Was bisher geschah | Hauptpersonen des Romans |
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Es herrscht Krieg! Nach der Gründung des Quarteriums 1303 NGZ war es nur eine Frage der Zeit, bis es zum militärischen Konflikt kam. Mit der dorgonischen Invasion in den estartischen Galaxien 1305 NGZ begann ein intergalaktischer Konflikt. Nachdem die Saggittonen, die USO und die republikanischen Akonen den Estarten zu Hilfe kamen, erklärte das Quarterium diesen Nationen den Krieg. Das Quarterium unterstützt nicht nur die Dorgonen in den estartischen Galaxien, sondern besiegt in einer umfassenden Offensive auch die Akonen, die USO und die Saggittonen in Cartwheel. Nun weht das Banner des Quarteriums über ganz Cartwheel. Im Schatten dieses Banners geschehen unfassbare, verabscheuungswürdige Verbrechen. Eine Stätte dieser Gräueltaten ist der Planet OBJURSHA … |
Manuel Joaquin »Joak« Cascal – Der Veteran aus dem Solaren Imperium versucht zu überleben. Selvon da Gohd – Kommandant des Todeslagers Objursha. Uwahn Jenmuhs – Der Gos’Shekur macht eine Inspektion auf Objursha. Myrielle Gatto – Die Mutantin soll entsorgt werden. Anya Guuze – Bulrichs attraktive Frau ist ahnungslos. Krizan Bulrich – Spezial-Agent der Cartwheel Intelligence Protective. Reinhard Katschmarek – Minister für Artenbestandsregulierung. |
1. Tagebucheintrag Selvon da Gohd
26. Juli 1306 NGZ
Alles Dilettanten, wie sie hier sind! Möchtegernoffiziere und Phantasie-Organisatoren, stehen rum wie diese terranischen – wie sagen die Terraner? Falschgeld. Unnütz und schwachsinnig!
In drei Tagen werden der Minister für Artenbestandsregulierung Reinhard Katschmarek und der erlauchte Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs ihre Inspektion auf Objursha durchführen. Und was läuft? Gar nichts!
Heute Morgen habe ich eine Inspektion in der neuen Baracken-Sektion Block H-III durchgeführt. Diese schwachsinnigen nichthumanoiden Breheb’cooi und auch die gefangenen Menschen kommen nicht von der Stelle. Der Aufseher, dieser Essoya, schafft es nicht, ihnen Beine zu machen. Ich habe ihm gesagt, wer nicht spurt, wird an die Wand gestellt. Dann parieren die anderen schon. So muss man mit diesen Parang, diesen stumpfsinnigen Herdentieren, umgehen. Das soll er mal machen.
Der Block H-III muss in drei Tagen fertig sein. Jenmuhs hat extra nach diesem Block gefragt, da kann ich ihn doch nicht enttäuschen! Wie stünde ich denn da als Lagerkommandant und als Arkonide? Na also!
Aber das verstehen die Herren von und zu nicht! Essoyas! Ihr beschränkter Horizont reicht nur bis zum Ende ihres Sechs-Stunden-Arbeitstags. Idioten! Flexibel muss man sein. Prioritäten setzen. Immerhin sind wir Auserwählte der Sonderabteilung für Artenbestandsregulierung!
Das Vertrauen, das die Regierung des Quarteriums in meine Person und meine Männer gesteckt hat, darf nicht enttäuscht werden. Das würde in meiner Karriere nicht gut kommen. Gar nicht gut. Wenn das hier danebengeht, bin ich längste Zeit Gruppenkommandeur gewesen.
Wahrscheinlich darf ich dann als Meldeoffizier bei der bevorstehenden M 87-Invasion fungieren. Die kommt! Offiziell ist noch nichts, aber die Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer, dass man sehr bald in M 87 einfallen will. Insbesondere der Herr Quarteriums-Fürst Torsor scheint eisern entschlossen zu sein, seine Heimat dem Quarterium einzuverleiben. Wen wundert es? Mich nicht.
Sollen sie nur.
Aber mich graust es schon jetzt bei dem Gedanken an M 87. Was da an Arbeit auf uns zu kommt! Wie sollen wir das bewältigen, wenn die auch noch ihren Müll zur Entsorgung hier abliefern? Wo sollen wir die Kapazitäten herbekommen?
Der Müll – das sind Abermillionen. Wo sollen die hin? Das werde ich den Gos’Shekur fragen. Dazu brauche ich Unterstützung. Ich brauche mehr Männer und mehr Geld. Erst dann kann ich was bewegen. Mein Plan ist, ganz Objursha zu einem einzigen Entsorgungslager zu machen. Dann können wir effizient arbeiten.
Vor allem müssen wir schleunigst das Energieproblem lösen. Anscheinend macht man sich in Paxus überhaupt keine Gedanken darüber, wie wir die ganzen Konverter und Lager im Dauerbetrieb halten sollen. Wie die Damen und Herren Bürokraten sich das vorstellen. Die glauben, man muss nur einen Sensor drücken, damit die Energie fließt. Aber Erfolge wollen sie sehen. Idioten!
Mir schwebt eine Entsorgungsrate von einer Million pro Tag vor, damit was vorwärtsgeht. Damit die Galaxien sauber werden. Dann wäre ich zufrieden – und Paxus sicher auch.
Eine elende Scheiße ist das. Aber immerhin gab es zum Abschluss meiner Inspektion noch ein lustiges Ereignis. Die Dscherro, trotz ihrer Minderwertigkeit unterm Strich nützliche Wärter, wurden mit Schockstrahlern ausgestattet und das hat sich gelohnt.
So ein stinkender Linguide versuchte doch tatsächlich zu fliehen! Er rannte los wie verrückt, doch die Dscherro holten ihn schnell ein. Sie schossen mit den Schockstrahlern auf seinen Unterleib und der Typ machte sich doch echt in die Hose. Und die Hose rutschte mit dem ganzen Zeugs drin einfach runter, er stolperte im vollen Lauf und knallte längelang hin.
Das war dermaßen komisch. Und wie der dann zappelte, ohne die gelähmten Beine bewegen zu können. Wir haben alle herzlich gelacht, während ihn die Dscherro tot geprügelt haben. Diesen Anblick werde ich nicht so schnell vergessen. Es muss ja auch was zu lachen im Job geben, sonst macht er keinen Spaß. Eine Aufgabe, die Berufung, Freude und verantwortungsvolles Pflichtbewusstsein vereint, ist der perfekte Job. Deshalb bin ich auch stolz, dass ich hier dienen darf. Dabei geht es nicht nur um meine Karriere. Es geht um etwas Höheres und Größeres.
Und doch nagen manchmal Zweifel an mir. Es sind so viele Deportierte, und irgendwie sind viele davon ganz normale Leute. Muss man die wirklich alle entsorgen? Ist das echt notwendig? Das fragen mich meine Offiziere. Ich verstehe sie. Doch ich sage ihnen, es ist der Befehl des Gos’Shekur. Wir sind an ihn gebunden und müssen hart bleiben. Er verlässt sich auf uns. Wir kämpfen unter extremen und erschwerten Bedingungen für die glorreiche Zukunft der Menschheit! Was für ein Glanz dann in ihre Augen kommt! Das erhebt einen regelrecht.
Deshalb erfüllt mich diese Aufgabe mit Stolz und ich bin dankbar, dem Quarterium in dieser wichtigen Weise dienen zu dürfen. Solange es meine Untergebenen nicht versauen! Nur noch drei Tage bis zur Inspektion. Die Aufregung macht mich fertig. Ich bete zu den She’Huhan, dass alles klappt. Und jetzt geht es wieder an die Arbeit.
Selvon da Gohd, Objursha
2. Generalprobe
Die Butterblumen blühten in all ihrer gelben Pracht an diesem sonnigen Tag auf Objursha. Auf den Wiesen mischten sich einheimische Blumen mit importiertem Löwenzahn von Terra und arkonidischen Kräuterblumen zu einem einzigen, unvergleichlichen Blütenflor. So eine schöne und warme Periode im sonst eher tristen Sommer dieses Planeten war selten. Flüchtig dachte ich an die Fareh-Blumen-Zucht meiner Gattin. Die Fareh-Blumen waren ihr Ein und Alles. Eine gute Verteilung: Sie züchtete Blumen, ich Entsorgungslager.
Ich stand auf der blühenden Wiese, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und begutachtete die Proben. Die Kapelle spielte den Torgauer Marsch, danach den Begam-Marsch – aber wie! In meinen Ohren klang die Geräuschkulisse wie Katzenmusik. Die Optik stimmte auch nicht: Die Soldaten marschierten nicht, sie tänzelten unbeholfen durch die Gegend. Sowas sollte den Ansprüchen des Gos’Shekur Genüge tun? Mir wurde übel!
Und mein nichtsnutziger Major stand neben mir und grinste über beide feiste Backen. Er schien mit der Prozedur zufrieden zu sein. Aber so waren die Terraner nun mal: primitiv, ohne Anspruch und genügsam. Unerträglich primitiv.
»Aufhören!«, brüllte ich.
Im Schweinsgalopp rannte ich zur Kapelle, drohte mit beiden Armen und schrie den Kapellmeister an.
»Schluss damit. Dieses Vurgizzel-Sirren kann man ja nicht mehr ertragen. Das soll Musik sein? Das klingt wie Gejaule von Cüppüblöök! Ihr seid Militärmusikanten, keine INSELNET-Superstars!«
Er stand betroffen da. Als Nächstes stürmte ich zu den Soldaten.
»Und ihr – das nennt ihr Exerzieren? Erbärmlich ist das! Eine einzige bekackte Scheiße! Ihr marschiert wie eine wild gewordene Qa’peshherde. Eine Schande seid ihr und keine Armee!«
Major Ulryk Fitschka trat eifrig an mich heran.
»Ganz meiner Meinung, Sir! Das habe ich denen auch gesagt. Die müssen mehr gedrillt werden.«
Ich konnte die Schleimerei dieses Idioten nicht mehr ertragen. Am liebsten hätte ich meinen Strahler gezogen und ihm das schwabbelnde Gehirn weggepustet. Stattdessen brüllte ich ihn an.
»Dann schleifen Sie die Soldaten, bis das Wasser im Arsch kocht, Mann! Morgen muss das funktionieren, sonst schicke ich euch alle, die ihr da steht wie ausgekotzte Fragezeichen an die vorderste Front nach Estartu. Sie auch, Major! Sie als ersten!«
Fitschka zuckte zusammen. Er salutierte hastig. Mit Wohlbehagen notierte ich, wie seine Hand zitterte.
»Jawohl, Herr Gruppenkommandeur!«
Ohne ein weiteres Wort stapfte ich zornbebend vom Feld. Nur langsam beruhigte ich mich. Schließlich seufzte ich resigniert. Dann kroch die Wut wieder hoch. Wie sollte das noch klappen? Nur noch drei Tage Zeit und ich war von Idioten umgeben.
Ich stieg in meinen Gleiter und wies den Fahrer an, in den Bereich Block H-III zu fahren. Dort befand sich die nächste brenzlige Baustelle. 500 Baracken mussten innerhalb der nächsten drei Tage fertig gestellt werden. Tausende von Zwangsarbeitern schufteten ihre vierzehn Stunden pro Tag. Doch sie waren zu langsam. Das konnte nichts werden.
»Halt!«
Der Fahrer, ein Gefreiter, stoppte sofort das Gefährt. Ohne darauf zu warten, dass er mir die Tür öffnete, stieg ich aus und warf einen Blick auf die Arbeiter.
Krizan Bulrich, Spezial-Agent der Cartwheel Intelligence Protective, lief auf mich zu. Der Mann wirkte wie immer adrett. Er trug einen schwarzen Anzug mit Krawatte. Ich bemerkte schmunzelnd das Abzeichen des Quarteriums auf der Krawattennadel. Immerhin.
»Herr Gruppenkommandeur da Gohd«, grüßte Bulrich. »Wir stehen unter Druck …«
»Natürlich tun wir das. Die Leute arbeiten zu langsam. Wird Zeit, dass wir denen mal etwas auf die Beine helfen.«
Ich blickte ihn vielsagend an. Jetzt würde der lahme Schisser mal was zu sehen bekommen! Ich winkte den Aufseher zu mir, einen dicken Major. Der Terraner galt im Allgemeinen als fähig, aber er war viel zu human, um durchzugreifen.
»Major Disser, wie gedenken Sie eigentlich den Zeitplan einzuhalten?«
Meine Stimme war ruhig, ich betonte jedoch beim Sprechen den Ernst der Situation.
Disser, ein fetter und hässlicher Terraner, wirkte angespannt. Seine feisten Wangen zuckten, die Augen drückten Ratlosigkeit aus.
»Wir geben unser Bestes, Sir. Aber …«
»Ja, ich höre?«
Disser biss sich auf die Lippe. Ich verdrehte die Augen und wechselte einen Blick mit Bulrich, der schweigend das Gespräch verfolgte.
Demonstrativ stellte ich mich vor eine Grube. Darin verlegten mehr als drei Dutzend dieser entarteten Witzfiguren das Fundament einer Baracke. Im Schneckentempo.
»Wache!«
Sofort eilte ein Pariczaner zu mir. Er salutierte und fragte nach meinem Begehr. Wenigstens das klappte hier.
»Geben Sie mir Ihre Waffe, Soldat!«
Ohne zu zögern, schulterte der Grautruppler sein Gewehr ab und übergab es mir. Ich betrachtete die Waffe. Das TSG 55-Q war zwar nicht mit dem M-A-R 21 »Phönix« Sturm-MHV-Gewehr zu vergleichen, doch für diesen Zweck genügte es. Besonders freute mich an dieser Waffe die Zielerfassung. Ich blickte durch das elektronische Fernrohr. An den Seiten wirbelten rote Punkte umher, die sich um den anvisierten Punkt lokalisierten. Wenn die roten Punkte das Ziel umschlossen, konnte der Schütze feuern.
Eine tolle Sache – aber auf diese kurze Distanz war das langweilig. Also deaktivierte ich die automatische Zielerfassung und legte das Gewehr wieder an. Zuerst zielte ich auf einen Tellerkopf, der mühevoll Erde wegschippte. Ich fixierte den dünnen Hals und drückte ab. Mit einem kurzen Knall donnerte der feine Strahl in die Kehle des Blue, der sofort tot zusammenbrach. Getroffen!
Die anderen Arbeiter taten, als sei nichts geschehen. Offensichtlich hatten sie zu viel Angst, das nächste Opfer zu werden. Ich verachtete diese Feiglinge. Es war wirklich purer, ehrenvoller Altruismus, das Universum von diesem Abschaum zu befreien.
Ich zielte auf einen verwahrlosten Springer. Widerlich, wie Bras’cooi, immerhin uns so ähnliche Kreaturen, so weit runterkommen konnten. Durch das Objektiv sah ich den zerzausten Bart und die wirren Haare in allen unappetitlichen Einzelheiten. Mein Finger krümmte sich. Schuss und Treffer! Der Springer war tot.
Toll!
Ein kleiner Junge ließ vor Angst sein Werkzeug fallen. Den Knirps nahm ich mir als nächsten vor. Der glaubte wohl, ungeschoren davon zu kommen. Warte nur, du kleiner fauler Schmarotzer! Ich schwenkte das Gewehr und schoss, doch der kleine Linguide drehte sich in diesem Moment zur Seite. Der Schuss streifte den Bauch und riss ihn auf. Der Junge rollte zu Boden, krümmte sich um die Gedärme, die aus der Bachdecke quollen und fing laut an zu schreien.
Ich setzte das Gewehr ab. Setzte es wieder an und drückte ab. Doch das Display leuchtete auf. Die Energiezelle war leer. Ich warf das Gewehr zu Boden.
»Was ist das denn für ein Müll?«
Das durchdringende Winseln des Kindes ging mir auf die Nerven. Ich fragte mich, wie lange das Balg brauchte, um an seinen Verletzungen zu krepieren. Das Gejammer ging einem durch Mark und Bein. Die anderen standen wie gelähmt in der Gegend rum. Major Disser und Krizan Bulrich starrten mich aus kreidebleichen Gesichtern an.
»Erschießen Sie ihn«, befahl ich dem Pariczaner.
»Aber …«
»Was denn, Mann? Können Sie nicht mal die Göre abknallen?«
»Sir, meine Waffe ist leer …«
»Dann besorgen Sie sich eine neue oder erschlagen das Stück Dreck mit dem Gewehrkolben. Los jetzt!«
Der Pariczaner rannte los. Er kletterte die Leiter herunter in die Grube, nahm den Gewehrkolben und schlug dreimal auf den Schädel des Kindes ein. Es verstummte.
Ich atmete erleichtert auf. Endlich Ruhe. Das Balg lag verkrümmt da, ein blutiger Haufen. Mitleid hatte ich keins. Hätten er und seine Artgenossen anständige Arbeit geleistet, wäre das nicht passiert.
Ich blickte Disser düster an.
»Die drei waren ein Exempel. Sagen Sie Ihrem Gesindel, dass ich jeden von ihnen erschießen lasse, wenn in drei Tagen dieser Sektor nicht steht.«
Disser zuckte zusammen. Ich salutierte und winkte Bulrich zu mir. Wir stiegen in den Gleiter ein.
»Nach Hause!«, befahl da Gohd. Der Gleiter fuhr an.
*
»Und das sollen Elitesoldaten sein? Dass ich nicht lache!«
Dabei war mir wirklich nicht nach Lachen zumute. Ich blickte Krizan Bulrich streng an. Dieser schmierige Terraner tat immer so verständnisvoll, aber sonst tat er nichts. Dabei sollte er mich doch beim Aufbau unterstützen. Und was tat er? Beschäftigte sich tagaus, tagein damit, seine Frau Anya Guuze zu beglücken.
Ich verstand ihn ja. Bei der Sexbombe von Frau würde ich auch den ganzen Tag bürsten wollen. Aber jetzt hatte er wichtigere Pflichten: Der Besuch des Gos’Shekur stand bevor!
Nur keine Aufregung: Die Quittung für seine Einstellung würde der früh genug bekommen. Wir waren hier beim Militär, nicht in einem Bordell. Wütend stieg ich aus und ging ins Haus.
»Schatz, Essen ist gleich fertig!«
Ich verdrehte die Augen. Terza kostete mir noch den letzten Nerv. Ich kämpfte mit aller Kraft, um meine Karriere zu retten, und sie dachte nur an das blöde Fressen und ihren Garten. Hm, vielleicht sollte ich sie auch entsorgen. Warum nicht? Im Bett taugte sie sowieso nicht mehr viel. Sie war schrecklich pummelig geworden. Allein beim Gedanken an ihre Speckrollen am Bauch wurde mir regelrecht schlecht. Doch darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. In drei Tagen erwartete der Gos’Shekur ein perfektes Entsorgungslager. Ich durfte Jenmuhs nicht enttäuschen.
Im Foyer angekommen, entledigte ich mich meines Mantels und stapfte ins Wohnzimmer. Dort goss ich mir erst einmal einen großen Vurguzz ein und leerte das Glas mit einem Zug.
Major Fitschka wartete bereits auf mich. Der Vurguzz hatte mich etwas beruhigt. Ich nickte dem Major zu und wir gingen mit Bulrich in mein Arbeitszimmer.
»Das klappt schon alles viel besser mit dem Marschieren und der Kapelle«, versicherte Fitschka.
Ich nickte knapp und bat um das Programm. Fitschka händigte mir eine Mappe aus.
»Die Druckerei hat sich viel Mühe gegeben. Wir haben extra auf eine elektronische Mappe verzichtet.«
Ich las das Programm durch, während Fitschka weiterredete. »Wir bekommen einen Transport aus Siom Som direkt nach Objursha. Die Entsorgung wird also von A bis Z vorgeführt werden können.« Plötzlich stockte der Major. »Sind Sie sicher, dass der Gos’Shekur das alles sehen will?«
Ich setzte mich hin und legte die Mappe auf meinen Schreibtisch. Vor mir stand die Flasche Vurguzz, die mich förmlich darum bat, noch einen Schluck aus ihr nehmen. Ich füllte mein Glas voll. Mit einem Zug leerte ich es. Die Qualen und die Anspannung linderte der Schnaps zwar, doch er merzte sie nicht aus. Ich musste da durch. Die nächsten zweiundsiebzig Stunden waren lebenswichtig für mich. Versagte ich – war alles aus. Daran mochte ich gar nicht denken. Es drängte sich aber immer wieder in mein Bewusstsein.
Ich war von Natur aus ein Pessimist, sah erst mal das Negative. Terza hielt mir das ständig vor. Ich seufzte, versuchte die Magenschmerzen zu unterdrücken.
Essen, dachte ich angewidert.
Ich hatte keinen Hunger. Es wäre sowieso ein Wunder, wenn ich das Essen nicht wieder auskotzen würde. Dabei versuchte ich nur, meinen Job so gewissenhaft wie möglich auszuüben. Was wäre denn, wenn ich versagen würde? Meine Karriere wäre ruiniert, ich würde vermutlich als Frontsoldat meine Pflicht erfüllen. Diese Zukunftsängste und die Jobunsicherheit plagten mich von Tag zu Tag.
»Der Gos’Shekur wünscht alles zu sehen. Der Transport wird auch auf Davau halten. Wieso?«
Fitschka räusperte sich.
»Er wird dort politische Gefangene einsammeln, Terraner und Linguiden. Meist USO-Agenten und ihre Familien.«
»Nun gut …«
Ich blätterte eine Seite weiter. Das Layout war wirklich gelungen. Jetzt kam ich zum eigentlichen Programm.
08:45 Uhr – Raumhafen
Empfang des Gos’Shekur in allen Ehren. Hohenfriedberger Marsch, gefolgt vom Begam-Marsch
Ich knallte die Fäuste auf den Tisch.
»Fitschka, was soll das denn?«
Der Offizier blickte mich ratlos an. Dieser blöde Terraner kapierte auch überhaupt nichts. Der war wohl selbst zum Scheißen zu dämlich!
»Der Gos’Shekur wird doch als Erster begrüßt werden. Da spielen wir natürlich zuerst den Begam-Marsch und dann den Hohenfriedberger. Erst den arkonidischen Marsch. Ein Arkonide kommt vor dem Terraner, verstanden?«
Die letzten Worte schrie ich. Fitschka zuckte zusammen, holte seinen Pikopad aus der Tasche und tippte die Änderung in das Display. Ich atmete tief ein und las weiter.
09:00 Uhr – Rundführung durch Objursha
Besichtigung der Baracken und sonstigen Anlagen
10:00 Uhr – Zweites Frühstück im Brauhaus
10:30 Uhr – Besichtigung der Baustellen. Erfahrungsaustausch, weitere Planungen
12:00 Uhr – Besichtigung der Entsorgungsprozedur
13:00 Uhr – Gemeinsames Mittagessen
Ich stockte, lief rot im Gesicht an. Die Magenschmerzen meldeten sich wieder. Ich glaubte nicht, was ich da las. War Fitschka total übergeschnappt?
»Sie verblödetes Arschloch!«
Ich sprang auf und schlug dem Major die Mappe um die Ohren. Einmal links und dann rechts. Am liebsten hätte ich meinen Strahler gezogen und sein Gehirn an die Wand gepustet.
»Sie total beklopptes Schwein! Sind Sie denn total irre? Die Entsorgung vor dem Mittagessen?«
»Naja, die Herren von der Transportgesellschaft benötigen den Transporter schnell wieder. Daher können sie nicht warten. Es würde ihnen finanzielle Verluste einbringen«, versuchte Fitschka sich zu verteidigen.
Wie borniert waren diese Leute eigentlich? Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich versuchte händeringend jeden Fehler vorherzusehen und dieser Idiot, diese blöde Sau, setzte finanzielle Verluste eines beknackten Transportunternehmens vor das Wohlergehen des Gos’Shekur. Es war unglaublich!
»Quatsch ist das! Was glauben Sie, wie groß der Appetit des Gos’Shekur nach der Entsorgung sein wird? Es bleibt, wie geplant: Mittagessen vor der Entsorgung! Und wenn Ihre Arschgeigen von der Transportgesellschaft das nicht kapieren, können die sich gleich selbst zur nächsten Entsorgung mittransportieren.«
Fitschka zitterte am ganzen Körper und blickte mich eingeschüchtert an. Gut so!
»Verstanden?«
»Ja … ja …«
»Dann raus, Sie dumme Mistsau! Ändern Sie den Dreck sofort. Na los!«
Der Major rannte aus dem Zimmer. Ich sah Bulrich wütend an und ließ mich auf meinen Stuhl fallen.
Es war gut gewesen, dass ich noch einen Blick auf das Programm geworfen hatte. Immer alles mit den Augen des Herren prüfen, war meine Devise. Ich konnte nur mir selbst vertrauen. Diese Idioten waren ja nicht einmal in der Lage, ein Programm zu erstellen.
Plötzlich verspürte ich trotz der Aufregung Hunger. Ich ging zum Interkom und rief meine Frau an.
»Ich werde doch was essen. Was gibt es denn?«
»Spaghetti mit Hackfleischsoße und gemischten Salat als Beilage. Das magst du doch immer so, Schatz«, drang es unangenehm schrill aus dem Lautsprecher.
In der Tat mochte ich dieses eher terranische Essen. Kochen konnten meine primitiveren Brüder durchaus. Auch wenn sie uns Arkoniden sonst in vielen Dingen unterlegen waren, wie sich auch bei der Planung der Inspektion wieder zeigte.
»Ich komme gleich.«
Ich wandte mich an Bulrich.
»Schauen Sie Fitschka und Disser auf die Finger. Ich will, dass morgen alles besser aussieht, verstanden? Wenn dem Gos’Shekur die Inspektion missfällt, sind wir beide unseren Kopf los …«
3. Zwangsarbeiter
27. Juli 1306 NGZ, 03:00 Uhr morgens
Wir arbeiteten inzwischen beinahe ununterbrochen, damit diese verdammten Baracken fristgerecht fertig gestellt wurden. Tausende Inhaftierte arbeiteten daran, nur damit Selvon da Gohd bei seinen Vorgesetzten glänzen konnte. Der Sack! Eigentlich war das Grund genug, um die Arbeit niederzulegen. Doch wer das wagte, wurde verprügelt oder erschossen.
Mein Hals schmerzte. Wahrscheinlich eine Mandelentzündung. Der Husten, die verstopfte Nase und die Gliederschmerzen signalisierten mir ebenfalls, dass ich mich wohl besser ausruhen sollte. Können vor Lachen! Das interessierte hier niemanden.
Wer krank war, wurde entsorgt. Dann hatte man auch seine Ruhe. Konverterruhe.
Obwohl das Leben eine Qual war, wollte ich so nicht sterben. Ich wollte hier raus! Der Welt über diese Gräueltaten berichten, Perry Rhodan erzählen, dass Cauthon Despair in Wirklichkeit für MODROR arbeitete und dann zusammen mit ihm gegen diese Verbrecherbande kämpfen.
Träume, die mich noch am Leben hielten. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, bis ich zusammenbrach. Seit mehr als einem Jahr arbeitete ich bereits in Objursha. Hielt durch. Länger als viele andere, sah man einmal von meinen beiden Freunden Jo’Rhy’Dav und Rütülly ab.
Der mächtige Gurrad, der auch die Gene einer Kartanin in sich hatte, war unverwüstlich. Rütülly hingegen überlebte durch sein Geschick. Er war ein Komiker und guter Redner. Der Jülziish verstand es, Inhaftierte wie Aufseher bei Laune zu halten. Das garantierte ihm Extrarationen an Nahrung, die er mit uns teilte. Es schien, als würde dem Blue niemals die gute Laune vergehen.
Glück hatten wir auch bei der Auswahl unseres Aufsehers. Major Disser war korrupt und noch dazu kein Sadist. Rütülly hatte Schmuck »organisiert« und ihn damit bestochen.
Außerdem wusste der fette Terraner, dass wir drei seinen Bautrupp zusammenhielten. Ohne uns würde er nicht mit Erfolgen seinen Allerwertesten vor da Gohd retten können.
Wir waren quasi seine Hündchen. Wir bekamen Streicheleinheiten, während der Rest des Rudels Tritte erhielt. Mehr als Tiere waren wir in den Augen dieser selbsternannten Herrenmenschen nicht. Das widerte mich an. Hätte ich nicht meine Ziele, wäre ich schon längst einem dieser feisten Aufseher an die Gurgel gegangen. Doch damit stoppte ich nicht das Leid der anderen Inhaftierten. Und ich wollte ihnen helfen. Das könnte ich aber nur von außerhalb.
Wenn diese verdammten Halsschmerzen nicht wären! Da war eine Schusswunde noch angenehmer. Ich hatte es immer gehasst, erkältet zu sein. Immer!
Es war schwer, die Augen aufzuhalten. Seit mehr als zwanzig Stunden ackerte ich bereits. Vier Stunden musste ich noch, dann durfte ich mich sechs Stunden ausruhen. Nicht genug, aber besser als eine Energiesalve in den Kopf zu bekommen oder in die Konverterhallen gebracht zu werden.
