Was bisher geschah | Hauptpersonen des Romans |
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Dezember 1306 NGZ. Die Galaxien befinden sich seit dem Angriff der Dorgonen auf Siom Som im Februar 1305 NGZ vor fast zwei Jahren im Krieg: Das Quarterium und das Kaiserreich Dorgon stehen gegen die Allianz der Saggittonen, Akonen, Estarten und USO-Agenten. Kaum einer weiß von den Machenschaften, die den Emperador de la Siniestro mit MODROR verbinden, jener negativen Entität, die für alle Untaten verantwortlich zu sein scheint. Während MODROR einen absoluten Krieg auch gegen die Liga Freier Terraner fordert, will der Emperador keine Feindschaft mit Perry Rhodan. Er fürchtet den Unsterblichen, sucht nach Alternativen und lädt deshalb Perry Rhodan und seinen Sohn Roi Danton zu einer privaten Weihnachtsfeier mit der Familie de la Siniestro ein. Reginald Bull und der Mausbiber Gucky sind ebenfalls seine Gäste. Während in der Winterresidenz de la Siniestros dicke Luft herrscht, suchen vier junge Gannel und ein fanatischer Professor NISTANTS SCHATTEN … |
Mashree – Der Riffspäher. Daccle Dessentol, Secc Grindelwold, Lariza Bargelsgrund, Wilzy Wltschwak – Vier gannalische Kinder mit reinem Herzen. Emperador Don Philippe de la Siniestro – Der Spanier verfolgt ein bestimmtes Ziel. Orlando, Brettany, Peter, Stephanie – Die Kinder de la Siniestros. Cauthon Despair – Der Silberne Ritter hasst Weihnachten. Perry Rhodan – Der Terranische Resident freut sich gar nicht auf Weihnachten. |
Tränen der Gefangenschaft
Zerstörung kann wunderschön sein!
Sehr oft hatte Nistant das gesagt während der Zeit seines Zorns. Zuletzt stimmten wir ein. Zerstörung konnte wunderschön sein. Ein konstruktives, kreatives Werk der Apokalypse, gut geplant, sorgsam durchgespielt, glich einem Schachspiel: Aufgebaut, arrangiert und in Position gebracht, ehe es im großen Inferno verging.
Danach entstand Neues. Vernichtung um des Erschaffens willen.
Völker gingen unter. Sie erhoben sich zu neuer Blüte ihrer Zivilisation, nur um nach der Vernichtung ihrer Gesellschaften wieder unterzugehen. Wesenheiten, Gebäude, Berge, Kontinente, Planeten – sie vergingen, um neu erschaffen zu werden. Wir waren dabei.
Es war so lange her.
Wie lange dauerte das Leben? Diese Frage hatten wir uns während der Jahrmillionen oft gestellt. Damals war es noch erträglich gewesen, damals gab es das »wir«. Nun existierte nur das »ich«. Allein. Einsam. Verloren. Seit Millionen von Jahren und länger.
Unendlichkeit war ein relativer Begriff. Wann fing sie an und wann endete sie? War das eigene Leben an sich eine Unendlichkeit, wenn es nach Jahrmillionen endete?
Wie lange konnte man ein Leben ertragen? Gierte manch ein einziges, kurzes Leben doch schon nach seinem vorzeitigen Ende. Doch unser, meines, unser – Leben – es war so lang. Unermesslich lang und doch nicht unendlich. Endete es jemals?
Ich wusste es nicht.
Mama, lass das Licht an – ich komme nach Hause!
Hörst du die Klänge der Glückseligkeit? Die Harfen der Lilituu?
Früher hörte ich sie. Als ich mir vorstellte, ich besäße die Mutter, die ich niemals hatte. Damals, vor Äonen, vor unermesslichen Ewigkeiten.
Gefangen!
Die Gedanken laufen im Kreis, die Gedanken sind wirr … haltlos! Rastlos! Verloren! Verloren wie ich selbst.
Wer war ich? Wusste ich das eigentlich noch? Welch Pein wir durchlebten und erduldeten. Über Jahrmillionen. Inhaftiert in dem Ewigen Gefängnis der sogenannten Wesen der Ordnung und der Gerechtigkeit.
Das war Ordnung? War sie es wert? Jeder Chaotarch vermochte Ordnung zu stiften, um seine Armeen zu disziplinieren. Und jeder Galaxienzünder der Kosmokraten brachte Chaos und Tod.
Das war so relativ. Wie die Zeit. Wie die Ewigkeit.
Meine Gedanken schweiften ab. Zurück in eine ferne, längst vergangene Epoche, die dennoch hell in meinen Erinnerungen flammte.
Thol! Der Planet Thol. Der Ursprung der Arche, vor Jahrmillionen von Jahren. Ich bildete mir ein, den Duft der Blumen zu riechen. Süßduftend war er. Ich stand auf dem sanften Hügel und blickte auf das brausende Meer hinab. Zu meiner Rechten erstreckte sich der Kiefernwald bis hin zum spärlich erleuchteten Dorf. Es war Nacht, die meisten schliefen.
Ich aber stand dort oben und sprang hinab. In den ersten Sekunden drehte sich mein Magen um sich selbst, dann stoppte der Fall und ich segelte über den Baumwipfeln. Ich schlug mit den Flügeln, korrigierte hastig den Kurs, ehe ich den Dreh heraus hatte. Ich wendete, schlug erneut, glitt elegant über die Baumkronen hinweg und war so frei, wie man nur sein konnte. Und das obwohl er, nein, wir, auf Thol Gefangene waren.
Und ich hörte erneut die Harfen. Waren es meine Erinnerungen oder die des Nistant? Es war schwer zu sagen, denn wir waren eins. Oder doch Dreifaltigkeit? Oder gar ein Quartett? Was wohl aus NACHJUL wurde?
Die Harfentöne verband ich mit Liebe, nicht Hass. Ajinah, Nistants geliebtes Weib! Doch hatte nicht gerade sie unsäglich viel Leid und Hass verursacht und Nistant zu einer Gewalt angespornt, die das Universum in entsetzte Starre versetzt hatte, so vernichtend, dass die Hohen Mächte sich veranlasst sahen, ihn und uns zu verbannen?
Wie lautete Nistants Wahlspruch zu jener Zeit?
Kein Grab, welches meinen Körper halten kann.
Kein Totenwächter, der meine Seele im Grab halten kann.
Und Nistant behielt einst recht. Er lag in Gräbern, hob sie aus, schlief darin. Seine Gefährten waren die Gebeine Verblichener, der Geruch der Verwesung sein Begleiter, seine Kuscheltiere aasfressende Ratten.
Er sah sie sterben. Er begleitete sie im Leben und im Tod. Lebte und starb mit ihnen, um aus der modrigen Erde wieder aufzuerstehen.
Selbst mit seiner geliebten Ajinah wollte er nach ihrem Tod auf diese Weise verbunden bleiben.
Ihre blauen Augen so klar und so tot.
Ihr goldenes Haar seidig, ganz wie im Leben.
Längst vergangen ist das. Ob auch an mir Würmer nagten? Oh, ich schätzte nicht, denn dann wären sie schon längst fertig mit mir. Mein Gefängnis bestand aus Stase, dem konservierenden Gefängnis eines ewigen Schlafes. Doch mein Unterbewusstsein rebellierte. Es war ein Flug am Ereignishorizont eines Schwarzen Loches, jede falsche Bewegung führte zum Ende. War mein Unterbewusstsein zu wach, würde ich wahnsinnig werden ob der Ewigkeit der Inhaftierung. Ruhte es zu sehr, drohte ich in den endlosen Schlaf des Vergessens zu gleiten.
Das durfte nicht geschehen. Niemals.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Flug. Ich flog über den Kiefernwald, erreichte die mit Reet bedeckten Dächer der Spitzhäuser und landete sanft hinter einer Statue auf dem Turm des Tempels.
Ich blickte darnieder auf ein kleines Völkchen in Primitivität. Sie waren nicht die ersten Siedler gewesen und würden auch nicht die letzten sein. Sie lebten und sie starben. Das Dorf zerfiel zu Staub und wurde neu errichtet. Der Lauf der Dinge. Für ein einfaches, sterbliches Geschöpf nicht überschaubar.
Für uns schon.
Denn wir blieben!
Thol war nun weit weg.
Und doch war ich hier. Irgendwo gefangen im Kosmos. Wo waren Nistant und Brok’Ton, meine Brüder, meine Väter, meine Mütter, wo waren sie?
Es war hoffnungslos. Ich blieb in Ewiger Dunkelheit gefangen. Der einzige Trost: Ich – nein wir – hatten schon eine Verbannung überstanden. Doch diese war ungleich länger, auch wenn ich Jahrmillionen geschlafen hatte. Sie war so lang, dass ich nicht mehr die genaue Jahreszahl zu sagen vermochte.
Was war aus dem Resif-Sidera geworden, was aus seiner Bestimmung? Hatten die Lilituu es vernichtet? Unvorstellbar, doch in jedem wachen Moment stellte ich mir jene Frage. Hatten sie unser Werk vernichtet? Unsere Heimat seit jenen Tagen auf Thol? Vernichtet von diesen Hexen?
Würde ich es jemals erfahren? Würde sich jemand erbarmen und mich befreien oder endgültig von meinem Dasein erlösen?
Falls nicht, so blieb mir doch nur noch, geduldig auf die Erfüllung von Nistants Spruch zu hoffen …
Kein Grab, welches meinen Körper halten kann.
Kein Totenwächter, der meine Seele gefangen halten kann.
Erkundungen
Mashree starrte unentwegt auf die Anzeigen. Jedes Detail verinnerlichte er. Er merkte sich jeden neuen Stern, jedes Ergebnis der Abtastung. Alle Informationen waren wichtig für sie. Je mehr Erkenntnisse er über die neue Welt sammelte, desto besser.
Der Riff-Späher hatte eine Aufgabe: die neue Welt zu erforschen. Er sollte potentielle Gefahren erkennen und analysieren. Seine beiden Begleiter fertigten Dossiers über die Völker, die wichtigsten Planeten, die Politik und das Militär an. Alle Erkenntnisse wurden dann zum Rideryon zurückgebracht und der Hohepriesterschaft von Nistant überreicht.
Dann würden die Priester entscheiden, wann der Bevölkerungsaustausch beginnen würde. Die Manjor würden die Armee mobilisieren, ihren Glauben beschwören. Dies geschah nur alle paar hunderttausend Chrons. Immer, wenn Bewohner Rideryons zu einer neuen Welt entsandt wurden, um sie zu bevölkern und im Austausch die Einwohner dieser Welt auf dem Resif-Sidera eine neue Heimat fanden.
Die Armee der Alten würde die Angelegenheiten mit den Einheimischen regeln. Für den Fall, dass die Ureinwohner Siom Soms mit dem Austausch nicht einverstanden waren.
Die uralten Raumschiffe lagerten tief unter Amunrator, Flotte um Flotte. Ausgewählte Manjor, Harekuul, Gannel und Buuraler bildeten bei Mobilisierung die Besatzungen.
Ob es früher sogar zu Kriegen gekommen war, wusste Mashree nicht. Die letzte Kolonialisierung des Resif-Sidera lag lange zurück. Vor rund 130.000 Chrons waren sie das letzte Mal in einer fremden Galaxie gewesen. 130.000 Chrons hatten sie benötigt, um diese Galaxie hier zu erreichen. Natürlich lebte niemand mehr aus dieser Zeit. Wenn man den Durchschnitt aller Völker nahm, lebte ein Rideryone, wenn es hoch kam, vielleicht sechzig Chrons. Mashree selbst war gerade mal erst siebzehn Chrons alt.
Borgelund war mit vierundzwanzig Chrons der Älteste unter ihnen. Mashree musterte den Tashool, einen Vertreter der ältesten Geschöpfe auf Rideryon. Zwei Stummelbeine, ein wuchtiger Körper, zwei Arme und dann der lange Hals, an dem sich Mund, Nase und Ohren befanden, und dessen Ende sich in fünf Stielaugen aufteilte.
Die sogar erst vierzehn Chrons junge Wedyyrk war eine Fithuul. Ihr Volk war sehr sportlich und agil. Sie besaß zwei Herzen und drei Lungen. Jedes ihrer Organe war doppelt vorhanden. Ihre Kraft sah man der hundertfünzig Zentimeter kleinen Fithuul nicht an. Grazil stand sie auf ihren beiden knochigen Beinen. Die Fithuul waren dürr, aber sehr stark. Durch ihre transparente Haut sah er jedes Organ. Ihr haarloser Kopf wurde von den zwei schwarzen Augen beherrscht. Die feine Nase und der kleine Mund fielen dagegen kaum auf. Fithuul besaßen nicht nur eine hervorragende Kondition, sie waren auch hervorragende Forscher. Weddyrk war für die Wissenschaft zuständig, Borgelund für den Kampf und die Verwaltung, so seltsam das klang. Und die Harekuul, zu denen er gehörte, waren geborene Anführer. Sie vereinten Entscheidungskraft, Führerschaft und die nötige Intuition, die man für eine solche Aufgabe benötigte.
»Wir erreichen jetzt den Randbezirk von Siom Som«, meldete W-XP-SP2. Darauf hatte Mashree die ganze Zeit gewartet.
»Analyse bitte.«
Eine Reihe an Daten wurde ihm übermittelt. Endlich! Die spärlichen Informationen von unbemannten Raumsonden waren wenig hilfreich gewesen. Siom Som, Hauptvolk Somer. Die Somer waren vergleichbar mit den Flatroor. Mashree hoffte, dass W-XP-SP2 mit Hilfe von Wedyyrk schnell eine ganze Datenbank an Informationen anlegen würde.
*
»Seht nur diese Sterne! Sind sie nicht wundervoll? Wir nähern uns in großen Schritten Siom Som!«
Professor Wackls starrte wirr aus dem Raumschiff. Hastig kontrollierte er die Anzeigen und tippte – so schien es Daccles – wahllos auf den Tasten und Pads herum.
»Ich will wieder nach Hause!«, forderte Lariza.
»Wir werden alle sterben …«, winselte der Dritte im Bunde.
»Ruhe, Wilzy«, herrschte Secc ihn an. »Professor, das gibt großen Ärger für uns. Wir sollten eigentlich schon zu Hause sein, statt durch das Weltall zu fliegen.«
Wackls lachte hysterisch. Irgendetwas daran störte Daccle. War er wirklich aufrichtig zu ihnen? Das Ganze kam ihm immer weniger wie ein Zufall vor.
»Lariza, ich brauche dich jetzt«, sagte er plötzlich. Er packte Larizas Arm und zog sie zu sich. »Setz dich auf den Sessel …«
Sie tat, was ihr befohlen wurde. Aus der Decke senkte sich eine Haube herab. Sie erschrak, doch der Professor beugte sich beschwichtigend vor. »Du musst keine Angst haben«, versicherte er. Die Haube stülpte sich langsam über ihren Kopf.
»Lariza, du hast besondere Gaben. In dir schlummern die seltenen Gene der alten Hexen. Du bist sehr empathisch. Diese Fähigkeiten benötige ich.«
»Aber das sind doch viele von uns Gannel«, wehrte sie sich. Doch Daccle war sich sicher, dass sie es genoss, als etwas Besonderes bezeichnet zu werden.
»Ich habe noch keine mit so ausgeprägten Sinnen erlebt wie dich. Deshalb beobachte ich euch schon lange. Es ist nicht durch Zufall geschehen, dass ihr hier gelandet seid und dein Onkel Rusus, Secc, immer von mir geschwärmt hat. Der nackte Prediger mit dem Hut hat mich bestens instruiert. Ja, der Mann mit dem Hut. Der Prediger hat es gesagt. Ihr alle vier seid sehr wertvoll. Ich bereite mich schon seit Jahren auf diesen Moment vor. Auf den Moment, in dem wir Siom Som erreichen …«
Daccle war wie vor den Kopf gestoßen. Was hatte das alles zu bedeuten? Wieso wusste Wackls so viel über die neue Welt? Er hatte gedacht, dass nur die Hohepriester von Nistant und der Späher Mashree Informationen über die neue Welt besaßen. Und wer war dieser ominöse nackte Prediger mit dem Hut?
»Spürst du etwas?«
Lariza schüttelte den Kopf.
»Nun«, sagte Wackls geduldig. »Dann werden wir warten. Du musst dich konzentrieren und auf einen Impuls warten.«
»Wonach suchen wir denn?«, fragte Secc.
Wackls antwortete nicht. Er tat, als sei er beschäftigt. Daccle glaubte kein Wort. Der Professor saß wieder an seinem Pult und kontrollierte die Displays.
*
Mashree beobachtete, wie Borgelund und Wedyyrk emsig arbeiteten. Er kam sich beinahe etwas überflüssig vor, denn im Moment tat er nichts, außer ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. Seine Zeit würde später kommen, wenn es an die Auswertung der Daten ging und er Entscheidungen fällen musste. Aufmerksam achtete er darauf, dass sie unentdeckt blieben. Ihr Tarnfeld sollte für die einheimische Bevölkerung ausreichen. Zumindest hatte es das in den Äonen zuvor immer getan. Wenigstens sagte Zigaldor dies, der weise Hohepriester von Nistant. Zigaldor war mehr als eintausend Chrons alt. Ihm wurde durch Nistants Gunst ein langes Leben gewährt. Doch selbst Zigaldor war bei der letzten Kolonisierung nicht dabei gewesen.
Die ersten Informationen strömten in Form von Bildern und Texten auf seinen Bildschirm. Das Sternenreich Siom Som gehörte zum Kaiserreich Dorgon und dem Quarterium der Lemurabkömmlinge. Siom Som, bis vor einem halben Chrons noch im unabhängigen Galaxienverbund »Estartische Föderation«, war demnach eine Kolonie. Das erschwerte ihr Unterfangen gewaltig. Offenbar wurde Siom Som gewaltsam unterworfen. Das bedeutete, dass die Reiche Dorgon und Quarterium militärisch gut gerüstet waren.
Mashree las die weiteren Informationen. Anscheinend war die politische Lage hier mehr als kompliziert. Demnach beherrschten Dorgon und das Quarterium gleichermaßen die fünf Galaxien Siom Som, Trovenoor, Abshanta-Schad, Absantha-Gom und Erendyra. Die Dorgonen waren allerdings nun dabei, die Rechte der Einheimischen zu verbessern. Offenbar gab es widersprüchliche Ansichten des Herrscherpaares Commanus und Arimad. Das Quarterium schien keine beliebte Besatzungsmacht zu sein. Es gab Widerstand: Eine Handvoll Rebellen aus den einheimischen Völkern und den Saggittonen sowie Akonen, Völker aus einer Galaxis namens Cartwheel und anderswoher. Die Angaben waren nicht eindeutig. Offenbar stammten die Akonen aus der Galaxie namens Milchstraße.
Mashree erfasste die Situation schnell. Sie waren mitten in einen Krieg geraten.
Der Name Estartu kam von einer gleichnamigen Superintelligenz, die offenbar die Beherrscherin der Galaxien war. Wo steckte sie? Mashree fand es interessant, dass diese Wesen offenbar Superintelligenzen, Kosmokraten und Chaotarchen kannten. Vor einigen hundert Chrons hatte es in den estartischen Galaxien eine Auseinandersetzung um das Kosmonukleotid DORIFER gegeben. Die korrekte Bezeichnung war DORIICLE-2, da es Bestandteil des Kosmogens DORIICLE war.
Offenbar hatten die Hohen Mächte Einfluss auf diese Wesen. Mashree spürte, dass sie in einer wichtigen Galaxis gelandet waren. Es musste weise Voraussicht ihres Gottes Nistant gewesen sein, dass er dieses Ziel ausgewählt hatte.
Nichtsdestotrotz – es schienen weder Kosmokraten noch Chaotarchen in Siom Som zu wirken. Die Frage war nur, ob die Völker in ihrem Sinne dienten? Es wäre übel, wenn während der Kolonisierungsphase plötzlich eine Kosmokratenarmee den Einheimischen zu Hilfe eilte. Doch Mashree bezweifelte dies, denn dann hätten die Hohen Mächte den Estarten bereits beim Angriff der Dorgonen geholfen.
»Borgelund, hast du schon etwas über die Regierung herausgefunden? An wen müssen wir uns wenden?«
Borgelunds Augen stellten sich in die Höhe.
»Die Galaxis Siom Som wird von Kaiser Commanus und Emperador de la Siniestro regiert. Sie haben natürlich auch Statthalter. Für die Dorgonen ist es der Bruder des Kaisers, Elgalar. Das Quarterium hat den Quarteriumsfürsten Leticron als Regenten eingesetzt. Die Einheimischen beanspruchen dennoch den Thron für sich selbst. Der Somer Sruel Allok Mok wird allgemein als Herrscher der estartischen Rebellen bezeichnet. Ihm steht ein Saggittone namens Aurec zur Seite.«
Mashree scharrte mit seinen Hufen. Er hatte befürchtet, dass alles kompliziert war. Das hier war sehr kompliziert. An wen sollten sie sich zwecks der Kolonisierungsgespräche denn nun wenden? Welche Regierung war rechtmäßig? Eigentlich waren es die Rebellen, doch offenbar kontrollierten sie nur noch wenige Bereiche.
»Wo befinden sich Kaiser Commanus und Emperador de la Siniestro?«, wollte Mashree wissen.
Wedyyrk hatte die Antwort parat: »Commanus residiert in der Galaxis Dorgon, rund 4,4 Megaparsec von hier entfernt. Der Emperador de la Siniestro wohnt in der Galaxis Cartwheel, rund 168 Megaparsec von Siom Som entfernt, jedoch mit einem gigantischen Transmitter namens Sternenportal erreichbar.«
Beide waren zu weit weg. Vielleicht sollten sie den Kontakt zu den Statthaltern suchen. Irgendjemand musste ja schließlich über die kommende Ankunft des Riffs benachrichtigt werden. Die Riffaner wollten keinen Krieg. Sie wollten einfach nur die paar Billiarden Lebewesen in den Galaxien absetzen und damit neu bevölkern. Was hier erschwerend hinzu kam, war die Tatsache, dass sehr viele Völker hier noch lebten. In den anderen Galaxien – zumindest den Legenden nach – gab es kaum noch Leben. Da schenkte das Riff neues Leben.
