Was bisher geschah | Hauptpersonen des Romans |
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Wir schreiben den November des Jahres 1305 NGZ. Seit Anfang des Jahres tobt ein Krieg in den estartischen Galaxien, der sich im September auch auf die Galaxis Cartwheel ausgeweitet hat: Die Saggittonen und das Quarterium sind in die unselige Auseinandersetzung eingetreten. Während die Saggittonen zusammen mit den Agenten der USO, der Cartwheel-Republik Akon und den einheimischen Estarten eine Allianz zur Befreiung der Föderation Estartu bilden, unterstützt das Quarterium die dorgonischen Invasoren und will dabei selbst ein großes Stück vom Kuchen abhaben. Die ersten Schlachten verlaufen zugunsten des Quarteriums. Die Soldaten aus Cartwheel eilen von Sieg zu Sieg und verbreiten Terror und Schrecken unter den nichtmenschlichen Völkern. Währenddessen suchen die Alliierten nach Hilfe und wollen mehr über den Verbleib der Superintelligenz ESTARTU in Erfahrung bringen. Ihr Weg führt sie nach ETUSTAR … |
Jonathan Andrews – Der Ritterschüler muss auf Etustar Schweres ertragen. Gal’Arn und Elyn – Sie wollen die Animateure um Hilfe bitten. Sorosh – Der Anführer der Animateure. Gregor McThott – Ein brutaler CIP-Kommandeur. Krosta Korokhan, Dynüöl Cüppüblöök, Zarolyne Axx, Thontor Smitt und Varnar Wendom – Pseudostars im Dschungel von Etustar. Leticron – Der Corun von Paricza will die Rebellen zerschlagen. Cauthon Despair – Der Silberne Ritter jagt Parder. |
1. Artenbestandsregulierung
Es wurde ruhiger in Kamran. Nur noch vereinzelte Kämpfe fanden zwischen den Quarterialen und den Rebellen statt. Cauthon Despair war mit den Leistungen seiner Soldaten zufrieden. Sie hatten die Rebellen in einer entscheidenden Schlacht besiegt.
Schwarzer und weißer Rauch stieg aus der Stadt empor. Shiftpanzer schwebten surrend an Ruinen der vogelnestartigen Hochhäuser vorbei, auf der Suche nach Rebellen.
Die Eroberung der somerischen Welt Beschryr war so gut wie abgeschlossen. Die Station der estartischen Widerständler und ihrer Verbündeten – der United Stars Organisation und Saggittonen – war zerstört.
Zwei Supremo-Raumschiffe Typ 100 Meter Kreuzer landeten unweit von Despair auf einem Raumhafen. Der Silberne Ritter beobachtete die Szene. Wenige Sekunden nach der Landung stieß ein grünes Licht aus dem Rumpf auf den Boden. Dutzende Soldaten schwebten in Richtung Oberfläche. Ihre Aufgabe war es, die Stadt zu sichern, Präsenz zu zeigen, damit der Widerstand der Einheimischen im Keim erstickt wurde.
Die silberne Rüstung, die Cauthon Despair seit seiner schweren Verwundung tragen musste, gleißte im schwachen Sonnenlicht des bedeckten Himmels. Der Silberne Ritter widmete sich dem Somer, der ängstlich zwischen den hochgewachsenen Sicherheitsbeamten stand.
»Sie haben dem Quarterium gut gedient, Shantron Hama.«
Hama senkte den Kopf. Despair fand es amüsant, dass der Somer Gewissensbisse zu haben schien. Dabei war sein Schicksal bereits entschieden. Sobald Stevan da Reych mit der Artenbestandsregulierung auf Beschryr beginnen würde, würden alle Hamas in ein Entsorgungslager deportiert werden. So wie die übrigen Rebellen.
Der Somer hoffte wohl, das Leben seiner Kinder zu retten, wenn er dem Quarterium das Versteck der Rebellen nannte. Despair bezweifelte, dass da Reych Gnade walten lassen würde. Es war ihm aber auch egal. Das Leben des Somers und seiner Familie waren unbedeutend. Warum sollten sie leben? Myrielle war tot. Ermordet von den feigen Rebellen. Sie sollten alle dafür büßen. Er ballte die Fäuste.
Despair bedauerte, dass die Anführer Scorbit, Torrinos und Tyler entkommen konnten.
Alcanar Benington trat an den Silbernen Ritter heran. Der Generaloberst hatte sein übliches Grinsen aufgelegt. Zweifellos war er stolz auf seine eigenen Leistungen und erwartete ein Lob.
»Sir, wir haben 7.800 Gefangene gemacht. Die meisten sind Pterus und Somer, aber wir haben auch ein paar USO-Agenten.«
»Sehr gut, General-Oberst! Sie und Ihre Männer haben vorzügliche Arbeit geleistet.«
»Wir haben sogar den Anführer der Organisation STALKER gefangen nehmen können, Sir«, berichtete Benington stolz. »Er hatte zwar versucht, sich zu töten, doch wir haben es verhindert.«
»Bringen Sie ihn zu mir.«
Benington salutierte und winkte zwei Soldaten herbei. Despair kannte den Einen. Er hieß Ash Berger: Ein Terraner aus Berlin, ein Bankkaufmann, den es nach Cartwheel und ins Soldatendasein verschlagen hatte. Ein fähiger Mann.
»Waren diese beiden Männer an der Ergreifung beteiligt?«, wollte Despair wissen.
»Ja, Sir. Sergeant Berger und Unteroffizier Nakkhole haben Rachorn alleine gefangen«, erklärte Benington. »Sie stammen aus Oberst Linkers XXXII. SHIFT-Division. Eine sehr fähige Truppe, Sir. Sie haben auch Hama zu uns gebracht.«
Despair stellte sich vor die drei. Rachorn war gefesselt. Seine klaffenden Wunden hatte niemand behandelt. Wozu auch. Despair befahl zwei anderen Soldaten, den Pterus zu bewachen.
»Sie haben tapfer gekämpft«, wandte Despair sich an Berger und Nakkhole, ohne den Gefangenen aus den Augen zu lassen. »Mit Ihren Siegen haben Sie die Menschen gerächt, die uns von den Rebellen genommen wurden.«
Ash Bergers graugrüne Augen trafen die blauen Augen seines Kameraden. Es bedurfte keiner Worte. Beide wussten, an welchen speziellen Menschen sie dachten: Myrielle Gatto. Despair trauerte noch immer aus tiefstem Herzen um sie.
»Sergeant Berger, ich befördere Sie zum Korporal. Unteroffizier Nakkhole, Sie sind ab sofort Sergeant.«
»Danke, Sir«, riefen beide Geehrten gleichzeitig.
»Wegtreten!«, befahl Despair.
Nun wandte er sich dem gefangenen Feind zu: dem Pterus Rachorn. Er war der Anführer der Rebellen, hatte wahrscheinlich den Befehl zum Legen der Minen selbst gegeben.
Despair packte die knochige Echse an der Kehle und drückte zu. Rachorn wollte sich wehren, doch er hatte keine Chance gegen die stählernen Pranken des Silbernen Ritters. Mit aller Kraft presste Despair den Hals seines Feindes zusammen, bis er das Knacken des Genicks hörte. Dann ließ er den schlaff gewordenen Reptilienkörper los. Der sackte zu Boden.
Das war für Myrielle!
»Das verstieß gegen die Konventionen des Galaktikums«, meinte Benington gedehnt. Doch er grinste anerkennend und spuckte auf den Leichnam des Pterus.
»Es wird heute noch mehr Verstöße geben. Der General-Kommandeur wünscht Sie zu sprechen. Wir treffen uns in einer Stunde auf der EL CID.«
*
Despair wanderte im Raum umher, während Stevan da Reych, Erich Village, Alcanar Benington und Floryn Alunatuk am Tisch saßen und sich mit Kaffee und Kuchen vollstopften. Endlich betrat der letzte Teilnehmer der Besprechung, Uwahn Jenmuhs, den Raum.
»Beschryr ist in unserer Hand«, begann Despair, noch bevor Jenmuhs sich setzen konnte. Er war es leid, ständig auf diesen Fettwanst warten zu müssen. »Paxus wünscht die Errichtung eines Entsorgungslagers auf Beschryr. Floryn Alunatuk wird Lagerkommandant werden. Das Militär wird sich bei den folgenden Maßnahmen zurückhalten. Die CIP-Sonderabteilung Zwei nimmt sich der ABR an.«
Despair gab da Reych einen Wink. Der General-Kommandeur stand auf und zeigte auf einer holografischen Projektion den Standort des geplanten Lagers.
»Das EL Beschryr wird zehn Kilometer von Kamran errichtet werden. Dort befinden sich alte Militäranlagen Beschryrs, die wohl noch aus der Zeit der Ewigen Krieger stammen. Wir haben genügend hiesige Arbeitskräfte, um die Anlage wieder in Schuss zu bringen. Konverter aus Cartwheel sind bereits angefordert.«
»Wie kann Ihnen das Militär dabei zur Seite stehen?«, fragte Benington enthusiastisch.
»Nun, eigentlich kaum. Je weniger vom Einsatz der ABR wissen, desto besser. Jedoch benötigen wir zur endgültigen Säuberung von Beschryr 2.000 Mann Verstärkung für die Sonderabteilung.«
»Endgültige Säuberung?«, hakte Despair nach. Rachorn war tot. Scorbit und die anderen geflohen. Worin bestand die Notwendigkeit einer weiteren Säuberungsaktion?
Nun mischte sich Jenmuhs ein. Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und stopfte sich ein großes Stück Kuchen in den Rachen. Begleitet wurde das unansehnliche Szenario von undefinierbaren Lauten. Als Jenmuhs endlich heruntergeschluckt hatte, wischte er sich die klebrigen Krümel vom Mund und blickte in die Runde.
»Wir sind der Meinung, dass immer noch subversive Elemente den Bau des Entsorgungslagers stören könnten. Deshalb wollen wir potentielle Gefahrenherde gleich im Vorfeld ausmerzen.«
»Und wie?«, wollte Despair wissen.
»Exekution durch Erschießung. Wir haben eine nette Schlucht ausgesucht.