Die Sirene ertönte. Pause! Zwar nur zwanzig Minuten, aber auch besser als gar nichts. Es war schon seltsam, dass man sich an so wenig Ruhe gewöhnen konnte, wenn man als Alternative nur den Tod hatte.
»Joak, Jo’Rhy!«
Rütülly winkte uns zu sich. Er hatte Brot und Limonade. Für jeden ein Glas Saft und zwei Scheiben Weißbrot. Was für ein Luxus! Die Scheiben waren zwar nicht mehr besonders weich, schmeckten aber trotzdem noch gut.
Wahrscheinlich waren sie von heute Mittag übriggeblieben. Die Küche hatte immer wieder Probleme mit der Einteilung. Rütülly hatte mal erzählt, dass sich der Küchenchef deswegen schon mit dem Kommandanten angelegt hatte, weil man ihm nie rechtzeitig Bescheid gab, wie viele Wesen entsorgt wurden. Er konnte die Rationen nicht genau genug berechnen, daher blieb meist etwas übrig. Natürlich wurde das Essen nicht verteilt. Es blieb in der Küche. Doch Rütülly hatte seine Verbindungen.
»Ich habe gehört, dass da Gohd bei der Generalprobe völlig ausgeflippt ist«, erzählte der Blue.
»Er bekommt mächtig Panik. Hat wohl Angst um seine Karriere.« Jo’Rhy’Dav knurrte unzufrieden. »Dieses Mistpack! Wir schuften, damit sie uns besser umbringen können. Das ist doch krank.«
»Heute leben, morgen kämpfen«, sagte ich.
Ein Spruch, den mir Sandal Tolk beigebracht hatte. Es lag viel Wahrheit darin. Es war nicht feige, überleben zu wollen. Nicht, wenn man diesen Schrecken beenden wollte.
Andere Gefangene waren feige. Sie taten alles, um zu überleben: verachtenswerte Gestalten, denn sie denunzierten die eigenen Leidensgenossen, biederten sich bei den Aufsehern an, um besser gestellt zu werden. Es gab tatsächlich Agenten unter den Gefangenen, die die Aufgabe hatten, bei Aufruhr sofort die Lagerkommandantur zu informieren.
Deshalb mussten wir mit unseren Ausbruchsplänen äußerst vorsichtig sein. Dabei gab es nicht einmal einen vernünftigen Plan. Objursha wurde strengstens bewacht. Selbst wenn uns die Flucht aus dem Lager gelang, gab es keine Möglichkeit, den Planeten zu verlassen.
Es fing wieder an zu regnen. Ich verwünschte dieses Mistwetter. Dabei war es schon Hochsommer auf Objursha, doch nur selten gab es solche sonnigen Tage wie gestern.
Alles war hier trist. Ich sah mich um, blickte in die traurigen Gesichter von Blues, Somern, Pterus, Unithern, Galornen, aber auch Menschen. Es wurde kein Unterschied zwischen den Gegnern des Quarteriums gemacht. Doch vorwiegend lebten Extraterrestrier auf Objursha.
Wir Menschen hatten einen besonders schweren Stand. Einerseits wurden wir von den Inhaftierten mit Misstrauen behandelt und andererseits von den Aufsehern als Verräter traktiert. Ich war froh, dass ich wenigstens Rütülly und Jo’Rhy an meiner Seite hatte.
Manche Extraterrestrier fielen flehend vor mir auf die Knie, wenn sie hörten, dass ich Joak Cascal war. Sie baten um Hilfe und sahen in mir den unbesiegbaren Helden. Es zerriss jedes Mal aufs Neue mein Herz, wenn ich ihnen sagen musste, dass ich genauso wie sie ein Gefangener ohne Rechte und Mittel war. Ich raubte ihnen damit die letzte Hoffnung.
Hoffnung gab es hier auf Objursha nicht. Nur meine Träume, eines Tages von hier entkommen zu können.
»Vorsicht, der Pisser«, flüsterte Rütülly.
Ich sah zu dem fetten Pariczaner im Rang eines Gefreiten hinüber. Er stellte sich vor ein paar sitzende Blues, öffnete seine Hose und urinierte auf sie. Sie wagten nicht, hochzusehen, geschweige denn etwas zu sagen. Er pinkelte auf ihre Köpfe, auf ihr Wasser und zielte mit offensichtlichem Vergnügen.
»Irgendwann töte ich ihn«, sagte Jo’Rhy.
Ich wusste, dass er es ernst meinte.
»Noch ist die Zeit nicht gekommen. Sie werden bestraft werden. Doch dazu müssen wir hier raus.«
Jo’Rhys Blick wich nicht von dem Überschweren, den wir alle nur »Pisser« nannten, weil er immer wieder auf die Häftlinge pinkelte.
Auch ich verspürte den Drang, ihn zu erwürgen, doch damit half ich nicht den anderen Insassen und den vielen, die es irgendwann werden würden. Das schreckliche Ausmaß dieser Entsorgung wurde uns mehr und mehr bewusst. Was anfangs wie ein Straflager angelegt worden war, hatte sich als Vernichtungslager entpuppt. Ich war entsetzt gewesen, als die ersten Bewohner der estartischen Galaxien hier eintrafen.
Immerhin wurden wir von Neuankömmlingen mit wichtigen Neuigkeiten versorgt. Beispielsweise, dass man auf der Welt Beschryr in Siom Som auch ein sogenanntes Entsorgungslager errichtete, um Objursha zu entlasten. Die gesamte Bevölkerung auf Beschryr wurde ausgelöscht, hieß es. Ich wusste nicht, was ich von diesen Gerüchten halten sollte. Waren Menschen wirklich zu so etwas in der Lage?
Spontan sagte ich nein, doch wenn ich mir die Terraner, Arkoniden und Pariczaner auf Objursha betrachtete, war ich doch davon überzeugt. Der Mensch war zu solcher Grausamkeit fähig.
Ich verstand es trotzdem nicht. Wieso degenerierte die Menschheit zusehends? Dem Solaren Imperium hatten die modernen Menschen Imperialismus und Kriegstreiberei vorgeworfen, doch was bitte stellte das Quarterium dar? Natürlich war das Solare Imperium militärisch stark gewesen, doch wir hatten mit unseren Idealen und Prinzipien von Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit gekämpft und niemals einen echten Angriffskrieg geführt. Wir hatten uns immer nur verteidigt, um die aufstrebende Menschheit und später die Völker in der Milchstraße vor Unterdrückung und Tyrannei zu bewahren.
Rütülly stupste mich an.
»Sieh mal, was ich organisiert habe. Eine halbe Zigarette!«
Der Blue war Gold wert. Eigentlich war der Glimmstängel in meiner Verfassung pures Gift, doch das interessierte mich im Moment herzlich wenig. Nicht einmal diese Typen hatten es geschafft, mich zum Nichtraucher zu machen, obgleich ich deutlich weniger rauchte als zuvor. Zwangsläufig, denn es gab ja so gut wie keine Zigaretten. Gesundheitlich ging es mir trotzdem nicht besser.
Ich zündete die Zigarette an und atmete den Rauch tief ein. Das tat gut! Genüsslich stieß ich den Qualm wieder aus.
Komisch, dass ich jetzt plötzlich an Frauen denken musste. Mein Gott, es war Jahre her, dass ich das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Beinahe acht Jahre. Nach dem Tod meiner Frau in der Raumzeitfalte war ich lange Zeit viel zu traurig gewesen, um mit einer anderen was zu haben. Später, als Terramarschall, hatte ich schon wieder bemerkt, wenn mir eine gefiel, aber ich hatte mir in dieser Position keine Affären leisten können, daher fiel die Anzahl meiner Romanzen recht gering aus. Tja, seit der Schlacht im HELL-Sektor vor acht Jahren hatte es keine gegeben.
Warum mir jetzt das Bild von dieser Anya Guuze durch den Kopf schoss, wusste ich nicht. Wahrscheinlich, weil sie die einzige Frau weit und breit war, die wir zu Gesicht bekamen.
Sie wohnte drei Kilometer vom Lager entfernt und war die Frau des CIP-Agenten Krizan Bulrich. Ein heißer Feger, mit der ich gerne einiges anstellen würde.
Sollte ich jemals wieder aus dieser Hölle herauskommen, würde ich mir eine feste Freundin suchen und wieder heiraten. Ich wurde schließlich auch nicht jünger und geregelter Sex konnte nach so einer langen Abstinenz auch nicht schlecht sein.
Die Sirene holte mich aus meinen Gedanken heraus. War vielleicht auch besser so. Langsam fing ich wirklich an, schwachsinnig zu werden, wenn ich jetzt noch an Sex dachte.
Wir standen auf und gingen wieder an unsere Arbeit. Zum Bauarbeiter war ich wirklich nicht geboren. Immerhin hatte dieser Major Disser das auch eingesehen und mich als Vorarbeiter eingesetzt. Planung und Organisation lagen mir schon mehr.
Ich kostete die Zigarette so lange aus, wie es ging, dann schnippte ich den Stummel auf den Boden. Mit der letzten Rauchschwade verzogen auch meine intimen Gedanken und ich konzentrierte mich wieder auf die Arbeit.
Plötzlich fuhr ein Gleiter auf unser Gelände. An den seitlichen Wimpeln erkannte ich, dass er einem CIP-Beamten gehörte. Meine Vermutung wurde bestätigt, als Krizan Bulrich ausstieg.
Da waren wieder meine dreckigen Gedanken an seine Frau. Hitze schoss in mir hoch. Die Gier vernebelte mir das Hirn. Ich würde diesen Kerl umlegen, um mit seiner Frau zu schlafen. Es wäre auch kein Verlust: An den Händen dieses Penners klebte viel Blut, auch wenn er selbst nie einen Mord begangen hatte. Er war auch für die Organisation und Planung zuständig. Ich weigerte mich jedoch, ihn »Kollege« zu nennen.
Jetzt lief er auch noch direkt in meine Richtung. Was wollte er von mir? Major Disser stieß zu ihm. Beide tuschelten irgendetwas, sahen zu mir und schritten dann gemeinsam auf mich zu.
»Hey, Cascal!«
Es wäre wirklich nicht schade drum, wenn ich diesen Typen umlegen würde. Alleine seine Begrüßung war eine Beleidigung. Ich verschränkte die bebenden Hände. Die jetzt um seine Gurgel legen und zudrücken …
»Was wollen Sie?«, fragte ich.
Bulrich holte ein Etui aus seiner Jackentasche und öffnete es. Zigaretten! Er bot mir eine an. Seine Frau hätte ich lieber genommen, aber eine Zigarette war auch gut. Die Gunst der Stunde musste man auskosten.
Verwundert registrierte er, dass ich im Besitz eines Feuerzeuges war. Auch Disser guckte irritiert auf das kleine Gerät.
»Wie Sie wissen, wird in zwei Tagen der Gos’Shekur eine Inspektion machen. Viel hängt davon ab. Ich möchte, dass Sie uns helfen, diesen Sektor bis übermorgen fertig zu bekommen.«
Ich pustete Bulrich den Rauch direkt ins Gesicht. Er schloss die Augen und hustete kurz.
»Warum sollte ich Ihnen helfen?«
»Wir würden uns erkenntlich zeigen. Ich wäre bereit, Ihren Bautrupp besser zu behandeln, wenn Sie das packen würden.«
Ich glaubte Bulrich kein Wort. Aber vielleicht konnte ich Kapital aus der ganzen Sache schlagen.
»Das bedeutet, meine Leute würden nicht sofort entsorgt werden?«
Bulrich lachte.
»Ihnen kann man schwer was vormachen. In der Tat würde der Trupp bis auf Weiteres am Leben bleiben. Wir würden euch neue Klamotten geben und die Nahrungsrationen verdoppeln. Euer Trupp wäre der Mercedes unter den Bauarbeitern.«
Was sollte ich sagen? Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, die Knie unter seine Rippen gebohrt und meine Kippe in seinen Augen ausgedrückt. Aber das half weder mir noch den anderen.
»Die Errichtung der Baracken ist in zwei Tagen möglich. Aber ich möchte dafür eine Sonderleistung.«
Bulrich sah mich fragend an. Ich lächelte.
»Einmal wieder kultiviert essen. Ein Bad nehmen, einen netten Abend verbringen, Zeitung lesen und all die Sachen, die uns hier verwehrt sind.«
Bulrich schwieg, schien wohl nicht zu wissen, wie er das zur Verfügung stellen sollte. Was für ein Idiot. Ich musste ihm auf die Sprünge helfen.
»Laden Sie mich doch mal zu Ihnen nach Hause ein. Ein Essen mit Ihnen und Ihrer bezaubernden Frau wäre für mich Motivation genug. Natürlich würde ich nichts über die Missstände im Lager erzählen. Ich will nur mal wieder einen Tag wie ein Mensch leben, nicht wie ein Tier …«
Bulrich nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und blies den Rauch wie eine Dampflok aus.
»Ich weiß nicht, ob ich das beim Lagerkommandanten durchbringen kann.«
»Lieber einen Tag mit mir verbringen, als zusammen mit dem Lagerkommandanten an vorderster Front im Strafbataillon kämpfen zu müssen. Ich verspreche Ihnen, dass wir das hinkriegen.«
Lässig reichte ich Bulrich die Hand. Zögernd ergriff er sie.
»Also gut. Sie haben Ihren Tag als Mensch, wenn Sie das schaffen. Und ich behalte meinen Kopf.«
Er ließ los und stieg wieder in den Gleiter ein. Das ging einfacher, als ich gedacht hatte. Jetzt musste ich mir noch einen Plan ausdenken, wie ich von Bulrichs Haus aus eine Nachricht an die USO senden konnte.
Rütülly und Jo’Rhy sahen mich seltsam an, als ich zu ihnen ging.
»Tust du dich jetzt mit dem Feind zusammen?«
Der Gurrad klang unwirsch.
»Ich arbeite nur an unserer Flucht. Bulrich ist dumm und leicht auszutricksen. Vertrau mir, mein Freund.«
Jo’Rhy’Dav legte seinen Spaten beiseite und blickte mir tief in die Augen. Seine Mähne türmte sich auf, die Eckzähne fletschten aus seinem Löwenmaul. Ein wahrlich imposanter Anblick, dem selbst ich mich nicht entziehen konnte. Seine Pranken donnerten auf meine Schultern und rüttelten mich freundschaftlich.
»Wenn ich das nicht tun würde, hätte ich dich längst schon getötet.«
Sehr aufmunternde Worte.
Die lauten Klagerufe eines Ophalers lenkten mich ab. Mitten im Regen kniete sein tonnenförmiger Körper im grauen Schlamm, in dem die Fühlerbüsche seiner Tentakel versanken. Mit hypnotisierender Kraft sang er ein trauriges Lied. Ergriffen ging ich etwas näher heran und sah den Grund: Vor ihm lag ein anderer Ophaler, den lang gestreckten Hals auf volle Länge gereckt, die bunten Trauben der Sinnesorgane im grauen Matsch. Der schmale Mund stand offen. Er war tot.
Das Lied berührte mich. Mein Herz wurde schwer und traurig, trauriger als jemals zuvor. Die Melodie des Ophalers drang in mein tiefstes Inneres vor. Es war eine Ode an das Leid auf Objursha.
Rütülly stand schweigend neben mir. Er schloss die Augen, verharrte in gebeugter Pose und schien bei seinen farbigen Kreaturen um die Seele des Toten zu beten.
Ich hob den Kopf und starrte in die Dunkelheit des Himmels. Regentropfen platschten mir ins Gesicht. Wenn es einen Gott gab, dann sollte er uns jetzt helfen. Warum ließ er diese schrecklichen Gräueltaten zu?
Wieso?
Ich blickte wieder auf den Ophaler, der die Leiche seines Artgenossen behutsam streichelte. Sein Gesang verwandelte sich in leises Wimmern, das schließlich verstummte.
Zwei Dscherro kamen und droschen auf ihn ein. Ich wollte erst loslaufen, doch ich hielt inne und sah zu, wie sie ihn niederknüppelten. Nicht aus Feigheit blieb ich stehen – sie hätten mich ruhig töten können, wenn ich damit den Ophaler gerettet hätte. Doch nichts konnte sein Schicksal aufhalten. Zumindest niemand auf dieser Welt.
Ich musste hier raus. Nur so konnte ich diesen armen Geschöpfen helfen. Mit einer Flotte würde ich sie herausschießen und ihre – unsere – Peiniger bestrafen. Ihnen alles zurückzahlen, bis sie vor Schmerzen schrien für den Rest ihrer Tage.
4. Tagebucheintrag Selvon da Gohd
28. Juli 1306 NGZ
Heute habe ich schon besser geschlafen. Endlich mal durchgeschlafen. Ich bin sogar nahe dran gewesen, Sex mit meiner Frau zu machen. Aber als ich ihre fette Plauze sah, ist es mir wieder vergangen. Habe dann lieber noch ein paar Vurguzz getrunken. Sie ist dadurch nicht attraktiver geworden, aber ich dafür müde.
Major Fitschka hat das Programm in der Druckerei ändern lassen. Jetzt gefällt es mir viel besser. Hätte ich nicht mit den Augen des Herren noch einmal alles geprüft, wäre unser Arsch auf Grundeis gegangen.
Major Disser hat zusammen mit Bulrich Erfolge beim Barackenbau erzielt. Der Block H-III ist so gut wie fertig. Bulrich hat den Häftlingen wohl einige Zusicherungen gegeben. Soll er reden. Wir sollten sie nächste Woche gleich in die Konverterhallen schicken, bevor sie noch aufmüpfig werden. Was weg ist, ist weg!
Ich werde Jenmuhs trotzdem auf diverse Missstände hinweisen. Es ist meine Pflicht. Außerdem werde ich nicht die Bürohengste auf Paxus decken, die Jenmuhs nur nach dem Mund reden. Ich bin überzeugt, dass der Gos’Shekur ehrliche und objektive Menschen viel mehr schätzt als Speichellecker.
Das Energienetz muss verbessert werden, ich brauche mehr Männer und die ganze Logistik muss erheblichen Veränderungen unterzogen werden. Davon wollen die Beamten auf Paxus nichts hören. Die setzen überall nur ihren Rotstift an, während ich mir wie Schütze-Arsch vorkomme und ihren Bockmist ausbaden soll. Nicht mit mir! Es geht hier schließlich um meine Karriere und um das große Ziel.
Natürlich bin ich mir darüber bewusst, dass wir im Krieg sind. Ich leiste ja auch meinen Beitrag dazu. Objursha ist die größte militärische Einrichtung in Cartwheel! Was ich und meine Männer hier leisten, geht auf keine Qa’peshhaut! Wir ackern und schuften hier rund um die Uhr unter hohen physischen und vor allem psychischen Belastungen. Und doch erfüllen wir unter erschwerten Bedingungen unsere Pflicht. Etwas Anerkennung vom Gos’Shekur wäre nicht verkehrt.
Hoffentlich klappt alles mit der Entsorgung. Ich habe jeden kleinen Ausrutscher in Betracht gezogen. Insbesondere die Pannen, die früher passiert sind. Wenn die Breheb’cooi, die Nichthumanoiden, anfingen zu heulen und aufmüpfig wurden. Wenn sie fliehen wollten. Auch muss man auf die Breheb’cooi aufpassen, die die Sachen einsammeln und beruhigend auf die zu Entsorgenden wirken sollen. Einige warnen die sogar. Meistens erwischen wir solche aber, und dann verbrennen wir sie bei lebendigem Leibe. Wäre ja noch schöner!
Ich habe nur die fähigsten Leute für die Entsorgungsprozedur ausgewählt. Männer, die das jeden Tag machen und belastbar sind. Profis. Ich brauche keinen Frischling, der anfängt zu kotzen, wenn wir dieses minderwertige, beschränkte Leben, diese Zayna, zur Schlachtbank führen.
Alles muss wie am Schnürchen klappen. Und es ist doch so simpel. Wir empfangen die Breheb’cooi und die Bras’cooi, die wie Menschen aussehen, aber als Gegner des Quarteriums ihr Leben verwirkt haben, am Raumhafen, spielen ihnen eine nette Komödie vor, führen sie zu den hübsch angelegten »Sammelhallen« auf der Wiese. Bitten sie, sich von Wertsachen zu trennen und zack, ab in den Konverter. Da geht alles schnell. Dauert höchstens eine Minute. Das Schlimmste ist der Hitzeanstieg, den sie noch mitbekommen. Dann fangen sie an zu röcheln und zu schreien. Ist erstmal die Desintegrationsenergie erreicht, geht es innerhalb einer Sekunde.
Sorgen bereitet mir die Kleiderprozedur. Wir haben festgestellt, dass viele ihre Wertsachen in ihren Mänteln verstauen. Deshalb müssen sie sich ausziehen. Herr Minister Katschmarek hatte uns das Prinzip anhand einer geschichtlichen Parallele bei den Terranern verdeutlicht.
Unter einem sehr interessanten Mann namens Adolf Hitler wurde auf ähnliche – wenn auch auf viel weniger effektive und wesentlich primitivere – Weise versucht, eine religiöse Rassegemeinschaft auszulöschen.
Um den größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen zu erreichen, hatte man damals die Kleider und sogar die Leichen der Getöteten weiterverwertet. Schon interessant. Nun, die Leichen können wir nicht verwerten. Bei technischen Implantaten und dergleichen bedauerlich. Doch schon aus den Klamotten und dem Gepäck können wir vieles weiterveräußern. Nur sind sowohl Breheb’cooi als auch Bras’cooi nicht unbedingt bereit, sich einfach so auszuziehen, da sind sich Nichtmenschliche und Menschliche ähnlich.
Wir reden von Dekontaminierung und einige glauben es uns sogar. Da zeigt sich wieder ihre Minderwertigkeit! Zayna, alle miteinander. Behinderte. Meine Idee ist es, dass wir letzten Endes die ganzen Kleider, den Schmuck und den ganzen Kram wiederverkaufen, das Geld einsammeln und so auf Objursha unser eigenes, kleines Wirtschaftssystem schaffen. Es wäre mir lieb, wenn wir uns selbst versorgen und finanzieren könnten. Dann wäre ich nicht mehr so abhängig von den Sesselfurzern auf Paxus.
Ich werde das auch morgen dem Gos’Shekur erläutern. Der wird bestimmt Verständnis dafür haben und vielleicht sogar meine wirtschaftlichen Vorschläge loben.
Der ganze wirtschaftliche Aspekt war sowieso so eine Sache. Vor drei Monaten hatten die uns einen Unternehmensberater vom Finanzministerium geschickt. Irgendein gelackter Typ von Shorne Industries, der für ein fürstliches Gehalt unsere Prozesse optimieren wollte.
Ich habe ihm erstmal eine Entsorgung vorgeführt. Danach hat er sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Und schon hielt er die Klappe. Das war herrlich. Wie haben wir über dieses Mamasöhnchen gelacht.
Sobald er sich einfügte, hat er schon paar gute Ansätze gebracht. So hat er errechnet, dass wir ab einer Million Entsorgte pro Tag nicht nur genügend Energie für den Betrieb der Konverter erzeugen, sondern auch für das Hauptlager. Ab dieser Entsorgungskapazität könnten wir uns selbst versorgen, bräuchten keine externe Stromversorgung mehr und könnten die überschüssige Energie für weitere Lagerbereiche verwenden.
Eine Million Entsorgte! Das ist die magische Grenze, die es zu erreichen gilt. Immerhin habe ich die Zielvorgaben der Junikonferenz letzten Jahres erfüllt. Mit der Fertigstellung von Block H-III ist die letzte Zielvorgabe erledigt.
Die Magenschmerzen nehmen wieder zu. Mein Vurguzzkonsum auch. Nur nicht schwanken! Ich bin ganz schön aufgeregt, was morgen angeht. Hoffentlich geht alles gut. Bitte liebe Qinshora, Göttin der Liebe und Güte! Sei morgen gütig zu mir und mach, dass alles klappt!
5. Verbrecherfrau
Anya Guuze lag in ihrem gemütlichen Bett und döste vor sich hin. Sie dachte über ihr Leben als Ehefrau eines einflussreichen Spezial-Agenten nach. Sie hätte niemals gedacht, dass Krizan sich so verändern würde, doch er hatte sie eines Besseren belehrt. Aus dem Taugenichts war ein stattlicher Mann mit Verantwortung und Ansehen geworden.
Was genau seine Aufgaben waren, verschwieg er ihr. Manchmal stimmte sie das misstrauisch, zumindest aber traurig. Sie dachte sich dann, dass er nicht viel Vertrauen in sie besaß. Auf der anderen Seite verstand sie das schon, denn schließlich durfte er keine Staatsgeheimnisse ausplaudern – auch nicht an die Frau, die er liebte. Und eigentlich interessierte es sie nicht einmal. Wichtiger war ihr gemeinsames Glück.
In den letzten Tagen war Krizan jedoch besonders komisch. Irgendetwas ging in dem Resozialisierungslager vor sich, das ihm die Laune verdarb. Er verlor kein Wort darüber, aß kaum etwas, trank viel Bier und legte sich früh zu Bett. Nicht einmal Lust auf Sex hatte er in den letzten Tagen gehabt. Er brütete vor sich hin. Anya wollte ihm beistehen, er allerdings ließ sie nicht an sich heran.
Die Blues-Frau Maryy trat ins Zimmer, verneigte sich und begann, die Schränke zu putzen. Anya war noch nicht ganz wach. Sie drehte sich auf die andere Seite. Manchmal nervte sie das Nichtstun etwas, aber Krizan hatte darauf bestanden, dass sie sich aus den quarterialen Angelegenheiten heraushielt. Dabei hätte Anya auch gerne bei der Cartwheel Intelligence Protective gedient. Sie stellte sich die Aufgabe, für die Sicherheit im Quarterium verantwortlich zu sein, extrem spannend vor. Anderseits war es ein wunderbares Gefühl, einen erfolgreichen Mann zu haben.
»Haben Sie gut geruht, Herrin?«
»Maryy, du sollst mich nicht Herrin nennen. Anya oder Miss Guuze reicht aus. Ich bin nicht deine Herrin.«
Wieso die gatasische Familie sie nur mit so viel Demut behandelte? Als hätten Maryy und ihre Familie, die als Bedienstete in ihrem Hause arbeiteten, Angst vor Krizan. Aber wieso nur? Anya verstand das nicht und Maryy schwieg zu diesem Thema. Wieso hüllte sich eigentlich jeder in Schweigen, was die Vorgänge auf Objursha anging? Dabei machte Krizan jetzt so wunderbar Karriere. Eigentlich musste sich jeder darüber freuen, überlegte sie träge. Jeder, der ihn kannte.
Anya seufzte und räkelte sich. Sie fuhr mit beiden Händen über ihren Körper und genoss das Gefühl der feinen Seide, aus der ihr silbernes Negligé bestand. Krizan hatte es ihr geschenkt. Seit er erfolgreich war, konnte sie die schönsten Kleider tragen. Genüsslich fuhr sie sich über Bauch und Hüften. Ein wunderbares Gefühl. Sie setzte sich auf.
»Ich habe gut geschlafen. Ist mein Mann schon zurück?«
»Nein«, sagte die Blue.
Anya seufzte. Wieder machte er so viele Überstunden. Dieser Selvon da Gohd musste ein wahrer Sklaventreiber sein. Immerhin hatte sie den Grund für die Panik mitbekommen. Ein Besuch des Gos’Shekur stand an. Wahrscheinlich waren deshalb alle so gereizt. Sie hatten Angst vor Jenmuhs. Anya fand diesen Arkoniden einfach nur widerlich und eklig. Sie hatte leider zu oft die Gelegenheit gehabt, ihn zu treffen. Einerseits genoss es Anya, sich im erlauchten Kreise der Regierung zu bewegen, andererseits waren ihr einige der Machthaber nicht geheuer. Dazu zählte Jenmuhs, aber auch Leticron, der den armen Siddus auf dem Gewissen hatte.
Sie dachte an ihre Schulzeit mit Siddus zurück. Sie hatte niemals einen so feinfühligen, aber auch jämmerlichen Kerl getroffen. Ein Schaf im Körper eines Kolosses. Erst als er von Leticron übernommen wurde, war die Bestie erwacht. Das hatte Anya am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie verdrängte die Gedanken und erinnerte sich plötzlich an ihre Entführung vor einigen Jahren im Hause de la Siniestro.
Mit Schaudern dachte sie an Ian Gheddy zurück, der sie immer »Püppchen« genannt hatte. Der arme alte de la Siniestro war aus Liebe und Einsamkeit Dorys Gheddy und ihren beiden verschlagenen Söhnen auf den Leim gegangen. Dabei hatten sie nur sein Geld und die Macht im Auge gehabt. Damals, als Krizan Bulrich sie im Stich gelassen hatte, hatte sie sich geschworen, nie wieder was mit ihm anzufangen. Doch das Schicksal wollte es anders. Es war nur ein schwacher Moment gewesen. Er liebte sie und sie liebte ihn. Und das Quarterium bekam ihm gut. Er war nun ein ehrenhafter Mann mit vielen guten Eigenschaften. Sie war richtig stolz auf ihn.
