Atem stank nach Alkohol. Virginia musste würgen. Sie spürte seine Wurstfinger an ihrer Burstwarze. Virginia trat gegen Mykkes Knie. Er wankte nach hinten. Sie trat ihm gegen die Oberschenkel und setzte ihren finalen Kick gegen die Kronjuwelen des Ministers. Jaulend ging Mykke in die Knie.

Die zierliche junge Frau blickte verwundert auf den Fleischberg hinab. Mit schmerzverzerrtem Gesichte sah Mykke zu ihr auf.

»Das wirst du bereuen, du Biest!«

»Sie werden es bereuen, wenn Marschall Despair von diesem Vorfall erfährt. Dann können Sie froh sein, wenn mein Cauthon Ihnen nicht Ihren fetten Wanst aufschneidet. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. Ich hätte nicht gedacht, dass es im Führungsstab des Quarteriums solche Leute wie Sie gibt. Außerdem sind Sie verheiratet.«

Diethar Mykke wurde bleich. Er fürchtete Cauthon Despair und wollte keinen Ärger mit ihm. Hätte er geahnt, dass Despair Interesse an dieser Frau hatte, hätte er die Finger von ihr gelassen. Er hoffte, dass es nur leere Worte waren.

Virginia verließ wutentbrannt Niesewitz’ Wohnung. Verwundert ging der Gastgeber nachsehen. Im Schlafzimmer fand er Mykke in gebückter Haltung vor.

»Nanu, was ist denn hier los? Und wo ist Miss Mattaponi? Ich wollte sie doch noch über Cauthon Despair befragen.«

»Den Namen Despair will ich heute nicht mehr hören«, jammerte Mykke.

Niesewitz lachte hämisch.

»Bist wohl abgeblitzt? Spricht eigentlich für ihren Geschmack! Naja, was solls. Ich bestelle uns bei der Agentur ein paar Callgirls, dann wird der Abend doch noch lustig.«

Quarteriales Oberkommando

Für den nächsten Tag hatte Cauthon Despair eine Konferenz des Quarterialen Oberkommandos einberufen. Neben dem Emperador waren noch Uwahn Jenmuhs und die Generäle Sizemore und Mandor da Rohn anwesend. Cauthon Despair berichtete über die Neuigkeiten, die Cau Thon mitgebracht hatte, und die sich abzeichnenden Folgen.

»Durch den Wegfall der versprochenen Verstärkung ergibt sich für uns eine neue Situation. Unsere Ressourcen sind bald erschöpft, wir stoßen an unsere Grenzen. Durch die Überdehnung und die zahlreichen Fronten können wir keine großen Reserven mehr mobilisieren. Wir müssen mit einer Gegenoffensive des Feindes rechnen und sollten uns darauf vorbereiten. Ich schlage daher vor, unsere Truppen in Defensivposition zu bringen, um das eroberte Terrain zu sichern. Notfalls müssen einzelne Systeme aufgegeben werden«, schloss Despair seinen Bericht.

Während der Silberne Ritter sprach, wurde das aufgedunsene Gesicht des Arkoniden Uwahn Jenmuhs zusehends röter. Ächzend erhob er sich aus seinem Sessel.

»Höre ich recht? Reden Sie von Rückzug? Wir sollen jetzt kneifen, da wir den Feind an der Gurgel gepackt haben und dabei sind, sie ihm herauszureißen? Nicht mit mir!«, echauffierte sich der fette Arkonide.

»Wir können unmöglich in dieser Situation einen Frontalangriff auf Terra durchführen. Dazu haben wir nicht mehr die Reserven«, hielt ihm Cauthon Despair entgegen.

»Unsinn! Wir sind Cartwheeler! Einer von uns ist mindestens so viel wert wie zehn von denen. Dann muss eben jeder, der eine Waffe halten kann, eingezogen und an die Front geschickt werden. Notfalls auch Kinder und Alte. Außerdem ziehen wir ja nun gerade aus M 87 ab. Damit haben wir neue Ressourcen.«

»Die Verbände sind kampfmüde und brauchen eine Pause. Unsere Feldzüge haben Verluste gebracht«, gab Despair zu bedenken.

Jenmuhs winkte barsch ab.

»Pah! Die, die wir haben, genügen. Wir greifen Terra an und jagen Rhodan solange, bis wir ihn haben. Dieser Mann ist der Kopf der Terraner. Wenn wir ihn haben, sind die Terraner enthauptet. Ich werde ihn persönlich in einem Triumphzug durch die Straßen von Terrania schleifen. Dann wird ihr Wille gebrochen sein«, meinte der fette Arkonide inbrünstig.

»Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an Ihr Versprechen, das Sie mir gaben, Emperador?«

»Gewiss. Die Hälfte der Milchstraße geht in Ihren Privatbesitz über. Außerdem werden Sie Protektor über die andere Hälfte – vorausgesetzt es gelingt Ihnen, die Milchstraße zu erobern«, sagte Don Philippe.

»Es wird mir gelingen! Glauben Sie mir, es wird mir gelingen. Wenn ich erst Rhodan erledigt habe, unterwerfe ich das Kristallimperium und stürze diesen elenden Bostich vom Thron. Dann bin ich der mächtigste Mann der Milchstraße«, schwärmte Jenmuhs.

»Vorausgesetzt, Sie dienen MODROR weiterhin treu«, ermahnte ihn Despair.

»Selbstverständlich«, versicherte Jenmuhs ehrerbietig.

»Nun gut. Bliebe nur die Frage, wie wir Terra einnehmen«, gab der Silberne Ritter zu bedenken.

Generalmarschall Sizemore meldete sich zu Wort.

»Unter den gegebenen Umständen wäre ich für einen baldigen Blitzangriff auf Terra. Außerdem wäre es klüger, sich mit dem Kristallimperium zu verbünden, denn Feinde haben wir schon genug«, meinte der Generalmarschall.

»Ich unterstütze Generalmarschall Sizemores Vorschlag«, pflichtete Mandor da Rohn seinem Kollegen bei.

»Blödsinn! Ich will die ganze Milchstraße beherrschen. Außerdem kann man Bostich nicht trauen. Er sieht auf mich herab, und dafür soll er büßen«, lehnte Uwahn Jenmuhs ab. »Wir werden Rhodan quer durch die Galaxis jagen, solange, bis wir ihn in die Enge getrieben haben. Greifen wir mit allem an, was wir haben! Die benötigten Ressourcen holen wir uns aus den erbeuteten Kolonien.«

»Das ist ziemlich kühn«, gab Cauthon Despair zu bedenken.

»Nur dem Kühnen gehört das Universum. Die Galaxis ist nicht genug! Das war schon von jeher der Wahlspruch meiner Familie.«

»Na fein, dann wäre das ja geklärt. Arbeiten Sie die Pläne dazu aus, meine Herren«, entschied der Emperador ungeduldig und sah auf die Uhr.

»Es wird Zeit für mich zu gehen. Ich habe noch viel für meine bevorstehende Hochzeit zu tun, zu der Sie alle selbstverständlich herzlich eingeladen sind.«

Der Emperador verabschiedete sich und ging mit den anderen hinaus. Zurück blieb Cauthon Despair, den das ungute Gefühl beschlich, dass die anderen den Sinn für die Realität verloren hatten.

*

Uwahn Jenmuhs verlor keine Zeit. Der Start seiner 55.000 Einheiten starken Flotte wurde auf den 1. September festgelegt. Diese Flotte sollte sich mit den weiteren 75.000 Schiffen in NGC 404 vereinigen und die Führungsspitze bilden. Ziel von Jenmuhs war es, mit dieser Flotte die LFT ein für alle Mal auszuradieren. Zu den Bodentruppen dieser Invasionsarmee zählte auch die XXXII. SHIFT-Division unter dem Kommando von Generaloberst Alcanar Benington und Oberst Wolf Linker.

Doch auch Orlando de la Siniestro gehörte als rechte Hand von Uwahn Jenmuhs dazu. Er sollte darauf achten, dass es Jenmuhs nicht übertrieb.

Innenillustration: Orlando de la Siniestro von Gaby Hylla
Orlando de la Siniestro © Gaby Hylla

Orlando war alles andere als begeistert über seinen Einsatzbefehl, zumal er erst wenige Tage wieder in Cartwheel weilte. Traurig machte er sich auf den Weg zu Uthe Scorbit, um ihr die Nachricht mitzuteilen.

»Du musst schon wieder weg? Das kann nicht sein, du bist doch gerade erst gekommen«, klagte Uthe enttäuscht.

»Die Pflicht ruft. Ich kann und will mich ihr nicht entziehen«, sagte Orlando tapfer, obwohl ihm ganz anders zumute war.

»Pflicht? Ist es deine Pflicht, an der Seite dieses Monsters Jenmuhs andere Welten zu überfallen und zu unterjochen?«, fragte Uthe anklagend.

»Fang bitte nicht wieder damit an«, wehrte Orly ab.

»Dieser Krieg wird immer zwischen uns stehen, solange er dauert«, befürchtete Uthe traurig.

Orlando nahm sie tröstend in den Arm.

»Nein, das lasse ich nicht zu. Nach meiner Rückkehr heiraten wir und dann lasse ich mich in den Planungsstab versetzen oder quittiere den Dienst«, versprach er.

Uthe schmiegte sich an ihn.

»Dann werde ich auf dich warten«, versprach sie.

*

Etwa zur gleichen Zeit empfing Cauthon Despair einen Hyperkomspruch. Er kam von Cau Thon persönlich, der sich ihm als Hologramm präsentierte.

»Ich grüße dich, Cauthon.«

Despair nickte ihm zu.

»Auch ich grüße dich, Cau Thon. Wie kann ich dir zu Diensten sein?«

»Bei meinem letzten Besuch spürte ich, dass du beunruhigt bist«, stellte Cau Thon fest.

»Die unerwartete Niederlage hat unseren Plänen geschadet. Ich bin nicht sicher, ob das Quarterium allein in der Lage ist, den immer zahlreicher werdenden Feinden standzuhalten«, erklärte Despair.

»Dieser Rückschlag ist nur von kurzer Dauer. Ich begebe mich persönlich nach Barym und Seshonaar, um dort die Arbeiten voranzutreiben. So schnell wie möglich wird MODROR eine neue Flotte aufstellen, um das Quarterium zu unterstützen«, versprach Cau Thon.

»Wäre es dann nicht klüger, den Angriff auf die Milchstraße bis dahin zu verschieben?«

»Nein! Der Feind darf nicht wissen, dass MODRORS Offensivkraft vorübergehend geschwächt ist. Wenn ihr jetzt angreift, wird es für ihn auch ein psychologischer Rückschlag sein. Bis MODRORS neue Flotte einsatzbereit ist, muss das Quarterium die Aufgabe übernehmen, Perry Rhodan anzugreifen und, wenn möglich, zu vernichten. Der Feind darf nicht zu Atem kommen und die Gelegenheit haben, Gegenoffensiven zu starten. MODROR zählt auf dich, Cauthon. Er weiß, dass es eine schwere Aufgabe ist, doch er ist überzeugt, dass du sie lösen kannst«, erklärte Cau Thon eindringlich.

Despair war nicht wohl dabei zumute, aber er nickte zustimmend.

»Ich werde tun, was in meiner Macht steht«, versprach er.

»Davon bin ich überzeugt. Ich werde dich über die Fortschritte in Barym und Seshonaar auf dem Laufenden halten.«

Das Hologramm erlosch und Cauthon Despair wandte sich nachdenklich wieder seiner Arbeit zu. Er hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl.

Die Hochzeit wider Willen

Voller Unbehagen blickte Rosan Orbanashol auf den Kalender. Es war der 3. September 1307 NGZ. Nur noch ein Tag und ihr Albtraum wurde wahr. Sie würde wieder heiraten, aber einen Mann, den sie zutiefst verabscheute. Ein Klopfen an der Tür riss sie abrupt aus ihren düsteren Gedanken. Der Haushofmeister Martyn Hubba trat ein und sah sie mit einem unsympathischen Grinsen aus seinen Schweinsäuglein an.

»Was wollen Sie denn hier?«, fragte sie barsch, da ihr Hubba zutiefst unsympathisch war.

»Der Emperador wünscht Sie umgehend in seinem Salon zu sprechen«, verkündete Hubba wichtigtuerisch.

»Ich komme gleich«, erwiderte Rosan ruhig.

»Ich soll Sie zu ihm bringen«, stellte Hubba grinsend klar.

»Na schön. Gehen wir.«

Widerwillig folgte Rosan dem Plophoser. Auf der Treppe begegneten sie einer Gataserin, die die Treppe wischte. Sie gehörte zu den extraterrestrischen Sklaven, die als Bedienstete im Schloss arbeiteten. Hubba war als Haushofmeister und Vorarbeiter für die Sklaven zuständig.

Als die Jülziisch nicht rechtzeitig mit ihrem Eimer Platz machen konnte, wurde Hubba wütend und trat sie. Daraufhin fiel die Jülziisch die Treppe hinunter und verschüttete dabei den Wassereimer.

»Pass doch auf, du dumme Alien-Sau!«, schrie Hubba und schlug mit einem Rohrstock, den er stets bei sich trug, auf die Dienerin ein.

»Aufhören! Sofort!«, befahl Rosan. Sie beugte sich über die Gataserin und half ihr auf.

»Das ist doch bloß eine Blues-Schlampe. Die versteht keine andere Sprache und bekommt nur das, was sie verdient«, meinte Hubba uneinsichtig.

»Sie sind nichts weiter als ein elender Schwachkopf!«, wies ihn Rosan zurecht und tröstete die Gataserin.

Hasserfüllt blickte Martyn Hubba die Halbarkonidin an. Einen Moment lang fürchtete Rosan, er würde auf sie einschlagen.

»Sie wagen es, mich einen Schwachkopf zu nennen?«, zischte er bedrohlich.

»Ich wüsste nicht, was daran ein Wagnis ist«, entgegnete sie tapfer, obwohl ihr nicht wohl dabei zumute war.

»Was ist denn hier los? Warum muss ich denn so lange warten?«, hörte Rosan den Emperador rufen. Zum ersten Mal war sie froh darüber, den alten, zerknitterten Spanier zu sehen.

»Hubba hat diese arme Frau geschlagen«, erklärte er.

»Ist das so?«, erkundigte sich Don Philippe bei seinem Haushofmeister.

»Ich tue nur meine Pflicht. Die Sklavin stand im Weg«, verteidigte sich der feiste Plophoser.

»Er lügt«, rief Rosan.

»Sie haben meine zukünftige Gemahlin, die neue Emperatriz, erschreckt. Entschuldigen Sie sich bei ihr«, befahl der Emperador.

Widerwillig entschuldigte sich Martyn Hubba, aber sein hasserfüllter Blick ließ Rosan keinen Zweifel, dass sie einen neuen Feind hatte.

»Ich bitte um Verzeihung, Emperatriz.«

Don Philippe war zufrieden.

»So ist es recht. Sie können sich entfernen. Die Sklavin bekommt für den Rest des Tages frei. Ich hoffe, du bist damit zufrieden, liebe Rosan.«

»Gewiss«, lenkte Rosan ein. Für den Augenblick war sie froh, aus der Gegenwart dieses widerwärtigen Mannes wegzukommen.

»Als meine Frau wird es ohnehin bald deine Aufgabe sein, dich um den Haushalt des Schlosses zu kümmern. Dazu gehört natürlich auch die Dienerschaft. Aber das hat Zeit bis nach den Flitterwochen«, erklärte der Emperador gut gelaunt.

Rosan wurde übel bei dem Gedanken, Flitterwochen mit dem alten Mann verbringen zu müssen. Aber es sah alles danach aus, als würde dieser Albtraum Wirklichkeit werden.

»Der Grund, weshalb ich dich rief, wird dich erfreuen: Dein Hochzeitskleid ist fertig. Du kannst es anprobieren. Morgen soll ja alles passen.«

Rosan fiel es schwer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber es blieb ihr nichts weiter übrig.

»Natürlich, ich werde es gleich mal anziehen.«

Der Emperador entblößte zufrieden seine vergilbten Zähne.

»So ist es brav. Ich möchte dir noch jemanden vorstellen. Aber vielleicht kennt ihr euch ja schon.«

Don Philippe deutete auf eine hagere Frau, die ihre besten Jahre bereits deutlich hinter sich hatte und im Salon wartete. Rosan erkannte die Frau, sie hatte sie schon mal auf einem Empfang gesehen. Es war Judta Mykke, die Ehefrau des Ministers Diethar Mykke.

»Guten Tag, Emperatriz«, sagte Judta Mykke kühl und musterte Rosan abschätzend. Sie machte auf Rosan einen wenig sympathischen Eindruck.

»Frau Mykke kümmert sich um das Protokoll und die Organisation der Hochzeit. Sie wird dir sagen, wann du dich morgen bereithalten musst und was du zu tun hast. Wir wollen doch einen guten Eindruck auf die Öffentlichkeit machen«, erklärte der Emperador.

»Sicher«, meinte Rosan wenig enthusiastisch.

Judta Mykke begleitete Rosan hinauf auf ihr Zimmer und half ihr bei der Anprobe.

»Sie können sich glücklich schätzen, einen Mann wie den Emperador heiraten zu dürfen«, schwärmte die Frau. »Wenn ich nicht glücklich verheiratet wäre, könnte ich direkt neidisch werden. Eigentlich hat ein Mann seiner Reife und Klasse etwas Besseres verdient, als so ein junges, unerfahrenes Ding.«

»Wir können den Emperador ja mal fragen. Vielleicht lässt sich da was arrangieren«, gab Rosan frech zurück.

Diese Mykke war ihr unsympathisch. Sie spürte ihre Verachtung. Judta Mykke wiederum lachte hysterisch auf und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Sie erklärte Rosan akribisch das Protokoll der bevorstehenden Hochzeit.

*

Am nächsten Tag war es schließlich soweit. Mit großem Pomp im barocken Stil wurde die Hochzeit in der Kathedrale von New Madrid abgehalten. Sämtliche Trivid-Sender waren live dabei und übertrugen in jeden Winkel Cartwheels. Hunderttausende Schaulustige säumten die Straßen. Der Emperador ließ sich und seine Braut in einer alten Pferdekutsche aus edlen Hölzern zur Kathedrale kutschieren. Kleine Mädchen streuten Blumen über den Gang in die im mittelalterlichen Stil erbaute Kathedrale und trugen die meterlange Schleppe.

Rosan fühlte sich wie in einem falschen Film. Einerseits war es eine Hochzeit, wie sie sich jede Frau nur erträumen konnte, andererseits war ihr Bräutigam ein einziger Albtraum. Der Emperador nahm ihre zitternde Hand und sie traten vor den Altar. Der Raum war gefüllt mit den Honoratioren des Quarteriums. Der oberste Kirchenführer von Siniestro nahm die Trauung vor. Nach den üblichen Redeformeln kam er zur Sache und fragte den Emperador:

»Wollt Ihr, Don Philippe Alfonso Jaime de la Siniestro, Emperador von Cartwheel, die hier anwesende Rosan Orbanashol zur Frau nehmen, sie lieben und sie ehren, bis das der Tod euch scheidet?«

»Ja, ich will«, sagte der alte Spanier feierlich und bedachte Rosan mit einem liebevollen Blick.

Der Kardinal wandte sich nun Rosan zu und stellte ihr die gleiche Frage.

Rosan zögerte. Am liebsten wäre sie weggelaufen, aber der drohende Blick des Emperadors machte ihr klar, dass sie keine andere Wahl hatte, wenn sie überleben wollte.

»Ja, ich will«, hauchte sie deshalb.

»Dann erkläre ich euch, Kraft meines Amtes, hiermit zu Mann und Frau. Ihr dürft die Braut jetzt küssen«, erklärte der Kardinal. Der Emperador kam dieser Aufforderung zu Rosans Entsetzen nur zu gern nach. Dann steckte er ihr einen prachtvollen, goldenen Ring an den Finger.

»Ich freue mich schon auf unsere Hochzeitsnacht«, flüsterte er seiner frischgebackenen Frau ins Ohr. Rosan wurde übel bei dem Gedanken.

*

Mit der Kutsche ging es anschließend unter Fanfaren und Trommelklängen zurück zum Schloss der de la Siniestros. Jubelnde Menschenmengen säumten die Straßen, sodass es nur langsam voranging. Rosan war erstaunt, wie beliebt der Emperador nach wie vor beim Volk war.

Innenillustration: Schloss New Madrid auf Siniestro von Stefan Wepil
Schloss New Madrid auf Siniestro © Stefan Wepil

Am Abend fand im Schloss eine große Feier statt, an der alle Honoratioren des Quarteriums teilnahmen. Judta Mykke überwachte akribisch, dass sich Rosan an die Etikette und das Protokoll hielt.

Auch ihr Mann Diethar Mykke war mit seiner aufreizenden Sekretärin Sylke Stabum anwesend. Rosan fragte sich, wozu der fette Minister eine Sekretärin bei einer Feier brauchte. Auch Judta schien davon nicht angetan zu sein und bedachte ihren Mann mit argwöhnischen Blicken. Zu allem Überfluss schlich auch noch Martyn Hubba ständig in ihrer Nähe herum und blickte sie böse an. Rosan kam sich vor wie in einem Käfig.

Die Hochzeitsparty wurde immer ausgelassener und der Alkohol floss in Strömen, wobei Werner Niesewitz und Reinhard Katschmarek wieder an vorderster Front zu finden waren. Rosan sah sich das bunte Treiben gelangweilt an. Sie wurde aufmerksam, als sie ein Seufzen neben sich hörte. Eine alte Frau setzte sich ächzend neben sie und schenkte sich ein Glas Cognac ein. Rosan hatte Ottilie Braunhauer vor Jahren auf der LONDON II kennengelernt.

»Frau Orbanashol, ich wünsche Ihnen alles, alles Gute zu Ihrer Hochzeit«, sagte die alte Dame schleppend.