»Moment mal«, rief Wedyyrk aufgeregt. »Ich habe gerade die aktuellsten Einträge durchsucht. Demnach heißt es in der quarterialen Presse, dass der Emperador mit seiner Familie eine Feierlichkeit namens Weihnachtsfest in Siom Som verbringt. Sein Aufenthaltsort wird allerdings geheim gehalten. Er trifft sich dort mit dem führenden Staatsmann der Milchstraße, Perry Rhodan.«
Das änderte vieles. Nur, wie sollten sie den Standort herausbekommen? Mit ihrer Ortung konnten sie die halbe Galaxis abtasten, doch nach was sollten sie suchen?
»Findest du in den Datenbanken der Einheimischen oder Quarterialen Genmuster?«
Borgelund hackte sich ein. Dabei stieß er einen Fluch nach dem anderen aus. Die quarterialen Systeme waren hervorragend geschützt. Weniger Probleme hatte er, die Datenbanken der Somer zu knacken. Sie waren altertümlich und verfügten nur über lächerlichen Schutz. Zumindest gemessen an der Technologie der RYDOM, die aus alten Zeiten stammte. Trotzdem …
»Nichts!«
Mashree fluchte und schlug mit der Faust auf den Tisch. Sie waren so nahe dran.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Wedyyrk.
Mashree dachte nach. Irgendetwas hatte er übersehen. Es durfte doch nicht so schwer sein, diese Wesen zu finden. Zuerst suchte Mashree den Startpunkt. Das Raumschiff des Emperadors de la Siniestro war aus der Galaxis Cartwheel gekommen. Die einzig logische Möglichkeit war das Sternenportal. Doch wohin dann?
»Wenn der Ort nicht offiziell bekannt gegeben wurde, dürfte er nur spärlich besiedelt sein. Dennoch wird eine Station des Quarteriums dort sein«, meinte Wedyyrk.
Borgelund fing an zu analysieren. Nach einigen Zeiteinheiten spuckte W-XP-SP2 das Ergebnis aus.
»Da wären nur noch tausenddreihundert spärlich besiedelte Systeme mit kleinen, quarterialen Stützpunkten …«
Borgelund seufzte, doch Mashree gab nicht auf. Weihnachten! Sicher gab es Traditionen zu diesem Fest … Er rief sich allgemeine Informationen über diesen Feiertag auf.
»Sie wollen das Weihnachtsfest sicher idyllisch verleben. Menschen bevorzugen Schnee zu dieser Zeit. Filtere die Welten aus, auf denen Schnee liegt.«
Wedyyrk tat dies. Mashree hoffte, dass die Datenbanken der Somer komplett waren. Borgelund arbeitete immer noch daran, eine Datenbank der Quarterialen zu knacken. An der Stellung seiner Augen sah Mashree, dass er erfolglos blieb.
»Es sind noch fünfhundertneunzehn Welten, wo man für menschliche Verhältnisse dieses Weihnachten stilecht feiern könnte. Wüstenwelten, Gasriesen oder Welten mit giftiger Atmosphäre für die Sauerstoffatmer habe ich aussortiert«, berichtete die Fithuul.
Das waren immer noch zu viel. Selbst mit ihrem Triebwerk der »Absoluten Bewegung« würde es lange dauern. Doch auf der anderen Seite hatten sie genug Zeit, um diese Kreaturen zu studieren.
»W-XP-SP2, entsende Roboter zu den fraglichen Welten. Das dürfte die Suche beschleunigen. Ebenfalls sollen Sonden die Gebiete untersuchen, die außerhalb unserer Reichweite liegen. Nur zur Sicherheit, falls die Datenbanken der Somer nicht stimmen …«
»Oder es geheime quarteriale Stützpunkte gibt. Davon ist mit Sicherheit auszugehen«, meldete der Roboter.
Mashree seufzte.
»Wir suchen einfach weiter!«
Die Gedanken in der Ferne
Ich höre sie. Ich fühle ihre zarten, unschuldigen Gedanken. So rein, so jung, so verängstigt. So rideryonisch! Oh ja, das vermag ich aus der Ferne schon zu beurteilen. Es muss auch so sein. Alles andere wäre doch ein Hohn.
Hilf mir, kleine Rideryonin. Hilf mir. Höre meinen stummen Schrei! Erhöre Cul’Arc!
*
Daccle war in Sorge. Lariza fühlte sich offensichtlich nicht wohl unter der Haube. Sie zuckte, ihr Gesicht war schmerzverzerrt.
»Gut, gut. Sie spürt etwas …«
»Ja, ich fühle Lebewesen. So viele in meinem Kopf. Es ist unerträglich. Es tut weh!«
»Hören Sie auf damit, Professor«, forderte Daccle, doch Wackls schien das nicht zu kümmern. Er tippte etwas auf seiner Konsole ein. Larizas Gesichtsausdruck wurde entspannter.
»Ich habe die Sensorhaube neu justiert. Die hiesigen Lebewesen spielen nun keine Rolle mehr. Lariza, du sollst etwas Bestimmtes aufspüren.« Wackls kramte einen Datenkristall aus einer Schatulle. Er hielt den Speicher ehrfürchtig in die Luft.
»Auf diesem uralten Speicher sind Muster von Lebensimpulsen gespeichert. Diese gilt es zu finden.«
Er steckte den Kristall in die Peripherie des Zentralrechners.
»Hat Ihnen das auch der Nackte mit dem Hut gegeben?«
»Korrekt, Daccle. Er besucht mich seit Jahren. Ein friedlicher Prediger, der mehr weiß, als viele. Seine Tätowierungen müsst ihr sehen! Sie erzählen Geschichten. Er ist ein Pilger zwischen den Landen, den selbst die Ylors respektieren.«
Lariza zuckte wieder. Daccle konnte das nicht mehr länger mit ansehen. Er stürmte zu ihr und versuchte die Haube abzureißen. Wackls sprang hinzu, packte den jungen Gannel und schlug ihm ins Gesicht.
»Hör auf damit, kleiner Mann! Ich brauche dich noch. Versteht ihr nicht? Was wir hier tun, ist zum Wohle des Resif-Sidera!«
Er zog einen Energiestrahler.
»Jeder, der versucht, mich zu behindern, wird verwundet. Ich töte euch nicht. Die Wunden durch Strahlenwaffen tun sehr weh.«
Daccle rappelte sich auf. Secc half ihm dabei. Wilzy seufzte und stöhnte. Er war ganz bleich im Gesicht. Arglos waren sie in ein großes Abenteuer gestolpert. Dabei wollten sie eigentlich nur Nachhilfe in Physik haben. Aber offenbar hatte sie der verrückte Professor in eine Falle gelockt und alles geplant. Sicher hatte auch der Zufall eine Rolle gespielt, denn woher hätte Wackls wissen sollen, dass alle vier ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt bei ihm Nachhilfe nehmen wollten? Daccle war sich jedoch sicher, dass er sonst nachgeholfen hätte. Ihre schlechten schulischen Leistungen hatten ihm vermutlich in die Karten gespielt.
Daccle, Secc und Wilzy zogen sich in ihr Quartier zurück. Dort ließ sich Daccle erschöpft in den Sessel fallen und rieb sich die schmerzende Nase.
»Was machen wir jetzt?«, wollte Secc wissen. »Wir können Lariza nicht so weitermachen lassen. Sie leidet!«
Daccle nickte.
»Der Professor hat aber eine Waffe. Selbst wenn wir sie ihm wegnehmen, haben wir keine Ahnung, wie wir wieder zum Riff gelangen.«
»Da hätte ich aber eine Idee«, meinte Wilzy.
»Du?«, fragten Daccle und Secc überrascht.
»Ja, hackt nur weiter auf mir herum. Ihr glaubt, ich bin doof. Ihr seid ja selber doof. Richtig doof, sonst wären wir nicht in diesem Schlamassel. Also, wollt ihr nun meinen genialen Vorschlag hören?«
Die beiden schwiegen. Wilzy nahm das als Zustimmung.
»Gut! Ich würde sagen, dass wir einfach einen Hilfespruch losschicken. Der Späher dürfte etwas damit anfangen können und uns helfen.«
Die Idee fand Daccle gar nicht mal so schlecht. Außerdem hatten sie damit die Möglichkeit, den Späher endlich mal kennenzulernen.
»Ich kann die Funkkontrollen bedienen und einen kodierten Spruch absenden, den eigentlich nur Rideryonen entschlüsseln können. Ihr müsst Wackls ablenken, sonst werde ich eines grausamen Todes sterben …«
Dass Wilzy immer übertrieb! Doch seinen Vorschlag hielt Daccle für gut. Auch Secc stimmte zu. Nur, wie lenkten sie den Professor ab? Daccle kam eine Idee. Er erklärte Secc und Wilzy seinen Plan. Wltschwak fand ihn natürlich unausführbar, doch Daccle war der festen Überzeugung, dass er funktionieren würde.
*
»Also gut! Nistant hat den Segen gegeben!«
Dieser rideryonische Ausspruch bedeutete so viel wie »Es geht los!«.
Wilzy fing an zu schreien und rannte aus dem Raum. Daccle stürzte sich auf Secc. Beide taten so, als würden sie miteinander ringen. Daccle hörte Wilzys Hilferufe.
»Hilfe, Professor. Die bringen sich um. Sie müssen schnell kommen!«
Daccle und Secc lachten, wurden aber schnell wieder ernst und setzten ihre Show fort. Endlich kam der Professor und versuchte, die beiden auseinander zu bringen. Natürlich machten sie es ihm nicht so leicht. Wilzy brauchte genügend Zeit, um den Funkspruch abzusenden. Secc packte Wackls und zog ihn mit herunter. Dann ließ er ihn los und rang mit Daccle weiter. Daccle kam die Idee, dass sie den Professor nun sogar endgültig überwältigen könnten. Also ließ er von Secc ab und schnappte sich Wackls Waffe. Der griff sofort nach Daccle, doch Secc hängte sich an seinen Körper und zog ihn herunter. Nun hatte Daccle die Waffe und richtete sie auf Wackls.
»Es ist aus Professor. Bringen Sie uns sofort zurück und lassen Sie Lariza frei!«
Wackls lachte und stand auf. Er ging auf Daccle zu. Anscheinend hatte er überhaupt keine Angst. Daccle stellte auf Paralyse und drückte ab, doch nichts geschah. Wackls nahm die Waffe und entsicherte sie.
»So geht das!«
Er drückte ab und Daccle sackte gelähmt zu Boden. Zwar war er wach, doch nicht in der Lage, irgendetwas zu bewegen.
»Ich habe den Funkspruch abgeschickt, Jungs. Bin ich nicht toll? Dankt mir nicht alle auf einmal!«
Wilzy stürmte in den Raum und blieb entsetzt stehen.
»Funkspruch?«, schrie Wackls auf und paralysierte nun auch Secc und Wilzy. Der Schlamassel für die vier wurde immer größer.
*
»Ich glaube, wir sind auf der falschen Fährte.«
Das fiel Wedyyrk aber früh ein, fand Mashree. Er sah die Fithuul fragend an.
»Ich habe etwas im Funknetz des Quarteriums herumgehorcht. Das Militär besitzt eine sehr wirkungsvolle Abschirmtechnik, jedoch nicht die privaten Raumschiffe. Ich habe einen interessanten Funkspruch nahe der Welt Som-Ussad abgefangen. In diesem System befindet sich das Sternenportal«, erklärte sie.
»Und?«
»Berichterstatter von einem Sender mit dem Namen INSELNET haben korrespondiert. Der Reporter im Som-Ussad-System hat eine verschlüsselte Textnachricht an einen Korrespondenten geschickt. Darin heißt es, dass der Emperador sich auf der Welt Ves-Som befindet. Der Journalist wird gebeten, heimlich Fotos zu machen.«
Mashree schlug mit der Faust in die flache Hand. So nervig Sensationsjournalisten waren, manchmal waren sie doch zu etwas nütze. Jetzt kannten sie ihr Ziel!
»Wo?«
»8.586 Parsec von Som-Ussad entfernt. 13.000 Parsec von unserem Standort aus. Das ist leicht zu erreichen«, erklärte Wedyyrk.
Das war ihre Chance! Mashree würde den Anführer des Quarteriums genau studieren. Dann würde er eine Entscheidung treffen: Entweder eine Sofortkontaktaufnahme oder die Begegnung Zigaldor überlassen.
»Dann fliegen wir sofort hin.«
»Da ist noch ein anderer Funkspruch«, meldete Wedyyrk überrascht. »Ein Kode in unserer Sprache!«
Sie übermittelte ihnen sofort den Inhalt des Funkspruches. Ein Wilzy Wltschwak vom Volke der Gannel verkündete, dass er und drei seiner Gefolgsleute vom ruchlosen Professor Wackls entführt worden seien. Sie befänden sich in Siom Som.
Der Name Professor Wackls rief in Mashree einige Erinnerungen wach. Wackls war sein Lehrer in Physik und Geschichte gewesen. Schon immer galt der Gannel als exzentrisch. Wackls tat immer sehr geheimnisvoll und meinte, ihm sei ein besonderes Schicksal bestimmt. Wackls hatte immer wieder davon gesprochen, wie gern er selbst die neue Galaxie erforschen wollte. Es hieß, er habe sich ebenfalls als Späher beworben, sei jedoch durch die Prüfungen gefallen. Die diplomatische, offizielle Begründung war, dass er zu alt gewesen sei.
Meister Zigaldor hatte einmal angedeutet, dass er Wackls als unberechenbar ansah. Offenbar hatte Wackls Siom Som bereits seit einigen Chrons erforscht und immer wieder unerlaubt Sonden entsendet. Er soll nach etwas gesucht haben.
»Wo befindet sich das Raumschiff?«, wollte Mashree wissen.
»Etwa neuntausend Parsec entfernt. Es bewegt sich tiefer in die Galaxis hinein. Offenbar suchen sie etwas …«
Anscheinend war Wackls immer noch davon besessen, etwas in Siom Som zu finden. Nur was? Wie dem auch sei, der Auftrag, Informationen zu sammeln, war wichtiger.
»Wir beobachten das Schiff weiter, halten aber unseren ursprünglichen Kurs nach Ves-Som. Dieser Emperador ist wichtiger.«
Die Kolonialisierung war wichtiger, als das Hirngespinst eines alten Professors. Auch wenn er offenbar vier Geiseln hatte. Bedauerlich für die Rideryonen, aber ihr Leben war im Moment sekundär.
*
Wie lautet dein Name, kleine Rideryonin?
Lariza Bargelsgrund.
Lariza, sei gegrüßt. Das Resif-Sidera ist angekommen? Seid ihr gekommen, um mich zu befreien?
Ich weiß nicht einmal, wer du bist. Mein Kopf schmerzt. So viele Gedanken. So viele Gefühle. Es überwältigt mich. Es tut weh. Ich will heim!
Verzage nicht, kleine Lariza. Folge meinem psionischen Ruf. Finde mich, dann wird sich alles zum Guten wenden und du wirst nach Hause zurückkehren.
*
Die Paralyse ließ nach. Daccle konnte sich langsam wieder bewegen. Zuerst die Finger, dann die Zehen und nun auch Arme und Beine. Bei Secc und Wilzy dürfte es einige Minuten länger dauern, wenngleich nicht viel länger als bei ihm.
Vorsichtig schlich er zur Tür, öffnete einen Spalt und schaute in die Zentrale. Lariza saß immer noch unter der Haube. Wackls stand an seiner Konsole und starrte aus dem Panoramafenster. Dann drehte er sich plötzlich um.
»Ah, Daccle Dessentol! Du bist wieder wach. Komm, steh auf und setz dich. Ich hoffe, du und die anderen sind jetzt vernünftiger geworden.«
Zögerlich stand Daccle auf und nahm Platz. Lariza schlief. Sie musste vor Erschöpfung zusammengebrochen sein.
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«
»Och, nichts. Sie hat den Ort gefunden, an den ich wollte. Dank ihrer empathischen Begabung hat sie es geschafft, Kontakt mit den sterblichen Überresten eines Gottes aufzunehmen. Sie liegen dort begraben, doch die Gebeine leben noch und warten seit Äonen, mit den anderen Teilen ihres Gottes vereint zu werden.«
Daccle verstand nicht so recht, was Wackls meinte. Welche lebenden Leichenteile? Das war doch schon ein Widerspruch in sich.
»Und wofür brauchen Sie uns?«
»Das werdet ihr noch früh genug erfahren. Wenn wir das alles hier überstehen, wird unser Ruhm grenzenlos sein. Ich weiß Dinge über das Resif-Sidera, die die anderen längst vergessen haben.«
Wackls lachte schrill. Er drückte auf einen Knopf. Die Haube fuhr wieder zurück in die Decke. Lariza zuckte erschrocken zusammen. Sie öffnete die Augen. Daccle kümmerte sich um sie.
»Bring sie zu den anderen. Im Moment benötige ich eure Dienste nicht mehr. Es wird etwas dauern, bis wir den Planeten erreicht haben.«
Daccle verstand. Er half Lariza zurück in ihr Quartier. Vorsichtig legte er sie auf eine Liege.
»Es war schrecklich, Daccle. Ich habe die Gedanken von so vielen Existenzen gespürt. Und dann dieses Wesen, wonach ich gesucht habe.« Sie hustete. Doch sie war nicht zu schwach, um weiter darüber zu berichten. »Der Impuls dieses Geschöpfes kam mir bekannt vor. Es war so, als spürte ich es immer im Rideryon. Das Wesen war sehr schwach, aber es lebte und rief um Hilfe. Es kannte das Resif-Sidera.«
Dahinter war Wackls also her. Aber was machte ein Wesen, welches womöglich von Rideryon stammte, in einer Galaxie, die das Resif-Sidera noch nie zuvor besucht hatte?
Daccle Dessentol befürchtete, dass sie schneller, als ihnen lieb war, die Wahrheit herausfanden.
*
Ich höre sie. Die Trommeln des Krieges. Das Gebrüll der Schlacht. In weiter Ferne und doch fühle ich es. Oh, bei allen Heiligen, es fühlt sich an, wie damals. Dieser grenzenlose Zorn, der Hass auf alles Leben. Einst der Ansporn von Nistant. Der feste Wille, das Universum zu bekehren oder in einem apokalyptischen Strudel von der Kraft aller Schwarzen Löcher zu zerfetzen.
Bekannte Gefühle, längst verdrängt. Sie sind gefährlich, sie sind falsch. Der Hass darf uns nicht wieder umhüllen. Doch ich spüre ihn in der kleinen Lariza. Kann das möglich sein? Er hat sich weiterentwickelt. Was er ist, das weiß ich noch nicht.
Ich versuche meine Sinne zu konzentrieren, stärker in die Seelen der Bewohner dieser Welten hineinzuhorchen.
Er hat den Krieg in diese Galaxie gebracht. Ich muss hier raus. Muss befreit werden. Brok’Ton suchen. Nistant zurückholen aus den Tiefen des Kosmos.
Lariza Bargelsgrund. Höre mich. Befreie mich. Rideryon braucht uns!
Der Heilige Abend
»Wisst ihr, was das Geheimnis meines Glühweins ist?«, fragte Bully und nahm noch einen großen Schluck aus der Tasse. »Es sind nur drei Zutaten drin: Rotwein, Vurguzz und Rum.«
Bully stieß auf.
»Wohlsein«, meinte Roi nur und nahm selbst einen Schluck von dem Gesöff. Perry Rhodan war mehr nach einer Tasse Grünem Tee. Mit Bullys Glühwein konnte man einen Haluter besoffen machen.
Perry ging in den großen Wohnsaal. Brettany, Stephanie und Gucky schmückten den Baum. Die beiden Siniestro-Töchter stritten sich, welche Farbe besser zum Baum passte. Gucky blinzelte Perry genervt zu.
Don Philippe und seine Söhne saßen am Kamin und unterhielten sich. Wo sich Despair befand, wusste er nicht. Diabolo stand teilnahmslos im Raum herum und schien vergeblich nach dem Sinn dieses Festes zu suchen.
Weihnachtliche Musik spielte im Hintergrund. Selbst Martyn Hubba hatte sich herausgeputzt. Das ohnehin fettige Haar war gegelt und nach hinten gekämmt. Er trug ein schlabbriges Sakko und einen schlecht gebundenen Schlips mit Weihnachtsmännern drauf. Er wirkte dennoch nicht sympathischer. Das war nun also dieses beschauliche Weihnachten mit den de la Siniestros. Jeder tat so, als wäre alles gut. Probleme, wie den Krieg in Siom Som, in M 87 und in Cartwheel, wurden nicht angesprochen. Perry wollte für die drei Feiertage diesen Burgfrieden einhalten. Doch am 27. Dezember würde er de la Siniestro seine Forderungen unterbreiten.
Der Baum war nun fertig geschmückt. Stephanie lief zu ihrem Vater.
»Habe ich das nicht schön gemacht? Er wäre noch hübscher geworden, wenn Brett nicht ständig irgendetwas falsch geschmückt hätte.«
Perry fand Stephanie ätzend wie Säure. Diese Frau war einfach nur unsympathisch. Dass Roi mit dieser … Rhodan vergrub den Gedanken schnell in der hintersten Schublade.
»Ihr habt das beide sehr schön gemacht«, sagte de la Siniestro. »Ich bin stolz auf meine Töchter. Dann kommt mal zur Bescherung!«
Diabolo ging zum Audiocenter und aktivierte das Lied »Let it Snow« von Vaughn Monroe.
Dann stand plötzlich ein leicht torkelnder Weihnachtsmann im Zimmer. Über den Schultern trug er einen Sack. Perry schmunzelte über Bullys Darbietung. Ausgerechnet dieser Griesgram machte den de la Siniestros Geschenke.
»Und damit du nicht denkst, dass es den Weihnachtsmann gibt, Herzchen«, sagte Stephanie zu Brett. »Das ist dieser Fettwanst Bull …«
»Sei doch nicht so gemein. Ich finde es lustig. Du kannst immer nur meckern!«
Perry belauschte das Gespräch mit einem Ohr weiter.
»Ach, Schwesterherz. Das stimmt nun nicht. Bull ist fett und hässlich. Roi Danton dagegen …«
»Liebst du ihn?«, fragte Brettany traurig.
Stephanie lachte.