Plötzlich stürmte ihr Mann herein. Sie lächelte ihn an und wollte ihn in die Arme schließen, doch Krizan schob sie unsanft von sich.
»Was für ein Scheißtag!«
»Was war denn, Schatz?«
Er antwortete nicht – wie immer. Stattdessen glotzte er Maryy an.
»Bring mir was zu trinken! Na los, du scheiß Tellerbirne!«
Maryy zuckte zusammen und lief los. Anya stemmte die Arme in die Hüften und sah ihren Mann verständnislos an.
»Das war nun wirklich nicht nötig. Maryy ist immerhin der gute Geist unseres Hauses. Du solltest sie besser behandeln!«
»Pah!«
Krizan winkte ab und ließ sich auf das Bett fallen. Kurz danach kam Maryy mit einer Flasche Vurguzz zurück. Krizan benötigte kein Glas, er schüttete sich den Inhalt der Flasche in den Rachen.
»Spinnst du?«, rief Anya aufgebracht. »Es ist neun Uhr morgens. Wann musst du wieder zur Arbeit?«
»In fünf Stunden. Und übermorgen geht es nach Siom Som, wenn der Gos’Shekur nicht zufrieden ist.«
Anya erschrak. Was war verdammt noch mal los hier? Sie setzte sich neben ihren Mann und streichelte durch sein Haar.
»Da Gohd macht uns alle wahnsinnig. Alles muss klappen, sonst ist es vorbei mit dem schönen Leben.«
»Was ist denn schon so schwer daran, das Resozialisierungslager zu präsentieren? Zeigt dem Gos’Shekur doch eure Erfolge. Fremdrassige, die sich in die Lebensgemeinschaft des Quarteriums eingegliedert haben. Das ist doch ein toller Job. Ihr könnt stolz auf euch sein.«
Krizan blickte Anya seltsam an. Sie konnte den Blick nicht deuten. Was war nur los mit ihm?
Er trank wieder aus der Flasche und rülpste laut. Dann warf er die halbleere Flasche gegen die Wand. Mit einem lauten Knall zersprang das Glas in Scherben. Anya zuckte zusammen.
Maryy stand starr daneben.
»Nun räum den Dreck schon weg, du scheiß Bluesschlampe. Oder soll ich dich und deine Brut nach Block H-III bringen?«
Maryy fing an zu weinen. Sie zitterte. Anya sprang auf und half der Gataserin beim Aufräumen.
Krizan rappelte sich auf, er schwankte durch den Raum.
»Was soll der Mist? Die Hure ist zum Saubermachen da. Nur Dreck macht den Dreck weg.«
Anya ignorierte ihren Ehemann. Er war total besoffen und redete Stuss. Sie legte ihre Hand auf Maryys Schulter.
»Ist schon gut, den Rest machen wir nachher weg. Lassen wir ihn erstmal schlafen. Der Stress macht ihn fertig.«
Maryy nickte. Sie starrte Anyas Mann angsterfüllt aus dem vorderen Augenpaar an. Dann ging sie. Anya wusste nicht, was sie mit Krizan in dieser Verfassung machen sollte.
»Was ist bloß mit dir los?«
Krizan schien sie überhaupt nicht zu hören. Er rieb sich die Schläfen und murmelte etwas vor sich hin. Sie schnappte ein paar Worte auf.
… H-III, Mittagessen nach der Entsorgung, Transport pünktlich …
Was, zum Teufel, meinte er damit? Von diesem Block H-III hatte er doch vorhin schon gesprochen. Wieso hatte Maryy so furchtsam darauf reagiert? Und was für ein Transport? Was meinte er mit Entsorgung? Sie wollte ihn fragen, doch er war bereits eingeschlafen.
Sie grübelte noch eine Weile darüber nach, dann fasste Anya den Entschluss, sich das Lager bei Gelegenheit mal genauer anzusehen. Irgendetwas verheimlichte er ihr – und dieses Geheimnis wollte sie lüften.
*
Eine Stunde später grübelte Anya immer noch über Krizans wirre Aussagen nach. Vielleicht wusste Frau da Gohd mehr darüber. Beide verstanden sich recht gut, Anya war oft zum Kaffee bei ihr. Viel mehr Möglichkeiten zur Geselligkeit gab es hier auch nicht. Die kleine Stadt für die Familienangehörigen des Personals kannte Anya schon in- und auswendig. Und der Besuch des Lagers war ihr verboten. Es gab eine Zone von einem Kilometer um die komplette Anlage herum, welche von einem wabernden, verzerrenden Schutzschirm umgeben war. Krizan hatte ihr erklärt, dass dies zum Schutz vor Spionage sei. Kein Ton drang aus dem Lager, niemand konnte durch den Schutzschirm etwas sehen oder hören, noch ihn ohne Genehmigung passieren.
Auf dem Weg zum Haus der da Gohds marschierten mehrere Dutzend Soldaten an ihr vorbei. Die Kapelle spielte »Terraners Glorie«, ein Marsch aus den Zeiten des Solaren Imperiums. Eigentlich interessierte sich Anya für diese Musik nicht, doch auf Objursha wurde jeden Tag Marschmusik gespielt. Inzwischen kannte sie alle Märsche in- und auswendig. Neben dem kleinen Trupp flog ein Gleiter mit Major Fitschka drin. Er beachtete Anya nicht, obwohl sie ihm zuwinkte. Anya seufzte und fühlte sich gleich etwas minderwertig.
»Huhu!«
Hinter dem Gartenzaun fuchtelte eine Hand hin und her. Anya winkte Terza da Gohd zu.
»Anya, wie schön, Sie zu sehen. Wollen Sie nicht zum Kaffee bleiben?« Anya lächelte und nickte. Sie trat durch das Gartentor und reichte Terza die Hand. Die Frau des Lagerkommandanten ergriff sie und drückte kräftig zu. Durch die Gartenarbeit musste Terza da Gohd viel Kraft in den Händen bekommen haben, vermutete Anya. Die Terranerin hatte selbst sehr zarte Hände und war auch glücklich darüber. Sie bevorzugte geschmeidige Hände statt kräftiger Pranken.
»Langweilen Sie sich auch, Anya? Die Männer sind ja so beschäftigt wegen des Besuchs des Gos’Shekur. Bin ich froh, wenn das morgen endlich vorbei ist.«
Terza seufzte und hob die Hände beschwichtigend in die Höhe. Dann bat sie Anya mit auf die Veranda. Ein Diener brachte ihnen Tee.
»Selvon steht völlig neben sich. Er isst kaum noch, trinkt nur und ist so gereizt.«
Anya nickte verständnisvoll. Krizan benahm sich genauso.
»Und das alles wegen diesem Mistpack, diesen Breheb’cooi …«
Anya war überrascht. Was Terza da Gohd damit wohl meinte? Bezeichnete sie etwa Jenmuhs als Mistpack? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Moment mal – war Breheb’cooi nicht das arkonidische Wort für Nichthumanoide? Aber das konnte Terza nicht meinen.
Anya nahm ein Schluck vom Tee. Sie ging lieber nicht auf Terzas Bemerkung ein, um die Stimmung nicht zu zerstören. Blamieren wollte sie sich auch nicht. Die Arkoniden waren manchmal so stolz. Statt zu fragen, genoss sie das schöne Wetter. Es war so selten hier auf Objursha.
»Hoffentlich wird Jenmuhs morgen zufrieden sein. Soviel hängt davon ab.«
»Unsere Männer leisten doch eine ehrenvolle Arbeit. Warum sollte Jenmuhs nicht zufrieden sein?«
Terza grinste Anya seltsam an. Sie vermochte diese Mimik nicht zu deuten. Genau wie bei Krizan.
»Waren Sie eigentlich schon einmal im Lager?«
Für Anya kam die Frage sehr überraschend. Sie musste verneinen.
»Soso«, sagte da Gohd gedehnt.
Anya hatte das Gefühl, dass Terza verbittert war. War vielleicht in ihrer Ehe nicht alles in Ordnung? Aß sie deswegen so viel? Sie hatte auffallend zugenommen. Oder war etwas anderes los? Dass Krizan so gar nichts über das Lager sagte! Terzas Mann erzählte ihr anscheinend mehr. Und warum waren alle so seltsam in letzter Zeit? Sie entschloss sich, den Bruch der guten Stimmung zu riskieren.
»Krizan erwähnte einige Begriffe, wie Entsorgung und Block H-III. Wissen Sie, was er damit meint?«
Terzas Mine gefror. Sie starrte Anya schweigend an, trank ihren Tee, als hätte sie alle Zeit der Welt, und stellte die Tasse im Zeitlupentempo ab.
»Seien Sie ein gutes Mädchen und kümmern Sie sich nicht um das Lager. Das ist Angelegenheit der Männer. Gehen Sie einkaufen und pflegen Sie den Haushalt, so wie ich es tue. Das ist das Beste für alle …«
War das eine Drohung? Anya wusste es nicht, doch der Tonfall ihrer Freundin behagte ihr nicht. Ihr Unbehagen und das Gefühl, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging, wurden von Minute zu Minute stärker.
Um es sich mit Terza nicht zu verderben, lenkte sie ein: »Ja, da haben Sie recht. Tut mir leid, weibliche Neugierde halt.«
Terza lachte kurz. Anya wurde es ziemlich ungemütlich. Sie verabschiedete sich rasch und kehrte nach Hause zurück. Krizan schlief immer noch. Ratlos stand sie vor ihm. Was ging da nur vor? Hatte er am Ende eine Freundin und Terza wusste es? Seit Tagen fasste er sie nicht an. Anya begann, an der Aufrichtigkeit ihres Ehemannes zu zweifeln. Sie nahm sich vor, dem Geheimnis des Lagers auf Objursha auf die Spur zu kommen.
6. Die Inspektion
29. Juli 1306 NGZ
Ich warf Major Fitschka einen letzten drohenden Blick zu, während er den Paradetruppen und der Kapelle letzte Anweisungen gab. Über ihnen schwebte die Space-Jet majestätisch zum Landefeld.
Der Kapellmeister begann, die quarteriale Nationalhymne zu spielen. Nach Protokoll sollte während der Begrüßung des Gos’Shekur der Begam-Marsch folgen und zum Willkommen seiner Begleiter der Hohenfriedberger.
Die Space-Jet setzte auf und die Luke öffnete sich. Die Gangway fuhr aus. Einige Gardisten marschierten herunter, stellten sich auf und eskortierten die Besucher.
Zuerst schritt Generalkommandeur Stevan da Reych die Gangway hinunter. Ich war überrascht, denn da Reych hatte seinen Besuch nicht angekündigt. Ihm folgte CIP-Chef Werner Niesewitz, zusammen mit dem Minister für Artenbestandsregulierung Reinhard Katschmarek. Anschließend folgte Oberstkommandeur Reynar Trybwater, bevor die Lichtgestalt selbst, der Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs, sich die Ehre gab.
Die Kapelle spielte nun den Begam-Marsch. Ich konzentrierte mich auf Jenmuhs. In meinen Augen war der Gos’Shekur der wahre Imperator Arkons. Bostich war ein fähiger Regent, doch besaß er nicht die Ausstrahlung und die Intelligenz dieses Mannes.
Zuerst erreichte mich da Reych und reichte mir die Hand. Ich konnte dem stechenden Blick aus den roten Knopfaugen des Generalkommandeurs nicht lange standhalten.
Die Begrüßung durch Niesewitz und Katschmarek fiel wesentlich freundlicher aus. Katschmarek war ein jovialer Vorgesetzter: Solange man sich keine Fehler erlaubte, war man sein Freund. Trybwater gab sich glatt, undurchsichtig und hochnäsig wie immer. Ein aufgesetztes Grinsen, ein lockerer Händedruck und schon ging er weiter.
Humpelnd watschelte Jenmuhs auf mich zu. Ich versuchte so stramm zu stehen, wie es nur ging. In diesem Moment war ich nervös und glücklich zugleich. Jenmuhs war trotz seines abstoßenden Aussehens das Idol jedes Arkoniden.
»Mein Gos’Shekur!«
Jenmuhs röchelte seltsam, schien Probleme mit dem Atmen zu haben. Er trug eine schillernde Uniform, darüber einen roten Umhang und wirkte mit seinem Zierdestock königlich, nein – kaiserlich, er war der geborene Imperator!
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, da Gohd. Auf Paxus lobt man Sie. Nun, wir werden sehen …«
Ich schluckte. War das jetzt ein Lob oder eine Drohung? Hatte ich meine Sache gut genug gemacht? Ich achtete kaum noch auf die Musik, registrierte nur im Unterbewusstsein, dass inzwischen der Hohenfriedberger Marsch gespielt wurde und dass Werner Niesewitz und Reinhard Katschmarek darüber hoch erfreut waren.
Ich deutete auf die Gleiter.
»Bitte sehr, Zhdopanthi.«
Ich wählte mit Absicht eine Anrede, die eigentlich dem Kristallimperator vorbehalten war. »Ich möchte Sie jetzt gerne durch Objursha führen.«
Jenmuhs nickte kommentarlos und schlurfte zum Gleiter. Ich warf Major Fitschka einen kurzen Blick zu, woraufhin er mir sofort folgte. Ich stieg mit Jenmuhs, Katschmarek und Bulrich in einen Gleiter. Angespannt gab ich dem Chauffeur den Befehl loszufliegen.
Die Magenschmerzen und Übelkeit meldeten sich wieder. Ich musste da jetzt durch. Die nächsten Stunden waren für meine Karriere entscheidend.
Die Sternengötter waren gnädig …
… und hatten für gutes Wetter gesorgt. Die Temperaturen lagen bei frühlingshaften 17 Grad Celsius, einige Blumen blühten und ab und zu blinzelten auch Sonnenstrahlen durch die sonst so dichte Wolkendecke. Ich vermutete, dass der Wettergott Kralas, sollte es ihn geben, wohl Jenmuhs und mich selbst mochte. Über eine eigene Wetterkontrolle verfügte Objursha nicht. Abgelehnt, weil zu teuer. Niemand bei den Paxus-Bonzen hatte die Notwendigkeit eingesehen. Gleiches galt für modernes Arbeitsequipment bei der Ausstattung der Häftlinge. Wir brauchten das, denn aktuell sollten wir mit Steinzeitwerkzeug eine Stadt errichten, obwohl unsere Arbeit so wichtig war. Diesen Wahnwitz wollte ich dem Gos’Shekur mitteilen. Wenn er denn mit meiner Arbeit zufrieden war.
Wir schwebten mit unseren Gleitern auf der Hauptstraße entlang. Jenmuhs beobachtete das emsige Geschehen rund um ihn herum. Er begutachtete schweigend die Einrichtungen. Die Luxusmeile hatten meine Untergebenen diese Straße vom Raumhafen zum Lager getauft. Hier tummelten sich die Soldaten nach der Arbeit, während ihres Urlaubs oder auch die Frauen und Familienangehörigen der Wärter. Die Frauen gingen einkaufen, die Kinder tollten auf den Spielplätzen herum.
Einige der Häftlinge durften hier niedere Arbeit ableisten. Das war billiger als Fachpersonal einzustellen oder Roboter zu bauen. Außerdem war die Entsorgung weiterhin ein Geheimnis. Je weniger davon wussten, desto besser. Die Mitarbeiter und ihre Familien konnte man zur Not schnell unter Druck setzen. Es war außerdem ein überschaubarer Kreis.
Ich erklärte dem Gos’Shekur den Sinn und Zweck der Einrichtungen. Die kleine, versteckte Baracke außerhalb, die durch halbverwilderte Vegetation vor der direkten Sicht verborgen war, zeigte ich natürlich nicht.
»Mir ist bekannt, wozu ein Café dient«, antwortete Jenmuhs und krächzte lachend.
Ich stimmte in sein Lachen ein und war mir nicht sicher, ob ich den Gos’Shekur jetzt beleidigt hatte. Langsam bewegten wir uns auf das Lager zu. Der wabernde Schutzschirm verzerrte das Bild dahinter. Die Lagerstadt war nur verschwommen zu erkennen. Wir passierten den Sperrbezirk. Eine Strukturlücke öffnete sich. Das funktionierte bestens. Ich hatte schon Angst gehabt, das Kontrollzentrum würde hier versagen und wir müssten warten. Wir schwebten auf den zweiten Sicherungsring zu.
Dann hielten die Gleiter vor dem mehr als sechs Meter hohen Tor. Der Gos’Shekur nahm das Bild in sich auf. Das gesamte Lager wurde von einer drei Meter hohen Mauer begrenzt. In einem Abstand von fünfzig Metern standen Wachtürme. Die Mauer wurde zusätzlich durch Energiefelder verstärkt, die zehn Meter in den Boden und zehn Meter über die Oberfläche reichten. Kein Häftling war in der Lage, diese Sicherheitsabsperrung zu durchbrechen. Und wenn es ihm gelang, musste er sich durch den zweiten verminten Sperrgürtel kämpfen. Spätestens beim Schutzschirm war jedoch Endstation. Die einzig effektive Fluchtmöglichkeit war, sich in einen Transporter einzuschleichen, der zur Stadt flog. Das war einigen gelungen, doch wir hatten sie alle letztlich erwischt.
Es gab nur diesen einen Zu- und Ausgang für das Entsorgungslager Objursha.
»Arkonidische Elitesoldaten bewachen den Eingang. Jeder, der rein oder raus will, muss eine gültige Chipkarte vorzeigen«, erklärte ich ihm.
Jenmuhs schwieg und blickte mich mit seinen stechenden roten Augen an. Ich fuhr fort.
»Hinter dem Tor ist noch einmal ein fünfhundert Meter breiter Minengürtel. Dahinter Stacheldraht, Bewegungsmelder, Selbstschussanlagen.« Ich lachte. »Das wäre ein Spießrutenlauf für die Tellerköpfe.«
Mein Lachen erstarb, denn Jenmuhs blickte mich nur kalt an. Dann gähnte er herzhaft. Ich fing an zu zittern und überlegte fieberhaft, was ich falsch gemacht hatte. Als ich zu keinem Ergebnis kam, befahl ich der Gleiterkolonne weiterzufahren.
Wir passierten das Tor und drangen in das Lager Objursha ein. Hinter dem Minengürtel befand sich ein zweites Tor. Dahinter standen extraterrestrische Musikanten, die fröhliche Musik spielten. Am heutigen Tage hatte ich ihnen befohlen, nur Militärmusik aufzuführen. In diesem Moment spielten sie den Petersburger Marsch.
Hier sah natürlich alles nicht mehr so gepflegt aus. Die Straßen waren nicht geteert, sondern bestanden aus Sand und Matsch. Die Häuser und Baracken waren aus Holz oder Lehm.
Zu unseren Linken hingen einige somerische Leichen von dem Balkengerüst, das als öffentlicher Galgen diente. Man hatte sie gehängt, nachdem sie Nahrung gestohlen hatten.
»Schön, schön«, sagte Jenmuhs leise.
Auf meine Lippen verirrte sich ein Lächeln. Ich war erleichtert, dass Jenmuhs der Besuch zumindest ein bisschen gefiel. Was erwartete ich eigentlich? Natürlich musste Jenmuhs den strengen Vorgesetzten mimen. Das war seine Pflicht.
Zu unserer Rechten wurden einige abgemagerte Blues und Kartanin umhergetrieben. Die Kolonne bog in die nächste Straße ab. Vor uns befanden sich die Hydroponischen Gärten.
Die Gleiter hielten und wir stiegen aus. Jenmuhs streckte sich und sah sich ein wenig um.
»Letztes Jahr sah das noch nicht so hübsch aus«, sagte Katschmarek gut gelaunt. »Herr da Gohd hat gute Arbeit geleistet.«
Niesewitz kicherte.
»Du musst immer an das Schöne denken, Reini. Das ist ein Entsorgungslager. Hier zählen nur die nackten Zahlen der Entsorgten!«
War er unzufrieden? Ich spürte, wie mir die Luft knapper wurde. Ich fuhr mit dem Finger durch meinen Kragen, hoffte das Drücken an der Kehle damit lindern zu können.
»Dat Auge guckt mit, lieber Werner. Dat Auge guckt mit …«
Ich näherte mich Jenmuhs und erklärte ihm die Kapazitäten der Hydroponischen Gärten.
»Mit Stolz kann ich behaupten, dass wir damit nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Häftlinge versorgen können. Die Viecher haben bis zu ihrer Entsorgung also auch noch einen Nutzen.«
Außer seinem schweren Atmen gab Jenmuhs keinen Laut von sich. Er musterte die Gärten und die Häftlinge, die darin ihre Arbeit verrichteten.
»Weiter«, flüsterte er.
Ich nickte und gab die Befehle weiter. Wir stiegen wieder in die Gleiter ein. Was gäbe ich jetzt für ein Glas Vurguzz, um meine Nerven zu beruhigen. Die bohrenden Magenschmerzen versuchte ich zu ignorieren. Ich war mir nicht sicher, ob dem Gos’Shekur meine Nervosität, das Zittern und Zaudern auffiel.
Wir fuhren als Nächstes zum gemeinsamen Frühstück. Etwas Entspannung tat mir nur gut. Jenmuhs schlug sich den Magen voll, während ich kaum etwas herunterbekam.
Nach dem zweiten Frühstück ging es zu den Baustellen. Hier würde eine Vorentscheidung fallen, war ich mir sicher, als wir aus den Gleitern stiegen, um die sich im Bau befindlichen Blöcke H-IV und H-V zu begutachten.
Jenmuhs sah sich die Arbeiten der Häftlinge an. Ich schwitzte, war nervös und angespannt.
»Hier geht es ja sehr human zu«, meinte Jenmuhs.
»Wenn die Inhaftierten das Gefühl haben, gut behandelt zu werden, arbeiten sie besser«, verteidigte ich mich.
Jenmuhs starrte mich wieder an.
»Soso«, sagte er knapp.
Eine Aussage, die alles und nichts bedeuten konnte. Stellte Jenmuhs mich auf die Probe?
»Ich …«, begann ich zaghaft, war mir nicht sicher, ob ich mich wirklich soweit vorwagen durfte. »Ich habe Paxus bereits mehrmals mitgeteilt, dass wir viel effizienter arbeiten könnten, wenn wir mehr Unterstützung bekommen würden.«
Jenmuhs starrte mich an. Ich wurde verlegen und blickte in der Runde umher. Die stechenden Augen von da Reych ruhten auf mir. Teilweise sahen mich die Männer mit einem entrüsteten Ausdruck auf den Gesichtern an.
»Ziel ist es doch, dass sich Objursha ökonomisch selbst verwalten kann, um den Haushalt zu entlasten. Ich will das auch gerne tun, doch wir benötigen mehr frische, gesunde Zwangsarbeiter, mehr Konverterhallen, besseres, moderneres Arbeitsmaterial und finanzielle Zuschüsse für den Aufbau.«
Jenmuhs wirkte ruhig.
»Es ist Krieg. Ein guter Soldat macht aus erschwerten Bedingungen das Beste. Die Anzahl der Baracken und Konverterhallen muss innerhalb von drei Monaten verdoppelt werden.«
»Verdoppelt?«, rief ich lauter als beabsichtigt. Meine Stimme klang schrill.
Mit aller Willenskraft mäßigte ich meinen Tonfall: »Wie sollen wir etwas in drei Monaten schaffen, wofür wir vorher ein Jahr Zeit hatten?«
Jenmuhs schien das wenig zu interessieren.
»Das ist Ihre Aufgabe, Herr Lagerkommandant.«
Ich schluckte den Ärger hinunter. Als Soldat hatte ich zu gehorchen. Meine Aufgabe bestand darin, Befehle auszuführen, die der Oberbefehlshaber anordnete. Bedingungslose Treue war eine Tugend der Arkoniden und ihre Ehre. Trotzdem hätte ich mir mehr Anerkennung gewünscht.
Wir gingen weiter, besichtigten noch zahllose andere Einrichtungen, bis es zum gemeinsamen Mittagessen ging. Zu sanfter Musik, gespielt von einer linguidischen Band, natürlich alles Strafgefangene, gab es allerlei arkonidische und terranische Spezialitäten. Dazu Bier und Wein aus beiden Welten.
Jenmuhs schien es zu schmecken. Seine Laune wurde besser und er unterhielt sich sogar mit mir. Es lockerte die Stimmung ungemein auf.
Dann übergab Krizan Bulrich mir eine Nachricht. Ich war ungehalten, weil er mich im Gespräch mit Jenmuhs störte. Dann las ich die Nachricht durch und erschrak. Beim Transport aus Siom Som war eine Mutantin mit dabei. Warum hatte man mich nicht vorher darüber informiert? Sie war Teleporterin.
»Bulrich, wieso haben Sie Idiot mich nicht vorher darüber informiert?«
Jenmuhs sah mich gespannt an.
»Verzeihung, Gos’Shekur! Ich wurde erst jetzt darüber informiert, dass eine Mutantin aus Siom Som ebenfalls heute der Entsorgung unterzogen werden soll.«
»Myrielle Gatto«, sagte da Reych mit einem stolzen Grinsen. »Ich habe persönlich angeordnet, dass sie heute entsorgt werden soll. Ich wollte mir das ansehen.«
»Oh«, machte ich.
Ich vermutete, dass da Reych mich testen wollte. Der Generalkommandeur der CIP wollte feststellen, ob ich flexibel mit neuen Situationen umgehen konnte.
Ich würde es ihm beweisen! Ungeduldig sah ich auf den Chronometer.
»Bulrich, sorgen Sie dafür, dass Parafallen vom Raumhafen bis zur Konverterhalle aufgebaut werden. Sofort!«
»Aber ich bin noch nicht fertig mit dem Essen.«
»Sofort!«
Bulrich zuckte zusammen und rannte aus dem Restaurant. Katschmarek und Niesewitz fingen laut an zu lachen.
»Der Junge ist noch etwas unreif«, meinte Niesewitz.
Katschmarek stimmte zu.
»Dafür hat er eine Frau mit hammergeilen Möpsen.«
Die beiden alten Terraner kicherten und stießen mit den Bierkrügen an. Auch Jenmuhs schmunzelte. Da Reych und Trybwater lachten nicht. Offenbar war es unter ihrem Niveau. Da Reych schien sich überhaupt nicht viel aus Frauen zu machen. Ich überlegte, ob er vielleicht auf Männer stand? Das war bei den Arkoniden – im Gegensatz zu den barbarischen Terranern – ein gesellschaftliches Tabu.
Und das war gut so. Am liebsten hätte ich dieses ganze unwerte Leben auch in die Konverterkammern gejagt. Schwule, Lesben, Transvestiten, Geisteskranke, Behinderte. All dieses ganze minderwertige Gesocks. Nur wer arbeitete, hatte Anrecht auf Essen und Leben. Das sagte schon ein weiser Terraner namens Hindenburg. Manche dieser Primitiven hatten schon was drauf gehabt. Nur der gesunde Mensch hatte das Recht zu leben und nur er hatte vor allem das Recht, sich fortzupflanzen. Es musste endlich Schluss damit gemacht werden, dass Sozialschmarotzer, Perverse und sonstige Volksschädlinge den Volkskörper des lemurischen Rassepools mehr und mehr vergifteten.
Es würde Generationen dauern, bis dieses Ziel erreicht sein würde. Ich bedauerte, dass ich nicht von Anfang bis Ende mit dabei sein durfte. Insgeheim wünschte ich mir einen Zellaktivator. Ich war der festen Überzeugung, dass ich einen verdient hatte, schließlich war ich eine Art Reformator und Befreier zugleich. Ich würde einen erheblichen Anteil daran haben, wenn das Universum endlich von diesen Krankheitserregern gesäubert wurde.
Ich träumte davon, dass die Kinder von meiner Arbeit als dem Beginn der großen Säuberungswelle in der Schule lernen würden. Meine Vision als die eines wahrhaft großen Menschen erkennen. Ich, Selvon da Gohd – der geniale Reformator! Das gefiel mir. Eines Tages würden spätere Generationen mich für ihre sauberen Welten ehren. Arkonidische und terranische Kinder mit den Vorzügen ihrer Rasse könnten endlich wieder unter ihresgleichen spielen und müssten sich nicht mehr mit Blues oder anderem Grobzeug abgeben.
Natürlich stellte ich mir schon ab und zu die moralische Frage, ob es richtig war, was wir hier taten. Wir wollten ja die extraterrestrischen Rassen nicht völlig ausrotten – nur regulieren. Wie das ein guter Jäger in seinem Forstgebiet tat. Selbstverständlich hatten die Extraterrestrier ein Recht auf Leben, so wie es Insekten oder Tiere hatten. Doch der Mensch hatte ja wohl auch das gute Recht, sich gegen eine Plage zu wehren, oder lassen Sie es zu, dass sich bei Ihnen zu Hause Ratten, Mäuse oder sonstiges Ungeziefer ausbreiten können? Nein, na bitte!