Etwa 140.000 Bewohner des Planeten, inklusive aller Gefangenen, sollen hingerichtet werden.«
Despair glaubte sich verhört zu haben. In einer geplanten Aktion 140.000 Lebewesen ermorden? Als potentielle Gefahrenherde? Selbst der Sohn des Chaos brauchte eine Weile, um das zu verarbeiten. Der Kampf gegen feindliche Soldaten war eine Sache, die Ermordung von Zivilisten und Kriegsgefangenen eine andere.
»Finden Sie die Zahl nicht etwas hoch gegriffen?«, fragte der Silberne Ritter vorsichtig nach.
»Nein, gar nicht. Sie zeugt von der Mildtätigkeit des Quarteriums. Wir könnten mühelos die doppelte Anzahl an Verrätern auslöschen.«
»Ich bin dagegen«, wies Despair ihn schroff ab. »Das ist Mord und des Quarteriums unwürdig.«
»Despair, Sie verkennen die Lage. Paxus befürwortet diese Operation. Der Corun und Torsor sind ganz meiner Meinung. Sie müssen diesen Befehl akzeptieren.«
Despair ballte die Fäuste. Der Drang, auch Jenmuhs Hals zu packen und das Leben aus diesem feisten Molch herauszuwürgen, drohte ihn zu überwältigen. Doch er durfte Paxus' Befehl nicht in Frage stellen.
Er hatte keine Rückendeckung. Weder von Paxus noch von MODROR. Der Entität waren die 140.000 Leben egal. MODROR würde nicht verstehen, wenn sein Sohn des Chaos die Allianz des Bundes der Vier wegen unbedeutenden Lebewesen aufs Spiel setzte, auch wenn es 140.000 waren.
»Wenn dem so ist …« Despair hatte Mühe sich zu beherrschen. »Wann soll die Operation durchgeführt werden?«
»In einer Woche«, antwortete Jenmuhs.
Nun wandte er sich wieder dem Kaffee und dem Kuchen zu. Gierig schlang er ein zweites Stück in sich hinein. Stevan da Reych sah ihm angewidert zu. Despair erinnerte sich, dass da Reych es hasste, jemanden beim Essen zuschauen zu müssen. Das war ein jahrtausendealter Spleen der Arkoniden. Viele zogen es vor, alleine zu speisen, da sie es für unschicklich hielten, mit jemand zu dinieren, der kaute, schmatzte und schlürfte. Ihre Gesellschaft beim Essen war handverlesen. Reychs Gesichtsausdruck zeigte nackten Ekel.
»Generaloberst«, sagte da Reych. »Bitte suchen Sie 2.000 absolut loyale Männer für die Operation aus. Die Sonderabteilung hat höchste Priorität.«
»Ja, Sir.«
Benington salutierte. Und grinste wieder. Despair hasste dieses fiese Grinsen des Generaloberst. Zweifellos gehörte Benington zu seinen treuesten und besten Soldaten, doch leiden konnte Despair ihn absolut nicht.
Trotzdem – alles war gesagt. Cauthon verabschiedete sich von den anderen und begab sich in seine Kabine. Dort setzte er sich vor den Rechner und fragte ihn nach allen Daten über Myrielle Gatto ab.
Auf dem Bildschirm erschien ein Foto der verstorbenen Schönheit. Despair speicherte es ab. Ein Erinnerungsstück an eine Frau, die er von Herzen gern näher kennen gelernt hätte, deren Tod ihn in Verzweiflung stürzte.
*
Ash Berger parkte den Gleiter direkt vor dem Gutshaus. Es war sein letzter Dienst für Major Henner von Herker. Der Soldat verstand nicht, warum ausgerechnet er seinen Vorgesetzten bei dieser Verhaftung begleiten sollte. Berger hatte gehofft, nie wieder diesen Hof betreten zu müssen. Hier hatte Marko Schutter sein Leben gelassen. Getötet von einem jungen Somer, der die Besatzer hasste und verachtete. Welcher normale Mensch verübelte ihm das?
Welches Recht hatte das Quarterium, zusammen mit dem Kaiserreich Dorgon die estartischen Galaxien zu besetzen?
»Niemand zu sehen«, meinte Henner.
Von Herker musste in diesen Tagen unglaublich stolz sein. Er richtete seine neue, schwarze Uniform und rückte die Armbinde mit dem Zeichen der Sonderabteilung ABR der CIP zurecht. Eins-C-Eins auf Interkosmo waren die Symbole darauf. Keiner der einfachen Soldaten wusste, was die Männer der ABR machten. Ash wollte es gar nicht wissen, es interessierte ihn nicht. Im Grunde war er froh, dass Henner von Herker die Division verließ, auch wenn Ace Blacktree als neuer Nachfolger nicht unbedingt die beste Auswahl war.
Blacktree wurde deshalb sogar zum Captain befördert. Eine Ehre, die er eigentlich gar nicht verdient hatte. Aber so spielte das Leben.
Ash und von Herker stiegen aus.
»Waffe ziehen!«, forderte von Herker.
Berger sah ihn missmutig an und befolgte den Befehl. Beide gingen zum Hauseingang. Die Tür öffnete sich und Shantron Hama starrte die beiden Offiziere an.
»Shantron Hama«, begann von Herker unfreundlich. »Sie und Ihre Familie sind der Konspiration mit den Rebellen überführt. Sie werden vorläufig in Gewahrsam genommen werden. Packen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit. In Kürze wird ein Transporter hier eintreffen.«
Dem Offizier schien das Ganze Spaß zu machen. In diesem Moment zerstörte er das Leben des Somers, doch es kümmerte ihn nicht. Offenbar genoss von Herker sogar noch diese Macht über andere. Ash Berger konnte dem Somer nicht in die Augen sehen.
»Aber … aber …«, stotterte Hama.
»Aber was?«, brüllte von Herker los.
»Meine Kinder? Frod …«
»Ja? Reden Sie verständlich, Mann!«
»Die Eier sind noch nicht geschlüpft. Ary muss hier bleiben, damit die Kinder schlüpfen!«
Henner stemmte die Arme in die Hüfte. In diesem Moment erreichte der Transporter den Hof. Einige Soldaten stiegen mit gezogenen Waffen aus und verteilten sich.
»Gefreiter, kommen Sie mit«, forderte von Herker einen von ihnen auf. »Ash, warte im Gleiter auf mich.«
Berger kam das nicht geheuer vor. Doch er musste die Befehle des Majors ausführen. Er ließ sich möglichst viel Zeit beim Zurückgehen und beobachtete das Gewächshaus. Von Herker und der Gefreite schlugen Shantron Hama nieder. Berger wollte loslaufen, hielt aber inne. Es hätte ihn selbst das Leben gekostet. Die Männer gingen hinein. Durch die durchsichtigen Scheiben konnte Ash alles sehen. Henner nahm sein Gewehr und zerhämmerte mit dem Lauf die Eier. Berger schloss die Augen, wandte sich ab und verdammte seine eigene Feigheit.
Nach einer Weile kamen Henner von Herker mit den Hamas zurück. Shantron, Ary und Frod trugen Energieschellen. Sie wurden in den Transporter geschubst. Berger beobachtete die drei Somer. Hama wirkte gebrochen, Ary weinte fürchterlich und Frod beschimpfte die Soldaten.
Im Transporter hockten noch andere verängstigte Somer und Pterus, wahrscheinlich von anderen Siedlungen.
»Was wird aus ihnen?«, fragte Ash.
Henner glotzte ihn grinsend an.
»Resozialisierung. Wir nennen das Entsorgung der Feinde. Sie werden entsorgt und zu Bürgern des Quarteriums gemacht. Mehr hat dich nicht zu interessieren.«
Natürlich, du Arschloch, dachte Berger.
»Hier trennen sich unsere Wege, Ash. Viel Glück für die Zukunft.«
Henner reichte ihm die Hand. Berger wünschte von Herker alles erdenkliche Pech. Er ergriff kurz die Hand, stieg dann in den Gleiter und fuhr los. Auf der Heckholographie sah er noch, wie von Herker auf der Beifahrerseite des Transporters einstieg. Dann flog auch dieser Gleiter los. Doch die verstörten Gesichter der Hamas blieben vor seinem inneren Auge stehen.
Ash glaubte Henner von Herker kein Wort. Warum hatte er die Eier zerstört? Von Herker hatte die ungeborenen Kinder getötet. Was für eine Sonderabteilung war das denn? Ash grübelte, was sich hinter dem Begriff Artenbestandsregulierung verbarg. Zugleich wünschte er sich, nie Näheres darüber erfahren zu müssen.
*
Uwahn Jenmuhs blickte sich um. Eine idyllische, ländliche Gegend. Er fand es eigentlich recht nett hier. Ringsherum Wald, so weit das Auge blickte. Nur kleine Pfade führten zu dieser entlegenen Schlucht. Vor ihm gaben General-Kommandeur Stevan da Reych und Bezirks-Kommandeur Floryn Alunatuk den Schützenstellungen die letzten Anweisungen. Auf einer Linie von rund zweihundert Metern waren in einem Abstand von gerade mal einem Meter Schnellfeuergewehre aufgestellt worden. Roboter hoben Senken in Schussrichtung aus.
Jenmuhs beobachtete Erich Village, der immer wieder hektisch auf das Chronometer blickte.
»Die erste Runde?«, fragte Jenmuhs.
Er wollte den Grünschnabel etwas einschüchtern. Jenmuhs hatte sofort bemerkt, dass Erich Village ein Schreibtischmann war, nicht ein Mann der Front. Der hochgewachsene Terraner war noch blasser als sonst.
»Ich … ja, Gos’Shekur …«
Jenmuhs lachte. Das war auch wirklich köstlich. Genau genommen war es für ihn auch das erste Mal. Die erste Massenerschießung. Aber das erste Mal war bekanntlich immer am schönsten. Der Beginn von etwas Neuem. Er freute sich darauf.