»Lieben? Diesen Irren? Im Bett ist er lernfähig, aber ansonsten ein Geisteskranker mit seinen antiken Anzügen und seinem aufgesetzten Gehabe. Nein, Schatz, mich interessiert seine Macht und sonst gar nichts an ihm. Mit seiner Hilfe …«, sie wurde nun leiser, doch Perry verstand sie immer noch, »… mit seiner Hilfe werde ich diesen alten, abgehalfterten Rhodan vom Thron stürzen und selbst über Terra herrschen.«
Brettany bemerkte, dass Rhodan das Gespräch mit angehört hatte. Sie blickte ihn an. Stephanies Lächeln gefror und sie sah ebenfalls zu ihm herüber. Perry lächelte die beiden Damen an und rief Bully zu: »Lieber Weihnachtsmann, ich glaube, hier war jemand nicht brav.«
»Hoho, wer? Der kriegt den Arsch versohlt … äh …« Bully hustete. »Ich meine, der kriegt es mit der Rute.«
Stephanie starrte Perry finster an. Bully zog derweil seine Show ab und machte einen erstklassigen Weihnachtsmann. Peter trat hervor. Er sah Bull mürrisch an.
»Was hast du für mich dieses Jahr, Weihnachtsmann? Ich habe mir ein Geschütz gewünscht.«
Bully musterte Peter. Dann kramte er in dem Sack herum.
»Was haben wir denn da? Hier, ein Geschenk deiner Schwester Brettany.«
Bully drückte es Peter in die Hand. Peter riss Schleife und Geschenkpapier ab. Angewidert glotzte er das in einem schönen Rahmen gesetzte Familienbild an. Unten stand geschrieben: »In ewiger Liebe – Deine Schwester Brettany.«
»Ein Bild? Soso …« Peter wirkte alles andere als erfreut. Bully seufzte und holte das nächste Präsent heraus. Es war von Stephanie. Eine neue Galauniform für ihn. Die schien Peter zu gefallen. Peter dankte seiner Schwester. Nun kamen die Geschenke seines Bruders und seines Vaters. Orlando hatte ihm ein Buch über Militärgeschichte aus der Prärhodanistischen Zeit geschenkt. Ein riesiger Wälzer mit wohl allen »Highlights« der Militärgeschichte. Das Geschenk des Emperadors empfand Rhodan als originell. Er schenkte Peter die Verantwortung über den Bau eines Militärmuseums auf Paxus. Peter sollte als Berater dienen und das Museum mit Inhalt füllen.
»Danke«, sagte Peter brav. »Aber wo ist mein Geschütz? Ah, es war zu klein und …«
Don Philippe schüttelte den Kopf.
»Nein, es gibt kein Geschütz. Das habe ich dir doch schon gesagt. Eine Kanone ist kein Spielzeug.«
Peter schrie. Er nahm Brettanys Bild und warf es auf den Boden. Das Glas zersplitterte.
»Ich will aber mein Geschütz. Ich bin ein Feldherr. Ich brauche meine Artillerie! Ihr seid alle saublöd. Ich hasse euch. Und ganz besonders verabscheue ich dich, du fetter, roter Weihnachtsmann. Ich hasse dich!«
Kreischend rannte Peter die Treppe hoch. Nach wenigen Sekunden donnerte eine Tür zu.
Don Philippe seufzte.
»Jedes Jahr dasselbe. Naja, bis zum Abendessen beruhigt er sich wieder. Packen wir jetzt die anderen Geschenke aus …«
*
Die RYDOM schwebte im Orbit von Ves-Som. Nur acht quarteriale Raumschiffe zogen ihre Bahnen um den Planeten. Diese sogenannten SUPREMO-Raumschiffe waren gewaltig und mit sehr guter Technologie ausgestattet. Mashree wollte sich nicht mit diesen Brocken anlegen. Die Technik der RYDOM war auf die Defensive ausgelegt. Er war Späher, kein Krieger, wenngleich er natürlich auch diese Fähigkeiten besaß.
Doch weder die RYDOM noch sonst ein Raumschiff der Manjor vermochte es wohl mit diesen Kugelraumern aufzunehmen. Vielleicht die Schiffe der Ylors, denn auch sie verfügten über die Technologie der Ahnen. Ganz sicher jedoch die STERNENMEER. Doch sie konnte nur von Nistant befehligt werden. Und dieser befand sich seit Jahrmillionen Chrons nicht mehr auf dem Riff. Die STERNENMEER wurde zwar seit jener Zeit über Äonen und Generationen hinweg gewartet und gepflegt, doch niemand wusste, ob der Heilige selbst jemals zurückkehren würde.
»Wir haben den vermutlichen Standort des Emperadors de la Siniestro lokalisiert. Es befindet sich in einem Tal zwischen zwei Gebirgsketten«, meldete Borgelund. »Auf dem Mond befindet sich die quarteriale Station. Sie ist recht klein und hat zweitausend Mann Besatzung.«
»Keine Wachen in der Nähe der Herrscher?«
Wedyyrk negierte.
»Ich bin mir dennoch sicher, dass das Areal ständig mit Satelliten überwacht wird.«
Es war nun die Frage, ob sie eine Beobachtung auf dem Planeten riskierten oder nicht. Der Ortungsschutz ihres Raumschiffes war perfekt, doch der Deflektor ihrer Raumanzüge war es vielleicht nicht. Im Weltall gab es keine Umwelt, die reagierte. Fußspuren, aufgescheuchte Tiere, umgeknickte Äste oder, sofern sie flogen, Signaturen ihrer Antriebe. Wie gut waren die Observationsvorrichtungen des Quarteriums auf dem Planeten?
Mashree stand vor einer schwierigen Entscheidung. Sollte er die Kontaktaufnahme wagen? Nein! Das war zu gefährlich. Er wollte lieber genügend Informationen über diese Regenten sammeln.
»Aktiviert unsere Spürsonden. Sie sollen, so nahe wie möglich, aus dem Orbit Aufnahmen machen.«
Borgelund bestätigte und schon war die erste Sonde auf dem Weg. Sie zoomte auf das Haus. Nach einigen Korrekturen bekamen die drei Riffaner Einblick in das Innenleben des Gebäudes. Die Menschen saßen zu Speis und Trank beieinander. Mashree beobachtete besonders Don Philippe Alfonso Jaime de la Siniestro und Perry Rhodan. Nach seinen Informationen war der letztere ein besonders bekannter Terraner. Er hatte gegen Kosmokraten und Chaotarchen gekämpft. Das hohe Alter von etwa achthundertsechs Chrons hatte Rhodan durch einen Zellaktivator erreicht. Dieses Gerät hielt ihn ewig jung.
Ein weiterer Mensch fiel ihm auf. Er trug eine silberne Rüstung, stand abseits von den anderen. Irgendetwas an dieser Gestalt empfand Mashree als unheimlich. Die Weibchen in dieser Runde waren anders, als die seiner Gattung. Sie erinnerten eher an Gannel oder Buuraler. Zart und weich, haarlos im Gesicht. Mashree fand sie unerotisch. Ein echtes Weibchen hatte einen langen, wohl gebürsteten Bart um die Lippen. Das wohlige Streicheln der Haare an den Körpern beider Partner war ein hoch erotischer Akt bei den Harekuul. Was sollte man mit so einer anfangen!
Alles in allem waren die Terraner in der Tat am ehesten mit Buuralern zu vergleichen. Ob dieses Volk von den Vorfahren der Terraner stammte oder einst Buuraler zum Austausch in der Heimatgalaxie dieser Terraner umgesiedelt worden waren? Das würde Mashree wohl nie erfahren. Das Riff flog einen Kurs, der sich selbst der Hohepriesterschaft des Nistant nicht erschloss.
Der Große Geist informierte die Anführer des Riffs einige Chrons vor der Ankunft in einer neuen Galaxie. So konnten die Vorbereitungen in aller Ruhe getroffen werden. Ein Riffspäher wurde ausgewählt und geschult, die Stadt Amunrator gewann in dieser Generation wieder an Bedeutung, da die Gelehrten dort an der Planung des Kulturaustausches arbeiteten. Mashree hatte es geschafft, vor seinem Bruder Tashree zum Riffspäher auserkoren zu werden. Auch wenn es sich Tashree nie hatte anmerken lassen, er war wohl traurig darüber gewesen. Mashree konnte es seinem Bruder nicht verdenken. Doch Tashree stand eine andere Zukunft bevor. Er war ein begnadeter Heerführer und würde eines Tages nicht nur die Armeen der Harekuul lenken, sondern vielleicht des ganzen Riffs.
Mashree hatte seinem Bruder einiges zu verdanken. In Kämpfen gegen Husaaven und Ylors hatte er ihm oft das Leben gerettet. Doch in den letzten Chrons hatte er ihn kaum mehr gesehen. Zu sehr hatte ihn die Ausbildung beschäftigt. Doch würde er erst einmal wieder auf dem Riff sein, so würde er mit Tashree über die Kelak-Steppen reiten und bei einem gut gebrauten Thol-Bier über seine Abenteuer berichten.
»Mashree, ich muss etwas Seltsames melden.«
»Was denn, Wedyyrk?«
»Es geht um das rideryonische Schiff. Ich kann es immer noch orten. Es wird wohl verfolgt.«
Mashree sah die Daten auf dem Bildschirm. In großem Abstand folgte etwas. Zumindest sickerte immer wieder die Signatur eines fremden Raumers durch die Flut der Signale. Mashree war sich sicher, dass die Besatzung keine Ahnung davon hatte. Ihre Ortung war nicht annähernd so sensibel wie die der RYDOM.
»Steht schon fest, wo die eigentlich hinwollen?«
»Nein, Späher. Die Entfernung zu ihnen beträgt fünfhundertneunzehn Parsec. Sie entfernen sich jedoch nur noch mit geringer Geschwindigkeit.«
»Beobachte sie weiter, Wedyyrk. Ich kümmere mich um unsere terranischen Zielpersonen.«
*
»Keinen Hunger, Despair?«
Wenn Stephanie wüsste, mit welch tödlichem Blick ich sie dafür bedachte. Stattdessen gab ich kühl zurück: »Ich speise allein. In Anwesenheit so mancher Menschen würde mir ohnehin der Appetit vergehen.«
»Entschuldigen Sie sich sofort bei meiner Schwester, Despair!«
Das überraschte mich schon. Orlando fühlte offenbar die Ehre seiner Familie verletzt. Natürlich würde ich mich nicht entschuldigen. Ich war der Silberne Ritter. Der entschuldigte sich nicht.
Orlando sah mich herausfordernd an. Erwartete er jetzt wirklich eine Entschuldigung? Das war unmöglich sein Ernst.
»Sparen Sie sich Ihre Energie für den Krieg, Orlando. Hier ist sie fehl am Platze.«
Orlando sah mich überrascht an. Flüchtig blickte er zu seinem Vater. Der würde ihm auch nicht helfen.
»Spart euch doch alle eure Energie für den Frieden? Wie wäre es damit?«, schlug Gucky vor.
Immerhin hatte er damit geschickt vom Thema abgelenkt. Orlando bedachte Gucky mit einem seltsamen Blick. Offenbar wusste der Sohn des Emperadors nichts mit seinem Vorschlag anzufangen. Orlando war ein Hitzkopf, besessen von seiner Ehre und ständig bestrebt, ein Gentleman zu sein. Natürlich war er das nur bedingt. Welcher Ehrenmann tolerierte schon die Artenbestandsregulierung? Ich war mir sicher, dass er davon wusste, auch wenn ich keinen Beweis dafür in der Hand hielt. Doch als Großadmiral der quarterialen Flotte wusste er garantiert Bescheid.
Die anderen kümmerte unser Disput offenbar wenig. Bully schaufelte das Essen in sich hinein, Rhodan unterhielt sich mit Diabolo und Roi saß teilnahmslos herum.
Brett warf mir einen kurzen Blick zu. Ein feines Lächeln huschte über ihre Lippen. Hatte ich ihr imponiert?
»Nun, wenigstens meinem Schatz Roi vergeht nicht der Appetit in meiner Anwesenheit.«
Rhodan begann zu husten. Irgendwie hatte sich in der Runde eine Antistimmung gegen Stephanie entwickelt. Amüsant. Danton rührte unmotiviert mit dem Löffel in der Suppe herum.
»Roi scheint es nicht zu munden«, meinte Brettany. »Hattest du nicht die Suppe zubereitet, Steph?«
»Oh, offenbar verbünden sich jetzt alle gegen mich. Mag sein, Schwesterchen, dass du eine bessere Köchin bist. Vielleicht findest du ja irgendwo einen Job als Haushälterin. Ich habe gehört, dass alte Jungfern dort bevorzugt werden.«
Überraschenderweise warf Brett die Gabel in Richtung ihrer Schwester. Nur knapp verfehlte sie Stephanie. Schade. Dann fing sie laut an zu schluchzen und lief hinaus. Sie tat mir leid. Offenbar litt auch sie unter der Anspannung. Was für ein tolles Fest! Die Stimmung war grandios. Peter saß seit Stunden auf seinem Zimmer und schmollte, Brettany weinte draußen und jeder hasste Stephanie. Obendrein hatte ich in Orlando jetzt einen neuen Feind. Eine wahrlich gelungene Feier. Wahrscheinlich würde Perry Rhodan uns morgen den Krieg erklären und beiläufig mitteilen, dass DORGON ihm eine Flotte von 500.000 Schiffen zur Verfügung gestellt hatte. Mir reichte es auch heute schon.
»Entschuldigen Sie mich.«
»Wollen Sie meiner Schwester nachlaufen, Despair?«
Wieder Orlando! Was war nur mit dem los? Ich stand auf, ignorierte die Frage.
»Sir, ich habe Sie etwas gefragt!«
»Genug jetzt!«, brüllte der Emperador. »Ich verbiete es meiner Familie, sich so zu benehmen. Wir machen keinen guten Eindruck auf Perry Rhodan. Wenn das so weiter geht, geht ihr alle aufs Zimmer und ich speise allein mit zivilisierten Menschen.«
»Es tut mir leid, Vater«, sagte Orlando und wandte sich Rhodan zu. »Sir, ich bitte mein Fehlverhalten und das meiner Geschwister zu entschuldigen.«
Rhodan hob amüsiert die Hand.
»Keine Ursache. Was wäre Weihnachten ohne Zoff in der Familie?«
Ich verließ den Raum. Endlich allein. Brettany stand auf dem Balkon und schluchzte immer noch. Sollte ich ihr Trost spenden? Wieso eigentlich nicht?
Ich betrat den Balkon. Sie drehte sich um und sah mich verheult an. Wahrscheinlich war ich der Letzte, den sie jetzt sehen wollte. Bestimmt hatte sie eher auf Roi Danton gehofft.
»Hat Stephanie recht?«
Die Frage überraschte mich.
»Nein. Ihr seid eine bezaubernde Frau, tausendmal begehrenswerter als Eure Schwester.«
»Das sagst du nur so, Cauthon. Ich bin eine alte Jungfer, die nie jemanden abbekommen wird. Es sei denn, Vater verheiratet mich mit Jenmuhs.«
Was sagte sie da? Offenbar bemerkte sie meine Überraschung.
»Er hat mal um meine Hand angehalten. Vater hat es aber abgelehnt.«
»Eine weise Entscheidung. Ihr werdet den Mann Eurer Träume finden. Wäre ich anders, würde ich hoffen, ich wäre derjenige.«
Jetzt lächelte sie wieder. Sie nahm meine Hand. Es fühlte sich gut an. So etwas hatte seit langer Zeit keiner mehr getan. Die letzte liebevolle Geste hatte Sanna Breen vor vielen Jahren gezeigt.
»Cauthon, wie wäre es, wenn wir einen kleinen Ausflug machen? Einfach mal zu einem anderen Planeten fliegen und schauen, was dort los ist?«
Auf so eine Schnapsidee kamen nur Frauen.
»Das halte ich für keine gute Idee, Brettany. Wir sollten zu den anderen gehen und mit ihnen … feiern.«
»Legst du Wert darauf?«
»Nein!«
Sie lachte. Dann lief sie los. Was nun? Sollte ich ihr etwa folgen? Wieso waren Frauen nur so unlogisch? Aber gut, ich ging hinterher. Sie rannte zur Jacht und befahl dem Kapitän, das Beiboot startbereit zu machen. Als ich die Jacht erreichte, war es fertig.
»Nun, entweder du kommst mit oder ich fliege allein. Aber dann musst du Papa erklären, dass du seine arme, kleine Tochter völlig allein gelassen hast.«
Da hatte ich wohl keine andere Wahl. Ich folgte Brett in die Fähre. Es war wohl besser, wenn ich sie einige Stunden durch die Gegend kutschierte. Wenn ich bei ihr war, würde sie keine Dummheiten anstellen können.
»Wohin soll die Reise gehen?«
»Einfach ins Blaue!«
Der Erstkontakt
W-XP-SP2 meldete ein startendes Raumschiff. Mashree weckte Wedyyrk und Borgelund. Er stellte interessiert fest, dass es sich bei der Besatzung um die Tochter des Emperadors und diesen finsteren Despair handelte. Sie verließen ohne Eskorte das System.
War das die Chance, um den ersten Kontakt herzustellen? Oder noch besser: Er entführte die beiden und übergab sie Zigaldor als Studienobjekte. Mashree hatte moralische Bedenken, doch er war sich sicher, dass den beiden nichts geschah. Mit ihrer Hilfe konnte man mehr über die Mentalität der Menschen herausfinden und dann eine Strategie erarbeiten, wie man ihnen schonend beibrachte, dass sie schon sehr bald viele neue Nachbarn haben würden. Und im Umkehrschluss, dass Rideryon vielen ihrer Artgenossen eine neue Heimat bot.
Mashree dachte an den Ruhm, der ihm bald zustand. Er würde zwei wichtige Vertreter der Einheimischen in die Heimat bringen. Einen besseren Fang gab es nicht.
»Borgelund, wir folgen dem Schiff und kapern es. Ich möchte die beiden unversehrt in die Hände bekommen.«
*
Die Verfolgung dauerte eine ganze Weile. Sie folgten dem Schiff dreihundert Parsec weit durch den Hyperraum. Dann fielen sie ins normale Raum-Zeit-Gefüge zurück. Jetzt war die beste Gelegenheit.
»Mashree, das zweite Riffschiff ist aus dem Hyperraum aufgetaucht. Sie befinden sich zweihundertzwölf Parsec von uns entfernt«, meldete Wedyyrk.
Die auch, dachte Mashree.
»Um die kümmern wir uns später. Zuerst die beiden Terraner. Die sind wichtiger.«
»Aber das andere fremde Schiff ist auch bei ihnen. Ich orte starke Entladungen. Offenbar werden unsere Leute beschossen!«
Mashree verwünschte die Fithuul. Dabei war sie nur die Überbringerin der schlechten Kunde. Er konnte natürlich die Rideryonen nicht einfach so sterben lassen. Aber die anderen auch nicht entkommen lassen. Also musste er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
»Sofortangriff. Sende einen Impuls, der sie wehrlos macht. Dann nimm sie in den Traktorstrahl und schleppe sie zu dem Raumschiff von Rideryon.«
Borgelund führte den Befehl umgehend aus. Mit dem EM-Geschütz legten sie Teile der gegnerischen Technik lahm. Der Impuls leitete den Energiezufluss aus dem Hyperraum in die Speicher des Schiffes. Ein normalerweise gängiger Prozess wurde beschleunigt und führte zu einer Überladung der Energiespeicher. Die Folge war eine notwendige Deaktivierung der Speicher, bevor diese überlastet wurden und zusammenbrachen. Wenn die Besatzung des fremden Schiffes nicht rechtzeitig reagierte, könnte eine Kettenreaktion – simpel ausgedrückt – zu einem Kurzschluss der Systeme führen. Dann wären sie für eine ganze Weile wehrlos.
Alles geschah wie geplant. Sie nahmen das lahmgelegte Schiff in den Traktorstrahl und tauchten sofort mit Hilfe ihres Utrans-Triebwerkes in den Hyperraum, um wenige Minuten später im anderen System aufzutauchen.
»Wo sind sie?«
»Unser Schiff ist auf dem Planeten abgestürzt. Das andere ist verschwunden … Moment!«, rief Wedyyrk.
Ein Ruck durchfuhr das Raumschiff. Mashree stürzte zu Boden. Vor ihnen tauchte das fremde Schiff auf, ein schwarzes, eiförmiges Etwas mit einer Länge von einhundertvierzig Metern und einer Breite von siebzig Metern. Es feuerte erneut auf die RYDOM. Eine volle Salve traf sie. Das Pult explodierte. Funken sprühten in Mashrees Gesicht.
»Schadensmeldung!«
Er ignorierte den brennenden Schmerz. Teile seines Bartes waren versengt. Hastig klopfte er die glimmenden Stellen aus.
Wieder ein Treffer.
»Zurückfeuern!«
»Das tun wir doch schon. Unsere Strahlen sind offenbar wirkungslos. Auch das EM-Geschütz richtet keinen Schaden an. Wir …«
Mehr verstand Mashree nicht, denn ein Knall übertönte Borgelunds Stimme. Feuer und Rauch drangen in die Zentrale ein. Im kleinen Maschinenraum brannte es offenbar.
»Die Steuerung versagt.«
Die kalte Stimme von W-XP-SP2 klang mitleidslos. Mashree beobachtete, wie sie dem Orbit des Planeten immer näher kamen. Er dachte an das terranische Schiff.
»Traktorstrahl lösen. Sie sollen eine Chance haben.«
Auch auf das terranische Schiff feuerte der fremde Aggressor. Es schmierte auf den Planeten ab. Und nun waren sie dran. Sie drangen in die Atmosphäre ein. Die Stabilisatoren und Antigravfelder funktionierten immerhin noch. Der Bordrechner stellte die Steuerung wieder her. Mashree manövrierte das Schiff in einen Wald, der zumindest Sichtschutz bot. Der ganze Planet war mit Schnee bedeckt.
Die Landung war unsanft. Wedyyrk wurde durch die Zentrale geschleudert. Wieso hatte die Fithuul vergessen, sich anzuschnallen? War sie mit den Reparaturen zu beschäftigt gewesen? Nachdem sie eine Schneise in den Wald gepflügt hatte, kam die RYDOM zum Stehen.
»Was funktioniert noch?«, wollte der Späher wissen.
»Lebenserhaltungssysteme, Stromversorgung und Tarnfeld sind aktiv. Die übrigen Komponenten müssen repariert werden«, meldete W-XP-SP2.