Im Grunde genommen war ich sehr human und naturverbunden. Ich schützte die menschliche Umwelt vor Schädlingen und Ungeziefer. In diesem Falle waren es nun einmal die Extraterrestrier und Feinde des Quarteriums. Und es gab nun mal viel zu viele von denen.
Ich lauschte der sanften, terranischen Streichmusik, während ich mein Glas arkonidischen Wein leer trank.
Jenmuhs hatte seine Mahlzeit ebenfalls beendet.
»Was steht als Nächstes auf dem Plan?«, wollte er wissen.
»Die Entsorgungsprozedur, mein Gos’Shekur.«
»Aha, na endlich.«
Ich sah Jenmuhs ungläubig an, merkte das aber sofort und lachte kurz. Das wäre noch schöner, würde ich mir meine Verwunderung anmerken lassen.
Zackig erhob ich mich und salutierte vor Jenmuhs.
»Wenn ich bitten darf.«
Jenmuhs erhob sich ächzend und folgte mir zu den Gleitern. Wir fuhren direkt zum Raumhafen.
7. Der Transport
Myrielle Gatto
Nur einzelne Worte und Husten unterbrachen die gespenstische Stille in diesem Lagerraum. Seit langen Stunden saßen wir hier zusammengepfercht und erwarteten die Landung auf Objursha.
Objursha! Dieser Name hatte eine schlimme Bedeutung für mich. Ich wusste, was hier geschah. Auf diesem Planeten befand sich das Zentrum der Artenbestandsregulierung, der Kern dieses unmenschlichen Systems, das Massenmord zur Staatsdoktrin erklärt hatte.
Dass ich sterben würde, war mir nun klar. Wie es geschehen würde, wusste ich nicht. Würde es wie auf Beschryr sein? Würden sie uns alle nacheinander erschießen? Oder hatte sich die Cartwheel Intelligence Protective eine neue, grausamere Methode einfallen lassen? Ich blickte auf die vielen lebenden Leichname, die mich umgaben. Viele von ihnen waren trotz der Situation gut gelaunt.
Ein altes Somerpärchen zwängte sich neben mich. Sie nickten mir freundlich zu.
»Ach, erzählen Sie mal, junge Frau. Haben Sie auch schon ein Zimmer gebucht? Mein Mann und ich haben viel Geld für eine Wohnung mit Blick aufs Meer bezahlt. Ich bin mal gespannt, was wir bekommen.«
Ich war sprachlos, starrte die Frau völlig entgeistert an. Natürlich, die wenigstens hier wussten von ihrem Schicksal. Aber woher auch? Man versprach ihnen alles Mögliche. Raus aus den Kriegszonen, hinein in autonome Gebiete, in denen sie friedlich leben konnten.
»Ich denke mal, dass es uns hier besser geht als auf Som. Die Terraner und Arkoniden sind ja viel zivilisierter als die Dorgonen.«
Jetzt lachte ich. Wenn die Somer von dem Massaker auf Beschryr wüssten …
»Ich wollte trotzdem nicht meine Heimatgalaxis verlassen. Die Quarterialen machen mit den Dorgonen gemeinsame Sache. Sie sind auch unsere Feinde«, sagte ihr Ehemann trotzig.
»Wir haben den Krieg jetzt hinter uns, Schatz. Sieh es doch mal so. Oder was meinen Sie?«
Die Somer sah mich erwartungsvoll an.
»Ja, wir haben es bald hinter uns …«
Was sollte ich sonst sagen? Sollte ich ihnen erklären, dass sie auf Objursha den Tod finden würden? Was würde das bringen? Nichts, außer, dass sie vielleicht schon vor Angst auf diesem Raumschiff starben, in einer Massenpanik zu Tode getrampelt.
Es befanden sich um die tausend Wesen in dieser Halle mit den grauen Wänden, und es war nur eine Lagerhalle des Schiffes. Zehntausende Todgeweihte gab es allein auf diesem Transport. Die schlechte Luft machte müde. Ein paar Bänke und Tische boten die einzige Annehmlichkeit auf der Reise. Angeblich war es organisatorisch nicht anders möglich gewesen, hatte ein CIP-Kommandeur zu Beginn der Reise erklärt. Mich hatte er gewarnt. »Das Schiff wird von Parafallen gesichert. Eine Flucht ist zwecklos und würde unweigerlich mit Ihrem Tod enden«, hatte er gesagt. Sterben würde ich so oder so. Nichts schien mich mehr davor bewahren zu können.
Die Möglichkeit einer Flucht an Bord war sehr gering. Vielleicht auf Objursha. Es war leichter, sich auf einem ganzen Planeten zu verstecken, als auf einem zweihundert Meter durchmessenden Transporter.
Mein Bauch schmerzte vor Hunger, mir war kalt und die Kehle tat mir weh, so trocken war sie. Keine guten Voraussetzungen, um noch an Flucht zu denken. Vielleicht sollte ich einfach das Schicksal akzeptieren. Von einer zweitklassigen Tippse zur Mutantin und dann zur Entsorgung. Was für ein Ende!
Wieder war ich nahe daran, in Selbstmitleid zu zerfließen. Nein! Diesmal nicht. Schon oft genug war ich in Wehleidigkeit versumpft. Die arme, kleine Sekretärin, die nie einen Kerl abbekommen hatte und die niemand richtig ernst nahm. Doch diese Zeiten waren vorbei. Ich war eine Mutantin, etwas Besonderes. Ich war der Parder! Die Kräfte dieses Katzenwesens strömten nun auch ohne Verwandlung in mir. Ich lernte immer besser, mit ihnen umzugehen. Teleportation, körperliche Kraft, Geschmeidigkeit und Schnelligkeit. Meine Sinne waren auch als Mensch geschärft. Das war mir auch lieber so, denn es tat immer schrecklich weh, wenn ich mich verwandelte, und ich fand mich auch als Mensch viel hübscher.
Aber was nutzte mir das alles? Wäre ich die naive Tippse geblieben, würde mein Leben nicht so bald enden. Selber schuld! Ich hatte ja herumschnüffeln und die Geheimnisse der Artenbestandsregulierung aufdecken müssen.
Bereute ich diese Entscheidung?
Nein!
Ich hatte das Richtige getan. Im Gegensatz zu den Anderen hatte ich nicht weggesehen. Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun, als nur hier herumsitzen und auf den Tod warten.
Schon seltsam, jetzt dachte ich plötzlich an Cauthon Despair. Dieser seltsame Silberne Ritter, der irgendwie von mir fasziniert war. Aber auch ich fand ihn interessant. Was verbarg sich hinter der Rüstung des Silbernen Ritters? Ein verletzliches Wesen, das auch lieben konnte. Mich lieben.
Ich wusste, wie es sich anfühlte, ein Außenseiter zu sein. Ein Freak, ja, ein Monster. Es machte einsam und traurig. Irgendwie verband uns das. Aber da war noch mehr. Obwohl er nach außen dieser gefühlskalte Ritter war, hatte er mir offene und ehrliche Aufmerksamkeit geschenkt. Er hatte sich wirklich für mich interessiert. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass er anders war, fühlte mich irgendwie zu ihm hingezogen. Aber … aber Despair war nur ein Massenmörder, wie alle anderen auch.
Ich erinnerte mich an seine Worte, als ich ihn das letzte Mal sah. Das war vor vielen Monaten. Damals hatte er von Liebe zu mir gesprochen. Seine Liebe zu mir musste ja großartig sein, wenn er Monate nichts von sich hören ließ. Er war einer der mächtigsten Männer des Quarteriums. Und nun? Kein Versuch, mich zu sehen oder zu retten. Er hatte mich meinem Schicksal überlassen. Eine schöne Liebe war das!
»Achtung, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«
Ich horchte auf.
»Wir erreichen in wenigen Minuten Objursha. Bitte halten Sie Ihr Gepäck bereit und folgen beim Verlassen des Laderaums den Anweisungen des Wachpersonals.«
Ich seufzte. Flüchtig blickte ich zu dem somerischen Ehepaar hinüber. Sie waren gespannt, wussten es nicht besser, aber ich wusste es eben besser!
Es war nun soweit: Das Ende stand bevor.
8. Die Entsorgung
Hier am Raumhafen begann der erste Teil der »Komödie«, wie ich es immer nannte. Natürlich wurde den Todgeweihten nicht mitgeteilt, dass man sie in den Konverter schickte, um Panik zu vermeiden. Solange sie willig mitmachten, war ein reibungsloser Ablauf gewährleistet.
Nun begann das Warten auf den unpünktlichen Transporter. Minuten vergingen, doch kein Raumschiff weit und breit war am Himmel zu sehen. Ich wanderte ungeduldig auf und ab. In den Gesichtern von Bulrich, Disser und Fitschka spiegelte sich meine eigene Nervosität. Jenmuhs würdigte mich keines Blickes. Der Gos’Shekur stand mit Katschmarek und den anderen abseits unter ein paar Bäumen. Er hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass keiner der Häftlinge ihn erkennen sollte.
Wenn sie denn endlich mal ankommen würden. Der Himmel bedeckte sich. Ich hatte eine üble Vorahnung. Und da fing es auch schon zu regnen an. Es goss wie aus Kübeln. Fitschka aktivierte ein Schirmfeld. Ich spürte förmlich die ungeduldigen Blicke von Jenmuhs auf mir ruhen. Wann würde endlich der Transporter kommen? Die Stimmung war auf dem Gefrierpunkt.
Dann geschah urplötzlich ein Wunder, wie in einem Märchen. Es hörte auf zu regnen, die Sonne brach durch die Wolkendecke hindurch und inmitten der Sonnenstrahlen, die aus dem dichten Grau züngelten, erschien das so sehnlichst erwartete Raumschiff.
Während die zweihundert Meter durchmessende Kugel behäbig auf dem Landefeld aufsetzte, verteilten sich Soldaten rings um das Raumschiff herum. Der Kommandeur des Empfangskomitees, der Plophoser Mesyt Barmov, postierte sich auf einem Podium rechts neben uns.
Die Schleuse öffnete sich und die Gangway fuhr aus, berührte den Boden des Landeplatzes. Zuerst stiegen einige Soldaten aus, dann folgten die ersten Häftlinge: Somer, Elfahder, Pterus, Ophaler und ein paar Menschen.
Ich betrachtete diese tristen Gestalten, blickte in ihre trüben Augen. Die Strapazen der sicherlich wenig komfortablen Reise standen in ihren Gesichtern geschrieben. Dabei hatten sie keine Ahnung. Angst war in den Gesichtern zu lesen und Neugier, Freude und Resignation. Ob einige von ihnen doch wussten, was auf sie zukam? Hatten sie bereits mit dem Leben abgeschlossen? Oder waren sie einfach nur müde?
Wie das Gefühl der Endgültigkeit wohl war? Ich wusste es nicht, mein Tod war keine beschlossene Sache – solange ich nicht versagte.
Der Leiter des Empfangskomitees fing mit der Begrüßung an. Welche Ironie: Ich selbst hatte die Rede ausgearbeitet, damals.
»Wehrte Freunde, herzlich willkommen auf Objursha. Dies ist Ihre neue Heimat. Sie ist schön. Es gibt hier Arbeit für jeden.«
Die Häftlinge, die ihre Situation nicht kannten, hörten gebannt den Worten des Majors zu. Das emsige Wühlen in den Taschen und das Gemurmel hatte aufgehört. Alle warteten auf die Informationen des Majors.
»Bitte markieren Sie Ihr Gepäck. Die Roboter werden die Koffer in Ihre neuen Quartiere bringen. Zwecks Datenerfassung und Dekontaminierung bitte ich Sie nun, uns in die Registrierungs- und Dekontaminierungshallen zu folgen. Es ist ein kleiner Spaziergang. Für die Älteren stehen Transportfahrzeuge zur Verfügung. Danke!«
Das Gemurmel ging wieder los. Einige unserer Soldaten kesselten die Masse ein und drängten sie vorsichtig in die Richtung der Konverterhallen.
Bis jetzt schienen die dummen Kreaturen unsere Show zu schlucken. Es gab keine, die aus der Reihe tanzten. Keine, die irgendwelche Panik machten.
Sehr gut! Je glatter alles verlief, desto besser für mich. Jenmuhs würde Fehler nicht tolerieren. Alles musste einfach perfekt verlaufen. Ich gab Fitschka und Bulrich ein Zeichen. Wir gingen zu Jenmuhs herüber, der mit offensichtlichem Interesse den Abtransport der Häftlinge beobachtete.
»Soso. Der schönste Teil steht uns ja noch bevor …«
»Ja, mein Gos’Shekur«, sagte ich, wie aus dem Strahler geschossen.
»Dann wollen wir uns das Spektakel mal anschauen.«
Ich nickte und bat Jenmuhs, mir zu den Gleitern zu folgen. Da Reych, Katschmarek, Niesewitz, Bulrich und Fitschka folgten uns. Wir fuhren eine Abkürzung. Nun zeigte ich Jenmuhs den Stolz unseres Lagers – die Konverterhallen. Umringt von idyllischen Gärten mit saftig grünem Gras, thronten die einhundert mal einhundert Meter großen Hallen. Es waren insgesamt drei. Offiziell trugen sie den Titel »Dekontaminierungshallen«. Daneben waren die Waschräume. Ich erklärte Jenmuhs die Verwendung.
»Die Gärten sollen einen harmlosen Eindruck vermitteln. Die drei Konverterhallen fassen je fünftausend Häftlinge. Daneben stehen die sogenannten Waschräume. Es wird den Zayna, den Fremdrassigen und den minderwertigen Bras’cooi erklärt, dass Wäsche und Körper getrennt gereinigt werden müssen, wegen der Bakterien. Dies dient natürlich dem Zweck der Wiederverwertung von Sachen und Schmuck.«
»Aha«, machte Jenmuhs nur.
»Ich hatte die Idee dazu«, fügte Katschmarek hinzu. »Ideen von weisen Männern aus meiner Jugendzeit.«
»Verstehe.«
Ich verstand nicht, wieso sich Jenmuhs so wortkarg gab. Er galt als redseliger Genosse. Ich vermutete, dass er bei der Inspektion jedoch besonders streng wirken wollte. Weder ich noch meine Mannschaft sollten den Ernst der Lage verkennen.
»Wie erfolgt die Wiederverwertung der Sachen?«, erkundigte sich Stevan da Reych.
Seine kleinen feuerroten Knopfaugen funkelten bösartig. Ich konnte da Reych nicht leiden. Zweifelsfrei war er ein wahrer, ehrenhafter Arkonide durch und durch, jedoch unterschied er in seiner arroganten Art nicht zwischen Freund und Feind. Das gefiel mir nicht. Ich war keiner seiner Barbaren, sondern Lagerkommandant von Objursha und ein reinrassiger Arkonide wie er. Ich verdiente etwas mehr Respekt.
Trotzdem versuchte ich ihm mit der nötigen Höflichkeit zu antworten: »Häftlinge sortieren die Sachen. Wir haben einen Handelsvertrag mit dem Springerpatriarchen Klessvool. Er verkauft die Ware dann weiter. Klessvool ist verschwiegen.«
»Sollte er es nicht sein, würde er auch hier landen«, meinte da Reych nur, während er sich die Konverterhallen ansah.
Wir warteten nun auf die Häftlinge. Bei dem schönen Wetter war es ein Vergnügen. Die Hühner auf dem Hof gegenüber gackerten laut. Ein paar Blues machten Gartenarbeit. Alles sah hier richtig schön harmonisch aus. Wer würde schon auf den Gedanken kommen, dass man hier im Konverter verheizt wurde?
Es wurde unruhiger. Aus der Ferne hörten wir das Trampeln der ankommenden Masse. Einige Gleiter flogen vor. Soldaten stürmten heraus und bildeten einen Korridor. Jetzt wurde es ernst. Ich gab Fitschka ein Zeichen. Nun hatte er die Hoheit über die Operation. Er ging zu den Transportern und erteilte die Befehle.
Jetzt traten unsere speziellen Wachmannschaften in Erscheinung. Aus einem großen Gleiter stiegen zwei Dutzend Pariczaner. Sie stapften zum nächsten Gleiter und holten ihre Okrills heraus. Die Saurierwesen fletschten ihr riesiges Gebiss und brüllten. Die Pariczaner verstärkten den Korridor zu den Entkleidungsräumen.
»Jetzt geht der Spaß los«, flüsterte ich da Reych zu.
»Und was, wenn Panik ausbricht?«
»Wir haben ihnen von einer Bedrohung durch Terroristen erzählt, die sich unter ihnen befinden«, erklärte ich. »Das hält sie ruhig.«
Insgeheim brach mir der Schweiß aus. In der Regel glaubten die Häftlinge, dass es um Terroristen ging. Panik durfte nicht losbrechen. Die ersten Häftlinge liefen durch den Korridor, den unsere Soldaten gebildet hatten. Das Gemurmel wurde stärker, schneller, lauter – ebenso wie das Pochen meines Herzens. Meine Karriere stand auf dem Spiel.
Die ersten Breheb’cooi fingen an, sich fragend umzusehen. In ihren Augen stand die Angst geschrieben. Sie blieben stehen.
»Weiter!«, hörte ich einen Soldaten rufen. »Na los!«
Die achtbeinigen Okrills grunzten bedrohlich. Ihre Facettenaugen glitzerten. Sie flößten jedem Respekt ein. Eine Ophalerin mit ihrer Göre lief an den gewaltigen Tieren vorbei und blieb plötzlich stehen. Das Kind fing an zu schreien, die Mutter auch. Der Okrill fauchte und brüllte los. Mit aller Kraft versuchte der Pariczaner, das Tier an der Kette zu halten. Ich befürchtete, dass sich die Bestie in jeder Sekunde losreißen würde. Die anderen Häftlinge, aber auch die Soldaten wurden immer unruhiger.
»Weiter!«, brüllte ein Gefreiter.
Weder Mutter noch Kind rührten sich. Sie waren starr vor Angst, während der Okrill immer lauter schrie, aufsprang und nur knapp durch den Pariczaner gehalten wurde, der die ganze Muskelkraft seines quadratisch gebauten, an die doppelte Schwerkraft gewöhnten Körpers einsetzen musste. Das Tier geiferte, die Häftlinge schrien. Dies war die Eskalation, die ich befürchtet hatte. Jenmuhs warf mir einen finsteren Blick zu.
Da schob sich eine Frau dazwischen, nahm das Kind und drückte die Mutter sanft weiter. Diese Frau war eine Terranerin. Sie hatte schöne blaugrüne Augen und wirr gelockte, blonde Haare.
»Myrielle Gatto«, flüsterte da Reych. »Diese Mutantin. Ich hoffe, Ihre Parafelder funktionieren?«
»Sonst wäre sie ja schon weg«, antwortete Bulrich, in meinen Augen eine Spur zu selbstsicher.
Wenn ich so etwas sagen würde, kein Problem. Bulrich jedoch war nichts weiter als ein einfacher Agent. Dazu war er noch Terraner. Er musste da Reych den nötigen Respekt erweisen. Es erstaunte mich, dass da Reych nicht weiter darauf einging.
Myrielle Gatto ging zu einem Ferah-Strauch und zupfte eine Blume heraus. Sie gab sie dem weinenden Mädchen. Die Blüte verfehlte die Wirkung nicht, das Kind wurde ruhig. Gatto legte das Mädchen wieder in die Arme der Mutter und ging mit ihnen zusammen in unsere Richtung.
Ich blickte über den Korridor hinweg. Eine schier endlose Reihe hatte sich gebildet. Fitschka informierte mich, dass insgesamt siebzehntausend Häftlinge an Bord waren. Zweitausend mehr als beabsichtigt, aber die würden wir auch noch unterkriegen. Mussten die Breheb’cooi halt etwas zusammenrücken.
Um Myrielle Gatto tat es mir etwas leid. Sie war schön, hatte Ausstrahlung. Ich freute mich drauf, wenn sie nackt zur Konverterhalle laufen würde. Das waren immer die Höhepunkte bei der Entsorgung. Viel zu selten gab es hierbei menschliche Frauen. Und wenn, dann war es garantiert völlig unattraktive, primitive Weiber. Meist dick und fett mit schwabbeligen Hüften, hängenden Brüsten und behaarter Vagina. Eklig, einfach nur eklig.
Ganz selten war es mal, dass eine richtige, vollbusige Schönheit zur Entsorgung gebracht wurde. Anscheinend hatten attraktive Frauen mehr Überlebenschancen. Und in dieser Situation bedauerte ich es zum ersten Mal an diesem Tag, dass dem erhabenen Gos’Shekur ausgerechnet dieser Transport vorgeführt werden musste. Meine Phantasie schlug Purzelbäume. Warum konnte ich diese Gatto nicht einfach in die abgelegene Baracke schaffen lassen, Parafallen könnten wir auch dort einrichten und dann, ich durfte gar nicht daran denken, was mir entging …
Mit aller Willenskraft drängte ich meine Phantasien in den Hintergrund. Hoffentlich hatte der Gos’Shekur nichts davon bemerkt, ich musste das beenden, sofort! Der Erhabene würde für solche Bedürfnisse wohl kaum Verständnis haben.
Das kleine ophalische Kind wimmerte leise. Diese Myrielle Gatto streichelte es, die Mutter sprach dem Kind gut zu und versuchte die Aufmerksamkeit auf die Ferah-Blume zu lenken. Ob sie wussten, was vor sich ging? Langsam erhöhte sich das Tempo, in denen die Häftlinge in die Umkleidequartiere gebracht wurden. Fitschka ahnte wohl auch, dass eine Eskalation kurz bevorstand, wenn das so weiterging.
Endlich waren sie alle in den Hallen untergebracht. Eine gespenstische Stille trat ein. Ich wandte mich Jenmuhs zu.
»Wenn Sie mir bitten folgen würden, Gos’Shekur.«
Wortlos ging er mit mir, gefolgt von der kleinen, elitären Gruppe der Beobachter.
»Von hier aus haben wir eine gute Sicht.«
»Soso …«
Was ging in Jenmuhs vor? Seine prüfenden Augen ruhten auf mir. Es schien mir, als würde er jeden meiner Schritte, jede Handlung genau beobachten.
Plötzlich sprangen die Tore auf und die ersten Häftlinge traten wieder heraus. Ohne Kleidung, ohne Wertsachen, die es zu bewahren galt. Nun erreichte die Show ihren Höhepunkt. Fitschka gab ein Zeichen. Jetzt traten die Dscherro in Erscheinung. Ich persönlich hatte diese gehörnten Bestien für den letzten Weg der Häftlinge ausgewählt. Sie kannten kein Erbarmen, hatten keine Gewissensbisse.
»Weiter. Raus aus den Räumen«, brüllte der Kommandant der Dscherro-Einheit.
Diese Kreaturen waren widerlich, aber nützlich für die Entsorgung. Wenn wir einmal mit den anderen fertig waren, würden sie irgendwann selbst dran kommen.
Ich bemerkte eine aufkeimende Panik unter den Todgeweihten. Sie fingen an zu schreien, einige versuchten aus der Schlange auszubrechen. Ein echsenartiger Pterus schob sich seitlich aus der Reihe und schlug auf einen Dscherro ein. Das Reptil versetzte dem grünhäutigen Wärter mit seiner Pranke eine klaffende Wunde am Schädel, dicht an seinem gewunden Horn. Blut schoss aus seiner Rüsselnase. Sofort eilten andere Dscherros herbei und prügelten auf den Pterus ein.
Fitschka rief die Pariczaner mit ihren Okrills herbei. Die geifernden Tiere scheuchten die Häftlinge in die Konverterhallen. Na endlich – Parang waren sie, stumpfsinnige Herdentiere. Und als Herde setzten sie sich in Bewegung. Im Laufschritt spurteten die erbärmlichen Kreaturen in die richtige Richtung. Etwas Sport tat ihnen vor ihrem Ende sicher gut.
Fast witzig hätten diese nackten Wesen auf mich gewirkt, wären sie nicht so hässlich. Ihre Arroganz war verflogen, sie rannten, wie sie erschaffen worden waren. Einige, insbesondere die Menschen, schämten sich, bedeckten den Intimbereich.
Die Willis der Männer interessierten mich herzlich wenig. Manchmal erhaschte man leider einen Blick drauf. Die meisten Menschen hatten kurze, faltige Stummel. Ob das wohl an der Angst lag oder waren sie grundsätzlich nicht so potent wie wir? Ich strebte Untersuchungen darüber an, musste nur noch Paxus davon überzeugen, dass wir vor der Entsorgung mal ein paar wissenschaftliche Untersuchungen und Tests durchführen durften. Wann ergab sich schon die Chance, beim Untersuchen nicht auf die Gesundheit der Objekte achten zu müssen? Das war eine Chance für die menschliche Medizin, die man nicht einfach so ignorieren konnte.
Wo die Breheb’cooi ihre Genitalien hatten, wollte ich persönlich gar nicht wissen. Das würde mir den Reiz bei der Beobachtung nehmen, denn so hatten wir immer ein kleines Ratespiel, wo denn beim Blue oder bei einem Somer der Schwanz baumelte.
Ah, da kam auch die Ophalerin mit ihrem Balg. Es hielt immer noch die Blume in der Hand. Das sah niedlich aus. Nun fing es an zu schreien. Es war ein lautes, durchdringendes Heulen. Mir wurde plötzlich ganz anders bei dem Gedanken, dass dieses wehrlose Kindchen bald tot sein würde. Ich bekam auf einmal keine Luft mehr, zupfte an meinem Kragen, der sich wie eine Schlinge um meinen Hals legte. Ich stoppte sofort, denn ich bemerkte Jenmuhs kalten, tödlichen Blick. Jetzt war der Moment der Entscheidung. Ich durfte keine Schwäche vor ihm zeigen. Ich nahm sofort wieder Haltung an, erwiderte mit allem Mut seinen Blick und hielt ihm stand.
Dann konzentrierte ich mich wieder auf die Häftlinge. Myrielle Gatto ging hinter der Ophalerin. Was für eine Frau. Der Anblick lohnte sich. Ihre Brüste waren zwar nach meinem Geschmack etwas zu mickrig, aber ihr Körper war für eine Terranerin grandios. Schlank, durchtrainiert, einfach nur atemberaubend. Zu schade, dass sie gleich tot war. Wirklich jammerschade!
»Manchmal gibt es hier auch was Hübsches zu sehen, Gos’Shekur«, sagte ich lachend.
Im nächsten Moment verfluchte ich mich für diese dreiste Bemerkung, doch zu meiner Verwunderung stimmte Jenmuhs mit seiner schrillen Stimme in das Gelächter ein. Mir war eine Entspannung der Situation gelungen. Ich war richtig stolz auf mich. Die Dscherro legten einen Zahn zu und prügelten die Masse in die drei Hallen. Immer mehr fingen an, sich zu wehren. Sie schrien und brachen aus der Schlange aus. Verdammt! Die Sache eskalierte. Ohne zu zögern lief ich zu Fitschka.
»Die Entertainer. Na los!«
Ich schnappte mir die Waffe eines Soldaten und feuerte dreimal in die Luft. Ruhe kehrte ein. Bulrich gab mir ein Mikrophon.
»Verehrte Gäste Objurshas. Ich bitte, das raue Verhalten der Dscherro zu entschuldigen. Denken Sie an die drohende Gefahr durch Terroristen! Zu Ihrem eigenen Schutz bitte ich Sie, zivilisiert und friedlich in die Reinigungshallen zu gehen. Nach einer angenehmen Säuberung werden wir alle viel entspannter sein.«
Einige Offiziere gaben den Dscherro neue Befehle. Fitschka kam mit einer kleinen Kapelle zurück.
»Spielt den Petersburger …«
Die Kapelle begann den Marsch zu spielen. Mit etwas Musik ging alles viel leichter. Die Parang hatten sich wieder beruhigt und wanderten friedlich in die Hallen.
Jenmuhs sah mich neugierig an.
»Natürlich haben wir Vorkehrungen für solche Situationen getroffen. In den Transportern hat nicht nur die Kapelle gewartet. Für den Fall einer Eskalation haben wir auch noch eine Abteilung Pelewon bereitgestellt. Verständlich, dass wir die zurückhalten.«
»Sehr gut«, sagte Jenmuhs.
Das erfüllte mich mit Stolz. Nun endlich waren die letzten Häftlinge in den Hallen. Die Dscherro schlugen die Türen zu.
»Konverter aktivieren«, befahl ich.
Umgehend wurde mein Befehl ausgeführt. Wir hörten ein Gemurmel aus den Hallen, dann Stöhnen, Schreie, wildes Klopfen und Rufe. Dann war es auch schon vorbei. Alle siebzehntausend Lebewesen hatten aufgehört zu existieren.
Eine gespenstische Stille kehrte ein. Sie wurde durch das Klatschen eines Einzelnen unterbrochen. Uwahn Jenmuhs!