»Vielen Dank«, erwiderte Rosan zaghaft und sah, wie ihre Besucherin ihren Cognac in einem Zug leerte und sich ein neues Glas einschenkte.

»Und wie geht es Ihnen? Naja, mir geht es ja auch so schlecht. Mein Rücken tut weh, meine Beine tun weh, meine Arme tun weh und schwindelig ist mir auch«, erzählte Ottilie umständlich.

»Das tut mir leid. Vielleicht sollten Sie besser nach Hause gehen und sich hinlegen«, riet Rosan, die Ottilie Braunhauers Tiraden in klarer Erinnerung hatte. Doch die alte Frau winkte ab und trank noch einen Schluck.

»Ich bin ein Stehaufmädchen. Aber mein Mann, der steht nicht mehr auf. Der ist tot. Naja, was solls. Ich kann mich noch an meine Hochzeit erinnern. Das waren noch Zeiten! Damals war ich natürlich noch jünger. Hach, mein armes Vatichen«, seufzte Ottilie, kippte noch einen Cognac und fing an zu weinen.

Betroffen reichte Rosan ihr ein Taschentuch. Mykke kam dazu. Ihm war sichtlich peinlich, dass sich seine Schwiegermutter mal wieder daneben benahm.

»Was machst du denn wieder für ein Theater, Mutter? Willst du nicht lieber nach Hause?«

Ottilie schüttelte den Kopf.

»Nein, nein. Ich will mich heute auch mal amüsieren. Ich bin ja eh bald tot«, lehnte sie ab.

Mykke zuckte mit den Schultern und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Sekretärin zu. Rosan fiel auf, dass er mit ihr den Saal verließ und in einem der Zimmer verschwand.

»Habe ich Ihnen schon meinen Hammerzeh gezeigt?«, fragte Ottilie die neue Emperatriz.

Bevor Rosan in die Verlegenheit kam, darauf antworten zu müssen, erschien der Emperador und forderte sie zum Tanz auf. Rosan war so froh, von der seltsamen Schwiegermutter der Mykkes wegkommen zu können, dass sie gern mitging. Nicht dass sie den Tanz genoss. Sie fühlte sich nur von Verrückten und Kriminellen umgeben.

Hätte sie nur mit Uthe Scorbit in Kontakt treten können! Doch es hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben. Ottilie Braunhauer blieb enttäuscht zurück und leerte noch ein Glas Cognac, sehr zum Unbehagen ihrer Tochter Judta.

»Du sollst doch nicht so viel trinken, Mutter. Nicht dass dir wieder schwindlig wird«, hielt sie der alten Dame vor. Doch Ottilie winkte ab.

»Zu spät. Mir ist schon schwindelig.«

»Dann soll dich Diethar nach Hause bringen.«

Judta Mykke sah sich vergeblich nach ihrem Mann um.

»Wo ist er denn?«

»Ich habe gesehen, wie er mit dem jungen Mädchen in das Zimmer da drüben gegangen ist«, klärte ihre Mutter sie lallend auf.

»Mit wem? Na so was«, wunderte sich Judta und machte sich auf, um ihren Mann zu finden. Sie ging zu dem Zimmer und öffnete die Tür. Dann stieß sie einen gellenden Schrei aus.

*

Rosan musste mit ihrem neuen Ehemann wider Willen zu den Klängen eines Walzers von Johann Strauss tanzen. Der Emperador war sichtlich gut gelaunt und machte einen besonders vitalen Eindruck.

»Ich denke, wir werden uns bald in unser Schlafgemach zurückziehen. Ich kann es kaum erwarten«, kündigte er zu Rosans Entsetzen an.

Die Halbarkonidin überlegte, was sie nun tun sollte, als sie einen hysterischen Schrei hörte, der die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zog. Sofort eilten der Emperador und Rosan mit ein paar Sicherheitsleuten in das Zimmer, aus dem der Schrei gekommen war.

Dort fanden sie eine sichtlich aufgelöste Judta Mykke vor, die kreischend ihren Mann beschimpfte, der mit fettem, nacktem und schwitzendem Körper auf seiner Sekretärin Sylke Stabum lag, nun ächzend versuchte, wieder aufzustehen, und dabei einen ziemlich lächerlichen Eindruck machte. Irgendwie überraschte es Rosan nicht, dass Diethar Mykke seine Frau mit seiner Sekretärin betrog, aber für Judta Mykke brach gerade eine Welt zusammen.

»Wie konntest mir das antun? Nach all den Jahren?«, rief Judta aufgelöst.

»Das war es ja gerade. Die vielen Jahre mit dir«, antwortete Mykke zynisch.

»Diese Schande! Vor allen Leuten, das überlebe ich nicht«, schluchzte seine Frau.

Don Philippe war empört über Mykkes Verhalten.

»Minister Mykke, ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. So verhält sich kein Kavalier. Und dann auch noch in meinem Haus! Das ist empörend.«

»Tut mir leid, Emperador«, entschuldigte sich Mykke. Er versuchte hastig, sich wieder anzuziehen.

»Sie sind ein hochrangiges Mitglied des Quarteriums. Ich erwarte von Ihnen Anstand und Sitte. Außerdem verlange ich, dass Sie sich mit Ihrer Frau aussöhnen. Das ist ein Befehl!«

»Jawohl, Emperador«, gab sich Diethar Mykke kleinlaut.

Aber Judta war untröstlich. Der Emperador bot ihr ein Zimmer in seinem Schloss an, in dem sie übernachten konnte. Unter Tränen nahm die Protokollchefin das Angebot an. Kaum hatten sich alle Anwesenden etwas beruhigt, gellte der nächste Schrei in den Raum.

»Hilfe! Hilfe! Helft mir doch!«, rief eine Frauenstimme.

Alle rannten aufgeregt nach draußen auf den Korridor. Dort lag Ottilie Braunhauer inmitten einer sich schnell ausdehnenden roten Lache.

»Oh mein Gott! Mutter! Sie blutet!«, schrie Judta Mykke entsetzt.

Rosan eilte zu der alten Frau und beugte sich über sie.

»Was ist passiert?«, fragte die neue Emperatriz.

»Ich bin gestürzt. Mir war so schwindelig«, erklärte Ottilie mit schleppender Stimme.

Rosan erkannte auch den Grund dafür. Neben Ottilie Braunhauer lag eine Flasche Rotwein, die ausgelaufen war.

»Alles okay. Ist kein Blut, nur Rotwein.«

»Womöglich noch spanischer«, monierte Don Philippe ungehalten.

*

Nachdem die Hochzeitsfeier zuende war, sich alle Gäste zurückgezogen oder das Schloss verlassen hatten – manche hatten man abtransportieren müssen – wartete Rosan im imperialen Schlafgemach auf die bevorstehende Formalität der Hochzeitsnacht. Vor Entsetzen konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Doch irgendetwas musste ihr einfallen, um diesem Horror zu entgehen.

Da kam auch schon ihr frisch angetrauter Ehemann! Mit langem, wallenden Nachthemd und Zipfelmütze kam der Emperador hereingeschlurft. Wäre Rosan nicht so elend zumute gewesen, hätte sie lachen müssen.

»Du bist ja noch angezogen«, stellte Don Philippe enttäuscht fest.

Dann endlich fiel Rosan etwas ein.

»Ja, ich wollte noch nach der armen Judta Mykke sehen. Mir ging das alles auch sehr nahe«, erklärte sie, obwohl sie die Protokollchefin nicht ausstehen konnte.

»Gewiss, diese edle Gesinnung spricht für dich. Aber wir sollten nun an unser Privatleben denken«, meinte der Emperador. Er musterte sie lüstern.

»Wir haben nun einmal Verpflichtungen gegenüber unserem Volk. Ich werde nur rasch nach Frau Mykke sehen, dann komme ich so schnell wie möglich wieder. Leg dich doch schon mal hin«, wehrte Rosan ab und verließ das Zimmer.

Sie hoffte, dass der alte Spanier in der Zwischenzeit einschlief. Sonst musste sie sich ein Schlafmittel für den alten Lustgreis besorgen. Sie verwarf den Gedanken schnell wieder, denn das Mittel würde durch die Kraft seines Zellaktivatorchips neutralisiert werden. Er würde nicht einmal an Altersschwäche sterben!

Schnellen Schrittes ging Rosan zu Judta Mykkes Zimmer und klopfte.

»Frau Mykke?«, fragte Rosan, doch sie erhielt keine Antwort. Die Tür war nicht abgeschlossen, also öffnete Rosan kurzerhand und trat in das Zimmer. Das Bett war unbenutzt. Die Balkontür stand offen und so trat Rosan hinaus. Dort fand sie Judta Mykke, am Geländer stehend.

»Frau Mykke, geht es Ihnen gut?«, fragte Rosan beunruhigt.

»Nein, es geht mir schlecht! Warum sollte es mir gut gehen? Wie können Sie nur so eine dämliche Frage stellen?«, ereiferte sich die Protokollchefin.

»Beruhigen Sie sich. Alles wird wieder gut werden«, redete Rosan sanft auf die verzweifelte Frau ein. Doch die ließ sich nicht besänftigen.

»Mein Mann hat mich vor aller Welt gedemütigt! Mit dieser Schande kann ich nicht leben. Ich springe!«, flüsterte Judta.

»Das ist er nicht wert. Denken Sie doch an sich und an Ihren Sohn«, wandte Rosan ein.

»Ach, der ist alt genug, um allein zurechtzukommen. Ich habe diesen Mann geliebt, ich habe seine Karriere unterstützt und gefördert, alles habe ich dafür aufgegeben, und nun dies. Ich will nicht mehr leben. Ich springe jetzt.«

Während Judtas Tirade näherte sich Rosan langsam und unbemerkt der mit sich selbst beschäftigten Frau. Als die Verzweifelte über das Geländer klettern wollte, wurde sie von Rosan gepackt und festgehalten.

Doch die Frau wehrte sich und schlug nach Rosan, die so gut sie konnte ihre Arme festhielt und sich fragte, warum niemand zu Hilfe kam. Das Geschrei musste doch durch das ganze Schloss zu hören sein.

»Hören Sie auf, Frau Mykke. Wir sind im dritten Stock, dabei brechen Sie sich sämtliche Knochen. Kein Mann ist das wert.«

»Doch, mein Diethar ist es! Lassen Sie mich los, Sie Arkonidenschlampe!«

Während die Lebensmüde schon halb über dem Geländer stand, versuchte Rosan, sie wieder zurückzuziehen. Doch dabei versetzte ihr Judta einen Schlag, sie verlor den Halt und stürzte selbst über die Brüstung.

Irgendwie schaffte sie es, sich am unteren Ende des Geländers festzuhalten. Dann stürmten Orlando und der Emperador in das Zimmer. Orlando griff nach Judta, die im Begriff war, in die Tiefe zu springen, während der Emperador versuchte, an Rosan heranzukommen. Dann verließen sie die Kräfte und sie stürzte in die Tiefe. Um sie wurde es schwarz.

3. Intrigen

Die Fürsorge des Despoten

Als sie wieder erwachte, befand sie sich in einem Medo-Center in New Madrid, wo man sie medizinisch versorgte. Sie erkannte Don Philippe, Orlando und Brettany, die um ihr Krankenlager standen. Der Emperador machte eine besorgte Miene.

»Meine arme Rosan. Endlich bist du wieder zu dir gekommen.«

»Was … ist passiert?«, fragte Rosan schwach. Schmerzen hatte sie keine, aber sie fühlte sich sehr müde.

»Sie haben sich mehrere Knochen gebrochen und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten«, erklärte ihr der behandelnde Arzt, ein Ara.

»Aber keine Sorge, Emperatriz. Das ist nichts, was wir nicht wieder hinkriegen können. Reine Routine. In ein paar Tagen sind Sie wieder fit.«

»Was ist mit Judta Mykke?«, erkundigte sich Rosan.

»Ein sehr tragischer Fall«, meinte Don Philippe. »Sie war so unglücklich über das, was mit dir geschehen ist, dass sie nach ihrer Rettung vom Balkon versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Aber sie wurde rechtzeitig gefunden und befindet sich in psychologischer Behandlung. Ich werde ein ernsthaftes Wort mit diesem Mykke reden. Wenn er sich nicht mit seiner Frau versöhnt, wird er entlassen. Einen solchen Skandal dulde ich nicht in meinem Kabinett.«

»Ich bin so müde.«

»Ihre Frau braucht jetzt Ruhe, Emperador«, erklärte der Arzt.

»Natürlich. So bald wie möglich bringen wir dich wieder auf das Schloss. Jetzt erhole dich nur gut«, sagte der Emperador und gab Rosan einen Kuss auf die Wange, sodass ihr noch übler wurde. Wenigstens hatte sie jetzt ein paar Tage Ruhe.

*

Stephanie de la Siniestro hatte momentan wenig Grund zur Freude. Die Heirat ihres Vaters mit Rosan Orbanashol war für sie einfach unerträglich. Womöglich brachte sie ihren Vater noch auf dumme Gedanken.

Hinzu kamen die beiden Terranerinnen Uthe Scorbit und Yasmin Weydner. Der Gedanke, dass diese beiden womöglich auch noch in ihre Familie einheirateten, war schlichtweg grotesk für Stephanie. Als Rosan nun vom Balkon gestürzt war, hoffte Stephanie, dass sie ihren Verletzungen erliegen würde. Ungeduldig erwartete sie die Ankunft Don Philippes. Als er kam, eilte sie zu ihm.

»Oh, lieber Vater! Wie geht es denn der armen Rosan?«, fragte sie säuselnd und umarmte ihn.

»Komm mit hinein, Steph. Drinnen warten Brettany und Uthe Scorbit. Dann erzähle ich euch alles«, erklärte Don Philippe.

Als sich die Anwesenden um den Emperador versammelt hatten, berichtete er.

»Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie hat einige Knochenbrüche erlitten. Dank der heutigen Medizin wird sie jedoch schon bald wieder gesund sein. Sie kann schon in den nächsten Tagen wieder nach Hause kommen. Der Arzt sagt, dass sie dann viel Ruhe und liebevolle Pflege brauchen wird. Ausgerechnet in den nächsten Tagen habe ich so viele Termine und Staatsangelegenheiten wahrzunehmen!«

»Dann werde ich mich um die Ärmste kümmern. Bei mir ist sie in guten Händen«, bot Stephanie an. Innerlich brodelte es in ihr. Es war für sie eine Enttäuschung, dass Rosan überlebt hatte. Vielleicht konnte man sie unauffällig vergiften?

»Aber Sie haben doch sicherlich auch viel zu tun, Stephanie. Daher wäre es mir ein Vergnügen, wenn ich mich um Rosan kümmern könnte. Ich kenne sie schon von früher«, bot Uthe Scorbit an, die Stephanie nicht über den Weg traute.

»Das ist eine gute Idee. Steph kann Rosan doch sowieso nicht leiden«, pflichtete Brettany ihr bei.

Der Emperador nickte zustimmend.

»In der Tat. Du warst schließlich gegen unsere Hochzeit. Ich möchte nicht, dass sich Rosan unnötig aufregt.«

»Aber Vater …«, begehrte Stephanie auf, doch er unterbrach sie resolut.

»Keine Widerrede. Ich nehme ihr Angebot dankend an, werte Señora Scorbit.«

»Gut, ich werde sie gleich mal in der Klinik besuchen«, sagte Uthe und machte sich zusammen mit Yasmin Weydner auf den Weg.

Schäumend vor Wut verließ Stephanie den Raum. Sie fasste einen teuflischen Entschluss: Rosan, Uthe und Yasmin sollten sterben. Und sie wusste auch jemanden, der ihr dabei helfen würde. Sie rief den CIP-Chef an und forderte von ihm Personal an. Niesewitz erklärte sich bereit, ihr die beiden Zubarov-Schwestern zur Verfügung zu stellen.

Stephanie war darüber sehr erfreut. Doch sie kannte noch jemanden, dem es sicher ein Vergnügen sein würde, ihr Rosan vom Hals zu schaffen: den Haushofmeister Martyn Hubba. Stephanie zog ein aufreizendes Kleid an und bestellte ihn auf ihr Zimmer.

»Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein, Madame?«, fragte Hubba schleimig.

»Was halten Sie von der neuen Emperatriz? Seien Sie ruhig ehrlich und nehmen Sie kein Blatt vor den Mund. Ich kann sie nämlich auf den Tod nicht ausstehen«, begann Stephanie.

»Seit die neue Emperatriz da ist, verliere ich die Kontrolle über die Sklaven. Sie verwöhnt dieses Alien-Pack nach Strich und Faden. Die werden immer aufsässiger«, klagte Hubba sein Leid.

»Ja, das sehe ich auch so. Diese Halbarkonidin ist eine Verräterin. Sie schadet dem Quarterium, wo sie nur kann. Leider ist mein Vater blind vor Liebe.«

»Ja, leider, Madame.«

»Glücklicherweise gibt es noch richtige Männer wie Sie, Martyn. Männer, die entschlossen genug sind, das Quarterium vor solchen Feinden zu schützen«, schmeichelte Stephanie dem feisten Haushofmeister.

»Gewiss, Madame. Aber was kann ich schon tun?«, fragte Hubba ratlos.

Stephanie kam zur Sache.

»Schaffen Sie mir Rosan und ihre beiden Komplizinnen, diese Terranerinnen, vom Hals. Es wird Ihr Schaden nicht sein.«

Hubba wand sich.

»Ich weiß nicht recht, Mylady, immerhin ist sie die Emperatriz, und die Terranerinnen stehen unter dem Schutz von Master Orlando.«

»Sie erhalten Unterstützung. Die CIP stellt uns zwei ihrer besten Agentinnen zur Verfügung. Lassen Sie die drei verschwinden. Sie und Ihre Söhne können sich meinetwegen vorher mit ihnen vergnügen. Als Chefin des Propagandaministeriums werde ich es so darstellen, als sei es die Tat einiger Alien-Terroristen gewesen.«

Hubba wirkte immer noch nicht ganz überzeugt, daher setzte Stephanie ihre wirksamste Waffe ein: ihre Verführungskraft. Aufreizend strich sie mit den Händen über ihren Körper.

»Wenn Sie mir diesen wertvollen Dienst erweisen, werde ich Sie nicht nur finanziell reich belohnen, sondern auch mit einer ganz besonderen Prämie.«

Hubba quollen fast die Augen aus dem Kopf.

»Ich bin Ihr Diener, Mylady. Wann solls losgehen?«

Stephanie lächelte teuflisch.

»In ein paar Tagen kommt Rosan aus der Klinik wieder ins Schloss. Mein Vater muss für einige Tage dienstlich nach Paxus. Orlando ist auch weg, und Peter interessiert sich ohnehin nur für seine Soldaten. Also haben Sie freie Bahn. Und ich wünsche, dass diese drei Schlampen dann von hier verschwinden – für immer.«

Despair und die Frauen

Cauthon Despair suchte das Schloss der de la Siniestros auf, um mit Brettany zu sprechen. Er traf sie im Garten an. Sie lächelte ihm zu.

»Cauthon, wie schön dich wiederzusehen. Ich habe dich auf der Hochzeitsfeier vermisst.«

»Ich hatte im Hauptquartier zu tun. Außerdem kann ich solchen Feierlichkeiten nicht viel abgewinnen. Für mein Verhalten bei dem Abendessen neulich möchte ich mich zudem entschuldigen.«

Brettany winkte ab.

»Das ist schon in Ordnung. Wir waren alle nicht sonderlich gut drauf.«

Die beiden setzten sich auf eine Parkbank.

»Brettany, ich möchte, dass du weißt, dass ich viel für dich empfinde. Du bist einer der wenigen Menschen, die mir das Gefühl geben, gemocht zu werden. Eigentlich die Einzige«, gestand Despair.

»Meine Gefühle sind mehr als nur Freundschaft, Cauthon«, erklärte Brettany.

»Ja, ich weiß. Und ich erwidere diese Gefühle. Aber du sollst wissen, mit wem du es zu tun hast. An meinen Händen klebt viel Blut. Ich bin ein Mörder, Brettany. Ich habe im Auftrag MODRORS und des Quarteriums viele Menschen getötet. Ich habe auch Rosan Orbanashols ersten Mann, Will Nordment, auf dem Gewissen, und viele andere.

Meine Loyalität gehört MODROR und dem Quarterium, für sie würde ich alles tun – auch töten. Ich möchte nicht, dass so ein wundervolles Geschöpf wie du durch ein Monstrum wie mich unglücklich wird.«

Brettany hörte ihm schweigend zu. Ihre blauen Augen strahlten nicht mehr voller Freude und Zuversicht. Sie waren trüb und traurig. Und doch wirkte Brettany sehr gefasst. Es war so, als hätte Despair ihr nur bestätigt, was sie schon längst wusste.

»Könntest du mich trotzdem lieben?«, fragte Despair leise.

Sie seufzte und stand auf. Beide gingen ein paar Schritte zu einem Teich, auf dem zalitische Enten und saggittonische Fancys schwammen.

»Ich bin mir nicht mehr sicher. Mir war klar, dass du für das Quarterium unangenehme Dinge tun musstest, aber dass du so weit gehen würdest, zu morden und für eine Bestie wie MODROR zu arbeiten, ist erschreckend. Ich fühle mich zu dir hingezogen. Ich spüre, dass du mit dir nicht im Reinen bist, Cauthon. Doch solange du nicht erkennst, dass du den falschen Weg beschreitest, kann ich dich nicht von ganzem Herzen lieben.«

Despair schwieg betreten. Das Gespräch verlief so, wie er es befürchtet hatte.

Brettany blickte in den Himmel, als ob dort alle Antworten auf ihre quälenden Fragen liegen würden.

»Mein Leben war meine Familie. Welche Freunde habe ich schon? Ich sitze in meinem goldenen Käfig und kann kein normales Leben führen. Aber sich mit meiner Familie zu arrangieren, ist fast unmöglich. Mein Vater ist ein Despot, meine Schwester ein Hexenbiest, einer meiner Brüder ein irrsinniger Militärfetischist. Die einzig sensiblen Menschen sind du und Orly.«

Sie sah Despair ernst an.