Es bereitete ihm auch keine Kopfschmerzen, dass die Soldaten der CIP-Sonderabteilung im Begriff waren, mehr als einhunderttausend Lebewesen auszulöschen. Für ihn war jeder von ihnen ein Ritter. Es gab heroische Ritter in jeder Mythologie, sowohl in der terranischen als natürlich auch in der arkonidischen.
Bei den Terranern nannte man sie Kreuzritter, die Tapferen, die den primitiven Wesen den Segen der Zivilisation brachten. Bei den Arkoniden nannte man sie Dagorista. Die Dagorista waren 3100 da Ark gegründet worden und lebten nach den Zwölf Ehernen Prinzipien.
Hier konnten die Soldaten ihre Entschlossenheit, ihre Reinheit unter Beweis stellen. Sicher kostete es den einen oder anderen Überwindung. Das war der innere Schweinehund, den sie überwinden mussten. Ohne mit der Wimper zu zucken zu töten, was schlecht oder schädlich war, das machte den Elitekämpfer aus, der würdig war, die Ehre des Quarteriums auf sein Banner zu schreiben und hochzuhalten.
»Zhdopanthi, alle Vorkehrungen sind getroffen«, meldete Stevan da Reych. Er nahm die Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Häftlinge sind auf dem Weg, wir sollten sie bald sehen …«
Jenmuhs zeigte seine Freude nicht offen: Er musste streng und über alles erhaben wirken. So wie es sich für einen Arkoniden in seiner Position gehörte. Doch er benötigte alle Disziplin, die er aufbringen konnte, um seine freudige Erwartung zu verbergen.
Da kamen die Verhafteten an: trostlos, traurig, gebrochen. Jenmuhs musterte sie. Somer, Pterus und Ophaler jeden Alters, jeden Geschlechtes.
»Sie wehren sich ja gar nicht«, wunderte sich Erich Village. »Wie gedoptes Gemüse.«
Jenmuhs schmunzelte über den Vergleich. Endlich hatte Village mal etwas Humor gezeigt. Die Häftlinge gingen an Jenmuhs vorbei. Einige starrten ihn aus trüben Augen an. Die meisten hielten den Kopf gesenkt. Überall waren Soldaten, die sie vorwärts trieben wie dumpfes Vieh. Im Grunde genommen waren sie auch nichts anderes, das sah man ihnen deutlich an. Vögel, Echsen und irgendwelche Fabelkreaturen. Unwertes Leben war das, überlegte Jenmuhs. Nur der Mensch war zu Höherem geboren. Er war die Krone der Schöpfung. Deshalb musste der Artenbestand der Exoten reguliert werden. So einfach war das.
Die Vorherrschaft der Menschen zu sichern, war eine göttliche Mission in Jenmuhs Augen. Und er war ihr Leiter. Jenmuhs sah sich als einen Vretatou, einen mystischen Retter aus der arkonidischen Sagenwelt. Als Beschützer der arkonidisch-lemurischen Zivilisation.
Ein kleiner Somer brach aus der langen Schlange aus und rannte auf Jenmuhs zu. Schreiend griff er den Gos’Shekur an, schlug mit den Fäusten auf ihn ein, doch ein Major packte den Somer am Hals und stieß ihn zu Boden.
»Nein, bitte nicht«, rief ein anderer Somer. Er verließ ebenfalls die Schlange, rannte auf ihn zu und warf sich schützend über den Jungen.
Jenmuhs betrachtete sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Verachtung. Warum versuchte der Mann den Jungen zu schützen? Sie würden sowieso bald genug sterben.
»Das ist übrigens der Informant«, sagte der Major. »Shantron Hama. Der kleine Mistkerl ist sein Sohn Frod. Er hat einen von unseren Leuten ermordet.«
Fragend sah Jenmuhs den Major an, der sich stramm vor ihm aufbaute.
»Major Henner von Herker, edler Gos’Shekur. Ich wurde von der XIII. SHIFT-Division zur CIP-Sonderabteilung abkommandiert.«
»Aha«, machte Jenmuhs und lief um von Herker herum. »Macht Ihnen die Ausübung Ihrer Tätigkeit Spaß?«
Der Major fing an zu grinsen.
»Ich sehe es als göttliche Berufung, die Zivilisation der Menschheit vor dem Übergriff von schädlichen Kreaturen zu bewahren, Gos’Shekur.«
Jenmuhs tätschelte Henner von Herkers Schulter.
»Guter Mann, guter Mann.«
Dann widmete er sich dem am Boden liegenden Somer. Er trat auf Shantron Hama ein und spuckte in sein Gefieder.
»Schaffen Sie die beiden weg. Sollen sie doch zusammen sterben.«
Henner von Herker salutierte. Auf seinen Wink hin zogen Soldaten Vater und Sohn hoch und drängten sie wieder zurück in die Reihe.
»Gos’Shekur, die ersten sind soweit. Darf ich bitten?«
Da Reych führte Jenmuhs zu den Schützenstellungen. Zehn Meter vor den Schnellfeuergewehren standen zwei Reihen Gefangener auf der Schräge. Die hintere Reihe stand nahe am Abgrund. Sie waren dicht aneinandergedrängt und kehrten den Schützen den Rücken zu. Jenmuhs schätzte, dass es etwa 400 Wesen waren. Die Angst umgab sie wie unappetitlicher Dunst. Ihn ekelte. Sie hatten es verdient, ausgelöscht zu werden.
Es wurde ruhig. Da Reych stellte sich neben die Stellungen.
»Achtung!«, rief er. »Entsichern!« Hundert Soldaten befolgten seine Befehle. Er atmete tief durch. »Und Feuer!«, schrie er.
Die Energiesalven der 100 Schnellfeuergewehrstellungen knatterten. Abgehackte Aufschreie, zuckende, fallende Körper, dann war es wieder ruhig. Jenmuhs hörte ihren Aufprall. Das Geräusch erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Soldaten schoben einige am Rand liegende Körper mit Tritten in die Schlucht. Dann wurden die nächsten Häftlinge aufgestellt. Diesmal herrschte Unruhe. Es waren Familien dabei. Jenmuhs bemerkte das Wimmern und Klagen der Opfer. Mütter versuchten, ihre Kinder zu trösten.
»Feuer!«
Die nächste Salve metzelte alle nieder. Sie fielen auf den Boden, auf die liegenden toten Körper oder rollten in den Abgrund. Befehle erklangen. Die nächsten Häftlinge wurden gezwungen, die Leichen in die Schlucht hinunterzuschieben, bis die Rampe wieder frei war. Dann waren sie an der Reihe und mussten sich aufstellen.
»Feuer!«
Die tödlichen Energiesalven durchsiebten die Somer, Pterus und Ophaler. Töteten jeden Einzelnen von ihnen. Nun waren tausendzweihundert Leben ausgelöscht. Oder doch nicht? Seufzen und leises Stöhnen drang aus den Leichenhaufen. Da Reych lief aufgebracht hin.
»Da leben noch welche!«
Er winkte zwei Offiziere zu sich. Sie sprangen zu den Erschossenen hinunter, liefen über die Leichenberge und fanden die Quelle der Geräusche. Da Reych nahm seinen Strahler und drückte ab, mehrere Male. Dann stieg er wieder hoch und befahl, die nächsten Häftlinge aufzustellen. Wieder mussten sie erst Platz schaffen.
Jenmuhs betrachtete sie genauer. Drei Ophaler summten ein melancholisches Lied. Ein Somer wollte weglaufen. Er kam gerade mal fünf Meter weit. Ein Soldat schoss ihm direkt in den Nacken.
Da Reych gab den Befehl zum Feuern. Mühsam riss er sich vom Anblick der Erschossenen los und drehte sich um. Die noch Lebenden weinten laut, beteten, sangen Oden an das Jenseits. Sie bereiteten sich auf ihr Ende vor, jeder auf seine Weise. Andere saßen stumm herum und warteten, bis sie an der Reihe waren.
Uwahn Jenmuhs fielen die drei Somer auf. Es waren die Hamas. Sie wurden in die zweite Reihe aufgestellt. Shantron nahm seine Frau und sein Kind in den Arm. Sie drückten ihre Körper fest aneinander.
»Halt!«, rief Major von Herker.
Er rannte zu da Reych und flüsterte ihm etwas zu. Jenmuhs wurde ungeduldig. Er wollte die Somerfamilie tot sehen. Warum ging es nicht weiter? Gereizt ging er ebenfalls zu da Reych.
»Dort liegen zu viele Tote herum. Wir müssen sie in den Abgrund schieben. Das dauert alles zu lang«, erklärte da Reych. »Major, nehmen Sie sich ein paar Mann und desintegrieren Sie die Leichen.«
Die Hamas und die anderen Wesen wurden wieder zurückgedrängt. Ein Dutzend Soldaten desintegrierten die Erschossenen. Dann ging es weiter. Jenmuhs hielt nach den Hamas Ausschau. Doch er konnte sie nicht ausmachen.
»Feuer!«, rief da Reych.
Wieder eine Woge zusammenbrechender Körper. Ein paar bewegten sich noch. Major von Herker und seine Leute schossen ihnen mit Handwaffen, Nadlerstrahler, in den Kopf. Ein Gefreiter benötigte ganze drei Schüsse für einen Pterus. Jenmuhs ärgerte sich über die Verschwendung von Munition.
Überhaupt wirkte das alles wenig effektiv. Wieso desintegrierte man die nicht sofort? Dann fielen mehrere Arbeitsgänge weg. Ein Desintegrator war sauberer und überdies schneller. Und Härte hatten die Soldaten genug gezeigt. Die nächste Feuertaufe kam sowieso auf sie zu. Er war sich bewusst, dass solche Exekutionen die Moral des Soldaten schmälern konnte.
Die Leichen wurden in die Schlucht geschoben und schon wurde die nächste Reihe aufgestellt. Dort waren auch die Hamas. Sie hielten sich umschlungen, weinten und klagten. Nur der junge Frod war ruhig. Er schaute seinen Vater und seine Mutter an. Schmiegte seinen Körper an die ihren.
Stille!
Da Reych öffnete den Mund.
»Feuer …«
Die Energiesalven fegten die Wesen nieder. Sie purzelten die Rampe hinunter. Der Gestank von verbranntem Fleisch, Blut und Urin, der von den Leichen aufstieg, drang in Jenmuhs Nase. Wieder ein Stöhnen aus den Haufen der Toten.