»Brillant! Sauber und reibungslos. Hervorragend, da Gohd.«
»Danke!«
Ich versuchte die Haltung zu wahren. Am liebsten hätte ich den Erhabenen Jenmuhs umarmt und geküsst.
»Dennoch sind mir fünfzehntausend zu wenig«, meinte Jenmuhs. »Wie lange dauern die Prozeduren gewöhnlich? So wie heute?«
»Es kommen noch die Aufräumarbeiten mit den Kleidern hinzu, die etwa eine Stunde dauern«, erklärte Krizan Bulrich. »Wir benötigen pro Entsorgungseinheit also etwa zwei Stunden.«
»Wir arbeiten rund um die Uhr«, ergänzte ich. »Das bedeutet im Schnitt zehn Entsorgungen pro Tag, also hundertfünfzigtausend Häftlinge.«
»Zu wenig.«
»Meine Worte, Gos’Shekur. Nur hat man in Paxus dafür kein Verständnis. Ich würde gerne mehr Konverterhallen bauen. Ich strebe eine Leistung von einer Million pro Tag an.«
Jenmuhs wanderte in Richtung seines Gleiters und schien sich meine Worte durch den Kopf gehen zu lassen.
»Akzeptiert. Wir stellen Ihnen die nötigen Ressourcen zur Verfügung. Ist der Wiederverkauf der Sachen lukrativ?«
Jenmuhs wollte es genau wissen. Seine Genialität spiegelte sich in diesen Worten wieder. Fast schon nebensächlich versprach er mir die Versiebenfachung unserer Anlagen und erkundigte sich bereits im nächsten Satz nach dem ökonomischen Aspekt unserer Entsorgungen. Ich hatte den größten Respekt vor diesem Mann. Nicht Bostich war der größte Arkonide. Jenmuhs war es!
»Der Springer besitzt eine Modekette in Cartwheel und der Milchstraße. Durch die Kleidung der hier entsorgten Aliens kann er, besonders in der Milchstraße, gute Absätze machen. Auch Shorne Industries ist ein Handelspartner von uns«, berichtete ich.
»Nur die Klamotten der estartischen Wesen gehen schleppend«, fügte Bulrich hinzu. »Wer will schon Socken von einem Ophaler?«
Bulrich fing an zu lachen. Wir stimmten ein. Selbst Jenmuhs wirkte nun viel gelöster.
»Schicken Sie die Klamotten wieder nach Siom Som zurück und geben Sie sie den einheimischen Kriegsopfern. Dann sieht es so aus, als würde das Quarterium sogar Gutes für die Viecher tun«, meinte Jenmuhs. »Und die Sachen kommen ja sowieso wieder zu uns zurück …«
Nun lachte auch er herzlich. Ich stimmte ein. Was für ein perfekter Tag, der beste in meinem Leben. Alles war so gelaufen, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte.
»Darf ich Sie noch zu einem Kaffee bei mir zu Hause einladen?«, fragte ich ihn.
»Wenn es Kuchen dazu gibt, gerne.«
»Selbstverständlich.«
»Sehr schön, Herr Bezirkskommandeur.«
Hörte ich richtig? Ich wurde befördert? Jenmuhs ergriff meine Hand und schüttelte sie.
»Sie haben gute Arbeit geleistet, da Gohd. Weiter so. Sie sind ein Vorbild für die Menschen des Quarteriums!«
Ich stand stramm.
»Danke, erhabener Gos’Shekur. Meine Pflicht ist meine Ehre!«
Jenmuhs nickte mir zu und machte sich auf dem Weg zum Gleiter. Da Reych und die Anderen folgten ihm. Auch Niesewitz beglückwünschte mich und meinte, dass mein Bekenntnis zum neuen Eid der CIP werden würde, während Katschmarek mir freundschaftlich auf die Schulter schlug.
»Gratulation!«
Nur Trybwater, dieser überhebliche Essoya, warf mir einen herablassenden Blick zu, während sich seine Mundwinkel zu einem zynischen Grinsen verzogen. Ich bedankte mich nochmals, warf Bulrich, Fitschka und Disser noch ein Lächeln zu und ging zu meinem Gleiter. Heute war der schönste Tag in meinem Leben.
9. Inmitten der Hölle
»Wo ist Mama?«
Was sollte ich ihr sagen? Verdammt, was nur? Wie brachte man einem kleinen, völlig verstörten Mädchen bei, dass Mama tot war? Ich brachte es nicht übers Herz, ihr die Nachricht zu überbringen. Es kam nicht über meine Lippen. Zuviel hatte dieses zarte Geschöpf heute erlebt. Mehr als ein Kinderherz ertragen konnte.
Ich nahm sie stattdessen einfach in den Arm und drückte sie an mich. Sie zitterte am ganzen Leibe, weinte leise. Ich ließ sie kurz los, um mich gegen die Wand zu lehnen. Dann nahm ich sie wieder in die Arme und starrte ins dunkle Nichts.
Die Finsternis spiegelte unsere Situation wieder. Zwar lebten wir noch, doch wie lange? Hier saßen wir in einem kalten, feuchten Keller. Halb nackt, nur bekleidet mit Lumpen, die ich nach der Flucht gefunden hatte. Ich wusste nicht viel über den Metabolismus von Ophalern, doch ich war mir sicher, dass diesem Kind kalt war.
Wir konnten hier nicht bleiben, obwohl der Keller erst mal sicher schien. Aber wohin konnten wir gehen? Auf dem ganzen Planeten gab es nur eine Stadt – Objursha! Nur das Lager und drumherum ein Dorf für die Aufseher und Soldaten. Der Rest der Welt bestand aus kalter, wilder Natur. Eine Flucht von diesem Planeten war schier unmöglich, es sei denn, wir schafften es, auf ein Raumschiff des Quarteriums zu gelangen.
Ich schloss die Augen, wollte eine Weile Ruhe in mich einkehren lassen, doch die schrecklichen Bilder schossen immer wieder in meinen Kopf. Tausende Lebewesen liefen nackt zur Konverterhalle, wurden getrieben von den Schlächtern. Ich würde niemals die glotzenden Augen dieses Lagerkommandanten vergessen. Wie er mich anstarrte, sich an meinem nackten Körper aufgeilte. Doch noch mehr Abscheu hatte ich für die Person empfunden, die neben ihm stand: Jenmuhs! Dieses fette Schwein war hier!
Mein Hass gegen Jenmuhs brachte mich jedoch nicht weiter. Ich verstand immer noch nicht, wie uns die Flucht gelungen war. Es war mehr ein Instinkt gewesen als eine geplante Rettung. Das weinende Kind rannte plötzlich in meine Arme, als es seine Mama suchte. Dann wünschte ich mir fest, woanders zu sein und es geschah. Ich war mit dem Kind teleportiert. Den Versuch zur Teleportation hatte ich nicht bewusst unternommen, denn ich war auf dem Transporter darüber informiert worden, dass Parafallen aktiviert waren. Offensichtlich funktionierten sie nicht richtig, sonst wäre ich nicht mehr am Leben.
Und dieses kleine Mädchen auch nicht mehr.
»Wie heißt du eigentlich, Kleines?«
»Sillaa, und du, Tante?«
»Myrielle …«
10. Zum Wohle des Quarteriums
»Prost!«
Wir stießen an, sangen und tanzten zu lauter Musik. Vorbei war die Anspannung. Jetzt wurde gefeiert. Aber ordentlich, wie es sich für Lemurer gehörte.
»Spielt Musik!«, rief Bulrich laut.
Ein Krächzen drang aus Katschmareks Stimme. Er hustete, prustete und nahm ein Schluck Bier. Dann stimmte er ein Lied an. »Ja, lebt denn der alte Holzmichel noch …?«
Wir sangen dieses sinnlose Lied mit, und es machte Spaß. Bier und Vurguzz flossen in Strömen. Mann, hatte ich einen Durst. Nun war ich Bezirkskommandeur und das mussten wir gebührend feiern. Das Leben war schön. Ja, wirklich, heute war einer der schönsten Tage meines Lebens gewesen. Alles war reibungslos verlaufen. Die Besichtigung, die Entsorgung, die Beförderung. Einfach toll!
Ich saß in trauter Runde mit Bulrich, Katschmarek, Disser, Fitschka und Niesewitz am Tisch. Nur Trybwater fehlte, den She’Huhan sei Dank.
»Noch ein Bommelchen!«, rief Katschmarek der Bedienung, einer Kartanin, zu. Ich fragte mich, wie die wohl im Bett waren? Solche Wildkatzen waren bestimmt heiß. Obwohl mich diese Behaarung abschreckte. Und außerdem waren da noch die Krallen, die musste man natürlich vorher rausreißen. Aber es gab Menschen, die es mit den Katzen trieben, wie dieser Tekener zum Beispiel. Der sollte sogar mit einer zusammenleben, sie als gleichberechtigt ansehen. Abartig, nur abartig! Wie der bei der Einstellung einen Zellaktivator erhalten hatte? Nein, da blieb ich lieber bei einer rassigen, normalen Menschenfrau.
Die Kartanin brachte uns ein Tablett vollgefüllter Schnapsgläser. Katschmarek griff als Erster danach, reckte das Glas in die Höhe und rief: »Für Volk und Vaterland. Von der Mitte zur Titte, zum Sack – Zackzack!« Wir grölten nach und runter mit dem Zeug. Das schmeckte scheußlich, aber auch irgendwie nach mehr.
»Noch ’ne Runde«, rief ich der Katzenschlampe zu.
Die brachte uns das Zeug literweise. Immer hinein in die gute Kehle. Heute war mir alles egal. Saufen bis zum Abwinken, obwohl das eigentlich der gepflegten arkonidischen Etikette widersprach.
Katschmarek stieß mit mir an.
»Ich hatte nie an Ihnen gezweifelt, da Gohd. Prima Job. Sie sind ein Soldat, wie ihn das Quarterium braucht. Ein Vorbild. Ein Idol für die Jugend!«
Diese Worte taten mir genauso gut, wie der Schnaps. Katschmarek fing an zu schunkeln.
Wir sangen mit. Heute war das Leben wirklich schön. Ein toller Tag. Alles hatte perfekt geklappt. Einfach alles. Ich war ein Genie. Das nannte ich arkonidische Zuverlässigkeit.
»Prost, Kameraden. Auf das Quarterium!«
Katschmarek stand auf und befahl, ein neues Lied zu spielen. Dann kletterte er auf den Tisch und hob seinen Bierkrug in die Höhe. Die anderen machten es nach, sprangen zuerst auf die Stühle, dann auf die Tische. Ich machte mit. Das war doch spaßig, mit den Kameraden zu singen.
»Trulalala«, grölte Katschmarek.
Dann ging es auch schon los.
»Sauf aus das Ding da, Ding da. Zum Wohle trulala. Sauf aus das Dinga da, Ding da, zum Wohle lalala …«
Wir marschierten im Takt auf den Tischen, öffneten die Hosen und streiften sie herab. Da standen wir in unserer Männlichkeit und hoben die Krüge hoch.
»Sauf aus das Ding da, Ding da. Zum Wohle trulala. Sauf aus das Ding da, Ding da, zum Wohle lalala …«
Fitschka fiel total besoffen vom Tisch und platschte auf den Boden. Wir grölten vor Lachen. Das war herrlich. Da lag er und lallte irgendwas vor sich hin.
»Mensch, Fitschka. Was denn los?«, rief ich hinunter. »Wohl besoffen, wie?«
Das Bier schmeckte schal. Was für ein Gesöff. Da lief die Katzenschlampe herum. Ich schüttete ihr das Bier ins Gesicht.
»Was ist das denn für eine Plörre? Bring ein Neues, du Hure!«
Sie fauchte und warf das Tablett zu Boden. Was sollte das denn? Ich stieg hinunter, packte sie und schlug ihr in die Fresse. Und noch mal und noch mal. So was machte sie nicht mit mir!
»Du blöde Katzenhure. Das machst du nicht noch einmal, verstanden?«
Niesewitz drückte mich zur Seite. Zwei Soldaten schleppten die blutende Kartanin weg.
»Nun ganz ruhig, Bezirkskommandeur! So kriegen wir nie unser Bier.«
Irgendwie hatte er recht. Ach, was soll’s, der Tag war so schön, da musste ich mich nicht über die Zayna-Hure ärgern.
»Falleri, Fallara, Rosemarie«, sang Katschmarek im Hintergrund. Ich nahm eine halbleere Flasche Vurguzz und stieß an. Auf den großen Tag!
Katschmarek stimmte zu einem neuen Lied an:
»Jetzt kann i nimmer singe, mei Hals tut mir weh und i werd emal trinke ’s wird glei besser geh …«
11. Der Totenschädel und die Drachen
Endlich hatte es aufgehört zu regnen. Kaum war Jenmuhs verschwunden, plätscherte es wie aus Eimern. Stundenlang, während wir schuften mussten. Jetzt hatten wir eine kleine Pause – und just fing es wieder an zu regnen. Ein tristes Wetter. Die Kontrollstationen, sofern es solche hier gab, wurden wahrscheinlich nach Jenmuhs Besuch deaktiviert. Die Häftlinge benötigten kein gutes Wetter.
Leider hatte ich nichts von Jenmuhs Besuch mitbekommen. Wie gerne hätte ich dieses fette Schwein mit meinen eigenen Händen erwürgt. Aber irgendwann würde meine Rache kommen, so wahr ich Manuel Joaquin Cascal hieß!
Wie viele Wesen waren heute wieder gestorben? Ich wusste es nicht, doch es mussten viele gewesen sein. Die Arbeiter an den Konverterstationen kamen mit traurigen Gesichtern in ihre Baracken zurück. Sie mussten die Wertsachen und Kleidungsstücke der Entsorgten sortieren und an die Händler weitergeben. Eine Arbeit, die jeden sehr schnell fertigmachte. Meistens wurden diese Häftlinge auch bald entsorgt. Ich fragte mich immer wieder, wann ich an der Reihe sein würde. Warum war ich nicht schon längst dran gewesen? Anscheinend wollte da Gohd mich quälen und extra lange leiden lassen.
Plötzlich ging der Alarm los. Niemand schien zu wissen, was los war. Ich rannte zu Rütülly und Jo’Rhy’Dav.
»Die USO befreit uns!«, jubelten einige.
Ich glaubte nicht daran. Aber welche Alternative gab es? Ein stechender Schmerz hämmerte sich in meinen Kopf. Ich fiel zu Boden. Die anderen auch, sie hielten ihre Köpfe und schrien. Mit letzter Kraft stand ich auf. Auch die Wachen waren wie paralysiert. Das war meine Chance, wenn ich die Schmerzen ertrug.
Joak Cascal …
Eine Stimme sprach zu mir? Woher kam sie? Es war eine mentale Stimme.
Ich biss die Zähne zusammen und ging ein paar Schritte. Auf einmal wurde es kalt, dunkel – tödlich.
Ich bin zurückgekehrt. Meine Zeit ist angebrochen. Auch deine Zeit wird kommen, die deines Untergangs. Du wirst es nicht verhindern können, elender Terraner. Ihr alle werdet sterben!
Der Schmerz wurde größer. Wie gellende Blitze kreischten tausende verschiedene Stimmen in meinem Kopf. Sie klagten über ihren Tod, hatten Angst. Meine Kräfte verließen mich. Das Letzte, was ich sah, war ein gewaltiger Drache über dem Lager.
12. Da Gohd zur selben Zeit
Ich drang tief in sie ein. Sie stöhnte leidenschaftlich, ich spreizte ihr die Schenkel weit auseinander und hob ihr Becken an. Ich stieß zu, fest und schnell. Auf ihren Brüsten bildeten sich Schweißperlen. Ihre Warzen waren steif und hart. Ich leckte an ihnen. Ihre Hände klammerten sich um meine Schultern und drückten fest zu. Myrielles Kopf schnellte hoch und sie drückte mir ihre Zunge in den Hals.
Ich hämmerte in sie hinein, bis sie schrie. Dann kam ich. Was für ein Sex. Doch als ich meine Augen öffnete, verschwand Myrielles zartes Gesicht. Stattdessen erblickte ich meine Frau. Ich starrte in ihre hässliche Fratze. Anstelle eines harten, durchtrainierten Körpers spürte ich ihren schwabbeligen Bauch. In mir stieg eine Wut hoch, die ich nicht kannte. Ich verabscheute sie! Ekel schüttelte mich.
Töte sie. Schlitz ihren fetten Wanst auf.
Wer sagte das? Eine fremde Stimme in meinem Kopf? War es der Stress um die Inspektion, der mir solche seltsamen Streiche spielte? Ich wandte mich von ihr ab und rannte in die Toilette. Erst einmal eine Erfrischung. Da summte auch schon mein Interkom auf. Wütend stapfte ich zur Anlage und aktivierte es. Bulrich war dran.
»Bezirkskommandeur, das müssen Sie sich sofort ansehen.«
Bulrich klang ernsthaft besorgt. Ich zog mir etwas über und eilte in die Kommandozentrale. Bulrich, Disser und Fitschka erwarteten mich.
»Was ist denn los?«
»Die Ortung zeigt fremde Objekte im System an.«
Ich warf einen Blick auf das Hologramm. Was sich mir dort zeigte, entzog sich jeder Logik. Ein Dutzend Drachen flogen auf Objursha zu. Sie hatten eine Spannweite von mehr als einhundert Metern. In der Mitte des Schwarms schob sich ein gewaltiger Totenschädel in Richtung auf unsere Welt.
»Sofort Alarm geben!«
Was zum Teufel war das?
Habe keine Furcht, treuer Diener. Lasse es geschehen. Von nun an wird es immer wieder geschehen.
Wieder diese Stimme. Was geschah hier?
»Greift sie an. Vernichtet sie«, schrie ich laut. Ich bekam es mit der Angst zu tun.
Sofort wurde mein Befehl ausgeführt. Die Wachflotte kreiste die Drachen und den fliegenden Totenschädel ein.
»Feuer eröffnen.«
Angespannt beobachtete ich das Spektakel. Unsere Schiffe hüllten die fremden Angreifer in tausende Supernovae ein. Niemand überlebte so eine Hölle.
Doch die Drachen bahnten sich unbeirrt ihren Weg. Der Totenschädel hatte sie in ein rotes Leuchten eingehüllt. Anscheinend eine Art Schutzschirm.
»Sendet einen Hilferuf an Paxus. Nein, stellt eine Verbindung mit Despair her. Er muss uns helfen.«
»Die Kommunikation wird blockiert«, erklärte Disser. Dann schrie er auf und fasste sich an den Kopf. Ich spürte den stechenden Schmerz ebenfalls. Ein schriller Schrei zog sich durch meinen Kopf. Meine Knie wurden weich, ich fiel zu Boden. Dieser Schmerz! Er bohrte sich in meinen Kopf.
Dann wurde es kalt. Ich fröstelte. Tausende Stimmen brüllten in meinem Kopf. Es waren Todesschreie. Sie wimmerten, riefen um Hilfe. Der Schmerz ließ nach oder ich gewöhnte mich daran. Langsam raffte ich mich auf und beobachtete die Ortung. Die Drachen kreisten über Objursha. Sie flogen zu den Entsorgungshallen. Ich verstand nicht, was dort vorging. Blaue Gestalten zischten überall herum. Sie sahen aus wie Geister. Die Drachen sogen sie auf.
Als der letzte blaue Schemen verschwunden war, kehrten die Drachen in den Weltraum zurück und verließen, den fliegenden Totenkopf umkreisend, unser System.
Der Schmerz hatte aufgehört. Bulrich, Fitschka und Disser rappelten sich langsam auf.
Fitschka funkte sofort Paxus an. Die Kommunikationskanäle funktionierten wieder. Cauthon Despairs lebensgroßes Hologramm erschien vor mir. Ich schilderte ihm die Ereignisse. Er wirkte gar nicht überrascht, zumindest kam es mir so vor. Es war sowieso schwer, seine Körpersprache zu lesen.
»Die Ereignisse von eben übersteigen Ihren Horizont, da Gohd! Niemand darf von dieser Erscheinung wissen. Die Besatzungen von Objursha werden sich an die Drachen gewöhnen.«
»Aber … aber …«
»Kein aber, Soldat! Das ist ein Befehl. Führen Sie ihn für das Quarterium aus. Es soll nicht zu Ihrem Nachteil sein.«
»Jawohl, Herr Quarteriumsmarschall!«
Despair beendete die Verbindung.
Ich starrte noch eine Weile auf die leere Stelle, dachte darüber nach. Ich verstand es nicht, hatte jedoch meine Befehle. Ich war ein guter Soldat und ein guter Soldat befolgte die Befehle, ohne sie in Frage zu stellen.
13. Die einsame Mutantin
Ich öffnete die Augen. Mein Schädel brummte. Was war geschehen? Plötzlich hatte ich diese Horrorvisionen gehabt. Stimmen hatten zu mir gesprochen, Geister waren erschienen.
Sie hatten über ihr Schicksal geklagt und ich hatte ihren Tod mit ihnen durchlebt. Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken. Es ist schwer, diese Horrorszenarien zu verarbeiten. Wie ging es erst …
Sillaa?
Wo war sie? Ich suchte den ganzen Raum nach ihr ab, rief ihren Namen, doch sie blieb verschwunden. Dann stolperte ich in der Dunkelheit. Nur knapp hielt ich die Balance. Erst jetzt realisierte ich, worüber ich gestolpert war. Zuerst wollte ich mir die Wahrheit nicht eingestehen. Zögerlich, als hätte ich damit das Unvermeidbare noch hinausschieben können, beugte ich mich herab und berührte den toten Körper der kleinen Ophalerin.
Ich fing an zu weinen. Warum war sie tot? Hatte sie auch diese Szenarien erlebt? War es zu viel für sie gewesen? Welche Bestie war dafür verantwortlich? Ich stieß einen lauten Schrei aus und fing an zu weinen. Ich drückte das kleine Mädchen an mich und weinte über ihren Tod. Wieso musste dieses unschuldige Kind nun doch sterben?
Sie musste begraben werden. Zumindest einen letzten Respekt sollte ich ihr erweisen. Ich hob den Leichnam auf und teleportierte an die Oberfläche. Es war bitter kalt hier. Meine leichte Bekleidung, die paar stinkenden Lumpen, machten es nicht besser. Hier würde ich keine zehn Minuten überleben.
Ich legte das Mädchen in ein Loch. Bevor ich sie bestattete, musste ich mir erst einmal etwas zum Anziehen suchen.
14. Das wahre Gesicht
»Es ist alles wieder gut. Die bösen Geister sind fort.«
Anya blickte ängstlich zu Maryy hinauf. Wo war sie? Erst jetzt begriff sie, dass sie auf dem Boden lag.
»Was ist passiert?«
»Finstere Kreaturen waren hier. Ich glaube, sie haben die Seelen der Toten geholt.«
Anya verstand nicht, was Maryy meinte. Welche Toten? Was für eine finstere Kreatur. Jetzt fiel ihr wieder dieser Traum ein. Grauenvolle Schmerzen, Stimmen von leidenden Wesen und diese Drachen. Sie begriff, dass es kein Traum war.
Aber woher kamen so viele Tote? Objursha war doch eine Besserungsanstalt. War es doch, oder?
»Maryy, was weißt du über das Lager?«
Die Blue fing an zu weinen. Sie half Anya hoch. Immer noch ganz benommen, setzte sich Anya auf einen Stuhl.
»Bitte erzähle mir die Wahrheit. Irgendetwas stimmt hier nicht. Krizan benimmt sich so seltsam. Und jetzt diese Drachen. Was passiert hier?«
»Es geschehen schreckliche Dinge im Lager. Die Wesen werden nicht gebessert. Sie werden ermordet.«
»Halt die Schnauze, du Mistvieh!«
Krizan! Wo kam er denn plötzlich her? Sein Kopf war rot angelaufen vor Wut. Hoffentlich tat er Maryy jetzt nichts, wünschte sich Anya. Sie rannte zu ihrem Ehemann und umarmte ihn.
»Schatz, beruhige dich. Maryy lügt bestimmt nicht. Hör dir doch an, was sie zu sagen hat. Vielleicht …«
Sie stockte kurz. Bis jetzt ging sie davon aus, dass ihr Mann ehrlich und aufrichtig war. Zumindest während der meisten Zeit ihrer Ehe. Dass er mehr wusste als sie, was wirklich im Lager vorging, war ihr auch klar. Doch jetzt kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass er es billigte. Beteiligte er sich sogar an den ominösen Morden?
Krizan stieß sie beiseite und rannte wie ein Berserker auf Maryy zu. Er holte aus und schlug sie mitten ins Gesicht. Maryy fiel schreiend zu Boden. Er trat mehrmals auf sie ein.
»Hör auf!«, schrie Anya.
»Halt deine blöde Schnauze«, brüllte Krizan zurück.
Anya erschrak. So hatte er noch nie mit ihr geredet. Was war nur los mit ihm? Irgendetwas musste ihn doch quälen.
»Schatz, was hast du? Ist es wegen des Lagers. Du kannst es mir erzählen.«
Krizan starrte seine Frau seltsam an. Dann öffnete er das Halfter und zog seinen Strahler. Er richtete die Waffe auf seine Frau. Anya schrie vor Angst und hob die Hände. Sie hatte schreckliche Angst um ihr Leben und begriff ihren Ehemann überhaupt nicht mehr.
»Das geht dich nichts an. Sei eine gute brave Ehefrau und steck deine Schnauze nicht in Dinge, die dich nichts angehen.«
Maryy rappelte sich wieder auf. Sie blutete und röchelte. Anya überwand ihre Furcht und ging zu ihr. Auch Maryy überwand ihre Furcht:
»Sagen Sie doch Ihrer Frau, was in Objursha passiert. Dass Millionen ermordet werden. Das ist doch Ihre Entsorgung. Und Sie stecken mit drin.«
Sie weinte. Anya nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Nicht nur, um ihr Trost zu spenden, sondern auch, um sich selbst etwas Angst zu nehmen.
»Halt endlich deine Fresse, sonst knalle ich dich über den Haufen!«
Krizan zielte mit der Waffe auf Maryy und drückte ab. Doch nur ein »Klack« kam aus der todbringenden Waffe. Er hatte vergessen, den Strahler zu entsichern. Anya nahm allen Mut zusammen und stürmte auf ihren Mann los. Sie griff die Waffe. Er war so überrascht, dass sie den Strahler nehmen und aus dem Fenster werfen konnte. Danach schlug Krizan Anya einfach nieder.
Dann packte er Maryy und drosch auf sie ein. Immer wieder und wieder. Die Blue schrie grauenvoll, Anya winselte um Gnade, aber Krizan schien es nicht zu interessieren.
Schließlich blieb Maryy bewegungslos am Boden liegen. Nun endlich beruhigte sich Krizan. Wortlos ging er aus dem Zimmer. Anya glaubte, sie sei in einem fürchterlichen Alptraum, aber anscheinend gab es kein Erwachen. Hatte sie sich so sehr in Krizan geirrt? Oder gar im Quarterium?
Sie kroch zu Maryy und fühlte den Puls der Blue. Gott sei Dank war sie noch am Leben.
Krizan kam nach ein paar Minuten wieder zurück. In der rechten hielt er einen Knüppel, in der linken Hand eine geöffnete Flasche Wein.
»Die hier hab ich von da Gohd bekommen«, sagte er und hob die Flasche scheinbar mit Stolz hoch. »Wegen meiner ausgezeichneten Verdienste auf Objursha. Ich bin ein Imperiums-Held.«
Anya wusste nicht, was sie sagen sollte. War er jetzt total durchgedreht?
»Aber du machst mir Vorwürfe und hörst auf dieses Blueschwein. Du hast doch keine Ahnung, was wir hier machen. Wir formen eine neue, universelle Generation. Noch in tausenden von Jahren wird man mit Ehrfurcht von da Gohd und Bulrich sprechen, denn wir haben die lemurische Rasse vor der Unterwanderung durch die verdammten Aliens gerettet.«
Er faselte völlig irres Zeug. Anya hatte nur noch riesige Angst vor ihm. In diesem Zustand war er offenbar zu allem fähig. Sie lernte eine völlig neue Seite an ihm kennen.
»Du willst wissen, was wir machen?«
Sie nickte, brachte keinen Ton heraus. Krizan grinste, dann lachte er. Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
»Ja, das Blueschwein hat recht. Die krepieren alle hier. Wir nennen das Entsorgung. Zehntausende täglich. Zum Wohle des Quarteriums, auf Geheiß von ganz oben. Jenmuhs war hier, um sich eine Entsorgung anzusehen. Ich war auch dabei. Es war erhebend, eine Ehre. Wir leisten hier eine verantwortungsvolle und wertvolle Arbeit zum Wohle der gesamten Menschheit!«
Anya konnte die Tränen nicht zurückhalten. Innerhalb weniger Momente war ihr ganzes Leben zusammengebrochen. Sie hatte fest daran geglaubt, dass Krizan ein verantwortungsbewusster Mann geworden war. Dass das Quarterium ein gutes Staatsgebilde sei, aber ihr Mann sprach hier gerade von organisiertem Völkermord. Sie verstand nicht, wie das passieren konnte. Wie Krizan so unmenschlich war. Das war nicht mehr der Mann, den sie liebte.