»Und? Wirst du es schaffen?«
»Ja, Späher. Doch es dauert einige Umdrehungen dieses Planeten um seine eigene Achse. Mit einer Ausnahme jedoch: Das Überlichttriebwerk ist zu stark beschädigt. Ich fürchte, wir müssen um Hilfe kommunizieren.«
Welch unermessliche Demütigung! Der Späher musste auf Rideryon um Hilfe bitten, gar um eine Abholgelegenheit funken. Das warf kein gutes Licht auf seine Fähigkeiten. Sie würden ihn und seine Besatzung infrage stellen. Und das zu Recht. Von einer Geheimmission war nicht mehr die Rede. Ein fremdes Raumschiff hatte sie entdeckt. Er musste es vernichten oder zumindest die Besatzung auslöschen. Diese Quarterialen mussten gefangengenommen werden. Und dann waren da noch die anderen Rideryonen. Sie hatten den außerplanmäßigen Verlauf seiner Unternehmung zu verantworten. Dafür würde er sie zur Rechenschaft ziehen.
»Wir werden uns derweil hier umsehen«, beschloss Mashree.
»Wonach?«, wollte Borgelund wissen, während er der benommenen Wedyyrk auf die Beine half.
»Nach den anderen Rideryonen und den beiden Terranern. Sollten uns unsere Angreifer über den Weg laufen, knallen wir sie ab!«
Auf der Eiswelt
Mein Kopf schmerzte, aber ich war am Leben. Doch wo war Brettany? Mühsam stand ich auf. Alles tat weh. Ich sah mich um. Sie lag immer noch in dem Sitz. Ich kroch zu ihr. Sie atmete und hatte keine erkennbaren Verletzungen.
»Brett?«
Sie öffnete langsam die Augenlider. Behutsam schnallte ich sie los und half ihr in eine aufrechte Position.
»Was … wo sind wir?«
»Auf einem Eisplaneten. Wir sind abgestürzt, nachdem das zweite fremde Raumschiff uns getroffen hat.«
»Können wir wieder starten?«
»Nein. Die Jacht ist Schrott. Vielleicht funktioniert zumindest der Peilsender noch …«
Auf wackeligen Beinen ging ich zu den Funkkontrollen. Auch die waren zerstört. Das ganze Raumschiff war schwer beschädigt. Es war ein Wunder, dass ich es überhaupt landen konnte. Der Peilsender befand sich in einem geschützten Behälter. Er war unversehrt. Das Signal würde jedes quarteriale Schiff auffangen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir gefunden wurden.
Doch wir konnten hier nicht bleiben. Die fremden Angreifer würden uns bestimmt suchen. Fragte sich nur, welche der Angreifer. Die in dem ovalen Raumschiff, die auf uns feuerten, oder die in dem Keilschiff, die uns entführten? Ich kannte keinen der beiden Raumschifftypen. Obgleich das eiförmige Raumschiff mich von der Form her an galornische Schiffe erinnerte. Doch warum sollten die uns angreifen und wie waren sie hierhergekommen? Eine Invasion aus Plantagoo hielt ich für unwahrscheinlich. Und in Cartwheel gab es keine galornische Streitmacht mehr.
Ich erklärte Brett, dass wir uns einen anderen Unterschlupf suchen mussten.
»Den Peilsender nehmen wir aber mit, oder?«
Ich schmunzelte.
»Natürlich nehmen wir den mit. Suche du bitte alle Vorräte zusammen. Ich kümmere mich um die Waffen und das Notzelt.«
Sie verharrte in der Bewegung und sah mich ängstlich an.
»Werden wir hier lebend rauskommen?«
»Natürlich. Das ist nicht mein erstes Abenteuer. Ich frage mich nur, was das für zwei Raumschiffe sind?«
Brett wusste natürlich keine Antwort darauf. Sie kramte aus der kleinen Küche die Vorräte zusammen. Ich hatte den Peilsender, zwei Thermostrahler und das Notzelt. In der Ausrüstung fand ich einen Pikosyn mit eingebautem Funk. Ich bekam jedoch keine Verbindung zu unseren Schiffen. Als Brett fertig war, stiegen wir aus dem Wrack. Wir befanden uns auf einem Berg. Ich hatte eine saubere Landung etwa drei Meter vor einem Abgrund hingelegt.
Irgendetwas auf diesem Planeten war anders. Er kam mir seltsam vertraut vor. Ich konnte das Gefühl nicht einordnen. Der Pikosyn meldete eine Temperatur von minus vier Grad Celsius. Ich sah mir Brett an. Sie war nicht sonderlich gut geschützt. Rock, immerhin Stiefel und eine eher modische als wärmende Winterjacke. Raumanzüge gab es in der Fähre nicht. Soviel zu den Sicherheitsvorschriften der Raumfahrtbehörde.
»Vielleicht gibt es hier Siedlungen? Was ist das für ein Planet überhaupt?«
»Ich werde mit dem Pikosyn das Terrain scannen. Diese Welt ist mir gänzlich unbekannt. Vermutlich sind wir etwa zweitausend Lichtjahre von Ves-Som entfernt.«
Wir gingen weiter. Nach drei Stunden Fußmarsch erreichten wir den Fuß des Berges. Brettany sprach kein Wort. Sie zitterte am ganzen Körper. Erst jetzt kam ich auf die Idee, ihr meinen Umhang umzulegen. Sie schenkte mir ein kurzes Lächeln.
Es gab offenbar keine Ansiedlungen auf dieser trostlosen Welt. Jedoch schien irgendetwas den Pikosyn zu stören. Und immer noch hatte ich dieses seltsame Gefühl, als spürte ich die Präsenz von etwas Vertrautem.
»Sieh mal dort!«
Brettany entdeckte eine Statue. Was bedeutete das? Wir gingen näher. Ich wischte den Schnee ab. Sie war aus Metall und nicht aus Stein, das verwunderte mich. Offenbar kein Relikt einer primitiven Kultur. Die Statue stellte ein Fledermauswesen dar. Es fletschte das Maul, hatte Flügel und Arme weit ausgebreitet. In einer mir unbekannten Schrift stand etwas geschrieben.
Der Pikosyn analysierte die Schrift, fand jedoch keine Übereinstimmung mit bekannten Frakturen.
»Gehen wir weiter.«
Brett folgte mir. Wir gingen an der Statue vorbei. Plötzlich schoss ein grausamer Schmerz durch meinen gesamten Körper. Ich schrie auf, merkte noch, wie ich zu Boden fiel. Das Letzte, was ich sah, war Brettanys hübsches, entsetztes Gesicht.
*
»Wir sind tot und im Paradies bei Nistant, richtig?«
»Nein, Wilzy. Wir leben noch und sitzen auf einem kalten Brocken fest«, erwiderte Secc.
Daccle Dessentol rappelte sich auf. Lariza war noch bewusstlos, aber sie atmete. Alles war in Ordnung. Doch wo war der Professor? Und was war eigentlich geschehen? Daccle erinnerte sich an ein fremdes schwarzes Raumschiff. Kaum hatten sie den Orbit dieser Welt erreicht, dem Ziel von Wackls Hirngespinsten, da wurden sie von ihm angegriffen und abgeschossen. Wackls brachte zwar das Schiff relativ sicher zu Boden, doch es war beschädigt. An mehr erinnerte sich Daccle nicht. Danach wurde er ohnmächtig.
»Ah, gut, dass ihr wach seid.« Wackls stand plötzlich in der Zentrale. Er warf Daccle einen Rucksack zu. »Wir brechen auf. Die Zeit ist knapp. Offenbar werden wir verfolgt.«
»Wir können doch nicht das Schiff verlassen? Wir sollten fliehen!«, protestierte Secc.
»Feigling«, brüllte Wackls. »Heute wird Geschichte geschrieben. Ihr werdet schon sehen. Kommt jetzt. Es ist ein weiter Weg!«
Daccle wechselte einen Blick mit Secc. Wilzy kauerte in der Ecke und jammerte. Lariza erwachte. Wackls ließ ihnen keine Zeit, wieder richtig zur Besinnung zu kommen. Sie mussten in die Kälte des Planeten. Schnee kannten sie nur von der Außenwelt. In der Innenwelt gab es so etwas kaum, es sei denn, es wurde künstlich erzeugt.
»Na los jetzt!«
Sie brachen in eine unbekannte Welt auf. Das Ziel kannte nur der verrückte Professor. Daccle Dessentol hoffte, dass er sie nicht in den Tod führte.
*
Das rideryonische Raumschiff war leer. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes. Offenbar hatten die unbekannten Rideryonen freiwillig ihren beschädigten Raumer verlassen.
Mashree sah sich um. Im Norden ein gefrorener See, im Osten Berge, im Westen ein dichter Wald. Wären sie Richtung Süden gegangen, hätten sie sie treffen müssen.
Wohin nun? Er trabte ein paar Meter nach Osten. Dort war nichts. Dann Richtung Norden. Dort waren Fußspuren. Fünf Personen. Gannel, nach der Beschaffenheit der Schuhsohlen zu urteilen. Gannel hatten schmale, lange und dreigliedrige Füße. Vier von ihnen mussten Kinder sein, denn die Stapfen waren klein.
Ihre Ortung wurde durch seltsame Interferenzen gestört. Deshalb hatten sie noch keine Spur von dem terranischen Schiff. Mashree wollte nun zuerst die Riffaner finden. Womöglich trafen sie dabei auch auf die fremden Angreifer.
Mashree, Wedyyrk und Borgelund stiegen wieder in den Gleiter ein. In diesem Tempo würden sie die anderen bald einholen. Sie passierten eine seltsame Statue. Ein Flugwesen war darauf abgebildet. Und es gab eine Inschrift. Borgelund machte sich sofort an die Analyse. Er übermittelte die Daten an W-XP-SP2. Sie warteten einige Zeit auf das Ergebnis. Endlich übermittelte der Roboter die Daten. Mashree las die Meldung. Es handelte sich um eine uralte rideryonische Schrift. Sie stammte aus der Gründerzeit ihrer Zivilisation.
Jenen mit reinen Herzen sei der Zugang gewährt, doch Söhnen und Töchtern des Chaos ist der Weg versperrt.
»Offenbar ein Schutzmechanismus«, vermutete Wedyyrk. »Das ganze Areal weist seltsame Signaturen auf. Vielleicht ist hier irgendwo eine Station, die auch für die Interferenzen verantwortlich ist.«
Das klang logisch, erklärte jedoch nicht, wieso hier etwas in einer uralten Sprache des Resif-Sidera geschrieben stand. War das Resif-Sidera vielleicht sogar einmal hier gewesen? Oder Abkömmlinge ihrer Zivilisation? Wer mochte dies nach Abermillionen Chrons denn ausschließen?
Die uralte Sprache stammte aus der Zeit des Nistant und des großen Verrats durch die Hexen. Jeder kannte die Geschichte von der Verräterin Lilith und dem Mord an Nistant, von der Entführung seiner beiden anderen Persönlichkeiten Cul’Arc und Brok’Ton in das Ewige Gefängnis. Seither war das Resif-Sidera ohne Nistants Führung. Der Große Geist lenkte sie als letzter der Urahnen, nachdem er die verräterischen Hexen für ihre Schandtaten bestraft hatte.
Niemand wusste wirklich genau, was damals geschah. Zwar besaß die Hohepriesterschaft von Nistant Aufzeichnungen, doch wer garantierte die Echtheit der Angaben? Mashree wurde unwohl bei diesen Gedanken. Bis jetzt zweifelte niemand dies an. Es wäre blasphemisch, etwas anderes zu denken. Wer wusste schon, was hinzugedichtet worden war? Doch auf einmal standen sie einem Stück der eigenen Vergangenheit gegenüber. Ein Hinweisstein in einer Eiswüste, der zweifellos im Laufe der Chrons immer wieder erneuert worden war. Das bedeutete, es musste jemand auf dieser Welt sein, der ihn pflegte und nicht dem Zahn der Zeit überließ. Jemand, der diesen Hinweis – wofür immer er auch stand – nicht verrotten lassen wollte.
Zu welchem Zweck? Wurde hier etwas versteckt? Doch warum existierte dann hier ein Hinweis? Wenngleich auch ein ziemlich kleiner Hinweis.
»Weiter. Wir müssen die anderen finden.«
Sie fuhren weiter und fanden auch schnell die fünf Gannel. Mashree überholte sie und stoppte den Gleiter direkt vor ihnen. Er stieg aus und musterte die Gestalten.
Die vier Kleinen verneigten sich vor ihm. Offenbar erkannten sie Mashree. Seine Wut auf sie verging schnell. Der dicke Gannel hingegen starrte den Späher seltsam an. Mashree erkannte ihn. Es war Professor Wackls.
»Was tust du hier, Professor?«
»Ich bin im Namen der Wissenschaft unterwegs.«
»Das bin ich auch. Aber ich habe keine Kinder entführt und ich habe auch die Erlaubnis Zigaldors, mich außerhalb Rideryons zu bewegen. Du auch?«
Wackls schwieg. Dann ging er zu Mashree und packte seinen Arm.
»Ich bin auf der Suche nach einer alten Station. Sie muss Millionen von Chrons alt sein. Und sie ist gleich in der Nähe, bitte!«
Mashree stieß den Professor von sich.
»Euch ist wohl entgangen, dass wir angegriffen wurden. Wir sollten so schnell wie möglich zum Resif-Sidera zurückkehren und Bericht erstatten.«
»Wenn wir diese Station finden, wird ewiger Ruhm jenen Entdeckern zuteilwerden. In tausenden Chrons wird man sich an unsere Namen noch erinnern«, rief Wackls.
Das wirkte auf Mashree. Nach ewigem Ruhm strebte er. Was wäre das für eine Ehre? Der Späher, der eine antike Station der Rideryonen entdeckte und zugleich ein uraltes Geheimnis lüftete. Das gefiel ihm. Doch noch immer misstraute er Wackls. Jedoch sprachen die Beweise für sich. Woher sonst stammten die in altrideryonischer Schrift verfassten Stelen?
»Woher weißt du von dieser Station?«
»Der Große Geist und seine Prediger haben zu mir gesprochen. Die Ylors selbst haben es bestätigt«, erklärte der Gannel.
Die Ylors? Welch zweifelhafter Leumund. Und dennoch, sie hatten recht behalten. Wackls war ein Exzentriker, doch er lag richtig mit seiner Vermutung. Auf dieser Eiswelt schlummerte ein Geheimnis Rideryons. Und Mashree würde es entdecken.
»Also gut, suchen wir deine Station.«
*
Das Erste, was ich sah, war Bretts hübsches Gesicht. Sie lächelte mich an und tupfte mit einem feuchten Tuch meine Stirn ab. Moment! Sie hatte die Maske abgenommen! Wie konnte sie es wagen? Ich wollte mich erheben, doch es war, als wäre ich paralysiert.
Offenbar störte sie meine Fratze nicht. Oder überspielte sie ihre Abscheu geschickt? Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Kopf auf ihrem Schoß lag und sie mir das komplette Oberteil meiner Rüstung abgenommen hatte. Ich fühlte mich etwas unwohl in dieser Position, auch wenn es auf der anderen Seite sehr schön war. Hier könnte ich stundenlang liegen. Vielleicht tat ich das bereits. Ich blickte mich um. Wir befanden uns im Notzelt, welches eine schöne technische Erfindung war. Die Konstruktion selbst bestand aus Nanorobotern und Formenergie, die im Transport klein waren und beim Aufbau anwuchsen. Der kleine Energiespeicher bot ausreichend Wärme und Sauerstoff. Im Bedarfsfall grub sich das Zelt in den Erdboden ein und aktivierte einen Tarnmodus.
»Wie lange war ich weg?«
»Vier Stunden«, sagte Brett und lächelte mich wieder an. »Ich musste dich erst einmal von dieser Statue wegziehen. Das war schwer. Dann habe ich das Notzelt aufgebaut.«
Das hätte ich Brettany nicht zugetraut. Sie war doch zart besaitet und keine Frau, die anpackte? Offenbar irrte ich mich.
»Ich dachte, du kannst besser atmen, wenn ich diesen Metallkram abnehme. Ich verstehe sowieso nicht, wieso du das immer trägst.«
Jetzt wurde es peinlich für mich. Sie starrte mich aus ihren großen blauen Augen an.
»So hässlich bist du nicht, dass du immer eine Maske tragen musst. Ich sehe kaum Narben und Anzeichen von deinem Unfall. Die Haare könnten mal gewaschen und geschnitten werden …«
Sie fuhr mit einem angewiderten Gesichtsausdruck durch meine Haare. Gut, ich hatte sie länger nicht mehr richtig gepflegt. Wozu auch? Es sah ja niemand.
»Was ist passiert?«
»Nachdem wir an dieser Fledermausstatue vorbei waren, bist du zusammengebrochen. Ich habe mir gedacht, dass das bestimmt an dem Ding lag, und dich zurückgezogen. Den Rest habe ich schon erzählt. Keine Ahnung, wieso du umgefallen bist …«
»Ich auch nicht …«
Ich fühlte mich schwach und elend. Ich zitterte. Vier Stunden waren vergangen! Seit nunmehr sieben Stunden waren wir auf diesem Planeten. Es wurde langsam Zeit für eine Rettungsaktion. Wir mussten doch schon vermisst werden.
»Ich habe dir etwas zu essen gemacht. Nichts Besonderes. Eine Kräutersuppe. Mehr gibt unser Vorrat nicht her, es sei denn, du möchtest Nahrungspillen.«
»Nein, Suppe ist prima.«
Sie nahm die Tasse und einen Löffel. Ich wollte mich aufrichten, aber es fiel mir schwer. Alles tat weh. Ich verstand es nicht. Meine Knochen waren teilweise aus Terkonit. Die durften doch nicht so weh tun. Oh nein, jetzt wollte sie mich auch noch füttern! Das war zu viel. Ich war der Silberne Ritter! Hoffentlich erzählte sie niemandem von meiner demütigenden Situation, wenn wir wieder zu Hause waren.
Sie führte den Löffel sanft an meine Lippen. Ich war nicht in der Position, ihr zu widersprechen, also aß ich brav die Suppe. Ich fing sogar an, es zu genießen. Ich fühlte so etwas wie Geborgenheit, ein Gefühl, nach dem ich schon mein ganzes Leben lang suchte. Ich sah zu Brett auf. Sie kümmerte sich rührend um mich.
Wenn sie wüsste, was ich schon alles getan hatte, würde sie mich hassen. Oder vielleicht auch nicht? Sie besaß ein so großes Herz. Vergebung war vielleicht kein Fremdwort für sie.
Langsam war ich in der Lage, mich zu bewegen. Es tat nur höllisch weh.
»Ob wir wohl hier sicher sind?«, fragte sie.
Ich hatte meine Zweifel. Die Besatzungen der beiden fremden Raumschiffe suchten sicherlich nach uns.
Mit Mühe richtete ich mich auf und lehnte mich an die mittlere Zeltstange. Ich streifte ein Hemd über meinen Oberkörper. Das war wirklich angenehmer, als die Rüstung zu tragen. Brett kannte mich jetzt auch ohne Maske. Es war unnötig, sie anzuziehen, solange wir alleine waren.
Sie setzte sich neben mich und legte ihren Kopf auf meine Schulter. So schön das Gefühl war, ich fand es unpassend. Sie bemerkte das wohl und nahm Abstand. Was war ich nur für ein Narr!
»Ich weiß sehr wenig über dich, Cauthon. Nur, dass du in deiner Jugend auf Mashratan schwer verletzt wurdest und du dich dann der Mordred angeschlossen hast. Dann hast du dich von denen losgesagt, Rhodan das Leben gerettet und mitgeholfen, die Dorgonen von der Invasion in der Milchstraße abzuhalten. Was ist mit deiner Familie?«
»Ich habe keine Familie. Meine Eltern wurden nach meiner Geburt ermordet. Es sah wie ein Unfall aus, doch irgendjemand hat sie getötet. Ich habe Rhodan die Schuld daran gegeben …«
»Wieso?«
»Weil er sie nach Neles geschickt hat. Sie sind für seine Ideale gestorben. Und ich habe meine Kindheit als unerwünschter Neffe bei dem Rest meiner Familie verbracht, wurde von allen gehasst und verachtet, weil ich anders war. Das erste Mädchen, das ich liebte, wendete sich von mir ab, bevor ich ihr überhaupt meine Gefühle beichten konnte. Ich wurde damals von dem Anführer der Mordred angestachelt. Ich wandte mich gegen Rhodan und starb beinahe auf Mashratan während eines Bombardements …«
Ich hoffte, das reichte ihr. Oder wollte sie noch mehr schreckliche Details aus meiner Vergangenheit wissen? Ich wusste, dass ich mir selbst etwas vorlog. Es war inzwischen klar, dass Cau Thon für den Tod meiner Eltern verantwortlich war. Das Ableben meiner Eltern gehörte zu meinem Schicksal, ebenso die Isolation während meiner Kindheit. Die Enttäuschungen und Entbehrungen hatten mir den Weg geebnet, ein Sohn des Chaos zu werden. Doch das sollte Brettany nicht erfahren.
Sie würde es nicht verstehen. Und ich verstand es doch selbst nicht. Hätte ich mich gegen Cau Thon wenden sollen und den Tod meiner Eltern rächen? Doch was dann? Ich hatte Cau Thon, Rodrom und MODROR so viel zu verdanken. MODROR schenkte mir die relative Unsterblichkeit und ein Imperium, Respekt und Macht. Ein Ziel vor Augen.
»Dann hast du nie jemanden lieb gehabt? Das ist doch schrecklich, so allein zu sein. Keiner, der dich liebt.«
Natürlich war es das! Sie sagte es so, als würde ihr das schrecklich leid tun. Ich wollte ihr Mitleid nicht. Ich kam ganz gut ohne die Gefühle der Menschen aus. Das hatte mich stark gemacht. Und mein Training in MODRORs Burg.
»Es gab eine Frau. Sanna Breen. Sie war wohl ein Freund. Ich wünschte mir mehr, aber sie zog einen Dorgonen vor. Wir kämpften um Sanna. Sie wollte schlichten und rannte versehentlich in mein Schwert. Sanna starb durch mich. Sie war der letzte Mensch, der mir etwas bedeutete.«
Ich dachte kurz an Myrielle Gatto. Auch sie hatte mir etwas bedeutet, doch es führte zu weit, das Brett zu erklären. Es war wirklich armselig, dass nur wenige Menschen mir etwas bedeuteten. Und ebenso, wie wenigen Menschen ich etwas bedeutete.
Brett nahm meine Hand. Ich zog sie weg. Sie sah traurig zu Boden. Dann blickte sie mir fest in die Augen.