Jenmuhs sah Village an, der kreidebleich war und sich ein Tuch vor Mund und Nase hielt.
»Stopp«, rief Jenmuhs den Schützen zu und wandte sich an Village. »Zeigen Sie einmal, wie loyal Sie sind. Eliminieren Sie die Überlebenden.«
»Was? Ich?«
Village war schockiert. Jenmuhs triumphierte darüber. Er merkte, dass nun auch Stevan da Reych und Floryn Alunatuk den Terraner erwartungsvoll ansahen.
»Oder sind Sie ein Feigling? Haben Sie dem Quarterium nicht absolute Treue geschworen?«
Village zitterte am ganzen Körper. Er brauchte eine Weile, bis er den Strahler aus seinem Halfter gezogen hatte. Mit schweren Schritten ging er zur Rampe. Jenmuhs trottete hinterher. Er schaute auf die Leichen, ignorierte klaffende Wunden, abgetrennte Körperteile und den beißenden Gestank aufgerissener Innereien. Aus einem Haufen Erschossener hob sich ein blutiger Flügel. Der junge Somer, der aufstehen wollte, war Frod Hama. Jenmuhs war über diese Fügung des Schicksals entzückt.
»Erschießen Sie ihn«, forderte er.
Village sah ihn entsetzt an. Schweißperlen bildeten sich auf seiner kalkweißen Stirn. Er ging einige Schritte weiter und blieb neben Frod Hama stehen. Unsicher blickte er zu Jenmuhs und da Reych.
»Das ist ein Befehl«, rief Jenmuhs.
Village wankte. Der Offizier vermutete, dass er jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. Doch er blieb auf wackligen Füßen stehen, richtete die Waffe auf Frod Hama und drückte ab. Nichts!
Die Offiziere fingen an zu lachen, während der Somer angestrengt versuchte, sich zu befreien. Sein Gefieder war durchtränkt von Blut, er selbst anscheinend unverletzt. Er steckte zwischen den Körpern fest, konnte nicht vor und nicht zurück.
»Ich würde die Waffe entsichern«, riet da Reych. Er war sichtlich amüsiert. Jenmuhs hatte den steifen Arkoniden selten so vergnügt gesehen. Villages Auftritt lockerte die etwas angespannte Stimmung immens, fand Jenmuhs.
Der junge Mann entsicherte die Waffe und richtete sie erneut auf Frod, der mit trüben Augen in die Mündung des Laufes blickte. Erich Village zitterte am ganzen Körper. Sein Zeigefinger krümmte sich, erreichte den Abzug der Waffe, drückte ihn langsam zu sich. Dann löste sich der Schuss.
Der Energieblitz zerschmetterte Frod Hamas Kopf. Das Blut spritzte in alle Richtungen, auch auf Villages Uniform. Er senkte die Waffe, steckte sie langsam in das Halfter und verließ die Grube. Beinahe wäre er gestolpert. Er blieb vor Jenmuhs und da Reych stehen.
»Bitte … mich … abmelden zu …«
Weiter kam er nicht. Er krümmte sich und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht direkt vor die Füße seiner Vorgesetzten zu erbrechen. Dann rannte er fort, begleitet von schallendem Gelächter der Offiziere.
Jenmuhs stimmte in das Lachen mit ein. Der tote Somer interessierte ihn überhaupt nicht. Er verschwendete keinen Gedanken daran. Doch plötzlich wurde er müde, gähnte laut.
»Wissen Sie, da Reych, das ist ja alles sehr interessant, aber auch sehr langwierig. Und nicht effektiv. Die Lösung mit den Konverterhallen sind viel effizienter.«
»Nun, da haben Sie recht, Gos’Shekur. Doch diese Mittel stehen uns hier leider noch nicht zur Verfügung. Wir müssen es eben auf die alte, bewährte Weise machen.«
Jenmuhs winkte ab. Warum waren seine Untergebenen so unkreativ? Manchmal hatte er das Gefühl, sie wussten es wirklich nicht besser.
»Ziehen Sie Ihre Männer ab. Die restlichen Häftlinge lassen wir am Sammelplatz stehen. Ein CIP-Kreuzer soll einen Desintegratorbeschuss auf diese Stelle abfeuern und schon ist die Sache erledigt. Kurz und knapp.«
Da Reych befolgte Jenmuhs Anweisungen, der jetzt nur noch ins Bett wollte. Vorher brauchte er aber noch etwas zu essen. Es war ein anstrengender Tag gewesen.
*
Sie beobachtete ihn. Der Terraner kotzte sich aus. Wieder und wieder krümmte er sich und erbrach. Eigentlich kam gar nichts mehr, doch er schien sich gar nicht beruhigen zu können. Der Mann zitterte wie Espenlaub. Die Beobachterin schlich sich langsam an ihn heran. Lautlos wie eine Katze pirschte sie sich an den einen verhassten Feind, der sich diesen entlegenen Platz ausgesucht hatte. Das war sein Verhängnis! Mit einem Satz landete sie vor seinen Füßen. Erschrocken wich er zurück, wollte nach seiner Waffe greifen, doch ihre spitzen Krallen durchtrennten den Gürtel. Die Waffe fiel zu Boden. Als er sich bückte, trat sie ihm ins Gesicht. Village fiel schreiend zu Boden. Sie sprang auf ihn und drückte seine Arme auf den Rasen.
»Der Parder …«
»Die Parder, du blöder Kerl«, fauchte sie. »Was bist du für ein Jammerlappen. Du planst ihren Tod, aber kotzt, wenn du sie selbst töten sollst. Du bist das Letzte!«
»Töte mich nicht«, flehte er.
Nein, wenn sie das wollte, dann wäre er schon Geschichte. Sie hatte andere Pläne. Er sollte ihr helfen. Es wäre leicht gewesen, ihn zu töten. Es wäre auch gerecht gewesen, doch momentan war es noch nicht an der Zeit.
»Jetzt winselst du! Wo war dein Mitleid für den kleinen Somer? Wo war dein Mitgefühl für Anica und Myrielle Gatto?«
»Ich weiß nicht, wovon du redest!«
Parder brüllte und entblößte ihr mächtiges Gebiss. Sie war sich sicher, dass der Anblick ihrer Zähne Eindruck schinden würde.
»Also gut, ja …«, rief er aufgeregt. »Es war Jenmuhs Idee. Er wollte beide töten. Ich sollte sie in den Gleiter locken. Der Rest war ein Kinderspiel.«
Ihre Wut auf diesen elenden Wicht stieg von Sekunde zu Sekunde. Doch sie durfte ihn nicht töten, so sehr sie es sich auch wünschte.
»Bring mich auf die EL CID.«
»Wie soll ich das machen?«
»Lass dir etwas einfallen, sonst fresse ich dich bei lebendigem Leibe. Und ich habe großen Hunger …«
Sie ließ Village los. Langsam rappelte er sich auf und sah sich um. Parder legte den Kopf schräg.
»Nun?«
Village nickte hastig. Während er sich mit zitternden Händen den Mund abwischte und hektisch die Uniform abklopfte, ging er aus dem Wald. Parder folgte ihm wie ein Schatten. Er winkte einen Soldaten herbei.
Village erklärte, er habe einige interessante Baumsorten im Wald gefunden und wollte sie mit der Erde mitnehmen. Er wies ihn an, eine Kiste zu holen. Der Soldat guckte ihn verwundert an, zuckte mit den Schultern und brachte ihm das Gewünschte. Village trug die Kiste zurück in den Wald.
»Gut gemacht«, lobte Parder. Sie stieg in die Kiste. »Und wehe, du verrätst mich.«
Village aktivierte den Antigrav und schob die Kiste in Richtung seiner Kameraden.
*
»Nun, Sie wollten mich sprechen?« Despair war ungehalten über die Störung. Doch Erich Village schien sein Anliegen wichtig zu sein. Sichtlich triumphierend befahl er zwei Soldaten, eine Kiste in Despairs Gemach zu bringen.
»Ich habe den Parder!«
Village öffnete das Schloss und hob den Deckel der Kiste. Despair sah nur Erde darin. Villages Kinnlade fiel herunter. Er blickte Despair irritiert an und suchte nach Worten.
»Aber … ich habe sie auf Beschryr in die Kiste gelockt und sie auf dem Transporter verschlossen …«
»Sie ist Teleporterin, Sie Narr!«, entgegnete Despair. »Und nun verschwinden Sie! Bevor Sie jedoch gehen, informieren Sie Jenmuhs, dass ich nach Som aufbreche. Kaiser Commanus erwartet mich dort. Wenn es dem Gos’Shekur beliebt, kann er mich begleiten, ansonsten soll er mit Ihnen und da Reych auf der ARKON nach Som-Ussad reisen.«
Village nickte und verließ Despairs Kabine. Cauthon befahl den beiden Soldaten, die Kiste wieder mitzunehmen. Es beunruhigte ihn, dass die Parder auf Beschryr war. Sie musste sich an Bord der EL CID selbstständig gemacht haben. Und jetzt befand sie sich mit Sicherheit auch wieder auf dem Flaggschiff des Quarteriums. Village war ein Idiot.
Despair blickte aus dem Fenster. Die EL CID verließ den Orbit Beschryrs. Dort unten war nicht nur Myrielle Gatto gestorben. Dort hatten auch viele Soldaten ihr Leben gelassen. Und viele unschuldige Zivilisten. Beschryr war ein Grab und es würde noch mehr Tote dort geben.
Es war auch das Grab multikulturellen Zusammenlebens. Auf Beschryr hatte die Artenbestandsregulierung in Estartu ihren Anfang genommen.
2. Die Welt ESTARTUs
Die Welt einer Superintelligenz lag vor ihnen.
Etustar wirkte auf die Betrachter idyllisch, fast wie ein Paradies. Der einzige Kontinent war von dichter Vegetation bedeckt. Es existierten keine größeren Bodenerhebungen: Sanft geschwungene Hügelketten erstreckten sich vom Zentrum der Landmasse aus wellenförmig bis zu den Küsten.