Krizan fuchtelte mit dem Schlagstock umher.
»So, Kleines. Wenn du nicht parierst, muss ich dir eine Lektion verabreichen. Ich bin nicht mehr der dumme Schuljunge von damals. Jetzt bin ich dein Herr und du hast zu tun, was ich sage. Kapiert?«
Anya hörte die Worte, aber sie brachte kein Wort heraus. Sie dachte über alles nach.
»Kapiert?«, brüllte er.
Anya zuckte zusammen.
»Ja«, sagte sie hastig.
Jetzt, in diesem Moment, realisierte sie, was für einen großen Fehler sie begangen hatte. Sie hatte sich in allem getäuscht. In der Liebe ihres Mannes, in der Ehrbarkeit des Quarteriums. Alles, wofür sie die letzten Jahre gelebt und gearbeitet hatte, war nun auf einmal sinnlos. Sie schämte sich sogar dafür. Doch die Angst überwog alle anderen Gefühle. Was würde Krizan jetzt mit ihr machen? Er leerte die Flasche und hämmerte sie Maryy über den flachen, diskusförmigen Kopf. Anya schrie entsetzt auf. Krizan wankte und torkelte die Treppe hinauf. Mitten auf einer Stufe blieb er stehen und ging wieder hinunter.
»Wo willst du hin?«, fragte sie ihn.
»In den Soldatenpuff. Mach die Schweinerei sauber, bevor der Sicherheitsdienst kommt und deine Bluesau abholt.«
Anya wollte noch etwas sagen, aber Krizan war schon aus der Tür. Sie sank auf den Boden und begann zu weinen. Das war alles zu viel für sie. Ihre Ehe war kaputt, ihr ganzes Leben zerstört. Nicht nur ihres. Sie dachte an Maryy, stand auf und ging zu der schwer verwundeten Gataserin. Behutsam streichelte Anya über den Tellerkopf. Das hintere Augenpaar öffnete sich.
»Herrin …«
»Sei ruhig, du musst dich ausruhen.«
»Nein … Ihr müsst Objursha verlassen. Flieht vor eurem Mann, flieht vor dem Quarterium, bevor Ihr so endet, wie ich …«
Anya dachte über Maryys Worte nach. Flucht? Einfach alle Brücken abbrechen? Sie hätte das vielleicht schon damals machen sollen, als Krizan sie kampflos diesem Ian Gheddy überlassen hatte. Schon da hätte sie konsequent sein müssen und den Schlussstrich beibehalten sollen, den sie eigentlich gezogen hatte. Doch sie hatte ihm eine neue Chance gegeben, sich wieder in ihn verliebt. Es hatte auch den Anschein gehabt, als hätte er sich gebessert. Er war zur CIP gegangen und hatte eine steile Karriere eingeschlagen. Sie war stolz auf ihn gewesen. Er ermöglichte ihr ein schönes Leben in Reichtum und Sorglosigkeit. All das, was ihr wichtig war. Sie verzichtete auf einen eigenen Job und schlüpfte nach der Hochzeit in die Rolle der unterstützenden Ehefrau.
Und nun kam die Ernüchterung. Ihr Mann war ein Verbrecher, Organisator und Helfer bei einem Völkermord. Anya wurde schwindelig, als sie über die Ausmaße dieser Verbrechen nachdachte. Tausende wurden hier gemeuchelt.
Der Türsummer schrillte auf, ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. Ängstlich ging sie zur Tür. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Als sie die Tür öffnete, standen Soldaten vor ihr.
»Guten Abend, Frau Guuze. Ihr Gatte hat uns gebeten, die verbrecherische Blue abzuholen. Wo finden wir sie?«
Anya schwieg. Starrte die Männer ungläubig an. Der eine schob sich an ihr vorbei und suchte nach Maryy. Er fand sie, packte die Blue und zog sie hoch. Anscheinend hatte er Schwierigkeiten. Zwei seiner Männer halfen ihm.
»Nein!«, schrie Anya.
Sie stellte sich ihnen in den Weg, packte Maryy und hielt sie fest. Ein vierter Soldat nahm sie und zog sie beiseite.
»Lasst sie hier. Sie hat doch niemandem etwas getan.«
Doch keiner hörte auf sie. Die Männer verschwanden wortlos. Maryy schwieg auch, ließ sich abtransportieren, ergab sich offenbar in ihr Schicksal. Der Soldat ließ Anya los, die weinend auf dem Boden zusammenbrach.
15. Begegnungen
Wo bekam ich jetzt neue Klamotten her? Es war bitter kalt hier draußen. Ich musste aufpassen, nicht entdeckt zu werden. Offenbar befand ich mich in einem Vorort zum Lager.
Ich stoppte und verschwand in einer dunklen Nische. Vier Männer brachten eine Blue aus einem Haus. Von drinnen waren die Schreie einer Frau gekommen. Mich interessierte wenig, was passiert war, aber ich hoffte, dass die Alte meine Kleidergröße hatte. Ich sprang in die Wohnung. Vor mir kauerte eine blonde, zierliche Frau auf der Treppe und weinte. Sie hatte ungefähr meine Größe. Das war schon mal gut. Sie blickte erschrocken zu mir hoch.
»Keine Angst, ich tue dir nichts, wenn du kooperierst«, sagte ich.
»Wer bist du?«
Sie sah mich verwundert an und musterte mich von oben bis unten. Offensichtlich fiel ihr auch meine unpassende Mode auf.
»Ich bin Myrielle Gatto. Ich bin auf der Flucht. Du musst mir helfen.«
Die Frau stand auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verwischte dabei ihre ohnehin schon zerlaufene Schminke. In meinen Augen trug sie etwas zu dick mit dem Make-up auf. Hoffentlich hatte sie nicht solche schrillen Klamotten.
»Ich bin Anya Guuze. Ehefrau von Krizan Bulrich, einem …« Sie stockte kurz. »Einem der Verantwortlichen für dieses Lager.«
Oh! Na super, ich war in die Bude eines Massenmörders gesprungen. Wer dieser Bulrich war, wusste ich nicht. Das war mir auch egal. Das Seltsame war, dass sie sehr ernst wirkte. Und überhaupt nicht panisch und dass, obwohl ich halb nackt in ihr Haus teleportiert war.
»Gehörte die Blue zu dir?«, fragte ich. Ich hatte eine Vermutung.
»Ja, sie war meine … Freundin.«
Langsam ahnte ich, was sich hier abgespielt hatte. Erst jetzt fielen mir die Verletzungen in ihrem Gesicht auf.
»Haben die das getan?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Mein Mann …«
»Tut mir leid.«
Doch mehr Anteilnahme konnte ich ihr nicht entgegenbringen. So hart es klang, aber von ihrem Ehemann verdroschen zu werden, war nichts im Vergleich zu dem, was ich gestern durchgemacht hatte. Oder die siebzehntausend armen Kreaturen in der Konverterhalle.
»Hast du vielleicht was anzuziehen und ’ne warme Mahlzeit?«, fragte ich schließlich. Mir war immer noch kalt und mein Magen knurrte.
Sie nickte und führte mich nach oben. Dort zeigte sie mir fünf große Schränke mit ihren Klamotten.
»Such dir aus, was du gebrauchen kannst. Ich koche derweil etwas.«
»Danke …«
Sie blieb an der Türschwelle stehen.
»Ich kann dir doch vertrauen, oder?«
»Keine Sorge. Ich will nur etwas zum Anziehen und was essen. Dann bin ich wieder weg.«
Sie nickte und ging hinunter. Ich schaute mir die ganzen Sachen an. Schrill waren die Klamotten nicht, aber sehr körperbetont und leicht. Nicht unbedingt etwas für das kalte Wetter. Beim Anprobieren merkte ich, dass der Größenunterschied doch erheblicher war, als ich dachte. Zwar hatten wir ungefähr dieselbe Figur, aber die meisten Sachen waren zu kurz. Ich suchte mir das passendste und praktischste aus. Schwarze Hose und ein rotes Oberteil. Dazu noch sehr schöne Stiefel, dann passte wieder alles.
Jetzt fehlten mir noch ein paar Waffen. Aber das würde ich hier bestimmt nicht finden. Ich ging hinunter. Es duftete nach Eintopf. Anya kam aus der Küche mit einem großen Topf Erbsensuppe. Naja, nicht unbedingt das Leckerste, aber besser als gar nichts.
Sie stellte den Topf auf den Tisch. Ich langte zu, ohne großartig nachzufragen. Der Hunger war zu groß.
»Woher kommst du, Myrielle.«
»Southampton.«
»Auf der Erde?«
Ich grinste. Ein Witz über Blondinen wäre in Anbetracht meiner Haarfarbe deplatziert gewesen.
»Ja, auf der Erde. Liegt in England.«
»Ich weiß«, sagte Anya trotzig. »Und was machst du hier auf Objursha?«
Ich schluckte den Happen herunter und nahm ein Schluck von der Limonade.
Ob ich ihr alles erzählen sollte? Von meiner Arbeit auf Som-Ussad, dem Unfall im Labor, der Verwandlung zum Parder, meiner Romanze mit Despair und schließlich der Gefangenschaft bis zur Entsorgung?
Aber das führte zu weit. Vielleicht ein anderes Mal.
»Ich sollte getötet werden. Entsorgt.«
Bei dem Wort zuckte sie zusammen. Offenbar wusste sie, was Entsorgung bedeutete. Ich hingegen war mir nicht sicher, ob ich dieser Frau vertrauen konnte. Schließlich war sie die Ehefrau eines hochrangigen Offiziers, gleich ob sie nun Eheprobleme hatten oder nicht.
»Und wo willst du jetzt hin?«
»Weg von diesem Planeten. Nur weiß ich noch nicht, wie ich das anstelle …«
Sie schwieg.
»Ich will auch weg von hier. Mich hält hier nichts mehr. Doch wir müssten vorher Maryy befreien.«
Sie erzählte mir von der Blue. Ihr Bestreben, sie zu befreien, war lobenswert, aber ebenso töricht. Ich stand auf.
»Ich muss gehen, noch eine Sache erledigen. Dann kehre ich zurück. Es wäre schön, wenn ich hier schlafen könnte. Irgendwo versteckt, damit dein Mann nichts mitbekommt.«
Sie nickte. Ich fing an, Vertrauen zu ihr zu fassen. Offenbar hatte Anya nichts für das Quarterium übrig. Das konnte mir nützlich sein. Ich verabschiedete mich und teleportierte zurück zu der Leiche des kleinen Mädchens. Ich begrub sie und bastelte ein Kreuz. Ich wusste nicht, welche Art von Grabsteinen und Zeichen die Ophaler für ihre Bestattungen verwendeten, so nahm ich das Symbol, welches meine Gattung am häufigsten verwendete.
An ihrem Grabe versprach ich, ihre Mörder zur Rechenschaft zu ziehen.
Als ich mich umdrehte, witterte ich etwas. Jemand war in der Nähe. Plötzlich sprang eine Gestalt aus dem Gebüsch. Instinktiv trat ich ihm in die Weichteile. Prustend fiel er zu Boden. Dann hielt ich inne, als ich den Fleischberg erkannte.
Es war Sandal Tolk!
Er rappelte sich auf und sah mich zornig an. Ich bekam es mit der Angst zu tun, lächelte verlegen und brachte ein halblautes »Tut mir leid« heraus.
Er grunzte irgendetwas Unverständliches.
»Was machst du hier, terranische Frau?«
Wie charmant der Barbar doch war. Ich stellte mich ihm vor und erklärte, dass ich aus Objursha geflohen war. Da er sich nicht vorstellen musste, führte ich etwas mehr aus meinem Leben aus und verschwieg ihm auch nicht die Tatsache, dass ich Teleporterin war. Dann wurde ich selbst langsam neugierig.
»Warum bist du hier, Sandal Tolk?«
Er sah mich grimmig an.
»Du wirst wieder ins Lager zurückkehren müssen. Und mir helfen, einen alten Freund zu befreien.«
»Wen?«
»Joak Cascal!«
*
Sandal Tolk berichtete mir, dass er von einem Raumschiff der Kemeten hier abgesetzt worden war. Der spezielle Tarnschutz habe ihn vor einer Entdeckung bewahrt. Tolk verweilte bereits seit zwei Wochen auf Objursha und beobachtete die Mannschaften in der Stadt. Er erklärte mir, dass er speziell Anya Guuze und ihren Mann Krizan Bulrich observiert hatte, da Bulrich an Cascals Festnahme beteiligt gewesen war. Tolk wartete nun auf eine günstige Gelegenheit, um sich ins Lager einzuschleichen und Cascal zu befreien. Dann würden sie fliehen und den Kemeten ein Signal schicken. Ich war mir gar nicht bewusst gewesen, dass es noch Kemeten gab. Nun, offenbar war mir nicht jedes Geheimnis im Universum bekannt.
Die Befreiung Cascals war nicht so einfach, wie es sich der Barbar vorstellte. Wir konnten nicht einfach so durch die Sicherheitsanlagen marschieren, die Axt schwingen und Cascal herausholen. Es war nur nicht so einfach, das Sandal Tolk klarzumachen.
Abgesehen von der Tatsache, dass Joak Cascal eigentlich tot war. Aber bei diesen ganzen kosmischen Helden wunderte mich nichts mehr. Tolk erzählte, dass Cascal in einem Heim gewesen und dort manipuliert worden war. Nach seiner Flucht war er nach Objursha gekommen. Tolk war fest entschlossen, seinen besten Freund hier herauszuholen, doch ich machte ihn erneut auf die Problematik aufmerksam.
»Da sind nicht nur bewaffnete Grautruppen, da sind Dscherro und Moogh. Mit denen wirst du nicht fertig!«
»Du kannst teleportieren! Wir müssen nur herausfinden, ob wir durch den Schutzschirm teleportieren können.«
Woher sollte ich das wissen? War ich Gucky? Ich hatte es noch nie ausprobiert. Halt – doch, ich hatte es ausprobiert. Es hatte nicht funktioniert. Doch es wurden täglich viele Strukturlücken geschaffen, um die Entsorgungstransporte reinzulassen, um Transporter und Gleiter passieren zu lassen. Es war nicht schwer, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Doch wenn wir dort waren, mussten wir erst einmal diesen Cascal suchen. Da war es schwierig, unentdeckt zu bleiben.
»Anya Guuze und ihr Mann liegen im Streit. Sie hat das wahre Ausmaß der Artenbestandsregulierung erkannt. Sie wird uns helfen«, meinte Tolk.
»Wie soll sie uns helfen?«
»Wir werden sie auffordern, uns die Zugangskarte ihres Mannes sowie Uniformen zu beschaffen. Damit haben wir es einfacher.«
Ich fing an, Gefallen an dem Plan zu finden und war einverstanden. Wir teleportierten zurück in Anyas Haus.
*
»Nein, das traue ich mich nicht«, sagte Anya ängstlich. »Krizan würde mich erneut verprügeln.«
Sandal Tolk rief laut: »Wenn er das macht, spalte ich seinen Kopf mit meiner Axt.«
Tolk schwang die Waffe und grinste. Anya verstand wohl. Ich lehnte an der Wand und sah, dass wir so kaum weiterkamen. Die Frau war zu ängstlich. Und Tolk ging mit dem Kopf durch die Wand. Wir mussten jetzt clever sein. Endlich kam mir eine brauchbare Idee, die ich den anderen erklärte.
»Ich werde zwei Sicherheitskarten und Uniformen klauen. Niemand denkt, dass ich noch am Leben bin. Sandal und ich verkleiden uns als Wachmannschaften. Wir müssen nur unsere Ausweise fälschen. Das können wir hier tun.«
Tolks Nicken signalisierte Zustimmung.
»Wir brauchen eine dritte Uniform für Joak Cascal. Und Bulrichs ID-Karte. Ich werde diese dann Cascal zustecken, während wir im Lager sind. Dann kann er mit der Karte entfliehen und wir treffen uns hier.«
»Hier?«, fragte Anya ungläubig. »Ich will damit so wenig wie möglich zu tun haben. Im Grunde genommen seid ihr ja Verbrecher und Gegner des Quarteriums …«
»Feines Quarterium, das Millionen Wesen tötet. Ich frage mich, wer hier die Verbrecher sind.«
Anya schwieg.
»Myrielle, du holst jetzt die Uniformen und Karten. Je schneller wir Joak befreien, desto besser.«
Ich nickte Tolk zu und machte mich auf den Weg …
16. Die Befreiung
»Na, Cascal? Was meinen Sie, wie lange haben Sie noch zu leben?« Krizan Bulrich lachte und fühlte sich mir gegenüber völlig überlegen. Am liebsten hätte ich ihm meine Schaufel über den Kopf gezogen. Aber dann würden die Dscherro kommen und auf mich einprügeln. Das brachte nicht sehr viel.
»Wie lange werden Sie wohl noch leben, Bulrich? Es gab schon etliche, die mich unter die Erde bringen wollten und letztlich sind sie alle selbst dort gelandet.«
Bulrich wurde bleich. Seine Überheblichkeit war gewichen. Er zündete sich hastig eine Zigarette an und forderte mich auf weiterzuarbeiten. Ich tat, wie mir befohlen wurde, und klopfte die Steine. Welch sinnvolle Aufgabe. Sie diente nicht mal dem Quarterium. Es waren Beschäftigungsmaßnahmen bis zu unserem Ende in den Konvertern. Natürlich hatte Krizan Bulrich sein Versprechen, mir einen Tag als Mensch zu erlauben, längst wieder vergessen.
Drei Tage nach der Inspektion war wieder Normalität in das Lager eingekehrt. Niesewitz und Katschmarek waren abgereist. Nur der seltsame Überfall dieser Drachen lag jedem schwer auf dem Magen.
»Dieser Pisser-Dscherro«, Jo’Rhy’Dav deutete auf den Dscherro, der auf einen toten Ophaler urinierte. »Den bringe ich bald um. Nicht mehr lange, das schwöre ich dir.«
Der Gurrad war außer sich vor Wut. Ich packte ihn an den Schultern.
»Das wird uns nicht weiterhelfen. Wir müssen fliehen. Nur wenn wir in Freiheit sind, können wir diesen Wahnsinn stoppen.«
Der Gurrad lachte bitter und donnerte die Spitzhacke auf die Steine. Offenbar musste er seine angestaute Wut abreagieren. Ich machte mir um Jo’Rhy sorgen.
Rütülly kam auch hinzu.
»Habt ihr es schon gehört?«, fragte der Blue ganz aufgeregt.
Wir beide schüttelten den Kopf.
»Da Gohd gestattet uns Fest. Da nun auch Saggittor und Akon gefallen sind, gibt es einen quarterialen Feiertag. Super, oder?«
Akon und Saggittor gefallen! Die USO vertrieben. Nun war ganz Cartwheel unter Kontrolle des Reiches. De la Siniestro war der Beherrscher der Insel.
»Ja, ganz super …«, sagte ich.
»Ich meinte es auch nur ironisch«, antwortete Rütülly und lachte schrill. »In den nächsten Tagen sollen neue Transporter kommen. Mit Galornen, Zentrifaal und Adlaten. Natürlich auch Staatsfeinde aus Saggittor und Akon …«
»Wieso die Galornen?«
»Naja, eher das, was von ihnen übrig ist.« Rütülly wurde ernst und berichtete mir, was geschehen war.
Auch Jo’Rhy hörte gespannt zu. Es war schwer zu glauben, aber die Galornen waren mit einer Shifting-Flotte aufgebrochen, um Paxus zu befrieden. Die Bestien hatten angegriffen und die Flotte vernichtet.
Sie waren ins Heimatsystem der Galornen weitergezogen. Dann war das gesamte Galornia-System aus dem Raumkontinuum gerissen worden. Niemand wusste, was geschehen war, man fand keine Erklärung. Nur wenige tausend Galornen hatten sich vorher ergeben. Diese wurden nun hierher deportiert.
Damit waren auch die Thoregonvölker in Cartwheel besiegt. Das Quarterium kontrollierte nun die gesamte Galaxis!
*
Der festliche Tag war angebrochen. An diesem Tage wurde die feierliche Rede des Emperador de la Siniestro übertragen und alle Häftlinge mussten sie sich anhören.
»Wir haben die Saggittonen und Akonen in die Gemeinschaft des Quarteriums aufgenommen. Seit diesem Tage steht Cartwheel unter einem Banner. Cartwheel ist das Quarterium! Ein galaktisches Imperium voller Stolz und Ruhm. Ein Hort der Hoffnung für die Menschheit.«
Bei diesen Worten wurde mir schlecht. Hätte ein Perry Rhodan sie gesprochen … aber der Emperador war ein Intrigant. Er schickte sich an, die Nachfolge Rhodans anzutreten, ein neues Solares Imperium zu gründen, das aber nichts mit dem Original zu tun hatte. Das Quarterium wurde aus Tränen, Blut und Trümmern geformt und jeder, der sich gegen die Vision des Emperadors stellte, wurde entsorgt. Ich hätte niemals gedacht, dass es soweit kommen würde.
Rütülly ahmte den Emperador nach, hielt eine flammende Rede voller Unsinn, die die Wesen jedoch zum Lachen brachte. Das verstand der Blue sehr gut – die Häftlinge zum Lachen zu bringen, ihnen etwas Hoffnung zu geben. Das machte Rütülly so wichtig und einzigartig. Er war ein herzensguter Kerl.
Das quarteriale Wachpersonal scherte es wenig, ob wir Witze über den Emperador machten. Heute waren Terraner und Arkoniden dran. Das bedeutete, wir wurden gut behandelt. Die wenigsten Terraner genossen es, uns zu foltern. Die Dscherro taten es.
Ich hatte Hunger. Mein Magen knurrte. Eigentlich tat er es immer. Wir bekamen nur so viel Nahrung, dass es gerade so zum Überleben reichte.
Eine quarteriale Soldatin kam auf mich zu. Ihr blondes Haar war hochgesteckt, zwei Strähnen hingen in ihrem Gesicht. Den Rest des Haares verdeckte die Mütze. Sie trug das CIP-Abzeichen, wie alle hier. Sie hatte den Rang eines normalen Agenten, vergleichbar mit einem Unteroffizier.
Ihre Augen waren blaugrün. Sie sah gar nicht mal so schlecht aus. Etwas blass für meinen Geschmack und ihre Brüste waren recht klein, soweit ich das sehen konnte. Dafür hatte sie eine knackige Figur.
»Joak Cascal?«
»Ja!«
Sie zog eine Waffe und befahl mir, ihr zu folgen. Sie schubste mich immer wieder an, bis wir hinter einer Baracke standen. Niemand war hier, kein Wachposten. Was hatte sie vor? Jetzt verstand ich. Ich sollte ganz heimlich ohne viel Aufsehen erledigt werden. Einfach so hinter einer Baracke erschossen werden. Kein rühmliches Ende, aber besser als nackt in die Konverterhallen zu laufen.
»Na los, drücken Sie ab!«
Sie sah mich seltsam an und senkte die Waffe. Nun war ich es, der seltsam guckte.
»Ich bin Myrielle Gatto. Seit zwei Wochen observiere ich Sie. Sandal Tolk ist hier, um Sie zu befreien. Ich helfe ihm dabei.«
Nun war ich wirklich überrascht. Das war die erste gute Nachricht seit meiner Flucht aus dem Heim vor rund einem Jahr. Myrielle erklärte mir, wer sie war, woher sie kam und wie sie nach Objursha gelangt war. Ihre Geschichte faszinierte mich. Sie war eine Mutantin, eine ganz besondere Person. Kein Wunder, dass das Quarterium sie entsorgen wollte.
»Ich werde Ihnen bald eine Uniform und eine ID-Karte bringen. Damit können Sie das Lager verlassen«, erklärte Myrielle. »Wir treffen uns im Wohnhaus von Krizan Bulrich und Anya Guuze. Anya scheint auf unserer Seite zu sein …«
Das überraschte mich auch ein wenig. Myrielle erzählte, dass Anya wohl die Wahrheit über Objursha herausgefunden hätte. Es gab offenbar doch noch Menschen im Quarterium, die die Verbrechen nicht akzeptierten.
»Und wie kommen wir von Objursha weg?«, fragte ich schließlich.
Myrielle zuckte mit den Schultern.
»Ihr Freund Sandal hat daran nicht gedacht. Wir haben kein Schiff.«
Prima Befreiungsaktion. Das war typisch Sandal. Erst handeln, dann denken. Nun, uns würde schon etwas einfallen müssen. Da fiel mir Rütülly und Jo’Rhy ein.
»Ich habe noch zwei Freunde, die ebenfalls fliehen wollen. Ich will sie mitnehmen. Einen Gurrad und einen Blue.«
Myrielle seufzte.
»Die können wir wohl kaum als Quarteriale verkleiden. Wie sollen wir die zwei rausschmuggeln?«
»Ist schon gut …«
Rütülly! Hinter ihm stand Jo’Rhy’Dav. Die beiden hatten unser Gespräch belauscht.
»Wir sind nicht so wichtig. Du musst fliehen, Joak. Du kannst mit einer Armee zurückkehren, um uns zu befreien. Oder jene, die uns überleben …« Rütülly klang irgendwie traurig und doch lachte er. »Einer muss doch hierbleiben und das Kasperle spielen.«
Jo’Rhy’Dav schien weniger davon begeistert zu sein. Ich bemerkte, dass er auch fliehen wollte. Zur Not ohne uns. Das würde aber mit seinem sicheren Tod enden.
»In einer Woche werden wir Sie befreien, Joak«, versprach Myrielle. Sie nickte mir und den anderen kurz zu und lief weg. Ich sah ihr nachdenklich hinterher. Eine mutige Frau. Ich freute mich auch darauf, endlich Sandal wiederzusehen. Er hatte mich nicht im Stich gelassen. Er war wirklich ein treuer Freund. Daran hatte ich niemals gezweifelt.
*
Myrielle Gatto kehrte drei Tage später zurück und übergab mir einen Beutel. Darin befanden sich eine Uniform und die ID-Karte von Krizan Bulrich. Sie hatten es geschafft. Jo’Rhy stand Schmiere, während ich die stinkende Sträflingskluft auszog und die saubere Uniform anlegte.
Plötzlich stand Rütülly vor mir. Es kam mir vor, als sei sein Gesicht lila gefärbt. Irgendetwas stimmte nicht.
»Ich soll aufräumen. In den hygienischen Zellen. Bei den Neuankömmlingen«, sagte der Jülziish mit einem für sein Volk ungewöhnlich tiefem Tonfall.
Ich atmete tief durch. Rütülly wurde zur Kleiderordnung abgestellt. Er sollte die Habseligkeiten der Entsorgten sortieren. Eine Aufgabe, die keiner lange durchhielt. Nach ein bis zwei Wochen wurden die Häftlinge dann selbst entsorgt. Das war sein Todesurteil.
»Verdammte Bande«, grollte Jo’Rhy.
Ich durfte nicht zulassen, dass dies passierte. Also fasste ich einen Entschluss. Jo’Rhy und Rütülly mussten mich begleiten.
Ich zog die Uniform an. Legte den Gürtel mit dem Elektrostock, dem Vibrationsmesser und dem Nadlerstrahler an.
»Ihr kommt mit«, sagte ich ernst. »Ich lasse euch hier nicht vor die Hunde gehen.«
»Und wie willst du uns aus dem Lager schleusen? Die Frau hat doch recht. Wir fallen auf.«
Ich grinste.
»Ihr werdet abgestellt, um Ausbesserungsarbeiten in den Wohnbezirken durchzuführen. Gib mir mal den Zettel.«
Ich lief zu Myrielle, die vor den Baracken auf mich wartete, und erklärte ihr die Situation. Sie akzeptierte meine Entscheidung, kehrte nach drei Stunden zurück und drückte mir einen Ausdruck in die Hand. Ein neuer Befehl mit der Originalunterschrift von Fitschka. Eine gute Fälschung, die hoffentlich auch das Wachpersonal am Eingang anerkennen würde.
»Ich warte im Haus von Bulrich auf euch. Er ist heute den ganzen Tag über auf einer Dienstbesprechung.«
»Wieso teleportierst du uns nicht einfach hier weg?«
Sie erklärte Rütülly, dass Parafallen rund um das Lager aktiviert waren. Außerhalb, in den Wohnbezirken und in der Natur konnte sie ihre paraphysikalischen Fähigkeiten einsetzen, doch innerhalb der Mauern war es nicht möglich, ohne dass sie riskierte, in eine Parafalle zu stolpern.
Rütülly und Jo’Rhy’Dav verstanden. Myrielle wünschte uns viel Glück.