»Und ihr beide beteiligt euch an Eroberungskriegen und Vernichtungsfeldzügen mit vollem Eifer. Wie soll ich das tolerieren können? Ich kann es nicht. Ich muss mit meiner Familie zusammenleben. Ich habe keine andere Wahl.«

Sie machte eine Pause, rang nach den Worten.

»Aber ich habe noch die Wahl, mit welchem Mann ich mein Leben verbringe. Und ich ziehe es vor, allein zu bleiben, als mit noch einem mörderischen Krieger zusammen zu leben. Es tut mir leid, Cauthon.«

Brettany wandte sich zum Gehen. Doch nach einigen Schritten blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um.

»Leb wohl, Cauthon. Eines Tages wirst du dich entscheiden müssen, welchen Weg du gehst. Meiner führt im Moment in eine andere Richtung.«

*

Enttäuscht kehrte Despair in sein Quartier zurück, wo ihn Virginia Mattaponi erwartete.

»Schön, dass du wieder da bist, Sir. Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte sie. Sie hatte Despairs schleppenden Gang bemerkt. In der Tat fühlte sich der Silberne Ritter leer und ausgebrannt.

»Ich hatte schon bessere Tage.«

»Ich mache uns erst einmal was zu essen. Eine Linsensuppe nach dem Rezept meiner Tante Helga. Die wird dich wieder munter machen. Ruhe dich bis dahin mal richtig aus«, sagte Virginia so bestimmt, dass Despair keine Energie hatte zu widersprechen.

Nach dem Essen fühlte sich Despair etwas gestärkt. Doch seine Melancholie war immer noch da.

»Nur Mut, Sir. Was immer es ist, einen Mann wie dich kann es nicht umwerfen. Wenn du darüber reden willst, höre ich gern zu«, meinte Virginia Mattaponi. Despair gab sich einen Ruck und erzählte Virginia von seiner Freundschaft mit Brettany und ihrem traurigen Ende.

»Ich habe heute den einzigen Menschen verloren, der mir etwas bedeutete. Und alles durch meine eigene Schuld. Brettany konnte nicht anders handeln.«

Cauthon ahnte nicht, dass seine Beichte Virginia Mattaponi zutiefst mitnahm. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, doch innerlich brodelte es in ihr. Es gab also eine andere Frau in Despairs Leben, noch dazu eine, die ihrem Idol sehr wehgetan hatte. Niemand hatte das Recht, ihrem Cauthon wehzutun.

»Wie konnte diese dumme Schnepfe das nur tun!«, regte sie sich auf. »Die hat doch überhaupt keine Ahnung, was ein großer Mann alles zu bedenken und zu entscheiden hat.«

»Sie ist keine dumme Schnepfe. Sie ist ihrem Herzen gefolgt, das ist ihr Recht. Trotzdem bin ich traurig darüber«, wies sie Despair zurecht.

»Natürlich, ich mache mir nur Sorgen«, lenkte Virginia ein und beruhigte sich äußerlich wieder. Doch innerlich schwor sie sich, Brettany de la Siniestro im Auge zu behalten. Sollte die sich weiterhin zwischen sie und ihren Cauthon drängen, würde Virginia sie dafür bestrafen.

Im Schlangennest

Wenige Tage später konnte Rosan de la Siniestro die Klinik verlassen. Die Ärzte waren mit den Fortschritten zufrieden und Rosan spürte kaum noch Schmerzen. Uthe Scorbit und Yasmin Weydner kümmerten sich rührend um die neue Emperatriz, trotzdem war Rosan ziemlich niedergeschlagen. Ihre Zukunftsaussichten waren düster, sie war eine Gefangene in einem goldenen Käfig, umgeben von skrupellosen Machtmenschen und Wahnsinnigen. Immerhin hatte der Unfall auch sein Gutes: Ihr war die Hochzeitsnacht vorerst erspart geblieben.

Rosan hatte Judta Mykke besuchen wollen, doch die hatte sie brüsk abgewiesen. Diethar Mykkes Frau war in die psychiatrische Abteilung überwiesen worden und musste sich einer Therapie unterziehen. Mykke wiederum musste sich auf Befehl des Emperadors mit seiner Frau aussöhnen und die Affäre mit seiner Sekretärin beenden, wenn er Minister im Kabinett bleiben wollte. In dieser Beziehung war Don Philippe sehr altmodisch und wollte einen Skandal in seiner Regierung unter allen Umständen vermeiden. Judta hatte genug mit sich selbst zu tun.

Als Rosan wieder im Schloss der de la Siniestros ankam, wurde sie zu ihrem größten Erstaunen von Stephanie de la Siniestro überschwänglich und freundlich begrüßt. Bislang war Don Philippes Tochter ihr überaus feindselig gegenübergetreten. Wahrscheinlich war der Emperador dafür verantwortlich, der sich wirklich zuvorkommend gegenüber Rosan verhielt, wie sie zugeben musste. Dennoch war sie erleichtert, dass der alte Spanier aufgrund von Regierungsangelegenheit nach Paxus reisen musste. Sie hoffte, ein paar Tage Ruhe zu haben, doch sie ahnte nicht, was ihr noch alles bevorstand.

*

Stephanie beschloss nach Rosans Rückkehr, keine Zeit mehr zu verlieren. Sie suchte Martyn Hubba auf, um ihm neue Instruktionen zu geben.

»Mein Vater reist noch heute nach Paxus. Bevor er zurückkehrt, muss diese Frau von hier verschwunden sein«, sagte sie kalt. Hubba grinste.

»Jawohl. Dann wird dieses Weib bereuen, mich einen Schwachkopf genannt zu haben.«

Hubba stellte Stephanie zwei junge Männer vor, die ihn begleiteten. Der eine war groß, schlank und blond, der andere eher klein, dick und rothaarig. Beide machten auf Stephanie nicht gerade einen intelligenten oder attraktiven Eindruck.

»Das sind meine Söhne Dedlev und Dorsden. Sie werden mir bei meiner Aktion helfen«, stellte Hubba die beiden vor.

Dedlev winkte Stephanie fröhlich zu und starrte sie ebenso wie sein Bruder lüstern an.

»Hallo«, sagten beide gleichzeitig.

»Ich habe ihnen die beiden Terranerinnen versprochen. Ich hoffe, das ist in Ordnung so. Die beiden wollen sich auch mal amüsieren«, erklärte Hubba verschlagen.

»Meinetwegen. Details interessieren mich nicht. Hauptsache, die drei tauchen nie wieder auf«, erwiderte Stephanie kühl. Sie verachtete diese Leute, aber sie brauchte sie für ihre Zwecke.

»Jetzt möchte ich Ihnen noch jemanden vorstellen.«

Stephanie öffnete die Tür und zwei sehr maskulin wirkende Frauen traten ein. Dedlev und Dorsden betrachteten sie angewidert. Die ältere der beiden trug Sandalen mit blauen Socken und hatte zudem auch noch einen Schnurrbart.

»Dies sind die Zubarov-Schwestern, Top-Agentinnen der CIP, die mir CIP-Chef Niesewitz persönlich zur Verfügung gestellt hat. Sie decken ihren Einsatz und greifen ein, falls etwas schiefgehen sollte.«

»Die da? Was können die denn schon Besonderes?«, fragte Dorsden Hubba ungläubig.

Utha Zubarov gluckste ungehalten und trat vor die Tür auf die Veranda. Dort zog sie sich einen ihrer Latschen aus und warf ihn gegen einen Baum. Der Latschen trennte einen dicken Ast ab und kehrte zu Utha Zubarov zurück. Maryna Zubarov packte inzwischen den dicken Dorsden und stemmte ihn die Höhe.

»Hilfe! Papa, sag ihr sie soll mich runterlassen«, jammerte er.

»Ich denke, diese Demonstration hat die Herren überzeugt«, meinte Stephanie.

Grunzend ließ Maryna den jammernden Dorsden los. Er fiel wie ein Stein zu Boden.

»Wirklich sehr beeindruckend. Wann soll es losgehen?«, wollte Hubba wissen.

»Noch heute Abend. Ich werde ebenfalls nach Paxus fliegen, damit man mich nicht damit in Verbindung bringen kann. Wenn ich wiederkomme, will ich, dass dieses Weib tot ist«, sagte Stephanie entschlossen.

*

Als die Sonne unterging, beschloss Rosan, gemeinsam mit Uthe Scorbit und Yasmin Weydner noch einen abendlichen Spaziergang im Park zu unternehmen. Die frische Luft und die Ruhe taten ihr gut. Sie wollte die kommenden Tage nutzen, um wieder Kraft zu tanken, denn die Zeit, die vor ihr lag, würde ihr noch viel Energie abverlangen.

»Man könnte meinen, hier steht die Zeit still«, sinnierte Uthe, als sie durch den Park schlenderten.

»Ja, kaum zu glauben, dass da draußen in den verschiedenen Galaxien ein furchtbarer Krieg tobt«, meinte Rosan.

»Wenn wir doch nur etwas tun könnten. Man fühlt sich so hilflos«, sagte Yasmin Weydner geknickt.

»Manchmal frage ich mich, ob überhaupt noch jemand etwas tun kann«, stimmte ihr Rosan zu.

»Wenn einer das schafft, dann Perry Rhodan«, glaubte Uthe Scorbit.

Das hoffte auch Rosan. Rhodan und seine Freunde hatten schon viele schwere Krisen gemeistert.

Abrupt wurde die drei aus ihrem Gespräch gerissen, als sie sich von drei bewaffneten Männern umringt sahen. Es waren Martyn Hubba und seine Söhne.

»Hubba! Was fällt Ihnen denn ein?«, regte sich Rosan auf.

»Du hast mich einen Schwachkopf genannt. Dafür zahlst du jetzt den Preis«, erwiderte Hubba hasserfüllt.

Rosan lachte.

»Sie Witzfigur wollen mir drohen?«

Doch sein Blick ließ sie erschauern. Der Mann meinte es ernst.

»Ich habe mächtige Verbündete. Du und deine Komplizinnen, ihr könnt froh sein, wenn ihr uns die Füße küssen dürft. Oder was anderes.«

Yasmin Weydner versuchte, um Hilfe zu rufen, doch Hubba schlug sie brutal nieder.

»Beim nächsten Laut seid ihr tot. Also schweigt lieber und kommt mit.«

Hubba und seine Söhne bedrohten die Frauen mit ihren Strahlenpistolen und brachten sie zu den Barracken der Alien-Sklaven. Die Zubarov-Schwestern warteten dort im Hintergrund. Es war ihr Plan, es so aussehen zu lassen, als wären die drei Frauen den Alien-Sklaven zum Opfer gefallen. Vorher wollten sich die Hubbas aber noch vergnügen.

»Wenn ihr nett zu uns seid, verschonen wir euch vielleicht«, meinte Hubba mit feistem Grinsen.

»Ihr seid wohl verrückt«, schrie ihn Uthe an. Dafür erhielt sie von dem Plophoser einen Schlag ins Gesicht.

»Ihr glaubt wohl, ihr seid was Besseres, hä? Den ganzen Tag scheucht ihr mich herum und seht auf mich herab. Aber jetzt werdet ihr dafür bezahlen.«

Hubba holte sich einen Thermoschneidbrenner aus der Werkzeugkammer und entzündete ihn. Dann ging er damit drohend auf Rosan zu. Uthe und Yasmin konnten nichts tun, da sie von Dedlev und Dorsden festgehalten wurden. Martyn Hubba hielt Rosan das Brandeisen dicht vors Gesicht.

»Na, bist du nun netter zu mir?«, fragte er höhnisch.

»Wie können Sie es wagen, mir zu drohen? Ich bin die Emperatriz«, versuchte sich Rosan unbeeindruckt zu zeigen.

»Ha! Aber nicht mehr lange, du Schlampe. Jetzt wirst du dafür bezahlen, dass du mich Schwachkopf genannt hast. Niemand nennt Martyn Hubba ungestraft einen Schwachkopf. Jetzt schneide ich dir ganz fachgerecht deinen süßen Kopf ab, Schlampe!«

Als Hubba den Schneidbrenner an Rosans Hals ansetzen wollte, rief eine laute Stimme:

»Hände hoch, du Schwachkopf! Und keine falsche Bewegung.«

An der Tür stand Brettany de la Siniestro. Sie hielt ein antikes Sturmgewehr in der Hand, das aus Peters Waffensammlung stammte. Als Dorsden Hubba einen Schritt auf Brettany zumachte, gab sie einen Warnschuss ab.

»Das gilt für auch für euch, ihr Schwachköpfe. Lasst die drei los«, befahl Brettany.

Eingeschüchtert ließen Hubbas Söhne Uthe und Yasmin los. Doch ihr Vater wollte nicht so leicht aufgeben.

»Hört nicht auf sie! Lassen Sie das Gewehr fallen oder Ihre Schwiegermutter hat gleich kein Gesicht mehr.«

Rosan nutzte den kurzen Moment von Hubbas Unachtsamkeit und bekam einen Arm frei. Dann rammte sie diesen mit voller Wucht in Hubbas Leib.

»Umpf!«, machte der Fettsack nur, doch dabei ließ er den Thermoschneidbrenner fallen. Das Gerät rutschte unter einen Tisch, der sofort Feuer fing. Dann überschlugen sich die Ereignisse.

Aus dem Schatten traten die zwei Frauen hervor, die Rosan bislang nicht bemerkt hatte. Die eine, die einen Schnurrbart trug, zog sich zu Rosan Verwunderung eine Sandale aus und schien sie allen Ernstes damit bewerfen zu wollen.

Zugleich rappelte sich Martyn Hubba auf und versuchte zu fliehen. Doch Yasmin Weydner packte ihn, um ihn aufzuhalten. Der Haushofmeister schubste sie grob weg und stieß sie genau vor Rosan. Deshalb traf sie der tödliche Schuh am Kopf. Reglos fiel Yasmin zu Boden. Entsetzt beugte sich Rosan über sie.

»Helft mir! Yasmin ist schwer verletzt!«, rief sie. Uthe und Brettany eilten zu ihr.

Mittlerweile war die ganze Holzbaracke in Brand geraten. Die Zubarov-Schwestern sprangen aus der Tür. Die Hubbas schlossen sich ihnen an.

»Helft uns doch! Wir müssen Yasmin hier rausschaffen!«, rief Brettany ihnen nach. Doch die Hubbas verriegelten stattdessen die Tür und verschwanden im Dunkel der Nacht ebenso wie die CIP-Agentinnen.

Die Frauen saßen in der brennenden Baracke fest. Panikerfüllt schrien sie um Hilfe. Die Luft war von Rauch erfüllt und begann, ihnen den Atem zu nehmen. Dann öffnete sich die Tür und zwei Alien-Sklaven, ein Blue und ein Unither eilten herein und holten die Frauen heraus.

Der Unither zog Rosan von der regungslosen Yasmin weg, keine Sekunde zu spät, denn gleich darauf brach das Dach über ihnen zusammen und begrub die Schwerverletzte unter sich. Geschockt und am Ende ihrer Kräfte starrten die Frauen auf die brennende Baracke. Löscheinheiten rückten an, um das Feuer zu bekämpfen, doch für Yasmin Weydner kam jede Hilfe zu spät.

*

Entsetzt kehrte der Emperador von Paxus nach Siniestro zurück. Er bemühte sich aufrichtig, Rosan und Uthe Trost zu spenden. Außerdem beauftragte er Werner Niesewitz, die CIP nach Martyn Hubba und seinen Söhnen fahnden zu lassen.

Niesewitz versprach zu tun, was in seinen Kräften stand, wohlwissend, dass seine beiden Agentinnen in die Sache verwickelt waren. Daher versetzte er sie vorsichtshalber in einen entlegenen CIP-Stützpunkt am Rande Cartwheels, bis Gras über die Sache gewachsen war.

Der Emperador wiederum wollte kein Aufsehen erregen und befahl, die ganze Angelegenheit vor der Presse geheim zu halten und die Fahndung nach den Tätern unauffällig durchzuführen. Von Martyn Hubba und seinen Söhnen fehlte jede Spur. Womöglich hatten sie Siniestro bereits verlassen.

*

Stephanie de la Siniestro wartete in ihrer Wohnung auf Paxus ungeduldig auf die Meldung, dass die neue Emperatriz einem Attentat zum Opfer gefallen war, doch nichts kam über die Medien. Da summte es an der Eingangstür. Als sie öffnete, standen drei Männer vor ihr.

»Sie? Was machen Sie denn hier?«, fragte sie Martyn Hubba und seine beiden Söhne entsetzt.

»Tut mir leid, Mylady. Aber die Sache ist schief gegangen. Doch es war nicht unsere Schuld. Stimmts nicht, Jungs?«, sprudelte Hubba hervor und seine Söhne nickten eifrig.

»Stimmt, Papi«, sagten die beiden im Chor.

»Ihre Schwester Brettany war plötzlich da und griff uns mit einem Sturmgewehr an. Und die beiden CIP-Agentinnen haben uns im Stich gelassen«, erklärte Hubba anklagend

»Aber eine von den dreien ist totgegangen«, hechelte Dedlev Hubba eifrig.

»Und welche?«, fragte Stephanie gespannt.

»Diese Yasmin«, berichtete Martyn Hubba.

Stephanie stieß einen Fluch aus.

»Verdammt, das war die Unwichtigste der dreien. Heißt das, Rosan hat überlebt?«

»Ja, leider«, bejahte Hubba kleinlaut.

»Ihr Trottel habt also total versagt. Und was wollt ihr noch von mir? Wie könnt ihr es wagen, euch hier blicken zu lassen?«, keifte Stephanie voller Wut.

»Nun ja, man hat uns doch erkannt. Daher bitten wir Sie demütigst um Asyl, Mylady. Denn wenn man uns fasst, müssten wir leider sagen, dass Sie uns diese Tat befohlen haben«, erklärte Hubba mit drohendem Unterton.

Panik stieg in Stephanie auf. Sollte ihr Vater erfahren, dass sie die treibende Kraft dieses Komplotts war, würde er ihr das nie verzeihen. Ihre Stellung und ihre Karriere würden ruiniert sein. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als Hubbas Wunsch zu entsprechen.

»Also gut. Ich sorge dafür, dass ihr untertauchen könnt, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Aber ich werde schon noch dafür sorgen, dass Rosan Orbanashol nicht lange Emperatriz bleibt.«

*

Derweil war Yasmin Weydners verkohlte Leiche geborgen und im kleinen Kreise beigesetzt worden. Nur Uthe, Rosan und Brettany nahmen von ihr Abschied.

Zur gleichen Zeit sammelte sich die quarteriale Flotte im Leerraum zwischen Andromeda und NGC 404. Uwahn Jenmuhs befahl den Angriff auf die äußeren Planeten und die quarteriale Flotte begann ihre folgenschwere Offensive gegen die LFT. Mit gemischten Gefühlen stand Orlando de la Siniestro auf der Kommandobrücke seines Schiffes und sah, wie seine Schiffseinheiten einen Planeten beschossen. Der Krieg der Brudervölker hatte nun endgültig begonnen und war nicht mehr aufzuhalten. Das Schicksal nahm seinen Lauf.

Zwischenspiel

Mohlburry News – Unabhängiger Nachrichtenblog

Heute haben mich aus Cartwheel neue Nachrichten vom Hofe des selbst ernannten Emperadors erreicht, die mich in zweifacher Hinsicht tief erschüttern.

Die erste Infamie des adligen Despoten von Cartwheel liegt darin, dass er Rosan Orbanashol-Nordment gezwungen hat, darin einzuwilligen, seine Emperatriz zu werden. Als gut informierter Kenner des verwerflichen politischen Systems in Cartwheel habe ich keinen Zweifel daran, dass Rosan Orbanashol-Nordment vor die Alternative gestellt wurde, in dieses infame und jeder menschlichen Moral widersprechende Spiel einzuwilligen, oder, und das steht für mich völlig außer Frage, in den bestialischen Folterkellern der CIP zu verschwinden und dann, nachdem sie körperlich und geistig in jeder Hinsicht gebrochen wurde, in den Lagern der sogenannten Artenbestandsregulierung ihrer endgültigen »Entsorgung« entgegen zu vegetieren.

Was mich nun in diesem Zusammenhang besonders beschämt, ist darin zu sehen, dass unserer bezahlten Boulevardpresse in der LFT nichts Besseres einfiel, als diese infame Hochzeit als die Vereinigung von Schönheit und Jugend mit der Erfahrung und Güte des Alters zu feiern. In den auf Hochglanz polierten Ergüssen dieser Journaille fehlt jedes Wort über die Unterdrückung der Wesensrechte im Reich des Terrors. Selbst dass auf das Leben von Rosan Orbanashol-Nordment, Uthe Scorbit und Yasmin Weydner ein verabscheuungswürdiger Mordanschlag verübt wurde, ist diesen Kreisen keine Textzeile wert.

Doch die weiteren Nachrichten meiner Quellen aus dem Reich des Terrors sind noch viel beunruhigender, da sie uns alle betreffen. Vor kurzer Zeit kam es auf Paxus zu einer Sitzung des Emperadors mit dem fetten Popanz Uwahn Jenmuhs und der militärischen Führung der quarterialen Mörderbande um Cauthon Despair. Das Ziel dieser gewissenlosen Clique von Größenwahnsinnigen war nichts anderes, als die Eroberung der LFT und anschließend der gesamten Milchstraße vorzubereiten. Ja, meine Mitbürgerinnen und Mitbürger, ihr habt richtig verstanden, der Krake des Terrors und der Unmenschlichkeit streckt seine Arme nach unserer gemeinsamen Heimat aus, er will uns sein teuflisches System aufzwingen. Für alle, die das jetzt noch nicht verstanden haben: Es steht uns ein gnadenloser Krieg bevor. Ein Krieg, der auf Seiten der quarterialen Schlächter mit allen Mitteln geführt werden wird. Was uns allen bevorsteht zeigen die Namen Saggittor und Galornia. Die Gräuel einer entmenschlichten Soldateska werden wie die archaischen zehn biblischen Plagen zuerst über die Welten der LFT und danach über die ganze Milchstraße hereinbrechen und Tod, Sklaverei und sexuelle Gewalt in nie gekanntem Ausmaß bringen. Ich rufe deshalb alle freiheitsliebenden Wesen der LFT, des Kristallimperiums, ja der gesamten Milchstraße dazu auf, zusammenzustehen und den Schlächtern aus Cartwheel ihre Grenzen aufzuzeigen.