War es in dem Sinne nicht auch ein Paradies? Das Paradies, der Garten Eden oder wie immer es auch religiöse Wesen nannten. Schon seit der Zeit der Ewigen Krieger: Etustar, der Sitz ESTARTUs – ihrer Göttin. Sicherlich hatten die estartischen Völker den Unterschied zwischen göttlichem Aberglauben und der wissenschaftlichen Erklärung einer Superintelligenz damals schon gekannt, doch die Liebe, mit der sie ESTARTUs Macht und Größe erfüllte und ihre Verehrung glich der eines Gottes.
Die Ewigen Krieger waren die Engel oder die Apostel der Superintelligenz gewesen. Umso tragischer für die Somer, Elfahder, Pterus und Ophaler, dass es sich alles um einen Trugschluss, eine Intrige der Animateure gehandelt hatte.
Jonathan Andrews hatte bei den Schulungen aufgepasst, als es um die Geschichte dieser Galaxien ging. Sie faszinierte ihn. Er rief sich die Daten von Etustar noch einmal ins Gedächtnis, jetzt da der Planet direkt vor ihnen lag.
Etustar, der Sitz ESTARTUs, war der einzige Planet der sogenannten Grünen Sonne im Zentrum der Überlappungszone von Absantha-Gom und Absantha-Schad. Der Äquatordurchmesser lag bei 13.150 Kilometern, die Schwerkraft betrug freundliche 1,04 Gravo. In der Regel herrschten mittlere Temperaturen um die 22 Grad Celsius auf der Sauerstoffwelt vor. Die Oberfläche bestand zu drei Fünfteln aus Wasser. Es gab nur eine einzige große, zusammenhängende Landmasse, daneben kleinere Inseln. Alle technischen Anlagen der Animateure und ESTARTUs ruhten unter der Oberfläche dieses Kontinents.
Andrews konnte sie mit den Ortungsgeräten der TERSAL nicht erfassen, was ihn nicht wunderte. Kaum eine Technologie vermochte die Anlagen zu orten.
Sie erstreckten sich unter der gesamten Landmasse und reichten bis in rund zwanzig Kilometer Tiefe. Dort war das Wissen der Superintelligenz ESTARTU gespeichert.
Wegen der paradiesischen Natur und seiner Bedeutung für die verschollene Superintelligenz wurde Etustar als Garten der ESTARTU bezeichnet. Die dort lebenden Pflanzen hießen Eidos, die Tiere Morphe – in Anspielung darauf, dass sie Bewusstseinssplitter ESTARTUs in sich tragen sollten.
Sie ließen Besucher telepathisch wissen, dass sie ESTARTU in sich trugen. Doch das hatte sich als Illusion entpuppt.
Etustar bedeutete so viel wie das Herz und konnte in seiner Bedeutung mit dem Kunstplaneten Wanderer der Superintelligenz ES verglichen werden. Bis zum Ende des Kriegerkults, im 5. Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung, wurde Etustar von den als Gärtnern auftretenden Pterus vom Animateur-Typ verwaltet. Rund 100.000 davon hatten auf dem Planeten gelebt. Überall, selbst in der unbelebten Materie, schien ESTARTU noch zu sein, die Illusion war perfekt gewesen. Auf Etustar wurden in einer besonderen Maschinerie die Sothos geklont, was Roi Danton und Ronald Tekener im September 430 NGZ durch Zerstörung der Anlagen ein für alle Mal abgestellt hatten.
Noch vorhandene, ehemalige Kommunikationsverbindungen zu ESTARTU hatten keine Antworten mehr liefern können. Bis zum Ende ihrer Herrschaft im Jahr 446 NGZ mussten die Ewigen Krieger in Jahrhundertabständen Etustar aufsuchen, um ihr Leben durch eine erneute Zelldusche verlängern zu lassen. Gleichzeitig wurden sie durch die Pterus per Gehirnwäsche wieder neu auf den Permanenten Konflikt eingeschworen. An diese Konditionierung hatten sie danach keine Erinnerung.
Andrews betrachtete die ausgedehnten Landmassen und die begrünten Hügelketten. In der Tat wirkte dieser so geschichtsträchtige Planet paradiesisch.
»Wir landen jetzt«, meldete Jaktar und schlackerte mit seinen Eselsohren herum. »Ob es dort noch zivilisiertes Leben gibt?«
Gal’Arn blickte Andrews und Elyn ebenso fragend an wie sein Orbiter.
»Angeblich leben dort noch einige Animateure, die für die Schandtaten ihrer Ahnen Buße tun«, erklärte Gal’Arn.
»Wir werden es bald herausfinden«, meinte Andrews und setzte sich an die Kontrollen. Zusammen mit Jaktar suchte er einen geeigneten Landeplatz aus. Aus den Augenwinkeln erkannte er Elyns zartes Gesicht. Sie hatte sich neben ihn gesetzt und schien jedes Detail dieses Planeten zu verinnerlichen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Andrews.
Sie blickte ihn aus ihren tiefviolettblauen Augen an.
»Ich weiß nicht. Ich spüre seltsame Dinge an diesem Ort.«
Dann starrte sie wieder auf die näher kommende Welt. Andrews konnte an diesem Planeten nichts Ungewöhnliches finden, abgesehen von seiner paradiesischen Natur. Sanft setzte er die TERSAL auf den Boden herab und war stolz auf seine Flugkünste.
»Lasst uns herausfinden, ob noch jemand zuhause ist«, rief Gal’Arn und schnallte sich seinen Gürtel um, an dem sein goldenes Caritschwert befestigt war. Andrews tat es ihm gleich, obwohl er an der linken Hüfte noch einen Thermostrahler trug. Jaktar konnte den Schwertern wenig abgewinnen und bewaffnete sich mit einem Gewehr, während Elyn ebenfalls ein kurzes, gebogenes Schwert aus Carit an sich nahm.
Andrews wunderte sich manchmal, dass so viele auserwählte Wesen auf primitive Waffen zurückgriffen. Schließlich war man nicht mehr im Mittelalter. Einem Thermogewehr traute er eher als einem Schwert, obgleich er die Künste dieses Kampfes als Ritterschüler erlernen musste. Oftmals hatte er damit seine Probleme gehabt, doch er sah ein, dass ein waschechter Ritter ohne Schwert kein wirklicher Ritter war. Es entsprach dem Credo der Ritter. Und schon aus alten Geschichten wusste Andrews, dass Ritter nun einmal Schwerter trugen.
Die vier stiegen aus und atmeten die reine, frische Luft dieser Welt ein. Elyn lief ein paar Schritte voraus und musterte den dichten Wald aus Nadelbäumen. Andrews betrachtete die hochgewachsenen Bäume, deren Äste majestätisch in die Höhe ragten. Jeder Baum schien so, als habe er ein eigenes Gesicht, eine eigene Identität. Alle wirkten auf den ersten Blick gleich und doch waren sie bei genauerer Betrachtung so vielfältig. So unterschiedlich und doch einträchtig wie die Völkergemeinschaften in einer harmonisierenden galaktischen Gesellschaft.
ESTARTU heißt dich willkommen.
Was war das? Jemand hatte doch gesprochen? Andrews tastete nervös nach seinem Strahler. Bedächtig legte Gal’Arn seine Hand auf die seine und schüttelte den Kopf.
»Das sind die Pflanzen und Tiere. Sie kommunizieren telepathisch mit uns. Sie wollen dir den Eindruck vermitteln, ESTARTU sei in der ganzen Welt.«
»Das ist nicht so, oder?«
Abermals schüttelte Gal’Arn den Kopf.
Sie drangen weiter in den Dschungel vor. Der schmale Waldweg endete und sie mussten über einen mit rotem Laub und braunen Holzsplittern übersäten Boden weitergehen. Andrews stoppte abrupt. Vor ihm baute eine grüne, zehnbeinige Spinne ihr Netz. Er starrte den faustgroßen Arachnoiden an, dann machte er zwei seitliche Schritte und lief daran vorbei.
Der Dschungel war voller Leben. Sie hörten es, sie sahen es und sie spürten es sogar.
»Verfolgen wir eine bestimmte Route?«, wollte Andrews wissen.
»Nein, wir sehen uns erst einmal um«, antwortete Gal’Arn.
3. Die mentale Stimme
Cauthon Despair überwachte die Aktivitäten der Suchmannschaften, die die Parder jagten. Das ominöse Katzenwesen musste sich auf der EL CID aufhalten, nachdem der CIP-Agent Erich Village sie so leichtfertig hatte entkommen lassen. Auf dem gesamten Schiff wurden Parafallen installiert. Sie konnte sich bei dieser Jagd nicht auf ihre parapsychischen Fähigkeiten verlassen.
Die EL CID befand sich auf direktem Kurs nach Som. Despair wollte die dorgonischen Statthalter der Galaxis treffen. Das waren die illustre Mannfrau Elgalar, der verschlagene Legat Falcus und der Oberbefehlshaber der dorgonischen Streitkräfte Vesus. Despair schätzte Vesus als einzigen von diesen ganzen Verrückten. Von Elgalar hatte er nichts Positives gehört. Der Bruder des Kaisers Commanus, welcher jedoch mehr als Frau fühlte und dachte, war für seine sexuellen Ausschweifungen bekannt. Cauthon erinnerte diese traurige Gestalt an den geisteskranken Kaiser Nersonos, jenen wahnsinnigen Regenten Dorgons 1293 NGZ, der sein Reich an den Rand eines Abgrundes gebracht hatte, eher er sich selbst gerichtet hatte, als alles ausweglos gewesen war. Die Dorgonen waren nicht sehr aufgeschlossen. Veränderungen am Körper galten als Sakrileg. Eine Geschlechtsumwandlung war für Elgalar ausgeschlossen. Der Dorgone – formal ein Mann – war an sein Geschlecht gefesselt. Auf Terra wäre das eine Routineoperation gewesen.
All diese Entbehrungen und Identitätsprobleme hatten ganz offenbar an Elgalars Verstand gezehrt.