*
Das Quarterium hatte schicke Uniformen. Ich fühlte mich darin wohl. Leider symbolisierte diese Uniform nichts Gutes. Ich hielt den Elektroschocker in der Hand und trieb Rütülly und Jo’Rhy’Dav an. Ab und an brüllte ich, beschimpfte und trat sie. Es machte mir keinen Spaß, aber ich musste überzeugend wirken.
Wir erreichten den Kontrollpunkt vor dem großen Tor. Dieser wurde um diese Uhrzeit von Dscherro bewacht. Myrielle und Sandal hatten alles gründlich geplant. Es war wohl leichter, an den dummen Dscherro vorbeizukommen, als an Terranern, die vielleicht Rücksprache mit Fitschka hielten.
Ein Gehörnter trat vor und grunzte unfreundlich.
»Etwas mehr Respekt vor einem Leutnant des Quarteriums«, meckerte ich arrogant. »Oder soll ich dich und deine Brut zur Entsorgung einteilen?«
Der Dscherro grunzte verdutzt. Ich gab ihm den Befehl. Er warf einen Blick drauf. Möglich, dass er überhaupt nicht lesen konnte.
»Alle Befehle werden hier angemeldet. Mir ist nichts davon bekannt. Wieso sollen diese Schweine raus?«
Ich atmete tief durch.
»Das sind Arbeiter. Die edle Frau Guuze hatte darum gebeten, dass ihr Garten gemacht werden soll. Major Fitschka hat mir kurzfristig den Befehl erteilt. Ich habe die beiden Trottel ausgewählt, da sie bereits auf den Plantagen gute Arbeit geleistet haben.«
Der Dscherro blickte mich mürrisch an, guckte auf den Zettel und dann nochmals zu mir.
»Ich werde den Major fragen.«
»Bitte, wenn du großen Ärger kriegen willst.«
Der Dscherro verdrehte die Augen.
»Und wieso?«
»Nun, erstens misstraust du einem quarterialen Leutnant, der dir vorgesetzt ist. Dann zweifelst du die Befehle des Majors an und drittens verärgerst du die Ehefrau von Spezial-Agent Bulrich, der rechten Hand des Lagerkommandanten, weil wir zu spät kommen. Ich glaube nicht, dass man auf so einen Quertreiber in Zukunft besonders viel Wert legen wird, Dscherro!«
Ich merkte, wie unsicher der Gehörnte wurde. Er sah zu seinen Männern hinüber, die ratlos grunzten. Dann stampfte er hin und her, schien angestrengt über meine Worte nachzudenken. Schließlich drückte er den Zettel in meine Hand und befahl, das Tor für uns zu öffnen.
»Gut, ich werde Fitschka keine Meldung machen, Dscherro«, sagte ich grinsend und trieb den Blue und den Gurrad an. Wir durchschritten das Tor, über uns Dscherro-Wachen, die uns mit Argwohn beäugten. Schritt für Schritt kamen wir der Freiheit näher.
Das war der schwerste Teil der Flucht. Wir befanden uns zwischen Erfolg und Scheitern der Mission. Nach einer Weile schloss sich das Tor hinter uns. Wir atmeten erleichtert auf.
Rütülly lachte leise. Jo’Rhy wirkte missmutig wie eh und je. Vor uns lag der Wohnbezirk. Myrielle hatte mir einen kleinen Plan gegeben, wo ich sie finden konnte. Und ich fand sie. Nach vielen Jahren schüttelte ich die Hand meines Freundes Sandal Tolk!
17. Paxus
5. August 1306 NGZ, Oberkommando Quarteriale Armee (OKQA)
Despair beobachtete das Eintreffen der hohen Militärs vom Balkon des »Klotzes«, dem Verteidigungszentrum des Quarteriums. Ein Gleiter nach dem anderen fuhr in den Innenhof der Anlage und wurde von den Ordonanzen empfangen.
Der Silberne Ritter ging in den Konferenzraum. Emperador de la Siniestro saß bereits in seinem großen Thron. Ihm zur Seite befanden sich seine Söhne Peter und Orlando.
Nun trafen die Generäle ein. Zuerst die der arkonidischen Flotte: Die Generalobersten Leson und Weron, General Mandor da Rohn, Admiral Terz da Eskor und frisch aus Estartu, Generalmarschall Toran Ebur.
Dann erreichten die Terraner den Konferenzraum. Generaloberst Red Sizemore, der Held dieser Tage, Generalmarschall Vranz Brauchl und Generaloberst Alcanar Benington.
Zuletzt kamen diejenigen, die den nächsten Feldzug führen würden. Der Pelewon Admiral Itzkuhr, Admiral Irkuleb, Generalmarschall Brokohn und der Herr der Bestien in Cartwheel – Torsor! Der mächtige, fünfeinhalb Meter große Pelewon wirkte äußerst gelassen, fast schon gut gelaunt, wenn man so etwas über eine Bestie sagen konnte.
Die vier Bestien nahmen einen großen Teil des Saales ein. Ihr Anblick war jedes Mal aufs Neue imposant. Ohne große Umschweife begann der Emperador seine Rede.
»Meine Herren, wir haben beschlossen, am 1. September 1306 NGZ die Galaxis M 87 anzugreifen, um die Völker der Pelewon und Moogh aus der Knechtschaft der Konstrukteure des Zentrums zu befreien.«
Despair bemerkte, dass Sizemore und da Rohn vielsagende Blicke miteinander wechselten. Offenbar waren sie nicht so begeistert von Idee. Er verstand die Motive der beiden fähigen Generäle, denn auch er war alles andere als angetan von einem Zweifrontenkrieg.
»Quarteriums-Fürst Torsor wird die Operation befehligen. Die gesamte Druithora-Flotte, immerhin rund hunderttausend Schlachtschiffe, werden den Angriff unter dem Befehl der Admiräle Itzkuhr und Irkuleb führen«, fuhr der Emperador fort. »Aber auch Streitkräfte der I. Terranischen und der I. Arkonidischen Flotte werden angreifen. Wir wollen einen schnellen Sieg in M 87!«
Mandor da Rohn legte die Angriffspläne vor. Wie auch in der Saggittor-Offensive hatte da Rohn die strategische Planung übernommen.
»Zusammen mit Admiral Itzkuhr habe ich folgenden Schlachtplan entwickelt. Die Konstrukteure erwarten einen Angriff am Sternenportal. Deshalb werden wir unsere Streitkräfte in zwei Teile splitten. Angriffsflotte A wird über das Sternenportal in M 87 einfallen, Angriffsflotte B wird von Siom Som aus unter Generalmarschall Ebur angreifen.«
Sizemore nickte wohlwollend. Offenbar gefiel ihm, was dort vorgeschlagen wurde. Er schien dennoch Bedenken zu haben und äußerte diese.
»Ist ein Zweifrontenkrieg nicht gefährlich? Die Völker in M 87 sind sicherlich zäh, wenn man ihre Geschichte verfolgt. Wären nicht diplomatische …«
»Nein!«, sagte Torsor laut, aber in ruhiger Tonlage. »Die Ära der Konstrukteure ist vorbei. Ihre Tyrannei wird von uns beendet. Es gibt keine Kompromisse.«
Sizemore starrte den mächtigen Pelewon an und schluckte hörbar. »Natürlich …«
»Gut! Die Vorbereitungen starten heute. Die Flotte von Siom Som muss am 10. August aufbrechen, um 3,23 Millionen Lichtjahre zurückzulegen, um rechtzeitig in Druithora zu sein, wenn meine Streitkräfte angreifen.«
Niemand wagte es, Torsor zu widersprechen. Selbst Peter, der stets für einen Fauxpas gut war, hielt die Klappe. Es war also beschlossene Sache. Schon bald würde der Krieg auch über M 87 kommen. Despair hoffte, dass dies kein Fiasko werden würde.
Nachdem die Konferenz beendet war, suchte Werner Niesewitz Despair und de la Siniestro auf. Er wirkte ganz und gar nicht gut gelaunt. Er bat Despair um eine persönliche Unterredung.
»Herr Despair«, druckste er herum. »Es geht um die Gefangene Myrielle Gatto.«
Despairs Herz schlug höher bei dem Gedanken an Myrielle. Seit Monaten hatte er sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, zwang sich dazu, nicht an sie zu denken. Er wusste, wenn er sich Myrielles Liebe hingab, würde seine Treue zu MODROR brechen. Sie befand sich auf Som-Ussad. Er hatte Stevan da Reych den Befehl erteilt, sie dort zu behalten und gut zu behandeln.
»Was ist mit Myrielle? Ist sie geflohen?«
»Nein … sie … sie …«
»Was ist?«
Despair wurde ungehalten.
»Der CIP-Administration ist ein Fehler unterlaufen. Myrielle Gatto wurde nach Objursha deportiert. Da Reych hat die Verantwortlichen bereits hingerichtet, doch Gatto wurde entsorgt …«
Despair wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Niesewitz töten? Anfangen zu weinen? Er tat nichts, blieb wie angewurzelt stehen und sah Myrielles Bild vor seinem geistigen Auge. Entsorgt. Ermordet vom Quarterium. Von seinem Reich.
»Wer ist auf Objursha dafür verantwortlich? Sie waren doch vor wenigen Wochen dort, Niesewitz! Reden Sie!«
Niesewitz zuckte zusammen.
»Ich weiß es nicht, Herr Quarteriumsmarschall. Offensichtlich waren Ihre Befehle dort nicht bekannt.«
»Ich verfluche Ihre inkompetente Organisation, Sie kleiner Wicht!«
Niesewitz wich zurück, fürchtete wohl, dass Despair ihn töten würde. Der Silberne Ritter hatte sich nicht unter Kontrolle.
Myrielle war tot! Das hatte er nicht gewollt. Seit Sanna Breen hatte er nicht mehr so viel für eine Frau empfunden. Doch wie Breen war auch sie gestorben. Und sie würde auch nicht als Konzept zurückkehren.
Wieso? Warum musste Myrielle sterben? Weshalb wurden seine Befehle nicht befolgt?
Langsam kehrte Ruhe in seinen mächtigen Körper ein. Der Silberne Ritter ließ sich erschöpft auf einem Sessel nieder, starrte düster auf den Fußboden. Trauer, Wut, Resignation tobten in ihm.
Er war wieder ganz allein.
18. Auf der Flucht
Joak Cascal
Es dauerte nicht lange, bis man uns vermisste. Doch wir versteckten uns in den Wäldern, auch wenn es hier sehr kalt war. Jo’Rhy’Dav hatte weniger Probleme damit und auch Sandal machte die Kälte wenig aus. Myrielle und mir schon.
Ich setzte mich zu ihr.
»In Russland ist der Austausch körperlicher Wärme ein Mittel gegen Kälte«, sagte ich so charmant wie möglich zu ihr.
Sie sah mich seltsam an. Dann lächelte sie.
»Ich denke an jemanden anderen.«
»Oh«, machte ich nur und lehnte mich gegen einen Baum. Das war eine deutliche Abfuhr.
»Cauthon …«
»Despair? Sagen Sie nicht, Sie sind in dieses Monster verknallt? Das ist ja grotesk!«
Sie sah mich böse an und blickte dann einfach weg. Ich entschuldigte mich nicht. Despair war eine Bestie, ein Schlächter und ein Verräter der Menschheit!
»Er und ich haben einiges gemeinsam. Und ich spüre das Gute in ihm. Es schlummert tief in seinem Herzen, doch irgendetwas oder jemand zwingt ihn, diesen finsteren Pfad zu gehen.«
Jetzt war ich es, der schwieg. Was sollte ich denn auch zu diesem Schwachsinn sagen? Despair, der arme kleine Antiheld? Schon einmal hatte man ihn verschont. Und was war daraus geworden? Noch mehr Chaos!
»Ich glaube, dass er eines Tages sein wahres Ich finden wird und sich gegen die finsteren Mächte stellen wird. Cauthon braucht nur jemanden, der ihm dabei hilft. Jemanden, der ihn liebt und bestärkt …«
»Mir kommen gleich die Tränen«, sagte ich abfällig. »Despair ist kein kleines Kind. Nur weil ihn niemand mag, muss er nicht ganze Welten ausradieren.«
Myrielle stand auf.
»Nein, aber wenn jemand nur gehasst wird, wieso sollte er dann Mitleid mit anderen haben?«
*
Die Suchmannschaften aus dem Lager kamen immer näher. Bisher war von unseren Rettern noch keine Spur zu finden. Sandal Tolk hatte mit einem Sender die Kemeten über unsere Flucht informiert. Doch die Stunden verronnen und keiner kam. Es war kalt und unbequem. Wir lebten wie Höhlenmenschen und würden uns nicht ewig vor der CIP verstecken können. Zwar hatte Tolk ein Gerät der Kemeten, welches uns vor Individualabtastungen schützte, doch darauf konnten wir uns nicht ewig verlassen.
Sandal Tolk und Jo’Rhy’Dav machte die aussichtslose Situation herzlich wenig aus. Sie jagten Wild und Myrielle bereitete es zu, während ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie wir von dieser grässlichen Welt entkommen konnten.
Es gab noch ein zweites Problem: Anya Guuze. Ich war strikt dagegen, sie in ihrem Haus vorerst wohnen zu lassen. Was, wenn man ihr auf die Spur gekommen war? Was dann? Gut, Anya wusste nicht, wo wir uns befanden. Wir meldeten uns bei ihr und nicht umgekehrt, doch das Leben der jungen Terranerin war in Gefahr.
Sie hatte allerdings darauf bestanden, vorerst dort zu bleiben. Sollte sie verschwinden, hätte man eins und eins zusammenzählen können. Sie versuchte irgendwie ein Raumschiff für uns zu organisieren. Es war schier unmöglich, aber zumindest eine Hoffnung – und unsere einzige Chance. Guuze wollte einen Ausflug nach Paxus machen. Wenn sie das Okay bekam, würden wir uns in den Transporter schleichen und von hier entkommen.
Eine sehr vage Chance.
Es gab noch eine weitere Chance. Eine gefährlichere, aber eine mit besseren Erfolgsaussichten.
Von Objursha zu fliehen war ohne Raumschiff unmöglich. Wenn wir eines hätten, müsste die Flucht schnell geschehen, bevor die quarterialen Wachschiffe uns aufspürten.
Doch das größte Problem war einfach, dass wir kein Raumschiff besaßen. Wir müssten eines im Raumhafen des Lagers kapern. Das Risiko war extrem hoch. Sicherlich wussten die, dass wir ein Raumschiff benötigten. Wenn sie clever waren, hatten sie Parafallen rund um den Raumhafen aktiviert, um Myrielle außer Gefecht zu setzen.
Sofern sie wussten, dass Myrielle noch am Leben war. Doch woher sollten sie das? Während unserer gesamten Flucht hatte es keinen Hinweis auf den Verbleib der Teleporterin gegeben.
Ich rief unsere kleine Truppe zusammen. Jo’Rhy und Sandal schleppten ein totes Wild an. Myrielle beäugte die Leiche des Tiers, aber auch die Jäger mit Abscheu.
»Mit leerem Magen kann man nicht kämpfen«, sinnierte Tolk und warf das rehähnliche Tier zu Boden.
Ich trug allen meinen Plan vor: »Wir können nicht ewig auf die Kemeten warten. Wir kundschaften den Raumhafen aus, suchen ein Raumschiff aus und schlagen schnell zu. Zuerst teleportiert Myrielle uns zum Raumhafen. Nachdem wir das Schiff gekapert haben, holt Myrielle Anya Guuze. Dann verschwinden wir mit Alarmstart und raus aus dem System …«
»Gewagter Plan, Freund Joak. Sehr gewagter Plan. Aber er gefällt mir.«
Auch die anderen nickten. Nur Rütülly war ruhig. Er sah mich verlegen aus seinen vorderen Augen an. Der Jülziish war kein Held und kein Kämpfer.
»Keine Sorge, Rütülly. Es wird alles reibungslos laufen. Schon bald sind wir in Freiheit!«
Myrielle stand auf und nahm Tolk und mich bei der Hand. Dann teleportierten wir zum Raumhafen.
Als wir rematerialisierten, blickte ich mich um. Myrielle hatte ein gutes Versteck auf dem Dach eines Kontrollturmes ausgewählt. Dort waren wir, umringt von den gigantischen Antennen, gut geschützt. Die Mutantin verschwand in einem Wirbel, nur um wenige Sekunden später mit Jo’Rhy und Rütülly zurückzukehren.
Der Raumhafen war überschaubar. Es gab sieben Landeplätze für 100-Meter-Kreuzer und etwa zwei Dutzend für Space-Jets, Fähren und Transporter.
Eine dieser Space-Jets war für uns bestimmt. Zuerst jedoch observierten wir das Bodenpersonal und die Wachposten.
»Myrielle«, flüsterte ich. »Die dritte Space-Jet von links.« Ich deutete auf das kleine Raumschiff. Myrielle nickte.
»Das nehmen wir. Teleportiere hinein und kundschafte die Lage aus.«
Gatto bestätigte und sprang in die Space-Jet. Sofort wurde ein Alarm ausgelöst. Instinktiv zog ich meinen Strahler, obgleich es völlig nutzlos war. Scheinwerfer wurden auf uns gerichtet, hinter uns bäumten sich drei Space-Copter auf. Ich begriff sofort, dass wir verloren hatten. Resignierend warf ich die Waffe zu Boden.
Es war aus!
Sandal, Rütülly und Jo’Rhy warfen auch ihre Waffen hin. Die Space-Copter erfassten uns mit einem Antigrav und ließen uns auf den Erdboden des Raumhafens nieder.
Dort wartete bereits Krizan Bulrich auf uns. Neben ihm stand dieser unsympathische Major Fitschka. Aus seinen kleinen Augen blitzte es finster.
Myrielle wurde zu uns gebracht. Um sie war eine Art Fesselfeld gespannt. Offenbar war sie in eine Parafalle getappt.
Krizan Bulrich grinste überlegen und musterte mich von oben bis unten. Sein feistes Grinsen war mir zuwider.
»Ich habe den großen Joaquin Manuel Cascal gefangen. Mit meinem Impertellekt habt ihr nicht gerechnet.«
»Intellekt, du Idiot«, korrigierte ich und erntete dafür einen Tritt in den Magen.
»Bringt sie zurück ins Lager«, befahl Bulrich und grinste. »Dort wartet man bereits auf euch!«
19. Die Folter
Selvon da Gohd
Mit lautem Scheppern kehrten diese Misthunde wieder ins Lager zurück. Der Blue trug ein Kostüm, ein rosafarbenes Kleid, Strapse und dickes Make-up im Gesicht. Er hämmerte mit einem Löffel auf einen Topf und trug ein Schild um seinen Hals mit der Aufschrift: »Ich bin wieder daheim.«
Diesem blauen Schwein werden wir es noch zeigen! Der wird nie wieder irgendwohin abhauen.
Ich ließ das gesamte Lager aufmarschieren. Jetzt sollte ein Exempel statuiert werden. Ich hatte die Nase gestrichen voll von diesem ganzen abstoßenden Mistpack. Was glaubten die eigentlich, wer sie waren? Die dreckigen Breheb’cooi waren doch nichts! Weniger als Zayna! Würmer allenfalls.
Das würden die alle bitter bereuen! Zur Beruhigung nahm ich einen kräftigen Cognac. Es war bitterkalt hier draußen. Ich merkte das schon an einigen Häftlingen. Sie liefen blau an. Vielleicht lag es daran, dass sie keine isolierende Kleidung trugen.
Nun aber zu diesem Blue! Die Wärter droschen ordentlich auf ihn ein. So war es recht! Immer feste drauf auf den Porzellantellerkopf! Die anderen Geflohenen wurden in einer Reihe aufgestellt.
Joak Cascal, dieser überflüssige Gurrad, dann Sandal Tolk und Myrielle Gatto. Ich überlegte, was ich mit ihnen tun würde. Aber Moment, eine fehlte ja noch.
Ich gab Fitschka ein Zeichen. Er brachte die wild strampelnde und keifende Anya Guuze zu den Entflohenen.
Das ganze Pack war jetzt auf einem Haufen. Disser gab mir einen Prügelstock. Nun war es Zeit, dass ich den ganzen Untermenschen zeigte, wer hier der Herr war.
»Ihr glaubt wohl, ich könnt mir auf der Nase herumtanzen?«, schrie ich so laut ich konnte. »Ihr glaubt wohl, ihr seid clever? Ihr denkt, das ist ein Spiel hier, oder?«
Ich donnerte den Stock in Anya Guuzes Gesicht. Schreiend brach sie zusammen. Dann schlug ich wieder und wieder auf sie ein. Sie wimmerte, jaulte vor Schmerzen. Ihr schönes, zartes Gesicht war schnell zu einer furchterregenden, blutverschmierten, angeschwollenen Fratze verunstaltet. Ich trat ihr mehrmals in den Unterleib. Sie spuckte Blut.
Die Dscherro hielten Cascal und Tolk davon ab, meine Demonstration zu unterbrechen.
Ich ließ erst einmal von ihr ab. Zu sehr verunstalten wollte ich sie auch nicht. Vielleicht verspürte ich ja noch die Lust, sie später zu knacken. Immerhin war sie jetzt wieder frei, nachdem Krizan Bulrich sofort die Scheidung einreichen ließ, als er herausfand, dass Anya eine Verräterin war. Es war allzu leicht gewesen, Anya mit etwas Androhung von Gewalt zum Reden zu bringen. Von ihr hatten wir alle Informationen bekommen. So wussten wir, dass Myrielle Gatto lebte und aktivierten im Raumhafen Parafallen, denn der Raumhafen war das einzige Ziel für jemanden, der von dieser Welt fliehen wollte.
Aber sie hatten nicht mit Selvon da Gohd gerechnet. Diese Trottel. Ich hatte meinen Laden schon im Griff, hatte die Fehler meiner hirnlosen Untergebenen ausgebügelt.
Bulrich wurde etwas bleich im Gesicht, als er seine blutende Ex-Mieze vor sich liegen sah. Sie flennte laut. Dass diese Weiber immer so zart besaitet waren.
Ich konzentrierte mich auf den Blue. Da gab es ja noch jede Menge schöne Methoden, den zu bestrafen. Und auf den war ich wirklich nicht scharf. Ich winkte zwei CIP-Agenten zu mir. Utha und Maryna Zubarov. Sie gehörten zu der persönlichen Agentengruppe von Werner Niesewitz.
»Auf Flucht steht der Tod! Das habe ich immer wieder gesagt. Aber wer nicht hören will«, ich gab den beiden Frauen ein Zeichen, »muss fühlen!«
Utha, das war die behaartere der beiden Hässlichkeiten, packte ein Stück Holz aus einer Tasche. Es war etwa fünfzig Zentimeter lang, flach und erinnerte mich an ein Paddel oder einen Teppichklopfer. Das Schöne an diesem antiquierten Gegenstand war jedoch, dass auf der flachen Seite kleine Nägel befestigt waren.
Maryna packte den Blaukopf und drückte ihn gegen eine Tonne. Seinen Oberkörper über die Tonne beugend, riss sie ihm die Hose runter. Sein blauer, verschrumpelter Hintern strahlte uns an. Widerlich. Utha schlug dann mit der Nagelseite des Holzstückes auf seinen nackten Hintern. Wieder und wieder. Schrill blökte das Tellerkopfvieh auf. Als sie fertig waren, banden sie ihn an die Tonne und ließen ihn einfach stehen. Den Rest würde das kalte Wetter tun.
Fein! Das war erledigt.
Nun zu den anderen. Utha und Maryna zogen Anya Guuze hoch. Sie waren so seltsam zärtlich zu ihr. Ob die beiden vom anderen Ufer waren? Dabei hätten die auch als heterosexuell durchgehen können, wenn sie etwas mit einer Frau machten. So wie die aussahen. Ich lachte über meinen feinsinnigen Humor. Manchmal war ich selbst über meine Genialität überrascht.
»Fitschka, die Bande kann wegtreten. Die Gefangenen sollen in den Inhaftierungsblock gebracht werden. Dort werde ich mich um sie kümmern. Diese Drecksbande …«
Fitschka gab den Befehl weiter. Plötzlich lief der fette Gurrad brüllend auf den Essoya-yonki zu, packte ihn und warf ihn zu Boden. Ein Soldat rannte auf ihn zu, doch der Gurrad entwaffnete ihn und feuerte. Er schoss einen Soldaten nach dem anderen nieder. Die Dscherro wichen zurück. Fitschka rappelte sich auf und schrie wie am Spieß vor Angst. Der Gurrad ballerte wie von Sinnen um sich. Aber auch er wurde getroffen. Blut spritzte aus seinem Körper. Endlich stürmten zwei Pelewon auf ihn zu und prügelten ihn nieder. Sie ließen nicht mehr viel von ihm übrig.
Ich war geschockt.
Wie konnte sowas passieren? Unglaublich. Bevor noch mehr geschah, wurden Cascal, Tolk, Gatto und Guuze in den Inhaftierungstrakt gebracht. Fitschka stand unter Schock. Der Idiot! Schade, dass der Gurrad ihn nicht erschlagen hatte.
*
Überwachungskameras waren etwas Feines. Mit Genugtuung beobachtete ich die Gefangenen. Die Männer und Frauen wurden getrennt. Myrielle Gatto kümmerte sich aufopferungsvoll um Anya Guuze. Wie gern würde ich die zwei wilden Miezen betreuen. Bei mir regte sich etwas. Es war mir klar, dass ich zuerst die beiden Frauen verhören würde. Sie waren interessanter als die Männer.
»Frauen Zubarov!«
Die beiden hässlichen Halbfrauen schälten sich aus einer dunklen Ecke. Utha Zubarov war wirklich abscheulich wie die Nacht. Ihr verpickeltes, verwarztes Gesicht, der Oberlippenbart, der unförmige Körper und dann diese blauen, stinkenden Socken in den Sandalen. Es war mir schleierhaft, wieso dieses Monstrum zu den gefürchtetsten Agenten der CIP gehören sollte. Ihre blonde Lesbenschwester war auch nicht viel hübscher, hatte aber immerhin nicht diese maskulinen Züge.
»Begleiten Sie mich in die Zelle.«
Ohne ein Wort zu verlieren, begaben wir uns in den kargen Raum. Anya Guuze lag vor Schmerzen stöhnend auf dem Boden. Sie sah wirklich nicht gut aus. Vielleicht hatte ich es etwas übertrieben. Dabei hatte die einen so knackigen Arsch, pralle Brüste und ein zartes Gesicht. Myrielle war aber auch nicht ohne.
Am liebsten würde ich die zwei auf einmal vernaschen, den beiden terranischen Schlampen zeigen, was ein arkonidischer Stier war. Die würden nicht aufhören, nach mehr zu kreischen.
»Was wollen Sie, da Gohd?«
Noch war Gatto unfreundlich. Sie spielte die Kühle, doch schon bald würde dieses Miststück auf Knien vor mir sitzen und mich verwöhnen. Die wartete nur darauf. Da waren alle Frauen gleich!
»Miss Gatto, wir möchten nur ein paar Fragen stellen. Sie haben die Wahl. Hier mit den beiden Zubarovs«, ich deutete lächelnd auf die grobschlächtigen Dinger. »Oder bei Kerzenschein mit mir allein.«
Dem widerstand sie nicht. Keine Chance.
»Ich ziehe die Gesellschaft der beiden … Damen vor. Besser die als ein geisteskranker arkonidischer Zayna …«
Sie tat es doch! Auf eine Art und Weise, die mich tödlich beleidigte. Was glaubte diese Hure eigentlich, wer sie war? Das machte sie nicht mit mir. Nein! Nicht mit mir! Ich nahm meinen Schlagstock und hämmerte gegen die Wand.
»Was soll das, du dumme Nutte?« Immer wieder drosch ich gegen die Wand, aber sie bekam keine Angst. Wieso nicht? Für was hielt die sich? Für eine Göttin? Ich würde dieser stinkenden Hure Manieren beibringen. Die beiden Zubarovschwestern sahen mich seltsam an. Kritisierten die mich etwa? Nahmen die mich nicht für voll? Denen werde ich es zeigen! Darauf können die Gift nehmen.
»Ihr seid doch alles Nutten! Alles Nutten! Ich schick euch alle in den Konverter, ihr Mistviecher!«
Ich schlug mit dem Knüppel um mich, traf Gatto. Das war mir egal. Die Zubarovs wichen aus. Das war auch klug so. Ich musste mir Respekt verschaffen. Guuze lag so doof herum, da trat ich sie erst mal. Ach, am liebsten würde ich den allen gleich das Hirn aus dem Schädel pusten. Den ganzen blöden Nutten!
»Raus mit euch, Zubarovs!«
Utha und Maryna gehorchten aufs Wort. Ich wollte ungestört sein, wenn ich mich um Myrielle kümmerte.