»Offenbar willst du auch keinen an dich heranlassen. Es ist traurig, was geschehen ist. Dennoch gibt es Menschen, die dich mögen.«
»Wen?«
»Perry Rhodan. Obwohl du ihn verraten hast, sucht er noch Kontakt zu dir. Vielleicht glaubt er an das Gute in dir. Das tue ich nämlich auch.« Sie machte eine kurze Pause. »Ich weiß sehr wohl, dass du und mein Vater viele Dinge getan habt, die unverzeihlich sind. Dass an euer beider Hände Blut klebt.«
Ich war sprachlos. Woher? Ich starrte sie fragend an. Sie erwiderte meinen Blick mit einem gequälten Lächeln.
»Brettany ist nicht so dumm, wie viele denken. Mir ist es auch nicht entgangen, dass der Krieg in Cartwheel eure Schuld war. Wir hätten Aurec niemals in den Rücken fallen dürfen. Auch die Allianz mit Dorgon ist verkehrt. Und wir sollten den Somern helfen. Was wir mit den armen Nichtmenschlichen gemacht haben, bricht mir das Herz.«
Tränen kullerten aus ihren Augen. Oh mein Gott, sie wusste von der Artenbestandsregulierung?
»Wir nehmen ihnen die Heimat weg und schicken sie in Lager. Dort schuften sie für uns und kriegen kaum Essen. Das ist unmenschlich. Ich verstehe das nicht!«
Nein, sie wusste nicht, was wirklich hinter der Artenbestandsregulierung steckte. Ich atmete erleichtert auf. Dennoch nagten ihre Vorwürfe an mir.
»Ihr sagt, ihr wollt ein großes Imperium der Menschheit. Ist das eure Vision? Ein Reich, das andere ausbeutet? Ich will es nicht glauben. Ich verstehe eure Motivation nicht, aber ich weigere mich zu glauben, dass ihr überzeugt von dem seid, was ihr tut.«
Was sollte ich ihr sagen? Brett hatte recht mit allem, was sie sagte. Es war unmenschlich und zutiefst verwerflich. Aber es war im Sinne von MODROR. Nur mit einem starken Imperium waren wir ihm nützlich und konnten seine Ziele durchsetzen. Und je besser Menschen ihm dienten, desto mehr war unser Fortbestand gewährleistet.
»Ich liebe meinen Vater. Und du warst in den letzten Monaten sehr nett zu mir. Du hast gezeigt, dass du kein Monster bist. Ob du es magst oder nicht, auch du bedeutest mir etwas. Aber das andere – ich kann nicht verstehen, wieso ihr das tut!«
Sie weinte und vergrub ihr Gesicht zwischen ihren Händen. Ich saß daneben wie ein Idiot. Es stand mir nicht zu, sie zu trösten. Schließlich richteten sich ihre Vorwürfe gegen mich.
»Ich erwarte kein Verständnis für unsere Handlungen. Doch dein Vater und ich sind Konstrukteure einer neuen Menschheit. Leider kann diese vereinte Menschheit nicht nur friedlich erschaffen werden. Wir müssen Kompromisse schließen und auch um den Fortbestand des Quarteriums kämpfen. Und … wir … wir müssen uns mit hohen Mächten arrangieren!«
Mehr durfte ich nicht sagen. Es war unmöglich, ihr zu gestehen, dass wir MODROR dienten. Dass wir von ihm den Zellaktivator bekamen. Bei mir war es bekannt, dass ich den Zellaktivator von MODROR erhalten hatte, doch der Emperador galt immer noch als Günstling von ES.
»Und wann wird das Quarterium so gefestigt sein, dass ihr mit dem Krieg aufhört?«
»Ich hoffe bald. Deshalb sind wir doch nach Ves-Som gereist. Dein Vater und Perry Rhodan werden hoffentlich einen Kompromiss finden.«
Ich glaubte jedoch nicht daran. Es lag nicht in unserer Macht. Nur MODROR entschied über Krieg und Frieden. Doch er forderte, dass wir die estartischen Galaxien und M 87 unterwarfen. Er befahl die Ausrottung vieler Extraterrestrier, warum auch immer. Und ich befürchtete, dass er uns eines Tages auch den Angriff auf die Milchstraße befahl. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zum erneuten Kampf gegen Perry Rhodan kam. Davor hatte ich Angst.
Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht.
»Das sind sehr fröhliche Weihnachten«, meinte sie zynisch. »Alles ist so grau und traurig geworden. Ich will, dass wir alle wieder in Frieden leben und unsere alten Freunde uns nicht bekämpfen.«
»Du hast ein großes Herz«, sagte ich und lächelte. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich lächelte.
»Vielleicht gibt es noch Hoffnung. Aber es liegt nur bedingt in unserer Macht. Wir müssen eine Brücke zwischen den Interessen der Menschheit und denen einer hohen Entität schlagen. Mehr darf ich dir nicht sagen. Es tut mir leid.«
Ich stand auf. Die Glieder schmerzten. Der Boden zitterte. Ein lautes Grollen kam von draußen. Das waren Antriebsgeräusche.
»Sie haben uns gefunden«, jubelte Brett und stürmte aus dem Zelt.
»Brett, nein, warte!«
Ich legte meine Rüstung an und rannte ihr hinterher. Sie stand direkt vor dem Zelt. Schnee wehte ihr ins Gesicht. Vor uns landete kein freundliches Schiff. Das schwarze, ovale Raumschiff der Angreifer ragte über ihr auf.
Auf der Suche
Die Nachricht von Brettanys Verschwinden löste beim Emperador de la Siniestro blankes Entsetzen aus. Perry Rhodan spürte, dass er sich große Sorgen um seine Tochter machte. Auf der anderen Seite war Despair bei ihr. Einen besseren Beschützer gab es nicht. Dass Cauthon etwas mit Bretts Verschwinden zu tun hatte, vermutete keiner. Es ergab keinen Sinn. Warum sollte der Silberne Ritter die Tochter seines Herrschers entführen?
Kapitän Calvallo hatte berichtet, dass Brettany befohlen hatte, die Fähre startklar zu machen.
Seit zwölf Stunden hatten sie sich nicht gemeldet. Der letzte Kontakt zu ihnen war vor zehn Stunden gewesen. Ein Patrouillenschiff des Quarteriums hatte das Raumschiff siebenhundertzwölf Lichtjahre von Ves-Som das letzte Mal registriert.
»Wir werden sie finden«, versprach Orlando. »Ich bitte Sie, mir bei der Suche zu helfen.«
»Natürlich«, erwiderte Rhodan. »Wir sollten uns zuerst an die Position begeben, wo der Kontakt abgebrochen ist.«
Orlando bestätigte. Sie stellten eine Suchmannschaft zusammen. Orlando, Gucky, Bully und Rhodan. Kapitän Calvallo begleitete sie. Auch de la Siniestro bestand darauf, mitzukommen. Nur Stephanie und Peter wollten nicht mit. Roi bot an, auf die beiden aufzupassen und gestand, etwas Angst zu haben. Natürlich hatte er die nicht wirklich. Doch er spielte wieder eine Charade. Perry war es gleich. Sie waren genügend Leute, um zu suchen.
Die BUTRAGUENO startete wenige Minuten danach. Perry beobachtete den Emperador, der in größter Sorge war.
»Wenn Brett etwas zugestoßen ist, werde ich mir das niemals verzeihen. Sie ist doch meine kleine Tochter.«
Rhodan war überrascht. Er hatte in dieser Hinsicht den Emperador falsch eingeschätzt. Diese menschlichen Züge erleichterten die ganze Situation nicht. Es war viel einfacher, gegen jemanden zu kämpfen, der abgrundtief böse war. Doch de la Siniestro war kein durchweg böser Mensch. So wie die Quarterialen. Sie waren Brüder. Rhodan fühlte seine Politik in den letzten knapp zwei Jahren bestärkt. Es wäre falsch gewesen, aggressiv gegen das Quarterium vorzugehen. Der Krieg musste bald mit friedlichen Mitteln beendet werden.
»Don Philippe, verstehen Sie jetzt wohl, wie sich die somerischen, saggittonischen und estartischen Väter fühlen? Das ist die Schattenseite des Krieges …«
Er sah Perry entgeistert an, dachte wohl über seine Worte nach. Perry glaubte, ein schwaches Nicken zu erkennen.
Bully betrat das Quartier.
»Wir haben einen Peilsender lokalisiert, eintausendachthundert Lichtjahre von uns entfernt. Er stammt von der Fähre. Offenbar sind sie dort in Schwierigkeiten.«
»Aber sie leben?«, fragte de la Siniestro.
Bully zuckte mit den Achseln.
»Keine Ahnung. Das werden wir ja sehen, wenn wir dort sind. Der Planet heißt Somross 7 und gehört zum unbewohnten System Somross X31999. Da gibt es seit Jahrhunderten keine Kolonien mehr.«
Was sie dort wohl suchten? Der Emperador gab den Befehl, so schnell wie möglich dorthin zu fliegen. Es war schon sonderbar für Perry Rhodan. Er befand sich auf einer Rettungsmission für Quarteriale.
*
Daccle Dessentol fühlte sich wie ein Fan einer Musikgruppe in Gegenwart des Leadsängers. Die Anwesenheit des Spähers Mashree entzückte ihn unbeschreiblich. Auch Lariza war hin und weg. Sie starrte den Harekuul pausenlos an. Secc schüttelte nur den Kopf und Wilzy klagte Borgelund und Wedyyrk sein unsägliches Leid.
»Wie weit ist es noch bis zu dieser ominösen Station?«, fragte Mashree.
»Das weiß ich nicht genau. Sie muss hier irgendwo sein. Ein hoher Turm, welcher der Sonne entgegen tritt. So steht es geschrieben …«
Daccle fand etwas daran seltsam.
»Wie alt waren die Aufzeichnungen noch mal?«
»Sehr alt. Warum, Junge?«, wollte der Professor wissen.
»Wenn es so einen Turm vor vielen Tausenden oder Millionen von Chrons gab, steht er heute vielleicht gar nicht mehr. Oder ist im Laufe der Zeit von Erdschichten bedeckt …«
Wackls fluchte. Offenbar hatte Daccle damit genau ins Schwarze getroffen.
»Du bist sehr klug, mein kleiner Freund.« Mashree nickte Daccle anerkennend zu. »Suchen wir also das Erdreich ab.«
Der Gleiter flog tiefer. Borgelund bediente die Kontrollen und scannte den Erdbodenbereich. Daccle war stolz auf seinen Einfall, auch wenn er nicht wusste, ob er überhaupt die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er entschied, Wackls weiterzuhelfen. Doch der Späher war dafür und der wusste, was er tat. Daccles Vertrauen in Mashree war unerschütterlich.
Lariza blickte Daccle böse an. Was war denn nun schon wieder mit der los? War sie sauer, dass diesmal er mit seiner Intelligenz angab?
»Was?«
»Ich spüre wieder diesen Impuls. Dieses Lebenszeichen«, sagte die junge Gannel. »Aber es sind zwei. Mein Kopf tut weh …«
Wackls packte sie.
»Was sagst du da? Du spürst ihn? Wo? Wo? Rede!«
Er rüttelte an ihren Schultern. Mashree zog Wackls zurück. Er blickte den Professor finster an. Dann fragte er Lariza betont ruhig, ob sie die Impulse bestimmen konnte.
»Es sind zwei Lebensimpulse. Einer sehr stark aus dem Boden. Der andere wird in dieser Richtung stärker.«
Sie zeigte nach Norden. Mashree sah in die Himmelsrichtung, lehnte sich in seinen Sessel und grübelte wohl darüber nach.
»Wir gehen erst einmal dem schwächeren Impuls nach, bevor dieser verloren geht. Borgelund, steuere den Gleiter nach Larizas Empfindungen. Dann finden wir diesen Impuls!«
Nun grinste Lariza Daccle so an, als wollte sie ihm damit sagen, dass auch sie im Mittelpunkt stehen konnte. Was soll’s, dachte Daccle. Hauptsache, sie würden dieses Abenteuer bald überstanden haben.
Die Entropen
»Hohoho, frohe Weihnachten!«
Brettany verlor das Gleichgewicht und fiel in meine Arme. Auch ich brauchte eine Weile, um den Anblick dieser sonderbaren Kreatur zu verdauen.
Was vor uns schwebte, war blau. Das Wesen besaß keine Beine, sondern schwebte auf einer Antigravscheibe. Vier Tentakel ragten aus dem medizinballförmigen Torso. Der ovale Kopf saß auf einem relativ langen Hals. Ein riesiger, gigantischer Kopf. Er erinnerte mich an Bilder des Mutanten Ribald Corello.
Vier Augen, eine Knollennase und große Ohren – denen eines Elefanten sehr ähnlich – ließen dieses Geschöpf abschreckend und skurril zugleich aussehen.
»Was seid ihr für Geschöpfe?«, fragte ich.
Das Ding schwebte auf mich zu. Hinter ihm baute sich eine kolossale Kreatur auf. Sie war einem Haluter nicht unähnlich. Säulenbeine, vier Arme und drei Augen. Ihr Kopf war jedoch oval und sie besaß einen Hals mit zwei spitzen Ohren. Auch ihre ledrige Haut war leuchtend türkisblau, jedoch mit dunkleren Schattierungen, die an schattiges Wasser erinnerten. Ihr Sixpack sah beeindruckend aus.
Daneben standen zwei weitere Blaue. Sie waren etwa zwei Meter groß, fettleibig und besaßen zwei Beine und vier Arme. Ihr Kopf war oval, auch drei Augen. Sie trugen einen Vollbart, und statt Haaren, zierte ein stachliger Kamm ihren sonst kahlen Kopf. Das sah aus – wie hießen diese asozialen Jugendlichen? Punks?
»Meine Bezeichnung ist Denker01292. Das sind Therm, Vhermun und Shermyl, meine Gardisten.«
Die drei Genannten hatten uns umstellt. Brett und ich hatten keine Chance, ihnen zu entkommen.
»Und … und was können wir für Sie tun, Sir?«, fragte Brett sichtlich beeindruckt von den Fremden.
»Es ist eher von Bedeutung, was wir für Sie tun können, Miss oder Madam. So redet man doch die Damen Ihrer Spezies an, richtig?«
Brett nickte.
»Fein«, sagte Denker01292. Der Stachelkamm wippte. »Wir haben ein fremdes Schiff verfolgt. Ein weiteres stieß dazu. Mit Ihnen im Schlepptau. Kurzum, wir haben alle drei Raumschiffe gezwungen, auf dieser öden Welt niederzugehen. Die Besatzungen der anderen beiden Schiffe sind gefährlich. Auch für quarterialen Abschaum wie euch.«
Abschaum? Wie vertrug sich das Schimpfwort mit seiner vorherigen Höflichkeit? Ein Lächeln huschte über Denker01292 feistes Gesicht. Woher kam diese Kreatur? Ich entschied mich für den direkten Weg.
»Welchem Volk gehören Sie an? Sie befinden sich auf quarterialem Hoheitsgebiet!«
Denker01292 verzog das Gesicht und äffte meine Worte nach. Seine Tentakel wirbelten wild umher.
»Wir entstammen dem großen Reich der Entropie und gehören den Völkern der Entropen an. Wir dienen und leben für die Entropie. Wir huldigen der Existenz jener göttlichen Wesen, deren Macht und Herrschaft auf den Dimensionen beruht, die außerhalb des Verständnisses der Lebewesen dieses Universums liegen.«
Ein Volk namens Entropen kannte ich nicht. Auch sagte mir ein Reich der Entropie rein gar nichts. Das Aussehen dieser Gestalten hätte ich als Mischung zwischen Halutern und Galornen angesehen. Abgesehen von diesem Denker und Lenker, der völlig grotesk aussah.
»Und wieso seid ihr hier, … Entropen?«
»Eure Neugier ist impertinent, verehrter Cauthon Despair. Übt Euch in Zurückhaltung. Das wäre sehr höflich. Ich danke Ihnen dafür im Voraus.«
Denker01292 grinste freundlich. Ich war mir sicher, dass er es nicht war. Woher kannte er meinen Namen? Nun gut, wer kannte den Silbernen Ritter nicht? Zumindest war dieses fremde Volk gut informiert.
»Jene, die wir suchen, sind gefährliche Vertreter einer Völkergemeinschaft, die nur Unheil bringen wird. Es sind die Vorboten des sogenannten Riffs. Wir müssen ihnen beim Übergang ins Jenseits behilflich sein.«
»Was ist das Riff? Und sie töten? Aber wieso?«, fragte Brett überrascht.
»So handhabt man Gefahren. Man vernichtet sie. Bedauerlich, aber so ist das Gesetz des Universums. Keine Sorge, wir töten sie geschwind. Was Euch jedoch angeht, nun …«
Es reichte mir jetzt. Ich zog mein Schwert, war mit einem Satz bei diesem Denker und hielt ihm das Schwert an den fetten Hals.
»Dies ist kein weiser Entschluss, möchtet Ihr das Leben dieser holden Dame erhalten.«
Das übergewichtige Monster packte Brettany.
»Er würde sie sofort zerquetschen. Ich wäre tot, sie wäre tot. Das wäre doch ein Unheil?«
Ich nahm das Schwert herunter.
»Wenn Sie irgendwelche Wesen umbringen wollen, tun Sie das. Lassen Sie uns aber in Ruhe. Legen Sie sich nicht mit dem Quarterium an. Das dürfte Ihnen nicht gut bekommen.«
Denker01292 stieß sich von mir ab und schwebte einige Meter in die Höhe. Therm ließ Brettany fallen. Ich lief zu ihr und half ihr hoch.
»Gewiss ist Euer Imperium mächtig. Dies ist auch eine wenig verwunderliche Tatsache, in Anbetracht jener finsteren Unterstützung, die Euch gewährt wird.«
Wieder dieses feiste Grinsen. Der Entrope war ausgesprochen gut über uns informiert. Er wuchs zu einer Bedrohung heran, die ich bekämpfen musste. Aber ich durfte Bretts Leben nicht gefährden. Brettany hatte Priorität.
»Mein Denker, die Riffaner nähern sich unserer Position. Können sie uns angepeilt haben?«
»Nein, mein Dummerchen. Ich denke eher …« Der Denker kicherte, wohl über sein Wortspiel. »Es hat etwas mit unseren quarterialen Gästen zu tun. Nun gut, dann kommt der Knochen zum Hund. Bereitet alles vor. Wir locken sie in eine Falle.«
Der Riese verneigte sich. Riffaner. So hießen also unsere ersten Entführer. Was war das Riff? Klang wie ein Felsen im All oder vielleicht eine Stadt im Wasser. Nein, nicht im Wasser. Dieses Riff näherte sich offenbar Siom Som. Demnach musste es ein fliegendes Objekt sein. Ein Raumschiff oder eine Raumstation. Die Entropen schienen es zu kennen. Vielleicht trugen zwei rivalisierende Parteien hier ihren Konflikt aus? Dem widersprach jedoch die Tatsache, dass die Entropen das Quarterium als Abschaum titulierten. Sie schienen uns zu kennen. Vielleicht waren die Entropen Anhänger von DORGON. Demnach würde das Riff zu MODROR gehören? War es so simpel? Wieso hatten sie uns dann entführt? Vielleicht arbeiteten die Entropen und Riffaner auf ihrer eigenen Seite?
Brett nahm meine Hand. Sie hatte Angst. Diesmal stand es mir zu, ihr Trost zu spenden. Ich drückte ihre Hand. Dabei stieß sie einen leisen Schrei aus. Ich hatte wohl zu fest zugedrückt.
»Entschuldige«, flüsterte ich.
Sie sagte nichts.
»Nun, was Sie, Miss de la Siniestro, angeht … ja, ja, ich kenne Sie auch! Sie und Despair werden vorerst unsere Gäste sein. Vielleicht wird Denker01291 über Ihr Schicksal entscheiden. Wir werden sehen.«
Er gab den beiden »mittleren« Entropen ein Zeichen. Sie brachten uns in die Kommandozentrale ihres Raumschiffs. Das Innere des Schiffes wirkte fast völlig steril. Weiße, leuchtende Wände, weiße, plastikhafte Einrichtung. Es gab hier nichts Persönliches. Auch wirkte das Schiff weder militärisch noch wissenschaftlich. Es war neutral. Denker01292 schwebte an eine Kontrolle.
»Erleben Sie nun die Effektivität einer entropischen Operation, meine Dame, mein Herr …«
Vor uns baute sich die Holografie eines fliegenden Gleiters auf. Ich nahm an, dass es sich dabei um diese Riffaner handelt. Acht Wesen befanden sich an Bord. Ich musterte jedes von ihnen. Am auffälligsten war ein Wesen, welches mich an einen Zentauren erinnerte. Halb Mensch, halb Pferd. Das Wesen neben ihm besaß fünf Stielaugen und war seltsam gebaut. Eine andere Kreatur wirkte gläsern. Allesamt sehr fremdartig. Die anderen fünf ähnelten Menschen. Der eine war sehr fett und trug wirres, schütteres Haar. Die Ohren waren spitz, die Zähne standen hervor. Bei den anderen jedoch nicht. Zwar besaßen diese etwas kleineren Humanoiden auch spitze Ohren und ihre Haarfarbe war kunterbunt, doch ansonsten gab es winzige Unterschiede. Die Nasen waren sehr spitz, die Augen größer, als bei normalen Menschen. Irgendwie wirkten sie sogar putzig mit ihren langen, dreigliedrigen Füßen.
Nun, bald waren sie wohl tot. Ein Energiestrahl huschte auf den Gleiter zu. Doch das Vehikel wich aus. Der zweite Schuss traf. Feuer brach im Heck aus. Der Gleiter trudelte nach unten und schlug auf.
»Ein Schuss mehr als kalkuliert. Bedauerlich«, fand Denker01292. »Nun denn, den Rest werden meine drei Soldaten übernehmen. Schauen wir uns den kleinen Kampf doch einmal an.«
Eines schien dieses Superhirn in seiner unermesslichen Arroganz jedoch nicht berücksichtigt zu haben. Er war mir jetzt wehrlos ausgeliefert. Ich ging einen Schritt näher.
»Ahah! Tun Sie das nicht, Despair. Ich kann mit einem psionischen Impuls Ihre Freundin oder auch Sie töten. Und ich werde mit ihr anfangen, wenn Sie mich attackieren.«
Ich setzte mich wieder hin. Offenbar hatte er doch daran gedacht. Vielleicht war es auch nur ein Bluff. Ich wollte es nicht auf Bretts Kosten herausfinden.