Despairs Überlegungen wurden vom Aufsummen des Interkoms gestört. Das Gesicht des stellvertretenden Kommandanten, Oberst Tantum, baute sich dreidimensional vor dem Silbernen Ritter auf.
»Sir, wir haben seltsame Meldungen von Beschryr.«
»Definieren Sie die Nachrichten genauer, Oberst!«
Oberst Tantum räusperte verlegen.
»Ominöse Erscheinungen. Ein rotes Wesen erscheint in den Träumen der Soldaten. Andere berichten von …«
Der Offizier lachte, als würde er den Meldungen nicht viel Glauben schenken.
»Wovon, Oberst?«
Despair verlieh seiner Stimme Nachdruck. Der Erste Offizier wurde sofort wieder ernst.
»Die Toten seien auferstanden, Sir. Sowohl Bewohner Beschryrs als auch dort stationierte Soldaten berichten dasselbe. Sie hätten Kontakt mit Toten gehabt.«
So unglaubwürdig diese Meldung war, Despair schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit. Es war unmöglich, dass so viele Wesen gleichzeitig Halluzinationen hatten. Etwas Außergewöhnliches musste auf Beschryr vor sich gehen.
»Die EL CID soll sofort Kurs auf Beschryr nehmen. Informieren Sie Som, dass wir später kommen werden.«
Oberst Tantum salutierte. Doch er beendete die Verbindung nicht.
»Gibt es noch etwas?«, fragte Despair nach.
»Ja, Sir. Der Corun von Paricza möchte sich mit Ihnen treffen. Er hat neue Instruktionen aus Paxus. Er wollte sie Ihnen eigentlich auf Som übermitteln.«
Despair war von der Ankunft Leticrons überrascht. Warum mischte er auch in Estartu mit? Reichten der Silberne Ritter und Uwahn Jenmuhs nicht aus? Anscheinend schien das Vertrauen des Emperadors in einen von ihnen zu schwinden. Vielleicht hatte es auch ganz andere Gründe. Despair wurde neugierig.
»Informieren Sie Leticron, dass wir uns auf Beschryr treffen.«
Cauthon Despair beendete die Verbindung und setzte sich zur inneren Sammlung auf einen breiten Hocker. Er öffnete den Helm und nahm ihn vom Kopf. Es tat gut, die frische Luft zu atmen. Er schloss die Augen, befreite seinen Geist von allen Fragen und Gedanken. Bald fand er sich geistig im Leerraum wieder. Um ihn herum schwebten Millionen Sterne und Galaxien. Dieses Bild beruhigte ihn, stärkte ihn.
Eile dich, um nach Beschryr zu kommen. Erlebe die Wiedergeburt, mein Sohn.
Despair öffnete die Augen. Die Stimme blieb.
Deine Fragen werden dort beantwortet werden. Kehre nach Beschryr zurück und erlebe die Wiedergeburt! Spüre die Macht MODRORs!
Die mentale Stimme gehörte unverkennbar seinem Herrn und Meister. Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass MODROR zu ihm gesprochen hatte. Zweifelte auch er an Despairs Loyalität? Der Silberne Ritter würde die Antwort auf Beschryr finden.
4. Die Dschungelbewohner
Elyn holte ein Ortungsgerät aus ihrer Tasche. Andrews betrachtete es interessiert. Er fragte sich, ob das wieder so eine technische Raffinesse war wie der Ortungsschutz, den sie bei der Befreiung der Mutanten verwendet hatte. Elyn, so schön sie war, stellte ein großes Rätsel für Jonathan Andrews dar.
Viel wussten sie nicht über die Alyske, außer ihren Namen und den ihres Volkes. Angeblich stand sie im Dienste DORGONs. In den letzten Jahren hatte Andrews viele seltsame Wesen von kosmischer Bedeutung kennen gelernt, die immer sehr verschwommen orakelten, statt Informationen zu geben. Langsam hörte er auf, sich darüber zu wundern. Er zündete sich eine Zigarette an und sog genüsslich den Rauch ein.
»Ich orte einige Siedlungen unweit von hier. Sie sind klein, verfügen aber über einen technologisch fortgeschrittenen Standard.«
Elyn sah die beiden Ritter der Tiefe erwartungsvoll an. Andrews warf seinem Meister einen Blick zu. Er musste entscheiden, ob es wohl sinnvoll war, zu diesen Siedlungen zu gehen.
»Dann suchen wir die Bewohner auf. Ich bin gespannt, was für Wesen sich hier angesiedelt haben.« Er richtete seinen Umhang zurecht. »Den Aufzeichnungen der Animateure zufolge gab es keine Bewohner Etustars.«
»Negativ«, meinte Elyn gelassen. »Ich orte Lebensimpulse. Zehn humanoide Lebensformen nur 500 Meter von uns entfernt.«
Andrews blickte seinen Meister verwirrt an. Was hatten Menschen hier mitten im Dschungel zu suchen? Dann fiel es Andrews wie Schuppen von den Augen. Das Quarterium war bereits hier! Das mussten Agenten der CIP oder Sondereinsatztruppen des Estartukorps sein. Beinahe zeitgleich zogen Jonathan und Gal’Arn ihre Caritschwerter. Aber Andrews wollte sich nicht nur auf sie verlassen. Der Thermostrahler in seiner linken Hand gab ihm etwas mehr Sicherheit.
Behutsam pirschten sich die drei an das Lager der Quarterialen heran. In der Tat lungerten dort Vertreter der Milchstraße oder Cartwheel herum. Auf den ersten Blick sah er vier Terraner, zwei Arkoniden, eine Akonin, ein Jülziisch, ein Ertruser und ein Mehandor mit einem mächtigen Wanst.
»Vorsicht!«, rief Andrews.
Er zeigte auf die unzähligen Kameras, die rund um das Camp verteilt waren. Gal’Arn und Elyn zogen sich etwas zurück. Gal’Arn deutete auf eine Anhöhe. Sie schlichen dort hinauf. Von hier oben hatten die drei einen hervorragenden Überblick über das feindliche Lager.
»Illustre Gestalten«, sagte Gal’Arn. »Die sehen nicht aus wie quarteriale Soldaten.«
»Bestimmt Tarnung, Meister.«
Elyn verhielt sich völlig ruhig. Sie lag im Gebüsch und schien jede Bewegung der Fremden zu studieren und zu analysieren. Was in ihrem hübschen Kopf vorging, wusste Andrews nicht. Doch er hätte einiges dafür gegeben. Langsam kam ihm auch der Verdacht, dass etwas mit den Leuten nicht stimmte. Von den zehn Wesen waren sieben im Lager. Die anderen standen außerhalb des Zauns, bedienten die Kameras und werteten irgendwelche Daten über ihre Rechner aus. Um sie herum surrten jede Menge Roboter hektisch durch das Areal.
Doch das Seltsame waren die Kreaturen in dem Lager selbst. Vier Männer und drei Frauen. Der Springer saß mit nacktem Oberkörper auf einem Baumstumpf und seufzte laut. Der Ertruser mit dem wirren Haar schien zu meditieren. Der Blue saß in Shorts teilnahmslos herum und trällerte irgendwelche Lieder. Kurios war, dass er eine Designerbrille für jedes Augenpaar trug.
Eine Akonin und ein Terraner saßen direkt unter ihnen. Sie schienen etwas zu tuscheln.
»Also die Zanke geht mir auf den Senkel. Die ist doch so was von hässlich und hält sich für eine zauberhafte arkonidische Adlige. Nicht mal einen Titel hat die«, flüsterte die Akonin, jedoch gerade noch verständlich für Andrews und die Mikrophone im Camp. Schließlich mussten sich die Protagonisten in Szene setzen. Die heimliche Lästerei sollte natürlich nicht heimlich sein. In Gal’Arns Gesicht stand ein großes Fragezeichen. Es ging ihm nicht viel besser, als Andrews selbst.
»Die Sternenkonstellationen sagen, dass es noch Reibereien zwischen dir und Zuzan Zanke geben wird, Zarolyne«, orakelte der andere, während er irgendwas in seinen Rechner eintippte.
»Hör doch auf mit dem blöden Astrologiekram.«
»Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt.«
»Bei einem viertklassigen Sender auf Terra …«
»Besser als beim drittgrößten Sender gekündigt worden zu sein«, entgegnete der Wahrsager brüskiert.
Also ein Astrologe war der Kerl. Es gab immer noch Menschen, die glaubten, die Sternenkonstellationen würden direkten Einfluss auf ihr Leben nehmen. Lächerlich fand Jonathan das. Es sei denn, man programmierte mit primitiveren Überlichttriebwerken einen falschen Kurs und landete in einer Supernova oder mitten in einem Planeten.
»An der Lyza ist doch auch alles falsch. Brüste, Haare, Zähne. Selbst der da-Titel ist gekauft, so wie die aussieht«, fuhr die Akonin mit dem Lästern fort. »Und der dicke Varnar Wendom hockt den ganzen Tag im eigenen Fett herum und seufzt. Der Krosta ist mir unheimlich. Ich mag solche Ertruser nicht. Und bei Cüppüblöök kommt mir einfach nur das Kotzen. Wenn der singt, haue ich ab …«
»Die Sterne sagen aber …«
»Hör auf damit. Also – die Zanke ist das Allerletzte. Kommt sich so toll vor! Die tut doch alles, um in den Medien zu sein. Als ob wir so etwas nötig hätten!«
Die Akonin lachte laut.
»Das habt ihr doch alles auf Kamera, oder?«
Andrews schmerzte der Kopf von dem ganzen Gerede. Er wartete ungeduldig auf irgendeine Reaktion seines Meisters, doch Gal’Arn verfolgte die Konversation mit verwundertem Gesichtsausdruck.
»Zuzan hat auch ihre guten Seiten«, meinte der Wahrsager. »Sie ist ruhig und anpassungsfähig.«
»Quatsch, wenn ich die nur sehe. Tut mir leid, aber diese ausgeleierte Horrorfratze stinkt mir bis zum Himmel.«
Ein paar Kameras flogen an ihnen vorbei. Dann ertönte eine Fanfare und zwei weitere Leute betraten das Camp. Der eine klein und dick und die andere groß und hatte einen leicht irren Blick. Beides waren Terraner. Sie hampelten überfröhlich herum und zappelten, als ob man ihnen Drogen verabreicht hätte.