»Nun, du Drecksschlampe! Wenn du es nicht auf die sanfte Tour willst, dann zeige ich dir mal, was ein arkonidischer Herrenmensch ist.«
Ich drosch auf sie ein. Zuerst wehrte sie sich, dann hatte ich sie in eine Ecke gedrängt. Das erregte mich. Sie war wehrlos. Ich drückte ihren Körper an den meinen, spürte ihre Brüste, riss die Kombination auf und knetete ihren Busen. Ich spürte einen flauschigen Pelz. Haare auf der Brust! Da stimmte etwas nicht. Ein Knurren warf mich aus meiner Ekstase. Angst! Ich hatte Angst! Sie hatte sich verwandelt. In diesen Parder. Verdammt, hätte ich das Dossier besser gelesen. Ihre Katzenpranke drückte mich an sie.
»Du willst einen Kuss, Süßer? Du sollst einen für die Ewigkeit kriegen!«
Sie brüllte mich an. Ich versuchte loszukommen. Schrie um Hilfe. Schüsse! Direkt neben mir sausten Energiestrahlen entlang. Plötzlich ließ mich der Parder los, um mich dann zu packen und in die Ecke zu schleudern.
Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie diese Kreatur floh. Die Zubarovs kümmerten sich um mich. Alarmsirenen schrillten auf. Alles tat mir weh. Diese verdammte Nutte. Doch da lag ja noch so eine Schlampe. Diese Guuze. Na warte, Mädchen. Dir haue ich das Hirn raus. Ich nahm den Prügelstock, aber eine Hand zog mich weg. Dann sah ich das Gesicht dieses Barbaren Sandal Tolk. Er donnerte seine Faust in mein Gesicht. Was für Schmerzen! Keuchend fiel ich zu Boden und hielt die schmerzende, blutende Nase.
Langsam ließ der Schmerz nach. Ich rieb die Tränen aus den Augen und taumelte zur Tür. Tolk, Cascal und Gatto hatten Guuze mitgenommen und rannten Richtung Ausgang.
Krizan Bulrich trottete an.
»Wir fangen sie, Sir!«
Ich packte diesen Vollidioten.
»Beeilt euch. Sind wenigstens Parafallen überall aktiviert?«
»Natürlich …«
Bulrich rannte mit den Zubarovs hinterher. Mir kam eine andere Idee. Ich lief auf das Dach. Fitschka kam mir entgegen. Dass der noch nicht tot war. So ein Mist!
»Wohin wollen Sie, Herr Lagerkommandant?«
Ich ignorierte ihn, stoppte dann, um die M-A-R 21 seines Adjutanten zu nehmen. So schnell es ging rannte ich hoch. Oben angekommen, eilte ich zur Brüstung. Da unten waren sie. Schon verdammt weit wenig. Aber vielleicht …
Sie rannten auf einen Gleiter zu, überwältigten die Wachmannschaft und drohten wieder zu entkommen. Das durfte nicht passieren. Nicht schon wieder! Wieso tat dieser Affe Bulrich nichts? Das waren doch bloß drei kampffähige Leute!
Ich visierte an. Cascal? Tolk? Verdammt! Wen sollte ich nehmen. Nein, diese Nutte. Ein ruhiger Schuss.
Einatmen.
Ausatmen.
Anvisieren.
Luft anhalten. Mit dem Ziel mitgehen. Den Schuss fühlen.
Feuer!
Ja! Sie zuckte zusammen, sackte auf die Knie. Cascal packte sie und zog sie in den Gleiter. Tolk mähte mit dem Bordgeschütz die Reihen der Soldaten nieder. Dann brauste der Kampfgleiter davon.
Weit würden sie jedoch nicht kommen.
20. Der Adler ist gelandet
Wir hatten es geschafft. Myrielle hatte es geschafft. Sie hatte uns befreit. Und nun … Der Parder verwandelte sich langsam wieder in die schöne Frau zurück. Sie atmete schwer. Der Schuss hatte ihre Lunge zerfetzt. Ich konnte nichts für sie tun. Sie lag in meinen Armen und röchelte. Tolk steuerte den Gleiter.
Anya Guuze, die immer noch ziemlich verletzt war, stand weinend neben mir.
Myrielle legte ihre Hand um meinen Nacken.
»Es … es ist für Cauthon noch nicht zu spät. Er muss seine Dämonen besiegen. Der … der Hass muss Liebe weichen, dann …« Sie hustete, spuckte Blut. »… dann kann er Gutes statt Schlechtes tun …«
Sie zitterte. Verdammt, wieso konnte ich nichts für sie tun. Anya weinte, kramte mit zitternden Händen in den Medopacks herum. Myrielles Röcheln nahm beängstigende Züge an. Blut musste bereits in ihre Lungen fließen, sie drohte an ihrem eigenen Blut zu ersticken.
»Halte durch.«
Es blubberte seltsam in ihrer Brust. Sie krallte sich an mir fest. Irgendetwas ging in ihr vor. Sie kämpfte gegen den Tod an, vielmehr ihre mutantischen Fähigkeiten. Ich erinnerte mich, dass sie ihre Verletzungen heilen konnte. Reichte es dafür? Oder verlängerte es nur das Leiden? Sie schrie, quälte sich schrecklich.
*
Hunderte Gleiter waren hinter uns her.
»Sandal, gib Gas!«
»Was glaubst du, was ich hier tue? Das Ding ist so lahm wie alter, gebrechlicher Muli von Exota Alpha!«
»Die kommen näher«, rief Anya entsetzt.
Das wusste ich auch so.
Sie war völlig verängstigt. Ihre wunderschönen blauen Augen spiegelten Todesangst wider.
Wenn nicht ein Wunder geschah, würden wir auch bald wieder nach Objursha marschieren.
Myrielle atmete flach, aber sie atmete. Immerhin lebte sie noch, aber wenn wir sie nicht in den nächsten Minuten anständig medizinisch versorgten, würde sie sterben.
»Sie sind weg …«
»Was?«
Behutsam legte ich Myrielles Kopf auf den Boden und eilte zu den Kontrollen. Ich starrte auf den Bildschirm. Sie waren wirklich verschwunden. Das war unmöglich. Ich überprüfte unsere Position. Moment mal! Wir waren nicht dort, wo wir sein sollten. Wir waren zweitausend Kilometer entfernt. Was zum Teufel ging hier vor?
»Teufel ist ein hässliches Wort. Da könntest du gleich nach Apophis oder Seth rufen.«
Ich schrak hoch. Anya schrie auf. Instinktiv drehte ich mich nur sehr zögerlich um und blickte in die knurrende, geifernde Fratze des Schakalgottes. Das Wesen neben ihm gab einen schrillen Schrei von sich. Der Ruf eines Falken.
Anubis und Horus!
»Ihr habt euch Zeit gelassen«, sagte Tolk.
Anubis fing an zu lachen. Er maulte Anya Guuze an, die sichtlichen Respekt vor ihm hatte. Wer hätte das nicht gehabt. Der Gott der Toten war von mächtiger Erscheinung. Mit dem Kopf eines Schakals und dem Körper eines Adonis stand er in voller Kriegsmontur vor uns. Horus stand ihm in nichts nach, nur war sein Kopf der eines Falken. Die Söhne des Osiris standen in diesem Gleiter.
»Bringen wir euch erst einmal aus dieser Hölle«, sagte Anubis.
»Möge die Kunst von Ra und Amun dein Leid lindern«, sagte Horus und beugte sich über Myrielle. Sie röchelte wieder, Blut floss aus ihrem Mund. Horus holte ein Gerät aus seinem Gürtel. Er legte es ihr auf die Brust. Die kleine Schachtel öffnete sich und ein Tessma kam zum Vorschein. Dieses biorobotische Insekt krabbelte in ihre Brust. Myrielle schrie laut auf. Ich rannte zu ihr, nahm ihre Hand. Sie krallte sich fest an mich. Mit weit aufgerissenen Augen hechelte sie laut, bis sie schließlich das Bewusstsein verlor. Fragend sah ich Horus an.
»Sie braucht Ruhe, doch ihr Leben ist nicht mehr in Gefahr. Der Tessma heilt die Lunge. Ich bitte um Entschuldigung für unsere späte Ankunft, doch als Rodroms Drachen auftauchten, mussten wir kurzzeitig fliehen. Nachdem wir Tolk abgesetzt hatten.«
Hauptsache, wir waren gerettet.
Anubis übernahm die Kontrollen des Gleiters und steuerte uns zu einem kleinen Pyramidenraumschiff. Das war unsere Rettung. Auch wenn Jo’Rhy und Rütülly tot waren. Ich betrauerte ihren Tod zutiefst. Der Schmerz wühlte in meiner Seele.
*
»Sie sind entkommen, Herr Lagerkommandant«, stotterte Bulrich.
Das durfte doch nicht wahr sein! Ich hatte keine Energie mehr, um mich aufzuregen. Dieser Trottel erklärte mir, dass sie den ganzen Planeten nach ihren Individualimpulsen abgesucht hätten. Sie seien einfach nicht mehr da.
Wahnsinn!
»Bulrich!«
»Ja, Sir?«
»Sie dummer Schweineschnidel sind gefeuert. Ich will Sie nicht mehr in der CIP haben. Verpissen Sie sich hier. Fitschka, drücken Sie ihm seine Papiere in die Hand und bitten Sie Niesewitz, ihn zum Militär zu überzustellen. Am besten gleich nach M 87. Da soll es ja bald losgehen, nicht wahr? Vielleicht richten Sie da weniger Schaden an.«
»Aber … aber …«
»Nun hau endlich ab, du verblödete Sau!«
Bulrich zuckte zusammen und rannte los. Fitschka warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
»Habe immer gesagt, dass der nichts taugt …«
Spinner!
Das war eine bittere Niederlage. Jenmuhs und Niesewitz würden nicht begeistert sein. Ich musste die Verantwortung auf Idioten wie Bulrich abwälzen und schnell das Lager zum Laufen kriegen. Ich hatte auch bereits eine Idee.
»Fitschka. Wir verdoppeln die Verbrennungen. Verdreifachen sie. Ich will den Gos’Shekur in einer Woche darüber informieren, dass wir eine Million Wesen an einem Tag entsorgt haben.«
Epilog
Vor uns lag die Welt Kemet. Vor uns lag auch das Kosmonukleotid UDJAT, besser gesagt, der kleine Teil, der aus dem Moralischen Kode in unser Universum hinausragte.
Die Kemeten waren vor einigen Jahren komplett in der Superintelligenz KEMET aufgegangen. Und doch wimmelte es in diesem System nur so vor Leben. Tausende Raumschiffe kreisten im Orbit um Kemet. Es fiel nicht schwer, die Raumer zu identifizieren. Es waren saggittonische und akonische Schlachtschiffe, Transporter und Passagierraumschiffe. Hauptsächlich jedoch: Kampfschiffe.
»Wie ist das möglich?«, fragte ich Horus.
»Auf Kemet ist jemand, der dir alle Fragen beantworten kann.«
Ich gab mich vorerst damit zufrieden.
Wenige Minuten später landete das Pyramidenschiff auf einem kemetischen Raumhafen, der typisch ägyptisch aussah. Obelisken, Abbilder der Götter, kunstvoll verzierte Tempel vermischten Antike mit moderner Technik. Alles in goldweißem Ton gehalten. Die gigantische Amun-Ré Pyramide war selbst von hier aus zu erkennen.
Ich half Anya aus dem Schiff. Sie wirkte apathisch, hatte kein Wort mehr gesprochen. Offenbar stand sie unter Schock. Anya tat mir leid, denn ich mochte sie. Sie hatte immerhin Courage bewiesen und sich vom Quarterium losgesagt. Außerdem war sie bildhübsch. Ich nahm mir vor, mich mehr um sie zu kümmern.
Anubis trug Myrielle, die immer noch bewusstlos war.
»Unsere Ärzte werden sich um Myrielle Gatto kümmern«, erklärte Horus und wandte sich an Anya, die ihn aus trüben Augen ansah.
»Du hast tapfer und edel gehandelt, junge Terranerin. Dein Leid wird irgendwann vergessen sein. Du hast den richtigen Pfad in deinem Leben gewählt. Es liegt nun an dir allein, diesen Weg weiterzugehen.«
Horus und Anubis führten uns auf den Raumhafen. Ich traute meinen Augen nicht. Rosan Orbanashol-Nordment stand vor mir und warf sich mir um den Hals. Dann ließ sie ab und musterte mein Gesicht.
»Etwas gewöhnungsbedürftig, aber nicht hässlich.« Sie lachte. »Es ist schön, dich wiederzusehen, Joak!«
Rosan erklärte mir auf dem Weg zu meinem Quartier alles, was geschehen war. Nach der Vernichtung der USO in Cartwheel und der Saggittor-Offensive hatten sich die USO und die akonisch-saggittonische Raumflotte auf Anweisung von Osiris ins Kemet-System zurückgezogen. Von hier aus wollten sie den Widerstand organisieren.
»Die Kemeten sind zwar in KEMET aufgegangen, doch als Konzepte, wie Osiris, Horus und die anderen, sind sie wieder voll handlungsfähig. Sie haben neue Körper gezüchtet und Shak’Arit Roboter hergestellt. Nun wollen sie uns im Kampf gegen das Quarterium unterstützen.«
Ich war beeindruckt. Trotz der Müdigkeit schaltete ich nicht ab, obwohl mich ein heißes Bad und ein warmes, kuscheliges Bett reizte. Am liebsten mit Rosan drin. Aber dafür war wohl keine Zeit.
Ich berichtete ihr von den Verbrechen auf Objursha. Sie war entsetzt, konnte es nur mit Mühe glauben. Ich erklärte es mehrmals.
»Es ist leider die Wahrheit. Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen, bevor Millionen dabei sterben.«
»Es steckt mehr dahinter«, sagte Anubis. »Die Drachen und der Totenschädel. Das ist Rodrom. Die Gefahr liegt viel tiefer, als ihr ahnt. Wir müssen sehr vorsichtig sein.«
MODROR hatte etwas mit dem Quarterium zu tun? Die Dinge wurden immer verzwickter. Ein Arkonide überreichte Rosan eine Nachricht. Ihr hübsches Gesicht wurde, sofern dies möglich war, noch ernster. Sie begann sich zu konzentrieren.
»Eine große quarteriale Flotte hat sich vor dem Sternenportal gesammelt. Ihr Ziel ist offenbar M 87 …«
ENDE
Joak Cascal ist endlich die Flucht aus der Hölle von Objursha gelungen. Er hat durch die Hilfe der Kemeten UDJAT erreicht. Hier haben sich inzwischen die restlichen Gegner des Quarteriums gesammelt, um sich unter dem Schutz von Osiris neu zu organisieren.
Im nächsten Band 91 von Jens Hirseland wechseln wir wieder die Handlungsebene. Wir folgen der Invasionsflotte und schildern die Ereignisse in M 87, denn dort wütet die
OPERATION M87
DORGON-Kommentar
Im vorliegenden Band haben wir einiges über die Hintergründe der »Artenbestandsregulierung« erfahren. Dabei wurde deutlich, dass die verwerfliche Rassenideologie des Quarteriums seine Politik bestimmt und bereits das Denken und Handeln vieler Menschen vergiftet. Darüber hinaus hat der geplante Völkermord an den »minderwertigen Rassen« für die finstere Entität MODROR eine besondere Bedeutung, anders ist wohl das Erscheinen Rodroms und der Drachen über Objursha nicht zu erklären. Worin diese Bedeutung liegt, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Es scheint jedoch, dass MODROR am Leid und der Qual der unterdrückten Völker ein unmittelbares Interesse hat. Ich denke, dass uns hier noch einige böse Überraschungen bevorstehen.
So, nach den beiden letzten Romanen kann ich wieder ein Werk eines anderen Autors kommentieren. Der Zufall, oder die Zyklusplanung, bewirkte, dass sich das Thema von Nils nahtlos an meine beiden Romane anschließt. Es geht nach wie vor um die grausame faschistische Politik des Quarteriums, in der inzwischen Völkermord und Rassenwahn ein grauenvolles Szenario bilden. Nils gebührt das Verdienst, das kranke faschistoide Denken in der Person Selvon da Gohds beispielhaft zu personalisieren.
Um auch hier gleich auf das Thema meines letzten Kommentars zurückzukommen, es geht uns als Autoren (ich denke, ich spreche da auch im Namen von Nils) bei der Schilderung von Gewaltszenen nicht darum, durch möglichst viel Blutvergießen, durch Berge von Leichen eine künstliche, primitive Spannung zu erzeugen.
Im Gegenteil, der Zweck dieser Szenen ist, dass aufgezeigt wird: Krieg bedeutet Tod, millionenfachen Tod. Wenn ein Raumschiff vernichtet wird, müssen ungezählte Wesen sterben. Und Faschismus bedeutet Unterdrückung, Unmenschlichkeit, Sklaverei und sexuelle Gewalt, er bedeutet die Herrschaft der niedrigsten Instinkte des Menschen, die absolute Unmenschlichkeit. Das und nichts anderes war die Intention, die uns bewogen hat, bei der Schilderung der Handlung realistischer zu werden.
Um es gleich vorwegzunehmen, es werden auch wieder andere Handlungsstränge im Vordergrund stehen, die sich im Geiste von »Sense of Wonder« mit den Geheimnissen des Universums beschäftigen. DORGON ist und bleibt eine Science-Fiction-Serie, keine reine Kriegsserie und schon gar kein Landser-Abklatsch auf der kosmischen Bühne.
Nur, auch das sei gesagt, die nächsten Romane schildern die Expansion und innere Entwicklung des Quarteriums und sind deshalb genau so düster wie die Aussichten aller, die sich dem »Reich der Finsternis« entgegenstellen.
Nun zu einem anderen Thema. In den beiden vorherigen Romanen haben wir eine wissenschaftliche Serie begonnen, die sich mit den aktuellen kosmologischen Modellen beschäftigt. Wenn man so will, bilden diese Ausführungen den Überbau des kommenden Zyklusfinales und vielleicht darüber hinaus. Daraus wird ersichtlich, dass hier stärker der »Sense of Wonder«-Gedanke im Vordergrund stehen wird, da sich diese Auseinandersetzungen auch in den Sphären der »Hohen Mächte« abspielen. Die von mir eingeführte Entität »Mutter« wird dabei, das kann ich hier schon sagen, eine wichtige Rolle spielen.
Der heutige Betrag beschäftigt sich mit der Einführung eines »Fünften Seienden«, welches das gesamte Multiversum durchdringt. Die Theoretiker des Bulk-Universums sehen dieses in der »Dunklen Energie«, die unter uns SF-Fans schon lange bekannt ist, nur unter einem anderen Namen: Anti-Gravitation! Da sage mal jemand, dass SF-Literatur keine wissenschaftliche Grundlage hat.
Also lasst euch in eurer Phantasie auf phantastische Reisen mitnehmen, die »Quintessenz« ist bei euch! Übrigens wird sich mein Beitrag in der nächsten Folge mit einem zentralen Begriff sämtlicher SF-Literatur beschäftigen: dem Hyperraum. Ja, ihr lest richtig, auch dieser ist eine Konsequenz des Bulk-Universums, zumindest wenn sich die Theorien von Steinhardt & Co. bestätigen. Was für Aussichten …
Jürgen Freier
Quintessenz
Die Etymologie dieses Begriffs meint eigentlich das »fünfte Seiende« (lat. quinta essentia). Das bezieht sich auf ein fünftes Element neben den vier bekannten: Erde, Wasser, Feuer und Luft, die die frühe griechische Naturwissenschaft kannte. Das neue, fünfte Element Äther wurde von Aristoteles eingeführt. Die Alchemie kannte diese Substanz als Spiritus, den Stoff des Lebens. Der Äther erlangte im 20. Jahrhundert noch einmal Berühmtheit, weil man ihn als das Medium der elektromagnetischen Wellen – analog zu Luft als Medium bei den akustischen Wellen – postulierte. Im Michelson-Morley Experiment suchte man vergeblich nach diesem Weltäther, dessen Fehlen schließlich Albert Einstein durch seine Relativitätstheorie klären konnte: Ihre felsenfeste Verifikation hat den Weltäther als Trägermedium der Lichtwelle aus unserem naturwissenschaftlichen Weltbild verbannt.
In der heutigen Kosmologie wiederum wurde der Begriff Quintessenz gewählt (Steinhardt etc.), weil man eine zeitlich veränderliche Dunkle Energie augenzwinkernd als fünftes Element neben den vier anderen wesentlichen Ingredienzien der Kosmologie, nämlich
Materie (»Erde«),
Strahlung (»Feuer«),
Neutrinos (»Luft«) und
Kalte Dunkle Materie (»Wasser«)
bezeichnete. Unter Quintessenz versteht man eine Alternative zum Konzept einer kosmologischen Konstante: Die kosmologische Konstante wird als fester Wert einer Vakuumenergiedichte interpretiert, die das Universum homogen ausfüllt (siehe dazu auch Quantenvakuum). Die Quintessenz hingegen ist eine zeitlich veränderliche Dunkle Energie, die inhomogen den Raum ausfüllt. Mit der Ausdehnung des Universums nimmt die Energiedichte in Quintessenz-Modellen ab. Die Zustandsgleichung der Dunklen Energie zeigt einen hohen negativen Druck, was ihre Interpretation als Antigravitation nahelegt. Diese Antigravitation treibt das Universum auseinander und resultiert in der beobachtbaren kosmischen Expansion (WMAP-Daten). Aktuelle Messungen weisen darauf hin, dass dieser negative Druck von der Rotverschiebung (also von der Zeit und der Raumkoordinate) abhängt.
Mathematisch setzt man die Quintessenz der Energiedichte eines sich zeitlich langsam entwickelnden Skalarfeldes (Teilchen mit einem Spin von 0) gleich, das man auch Cosmon nennt und als extrem leichtes Teilchen interpretiert. Seine Masse läge bei nur 10-33 eV! Dieser winzige Wert erklärt, weshalb das Cosmon noch nicht in hochpräzisen irdischen Experimenten wie den Teilchenbeschleunigern aufgetreten ist, es versinkt sozusagen im Rauschen unterhalb der Empfindlichkeit. Im kosmischen Maßstab macht sich diese fein verteilte Energie jedoch als Antigravitation bemerkbar.
GLOSSAR
Arkonidische Begriffe für Nichtarkoniden und Minderwertige
Essoya
niedere Arkoniden, kann man durchaus auch für Terraner verwenden. (Essoya-yonki) (vgl. www.perrypedia.proc.org/wiki/Essoya)
Parang
stumpfsinnige Herdentiere
Zayna
abwertende Bezeichnung für Behinderte
Bras’cooi
humanoide Nichtarkoniden (vgl. www.perrypedia.proc.org/wiki/Bras%27cooi)
Breheb’cooi
nichthumanoide Nichtarkoniden
Major Ulry Fitschka
Geboren: 1243 NGZ
Geburtsort: Terra
Größe: 1,67 Meter
Gewicht: 71 Kilogramm
Augenfarbe: grau
Haarfarbe: grau, Halbglatze
Fitschka ist Major in der quarterialen Armee. Als ehemaliger Vertriebsbereichsleiter der Shorne Industry Finanzdienstleistung ist Fitschka in Organisation gut bewandert. Fitschka ist 1304 NGZ in die quarteriale Armee eingetreten und brachte es innerhalb eines Jahres zum Dienststellenleiter in der Verwaltung. Danach wurde er für spezielle Sonderaufgaben rekrutiert und nach Objursha abkommandiert. Major Fitschka ist ein loyaler, pflichtbewusster Verehrer des Quarteriums.
Selvon da Gohd
Geboren: 1269 NGZ
Geburtsort: Arkon II
Größe: 1,86 Meter
Gewicht: 83 Kilogramm
Augenfarbe: rot
Haarfarbe: blond
Merkmale: kurz geschorene Haare, unmenschlich und brutal, duckt vor den Vorgesetzten und tritt die Untergebenen
Selvon da Gohd, verheiratet, ist der Lagerkommandant des Entsorgungslagers Objursha. Da Gohd wird im Sommer 1305 NGZ nach Objursha abkommandiert und mit der Errichtung des Lagers beauftragt. Da Gohd ist ein nationalistischer und arroganter Arkonide wie er im Buche steht. Er arbeitete zuerst bei der arkonidischen Armee und brachte es zum Athor (Kommandanten). Später wurde er Cel’Athor im Kristalldienst und wechselte bei Gründung des Quarteriums zur CIP und wurde Kommandeur.
Objursha
Der gleichnamige Eisplanet ist 7413 Lichtjahre von Paxus entfernt. Er hat einen Durchmesser von 17.711 Kilometern, vier Kontinente und zwei Pole. Die durchschnittliche Temperatur liegt zwischen minus fünf und plus sechs Grad Celsius. Drei der vier Kontinenten liegen unter ewigem Eis. Auf dem vierten Kontinent gibt es Vegetation und auch Grünzonen. Dort liegt das Entsorgungslager Objursha.
Objursha, noch im Bau befindlich, hat die Größe einer Kleinstadt. Vor den Toren des Hochsicherheitstraktes liegt ein Vorort, der den Soldaten und Mitarbeitern des ausgewählten Personals zur Verfügung steht.
Das Personal Objurshas besteht zumeist aus Terranern und Arkoniden in führender Position. Als Wachmannschaften werden Grautruppen (Pariczaner), Moogh und Dscherro eingesetzt. Sämtliche Truppen auf Objursha unterstehen der Sonderabteilung 2 der CIP.
Major Franc Disser
Geboren: 1251 NGZ
Geburtsort: Terra
Größe: 1,89 Meter
Gewicht: 99 Kilogramm
Augenfarbe: braun
Haarfarbe: schwarzgrau
Disser, ehemaliger Lagerleiter einer Exportfirma, gehört zu den Gewinnern des Quarteriums. Er hat Karriere in der Logistik der Armee gemacht und sich freiwillig für die Artenbestandsregulierung gemeldet. Anfangs hat Disser Probleme mit dem, was sich hinter der Artenbestandsregulierung wirklich versteckt, doch aufgrund des Karrieresprungs und wegen der Angst vor Bestrafung führt er seinen Job aus. Er ist nun für Organisation und Bau des Lagers mit zuständig.
Rodroms Drachen
Rodroms Drachen sind gigantische Weltraumdrachen mit einer Spannweite von knapp hundert Metern. Es gibt insgesamt sieben dieser Drachen, die auf der SISHEN, Rodroms Schlachtschiff, gehalten werden. Sie besitzen die Fähigkeit, über Tage hinweg ohne Sauerstoff auskommen zu können. Daher können sie sich auch im Weltraum und im Orbit eines Planeten bewegen. Die Drachen besitzen große PSI-Fähigkeiten. Sie stoßen Laute in einer hohen Schallfrequenz aus, die starke Kopfschmerzen hervorrufen.
Rodroms Drachen werfen viele Rätsel auf. Sie haben eine weitere wichtige Funktion, die mit den Ereignissen auf Objursha zusammenhängen.
Jo’Rhy’Dav
Der Gurrad, geboren 1244 NGZ in der Großen Magellanischen Wolke, ist über zwei Meter groß und 130 Kilogramm schwer. Jo’Rhy’Dav ist von beeindruckender Gestalt. Er ist eine Mischung aus einem Gurrad und einer Kartanin. Seine Eltern waren bekannte Geschäftsleute in der Magellanischen Wolke.
Jo’Rhy macht sich weniger aus dem Kapitalismus und arbeitet lieber als Bauarbeiter. Er findet Spaß daran, Dinge aufzubauen und gründet schließlich eine Baufirma in Cartwheel. Völlig unschuldig wird er verhaftet und 1305 NGZ nach Objursha deportiert, wo er im Juli 1306 NGZ nach einem gescheiterten Fluchtversuch stirbt: Jo’Rhy’Dav schnappt sich die Waffe eines Quarterialen und tötet einige von ihnen, ehe er selbst stirbt. Der mächtige Felide ist ein Freund Joak Cascals.
Rütülly
Der Jülziisch ist 1,87 Meter groß bei 74 Kilogramm Gewicht. Geboren wurde er auf Gatas in der Eastside der Milchstraße. Rütülly zog es im Jahre 1300 NGZ nach Cartwheel – dort wollte er als Komiker sein Geld verdienen, fand aber solidere Arbeit als Lehrer auf Gatasary in Cartwheel.
Während der »Alienkrise« engagiert er sich für die Rechte der Extraterrestrier und wird als Terrorist abgestempelt. Rütülly versteckt sich, wird aber 1305 NGZ entdeckt und nach Carjulstadt gebracht. Anfang 1306 NGZ deportiert man ihn nach Objursha.
Dort setzt er sich wegen seiner humorvollen und liebenswerten Art durch. Er schließt Freundschaft mit Joak Cascal und Jo’Rhy’Dav. Rütülly stirbt im Juli 1306 NGZ nach einem fehlgeschlagenen Fluchtversuch. Er findet einen grausamen und unwürdigen Tod, als er nach langer Folter auf dem eisigen Hof des Lagers erfriert.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2017
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Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 90, veröffentlicht am 16.01.2017 —
Titelillustration: Lothar Bauer • Innenillustrationen: –
Lektorat: Alexandra Trinley • Digitale Formate: René Spreer