Auf der Holografie sah ich den Kampf zwischen den Riffanern und den drei Entropen. Bis jetzt war noch niemand zu Schaden gekommen. Plötzlich tauchte ein anderes Raumschiff auf. Es war das der Riffaner. Eine Energiesalve fegte die drei Entropen hinweg.
»Nun, Denker? Falsch gedacht?«
»Wir werden sehen, Despair. Ich fürchte, ich werde vorerst eine Kapitulation in Erwägung ziehen. Kommen Sie bitte mit. Wir werden die Riffaner begrüßen.«
Denker01292 flog los. Das ganze Benehmen dieses Wesens war überaus seltsam. Unberechenbar und gegen alles gerichtet. Offenbar erwartete er jetzt, dass wir ihm folgten. Vielleicht war es besser so.
Die Riffaner starrten uns seltsam an. Aus den Augen dieses Zentauren las ich, dass wir ihm nicht unbekannt waren. Er war also unser erster Entführer. Stellte sich nur die Frage, welcher Entführer schlimmer war.
»Was werden die jetzt mit uns tun?«, flüsterte Brett.
»Keine Sorge. Wollten sie uns töten, hätten sie es getan.«
Denker01292 schwebte zu dem Zentauren.
»Soso, ein Riffaner. Riffspäher, nehme ich an? Seid ihr jetzt vor den Toren dieser Galaxis, um sie zu vernichten?«
Der Zentaure musterte den Entropen.
»Späher Rideryons, des Resif-Sideras«
»In unserer Sprache ohne vielerlei Umschreibung nennen wir es Riff«, sagte der Entrope.
»Eure Sprache. Diese Sprache Interkosmo, die Ihr sprecht, ist die Sprache des Quarteriums. Ich sehe Euch mit zwei hochrangigen Vertretern dieses Reiches, seid Ihr Freunde von Ihnen? Wieso trachtet Ihr uns dann nach dem Leben?«
Denker01292 lachte.
»Wie armselig euer Intellekt doch ist, Riffaner. Wir, die Entropen, gehen einen Weg jenseits von Kosmokraten und Chaotarchen. Und deren Abkömmlinge …«, er machte eine Geste, die nur als abwertend gedeutet werden konnte.
»Das beantwortet meine Frage noch nicht, Fremder«, beharrte der Zentaur.
Ein Gleiter schwebte aus dem Raumschiff der Riffaner. Der dicke Humanoide saß dort drin. Er winkte die vier Kleinen zu sich, die langsam in seine Richtung gingen.
»Nun, wir, die Entropen, bewahren die Entropie und sorgen dafür, dass weder Chaos noch Ordnung ein Übergewicht erlangt. Wir halten das Gleichgewicht ein. Eure Aktionen würden jedoch die Balance verändern. Insbesondere das Vorhaben dieses Riffaners!«
Ich ging mit Brett zu den kleinwüchsigen Riffanern. Der oder die eine sah mich völlig entgeistert an. Der dicke Riffaner starrte mich an. Beide sagten etwas zueinander, ich verstand es jedoch nicht.
Denker01292 deutete auf den Mann in dem Gleiter. Der Zentaur drehte sich um und wandte ihm das Gesicht zu.
»Professor Wackls ist Forscher. Seit wann ist Wissenschaft eine Gefahr für das Gleichgewicht des Kosmos?«
»Wisst Ihr, was er hier will?«
Der Zentaur schwieg.
»Dachte ich es mir doch«, triumphierte Denker01292. »Genau aus diesem Grunde werden wir Euch leider behilflich sein müssen, schneller als von Euch geplant, zu sterben.«
Plötzlich stürmte dieses Therm-Monster aus dem Wald. Es hatte überlebt. Die Kreatur stürzte sich auf den mit den Stielaugen und zerquetschte ihn. Brett schrie entsetzt auf und drehte sich zu mir. Ich nahm sie in den Arm. Dann eilte der Entrope zu dem zweiten Begleiter. Der Zentaur nahm eine Waffe und feuerte. Der Schuss traf den Entropen, doch er schien ihm nichts auszumachen. Unbeirrt stapfte er auf den gläsernen, grazilen Riffaner zu und riss ihn in zwei Teile. Das entropische Schiff machte sich selbständig und feuerte drei Salven auf das Schiff der Riffaner. Es explodierte. Währenddessen fuhr der Gleiter mit diesem Wackls und den vier – es waren wohl Kinder – weg.
»Nein!«, brüllte Denker01292.
Offenbar hatte er das nicht eingeplant. Therm stand nun vor dem Zentauren. Beide belauerten sich. Denker01292 schwebte zu uns und hielt an. Er schien recht amüsiert zu sein.
»Das wird ein netter Kampf. Hoffentlich tötet Therm ihn nicht zu schnell. Das wäre langweilig.«
Ein Schatten warf sich über das Land. Ich blickte hoch. Zwei quarteriale SUPREMO-Raumer schwebten plötzlich über uns. Das war die Rettung. Hoffentlich kam sie noch rechtzeitig.
Die Rettung
Der Zentaur nutzte die Gelegenheit und rannte vor dem Entropen davon. Unser Kugelraumer spie eine Space-Jet aus. Mit donnernden Motoren rauschte sie auf uns zu.
»Wir sind gerettet«, jubelte Brett.
Offenbar kümmerten sich weder die Entropen noch dieser Riffaner um uns. Der Riffaner aktivierte einen Antigrav und schwebte davon. Denker01292 und sein Vasall Therm eilten in ihr eiförmiges Raumschiff. Das entropische Schiff startete und verschwand im Orbit.
Diese seltsamen Wesen waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren.
Die Space-Jet landete. Perry Rhodan, Gucky, Reginald Bull, Orlando und Don Philippe de la Siniestro kamen uns entgegen. Brett lief auf ihren Vater und ihren Bruder zu. Sie umarmte sie herzlich. Wir waren gerettet. Doch waren wir wirklich in Gefahr gewesen? Offenbar wollten sowohl die Riffaner, als auch die Entropen etwas von uns. Nur was?
Perry Rhodan trat an mich heran.
»Was ist geschehen?«
Dieses Mal wollte ich ihm nichts vormachen.
»Wie es aussieht, haben wir soeben zwei neue Völker entdeckt. Die Entropen und die Riffaner. Dort liegen einige Leichen von ihnen.«
Ich schilderte Rhodan unsere Erlebnisse. Perry musterte die Toten.
»Wir werden die Leichen untersuchen. Ich stelle euch gerne LFT-Wissenschaftler zur Verfügung. Das könnte ein Problem sein, was uns alle angeht.«
Ich stimmte ihm zu.
»Noch leben einige von ihnen. Die Riffaner werden wohl nicht so einfach den Planeten verlassen können. Wir sollten sie suchen.«
Rhodan nickte.
»Also gut. Es ist euer Schiff da oben. Ihr stellt den Suchtrupp zusammen. Bully, Gucky und ich begleiten euch aber gern.«
*
Mashree beschleunigte den Antigrav, so schnell es nur ging. Er spürte die beiden Entropen in seinem Nacken. Noch immer konnte er den Tod von Borgelund und Wedyyrk nicht fassen. Das ganze Unternehmen war in einem Desaster geendet. Sein Schiff war beschädigt, seine Besatzung tot. Wieso? Er war in friedlicher Mission unterwegs. Wer waren diese Entropen?
Es gab nur noch eine Hoffnung. Wackls und die vier Kinder. Sie besaßen ein Raumschiff. Vielleicht hatten sie es repariert oder die Ersatzteile waren für die RYDOM geeignet. Er musste ihnen folgen und irgendwie versuchen, die Entropen zu erledigen. Mashree wollte gar nicht daran denken, was diese Terraner nun dachten oder gar wussten. Zwei Leichen und ein zerstörtes Raumschiff standen ihnen zur Untersuchung zur Verfügung. Sie konnten dadurch Erkenntnisse über Rideryon erlangen.
Mashree schickte eine kodierte Nachricht an die RYDOM. Der Rechner bestätigte ihm, dass er über Desintegratoren verfügte. Sie waren einsatzfähig. Mashree erteilte den Befehl, das Raumschiff von Wackls damit zu vernichten. Und sollte er von seiner Mission nicht zurückkehren, so sollte die RYDOM sich selbst zerstrahlen. So hatten sie zwar die Körper und einige kleine Technologien, doch den Feinden blieben mehr Informationen verborgen.
Zigaldor wäre bestimmt über Mashrees Versagen enttäuscht gewesen. Doch wer hatte mit diesen Entropen gerechnet? Immer wieder zermarterte Mashree sein Gehirn. Er machte sich für sein leichtfertiges Verhalten Vorwürfe.
Das Signal des Gleiters von Wackls und den Kindern blieb konstant. Offenbar waren sie gelandet. Wackls hatte wohl seine geheime Station gefunden. Was Mashree jedoch verwirrte, war, dass der andere Lebensimpuls sie direkt zu den Entropen geführt hatte. Oder galt der Impuls, den die Gannel Lariza gespürt hatte, etwa den Terranern? So interessant das Geheimnis war, es war sekundär. Primär musste sich Mashree um seine beiden Verfolger kümmern.
Er hatte dabei nur eine Chance. Die Überraschung. Er überprüfte seine Waffen. Viel hatte er nicht mehr. Doch vielleicht reichte es für eine Falle. Der große Entrope war schwer zu vernichten. Deshalb benötigte er eine größere Ladung.
Mashree landete und vergrub seine Munition und Wurfgranaten im Schnee. Dann wartete er. Es dauerte nicht lange, bis die beiden Entropen ihn fanden. Sie landeten, wie geplant, einige Meter vor ihm.
»Gebt Ihr auf, Riffspäher? Das ist bedauerlich. Die Jagd wurde interessant, mein Freund.«
Mashree ignorierte Denkers Hohn. Sollten sie nur näher kommen! Er stand unbewegt da. Dann endlich überschritt der große Entrope die »magische Linie«. Mashree zielte auf die vergrabende Munition und Sprengkörper und wollte abdrücken. Doch er konnte nicht. Sein Kopf fing an zu schmerzen, die Hand zitterte. Er wollte abdrücken, aber der Finger am Abzug blieb starr. Mashree hatte das Gefühl, als würde sein Kopf jede Sekunde explodieren. Schreiend warf er den Strahler weg, fiel zu Boden und wälzte sich auf dem Boden.
Die Gedanken des Spähers waren ein Wirrwarr gegensätzlicher Ideen. Keine brachte ihn weiter. Jeder Gedanke verschlimmerte die Schmerzen nur. Er hörte das schallende Lachen des Entropen in seinem Kopf.
»Narr! Geistesschwache Wesen sind so anfällig für psionische Attacken. Soll Therm Sie zermalmen oder ich Ihr Gehirn zerschlagen? Sie haben die Wahl.«
Mashree wollte etwas sagen, aber er bekam keine Silbe über die Lippen. Mit letzter Kraft erhob er sich, doch sofort knickte er wieder ein. Nun begriff er, dass er starb. Nichts bewahrte ihn mehr vor dem Tod. Die Stimme in seinem Kopf schallte unentwegt, er ignorierte sie. Die Umwelt verschwand. Erinnerungen an sein Leben kamen hoch. Der Entrope war nicht mehr zu hören. Nichts war mehr zu hören oder zu sehen.
Stille.
Dunkelheit.
*
Orlando de la Siniestro war froh, dass seine Schwester Brettany in Sicherheit war. Dennoch blieb Misstrauen gegenüber Cauthon Despair. Orly beobachtete die ganze Zeit den Silbernen Ritter. Er verbarg etwas. Was hatten sie die ganze Zeit über getan? Sollte Despair Brett angefasst haben, würde er ihn zum Duell herausfordern. Despair war kein Mann für seine Schwester. Er war ein Freak, ein Monster. Sicherlich ein genialer Stratege, aber niemals ein würdiger Ehemann für seine Schwester!
»Ihr müsst jenseits dieser Statue suchen. Dort ist etwas verborgen«, sagte Despair orakelhaft.
»Wir? Kommst du nicht mit?«, fragte Rhodan.
»Nein. Irgendetwas hält mich davon ab. Eine unsichtbare Barriere. Ich möchte diese schmerzvolle Erfahrung ungern zweimal machen.«
Rhodan verstand offenbar. Er wies den Rest an, ihm zu folgen. Orlando überkam ein seltsames Gefühl. Wieso leitete Perry Rhodan eine quarteriale Suchmannschaft?
Orlando stieg in Rhodans Gleiter ein.
»Auf mein Kommando, Männer. Wir schwärmen aus!«
Orlando sah zu Rhodan und gab ihm damit zu verstehen, dass kein LFT’ler einem Quarterialen einfach so Befehle erteilte. Die Gleiter fuhren los. Gucky saß beinahe schon auf der Steuerungskonsole.
»Ich spüre einige Lebenszeichen. Wir sind auf dem richtigen Kurs.«
Orly bekam Kopfschmerzen. Eine Gefahr war im Verzug. Er sackte zu Boden. Rhodan fragte, was war. In diesem Moment spürte de la Siniestro, wie sein grauer Schatten ihn verließ und auf den Erdboden zusteuerte. Orlando sah, was der Schatten erblickte. Er hatte seine mutantische Begabung seit Jahren nicht eingesetzt. Es geschah immer noch mehr zufällig. Der Schatten hatte seinen eigenen Willen, um Gefahren zu verhindern.
Orlandos graues »Ich« streifte durch den Wald und stoppte an einem Pfad. Dort standen diese ominösen Entropen und töteten den Zentauren, der laut Despair ein Riffspäher war. Der Schatten griff sofort ein und attackierte den schwebenden Entropen. Die andere stürmte sofort auf ihn los, doch Orlandos Schatten huschte zur Seite.
Doch das schwebende Wesen verfügte über andere Stärken. Es sendete einen psionischen Impuls, der selbst Orlando traf. Die Schmerzen waren grausam. Tausende Gedanken gleichzeitig schossen in seinen Kopf. Ein Wirrwarr der Gefühle. Liebe, Tod, Hass! Er war völlig verwirrt und es schmerzte. Ängste. Uthe Scorbit blieb bei ihrem Mann. Hoffnung. Sie machte Schluss mit diesem Remus und heiratete Orlando. Träume. Das Quarterium regierte Terra in Frieden und Glorie.
Der Schatten zog sich zurück. Der psionische Druck war zu stark. Orlando bemerkte jedoch, dass der Riffspäher sich aufrappelte und auf den Boden schoss. In einer gewaltigen Explosion vergingen die beiden Entropen offenbar. Der Riffspäher schwebte davon.
Dann war der Schatten wieder bei Orlando. Als er wieder zur Besinnung kam, blickte er in die besorgten Gesichter von Gucky und Perry Rhodan. Stotternd berichtete Orlando, was geschehen war.
»Wir folgen dem Riffspäher. Er wird uns zu den anderen Riffanern bringen. Der zweite Gleiter soll nach den Überresten der Entropen suchen«, befahl Rhodan.
»Keine Sorge, Orly. Ich habe mitgefühlt, was geschehen ist. Durch den psionischen Druck lagen deine Gedanken offen wie ein Buch. Dieser Entrope war ein starker Mutant.«
Orlando nickte. Dann fiel ihm ein, dass er über Uthe Scorbit nachgedacht hatte. Er sah Gucky entsetzt an.
»Remus ist ein guter Freund von mir. Wir haben schon einmal besoffen in seinem Swimmingpool gelegen. Tue nichts, was ihm schadet, verstanden?«, drohte der Mausbiber und sah ihn dabei böse an.
Orlando ging nicht näher darauf ein. Dieser Ilt hatte sich nicht einzumischen. Immer wieder aber meinten die Herren Unsterblichen, sich einmischen zu müssen. Die LFT regierte nicht die Menschen des Quarteriums. Es wurde Zeit, dass Rhodan und seine Clique das endlich begriffen.
*
Lärm!
Licht!
Mashree lebte noch. Wieso hatte der psionische Druck aufgehört? Ganz egal, welch glückliche Laune des Schicksals ihm noch einmal eine zweite Chance schenkte. Er würde sie nutzen! Mashree rappelte sich auf, griff nach seinem Strahler und feuerte auf die eingegrabenen Sprengkörper. Die Explosion umhüllte die beiden Entropen. Wenn sie nicht tot waren, hatte er zumindest Zeit gewonnen.
Er aktivierte den Antigrav und flog in Richtung des Peilsignals von Professor Wackls. Mashree bemerkte, dass er von den Terranern verfolgt wurde. Rasch schaltete er das Tarnfeld an. Das dürfte reichen, um sie abzulenken.
Er wartete. Der Gleiter kreiste an jener Stelle, an der er das Tarnfeld aktiviert hatte, und suchte offenbar nach ihm. Das bedeutete, sie konnten ihn nicht mehr orten.
Mashree setzte den Weg zu Professor Wackls fort.
Die geheime Station
Der kalte Wind wehte Daccle Dessentol unbarmherzig ins Gesicht. Er zitterte am ganzen Körper. Ein Blick auf Secc, Wilzy und Lariza verriet ihm, dass es ihnen nicht anders erging.
»Dieser Mann in der Rüstung. Der hat dieselben Impulse ausgestrahlt, wie ich sie jetzt spüre. Was hat das zu bedeuten?«
Lariza sah Daccle ratlos an. Auch er konnte sich keinen Reim darauf bilden. Was hatte dieser Terraner, wie die Rasse wohl hieß, mit einer uralten Station rideryonischen Ursprungs zu tun?
Wackls war damit beschäftigt, ein tiefes Loch in den Boden zu bohren. Offenbar hatte er das passende Equipment aus dem Schiff des Spähers gestohlen, bevor es von dem entropischen Schiff zerstört wurde. Daccle dachte über den Begriff nach.
Entropie!
Diese Blaulinge hatten erklärt, sie wollten das Gleichgewicht zwischen Chaos und Ordnung aufrechterhalten. Entropie besagte ja, dass in der Ordnung immer etwas Chaos ist. Würde eines der Extreme überhand nehmen, gab es keine Entropie mehr. Waren diese Wesen demnach Anhänger der Entropie und der Thermodynamischen Gesetze? War das so eine Art Religion für sie?
Daccle fand diese Theorie spannend. Secc, Wilzy und Lariza schienen jedoch wenig Gefallen an dem ganzen Abenteuer zu finden. Sie starrten auf Wackls, der mit den Ausgrabungen beschäftigt war.
»Wir sollten den Gleiter nehmen und zurück zum Schiff fliegen«, schlug Secc vor.
»Quatsch, wir werden sowieso sterben. Wahrscheinlich kommen gleich Eingeborene, welche die Station bewachen. Sie fangen uns und opfern uns gigantischen Tieren, die uns auffressen. Und mich als Ersten.«
»So wird es sein, Wilzy«, meinte Secc zynisch.
Die Zeit verstrich und nichts geschah. Wackls grub mit dem Gleiter ein immer tieferes Loch. Doch er war überzeugt, dass sich hier die Station befand. Schließlich spürte Lariza den Impuls hier am deutlichsten. Doch nicht nur das. Wackls hatte mit seinen Geräten die Struktur der Statue an der Oberfläche analysiert und Metall des gleichen Typs in einer Tiefe von vierhundertachtzig Metern entdeckt. Wenn die Statue und die Station Millionen Chrons alt waren, war es kein Wunder, dass durch Erosion und Veränderungen in der Umwelt, diese nicht mehr an der Oberfläche war. Wer wusste schon, wie viele Eiszeiten, Hitzeperioden, Naturkatastrophen und dergleichen in dieser Zeit geschehen waren? Allerdings schien diese Warnstatue ja bestens gepflegt worden zu sein.
Was war das?
Daccle lief es kalt den Rücken hinunter. Irgendetwas war hinter ihm. Lariza und Secc starrten erschrocken zu Daccle. Langsam drehte er sich um. Das Herz schlug höher. Hoffentlich kein Entrope, betete Daccle. Er blickte auf vier Beine, einen muskulösen Oberkörper. Mashree! Der Späher lebte.
»Mashree!«
Daccle umarmte ihn. Secc, Lariza und Wilzy taten es ihm nach. Der Riffspäher lachte leise.
»Ist schon gut, Kinder. Wir müssen uns beeilen. Es wird Zeit. Zurück in die Heimat.«
Mashree humpelte zu Wackls. Der Späher war angeschlagen. Er blutete. Hoffentlich hielt er durch. Die beiden stritten miteinander. Wackls erklärte offenbar irgendetwas. Sie flüsterten, Daccle verstand nicht, was sie sagten. Mashree sah ihn seltsam an. Dann trabte er zu ihnen zurück.
»Wir werden weiter nach der Station suchen. Helft Wackls, ich werde Wache halten!«
»Aber? Sie wollten doch unbedingt weg.«
Mashree kniete vor Daccle nieder. Seine Arme hielten seine Schultern.
»Dieser Ort ist wichtiger, als unser Leben, falls Wackls recht hat. Ich habe nicht mehr das Recht, ihn an den Forschungen zu hindern. Sollte er wahnsinnig sein, bitte ich um Vergebung für meinen Glauben.«
Mashree erhob sich und ging ein paar Schritte von den Kindern weg. Secc blickte Daccle fragend an. Daccle sah dem Harekuul hinterher.
»Also kommt, ihr habt gehört, was er gesagt hat. Helfen wir Wackls.«
Die vier gingen zum Professor. Der grub inzwischen mit einem Antigrav die Erde weg. Nach einer Weile stieß er auf Metall.
»Ja! Wir haben es gefunden!«
Er hämmerte wie wild auf dem Metall herum. Das brachte doch nichts. Plötzlich bebte aber der Boden. Die Schneedecke brach auf. Risse zogen sich durch den Boden. Wackls rannte weg. Daccle und die anderen folgten ihm, so schnell es ging. Das Metallstück bohrte sich an die Oberfläche. Es war die Decke eines Turms. Der Turm grub sich aus dem Boden, bis er etwa fünfzig Meter in die Luft ragte.
»Das ist es«, flüsterte Wackls. »Kommt, wir müssen da rein. Sofort!«
Er stürmte los. Daccle warf noch einen Blick auf Mashree. Ohne den Späher wollte er dort nicht hinunter. Mashree trabte auf die vier Kinder zu.
»Geht. Es wird euer Ruhm sein. Ich muss …«
Mashree schrie und bäumte sich auf. In seinem Rücken klaffte ein qualmendes Loch.
»Sieh nur!«, rief Secc.