»Es ist wieder soweit. Eine Mutprobe für die Könige des Dschungels!«, johlte der kleine Dicke.
»Ja, ja, ja. Und wisst ihr, wer dran ist? Na? Ihr kommt doch drauf, oder?«
Die Frau lachte glucksend und schlenkerte mit den Armen. Andrews erinnerte sie an einen Affen. Doch es war zweifellos eine Terranerin oder eine Kolonistin.
»Die heutige Mutprobe heißt ›der Kampf mit dem Rampf‹«, erklärte der Dicke. »Einer von euch muss zehn eingegrabene Kugeln aus dem Gehege dort hinten holen. Doch diese werden von dem Rampf bewacht.«
Der Dicke kicherte und zeigte auf das Ungetüm. Es sah aus wie ein buntes Nashorn. Nur hatte es sechs Beine und drei Hörner am Schädel.
»Währenddessen wird der zweite Prüfling sich mit Honig einschmieren und in eine Grube voller kleiner Waldameisen steigen. Und er darf erst raus, wenn der andere die Kugeln eingesammelt hat.«
Die Frau lachte noch schriller und hüpfte auf der Stelle, vor Freude oder aus purem Sadismus.
»Und die Prüflinge sind …«
Der Dicke sah die anderen verheißungsvoll an.
»Lyza.«
Eine Arkonidin sprang auf. Ihr Bikini war für ihre unförmige, viel zu alte Haut zu eng, fand Jonathan leicht angeekelt.
»Was, ich?«
»Du bist es nicht!«
Und so ging es weiter. Andrews verstand immer noch nicht so ganz, was der Zirkus eigentlich sollte. Was waren das für Typen und warum befanden sie sich auf Etustar, dem ehemaligen Zentrum von ESTARTU?
»Zarolyne und Dynüöl sind es!«
»Nein!«, kreischte der Blue. Er sprang auf, hämmerte auf den tellerförmigen Schädel und fing an, laut zu weinen.
»I mach des net. Na, I mach des net!«
Warum sprach der Blue einen alten Dialekt der Erde? Ob er wohl ein Terrageborener war? Eines stand auf jeden Fall fest, das waren keine Quarterialen.
Die Akonin stand auf, seufzte und lief zum Gehege mit dem Rampf, während der sich sträubende Blue mit Honig eingeschmiert wurde.
»I will net. Na, I will net!«
»Ihr könnt jederzeit nein sagen. Doch das ist schlecht für die Show und euer Image«, meinte die blonde Frau, die anscheinend so eine Art Moderatorin war.
Die Akonin mit dem Namen Zarolyne stieg in das Gehege. Sie sackte ein. Das musste Treibsand sein.
»Scheiße, Mist. Was ist das für eine Kacke?«
»Die hat eine sehr blumige Ausdrucksweise«, meinte Andrews amüsiert zu seinem Meister. Der reagierte nicht. Andrews verzog das Gesicht, fühlte sich ignoriert und sah dem Spektakel zu.
Die Frau war im Schlamm versunken.
»Ach das sind nur die Exkremente des Rampf. Der macht viele Häufchen am Tag«, erklärte der Dicke sichtlich amüsiert.
»Das ist widerlich!«, rief die Akonin und versuchte die erste Kugel zu nehmen, doch der Rampf stupste sie an. Er schnitt ihr eine kleine Wunde in die Schulter.
»Ah, du Sau! Hau ab, du Schweinenase, Arschgeige, Mistkerl«, fluchte die Akonin und entsprach damit wenig dem sonst so kultivierten Standard ihres Volkes.
Der arme Blue wurde inzwischen von bissigen Ameisen überkrabbelt und schrie wie am Spieß. Man erkannte die Todesangst. Sein Leben lag in den Händen der Akonin, die selbst zu sterben drohte, wenn das Ungetüm sie erwischen würde. Was war das für ein bestialisches Spiel? Andrews verstand das nicht. Gal’Arn sprang plötzlich auf. Er sprang nach unten und rutschte ins Camp. Elyn folgte ihm. Andrews rannte nun auch los. Er sah, wie die Akonin immer noch im Kot des Rampf steckte und das riesige Tier wieder auf sie zukam. Dann plumpste es bewusstlos zu Boden. Gal’Arn hatte es betäubt.
Elyn nahm ein Gerät und hielt es auf die Ameisengrube. Die Rotameisen ließen plötzlich vom Blue ab und schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus. Andrews wollte nun auch den Retter spielen. Er ging zum Gehege und half der Akonin heraus. Unter dem herabtropfenden Schlamm sah sie gar nicht mal so schlecht aus. Gut, sie musste einige Jahre älter als er sein, aber sie war nicht ohne. Jedoch stank sie erbärmlich nach den Ausscheidungen des Rampf.
Der Blue hüpfte durch das Camp und schrie. Er weinte und schließlich nahm das Lästermaul Lyza ihn in den Arm.
»Was soll der Humbug? Wer seid ihr?«
Ein dritter Terraner lief ins Camp. Er hatte vorher die ganze Zeit hinter den Kameras gestanden. Anscheinend war er so eine Art Aufnahmeleiter.
Gal’Arn stellte sich und die anderen vor.
»Wir sind auf einer Mission unterwegs. Wieso foltert ihr die armen Leute?«
»Weil das eine Show ist, du Arschloch!«, schimpfte der Aufnahmeleiter. Er riss seinen Hut vom Kopf und warf ihn auf den Boden. »Ihr habt alles verdorben. Blöde Idioten.«
Andrews reichte es jetzt. Er packte den Mann am Kragen und zog ihn fest an sich. Dann setzte er seine grimmigste Grimasse auf und starrte ihn böse an.
Gal’Arn schmunzelte.
»Eine Show? Ihr wisst, dass seit vielen Monaten Krieg in den estartischen Galaxien tobt?«
Nun mischte sich der kleine Dicke ein, der unübersehbar an einen Mops erinnerte. Jonathan ließ den Aufnahmeleiter los und der ihn.
»Wir … wir wissen das. Wir sind vom terranischen Fernsehen und drehen hier für die Dokumentation ›Ich bin ein Möchtegernstar auf einer Dschungelwelt‹. Nun ja, das ist der Arbeitstitel. Die Sendung wird der Hit! Die Stars haben sich freiwillig gemeldet. Wir dachten, wir drehen auf Etustar. Die Location ist bekannt und alles, was mit ESTARTU zu tun hat, interessiert die Leute zuhause.«
Gal’Arn war verblüfft. Andrews kannte den Gesichtsausdruck seines Freundes sehr gut. Am liebsten wäre er jetzt ausgerastet. Jonathan musste lachen. Sie waren in geheimer Mission auf Etustar unterwegs – ungewiss, ob hier überhaupt noch jemand lebte – und dann trafen sie auf diesen Haufen Fernsehentertainer. Andrews sah sich diese D-Prominenz genauer an. Eigentlich kannte er keinen von ihnen. Zumindest nicht bewusst.
»Und wer sind die? Ich meine, wo haben die mitgespielt?«, wollte er schließlich wissen.
Der Dicke wirkte beleidigt. Er stellte sich selbst erst einmal vor. Sein Name war Turk River. Seine zappelige Kollegin hieß Zonya Zytschow. Dann präsentierte er seine Superstars.
Da war zum einen der smarte Volksmusikstar von Ertrus, Krosta Korokhan. Er hatte legendäre Lieder wie »Auf Oberertrus« und »Ertrusia« gesungen. Das Häufchen Elend war der Blue Dynüöl Cüppüblöök. Er stolzierte auf Andrews zu und reichte ihm die Hand. Dann verbeugte er sich vor Gal’Arn.
»Was biste aber für ein Schmankerl«, sagte er und kicherte debil.
Cüppüblöök hatte vor einem Jahr den zweiten Platz bei einem galaktischen Singwettbewerb der Milchstraße gewonnen – das Wie und Warum ging seitdem durch die Klatschpresse. Seine Sangeskunst war mehr als umstritten.
Der beleibte Springer war ebenfalls Musiker. Er hieß Wendboom. Jetzt erinnerte sich Andrews mit Grausen an den Interpreten von Schunkelliedern, der überall dort vertreten war, wo Menschen im fortgeschrittenen Alter noch feiern wollten. Die smarte Akonin hatte sich inzwischen gewaschen und stand im engen Bikini vor Andrews, Gal’Arn und Elyn. Jonathan grinste sie an. Die war ihm sympathisch. Eine echte Frau, hart und sexy. Sie hatte den Kampf gegen diesen Rampf nicht gescheut. Solche Frauen bewunderte er.
»Das ist die ehemalige Flash-Moderatorin Zarolyne Axx«, stellte Turk River sie vor.
Sie ergriff Andrews Hand.
»Noch mehr Terraner.« Sie seufzte. »Das Niveau sinkt wohl ins Bodenlose …«
Andrews Stimmung sank ebenfalls. Arrogante Zicke, dachte er nun.
»Aber naja, machen wir das Beste daraus.«
Jetzt grinste sie Andrews an und setzte einen treuherzigen Blick auf. Wider Willen konnte Andrews sich ihren dunklen Augen nicht entziehen. Bis Gal’Arn sich laut räusperte.
»Nataly wäre bestimmt froh zu wissen, wie unbeschadet wir diese Mission überstanden haben«, sagte Gal’Arn.
Jonathan entging die verbale Ohrfeige nicht. Er lächelte Zarolyne Axx noch kurz zu und wandte sich dann an die anderen »Superstars«, von denen er eigentlich immer noch keinen so richtig kannte.
»Der Mann im Anzug hinter dem Rechner ist der astrologische Wahrsager Thontor Smitt.«
Der seltsame Typ nickte knapp. Die anderen beiden waren die Arkonidinnen Lyza da Ugor, eine Kabarettistin, die aufgrund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Kristallimperium in der LFT sehr beliebt war, und die ehemalige Nachrichtensprecherin Zuzan Zanke.