Es reicht! Die Zeit beschwichtigender Appeasementpolitik ist vorbei. Der Verbrecherclique in Paxus, Mankind und Bostich müssen endlich ihre Grenzen aufgezeigt werden, getreu der alten Maxime unserer Vorväter: Wer Wind sähet, wird Sturm ernten.

In diesem Zusammenhang muss ich leider eine alte Einstellung korrigieren. Wie die alten Abonnentinnen und Abonnenten meines Blogs wissen, habe ich mich immer über diejenigen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger lustig gemacht, die die Wiederkehr des alten Solaren Imperiums herbeisehnen.

Hiermit entschuldige ich mich in aller Form bei denjenigen, die ich mit dieser Polemik beleidigt habe, denn in der gegenwärtigen Situation würde ich mich sehr viel sicherer fühlen, wenn ein Großadministrator die Offensivverbände der Solaren Flotte mit den totbringenden Ultraschlachtschiffen den Aggressoren aus Cartwheel entgegenwerfen und anschließend das Übel, das sich über Cartwheel ausgebreitet hat, mit Stumpf und Stiel für alle Zeiten ausrotten würde.

Aber, leider haben wir ja keinen Großadministrator mehr, sondern nur einen Residenten, der anscheinend immer noch geistig in den höheren Gefilden schwebt und dem das gesunde Volksempfinden, das da lautet, Angriff ist die beste Verteidigung, abhandengekommen ist. Und, auch das wird mir gerade klar, wir haben auch keine Offensivverbände und schon gar keine Ultraschlachtschiffe mehr, sondern nur noch eine hoffnungslos hinterherhinkende Heimatflotte, die selbst mit der Verteidigung des Innensektors hoffnungslos überfordert wäre.

Mir kann wohl niemand Kriegstreiberei unterstellen, aber, wie ich weiter oben schon ausgeführt habe: Genug ist genug! Deshalb habe ich in meinem Blog eine Petition verlinkt, durch die das Residenzparlament der LFT aufgerufen wird, sofort den Notstand zu erklären und zur Kriegswirtschaft überzugehen. Dabei muss der Terranische Resident in Person Perry Rhodans durch das Residenzparlament ausdrücklich dazu verpflichtet werden, sich an die entsprechenden Beschlüsse des Residenzparlaments zu halten und jeder Aggression seitens des Quarteriums entgegenzutreten.

Das Ziel muss der totale Sieg und die Vernichtung des teuflischen Systems sein, das der sogenannte Emperador und seine Speichellecker über unsere Schwestern und Brüder in Cartwheel gestülpt haben. Zeigen wir den Despoten, dass der Geist des wahren Solaren Imperiums noch immer in uns brennt!

Ad astra, Terraner!

Robert Mohlburry im September 1307 NGZ

4. Der Andromeda-Feldzug

»Aber so brutal und mitleidlos auch Menschen unterdrückt werden mögen, so weit es auch gelingen mag, sie durch Phrasen, durch Schwenken von bunten Fetzen und durch Dröhnen von Pauken und Trommeln zu verblöden, immer und überall wird eine Grenze erreicht, wo weder Gewalt noch Brutalität, noch göttliche Erhabenheit, noch Versprechen, noch Heldenanbetung irgendeinen weiteren Erfolg hat. Das Leben ist wertlos geworden; weil der Mensch, so niedrig er auch sein mag, so gering er auch von sich selbst denkt, dennoch mehr vom Leben verlangt, als nur zu essen und zu zeugen und für die Götter zu arbeiten und sie dafür noch anzuräuchern. Wenn der Unterdrückte und Gequälte zu fühlen beginnt, daß sein Leben dem des Tieres so ähnlich geworden ist, daß es kaum noch ähnlicher werden könnte, dann ist die Grenze bereits überschritten, und der Mensch verliert jegliche Vernunft und handelt wie ein Tier, um seine menschliche Würde wiederzugewinnen.«

Aus: B. Traven, »Die Rebellion der Gehenkten«

Schatten des Zweifels

Joaquin Manuel Cascal – September 1307 NGZ

Ich war der »Gestrandete der Zeit«. Es war eigentlich nur ein geborgtes Leben, das ich führte, obwohl ich dem Sensenmann schon mehrmals von der Schippe gesprungen war, aber es war nach wie vor mein Leben.

Von der Anzahl der Jahre, die seit meiner Geburt vergangen waren, konnte ich es locker mit einigen der »Unsterblichen« aufnehmen, aber mir wurde immer klarer, dass mir deren Abgeklärtheit fehlte. Und das würde so bleiben, solange die Nacht dem Tag folgte und so wahr ich Joaquin Manuel Cascal hieß. Ich würde es immer für eine Torheit ohnegleichen halten, wenn man dem Aggressor nicht nur einmal die Wange hinhielt, sondern ihn gleich mehrmals einlud zuzuschlagen, bis man, schon am Rande der Niederlage, endlich einmal zurückschlug. Natürlich nur, um dann gleich angstvoll nachzufragen, ob man den armen, missverstandenen Emperador nicht zu hart angefasst hätte!

Doch in der glorreichen Führung der LFT hatte man vergessen, dass Angriff die beste Verteidigung darstellte. Nur alles vermeiden, was den Anschein von Angriffshandlungen erweckte. Mit Grausen dachte ich an die gestrige Unterredung mit dem »Erben des Universums« zurück. Seine »Heiligkeit«, der Terranische Resident höchstpersönlich, hatte es strikt abgelehnt, meinen Plan zur Eroberung Cartwheels zu unterstützen. Im Gegenteil: Rhodan hatte mir gegenüber erklärt, dass er bereit sei, jede nur denkbare Kröte zu schlucken, um einen Bruderkrieg der Terraner untereinander zu vermeiden.

Nein, nein und nochmals nein! Ich konnte und wollte diese Politik nicht mittragen. Immer wieder tauchten die Gesichter von Jo’Rhy’Dav und Rütülly vor meinem inneren Auge auf. Ihre zerfetzten Leiber schrien nach Gerechtigkeit, erinnerten mich Nacht für Nacht in meinen Träumen daran, dass ich nur ein geborgtes Leben führte. Sie hatten ihr Leben dafür gegeben, dass ich überleben und entkommen konnte, und nun hatte ich die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Schlächter zur Rechenschaft zu ziehen.

Mit meiner Ansicht wurde ich immer mehr zum Störfaktor, selbst der feige Verrat des Emperadors bei MODRORS Falle am Sternentor konnte Rhodans Ansicht nicht ändern. Man hatte mich schließlich mit einem Kommando in der neu formierten 8. Terranischen Flotte abgespeist. Ich war wider besseres Wissen darauf eingegangen, im vollen Bewusstsein, dass dies nur dazu diente, mich besser unter Kontrolle zu halten und ruhigzustellen. Innerlich schalt ich mich einen Narren. Ich hatte den geeigneten Zeitpunkt versäumt, um mich abzusetzen.

Und warum? Meine Hormone hatten mal wieder verrückt gespielt. In Anya Guuze hatte ich geglaubt, endlich meine Partnerin fürs Leben gefunden zu haben. Fehlanzeige! Sie war einfach abgehauen. Das Leben mit einem »Helden« war ihr vermutlich zu gefährlich.

Ich hätte sie suchen können, doch was hätte es gebracht? Anya hatte sich gegen mich entschieden. Ihr hinterherzulaufen hätte die Situation nicht verbessert. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihre Entscheidung trauernd zu respektieren.

Noch immer lag Sandal Tolk auf Mimas und regenerierte sich von seinen schweren Verletzungen nach der Schlacht am Sternenportal. Ich vermisste meinen Freund und Kampfgefährten.

Die Mutantin Myrielle Gatto befand sich mit den Mutanten irgendwo in Siom Som. Damit war ich, zumindest an der Front der Lokalen Gruppe, der Letzte von denen, die von Objursha gerettet wurden. Sandal war mein treuster Freund, Myrielle Gatto und mich verband der gemeinsame Hass auf Despair und das Quarterium, und Anya liebte ich. Doch niemand von ihnen war hier. Ich fühlte mich allein …

Overdark

Die TERSAL unter dem Kommando von Gal’Arn jagte mit maximalem Überlichtfaktor durch das übergeordnete Raumgefüge. Maximaler Überlichtfaktor bedeutete für das Schiff des ehemaligen Ritters der Tiefe vierhundertfünfzigmillionenfache Lichtgeschwindigkeit, eine Leistung, die nur durch das auf Kosmokratentechnik basierende Hypertakttriebwerk möglich wurde.

Die TERSAL war in der letzten Zeit für die LFT und ihre Verbündeten nahezu unersetzbar geworden, denn nur das Ritterschiff konnte in einer vertretbaren Zeit die Verbindung zwischen den weit auseinanderliegenden Brennpunkten des gegenwärtigen Konfliktes gewährleisten, da das Quarterium die vollständige Kontrolle über die Sternentore erlangt hatte. Die LFT war also auf den »konventionellen« Raumschiffsantrieb durch das Metagravtriebwerk angewiesen.

Im Moment war der ehemalige Terramarschall auf dem Weg zurück in die Außenbereiche der Milchstraße, um dort sein neues Kommando anzutreten. Begleitet wurde er von Will Dean und Remus Scorbit, die ebenfalls in die Flotte der LFT eingetreten waren. Außerdem waren noch einige überlebende Flottenangehörige mit an Bord gekommen, die ebenfalls unter seinem Befehl standen.

*

Ich betrat die Zentrale. Gal’Arn und Jonathan Andrews waren in eine lebhafte Diskussion vertieft. Ein Blick sagte mir, um was es ging. Eine rote Linie symbolisierte unseren Kurs in einem Hologramm, das die Galaxien der Lokalen Gruppe zeigte. Die Auseinandersetzung zwischen Gal’Arn und Jonathan schien sich darum zu drehen, ob wir direkten Kurs auf unser Ziel, einen Dunkelplaneten der Posbis im Halo der Milchstraße, nehmen oder nach dem Motto »tarnen und täuschen« unseren Kurs verschleiern sollten.

Gal’Arn vertrat natürlich den Zick-Zack-Kurs, während Jonathan für den direkten Weg plädierte. Ich schaltete mich ein und bat, dass wir schnellstmöglich zu unserem Ziel gebracht würden.

Meine Aufmerksamkeit wurde wieder auf das Hologramm gelenkt. Einige Positionen erstrahlten plötzlich in düsterem Rot. Jonathan schien meinen fragenden Blick bemerkt zu haben.

»Jede rote Markierung stellt einen Stützpunkt der LFT dar, der durch das Quarterium vernichtet wird. Perry hat Anweisung gegeben, dass die Stützpunkte von den Besatzungen geräumt werden, jedoch leisten die Zentralsyntroniken Widerstand bis zur Vernichtung. Somit erreichen wir unser Ziel, wir gewinnen das, was wir dringend brauchen: Zeit und nochmals Zeit.

Mit jedem Stützpunkt, den Jenmuhs vernichten lässt, wird seine Flotte aufgehalten und – und das wird unser Schlächter später bemerken: Er verbraucht Unmengen von Material – Material, das er später aus Cartwheel wieder in langen Geleitzugoperationen nachführen muss!«

Ich betrachtete die Holodarstellung der Lokalen Gruppe genauer. Jenmuhs schien genau in unsere Falle zu tappen. Mit einer an Besessenheit grenzenden Vernichtungswut attackierte er jeden der automatisierten Stützpunkte der LFT auf dem Weg zurück zur Milchstraße. Sollte er! Material konnte ersetzt werden, Menschenleben nicht. Und vor allem gewannen wir Zeit. Zeit, die wir dazu nutzen wollten, die 8. Terranische Flotte neu zu formieren.

Lass dir nur Zeit, Jenmuhs, du gottverdammter Schlächter, dann wirst du schon bald dein blaues Wunder erleben.

Meinen letzten Gedanken musste ich laut ausgesprochen haben, denn sowohl Gal’Arn als auch Jonathan musterten mich nachdenklich. Und dann begann Gal’Arn auch schon mit seiner Gardinenpredigt.

»Mister Cascal, bitte, Sie müssen ihr Trauma überwinden, sonst …«

Mir reichte es. Es war immer das Gleiche. Jeder dieser Gutmenschen glaubte, mir gute Ratschläge geben zu können, schwelgte in Sorge um mein Seelenheil.

»Wie könnt ihr über etwas urteilen, was ihr nicht kennt? Wart ihr auf Objursha? Wart ihr dabei, als denkenden Wesen zuerst die Würde genommen wurde, um sie dann bestialisch abzuschlachten? Habt ihr das feiste, fette Scheusal gesehen, das sich Quarteriumsfürst nennt, das sich über die Leiden der Verdammten auch noch amüsierte?

Nein, all das habt ihr nicht erleben müssen. Ihr kennt nicht das Gefühl der ohnmächtigen Wut, die irgendwann in kalten, unbändigen Hass umschlägt. Denn dieser, und nur dieser, sorgt dafür, dass du am Leben bleibst. Nur der Hass gibt dir die Kraft, um den nächsten Tag zu kämpfen.«

Jonathan schüttelte den Kopf.

»Joak, du darfst deine Menschlichkeit nicht aufgeben. Wenn du dich vom Hass beherrschen lässt, dann wird dieser nach und nach deine Persönlichkeit umwandeln, bis dich nichts mehr, aber auch gar nichts von den Schlächtern vom Schlage eines Jenmuhs oder eines Niesewitz unterscheidet. Kämpfe gegen deinen Hass an und gib der Liebe Raum in deinem Gefühlsleben.«

»Liebe, Jonathan? Sprichst du tatsächlich von dieser Schimäre, die starke Männer zu sabbernden Idioten macht? Liebe, wie willst du durch Liebe überleben, wenn dich der Stiefel einer brutalen, verrohten Soldateska immer wieder in den Dreck drückt! Du brauchst Hass, nichts weiter als erbarmungslosen, blanken Hass, um dich nicht aufzugeben. Liebe, Moral und ähnliche Plattitüden helfen dir nicht weiter. Ich habe mir auf Objursha geschworen, dass jeder, der für diesen Massenmord verantwortlich ist, dafür zahlen muss. Und ich bleibe dabei. Wie hieß es einst bei unseren Vorfahren? Auge um Auge, Zahn um Zahn! Und genau nach diesem Grundsatz werde ich handeln.«

Gal’Arn verließ seine Position bei der Holodarstellung der Lokalen Gruppe und trat zu mir. Mit beiden Händen umfasste er meine Schultern.

»Cascal, bitte kommen Sie zu sich. Hass erzeugt nur immer wieder neuen Hass. Ich bin …«

Ich stieß diesen Ritter von mir und begann zu zittern. Verstand mich denn eigentlich niemand? Ich hatte fast den Eindruck, dass alle nach Entschuldigungen oder Rechtfertigungen für Siniestro und seine Speichellecker suchten. Konnte es sein, dass diese Gutmenschen tatsächlich glaubten, dass das Quarterium und seine Mörderbande mit Liebe und gutem Zureden zum Aufgeben zu bewegen sei?

»Sei es wie es sei. Ich werde in Zukunft Jenmuhs oder Siniestro nur noch mit einem soliden Strahler in der Hand entgegentreten und zuerst schießen und dann fragen. Ihr könnt es ja mit Liebe und gutem Zureden versuchen.«

Damit verließ ich die Zentrale. Ich hielt die Gesellschaft meiner früheren Freunde nicht mehr aus, und diese waren wohl genauso wenig auf meine erpicht.

*

Das Interkom meiner Kabine meldete sich nervtötend. Voller Wut warf ich das Cognacglas gegen das Display des Kommunikationssystems. Doch das nutzte nichts. Das Signal steigerte sich zu einem schrillen Pfeifen, das durch Mark und Bein ging.

Schließlich gab ich auf und aktivierte die Verbindung. Jonathan – wer hätte es auch sonst sein können – wurde sichtbar, das für ihn übliche Lächeln im Gesicht. Aber dieses Mal erreichte es nicht seine Augen. Jonathans berühmtes, jungenhaftes Lächeln war zu einer bloßen Grimasse verkommen.

»Was gibt es?«, polterte ich in das Interkom. »Mach es kurz, ich habe noch eine Verabredung mit der Cognacflasche!«

»Du wirst es nicht für möglich halten, wir haben unser Ziel erreicht. Es wäre sicher nicht abwegig, wenn du wieder in die Zentrale kommen würdest!«

»Gottverdammt, wenn es nicht anders geht, komme ich eben!« Mit diesen Worten beendete ich die Verbindung.

*

Nachdem ich wieder die Zentrale betreten hatte, registrierte ich, dass die TERSAL bewegungslos im Raum stand. Ein Blick auf die halbrunde Darstellung, die die unmittelbare Schiffsumgebung wiedergab, zeigte ein grandioses Panorama. Unter uns war die Milchstraße in voller Pracht vor dem Schwarz des intergalaktischen Raumes zu sehen.

Vor uns, in unmittelbarer Flugrichtung war dieses Schwarz noch schwärzer und zeichnete eine in etwa kreisrunde Kontur schemenhaft nach. Das musste einer dieser legendären Dunkelplaneten sein, auf denen die Posbis ihre gigantischen Werftkapazitäten und Forschungseinrichtungen aufgebaut hatten. Wir hatten unser Ziel erreicht, Overdark lag vor uns.

Kurze Zeit später erschien aus dem Schwarz ein winziger Lichtpunkt, der rasch größer wurde und schließlich Konturen annahm. Ein würfelförmiges Raumschiff mit ungefähr fünfzehn Meter Kantenlänge hatte Kurs auf uns genommen und dockte wenig später am Außenhangar der TERSAL an.

Die monotone Stimmausgabe der Bordsyntronik meldete, dass ein Besucher das Schiff betreten hatte. Er erreichte fast zeitgleich mit Elyn die Zentrale. Der Alyske schien unser Besucher interessant genug, um ihre Kabine zu verlassen. Auch ich fiel bei dem Anblick, den der Posbi bot, aus allen Wolken. Unser Besucher, oder wohl besser unsere Besucherin, gehörte ohne Zweifel zur Gattung der nach humanoidem Vorbild geformten Posbis an, aber geformt oder gar nachempfunden.

Dies waren Vokabeln, die für diesen speziellen Vertreter der positronisch-biologischen Spezies einfach nicht passten. Geformt, in gewisser Hinsicht traf diese Formulierung zwar den Nagel auf den Kopf, aber das kam vor allem daher, dass ich ein Mann war, bei dem gewisse körperliche Reize der holden Weiblichkeit zu eindeutigen Reaktionen führten. Kurz gesagt, der oder die Posbi glich einer atemberaubenden Vertreterin der menschlichen Spezies. Doch bevor ich reagierte, begann sie auch schon zu reden.

»Mein Name ist Waratu und ich darf im Namen des Zentralplasmas unsere Verbündeten einladen, auf Overdark zu landen. Wir haben eine für Sauerstoffatmer geeignete Umgebung vorbereitet. Die Kurskoordinaten, die eine gefahrlose Landung auf dem Planeten ermöglichen, werden gerade von meinem Schiff übermittelt.«

Ich hatte mich wieder gefangen und beschloss, den weiteren Ablauf selbst in die Hand zu nehmen, da Gal’Arn faktisch nur als Kurier diente.

»Wir danken dem Vertreter des Zentralplasmas für die Einladung, der wir gern nachkommen.«

Die Datenübernahme war inzwischen abgeschlossen und die TERSAL näherte sich in einem verschlungenen Kurs dem Dunkelplaneten, während der Würfel direkten Kurs nahm. Die Ortung zeigte, dass der Planet schwer befestigt war, unzählige Raumminen, Kampfforts und auch natürliche Hindernisse machten den Landeanflug für Unbefugte zu einem Selbstmordkommando. Doch die Syntronik führte uns sicher zu dem angegebenen Landeplatz.

*

Auf dem Planeten erwartete uns eine Überraschung. Als wir die TERSAL verließen, die nach einer kurzen Inspektion wieder aufbrach, um Verbindung mit unseren Streitkräften in M 87 aufzunehmen, wurden wir von Reginald Bull persönlich begrüßt. Der Residenzminister für Verteidigung befand sich in der großen, unterirdischen Halle, in die uns die Posbi gebracht hatte.

»Willkommen auf Overdark, einem Knotenpunkt des Werftnetzwerkes unserer biologisch-positronischen Freunde.«

Mit diesen Worten war der Unsterbliche auf mich zugetreten und klopfte mir jovial auf die Schultern.

Allianz der Stärke

Ich glaube an die Rache, denn mit ihr beginnt vielleicht der Sieg!

Pablo Neruda


Bull führte Will, Remus und mich in einen gemütlichen Wohnbereich, der für menschliche Besucher eingerichtet war. Doch kaum war ich eingetreten, bekam ich eine Gänsehaut. Vor einer Art offenen Kamin flegelte sie auf einer Art Liegesessel und zeigte dabei ihre atemberaubende Figur.

Der ehemalige Solarmarschall hatte meinen Blick wohl bemerkt, denn mit einem anzüglichen Grinsen meinte er:

»Ist sie nicht der Hammer? Eine Posbi als der fleischgewordene Traum aller einsamen Männer. Weißt du, wie unsere Blechkameraden auf die Idee gekommen sind, mal etwas wirklich Revolutionäres wie sie zu schaffen?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Vor einigen Monaten sind unsere Freunde im intergalaktischen Raum auf das Wrack eines Prospektorenschiffes gestoßen. Den Eigner fanden sie leider nur noch als Leiche vor, aber es war noch genug Energie für einen speziellen Androiden vorhanden, mit dem sich einsame Männer langweilige Raumflüge versüßen können, verstehst du?