Die Entropen! Beide lebten noch.
»Lauft in den Turm«, brüllte Mashree und stürmte auf die zwei los. Nach wenigen Metern taumelte er und krachte zu Boden. Daccle wollte ihm helfen, doch Lariza und Secc zogen ihn den Gang zum Turm hinein.
»Nein!«, schrie Daccle.
Aber er wusste ebenso gut wie alle anderen, dass es für Mashree zu spät war. Der Gigant schlug mit seinen vier Fäusten auf den Riffspäher ein. Daccle gab sich keinen Illusionen hin.
Mashree, der Späher des Resif-Sidera, war tot!
*
Sie rannten eine Treppe tief in den unterirdischen Teil des Turmes hinein. Das braune Gestein war kalt. Es roch schimmelig. Als wäre hier niemand mehr seit vielen Chrons gewesen. Vermutlich war es auch so, glaubte Daccle Dessentol.
»Schneller, die sind bestimmt hinter uns her«, rief Lariza.
Leichter gesagt, als getan. Es war ziemlich dunkel hier. Nur die Lampe von Secc spendete Licht. Wo war der Professor? Wilzy rutschte aus und blieb liegen. Die anderen drei stolperten über ihn und kullerten die Treppe ziemlich unsanft hinunter. Sie landeten aufeinander und befanden sich in einer mit spärlichem Licht erhellten Halle.
Der modrige Geruch war auch hier allgegenwärtig. Daccle sah Professor Wackls vor einer Truhe stehen.
»Gut, dass ihr hier seid, Kinder. Seid so gut und holt mir den Inhalt aus der Truhe, ja? Danke.«
Wackls stürmte aus der Halle. Daccle sah Secc und die anderen verwundert an. Mit einem lauten Getöse donnerte eine Metalltür herunter. Der Ausgang war verschlossen.
»Das gefällt mir nicht«, meinte Secc. »Ganz und gar nicht. Wieso ist der Professor abgehauen?«
»Weil wir jetzt alle sterben werden und er nicht. Bestimmt gibt es hier eine Falle.«
Wilzy lag vielleicht nicht falsch. Es gab für Daccle nur einen Weg, es herauszufinden. Er musste die Truhe öffnen. Zögerlich ging er zu dem Altar, auf dem die Truhe stand. Sie war so groß, dass alle vier darin Platz gefunden hätten.
Secc setzte sich auch in Bewegung. Er war zwei Schritte hinter Daccle. Lariza und Wilzy blieben wie erstarrt stehen. Wieso?
»Daccle!«, rief Secc.
Der Gannel blieb abrupt stehen. Vor ihnen stand plötzlich ein Wesen. Eher ein Roboter. Es sah ziemlich verrostet aus. Vom Körperbau war es gannelisch. Am Kopf leuchteten zwei eckige Augen.
»Ich bin der Grabwächter. Was wollt ihr?«
Das Ding sprach in ihrer Sprache. Daccle fand das seltsam. Aber er wollte das jetzt nicht hinterfragen.
»Wir … wir möchten den Inhalt der Truhe.«
»So, das wollen alle, die hierher kommen. Alle sind gestorben. Sie haben die Prüfung nicht bestanden. Ihre Gebeine sind längst zu Staub zerfallen. Niemand hört auf mich. Wozu pflege ich seit Jahrmillionen die Warnstatue auf der Oberfläche? All die Mühe umsonst. Doch, auf der anderen Seite: Es war ja schon so lange keiner mehr hier. Es ist so langweilig in diesem Verließ …«
Der Roboter bewegte sich mit knarrenden Schritten auf die vier zu.
»Ich habe den Auftrag der Hohen Mächte, diese Truhe bis ans Ende aller Zeiten zu bewachen. Das kann ganz schön lange werden. Wieso wünscht ihr den Inhalt?«
Darauf wusste Daccle keine Antwort.
»Nun ja, weil der Professor das will. Er sagt, dass dort ein großes Geheimnis aus unserer Vergangenheit ruht«, sagte Secc.
Der Roboter blickte uns an. Der Kopf fuhr zweimal im Kreis herum. Dabei quietschte er.
»Also gut. Dann die Prüfung.«
»Was ist das denn für eine Prüfung?«, fragte Daccle.
»Keine Drachen, fallende Steine, Spinnen oder anderes. Es sind Prüfungen der Seele, Kleiner. Nur wer reinen Herzens ist, darf diese Truhe öffnen.«
Deshalb hatte Wackls sie geschickt.
»Ihr müsst den prüfenden Augen DORGONs gezeigt werden. Seid ihr reinen Herzens, bleibt ihr am Leben.«
»Andernfalls?«, wollte Secc ängstlich wissen.
»Werdet ihr sterben!«
Das waren tolle Aussichten. Sie hatten keine andere Wahl. Je eher das ganze Abenteuer vorbei war, desto besser. Konnte sich Daccle irgendetwas vorwerfen? Gut, er war kein guter Schüler, eigensinnig und manchmal respektlos. Was definierte der Prüfer oder dieser Roboter als reines Herz?
Ein leuchtendes Feld umgab plötzlich alle vier Gannel. Daccle spürte ein fremdes Lebewesen. Es war so, als würde es ihn durchleuchten, in ihn eindringen und sein Innerstes nach außen kehren. Secc, Wilzy und Lariza sahen auch besorgt aus. Offenbar machten sie das Gleiche durch.
Habe keine Furcht, denn du bist kein Sohn des Chaos. Du dienst nicht dem Bösen, deine Gedanken sind rein. Dein Herz ist groß.
Das Feld erlosch. Wem gehörte die fremde Stimme? Den anderen drei ging es ebenfalls gut.
»Euer Herz ist rein. Ihr habt die Prüfung bestanden«, meldete der Roboter. »Ich deaktiviere den Schutzmechanismus. Sagt, gehört Ihr zu den Rittern der Tiefe?«
»Nein, Herr. Welche Ritter?«
»Nun, nur Diener der Ordnung oder ihre Verbündete würden kommen, um den Inhalt abzuholen. So sagte man mir. Sie seien reinen Herzens und würden den Inhalt seiner wahren Bestimmung zuführen.«
Daccle schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid. Wir sind es nicht. Zumindest wissen wir davon nichts.«
»Nun gut«, sagte der Roboter.
Er deaktivierte offenbar nun den Schutzmechanismus. Die Tür hinter ihnen glitt auf. Professor Wackls stand dort. Er lächelte.
»Ihr habt es geschafft. Ich wusste es!«
Er zog seinen Strahler und zerschoss den Roboter. Wieso hatte er das getan? Wackls rannte zur Truhe und öffnete sie. Darin befand sich ein weiterer Kasten. Er war kleiner.
»Endlich. Meister, bald werdet Ihr erwachen. Mein Gott!«
Die Rückkehr
Daccle Dessentol war nicht klar, was vor sich ging. Professor Wackls nahm den Kasten aus der Truhe.
»Kommt … kommt jetzt. Wir müssen weg …«
»Wieso?«, rief Lariza.
Wackls schrie und schlug ihr ins Gesicht. Lariza fiel weinend zu Boden. Daccle und Secc stürmten sofort zu ihr und kümmerten sich um sie. Daccle wusste jetzt, dass etwas nicht stimmte. Das ganze Verhalten von Wackls ergab nun einen Sinn. Er war mit ihnen nur hierher geflogen, um diesen Gegenstand zu suchen. Wackls hatte ihre Fähigkeiten dazu benötigt, dieses Ding zu finden. Aber wieso? Was machte sie so besonders, dass sie wussten, wo diese Truhe zu finden war? Wieso waren ausgerechnet Secc, Lariza und selbst Wilzy in der Lage, die Fallen in dieser Station zu überlisten?
Wackls rannte die Stufen hinauf. Er rannte an die Oberfläche. Dabei lachte er irrsinnig. Daccle lief ihm hinterher. Wilzy folgte ihm, während Secc bei der immer noch verstörten Lariza blieb.
»Was macht Wackls nun?«
»Was immer es ist, Daccle. Es wird uns umbringen. Ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Der hat uns längst noch nicht die ganze Wahrheit erzählt.«
Das wusste Daccle auch. Doch offenbar schien Wilzy mehr zu wissen. Ausgerechnet Wilzy?
»Sag, was du weißt.«
Wilzy seufzte und stöhnte. Ein obligatorischer Griff an den Bauch sollte Daccle zeigen, wie schlecht es ihm doch ging.
»Die Inschriften dort. Sie sind uralt. Aber sie sind in unserer Sprache. Verstehst du? Das Resif-Sidera ist hunderte von Millionen Parsec gereist und war bestimmt noch nicht hier. Woher dann die Inschriften?«
Das gab Daccle auch zu denken. Sie rannten immer noch Wackls hinterher, der mit der Truhe schnaufend die Treppe hoch eilte. Sie sahen schon die ersten Sonnenstrahlen, die durch die kleine Öffnung schienen.
»Die Inschriften besagten …« Wilzy ächzte. »Sie sagen, hier ruht einer der Gebrüder. Jener zwei, die drei vereinten. Jene zwei, entsprungen aus ihm zu einzelnen Individuen …«
Daccle bildete sich darauf keinen Reim. Was bedeutete dies? Welche zwei Gebrüder? Und wieso stand es in ihrer Sprache oder einer Vorgängersprache von Rideryonisch dort geschrieben? Daccle hatte noch nie zuvor etwas von der Galaxis Siom Som gehört. Demnach hatte der verrückte Professor doch recht.
Wackls bog ab und rannte in einen anderen Korridor, wo sie zuvor noch nie gewesen waren. Er öffnete die Schatulle. Darin befand sich waberndes Plasma. Es pulsierte. Es lebte!
»Was ist das?«, fragte Daccle.
»Das ist dieser Lebensimpuls, von dem Wackls die ganze Zeit geredet hat«, vermutete Wilzy.
Sie hatten eine leere Halle erreicht, von einem grünen Feld umgeben. Nur ein steinerner Sarkophag stand darin. Wackls rannte zu ihrer Wand. Eine Apparatur öffnete sich.
»Alles, wie es in den Inschriften stand«, jubelte er.
»Stopp! Was für Inschriften?«, rief Daccle.
Der Professor drehte sich um und lachte hysterisch.
»Nun kann ich euch die Wahrheit berichten. Vor einige Zeit suchte mich der Prediger mit dem Hut auf. Durch die Schattenseite war er gewandert und verfügte über enormes Wissen. Er sprach davon, dass sich eine uralte Prophezeiung erfüllen würde, denn diese Galaxie Siom Som sei jene, in die Cul’Arc nach dem Verrat durch die Hexen verschleppt wurde. Hier ruht Cul’Arc, einer der beiden Schatten unseres Schöpfers Nistant!«
Daccle brauchte eine Weile, um die Worte zu verarbeiten. Er wechselte einen vielsagenden Blick mit Lariza und Secc.
Cul’Arc war hier gefangen? Es war zu unglaublich.
Wackls tippte etwas auf den Kontrollen ein. Das grüne Leuchten erlosch. Der Sarkophag öffnete sich.
»Dieses Plasma ist der Rest von Cul’Arc. Ein Stück Fleisch mit seiner Seele. Der Prediger sagte mir, dass Lariza empathische Fähigkeiten besitzt, sie eine Auserwählte sei. Deshalb musstet ihr mitkommen. Sie steht unwissend die ganze Zeit mit Cul’Arc in Kontakt. Kinder, wir haben die Chance, einen Schatten von Nistant wiederzubeleben. Wir können das erreichen, wonach Tausende von Generationen gestrebt haben.«
Daccle starrte auf den Sarg. Was Wackls erzählte, war unglaublich. Ein Stück des Gottes Nistant hier? Ehrfürchtig traten er und Wilzy näher. Wackls nahm das Plasmastück und ging damit zum Sarg. Daccle konnte nun hineinsehen.
»Hier ruht ein Körper von Nistant, dem Sargomoph.«
Daccle erschrak, als er das Geschöpf in dem Behälter sah. Es musste zwei Meter groß sein, besaß ledernde Flügel, spitze Ohren und spitze Zähne. Das Gesicht glich dem eines Gannel, doch die Nase war platt und der Mund nach vorne gewölbt.
»Daccle!«
Lariza und Secc hatten den Saal erreicht. Wackls beachtete sie nicht mehr. Er legte das Plasma neben die gut erhaltene Leiche. Offenbar hatte sie sich in einem Stasefeld befunden. Doch wieso? Wenn die Hexen tatsächlich vorgehabt hatten, Nistant zu vernichten, wieso ließen sie das Plasma und den Körper unversehrt? Es sei denn, Nistant befand sich in einem anderen Gefängnis.
Das alles ergab für Daccle keinen Sinn. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es nicht richtig war, was Wackls tat.
»Oh Nistant, kehre zurück zu uns. Deine Diener sind hier. Wir schenken dir neues Leben. Erhebe dich aus deinem Grab. Deine Gefangenschaft in der Dunkelheit ist vorbei!«
Wackls sprach diese Formel mit einer erschreckenden Inbrunst. Offenbar glaubte er wirklich, dass dieses Ding etwas mit Nistant zu tun hatte. Aber das war unmöglich. Das musste bedeuten, dass diese Station seit Millionen Chrons unberührt war. Das war ein gigantischer Zeitraum, den kein lebendes Wesen richtig erfassen konnte. Standen sie wirklich vor dem Grab des Gründers? Des Erbauers und Erschaffers ihrer Zivilisation? Ihrem Gott?
Lariza schrie auf. Daccle drehte sich um. Im Eingang standen zwei Entropen. Es waren der Krieger Therm und sein Herr, Denker01292. Beide waren verwundet und ihnen sicherlich dennoch weit überlegen. Und sie waren zornig.
»Euer Riff-Späher ist tot. Und ihr werdet ihm folgen, elende Chaoten! Therm!«
Der Riese senkte sich auf sein vorderes Laufpaar.
»Nein!«, schrie Wackls.
Denker01292 schwebte auf ihn zu. Wackls fasste sich an den Kopf. Er schrie, drehte sich um die eigene Achse und brach zusammen. Daccle rannte zu ihm. Der Professor war tot!
Und nun waren sie die Nächsten. Daccle griff instinktiv Larizas Hand. Sie sah ihn traurig an. Dann umarmten sich beide. Er verstand es nicht so ganz, so etwas hatte er noch nie bei einem Mädchen gemacht. Natürlich mochte er Lariza. Mehr als er vielleicht zugab.
»Ihr wisst nicht, was ihr beinahe angerichtet hättet«, sagte Denker01292. »Nun müsst ihr sterben. Eigentlich seid ihr nur kleine Kinder, doch im Krieg ist jeder Feind nur tot ein guter Feind.«
Therm richtete sich auf und zog mit jeder seiner vier Hände eine Waffe. Er richtete sie auf die Gannel. Wilzy seufzte auf und fiel hin, bevor der Entrope schoss.
Denker01292 lachte.
»Spaßmacher, du bist noch nicht tot. Aber gleich.«
Er gab Therm ein Zeichen. Das Wesen legte an. Daccle schloss die Augen und wartete auf den Tod. Ein schriller Schrei ließ ihn die Augen öffnen und hinter sich blicken.
Die Leiche von Nistants Schatten stand aufrecht im Sarg. Es streckte die Arme von sich, die Flügel entfalteten sich. Therm feuerte sofort auf ihn, doch die Kreatur erhob sich in die Höhe, sauste an Therm vorbei und landete hinter ihm. Dann sprang sie auf den Rücken des Entropen. Er bohrte seine Krallen in den Hals des Blauen, doch er kam nicht durch. Offenbar hatte der Entrope eine sehr harte Haut. Therm versuchte die Kreatur zu greifen, doch sie wich behände aus, entwaffnete den Entropen und feuerte mit dem Strahler auf ihn. Der Koloss geriet ins Wanken und fiel schließlich keuchend zu Boden. Er regte sich nicht mehr. Therm war tot!
Die Kreatur flog zu Denker01292, der langsam zurück schwebte.
»Deine psionische Energie nutzt bei mir nichts, Fremder«, sagte die Kreatur. Sie flog zu dem Entropen, packte ihn am Hals und drückte zu. Denker01292 röchelte, die Tentakel wirbelten wild durch die Gegend. Dann erschlafften sie. Die Kreatur ließ den Entropen fallen. Auch Denker01292 war tot.
Daccle hatte heute zu viele Tote gesehen. Zuerst Mashree, dann Professor Wackls und nun die beiden Entropen. Lariza weinte in seinen Armen. Er streichelte sie.
»Ihr! Erhebt Euch!«
Nistants Schatten redete mit ihnen.
»Wir sind tot«, sagte Wilzy trotzig.
Secc stand als Erster auf. Dann Wilzy. Daccle nahm Larizas Hand und zog sie mit sich hoch.
»Ihr seid von meinem Blute. Ich spüre es. Mit welcher hatte ich telepathischen Kontakt?« Cul’Arc blickte zu Lariza. »Du, ja, ich fühle es. Du bist Lariza Bargelsgrund.«
Sie nickte knapp.
Alle schwiegen. Daccle fühlte sich dazu berufen, zu antworten. Er trat einen Schritt vor.
»Ja, sind wir. Und … und Ihr? Seid Ihr tatsächlich Nistant?«
Die unheimliche Kreatur schritt staksig auf sie zu. Ihre Flügel flatterten gleichmäßig auf und ab.
»Ich bin ein Teil von Nistant. Ein Teil des Ganzen. Ich bin Cul’Arc!«
Dann war es also wahr. Daccle fiel auf die Knie. Er stand seinem Gott gegenüber, zumindest einem Teil von ihm. Es war unglaublich, aber der verrückte Professor hatte recht behalten.
»Knie nicht nieder vor mir, tapferer Rideryone. Ich habe es wohl eurem Mut zu verdanken, wieder in Freiheit zu sein?«
»Nein, mein Herr. Der Professor …« Daccle deutete auf Wackls Leiche. »Er hat an die Legende geglaubt. Wir waren ihm nur unfreiwillig behilflich. Nicht, dass wir nicht wollten … aber wir … wir …«
Cul’Arc wirkte amüsiert. Er reichte Daccle seine Klaue. Daccle starrte darauf. Dann begriff er. Der Junge streckte die Hand aus und ergriff die warme Klaue des Cul’Arc. Der Sargomoph zog ihn hoch.
»Ihr glaubtet nicht an die Prophezeiung. Sage mir, junger Freund. Wie viel Zeit ist seit dem Verrat der Lilith vergangen?«
»Millionen von Chrons«, sagte Secc.
»In der Tat glaubte wohl niemand mehr an die Prophezeiung. Sonst hätte mein Volk mich früher dispensiert«, sinnierte Cul’Arc.
Er wanderte durch den Raum. Daccle beobachtete jeden Schritt seines Gottes mit Ehrfurcht. Dann blieb Cul’Arc stehen und wandte sich wieder den Kindern zu.
»Wir müssen zum Resif-Sidera zurückkehren. Doch meine Ankunft soll erst mal geheim bleiben. Habt keine Sorge, ich werde alles mit der Hohepriesterschaft regeln, sofern es die noch gibt.«
»Ja, Herr, die gibt es. Der Manjor Zigaldor ist der Oberste der Priesterschaft. Bekommen wir auch wirklich keine Strafen? Wie sollen wir erklären, dass Professor Wackls und der Späher tot sind?«
Secc sah Cul’Arc Hilfe suchend an. Auch Daccle fürchtete sich sichtlich vor der Reaktion der Erwachsenen.
Cul’Arc beruhigte die Kinder.
»Nun, euer Gott wird wohl als Ausrede genug sein. Ich werde mit Zigaldor reden und eure Tapferkeit lobend erwähnen. Fortan steht ihr kleinen Wichte unter meinem Schutz!«
Secc lachte. Selbst Wilzy nickte anerkennend. Lariza trat hervor und musterte Cul’Arc seltsam.
»Ah«, machte der Sargomoph. »Du hast bisher geschwiegen.«
»Ich … Eure Gedanken, Meister. Sie waren so … verstörend. Schrecklich …!«
»Es war das Leid Jahrmillionen Chrons andauernder Gefangenschaft, das du miterlebt hast, kleine Gannel. Voll trauriger, melancholischer Erinnerungen. Doch das ist vorbei.«
Er beugte sich zu ihr herab. »Danke, Lariza.«
Cul’Arc erhob sich und ging zum Plasma. Er legte es wieder in die Schatulle und klemmte sie unter den Arm.
»Ihr seid sicherlich mit einem Raumschiff hier. Führt mich dorthin. Es wird Zeit, in die Heimat zurückzukehren!«
»Es ist zerstört«, sagte Lariza niedergeschlagen.
»Aber vielleicht die RYDOM nicht? Wir müssen sie suchen«, schlug Secc vor.
»Dort in den eisigen Winden lauert der Feind«, sprach Cul’Arc. »Doch verzagt nicht. Gehen wir zu dem Wrack.«
*
Ein Sturm war aufgezogen. Der Wind blies kalt in das Gesicht der Gannel. Cul’Arc bemerkte, dass sie den Winter nicht gewohnt waren. Sie erzählten ihm von der unterirdischen Stadt Amunrator. Dort gab es keinen Sommer, keinen Winter, keinen Herbst oder Frühling. Es war immer das gleiche Wetter, denn es gab keinen Wechsel. Genau wie die Gefangenschaft Cul’Arcs – ohne Änderungen. Doch das war vorbei. Er war nun frei. Dennoch drohte er sogleich wieder in Gefangenschaft zu geraten. Die verschiedenen Völkerschaften, Reiche und Wesenheiten waren ihm noch fremd, doch es schien nach ihnen gesucht zu werden.
Begebt euch zu dem Raumschiff des Spähers. Es verfügt über einen Ortungsschutz. Wartet dort. Ihr werdet abgeholt werden.
Wer sprach dort zu Cul’Arc? Es war eine vertraute Stimme in seinem Kopf. Als wäre sie von ihm selbst.
»Kommt, Kinder!«, rief Cul’Arc, die Kälte ignorierend. Nun, im Gegenteil, er genoss ihn, den beißenden, kalten Schmerz. Es war wundervoll, wieder etwas zu fühlen. Kälte war ein schönes Gefühl.
Die Gannel in ihrer leichten Kleidung froren jedoch bitterlich. Lariza übergab Cul’Arc einen Sender. Dieser zeigte den Standort des Raumschiffes an. Nur der Träger des Senders war in der Lage, das Schiff zu öffnen. Sie marschierten einige Zeit, mussten einen Bogen gehen, um den Fremden nicht in die Arme zu laufen, dann erreichten sie endlich die RYDOM.