Unsere nicht mehr nur logisch denkenden Verbündeten müssen hin und weg gewesen sein. Das Ergebnis ist nun Waratu und sie ist wirklich ein beeindruckendes Exemplar der Spezies humanoider Posbis. Man könnte sie als einen perfekten Androiden bezeichnen.

Aber bevor wir zum eigentlichen Thema kommen, macht es euch erstmal gemütlich, es wird vielleicht das letzte Mal für lange Zeit sein.«

Wir ließen uns nicht zweimal bitten und suchten uns passende Sitzgelegenheiten. Waratu erhob sich kurz und gab einige Codeketten in ein manuelles Terminal. Wenig später materialisierten auf dem niedrigen Tisch eine dickbauchige Flasche und fünf Gläser.

»Synthetisierter terranischer Cognac!«

Wir schenkten uns ein und vorsichtig nippte ich an meinem Glas. Synthetischer Cognac, normalerweise mache ich einen großen Bogen um dergleichen. Aber zu meiner größten Überraschung, der Stoff der Posbis war gut, wirklich gut und durchaus trinkbar, was ich auch gleich mit einem größeren Schluck unter Beweis stellte.

Auch Bull hatte sein Glas bereits zur Hälfte geleert und eröffnete die Sitzung, indem er das Wort an die Posbi gab.

Die künstliche Schönheit hob ihr Glas, prostete uns zu und trank einen Schluck. Dann begann sie, uns zu informieren.

»Bevor wir zu unseren weiteren Plänen kommen, möchte ich euch einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung meiner Rasse geben.«

Sie machte eine kurze Pause und strich mit den Händen über ihre atemberaubende Figur.

»Wie ihr alle wisst, ist durch die Aktivierung der Chronofossilien ein Evolutionssprung eingetreten. Durch die Bionische Vernetzung sind wir über den Status als rein kybernetische Lebensform hinausgewachsen und entwickelten Stimmungen und Gefühle.

Besonders die weitgehend nach humanoidem Vorbild entstandenen Vertreter meines Volkes sind unabhängig und erforschen das Universum teilweise auf eigene Faust. Ein Exemplar dieser Spezies, das sich selbst Diabolo nennt, hat sich dem Emperador angeschlossen und dient diesem als persönlicher Berater.«

»Das ist doch nichts Neues, Diabolo ist Siniestro treu ergeben und praktisch der Schatten seines Herrn.«

Die Posbi beobachtete mich mit einem amüsierten Grinsen und fuhr fort:

»Aber aber, lieber Joak, ich bitte dich darum, mich ausreden zu lassen. Diabolo ist dem Emperador wohl treu ergeben, aber er scheint nicht mehr ganz mit der Politik seines Herrn einverstanden zu sein. Jedenfalls hat er uns über die nächsten Ziele des Quarteriums informiert, ob mit oder ohne Wissen Siniestros. Diese Informationen sind so brisant, dass sie zu einer völligen Änderung unserer Politik geführt haben. Die Posbis werden auf der Seite der LFT aktiv in den Kampf eingreifen.«

Ich war platt, während sich Bull noch immer mit seinem Cognacglas beschäftigte. Dann bemerkte er:

»Unsere Quarteriumsfürsten scheint der Größenwahn gepackt zu haben, denn sie planen anscheinend einen Krieg an allen Fronten. Nach Diabolos Bericht soll sich Leticron um Siom Som und die Estartischen Galaxien kümmern und notfalls durch eine Politik der verbrannten Erde den Sieg erringen. Die ehemalige Mächtigkeitsballung ESTARTUS wird auf Anweisung MODRORS als äußerst wichtig erachtet, denn diesem ominösen Riff scheint in Zukunft eine entscheidende Bedeutung zuzukommen.

Den Gipfel des Ganzen bildet nun der neu ernannte Quarteriumsprotektor für die Lokale Gruppe, seine hochwohlgeborene Exzellenz Uwahn Jenmuhs höchstpersönlich. Was der fette Arkonide genau ausgekocht hat, soll dir am besten wieder Waratu erzählen, sie hat die Informationen aus erster Hand, direkt von der Hundertsonnenwelt.«

So langsam kam ich mir wie ein Punchingball vor, der von zwei ausgebufften Profis hin und her geschlagen wurde. Bull und die Posbi schienen sich glänzend zu verstehen und ihren Auftritt genau abgesprochen zu haben. Dabei stellte sich für mich die Frage, was Bull eigentlich mit seiner Vorgehensweise beabsichtigte. Die Antwort lag wohl auf der Hand: Bully, der gute alte Haudegen, hatte es anscheinend übernommen, mich wieder auf Vordermann zu bringen. Nun gut, ich hatte mich bereits entschlossen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

»Jenmuhs will, nach der Aussage Diabolos, das Göttliche Imperium direkt in den Konflikt verwickeln. Bostich soll auf der Seite des Quarteriums in den Krieg eingreifen.«

In meinem Kopf begannen alle Alarmglocken zu gellen. Meine Befürchtungen schienen auch an meinem Gesichtsausdruck ablesbar sein, denn Bull ergänzte die Posbi: »Keine Sorge, dieser Plan ist dank unserer Freunde etwas ins Stocken geraten …«

»Tatsächlich?«

»Das Zentralplasma hat, nachdem Diabolo uns über Jenmuhs Pläne informiert hat, meinen Bruder Quohlfahrt nach Arkon gesandt. Wir haben dem Kristallimperium mitgeteilt, dass das Bündnis mit der LFT erneuert wurde und falls das Kristallimperium seinen Beistandspakt mit dem Quarterium erfüllt, wir von unseren Kenntnissen der Verteidigungsanlagen im Arkon-System Gebrauch machen werden, um die Terraner zu schützen.«

»Welche Kenntnisse?«, wollte ich wissen.

Die Posbi antwortete: »Der Wissenstransfer während der Herrschaft SEELENQUELLS war durchaus zweigleisig. Bostich weiß um die Gefahr, dass das Arkon-System empfindlich durch uns oder die LFT getroffen werden könnte, sollte es zum Krieg kommen.«

Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort:

»Kurz vor eurer Ankunft überbrachte uns seine persönliche Bevollmächtigte, eine herzogliche Zicke namens Seryklya ta Helonk, eine Botschaft, in der er erklärt, dass es von Seiten des Göttlichen Imperiums keinerlei Unterstützung für die Expansionspläne des Quarteriums geben wird. Das Kristallimperium werde dem Quarterium nur im Verteidigungsfall beistehen. Danach ist diese eingebildete Tussi weitergeflogen, wohl um Jenmuhs von der ablehnenden Haltung ihres Herrn zu berichten.«

Ich überlegte. Bostich änderte seine Haltung nicht. Von Anfang an gab es nur einen Beistandspakt der drei Kaiser im Verteidigungsfall. Doch das Quarterium hatte Dorgon bereits in Siom Som unterstützt. Was war, wenn man den Angriff der LFT auf eine Quarteriumsflotte schon als Angriff im Sinne des Beistandspaktes wertete?

Ob Bostich das Risiko eines Krieges eingehen wollte, nachdem ihm die Posbis als vielleicht ernst zu nehmende Gefahr für das Arkon-System bekannt waren? Wohl kaum. Im Schachspiel um die Lokale Gruppe hatten die Galaktiker einen wichtigen Zug gemacht. Die Befürchtung, dass das Kristallimperium zusammen mit dem Quarterium unsere Machtstellungen in der Milchstraße aufrieb, war nun geringer – dennoch nicht unmöglich. Es hing vom Verlauf des Krieges ab. Sollte die LFT und sollten auch die Posbis empfindliche Niederlagen einstecken, würde Bostich seine Vorsicht verlieren und womöglich das Quarterium offensiv unterstützen.

Vorerst jedoch würde sich der Imperator des Kristallimperiums sicherlich zurücklehnen und in der Beobachterrolle bleiben.

»Weiß eigentlich jemand näheres über diese Frau?«, wollte ich wissen.

Nun war es Bull, der fortfuhr.

»Diese Arkonidin stellt so etwas wie die große Unbekannte innerhalb der arkonidischen Herrschaftsstruktur dar. Die Informationen des Ligadienstes sind äußerst spärlich. Allerdings, und da sind sich alle Informanten einig, muss diese Frau als äußerst gefährlich eingeschätzt werden. Sie ist die Erbin eines der ältesten arkonidischen Adelsgeschlechter, verfügt über ein geradezu astronomisches Vermögen und hat Bostich von Anfang an unterstützt. Nach allerdings unbestätigten Meldungen soll sie auf einer unbekannten Welt der Kralasenen erzogen und ausgebildet worden sein und innerhalb dieser Organisation einen Sonderstatus einnehmen.«

Bull machte eine kurze Pause und nahm wieder einen Schluck.

»Nachdem wir dich hinsichtlich des Hintergrundes etwas auf Vordermann gebracht haben, kommen wir zu unseren eigentlichen Plänen. Diese sind eng mit der Politik des Zentralplasmas verzahnt, ja ohne dieses gar nicht möglich.«

Nach einem erneuten Schluck fuhr er fort:

»Im Moment sieht es wohl so aus, dass unsere Lage militärisch äußerst beschissen ist. Die Versäumnisse der letzten Jahrhunderte haben dazu geführt, dass die Flotte der LFT keinerlei taktische Offensivbefähigung hat. Selbst bei rein defensiven Aufgaben stoßen wir sehr schnell an unsere Grenzen.

Uns fehlt ganz einfach die Zeit, um die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Und genau hier kommen unsere Freunde ins Spiel. Das Zentralplasma sieht die Bedrohung durch MODROR und das Quarterium als so ernst an, dass ein bisher völlig geheim gehaltenes Projekt hier auf Overdark erstmals eingesetzt wird.«

»Nun mach es nicht so spannend. Um was handelt es sich? Um eine geheimnisvolle Strahlenwaffe, die jeden Schutzschirm durchschlägt, oder was?«

Bull grinste.

»Besser, viel, viel besser. Sagt dir der Begriff Relativschirm etwas?«

»Ist das nicht eine Art Schutzschirm, mit dem die Posbis ihr Schiff in die Zukunft versetzen können und so vor Waffenwirkungen jeder Art sicher sind?«

»Genau, aber das wäre nichts Neues. Die Posbis haben eine Möglichkeit gefunden, die Wirkungsweise des Relativfeldes umzukehren, also statt in die Zukunft kann ein Objekt nun in die Vergangenheit versetzt werden. Dabei, und das ist der entscheidende Unterschied zu den alten Nullzeitdeformatoren oder den Zeittransmittern der Meister der Insel, wird die Hauptlinie der Realität verlassen und faktisch eine Nebenrealität erzeugt. Von dieser aus ist es beispielsweise nicht möglich, die eigene Vergangenheit zu verändern …«

»Zu was soll dann eigentlich das Ganze zu gebrauchen sein? Nebenrealität, Hauptlinie? Was soll das?«

»Langsam, langsam mit den jungen Pferden, Joak. Die Wirkung des Feldes ist genial. Zuerst wird also eine exakte Kopie des Objekts erzeugt und diese Kopie dann in die Vergangenheit versetzt. Die Reichweite ist im Augenblick etwa auf sechs bis acht Monate begrenzt.

Die Posbis nennen diese Grenze den Zeropoint. Von dort aus beginnt ein normaler rückläufiger Zeitablauf innerhalb der Nebenrealität. Dieser läuft parallel zur Hauptlinie. Sobald eine entsprechende Zeit verstrichen ist, das Objekt also wieder an seinem Startzeitpunkt in der Relativ-Gegenwart angekommen ist, verliert das Feld seine Wirkung und es kommt zu einer Verschmelzung der Realitäten.

Dabei werden die Änderungen der Nebenrealität in die Hauptrealität übernommen. Wenn beispielsweise in der Nebenrealität ein neues Schiff konstruiert und gebaut wurde, steht dieses einschließlich der Werftanlagen in der Hauptrealität zur Verfügung. Und, bevor ich es vergesse, der gesamte Planet ist soeben um circa sechs Monate in die Vergangenheit versetzt worden. Also keine Panik, wenn plötzlich die Sterne oder die Milchstraße verschwunden sind. Wir haben diese Nebenrealität exklusiv für uns.«

Nun reichte es mir. Das ging eindeutig zu weit!

»Bist du hier von allen guten Geistern verlassen? Wie kommst du dazu, uns ungefragt einfach irgendwohin zu versetzen?«

Mit diesen Worten packte ich die Flasche und warf sie mit voller Kraft gegen die Wand. Mit einem lauten Knall, der einem altertümlichen Pistolenschuss glich, zerplatzte sie. Im Stillen dankte ich unseren Freunden aus Bits und Zellgewebe mit einem Stoßgebet, dass sie sich mit der üblichen Sorgfalt an das Vorbild gehalten hatten. Die Flasche bestand aus gutem, altem Glas – es hätte meinem Ego nicht gut getan, wenn sie aus irgendeinem bruchsicheren Kunststoff gewesen wäre.

5. Die andere Seite

September 1307 NGZ

Mandor da Rohn

Mitten im intergalaktischen Leerraum, in der Nähe der Zwerggalaxie NGC 185, trieb eine größere Ansammlung SUPREMO-Raumschiffe antriebslos im Raum. Einem Beobachter wäre aufgefallen, dass es sich ausschließlich um A- und B-Typen handelte.

Die Schiffe hatten sich in Form eines komplexen Kristalls um ein im Mittelpunkt befindliches Schlachtschiff gruppiert – der Sinn dieser Formation war eindeutig: Es handelte sich um den sogenannten »Igel«, eine nach einem ausgestorbenen terranischen Nagetier benannte Verteidigungsformation. Die Frage, die sich aus dieser Flottenkonzentration ergab, war, wer hier mit allen Mitteln beschützt werden sollte.

Bostichs langer Schatten

Das kleine Spezialschiff fiel an den übergebenen Rendezvouskoordinaten aus dem Hyperraum. Voller Unbehagen blickte ich zu der Arkonidin hinüber, die die Position der Kommandantin einnahm. Mein Unbehagen wurde verstärkt, wenn ich an die bevorstehende Unterredung mit dem Gos’Shekur dachte. Ein altes Sprichwort meines Volkes lautete: Wenn Berkomnair anfingen zu kämpfen, konnte der Bekkar nur zertrampelt werden.

»Zhdopanda, ich müsste jetzt den Erkennungscode senden, sonst könnte es sein, dass da drüben irgendjemand die Nerven verliert.«

Die selbst für mich atemberaubende, aber völlig unnahbare Sonderbotschafterin des Imperators musterte mich mit einer Arroganz, wie sie nur Frauen aus den höchsten Adelskreisen des Huhany’Tussan ausstrahlen können, bevor sie mich fragte:

»General da Rohn, können Sie mich darüber aufklären, was an der Person dieses fetten Zayna, der sich selbst zum Gos’Shekur ernannt hat, so wertvoll sein soll, dass die Taigonii der Flotte ihn schützen müssen?«

Ich schlug verlegen die Augen nieder, auch ich hatte mich gefragt, mit welcher taktischen Bedrohung die Flottenführung es rechtfertigen konnte, dass allein ein Viertel der SUPREMO A-Schlachtschiffe aus der Kampflinie abgezogen wurden. Ich empfand diese Maßnahme als eine klassische taktische Fehlleistung, denn gerade unsere schweren Einheiten wurden entlang der Nachschublinien gebraucht, um diese zu schützen.

»Senden Sie den Erkennungscode. Je schneller ich hier fertig bin, umso besser!«

*

Vor uns salutierte die persönliche Leibgarde des Gos’Shekur, die in ihren Fantasieuniformen angetreten war. Selbst einem militärischen Laien wäre aufgefallen, dass diese Truppe wohl eher nicht für den Kampf geeignet war. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass sich die Mundwinkel der Herzogin verächtlich nach unten zogen. Wieder kamen mir die Gerüchte in den Sinn, die über sie im Umlauf waren.

Seryklya ta Helonk, Erbin des uralten arkonidischen Adelsgeschlechtes der Helonk, das bereits mehrmals den Imperator gestellt hatte, genoss in Adelskreisen einen zweifelhaften Ruf. Offiziell galt sie als die Tochter Admor ta Helonks, der als Cel’Mascant der Tu-Ra-Cel die rechte Hand von Theta da Ariga gewesen war, inoffiziell munkelte man, dass sie ein Bastard des Mascants mit einer Priesterhure der Zarakh’Famii sei.

Nach der Ermordung der Imperatrice war der Mascant maßgeblich an der Ernennung von Gaumarol da Bostich zum Imperator beteiligt und kam während der Auseinandersetzungen mit den alten Familien ums Leben. Unter dem Schutz des Imperators, als sein persönliches Mündel, genoss sie eine erstklassige Ausbildung, um dann im Alter von vierzehn Jahren spurlos zu verschwinden.

Während dieser Zeit ereilte die Familie ta Helonk ein Unglück nach dem anderen. Alle erbberechtigten Nachkommen kamen ums Leben, so dass zum Schluss nur noch Seryklya übrig war. Gerüchte besagten, dass sie in den acht Jahren, in denen sie verschwunden war, die Weihe als Priesterin der Zarakh’Famii erhalten und eine Sonderausbildung der Kralasenen durchlaufen hatte.

Was dann folgte war ein unerhörter Aufstieg an der Seite Bostichs, der sie zu seiner Vertrauten, zu seinem persönlichen Schatten machte. Dabei ging sie, soweit man den Gerüchten glauben konnte, über Leichen. Auf jeden Fall war sie nicht die Person, mit der ich allein sein wollte.

Ohne sich um irgendwelche Protokollregeln zu kümmern, schritt sie zielgerichtet auf Jenmuhs zu. Dieser wich einige Schritte zurück.

»Ich freue mich, die persönliche Bevollmächtigte des Imperators willkommen zu heißen.«

Ta Helonk musterte den Quarteriumsfürsten mit einem geradezu abfälligen Gesichtsausdruck und meinte kurz angebunden:

»Auf ihr falsches Gesülze kann ich verzichten. Meinen Sie nicht, es wäre besser, wenn ich Ihnen die Antwort des göttlichen Imperators nicht in aller Öffentlichkeit geben muss?«

Jenmuhs schien es die Sprache zu verschlagen, er lief rot an und setzte mehrmals zu einer Antwort an. Dann drehte er sich wortlos um und watschelte in einer grotesken Parodie eines ehrfurchtsgebietenden Herrschers aus dem festlich dekorierten Sitzungssaal.

Bostichs persönliche Bevollmächtigte folgte ihm und gab mir durch ein Handzeichen zu verstehen, dass ich mit ihr kommen solle. Mir war dabei überhaupt nicht wohl, denn es war zu befürchten, dass sich Jenmuhs später an mich erinnern würde, eine Aussicht, die mich den Kopf kosten konnte. Wie war das mit den Berkomnair nochmal?

*

Es war vorbei, Bostichs Schatten hatte die ARKON wieder verlassen. Das Ergebnis der Unterredung war ernüchternd. Bostich wollte keinen Angriffskrieg führen. Natürlich hatten wir darauf gehofft. Eine zweite Front in der Milchstraße hätte dem Krieg eine entschiedene Wendung gegeben, aber Bostich hatte dem Quarterium durch die brutale Form der Aussage seiner persönlichen Bevollmächtigten ta Helonk eindeutig klargemacht, dass eben jene Hoffnung zerstört war.

Nur die Furcht vor der Reaktion des Imperators hatte Jenmuhs wohl davon abgehalten, die Herzogin durch ein Erschießungskommando eliminieren zu lassen. Aber der Gedanke blieb hartnäckig in meinen hintersten Gehirnwindungen: Ich hatte genügend Gerüchte über die angeblich geradezu übernatürlichen Fähigkeiten dieses Weibes gehört. Im Stillen bedankte ich mich bei den She’Huhan, dass dieser Kelch an mir vorbeigegangen war.

Ich bekam die »dankbare« Aufgabe, für ihre Verabschiedung zu sorgen. Wenig später verschwand das kleine Spezialschiff der Kralasenen im Hyperraum.

Größenwahn kommt vor dem Fall

Vor einigen Tontas waren Orlando de la Siniestro, Generalmarschall Red Sizemore und Generaloberst Alcanar Benington mit der PAXUS angekommen. Ich erlaubte mir ein fieses Grinsen, Jenmuhs bekam nun doch seinen prunkvollen Empfang und sein üppiges Festessen, während draußen, entlang der Geleitzugroute, unsere Soldaten tagtäglich krepierten.

Ich hatte während meiner Ausbildung auch terranische Militärgeschichte studiert und wusste genau, was uns bevorstand: Abnutzungskrieg nannten die terranischen Barbaren ihre Taktik. Ein großer Heerführer der terranischen Frühzeit namens Napoleon, der einen Kontinent namens Europa unter seiner Herrschaft vereinigen wollte, hatte durch diese Taktik letztendlich den Krieg, sein Kaiserreich und seine Freiheit verloren.

Ein Narr hätte ich sein müssen, wenn mir die Parallelen zwischen der damaligen Situation Napoleons und unserer jetzigen nicht ins Auge fallen würden. Auch Napoleon war seinen Gegnern militärisch haushoch überlegen, verfügte über die besser ausgebildeten Soldaten, aber das alles nutzte ihm nichts. In den Weiten des Kaiserreiches Russland ging seine Armee unter, zermürbt von den tagtäglichen Angriffen, besiegt von der Unmöglichkeit, die riesige Armee über tausende von Längeneinheiten ausreichend mit Nachschub zu versorgen.

Es war ein Witz. Der Einzige, dem diese Analogie auffiel, war ich, Mandor da Rohn, ein Arkonide, während sich Sizemore und Benington, die ihre eigene Geschichte eigentlich besser kennen sollten als ich, in Fantasien von siegreichen Schlachten, von der Niederwerfung des eigenen Volkes ergaben. Was für Narren.