Cul’Arc machte sich mit den Apparaturen vertraut. Lariza und Daccle halfen ihm bei der Übersetzung.
»Der Überlichtflug ist defekt und wir können ihn nicht reparieren ohne Ersatzteile«, erklärte Dessentol.
Sie werden eure Lebensimpulse geortet haben und können sie zur RYDOM zurück verfolgen. Verlasst den Standort.
Wieder die nicht identifizierbare Stimme, die ihm so bekannt war.
»Startet das Schiff. Versucht, mit aktiviertem Ortungsschutz in den Leerraum zu fliegen. Dort bleiben wir.«
»Sollen wir dort versauern? Wir werden ersticken, verhungern und dann verdursten«, jammerte Wilzy.
»Vertraut mir, Kinder. Eine Stimme sagt mir, dass wir gerettet werden«, sprach Cul’Arc und bereitete die RYDOM zum Start vor.
Doch Frohe Weihnachten
Perry Rhodan betrachtete die beiden Leichen der Entropen. Was war das für ein fremdes Volk? Es gab offenbar drei unterschiedliche Arten von ihnen. Der tote Riffaner in dem Turm und der draußen waren auch von unterschiedlichen Völkern. Anscheinend handelte es sich um eine Multikultur.
Bully und Gucky standen neben Perry und betrachteten den Raum.
»Wirkt alles sehr alt. Offenbar hat dort jemand gelegen. Die Schriften sind nicht zu entziffern«, erklärte Bully.
»Geduld. Mit dem Thema werden sich unsere Wissenschaftler wohl etwas länger beschäftigen.«
Quarteriale Truppen sicherten die antike Stätte. Perry Rhodan, Reginald Bull und Gucky kehrten mit Emperador de la Siniestro und seinen beiden Kindern sowie Despair zurück nach Ves-Som. Nach Feiern war Rhodan nicht mehr zumute. Seine Bemühungen für einen Dialog im Krieg zwischen den Saggittonen und Estarten gegen die Quarterialen waren fehlgeschlagen. Der Emperador wich Rhodans Forderungen aus und erklärte, er sei zu mitgenommen von den gestrigen Ereignissen. Da war Perry Rhodan klar, dass seine Reise umsonst gewesen war.
Cauthon Despair
Die Verhandlungen sind gescheitert. Der Emperador hat unsere Entführung als Ausrede benutzt. Das ganze Treffen mit Perry Rhodan war umsonst. Die ganze Reise war eine nutzlose Zeitverschwendung.
Nun, wir haben zwei fremde Rassen kennen gelernt, die Riffaner und Entropen. Beide scheinen Interesse an der Menschheit oder Siom Som zu haben. Wer ist Feind und wer Freund? Oder sind beide unsere Gegner?
War das Abenteuer auf der Eiswelt wirklich umsonst? Brettany und ich sind uns näher gekommen, als ich es jemals erhofft hatte. Zum ersten Mal habe ich Hoffnung. Sie findet mich nicht hässlich. Brett hat sogar gesagt, dass ich ihr etwas bedeute.
So beunruhigend das Auftauchen dieser Entropen und Riffaner ist, so empfinde ich persönlich dieses Weihnachten als positiv. Brett – ich betrachte ihr ganz persönliches Weihnachtsgeschenk an mich. Ein Schmuckstück aus dem 18. Jahrhundert aus Silber. Ihr Vater hat es ihr einst geschenkt. Sie gab es mir. In dem Medaillon ist ein Bild von ihr. Sie ist schön. Es ist das schönste Geschenk, dass mir jemals ein Mensch gemacht hat.
Perry Rhodan
Bully, Gucky, Michael und ich reisten noch am 26. Dezember 1306 NGZ mit der GRAND MASUT ab. Auf geheimnisvolle Weise war Mikes Schiff plötzlich über der Eiswelt aufgetaucht. Woher es kam und wieso es so schnell hier sein konnte, war wieder eines der Geheimnisse meines Sohnes. Wie dem auch sei, ich war froh, dass ich nicht auf Siniestros Yacht angewiesen war. Wir vier saßen in einem Speiseraum zusammen und starrten auf den Weihnachtsbaum.
»Ich glaube, wir werden noch einiges von den Riffanern und den Entropen hören. Was immer sie auch sind, offenbar haben sie auf dem Planeten etwas gefunden«, meinte Gucky.
Ich stimmte dem Mausbiber zu. Auch ich war der festen Überzeugung, dass die Begegnung von Despair und Brettany mit den Riffanern und Entropen nicht zufällig war. Welches Geheimnis beide Parteien umgab, wussten wir nicht. Ich rechnete jedoch mit dem Schlimmsten. Alles ergab einfach keinen Sinn. Irgendwie sprach der Begriff Entropie eine vergrabene Erinnerung oder Information an, doch ich konnte sie nicht greifen, noch nicht!
»Vater, die Pakete wurden übrigens ausgeliefert, wie mir dunkle Quellen bestätigt haben.«
Ich freute sich darüber. Es waren Geschenke und Nachrichten an Aurec, Sam, Jonathan Andrews, Elyn und Gal’Arn. Bully, Gucky und ich hatten sie persönlich gepackt. Für Aurec und Andrews waren Briefe ihrer Frauen beigelegt, was sicher das größte Geschenk für sie war. Mike verfügte offenbar über sehr gute Verbindungen zu den Rebellen. Welche Quellen das waren, wollte ich gar nicht wissen. Ich war nur froh, dass die »frohe Botschaft« unsere Freunde erreicht hatte.
»Es kommt zum ersten Mal weihnachtliche Stimmung bei mir auf«, sagte ich und vergaß Riffaner, Entropen und das Quarterium, wenigstens für den Augenblick.
»Wieso?«, wollte Bully wissen.
Ich nahm einen Schluck Tee und lächelte meinen ältesten Freund an.
»Weil ich endlich das Fest mit jenen verbringen kann, die ich liebe. Frohe Weihnachten!«
Epilog
Sie kauerten im Wrack des rideryonischen Spähers Mashree. Für die vier kleinen Gannel war der Harekuul ein Held. Die Harekuul – Cul’Arc hatte die Datenbank durchgesucht, denn sie verbrauchte nur wenig Energie – waren wohl aus dem Volk der Tarys hervorgegangen.
Zu Nistants Regentschaft waren die Tarys eher von geringerer Bedeutung gewesen. Doch Cul’Arc hielt sich abermals vor Augen, dass Millionen Chrons vergangen waren. Es war überhaupt ein Wunder, dass das Resif-Sidera noch existierte, Nistant verehrt und an seiner ursprünglichen Bedeutung nichts geändert wurde. Es war so, als hätte jemand während ihrer Abwesenheit Rideryon in ihrem Sinne gelenkt. Der Ortungsschirm der RYDOM hielt stand. Ebenso die notwendigsten Lebenserhaltungssysteme. Den Antrieb hatten sie deaktiviert, nachdem sie 1,7 Millionen Kilometer von dieser Eiswelt Abstand gewonnen hatten.
Nun warteten sie. Die Stimme hatte nicht mehr gesprochen. Wer war sie? Die Gannel berichteten von einem Großen Geist Rideryons. Sie vermuteten, dass er es war, der zu Cul’Arc sprach. Ein Geist? Nun, Cul’Arc war alt genug, um an alles zu glauben. Das Universum war in seiner gewaltigen Größe voller kosmischer Wunder.
Das Resif-Sidera war so ein Wunder. Sie hatten es geschaffen. Und es erfüllte Cul’Arc mit unsagbarem Stolz, dass es noch immer existierte. Und dass jemand nach ihm suchte und ihn letztlich fand.
Er wandte sich an Daccle, Lariza, Secc und Wilzy.
»Dieser Professor war gar nicht so verrückt, wie ihr der Annahme gewesen seid. Es sind oft seltsame Gestalten, die großes vollbringen.«
Plötzlich fing die RYDOM an zu vibrieren. Wilzy schrie erschrocken auf.
»Keine Sorge, junger Gannel. Wir sind gerettet.«
Cul’Arc wusste anhand der Vibration, dass sie via Traktorstrahl an Bord eines Raumschiffes gebracht wurden. Er deaktivierte den Ortungsschutz. Sie bekamen einen grünlichen Hangar zu Gesicht. Cul’Arc öffnete die Luke. Er blickte in erstaunte Gesichter.
Manjor, Harekuul, Persy, Miskatoor-Feen und andere Riffaner. Zwei von ihnen traten hervor.
»Wer seid ihr?«, fragte Cul’Arc.
Der Manjor sprach: »Ich bin Zigaldor, Hohepriester des Nistant. Dies ist Tashree, Kommandant dieses Raumschiffes.«
Der Harekuul verbeugte sich.
»Es ist also wahr«, sagte der Manjor leise.
»Es ist wahr«, wiederholte Cul’Arc, selbst noch unsicher angesichts dieser Tatsache. Für die Rideryonen war ein Gott zurückgekehrt. Und für ihn selbst, nun, er war in Freiheit. Nach so unendlich langer Zeit.
Cul’Arc verließ die RYDOM.
»Kehrt zurück zum Resif-Sidera. Wir haben viel zu tun. Mein Bruder Brok’Ton muss befreit werden.« Cul’Arc wandte sich an Lariza. »Und du wirst mir helfen, ihn zu finden …«
ENDE
Das Riff ist in der Nähe von Siom Som aufgetaucht. Ein Wesen mit dem Namen Cul’Arc – ein Teil des geheimnisvollen Nistant – ist aus seiner Jahrmillionen Jahre andauernden Gefangenschaft befreit worden. Große Ereignisse kündigen sich an. Mehr vom Kampf der Alliierten gegen das Quarterium schildert Jürgen Freier im nächsten Roman, Band 94, mit dem Titel:
DAS PRINZIP HOFFNUNG
DORGON-Kommentar
Um auch gleich allen Spekulationen vorzubeugen: Wie ich von meinem speziellen Freund Sonderoffizier Guck erfahren habe, steht dieser Roman nach den Plänen des Expokraten (ja, vor dem Ilt ist niemand sicher) in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den kommenden Ereignissen. Jedoch, und das musste ich meinem alten Freund bei meiner Ehre als Ehrenmausbiber hoch und heilig versprechen, darf ich keine weiteren Informationen geben. Es könnte ja sein, dass Kosmokraten oder Chaotarchen auch DORGON-Romane lesen. Die Folgen für das Multi-Universum wären unabsehbar.
Aber, und dazu habe ich seine ausdrückliche Erlaubnis, innerhalb der nächsten Zeiteinheiten werden die Puppenspieler hinter den Materiequellen einen neuen Mitspieler bekommen und der oder die hat – und das ist ein wörtliches Zitat – »Die Nase von den selbsternannten Hohen Mächten gestrichen voll, randvoll sogar!« Vielleicht, und das ist die Hoffnung unseres einsamen Mausbibers, lassen sich die »Mächte hinter den Materiequellen« dazu herab, endlich aufzuhören, ihre Spielchen auf Kosten aller intelligenten Völker des Universums zu spielen, und lassen uns arme Sterbliche endlich unser Leben ohne ihre Einmischung leben. Aber das dürfte wohl ein Wunschtraum bleiben. Doch, und das soll ich ihnen ausdrücklich in ihr unbekanntes Stammbuch schreiben: »Wer nicht hören will, muss fühlen!«
So, nun bin ich es endlich los. Gucky, alter Freund, zufrieden? Mir bleibt nur noch, im Namen des gesamten DORGON-Teams allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein frohes neues Jahr zu wünschen.
Und noch ein Hinweis in eigener Sache: Bleibt uns bitte treu, denn wie mir Gucky verraten hat, erwarten uns spannende, mysteriöse und faszinierende Ereignisse und Abenteuer in den Weiten des Multi-Universums.
Zum Schluss noch eine weitere wissenschaftliche Abhandlung.
Extradimensionen
Dieser Begriff wurde vor allem durch die Stringtheorien wieder populär, hat jedoch weit ältere Wurzeln in den physikalischen Theorien. Im Allgemeinen versteht man darunter weitere räumliche Dimensionen, neben den drei Raum- und einer Zeitdimension. Diese vierdimensionale Raumzeit ist Gegenstand der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART). Die ART behandelt Formen von Raumzeiten und deren Dynamik.
Höherdimensionale Räume sind in der Mathematik und der theoretischen Physik nichts Ungewöhnliches. Als Beispiel mögen Funktionenräume dienen, deren Dimension sogar unendlich sein kann. In der Physik sei eine der ersten vereinheitlichten Theorien überhaupt erwähnt, die Kaluza-Klein Theorie. Sie wurde bereits in den 1920er Jahren entwickelt, weil man ein übergeordnetes Konzept für Relativitätstheorie und Elektrodynamik suchte. Der Ansatz scheiterte jedoch.
Erst durch die Fortschritte in den Stringtheorien erlebten die Extradimensionen wieder ein Revival.
Antoniadis sagte Anfang der 1990er Jahre Extradimensionen in den perturbativen Stringtheorien voraus. Im Ansatz sind die Felder des Standardmodells (SM fields) auf eine 3-Bran beschränkt, die jedoch in eine höherdimensionale Welt inklusive Extradimensionen, dem sogenannten Bulk, eingebettet ist. Die Gravitation allerdings vermag in alle Dimensionen – auch die Extradimensionen – vorzudringen und ist in diesem Sinne unbeschränkt.
Eine interessante Frage ist nun, weshalb die sechs zusätzlichen Dimensionen, die jede der fünf zehndimensionalen Stringtheorien gegenüber der vierdimensionalen Raumzeit der ART mehr hat, nicht im alltäglichen Leben bzw. in physikalischen Messungen in Erscheinung treten. Antwort: Sie sind »sehr klein«, man sagt kompaktifiziert. Unter Kompaktifizierung versteht man, dass Raumdimensionen auf kleinen Raumskalen »zusammengerollt« sind. Deshalb bleiben sie in der Regel verborgen. Vorstellen kann man es sich so, dass beispielsweise eine gezeichnete Linie, die uns als Betrachter eindimensional erscheint, bei hoher Vergrößerung mit einem Mikroskop weitere Dimensionen offenbart: Die Linie erscheint dicker, ausgedehnt und wird zu einem zweidimensionalen Streifen.
In den zehndimensionalen Stringtheorien untersucht man nun bestimmte Unterräume mit weniger als zehn Dimensionen, die flach (engl. flat) oder gekrümmt (engl. curved oder warped) sein können. Dazu gehören die Orbifolds, Mannigfaltigkeiten, die singuläre Punkte aufweisen, und Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten, die Ricci-flach (der Ricci-Tensor verschwindet) und vom Typ her Kähler-Metriken sind. Diese Unterräume werden von kompaktifizierten Raumdimensionen aufgespannt.
Im Allgemeinen kann man alle Stringtheorien und die elfdimensionale Supergravitation in Untermannigfaltigkeiten zerlegen: So entsprechen die Typ-II-Stringtheorien einer Zerlegung in die zuvor bekannte vierdimensionale Raumzeit und dreidimensionale Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit. Die heterotischen Stringtheorien können in die vierdimensionale Raumzeit sowie eine K3-Fläche und einen zweidimensionalen Torus zerlegt werden. Schließlich »synthetisiert« man die elfdimensionale Supergravitation aus
- vierdimensionaler Raumzeit,
- dreidimensionaler Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit und einem
- eindimensionalen Kreis.
Die Formulierung von Stringtheorien auf verschiedenen Calabi-Yau-Räumen kann Spiegelsymmetrien aufweisen, so dass das Studium der einen Stringtheorie etwas über die entsprechende dual gespiegelte Stringtheorie verrät.
Die Extradimensionen sind vitale Zutat der Stringtheorien. Die Branenwelt resultiert letztendlich aus diesen Konzepten und wurde zu einer wichtigen neuen Stoßrichtung der modernen, relativistischen Kosmologie. Die jeweiligen Modelle sind sehr mächtig: Im ADD-Szenario, dem Randall-Sundrum-Modell, dem Ekpyrotischen Szenario und dem Zyklischen Universum finden sich verschiedene Ansätze der Branen Kosmologie, die mit nicht-kompaktifizierten und kompaktifizierten Extradimensionen operieren. Mit diesen Modellen kann das Wesen der Dunklen Energie neu gedeutet, der Wert der Kosmologischen Konstante abgeleitet, der Verlust der Konstanz von fundamentalen Naturkonstanten (Gravitationskonstante, Feinstrukturkonstante) skizziert und eine Erklärung für den Urknall formuliert werden.
Es klingt abenteuerlich, aber in den Extradimensionen könnten Gravitonen (nur sie können die 3-Bran verlassen) verschwinden und Energie in andere Dimensionen tragen.
»Den Unterraum [also die Dimensionen ›unterhalb‹ der vierdimensionalen Raumzeit, JF], den die kompaktifizierten zusätzlichen Extradimensionen aufspannen, kann man als Subraum bezeichnen.«
(Müller, Andreas; Lexikon der Astrophysik; 2007; München; PDF: http://www.spektrum.de/astrowissen/downloads/Lexikon/Lexikon_AMueller2007.pdf; Web: http://www.spektrum.de/astrowissen/index.html)
Steinhard & Co. haben eben noch nichts von Perry Rhodan gehört. (grins)
Für unseren theoretischen Hyperantrieb bedeutet dies nun, dass durch entsprechende Energiezufuhr, diese Extradimensionen zur Fortbewegung innerhalb der normalen Raumzeit genutzt werden könnten. Voila, die Reise durch den Hyperraum (eigentlich müsste es dann wohl richtig, wie bei den Trekkies, Subraum heißen) kann beginnen! Nur Hyperraum wäre auch wieder richtig, denn durch die Energiezufuhr würden diese Dimensionen »quasi aufgerollt« und wären dann der Raumzeit übergeordnet, da man sich dann im sogenannten »Bulk« bewegen würde, also in »höherdimensionalen Räumen«.
Man sieht, das »Kleine« ist im »Großen« und das »Große« ist im »Kleinen«! Eine Erkenntnis, die schon die alten chinesischen Philosophen von Jahrtausenden hatten.
Jürgen Freier
GLOSSAR
Riffaner/Rideryonen
Zu Weihnachten 1306 NGZ stößt die Menschheit das erste Mal auf Wesen, die nach eigener Aussage zu den Riffanern gehören. Perry Rhodan, Reginald Bull, Michael Rhodan und Gucky auf der einen, sowie die Familie de la Siniestro und Cauthon Despair auf der anderen Seite werden auf der unbewohnten Eiswelt Somross 7 mit Angehörigen dieser unbekannten Völker konfrontiert, als diese versuchen, Brettany de la Siniestro und Cauthon Despair zu entführen. Allem Anschein nach handelt es sich dabei um eine Kultur unterschiedlicher Rassen, die eng zusammenarbeiten.
Über die Ziele und Hintergründe konnte nichts erfahren werden, dazu war der Kontakt zu kurz und zu einseitig. Nur eins war klar: dass zwischen den Riffanern und dem zweiten unbekannten Volk, den Entropen, Feindschaft oder Krieg herrschte.
Entropen
Auch der Erstkontakt mit den Entropen ging auf die Ereignisse an Weihnachten 1306 NGZ auf der Eiswelt Somross 7 in der ehemaligen Mächtigkeitsballung der Superintelligenz ESTARTU zurück. Als Mitglieder der Völker der Riffaner versuchen, Cauthon Despair und Brettany de la Siniestro zu entführen, greifen die Entropen ein und verhindern die Entführung, indem sie ihr Schiff zur Landung auf dem Planeten zwingen. Es bleibt aber weiterhin unbekannt, ob das Vereiteln der Entführung das eigentliche Ziel der Entropen war oder nur eine Nebenerscheinung.
Allem Anschein nach handelt es sich bei ihnen ebenfalls um eine multikulturelle Zivilisation, die aus unterschiedlichen Rassen besteht. Besonders auffällig ist, dass eine Verbindung mit Halutern und Galornen bestehen muss, denn das Aussehen zweier Teilrassen legt diese Schlussfolgerung nahe. Auch die Eiform ihrer Schiffe erinnert an das Design galornischer Schiffe.
Bevor Perry Rhodan und seine Begleiter unverrichteter Dinge mit der GRAND MASUT nach Paxus zurückkehren, gelingt es Gucky, durch telepathische Sondierung Brettany de la Siniestros noch einige interessante Informationen in Erfahrung zu bringen. Laut der Aussage von Denker01292, ihrem Führer, scheinen die Entropen die Wahrung der Entropie zu ihrer Religion erhoben zu haben. Auch müsste irgendeine Verbindung zum Dritten Weg ESTARTUs bestehen, ihre Anwesenheit in Siom Som sowie die Aussagen ihres Führers legten diese Vermutung nahe. Allerdings waren die bisherigen Informationen viel zu vage, um endgültige Schlüsse zu erlauben.
Fithuul
Die Angehörigen des feingliedrigen, durchsichtig wirkenden Intelligenzvolks des Rideryon haben zwei Herzen und drei Lungen, jedes ihrer Organe ist doppelt ausgebildet. Sie sind sehr sportlich und agil. Ihre Kraft sieht man den durchschnittlich hundertfünfzig Zentimeter kleinen Fithuul nicht an.
Grazil stehen sie auf ihren zwei knochigen Beinen. Sie sind dürr, aber sehr stark. Durch ihre transparente Haut sieht man jedes Organ. Ihr haarloser Kopf wird von den zwei schwarzen Augen beherrscht. Die feine Nase und der kleine Mund fallen kaum auf. Fithuul besitzen nicht nur eine hervorragende Kondition, sondern sie sind auch hervorragende Forscher.
Miskatoor-Feen
Die höchstens dreißig Zentimeter kleinen, geflügelten Wesen sind Intelligenzen des Rideryon. Sie sind humanoid, ihr Aussehen erinnert an das eines Siganesen. Allerdings passen die insektoiden Flügel nicht zum menschlichen Erscheinungsbild. Miskatoor-Feen sind Suggestoren und verfügen über eine friedfertige Ausstrahlung, die sie benutzen, um Frieden und Harmonie zu verbreiten. Deshalb gelten sie als rein und sind die Vermittler zwischen den Völkern des Rideryon.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2017
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 93, veröffentlicht am 6.02.2016 —
Titelillustration: John Buurman • Innenillustrationen: –
Lektorat: Alexandra Trinley • Digitale Formate: René Spreer