Nein, verbesserte ich mich, nicht nur sie waren Narren, wir alle waren es, denn die Geschichte zeigte eindeutig, dass Krieg, Gewalt und Unterdrückung immer in die Barbarei führten, dass die Reiche der rücksichtslosen Potentaten dem Untergang geweiht waren. Und doch würde ich wieder meine tiefe Verbeugung vor der Verkörperung alle jener Schrecken machen, würde wieder den Tod von tausenden, ja Millionen Wesen für sie planen, nichts weiter, als ein nützliches Werkzeug in ihren Händen.

*

Das ausgiebige Essen war vorbei und Jenmuhs hatte uns in den Besprechungsraum gebeten. Die Techniker der ARKON hatten in der Mitte des Raumes, über dem ovalen Konferenztisch, eine holografische Karte der Lokalen Gruppe zwischen dem Sternentor und der Milchstraße projiziert.

Als Getränk hatte Jenmuhs Namahoora auftischen lassen, wahrscheinlich um uns am Ende alle unter den Tisch zu saufen. Innerlich bedauerte ich meine terranischen Kollegen. Namahoora führt durch häufigen Genuss zu einer Art Gewöhnung des Körpers an den Namahoora-Rausch. Die positiven Empfindungen werden verstärkt, während negative Folgen immer geringer werden. Dabei macht dieses Getränk meines Volkes, im Gegensatz zu Rauschmitteln, nicht süchtig.

Als Arkonide war ich natürlich an den Genuss gewöhnt, doch Benington und Sizemore dürften einen ausgewachsenen Rausch mit allen negativen Begleiterscheinungen erwarten. Ich wusste, dass Jenmuhs dazu neigte, seine vermeintliche Überlegenheit über andere Menschen auf diese Weise zu demonstrieren.

Und nun kam mein Part. Ich sollte die allgemeine Schilderung der Lage mit einer »Würdigung« der strategischen Fähigkeiten des Gos’Shekur verbinden, der allein durch seine Genialität die LFT niederwerfen und Rhodan in die Gefilde der Zarakhgoth schicken würde.

Nun, ich tat mein Bestes und Jenmuhs schien zufrieden mit der »Würdigung« seiner Verdienste zu sein, denn er nickte mir mehrmals huldvoll zu. Das Ergebnis war militärisch eine totale Verkennung der Wirklichkeit. Sizemore hatte das wahrscheinlich erkannt, denn sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Benington dagegen machte sich noch mehr zum Idioten.

Übrigens, wenn ich etwas an den Terranern liebe, dann ihre Schimpfworte. Denn mit einem geradezu verklärten Gesicht versicherte Benington dem »göttlichen« Gos’Shekur immer wieder, dass allein seine Genialität die Garantie dafür sei, den Sieg über die »Volksverräter« zu erringen. Orlando dagegen hatte sich abgesondert und brütete vor sich hin. Für mich sah es aus, als ob der Sohn des Emperadors mit seinen Gedanken ganz woanders war. Er schien größere Probleme zu haben, denn er schüttete das Namahoora geradezu in sich hinein. Gut, er würde später die Folgen kennenlernen.

Der von Sizemore und mir entwickelte Plan sah vor, nachdem es uns durch die ablehnende Haltung des Huhany’Tussan unmöglich geworden war, in unmittelbarer Nähe der Milchstraße einen Brückenkopf zu bilden, zu diesem Zweck eine der Andromeda vorgelagerten Zwerggalaxien zu erobern.

Es war für uns in erster Linie wichtig, eine feste Basis in vertretbarer Nähe zur Milchstraße zu haben, von der aus wir die weiteren Aktionen gegen die LFT koordinieren konnten. Vor allem sollte diese Basis das prekäre Nachschubproblem entschärfen.

Wieder zeigte sich, ähnlich wie in Siom Som, dass beim Aufbau der quarterialen Flotte ein gravierender Fehler begangen wurde. Wir verfügten über keinerlei Tenderschiffe, wie sie in den Flotten der LFT oder des Huhany’Tussan eingesetzt wurden, wir waren bei Reparatur und Wartung der SUPREMOS auf entsprechende Stützpunktwelten angewiesen. Wir brauchten unbedingt eine sichere Ausgangsbasis, in die sich unsere Schiffe und Mannschaften zurückziehen konnten.

In der Holodarstellung wurde inzwischen diese Kleingalaxie gezeigt, die nur 350.000 Lichtjahre von Andromeda entfernt war. Auch der Abstand zur Milchstraße war mit 2,3 Millionen Lichtjahren noch annehmbar. Unsere Planung sah vor, dass wir im Halo der Galaxie den siebten Planeten einer blauen Riesensonne, der eine Sauerstoff-Wasserstoffatmosphäre besaß, zu einem Werftplaneten ausbauen würden.

*

Dann machte Jenmuhs wieder einen entscheidenden Fehler. Anstatt sich mit den Tefrodern in Verbindung zu setzen, wollte er diese einfach vor vollendeten Tatsachen stellen. Und so kam es, wie es kommen musste. Als dann noch unsere Kundschafter meldeten, dass die Maahks einige Stützpunkte unterhielten, ordnete der Gos’Shekur die Vernichtung der Stützpunkte an. Er war keinem logischen Argument zugänglich und bedrohte den Sohn des Emperadors und mich mit einem Kriegsgerichtsverfahren.

Unsere schnellsten Verbände führten gegen die Stützpunkte der Methanatmer Vernichtungsangriffe. Innerhalb weniger Stunden hatten wir uns schon halb Andromeda zum Feind gemacht. Auf die Vorhaltungen Admiral Siniestros entgegnete Jenmuhs, dass er nur dabei sei, die Artenbestandsregulierung sinnvoll weiterzuführen, denn intelligente Methanatmer könnten doch nur ein Irrtum der Natur sein, und es wäre sein Auftrag, diesen Irrtum zu bereinigen.

Da begann ich für unser Verhältnis zu den Tefrodern schwarz zu sehen. Womöglich kam Jenmuhs in seiner überragenden Genialität noch auf die Idee, dass vor der Eroberung der Milchstraße die Niederwerfung Andromedas stehen müsse.

6. Geleitzugalltag

Der kleine Konvoi war aus dem Sternentor getreten und wurde sofort durch eine Rotte kleiner SUPREMO E-Kreuzer empfangen. Die fünfhundert Meter durchmessenden Schiffe gruppierten sich so, dass sie jede Kursabweichung notfalls mit einem Feuerschlag unterbinden konnten.

Die größeren Raumer hielten sich im Hintergrund und schienen eine feste Position in einem Abwehrriegel eingenommen zu haben. Um einige Lichtjahre versetzt verharrte ein riesiges Objekt, das faktisch oberhalb des Sternentores und etwas seitlich zu SOLARIS STATION stand. URGUNGAAR, MODRORS gewaltige Raumstation, beherrschte den Raumsektor.

Die aus dem Sternentor gekommenen Schiffe schienen näher zusammenzurücken. Es war klar, dass die Schlachtkreuzer genügen würden, um dem gesamten Konvoi mit einem Feuerschlag der Transformgeschütze den Garaus zu machen.

*

An Bord eines der walzenförmigen Schiffe verfolgte man die Einkreisung durch die Wachflotte des Quarteriums mit gemischten Gefühlen.

»Setz endlich unseren Autorisierungscode ab, sonst fangen die noch an, uns abzuschießen!«

Die vierschrötig wirkende weibliche Gestalt, deren tizianrote Haare in mehreren Zöpfen auf den Rücken fielen, rückte dem vor dem Hyperfunkterminal sitzenden Mann bedrohlich auf die Pelle.

»Los, worauf wartest du noch, brauchst du eine Extraeinladung?«

»Gemach, Gnädigste! Ich habs gleich. Er muss hier irgendwo liegen.«

Der Mann begann, hektisch auf der Ablagekonsole vor dem Terminal herumzuwühlen. Speichermedien in allen Arten und Formen wurden immer hektischer durcheinandergewühlt.

»Das darf doch nicht wahr sein, das muss der blutrote Geist von Archetz gewesen sein, ich habe den Speicher doch hier bereitgelegt.«

Die Frau knirschte mit den Zähnen und begann, die Finger der gewaltigen Pranken knacksen zu lassen.

»Wenn du jetzt nicht den Code abschickst, schlag ich dir den Schädel ein.«

Der Mann begann, immer hektischer zu suchen.

»Keine Notwendigkeit, gewalttätig zu werden. Ich habs doch gleich gesagt, hier liegt er.«

Mit diesen Worten schob er einen Speicherkristall in die Leseeinheit.

»Voilà, wie die Terraner sagen, jetzt kann es losgehen. Galax, Galax wird rollen oder nicht, Gnädigste!«

»Halt die Klappe! Was ist das hier überhaupt für ein Saustall? Unter meinem unnützen Alten habt ihr ja scheinbar machen können, was ihr wollt. Aber damit ist Schluss. Bei mir wird gearbeitet, bis die Schei…«

»Ja, ja weiß schon, Scheiße am Kochen, aber ich bin ein freier Springer und du kannst nicht einfach …«

»Freier Springer? Dass ich nicht lache. Unfähiger Faulenzer trifft es eher.«

»Aber Gnädigste, so lasse ich nicht mit mi…«

Weiter kam er nicht. Es klatschte und gleich darauf nochmal. Die Springerin hatte gerade zwei gewaltige Ohrfeigen ausgeteilt.

»Merk dir eines, du unfähiger Faulenzer, nenn mich nie wieder Gnädigste. Für dich bin ich die Chefin!«

Mit diesen Worten stapfte sie wieder auf die übrige Besatzung zu.

»Noch jemand, der Lust auf ein Paar rote Ohren hat?«

Niemand rührte sich. Im Stillen, ganz im Geheimen wünschten sich viele den alten Patriarchen Klessvool zurück. Doch der saß nach wie vor auf Paxus und ließ sich, zusammen mit seinem Duzfreund Niesewitz, regelmäßig volllaufen.

Nachdem in letzter Zeit einige Unternehmungen der Klessvool-Sippe schiefgelaufen waren, hatte Gryssin, die bessere Hälfte Klessvools, kurzerhand die Leitung der laufenden Geschäfte übernommen. Seitdem war nichts mehr so, wie es einmal war.

Unter Klessvool war das Leben an Bord angenehm und in ruhigen Bahnen verlaufen. Doch nun herrschte ein anderer Wind: Gryssin hielt nichts, aber auch gar nichts von einem gelegentlichen Schwätzchen unter Kollegen, das natürlich mit einem Gläschen verbunden wurde – und sie scheute sich nicht, ihre Ansichten auch handfest durchzusetzen. Das war ihrer Meinung auch bitter nötig, denn im letzten halben Jahr hatten sie nur Verlustgeschäfte gemacht.

Zuerst waren einige neue Schiffe, die unter dem Befehl ihres Sohnes Razeep standen, in Siom Som verloren gegangen. Razeep und seine Schwester Chiisma waren seitdem verschollen und wahrscheinlich tot. Nicht dass sie das besonders traurig machte, Razeep war ein Großmaul gewesen, eben der typische Sohn seines unfähigen Vaters, und Chiisma schlug völlig aus der Art.

Dieses aufsässige Weibsstück behauptete doch allen Ernstes, dass der Profit nicht jedes Mittel heiligt. Danach, und das war besonders ärgerlich, brachen die guten Handelspfründe mit den Kontoren in der Milchstraße weg, über die sie die Kleider, Wertsachen und sonstige verwertbare Bestände aus der Artenbestandsregulierung verkauft hatten. Die LFT, Kralas möge sie strafen, hatte sämtliche Niederlassungen ihrer Sippe geschlossen und ihnen die Handelskonzession entzogen.

*

Der Konvoi hatte Fahrt aufgenommen. Da alle Schiffe mit Metagrav-Triebwerken ausgerüstet waren, konnten sie nach dem Empfang der Kursdaten sofort wieder in den Hyperraum wechseln. Auf der Strecke waren fünf Orientierungsaustritte vorgesehen und genau an diesen Punkten würde es gefährlich werden. Aber, und damit relativierte sich natürlich die Gefahr, der Weltraum war groß und es müsste schon mit dem terranischen Teufel zugehen, wenn sie ausgerechnet während der Orientierungsetappen durch Flotten der LFT abgefangen würden.

Durch diesen Auftrag würde sich die Sippe auf einen Schlag finanziell erholen. Man konnte über die Führung des Quarteriums denken wie man wollte, zumindest war die Bezahlung äußerst lohnend. Das war aber auch das Mindeste, denn die Fracht, die sie beförderten, war der millionenfache Tod. Die Fracht, sicher verstaut in den Bäuchen der Schiffe, bestand aus Nova- und Arkon-Bomben. Zwar war Gryssin von einem undefinierbaren Grauen erfüllt, wenn sie an die todbringende Fracht dachte, aber schließlich war das Motto ihrer Sippe schon immer gewesen: »Geld stinkt nicht.«

*

Mit einer Erschütterung des »normalen« Raum-Zeit-Kontinuums verließ die kleine Flotte den Einstein-Raum. Hyperphysikalische Stoßfronten, die durch die einzelnen Singularitäten der Metagrav-Vortex-Hyperfelder erzeugt wurden, pflanzten sich innerhalb des übergeordneten Kontinuums fort. Und wo Emissionen auftraten, konnten diese auch angemessen und ausgewertet werden.

Und genau diese Aufgabe übernahmen die PIRANHAS. Die Spezialschiffe auf der Basis der Hülle eines CERES-Kreuzers waren entlang der Route vom Sternenportal zur Milchstraße stationiert. Im Schutze ihrer Semi-Transit-Felder waren sie selbst vor jeder Entdeckung sicher. Im Chaos, das während der Ereignisse um den falschen Planeten WANDERER auftrat, hatte Admiral Higgins die Spezialschiffe aus der Schlacht abgezogen und mit modifizierten Fernortungsgeräten ausgerüstet.

An von NATHAN vorausberechneten Positionen zwischen dem Sternentor und der Milchstraße gingen die Kreuzer in den STF-Zustand und warteten. Ihre einzige Aufgabe war es, die Kursdaten eventueller Flotten oder Geleitzüge des Quarteriums an das Oberkommando weiterzugeben.

Die Auswertung der Daten erfolgte an Bord des Spezialschiffes ZUSE, einer mobilen Bio-Syntronik, die faktisch nach NATHAN den leistungsfähigsten Großrechner der Menschheit darstellte. Die Basis ZUSES bildete eine 3000-Meter-BOX der Posbis, die auch die biologische Komponente, das Plasma, stellten.

So wurde der Hyperraumeintritt des Springer-Geleitzuges natürlich durch die PIRANHAS angemessen und die Daten weitergeleitet. An Bord der ZUSE entstand bereits nach dem zweiten Orientierungsaustritt die Prognose des wahrscheinlichen Kurses, der dann an General Scott C. McHenry weitergeleitet wurde.

McHenry hatte den Oberbefehl über die Jagdkommandos übernommen, während Admiral Higgins an der Seite Perry Rhodans versuchen wollte, die quarterialen Flotten in die Tiefen der Lokalen Gruppe zu locken, um die zum Aufbau der 8. Terranischen Flotte benötigte Zeit zu gewinnen. Jeder Tag, der dadurch gewonnen wurde, verbesserte die Ausgangsposition der LFT, denn die gewaltige Rüstungsmaschinerie der Posbis war angelaufen und schickte sich an, die quantitative Überlegenheit des Quarteriums auszugleichen.

Doch im Moment war die LFT noch äußerst verwundbar, einem gezielten Stoß ins Herz des terranischen Sternenreiches hätte man nichts entgegenzusetzen gehabt. Deshalb war es wichtig, Jenmuhs mit dem Kern der quarterialen Flotte im Raum um das Sternentor festzuhalten beziehungsweise in die Tiefen der Lokalen Gruppe zu locken.

Jagdfieber

Der kugelförmige Gigant mit einem Durchmesser von tausendachthundert Meter bewegte sich, nur durch die Massenträgheit angetrieben, im Unterlichtbereich. Um die SHERMAN, das Flaggschiff General McHenrys, gruppierte sich der Verband »Cereaus«, der aus sämtlichen Schiffsklassen der LFT zusammengesetzt war.

Die Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer waren um den ENTDECKER und die BOX gruppiert, während die Kreuzer der VESTA- und CERES-Klasse einen lockeren Sicherungsring bildeten. Der Verband »Cereaus« war, genau wie die unter dem Befehl von Admiral Higgins stehenden Einheiten der 8. Terranischen Flotte, noch lange nicht auf Sollstärke. Genaugenommen handelte es sich um ein nach der Niederlage am Sternentor aus den noch kampffähigen Einheiten gebildetes letztes Aufgebot. Zeit! Sie mussten Zeit gewinnen, bis die Verstärkungen von den Dunkelplaneten der Posbis und den Luna-Werften fertiggestellt und eingetroffen waren.

General McHenry hatte seine Schiffe in zehn Angriffsrotten aufgeteilt. Hierdurch war es möglich, mehrere Geleitzüge getrennt anzugreifen. Alle Rotten hatten den Auftrag, die Versorgungsschiffe des Quarteriums zu stellen und zu vernichten. Vorher sollte, wenn möglich, den Besatzungen noch Gelegenheit gegeben werden, sich mit den Beibooten in Sicherheit zu bringen. Für die einzelnen Angriffsrotten stand die eigene Sicherheit an erster Stelle, beim Auftauchen quarterialer Sicherungsschiffe sollte der Angriff sofort abgebrochen werden.

Der Kampfverband trieb im intergalaktischen Raum, faktisch im kosmischen Niemandsland. Und doch hatte man festgestellt, dass der Raum zwischen den Galaxien alles andere als leer war – im Gegenteil: Dark Matter, die Dunkle Materie beherrschte alles. Die an Bord der Schiffe befindlichen Wissenschaftler waren völlig aus dem Häuschen, bevor sie durch McHenry zurechtgewiesen wurden. Hier zeigte sich, dass auch die Wissenschaft des 14. Jahrhunderts NGZ noch vor völligem Neuland stand.

Die gesamte Forschung hatte sich bisher auf die Inseln des Lebens, die Galaxien, konzentriert. Der weite Raum dazwischen, die vermeintliche Wüste der intergalaktischen Leere wurde völlig vernachlässigt. Zu Unrecht, wie sich jetzt zeigte. Von Leere oder Wüste konnte keine Rede sein. Der Raum zwischen den Galaxien war erfüllt mit unbekannter Materie und unbekannten Energiefeldern, die man in Anlehnung an theoretische Konzepte terranischer Forscher des ausgehenden 20. Jahrhunderts alter Zeitrechnung als Dunkle Materie und Dunkle Energie bezeichnete. Hier zeigten sich die negativen Folgen der übernommenen arkonidischen Technik und Wissenschaft, durch die alle Forschungsansätze nicht mehr weiterverfolgt wurden, für die kein arkonidisches Vorbild vorhanden war. Doch auch die Wissenschaftler an Bord von McHenrys Flotte mussten ihre Forschungsvorhaben auf später verschieben. In der aktuellen Lage hatte das nackte Überleben Vorrang vor allen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

McHenry war über eine Konferenzschaltung mit den Kommandanten der Rotten verbunden und besprach den nächsten Einsatz. Das Quarterium schien eine größere Operation vorzubereiten, denn aus dem Raum um das Sternentor wurde reger Schiffsverkehr in Richtung Milchstraße und Andromeda gemeldet. Deshalb entschloss sich der terranische Kommandeur, alle zur Verfügung stehenden Einheiten einzusetzen, um den Nachschub des Gegners empfindlich zu stören.

*

Die SHERMAN fiel mit fünf NOVA-Schlachtschiffen, neun ODIN-Schlachtkreuzern und etwa dreißig VESTA- und CERES-Kreuzern aus dem Hyperraum. Die anderen Jagdgruppen waren ähnlich zusammengesetzt, nur dass ihnen keine Schiffe der ENTDECKER-Klasse zur Verfügung standen. Die tausendachthundert Meter durchmessenden Riesen waren innerhalb der Flotte der LFT noch immer Mangelware. McHenry nannte die Operation, im Andenken an einen von ihm als Vorbild verehrten amerikanischen Panzer-General des Zweiten Weltkrieges, »Patton-Strike«.

Vor dem Verband befanden sich etwa hundertzwanzig Walzenraumer der Springer, die nach dem Austritt der LFT-Flotte aus dem Hyperraum versuchten zu beschleunigen, um sich im übergeordneten Kontinuum in Sicherheit zu bringen.

McHenry hatte eine Gefechtsleitverbindung mit den ihm unterstellten Schiffen aufgebaut und brüllte in das Feldmikrofon:

»Setzt diesen Sauhunden eine Salve genau vor den Bug. Das Pack soll die Hölle zu sehen bekommen.«

Wenig später erschütterte der Abschuss der beiden viertausend Gigatonnen Pol-Transformbatterien das gewaltige Schiff. Acht Bomben des schwersten Kalibers wurden in den Fluchtkurs der Springerschiffe abgestrahlt und entfesselten im Kursvektor der Walzen die Hölle. Dazu kam noch eine komplette Salve der NOVAS.

»So, und jetzt möchte ich eine Verbindung mit dem Gesindel, aber pronto!«

Wenig später wurde das zornbebende Gesicht einer Springerin auf dem Panoramaschirm sichtbar.

»Ich protestiere hiermit auf das Schärfste gegen die Beeinträchtigung des freien Handels zwischen den Galaxien. Sie verkappter Mörder haben kein Recht, meine Schiffe am Weiterflug zu hindern.«

McHenry war bei diesen Vorwürfen ebenfalls rot vor Zorn geworden.

»Wie haben Sie mich gerade genannt? Mörder? Ich glaube eher, diese Bezeichnung trifft auf Ihre Sippschaft zu. Wo ist denn euer sogenannter Patriarch? Ich glaube Klessvool heißt er. Ich will ihn sofort auf dem Schirm sehen!«

»Da musst du terranischer Emporkömmling mit mir Vorlieb nehmen. Klessvool hat sich aufs Altenteil zurückgezogen, ich leite nun die Sippe.«

»Auch gut. Jetzt hör mir mal genau zu, du alte Vettel: Du hast genau eine Zeiteinheit, die Schiffe zu verlassen, danach eröffnen wir das Feuer. Ich würde dir also empfehlen, schnellstens in die Beiboote zu gehen und ein bewohnbares System anzusteuern.«

Die Springerin begann zu grinsen.

»Und was ist, wenn wir das nicht tun, Terraner? Was wollt ihr dann machen? Feuern? Dass ich nicht lache. Ich sag dir mal, was wir tun werden. Wir werden jetzt wieder beschleunigen und du, du kannst mich mal da, du weißt schon, da wo niemals die Sonne scheint!«

»Sobald ein Raumschiff Fahrt aufnimmt, werden wir das Feuer eröffnen. Wir sind im Krieg. Das Quarterium hat mit seinem Überfall am Sternenportal der LFT den Krieg erklärt. Und glaube mir, Gnädigste, ich werde das Feuer eröffnen lassen …«

»Das wäre Mord, kaltblütiger Mord an Unschuldigen!«

»Mord? Unschuldig? Deine Sippe profitiert doch durch Sklavenhandel, die Artenbestandsregulierung und die Untaten des Krieges durch das Quarterium. Ihr steht auf der Gehaltsliste des Emperadors und seid daher in meinen Augen nichts weiter als Handlanger. Du hast sechzig Minuten – nein, nur noch fünfundfünfzig Minuten.«

Vor Wut bebend schaltete McHenry ab.

»Dieser Abschaum. Die glauben wohl, dass sie uns verarschen können. Aber nicht mit mir, nicht mit dem alten Scott McHenry.«

7. Schuld und Schuldigkeit

Mohlburry News – Unabhängiger Nachrichtenblog

Nach der Katastrophe, die MODRORS Falle am Sternentor für unzählige friedfertige Galaktiker bedeutete, nach dem millionenfachen Tod, den die Söhne des Chaos und ihre Helfershelfer auf dem falschen WANDERER verursacht hatten, folgte die Hölle eines Krieges ohne Gnade.

Während auf der Seite des Quarteriums schon immer ein unterlegener und besiegter Gegner, der am Boden lag, ohne Gnade und Barmherzigkeit vernichtet wurde, war der unbedingte Wille zur Vernichtung auf Seiten der LFT neu. Dazu kam noch, dass durch das Eingreifen der Posbis ein Verbündeter auf Seiten der LFT stand, für den der Begriff Rücksichtnahme nicht vorhanden war. Das Quarterium hatte Wind gesät und Sturm geerntet …

Robert Mohlburry im September 1307 NGZ


Gespannt verfolgten die Besatzungen der kleinen Schlachtflotte den weiteren Verlauf. Die Springer schienen endlich den Ernst der Stunde erkannt zu haben, denn immer mehr Beiboote verließen die großen Walzenschiffe. Die kleinen Schiffe begannen sich zu sammeln und vollführten dabei komplexe Kursmanöver. Mit zunehmendem Missvergnügen beobachtete McHenry das Durcheinander.

»Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt«, murmelte er vor sich hin. Und plötzlich: »Pol-Batterie, fertigmachen zum Einzelschuss. Die meinen wohl, schlauer zu sein als wir!«

Nach einigen Minuten schien das Durcheinander noch chaotischer zu werden. Und dann war klar, was das Manöver bezweckte. Im Schutz der Beiboote begannen plötzlich einige der Walzen mit Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen. McHenry reagierte augenblicklich.

»Pol-Batterie, Feuer frei, direkt in den Flugvektor! Danach Rundruf an das ganze Pack!«

»Rundruf steht, Sir!«

»General McHenry an Springerschiffe. Brechen Sie sofort den Fluchtkurs ab oder wir eröffnen das Wirkungsfeuer. Ich wiederhole: Sofort abbrechen oder es knallt!«

Da wurde kurz die Springerin sichtbar, die offensichtlich antwortete.

»Wie gesagt, General, du kannst mich, und zwar kreuzweise, von oben nach unten oder auch umgekehrt, wenns genehm ist!«

»McHenry an alle, Feuer frei auf die flüchtenden Schiffe, putzt das Grobzeug aus dem Kosmos!«

Und dann begann das Inferno. Die SHERMAN begann zu beben, als beide Pol-Batterien im Salventakt zu feuern begannen. Auch die NOVA- und ODIN-Schlachtschiffe gingen in den Salventakt über. Vor den flüchtenden Springerschiffen entstand eine Wand aus atomarem Feuer, in die die Schiffe mit hoher relativistischer Geschwindigkeit hineinflogen. Und, wie in einer Kettenreaktion, begannen die Walzen zu explodieren. Doch es waren keine normalen Explosionen, nein, es schien, als ob die Hölle ihre Pforten öffnen würde.

Wieder war es McHenry, der zuerst reagierte.

»Alle Reserven auf den Paratron und dann nur eines: Weg hier, so schnell wie möglich!«, brüllte er über den Rundruf.

Die Kugeln beschleunigten mit Höchstwerten. Dabei wurde der Metagrav-Feldantrieb durch die Impulstriebwerke unterstützt. Wenig später war es geschafft. Die SHERMAN war aus der Gefahrenzone. Wenig später gingen die Meldungen der Begleitschiffe ein. Fast alle Einheiten waren noch einmal davongekommen. Nur zwei Kreuzer der VESTA-Klasse waren so schwer beschädigt, dass sie aufgegeben werden mussten. Die Besatzungen wurden von den anderen Schiffen übernommen.

»Was war das eigentlich, was da hochgegangen ist?«, erkundigte sich McHenry bei seiner Zentralbesatzung.

»Ich denke, dass die Springer mit Arkon- und Novabomben vollgepackt waren, Sir«, antwortete der Leiter der Schiffsverteidigung Major Soumi Joronen. »Die sind vermutlich hochgegangen, als die Schutzschirme zusammengebrochen sind.«

McHenry pfiff durch die Zähne.

»Da scheinen wir wohl einen respektablen Fang gemacht zu haben, wenn Jenmuhs diese Bomben erhalten hätte … nicht auszudenken!«

»Ganz so erfolgreich waren wir wohl nicht, ein Springerschiff ist entkommen, wahrscheinlich das Schiff dieser komischen Patriarchin.«

»Was sagen Sie da, Oberstleutnant? Die alte Vettel soll entkommen sein? Bei allen Raumteufeln, ausgerechnet …«

»Es kommt noch schlimmer. Kaum eines der Beiboote hat das Inferno überstanden. Die Springer sind bis auf wenige Boote von der Explosion ihrer eigenen Bomben vernichtet worden.«

McHenry schien einen Augenblick mit sich zu kämpfen. Doch dann, mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck, kam der Befehl an seine kleine Flotte:

»Überlebende suchen und aufnehmen!«

Doch die Offiziere in der Zentrale konnten hören, wie er vor sich hin murmelte: Jetzt habe ich das verdammte Springerpack am Hals.

8. Aus Dunkelheit geboren

Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren.

Berthold Brecht

Sie kamen aus dem Nichts

Joak Cascal

Es war soweit. Nochmals überblickte ich die in Reih und Glied stehenden ehemaligen Freiwilligen, die sich als Rekruten für den Kampf gegen MODROR und das Quarterium gemeldet hatten. Neben mir standen die wenigen Veteranen, die zusammen mit mir in den vergangenen gut hundertfünfzig Tagen aus unbedarften Zivilisten die wohl härteste Truppe diesseits und jenseits des Sternentores geformt hatten. Aus Zivilisten, die nichts hatten als den Willen, für die Freiheit der Menschheit zu kämpfen und zu sterben.

Auch Remus und Will hatten ihren Anteil, nicht zu vergessen der ehemalige Staatsmarschall, der sich genau wie wir am tagtäglichen Ausbildungsdrill beteiligte. Einige von ihnen gehörten bereits der Entsatztruppe an, die während der Schlacht um das Sternenportal die Befreiung auf dem Pseudo-WANDERER geführt hatten. Doch auch viele Neue waren unter ihnen.

Hier, im sprichwörtlichen Nirgendwo, überall und nirgends, wurde das Schwert der 8. Terranischen Flotte geschmiedet. Aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen aller Nationalitäten entstand die 777. Raumeingreifdivision, meine Truppe.

Jetzt, zum Abschluss der Ausbildung, wurden die Besten der Besten zu einer Eliteeinheit ohnegleichen zusammengefasst, die mein persönliches Kommando werden sollte. Reginald Bull ließ es sich nicht nehmen, dieser Truppe den Namen zu geben, den sie selbst gewählt hatte.

Freyt-Kompanie!

Inoffiziell hatten sie sich von Anfang an so genannt, doch nun wurde ihnen die Bezeichnung in allen militärischen Ehren zugesprochen.

Bully – ja, wir waren nach diversen Besäufnissen bei der Kurzform seines Namens angelangt – schritt die Kolonne meiner Elite ab. Zur Freyt-Kompanie gehörten Frauen und Männer, die freiwillig auf Führungsaufgaben in anderen Kompanien verzichtet, sogar einen Offiziersrang abgelehnt hatten. Sie alle einte der unbedingte Wille zu siegen und der Mut, notfalls das eigene Leben für das Leben und die Freiheit der Kameraden in die Waagschale zu werfen. Auch Will und Remus gehörten zu diesem verschworenen Haufen, auch sie hatten darauf verzichtet, in einer der anderen Kompanien zu Amt und Würden zu kommen.

Freyt-Kompanie, der Name stand für eine Pflichterfüllung ohnegleichen, die in der Selbstaufgabe gipfelte. Michael Freyt, der Name von Rhodans Stellvertreter als Großadministrator, würde die Eingeweihten immer an eine der schlimmsten Krisen in der Geschichte der Menschheit erinnern. Einer Krise, die, Dank der Pflichterfüllung und Selbstopferung des Solarmarschalls, weitgehend geräuschlos und ohne von der Öffentlichkeit bemerkt zu werden gelöst werden konnte.

Es war allein Michael Freyt, der dafür sorgte, dass nach der Zerstörung des Physiotrons auf Wanderer nicht der Kampf aller gegen alle unter den bisherigen Unsterblichen begann. Kaum jemand weiß heute noch, dass er es war, der zuerst durch NATHAN eine Liste der wichtigsten Menschen aufstellte, und dann dafür sorgte, dass die Mehrheit der zum Tode verurteilten ehemaligen Unsterblichen unerkannt im All verschwand. Die gefundenen Zellaktivatoren wurden dann weitgehend nach der Liste Freyts verteilt.

Er selbst hatte sich von der Liste gestrichen, um den anderen zum Tode verurteilten Unsterblichen ein Beispiel zu geben. Der Einzige, der auf dieser Liste nicht auftauchte, war Roland Tekener gewesen. Der Smiler hatte die Unverschämtheit besessen, die Aktivatorübergabe an sich selbst gleich zu vollziehen. Ich musste bei dem Gedanken an meinen alten Freund unwillkürlich grinsen. Das war ein Stunt gewesen, der auch meiner würdig gewesen wäre.

»… im Gedenken an meinen alten Freund Michael, für den Pflichterfüllung und Dienst an der Menschheit immer an erster Stelle standen.«

Ich schreckte aus meinen Tagträumen und bekam gerade noch Bullys letzte Worte mit. Ja, der Name Michael Freyt würde wie kein anderer die Tugenden symbolisieren, die im Endeffekt den Sieg über das Quarterium und MODROR bringen mussten. Ansonsten würde es keine Gerechtigkeit im Universum geben.

… Daniel Ellroy

… Mufta Kranos

… Padryk Wyndsar

… Carry-Ann Despon

Die Liste war endlos. Ich kannte sie alle, hatte mit ihnen im Dreck gelegen, kannte ihre Stärken und auch ihre Schwächen und sie kannten auch meine. Bully heftete nun die Rangabzeichen an die bisher blanken Kragenspiegel der tiefblauen Uniformen. Auch das war ein Novum. Innerhalb der Freyt-Kompanie wurden sämtliche Offiziere und Mannschaftsdienstgrade gewählt. Es sprach übrigens für die Fähigkeiten von Remus und Will, dass sie beide zu Offizieren bestimmt wurden.

Wenig später war die Zeremonie beendet.

Wir hatten noch etwa sechs Stunden Zeit, bis, wenn die Vorhersagen der Posbis stimmten, die Verschmelzung mit der Hauptrealität stattfinden würde. Bald würden wir zurück sein. Das Quarterium, der Schlächter Jenmuhs und die ganze verkommene Siniestro-Clique würden ihr blaues Wunder erleben.

*

Es war soweit. Bald würde wieder der freie Weltraum sichtbar werden. Wir waren an Bord der Schiffe gegangen. Die neuen Kreuzer der INVINCIBLE II-Klasse stellten alles in den Schatten, was jemals aus der Kooperation zwischen terranischen Ingenieuren und den Posbis entstanden war. Diese Schiffe würden für die nächste Zeit, vielleicht für Jahre, unsere Heimat sein. Wir hatten in unzähligen Simulationen jede nur denkbare Situation durchgespielt. Alles was noch fehlte, war der Ernstfall. Und der stand, da war ich mir sicher, kurz bevor.

Der Übergang war da. Die Verschmelzung der Realitäten verlief geradezu unspektakulär. Ein kurzes Flimmern, das die Wahrnehmung verzerrte, war alles. Keine Leuchterscheinungen, keine hyperphysikalischen Schockfronten, nichts Auffallendes. Die Wahrnehmung klärte sich und im nachtschwarzen Himmel des Dunkelplaneten überstrahlte die Spirale der Milchstraße den spärlichen Sternenhimmel. Ich konnte es kaum glauben, selbst der positronische Zeitmesser an meinem Handgelenk zeigte das erwartete Datum: 21. September 1307 NGZ, 10:24 Uhr.

Andromeda

Alles war gut gegangen. Die Ruhe des intergalaktischen Leerraums wurde durch regen Schiffsverkehr gestört. Aus den Tiefen des Leerraumes zwischen der Milchstraße und Andromeda wurden immer mehr Raumer zusammengezogen. Die gewaltigen Würfel der 3000-Meter-BOXEN beherrschten die Szene. Daneben wirkten die kugelförmigen INVINCIBLE II-Kreuzer mit ihrem Durchmesser von zweihundertsechzig Metern wie Spielzeugmurmeln. Und doch würde dieser Schiffstyp die Wende bringen.

Die gigantischen BOXEN, die den Ultraschlachtschiffen zuzuordnen waren, brauchten wir als Gegengewicht zu den SUPREMO A-Typen. Der direkte Vergleich hatte leider gezeigt, dass ein ENTDECKER zwar gegen die quarterialen Giganten bestehen konnte, aber nicht mehr. Hier würden die BOXEN der Posbis mehr als ein Gegengewicht bilden.

Die eigentliche Last der kriegerischen Auseinandersetzung hatten jedoch die kleinen INVINCIBLE II-Kreuzer zu tragen. Sie waren das Transportmittel der REDS, sie würden die Frauen und Männer der Raumeingreiftruppen auf dem Schlachtfeld absetzen und die, welche der Moloch des Krieges verschont hatte, wieder an Bord nehmen.

Die Simulationen NATHANS hatten ergeben, dass die militärische Entscheidung im planetennahen Raumkampf mit verbundenen Landeoperationen fallen würde, und genau für dieses taktische Szenario wurden die INVINCIBLE II-Kreuzer konzipiert. Ein besonderer Glücksfall war, dass sich die Posbis bereit erklärten, die Produktion der überschweren Kreuzer zu übernehmen.

Da die Unterlegenheit der Flotten der LFT bei Großkampfschiffen durch entsprechende Kontingente von BOXEN der 3000-Meter-Kategorie ausgeglichen wurde, konnten sich die Luna-Werften auf die Produktion von Raumjägern und kleineren Einheiten konzentrieren. Zu diesem Zweck wurde das ENTDECKER-Programm vorübergehend gestoppt, um entsprechende Werftkapazitäten für die NIMROD II-Raumjäger freizubekommen.

Die Industrien Terras waren zwar seit den Zeiten des Solaren Imperiums nicht mehr auf Kriegswirtschaft umgestellt worden, aber die Bedrohung durch die Horden MODRORS bewirkte eine Änderung der Haltung der Abgeordneten des Residenzparlamentes.

Es war wie Hohn. Ausgerechnet der Terror MODRORS überbrückte die Differenzen, die normalerweise das Parlament der LFT blockierten. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten gab in einem fraktionsübergreifenden Initiativantrag dem Residenzminister für Verteidigung Reginald Bull freie Hand bei der Abwehr der Invasion durch das Quarterium. Terra hatte den Kampf gegen Terror und Unterdrückung aufgenommen.

*

Die Freyt-Kompanie war mit drei anderen Kompanien der 1. Brigade der 777. RED an Bord der DERINGHOUSE gegangen. Der INVINCIBLE II-Kreuzer war mein Flaggschiff und würde in den nächsten Wochen und Monaten unser Zuhause sein. Die zusammen mit den Fragmentraumern gebildete Flotte war auf dem Weg nach Andromeda, um die Reste der Terranischen 8. Flotte zu entlasten, die zusammen mit tefrodischen Einheiten in einem erbitterten Abwehrkampf gegen das Quarterium standen.

Jenmuhs hatte, nachdem er in der Andromeda vorgelagerten Zwerggalaxie Pearl jeden Widerstand rücksichtslos gebrochen hatte, den Tefrodern ein Ultimatum gestellt. Das Neue Tamanium solle unter seiner Regentschaft Teil des Quarteriums werden und vor allem den Nachschub und die Wartung der SUPREMO-Einheiten übernehmen.

Der Hohe Tamrat und Virth des Neuen Tamaniums Sha Otarin hatte Jenmuhs Ultimatum empört abgelehnt, worauf der Quarteriumsfürst Tefrod den Krieg erklärte. Daraufhin hatte sich Perry Rhodan, zusammen mit einem Teil der Terranischen 8. Flotte unter dem Kommando von Admiral Higgins, nach Tefrod zurückgezogen und war ein Bündnis mit dem Tamanium eingegangen.

Mohlburry News – Unabhängiger Nachrichtenblog

Wie schnell der Wind oder – besser – ein laues Lüftchen sich doch drehen kann. Hatte ich noch vor einem Monat gefordert, dass endlich die Führung der LFT dem Mörderpack aus Cartwheel entschieden entgegentreten soll, so überschlägt sich nun die Öffentliche Meinung mit Lobeshymnen auf die Genialität des Terranischen Residenten, wobei gleichzeitig über die ausgeprägte Brutalität der militärischen Führung geklagt wird.

Was ist eigentlich geschehen, meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, dass plötzlich die Zukunft wieder rosa gesehen wird?

Nun, in den letzten Wochen hat sich ein alter Freund der Terraner nach jahrhundertelanger Abstinenz plötzlich wieder auf der Galaktischen Bühne zurückgemeldet. Und das mit einem Donnerschlag, an dem, und das möchte ich hier ausdrücklich anmerken, weder der Terranische Resident noch sonst irgendjemand in der Residenzregierung in irgendeiner Weise beteiligt war. Die eigentliche Supermacht der Milchstraße hat ein Machtwort gesprochen.

Und nun kommen wir zu meiner obigen Anmerkung bezüglich der angeblichen Brutalität der Flottenführung der Ligaflotte. Angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse ist die Ligaflotte nur zu Nadelstichen gegenüber den quarterialen Mördern fähig. Dabei hat jeder Angreifer aus weit entfernten Galaxien eine Schwachstelle, wo er verwundbar ist: der Nachschub! Und genau auf diese Schwachstelle zielt die Taktik der Ligaflotte. Der Erfolg lässt sich an dem Geheule gewisser Kreise ablesen, die dem Despoten in Cartwheel anscheinend nahestehen. Unser uneingeschränkter Dank, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sollte dabei General Scott McHenry gelten. Ohne den alten Haudegen und seinen mit verbissener Beharrlichkeit geführten Abnutzungskrieg gegen die Nachschublinien des Quarteriums würde die gnadenlose Soldateska des größenwahnsinnigen Emperadors vermutlich schon vor den Toren Terras stehen. Die von McHenry geführte Kampfgruppe »Patton-Strike« und einige kemetische Einheiten haben nach verlässlichen Quellen große Erfolge erzielt und die Nachschublinien des Despoten von Cartwheel entscheidend geschwächt.

Ich möchte hiermit ausdrücklich den verdienten General gegen unberechtigte und verleumderische Angriffe der Boulevardpresse in Schutz nehmen, indem ich feststelle, dass allein das Quarterium der Aggressor war und ist. Die Tausende und Abertausende von Toten, die auf der Seite des Quarteriums zu beklagen sind, liegen allein und ausschließlich in der Verantwortung der militärischen Führung des Quarteriums. Es kommt mir als eine Idiotie und gleichzeitige Infamie sondergleichen vor, wenn bereits jetzt gefordert wird, General McHenry als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, und die gleichen Kreise dem Alleinherrscher Cartwheels, dem Despoten Siniestro, in das, entschuldigen Sie, ich kann es nicht anders ausdrücken, hochherrschaftliche Hinterteil kriechen. Hierzu kann ich nur noch feststellen:

Schande, Schande und nochmals Schande über diese gesinnungslose Journaille.

Robert Mohlburry Ende September 1307 NGZ

Ende

Das Quarterium hat in Andromeda einen blutigen Krieg begonnen. Der Ausgang ist ungewiss. Jürgen Freier schildert den weiteren Verlauf der Schlachten in Band 106

KRIEG IN ANDROMEDA

DORGON-Kommentar

In der Handlungsebene in Cartwheel und der Lokalen Gruppe wurden folgenschwere Entscheidungen getroffen:

Emperador de la Siniestro hat seine »Gefühle« für Rosan Orbanashol-Nordment entdeckt und setzt skrupellos seine Macht ein, um die Halbarkonidin zu seiner Emperatriz zu machen. Durch »glückliche« Umstände, die eigentlich alles andere als glücklich sind, kann der Emperador die »Ehe« noch nicht vollziehen.

Hier bleibt abzuwarten, ob diese erzwungene Ehe in Zukunft nicht zu einem »Glücksfall« für die positiven Kräfte wird, denn Rosan könnte unter Umständen Einfluss auf den Emperador gewinnen und diesen zu einer Trennung von MODROR bewegen. Aber, und das möchte ich hier extra betonen, das ist nur eine Spekulation von mir.

Interessant ist auch die weitere Entwicklung, die Stephanie, die Tochter Siniestros, nehmen wird. Die intrigante und skrupellose Tochter des Emperadors wird immer mehr zum negativen Pol der Familie Siniestro. Auch hier, so wage ich wenigstens zu spekulieren, dürfte das Ende der Entwicklung dieses Charakters noch nicht erreicht sein.

Wichtig für die anschließende Handlung ist natürlich die geplante Invasion in die Milchstraße durch Uwahn Jenmuhs, dessen Größenwahn immer offensichtlicher wird. Die Milchstraße als Privatbesitz von Jenmuhs – welch eine albtraumhafte Vorstellung. Hoffen wir in diesem Zusammenhang, dass die Söhne des Chaos das »Fell des Bären« schon verteilt haben, bevor dieser erlegt wurde. Besonders überrascht bin ich jedoch davon, dass Jenmuhs auch nicht davor zurückschreckt, seinem alten »Freund und Gönner« Bostich an den Kragen gehen zu wollen: Quarteriale SUPREMO-Schlachtflotten im Arkon-System – welch eine Vorstellung!

Der Krieg in der Lokalen Gruppe hat begonnen! Das Quarterium greift LFT-Stützpunkte an, besetzt Kleingalaxien und will sogar Andromeda unterwerfen. Nur die geplante Allianz mit dem Göttlichen Imperium Bostichs konnte, zumindest im Moment, nicht im Sinne des Quarteriumsfürsten zu einem Angriffsbündnis erweitert werden, was dem Gos’Shekur durch Bostichs persönliche Bevollmächtigte Seryklya ta Helonk unmissverständlich klar gemacht wurde.

Durch die Rückkehr der Posbis auf die Galaktische Bühne und ihrer Drohung eines Angriffs auf das Göttliche Imperium, sofern Bostich die neutrale Rolle in dem Konflikt mit dem Quarterium aufgeben sollte, stabilisierte sich die Lage der LFT in der Milchstraße etwas, die bei einem Angriff der Arkoniden wohl hoffnungslos geworden wäre.

Auch kann erwartet werden, dass, durch die geplante aktive Unterstützung der Hundertsonnenwelt, die Zeit für die LFT arbeitet. Je länger Jenmuhs Zeit, Ressourcen und Mannschaftskapazitäten in den Weiten der Lokalen Gruppe verschwendet, umso stärker dürfte die Ligaflotte durch die Eingliederungen der Posbi-Großkampfschiffe und die genutzten Werfkapazitäten der Dunkelwelten werden.

Interessant dürfte übrigens die künftige Reaktion des Gos’Shekurs auf die noch nicht einmal diplomatisch verbrämte Ablehnung des Angriffsbündnisses durch den arkonidischen Imperator sein.

Die Situation bleibt also weiterhin spannend.

Jürgen Freier

GLOSSAR

Übersetzung der arkonidischen Begriffe

Bekkar

Nagetier (maus- oder rattenähnlich)

Berkomnair

elefantenähnliches Zugtier auf Iprasa (6. Planet Arkons)

Cel’Mascant

Chef der Geheimdienste im Range eines Admirals

Gos’Shekur

Kristallkönig

Huhany’Tussan

Göttliches Imperium

Taigonii

Heroen, im übertragenen Sinne Elite

Tonta(s)

Stunde (entspricht etwa 1,4 terranischen Stunden)

Tu-Ra-Cel

Dachorganisation aller arkonidischen Geheimdienste

Zarakh’Fam(ii)

Frau/Frauen der Dunkelheit (mystischer Frauenorden)

Zarakhgoth

unzugängliche Dunkelheit (kann mit der terranischen Unterwelt verglichen werden)

Zhdopanda

Hochedle (Anrede für Edle erster Klasse – Herzog/in)

Zayna

abwertend für Behinderte, eine der schlimmsten Beleidigungen

Martyn Hubba

Geboren: 1240 NGZ

Geburtsort: Plophos

Größe: 1,89 Meter

Gewicht: 132 Kilogramm

Augenfarbe: grau

Haarfarbe: grau

Merkmale: fieses, feistes Grinsen; schmieriger Typ

Lebenslauf: Martyn Hubba ist Haushofmeister und Vorabeiter auf dem kaiserlichen Anwesen von de la Siniestro. Er ist für die Bediensteten und extraterrestrischen Sklaven zuständig und peinigt sie mit Genugtuung. Hubba, Familienvater von zwei Kindern, ist schleimig und schmierig, kriecht vor den Oberen und prügelt die Untergebenen. Für Schnaps, Geld und Sex tut er alles, was man ihm befiehlt.
So auch im Sommer 1307 NGZ, als Stephanie de la Siniestro ihn bezirzt und von ihm verlangt, Rosan Orbanashol-Nordment zu töten. Der Plan geht schief und Hubba muss untertauchen.

Joaquin »Joak« Manuel Cascal

Geboren: 3387 Alte Zeitrechnung

Geburtsort: Terra

Größe: 1,92 Meter

Gewicht: ca. 85 kg

Augenfarbe: graublau

Haarfarbe: schwarz

Bemerkungen: Cascal war Oberst der ehemaligen Solaren Flotte, im Jahre 3387 geboren, 1,92 Meter groß, sehr muskulös, kräftige Schultern, schmale Hüften, markantes Gesicht mit hellgrauen Augen und schwarzem Lockenhaar, Schädelplattenimplantat aus Terkonit, das ihn mental stabilisiert. Die Stimme ist tief und wohlklingend.


Ehemals Kommandant eines Leichten Kreuzers der Solaren Flotte, hat sich Cascal wegen angeblichem Howalgoniumschmuggels vor Gericht zu verantworten. Seine Unschuld kann nicht bewiesen werden, er flieht nach erfolgter Verurteilung von Terra und schließt sich den Prospektoren an. Rehabilitierung erfolgt im Jahre 3432 nach tatkräftiger Unterstützung Perry Rhodans während eines Einsatzes auf dem Planeten Astera. Daraufhin kehrt er zur Solaren Flotte zurück und wechselt kurze Zeit später zur Solaren Abwehr, wo er mit wichtigen Spezialaufträgen betraut wird.

Nachdem die Schwarmkrise gelöst wurde, zieht Joak Cascal auf die Welt Exota Alpha, wo auch sein Freund Sandal Tolk lebt. Nachdem die Laren die Milchstraße besetzen, plant Leticron im Jahre 3466 einen Angriff auf die Kolonie. Zuvor erscheint allerdings ein fremdes Schiff, welches dem Volk der Casaro entstammt. Cascal und Tolk verfolgen mit der VIVIER BONTAINER das Schiff und geraten in eine Falle.

Sie sitzen 1400 Jahre in einer Raumzeitfalte fest, bevor sie auf drei Flüchtlinge des Luxusraumers LONDON II treffen, mit deren Hilfe sie die Raumzeitfalte verlassen können. Die VIVIER BONTAINER wird zerstört beim Versuch, die LONDON II aus den Klauen der Casaro bzw. des brutalen arkonidischen Generals Mindros zu befreien. Cascal und Tolk überleben und tragen maßgeblich zur Rettung der LONDON II bei.

Danach nehmen beide Atlans Angebot an, auf Camelot zu dienen. Während des Kampfes gegen die Mordred sind Cascal und Tolk stets auf der TAKVORIAN unterwegs, um den Büros Unterstützung zu geben. Es kommt im Orbit über Stiftermann III zu einem Duell mit der TOBRUK, dem Schlachtschiff von Nummer Drei, Walther Eyke, bei dem Cascal dank des legendären Korum-Khan Manövers die TOBRUK vernichten kann.

Joak Cascal nimmt, ebenso wie sein Freund Sandal Tolk, an der Expedition nach M 100 teil. Neben Aurec und Homer G. Adams stellt er den dritten Expeditionsleiter dar. Während des Fluges verliebt sich Cascal in Nadine Schneider, eine Abgesandte der Superintelligenz DORGON, doch als sich das herausstellt, endet die Beziehung, da Nadine wieder zu der Entität zurückkehrt. Ebenfalls wird Cascals Schlachtschiff, die TAKVORIAN, vernichtet.

Nach der Expedition steht Cascal Rhodan tatkräftig zur Seite und überwacht den Bau des neuen Ultraschlachtschiffes CHRISTOPH COLUMBUS. Der langwierige Bau muss allerdings ohne Cascals Hilfe beendet werden, denn im Jahre 1296 NGZ bricht Cascal zusammen mit vielen Millionen Terranern und deren Kolonisten zur Insel Cartwheel auf, um DORGONS Projekt mitzugestalten.

Cascal wird von Tifflor und auch dessen späteren Nachfolger, dem Marquês de la Siniestro, als Terramarschall eingesetzt. Somit hat Joak Cascal nicht nur den Oberbefehl über die Streitkräfte im Terrablock, sondern ist auch der Stellvertreter des Marquês.

Während der Schlacht im HELL-Sektor 1298 NGZ findet Joak Cascal heraus, dass Cauthon Despair in Wirklichkeit MODROR dient. Doch er kann die Information nicht mehr weitergeben, da er schwer verletzt wird und ins Koma fällt. Er erwacht nicht mehr daraus und stirbt 1303 NGZ angeblich an den Folgen der Verletzung.

1305 NGZ taucht ein ehemaliger Offizier namens Danny Mulder auf, der behauptet, Joak Cascal zu sein. Mulder ist seit der Schlacht im HELL-Sektor in psychiatrischer Behandlung. Es stellt sich heraus, dass Mulder wirklich Cascal ist und sein Gedächtnis und Aussehen manipuliert worden sind. Zusammen mit Kathy Scolar gelingt ihm die Flucht. Er deckt eine Intrige des Quarteriums auf, doch wird er von Despair gefangen genommen und zusammen mit Neve Prometh, die ihm während seiner Flucht behilflich gewesen ist, nach Objursha deportiert.

Nachdem er zusammen mit Anya Guuze und der Mutantin Myrielle Gatto durch die Kemeten Anubis und Horus sowie seinen alten Freund Sandal Tolk befreit wird, verändert sich das Wesen des Terraners. Vor allem nach den Ereignissen um den falschen Planeten Wanderer wird aus dem ehemals lebensbejahenden, charmanten Draufgänger ein düsterer Grübler, der nur noch ein Ziel kennt: Rache am Quarterium.

Ab Mitte des Jahres 1307 NGZ kehrt Cascal in den aktiven Dienst der LFT zurück und übernimmt den Oberbefehl über die 777. Raumeingreifdivision im Range eines Generals. Sein Flaggschiff wird der INVINCIBLE II-Kreuzer DERINGHOUSE.

Seryklya ta Helonk

Geboren: 1276 NGZ

Geburtsort: unbekannt (Iprasa?)

Größe: 1,89 Meter

Gewicht: 76 Kilogramm

Augenfarbe: rot-golden

Haarfarbe: weiß mit vom Standard abweichenden goldenen Strähnen

Merkmale: Typische Schönheit hochgestellter Arkonidinnen, die durch die abweichende Augen- und Haarfarbe sehr exotisch wirkt. Setzt ihr Aussehen skrupellos ein, um ihre Ziele zu erreichen. Verfügt über eines der größten Privatvermögen des Huhany’Tussan und ist in den klassischen arkonidischen Kampfdisziplinen auf Meisterebene ausgebildet. Sehr eng mit Bostich verbunden, tritt oft als seine persönliche Bevollmächtigte auf, wenn keine diplomatische Lösung angestrebt wird.

Lebenslauf: Seryklya wird als uneheliche Tochter Admor ta Helonks, dem Cel’Mascant der Tu-Ra-Cel, geboren. Ihre Mutter bleibt offiziell unbekannt, jedoch besagen Gerüchte, dass ihre Mutter eine Priesterin der Zarakh’Famii gewesen sei. Ihr Vater kommt 1289 NGZ während der Kämpfe gegen die Kristallkamarilla ums Leben.
Um ihren Vater zu ehren, der ein enger Vertrauter Bostichs war, wird Seryklya als persönliches Mündel unter den Schutz des Imperators gestellt und genießt eine erstklassige Ausbildung. Im Alter von vierzehn Jahren verschwindet sie aus der Öffentlichkeit und wird wahrscheinlich zur Kralasenin ausgebildet. Weitere Gerüchte besagen, dass sie während dieser Zeit ebenfalls zu einer Zarakh’Fam des Zarakhgoth-Ordens wurde.
Nachdem alle erbberechtigten Nachkommen ihres Vaters ums Leben gekommen waren, kehrt sie 1299 wieder an den Kristallpalast zurück und übernimmt durch ein entsprechendes Edikt Bostichs als Ta-moas das Khasurn ihres Vaters. Daran anschließend folgt ein kometenhafter Aufstieg an der Seite des Imperators, der sie zu seiner Vertrauten, seinem persönlichen Schatten mit umfassenden Vollmachten macht.


Alles in allem kann vermutet werden, dass sie äußerst gefährlich und so etwas wie Bostichs persönliche Henkerin gegenüber dem Hochadel darstellt.

Overdark

Bei Overdark handelt es sich um einen der geheimnisvollen Dunkelplaneten im Halo der Milchstraße, die von den Posbis als Werftplaneten genutzt werden. Overdark stellt dabei, nach Aussage der nach menschlichem Vorbild geformten Posbi Waratu, einen der Knotenpunkte im Werftnetzwerk der Posbis dar.

Das Zentralplasma der Hundertsonnenwelt stellt der LFT die Werftkapazität des Planeten zur Verfügung, um die 8. Terranische Flotte völlig neu aufzubauen. Dabei wird ein modifiziertes Relativfeld benutzt, das den Planeten ca. sechs Monate in die Vergangenheit versetzt und dabei eine eigene Nebenrealität bildet. Diese Nebenrealität verschmilzt nach Ablauf der sechs Monate wieder mit der Hauptrealität, wobei alle Änderungen der Nebenrealität übernommen werden. Das bedeutet, wenn beispielsweise die Zeit in dieser Nebenrealität dazu genutzt wird, um Schiffe zu bauen, stehen diese nach Ablauf der Zeit in der Hauptrealität zur Verfügung.

Pearl (NGC 147)

NGC 147 ist die Bezeichnung einer Zwerggalaxie im Sternbild Cassiopeia. NGC 147 hat eine Winkelausdehnung von 13,2’ × 7,8’ (Bogenminute) und eine scheinbare visuelle Helligkeit von +9,6 mag. Sie ist eine Begleitgalaxie der Andromeda-Galaxie und bildet zusammen mit NGC 185 ein Paar.


Absoluter Durchmesser: 10.000 Lichtjahre

Entfernung Andromeda: ca. 350.000 Lichtjahre

Entfernung Milchstraße: ca. 2.300.000 Lichtjahre


Jenmuhs übernimmt die bisher strategisch unbedeutende Zwerggalaxie NGC 147, die den Namen Pearl erhält, im Sommer 1307 NGZ für das Quarterium.

Innerhalb der Galaxie gibt es keine technisch hochstehenden Zivilisationen. Vorhandene Stützpunkte der Maahks werden durch brutale Vernichtungsschläge eliminiert. In einem System eines blauen Riesen wird ein Werftplanet eingerichtet, der später mit einem speziellen Entsorgungslager verknüpft werden soll.

Freyt-Kompanie

Die Freyt-Kompanie besteht aus 250 Soldaten, unterteilt in fünf Züge. Die Hierarchie sieht wie folgt aus:


Oberbefehlshaber der Freyt-Kompanie: Captain Daniel Ellroy

Stellv. Kommandant: Captain Will Dean

1. Zug: Leutnant Remus Scorbit

2. Zug: Leutnant James G. Metar

3. Zug: Leutnant Lewy Nyks

4. Zug: Leutnant Padryk Wyndsar

5. Zug: Leutnant Carry-Ann Despon


Eine RED-Kompanie, wie beispielsweise die Freyt-Kompanie, kann auf zweierlei Weise eingesetzt werden:

  • Zentraler Transport der gesamten Kompanie durch die beiden Landungsfähren. Die Shifts landen dabei eigenständig oder werden durch eine weitere Landungsfähre an den Einsatzort gebracht.
  • Dezentraler Transport, d. h. Aufteilung der gesamten Kompanie auf die Standard- und Jagdshifts, die dann eigenständig am Einsatzort landen.

Zu beachten ist, dass auch kombinierte Einsatzszenarien möglich sind. Die zu jeder Kompanie gehörenden MODULA-Roboter werden entweder durch die Fähren befördert, an den Shifts angedockt oder landen und operieren selbstständig.

INVINCIBLE II-Klasse

Die INVINCIBLE II-Klasse wurde als Angriffskreuzer mit überschwerer Bewaffnung konzipiert.

Abmessungen: 260 Meter Durchmesser ohne Roll-on/Roll-off-Hangar (RoRo-Hangar) und Ringwulst

Besatzung: Stamm 180 Personen, maximal 1400 Personen.

Offensiv-Bewaffnung: 1 Vierlings-Transformkanone (jeweils 6000 Gt. Abstrahlleistung), 8 Transformkanonen (jeweils 3000 Gt. Abstrahlleistung), 24 Transformkanonen (jeweils 1000 Gt. Abstrahlleistung), 12 Konstantriss-Nadelpunkt-Kanonen, 84 MVH-Geschütze (Desintegrator/Impuls), 16 schwere Paralysegeschütze, 120 überlichtschnelle Raumtorpedos, 1200 Lenkwaffen für planetare Ziele

Defensiv-Bewaffnung: vierfach gestaffelter - und fünffacher Paratronschirm, Prallschirm, Virtuellbildner, Deflektor

Antrieb: Metagrav (max. Beschleunigung: 1450 km/s², erreichbarer ÜL-Faktor: 105 Mio.), Antigrav

Energieversorgung: 1 Hypertropzapfer, 2 Gravitraf-Ringspeicher, 1 Gravitraf-Nebenspeicher, 2 Nug-Schwarzschild-Reaktoren

Beiboote: 2 30-Meter-Minor-Globes, 4 25-Meter-Space-Jets

»Planet-War«-Konfiguration: 50 NIMROD II-Raumjäger, 20 Raumfähren

»Deep-Space«-Konfiguration: 300 NIMROD II-Raumjäger

Besonderheiten: Der Durchmesser des Schiffkörpers wurde gegenüber dem Vormodell geringfügig vergrößert, um Platz für eine komplett ausgerüstete Raumlandeeinheit zu gewinnen, zu deren Unterstützung bis zu 500 MODULA-Roboter eingelagert werden können. Bei der »Deep-Space«-Variante wird dieser Raum für die 300 NIMROD II-Raumjäger genutzt.


Ein wesentliches Merkmal dieser Klasse sind die genormten Komplett-Metagrav-Triebwerke, die als vollständige Module binnen dreißig Minuten ausgetauscht werden können. Ebenso können weitere Schiffssektionen bei Bedarf komplett ausgetauscht werden.

Das rein offensiv ausgelegte Schiffsdesign kommt in der für einen Kreuzer wohl einmaligen Bewaffnung und den überragenden Leistungswerten hinsichtlich Beschleunigung und ÜL-Faktor zum Ausdruck. Eine weitere Besonderheit stellt die taktische Angriffsfähigkeit gegenüber planetaren Zielen und Raumstationen dar.

Allgemeine Beschreibung

Die INVINCIBLE II-Klasse stellt in technologischer Hinsicht den Höhepunkt der terranischen Raumschiffstechnik vor Beginn der Hyperimpedanz dar. Die Konzeption dieses Schiffstyps war die Antwort der LFT auf eine zunehmend aggressive Außenpolitik des arkonidischen Kristallimperiums.

Durch fortschrittliche Mikrotechnologie wurde es möglich, diese Schiffsklasse in einem Maße zu armieren und auszurüsten, dass sie gegenüber viel größeren Schlachtkreuzern und selbst Schlachtschiffen bestehen konnte. Dazu kam, dass faktisch zum ersten Mal innerhalb der terranischen Flottenpolitik ein rein offensives Schiffsdesign verfolgt wurde. Aus diesem Grunde wurde auch von einer ausgeprägt modularen Bauweise (z. B. RoRo-Hangar) abgesehen und nur auf eine strikt redundante Konstruktion der wichtigsten Komponenten Wert gelegt.

Ergebnis war der hinsichtlich des Verhältnisses von Tonnage zu Kampfkraft schlagkräftigste Schiffstyp, der je eine terranische Schiffswerft verlassen hat. Man kann diese Klasse wohl als eine nie wieder erreichbare Kombination aus der Schnelligkeit und Wendigkeit eines Kreuzers mit der Kampfkraft eines Schlachtschiffes bezeichnen. Die ersten Schiffe wurden nach 1306 NGZ in Dienst gestellt. Zur aktuellen Handlungszeit (1307 – 1310 NGZ) kann dieser Schiffstyp als modern, vielseitig und äußerst schlagkräftig angesehen werden.


In der 8. Terranischen Flotte werden Kreuzer der INVINCIBLE II-Klasse in zwei Bauformen eingesetzt:

  • Deep-Space
  • Planet-War

Beide Bauformen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der taktischen Angriffsfähigkeit gegenüber planetaren Zielen. Die »Deep-Space«-Variante hat gegenüber dem »Planet-War«-Design keine Raumlandeeinheiten an Bord, dafür jedoch eine weit höhere Zahl von Raumjägern.

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