»Ah, du bist die ausgeleierte Horrorfratze«, sagte Andrews und blickte Zarolyne amüsiert an, die plötzlich knallrot anlief.
»Nun gut, ist sehr schön, doch sage mir, wo ist euer Raumschiff?«, wollte Gal’Arn wissen.
»Die holen uns in einem Monat ab«, erklärte Turk.
»Ich habe das also recht verstanden«, begann der Elare. »Sieben unbekannte Stars am Tiefpunkt ihrer mittelmäßigen Karriere machen freiwillig einen Horrortrip ins Kriegsgebiet zur Belustigung des Publikums, nur um ihren Marktwert zu steigern?«
Andrews staunte über so viel Zynismus in Gal’Arns Worten. Sonst war der Ritter eher diplomatisch. Das waren ungewohnt direkte Worte.
Die beiden Moderatoren nickten eifrig. Gal’Arn verdrehte die Augen und steckte das Schwert in den Halfter.
»Kein Wunder, dass so viele Menschen dem Quarterium beigetreten sind …«
*
Andrews hielt sich die Ohren zu. Das durfte nicht wahr sein. Er war hier im Dschungel Etustars, einer völlig fremdartigen Welt, und musste sich die dümmlichen Eigenkompositionen der selbst ernannten Prominenten antun.
»Ooops, we are in a jungle, in a jungle from nine to nine. Ooops, we are in a jungle, and the jungle is very fine.«
Vielleicht sind es doch Agenten der CIP? Immerhin foltern sie uns, überlegte Jonathan genervt. Er hatte Lust, sich zu rächen.
Das Essen schmeckte auch nicht besonders. Wobei die Moderatoren und dieser affektierte Aufnahmeleiter viel besseres Futter bekamen. Jonathan nahm lieber die von der TERSAL mitgebrachte Kost zu sich. Die schmeckte besser.
Gal’Arn und Elyn saßen zusammen und schienen die ganze Gegend abzutasten. Der Aufnahmeleiter hatte gesagt, dass etwa fünfzig Kilometer von hier die Animateure eine Siedlung hätten. Sie würden allerdings sehr zurückgezogen leben.
Wäre ESTARTU wieder nach Etustar zurückgekehrt, hätte die Superintelligenz sicher nicht zugelassen, dass solche Idioten ihre Welt für ihre Show missbrauchten. Es schien keine Ordnungskräfte auf Etustar zu geben. Ihre Mission erschien plötzlich sinnlos.
»Ooops, we are in a jungle, in a jungle from nine to nine. Ooops we are in a jungle, and the jungle is very fine.«
Dieser Song bestärkte Andrews Auffassung noch mehr. Er sah zu Gal’Arn herüber. Er sollte seinem Meister zum Abflug raten. Mehr als wilde Tiere und bekloppte Galaktiker gab es hier nicht. Bis jetzt konnten sie nicht einmal einen plausiblen Grund für die Wahl dieses Schauplatzes für ihre Show nennen. Angeblich wollte man einen mystischen Ort weit weg und dem Produzenten war dann Etustar eingefallen. Nun saßen die Dschungelirren bereits sechs Wochen hier herum. Andrews war sich sicher, dass das nicht auf ihr Gemüt, sondern auf ihren Verstand geschlagen war. Diese Akonin hatte stolz berichtet, dass sie mehr als 100.000 Galax verdient habe und sich toll vermarkten könne.
Sie hatten nicht nur die sadistischen Prüfungen einkalkuliert, sondern auch den Krieg in Kauf genommen. Der Sender war sogar so weit gegangen, dass er sich eine Genehmigung des Quarteriums geben ließ, um in dorgonisch-quarterialem Hoheitsgebiet drehen zu dürfen.
Gerade diese Tatsache ließ Andrews an der Glaubwürdigkeit dieser von sich selbst eingenommenen Campträllerer zweifeln. Er war sicher, dass Gal’Arn und Elyn das Gleiche dachten.
Zarolyne und Dynüöl setzten sich zu Jonathan, der vor Begeisterung in sich zusammensackte.
»Also i würde ja keinen Sex mit euch hoben. Ihr seid ma schon viel zu alt.«
Andrews Kinnlade fiel herunter. Hatte der Blue das eben wirklich gesagt?
»Ich mit dir auch nicht. Nicht, weil du erst 18 bist, sondern weil du ein Blue bist«, erklärte Zarolyne Axx.
»A geh. I würd ja a guter Liebhober son. Ob Jülziisch, Menschen oder Kartanin iss doch eh wurscht.«
Das ist ein Alptraum, dachte Andrews verzweifelt. Dann schmiegte sich plötzlich die Axx an ihn an.
»Der hier ist ein echter Mann. Leider ist er auch ein größerer Star als wir. Schließlich haben Johnny und sein schrulliger Meister schon oft viele Leute gerettet.«
Langsam wurde Zarolyne ihm wieder sympathisch. Zumindest zollte sie ihm den nötigen Respekt. Er dachte flüchtig an Nataly. Die würde es bestimmt nicht gerne sehen, aber was war schon dabei? Schließlich würde er seine Ehefrau niemals betrügen. Aber flirten war ja wohl noch erlaubt, so weit weg von zuhause.
»Woher weißte des denn?«, fragte der Blue mit seinem seltsamen Akzent. Andrews hatte inzwischen herausgefunden, dass der Jülziisch wirklich auf Terra aufgewachsen war.
»Weil ich schon ein paar Mal über ihn berichtet habe. Damals 1298 zum Beispiel.«
»Do war i noch a Teenie und hob mi net für so was interessiert.«
»Aber über Sex mitreden wollen?« Zarolyne lachte abfällig, dann sah sie wieder Andrews an, dem das langsam doch unangenehm wurde.
»No klor doch. I hob mehr sexuelle Erfahrung als du, bestimmt. I hob schon früh onan …«
»Schnauze!«, brüllte Andrews und stand erbost auf. Jetzt hatte er wirklich genug von dem ganzen Kram. »Draußen tobt ein Krieg. Millionen sterben und wir kämpfen für die Freiheit dieser Existenzen. Und was macht ihr? Eine hirnlose Show, sitzt herum und macht euch für Geld und Prestige zum Affen! Und obendrein lallt ihr beknackte Lieder und säuselt über eure sexuellen Erfahrungen.«
Andrews spuckte auf den Boden.
»Das macht mich krank! Was ist das für ein Prestige? Es ist nichts wert. Gar nichts. Helft den unterdrückten Estarten. Damit tut ihr wirklich etwas Gutes.«
Sein Blick fiel auf Krosta Korokhan, der gerade genüsslich einen Käfer verspeiste. Der gut gebräunte Ertruser starrte seelenruhig zurück. Andrews spürte Gal’Arns Hand auf seiner Schulter.
»Mein Ritterschüler hat recht. Es grenzt angesichts der schlimmen Situation in den estartischen Galaxien an Wahnsinn, was ihr hier macht.«
Andrews zündete sich eine Zigarette an. Gal’Arn mochte das nicht, doch in diesem Fall war das Jonathan egal. Er brauchte erst einmal etwas zur Beruhigung. War der Mensch oder Galaktiker schon so degeneriert, dass er Pseudoprominente brauchte, die im Dschungel ihr Leben riskierten, um einen Kick zu spüren? Kümmerte weder Macher noch Zuschauer das Leid in Siom Som? Diese Show war eine Beleidigung, ach was, eine Demütigung für die Opfer in Estartu. Die spielten hier ihre Show und mimten den Abenteurer, während rings um sie herum Millionen Tag für Tag ihr Leben aufs Spiel setzten.
Entrüstete Gesichter umringten ihn. Es entbrannte eine hitzige Diskussion zwischen den Campteilnehmern. Wo war eigentlich der Aufnahmeleiter abgeblieben? Andrews hielt nach ihm Ausschau.
Krosta Korokhan stand nun auf und beschloss: »Die Ritter haben recht. Ich schließe mich ihnen an.«
Na prima, so einen haben wir auch noch gebraucht, dachte Andrews.
Die anderen waren weniger begeistert. Dynüöl zeterte und wetterte gegen alles und jeden.
»I moch da net mit. I bin a Diva und ka Soldat. I könnt höchstens a Soldatendirn sein.«
»Der Jupiter steht im zweiten Haus. Das bedeutet große Gefahr für uns alle«, orakelte der Wahrsager – wie hieß der gleich noch mal? Der Typ saß die ganze Zeit nur vor seinem Rechner und befragte die Sterne, die anscheinend genauso ungern mit ihm sprachen wie Andrews.
»Ich werde ein kostenloses Konzert auf Som für die Opfer abhalten. Was meint ihr?«
Varnar Wendboom fing mit sich selbst an zu schunkeln und sang ein paar Strophen seiner »besten« Lieder.
»Kaiser Commanus würde entzückt sein«, erwiderte Gal’Arn. »Ihr seid keine Krieger. Fliegt zurück in die Milchstraße. Berichtet von dem Leid in den Galaxien und macht die Bürger der Galaxis darauf aufmerksam. Der Krieg darf nicht weiter toleriert werden«, mahnte der Ritter der Tiefe.
»Wir könnten doch eine Reportage führen und euch begleiten. Das wäre auch was für die Quoten und Marktanteile«, schlug Zonya vor.
Andrews wollte ihr am liebsten den Mund stopfen. Warum dachten solche Fernsehtypen eigentlich immer nur an die Quoten? Oder waren diese Exemplare besonders schlimm?
»Nein«, entschied Gal’Arn knapp. »Wir nehmen eure Gastfreundschaft über die Nacht in Anspruch. Danach werden wir unsere Mission beenden. Ohne euch!«
5. Die Parder
Cauthon Despair bewunderte den Corun von Paricza. Der mächtige Überschwere war von imposanter Gestalt. Ein kultivierter Krieger, der seiner Rasse in Cartwheel zu neuem Glanz verholfen hatte. Ein Erzfeind Perry Rhodans, der ihn besiegt hatte, doch niemals selbst von Rhodan zu Fall gebracht wurde.
»Willkommen an Bord, Corun«, grüßte ihn der Sohn des Chaos.
Leticron verneigte sich höflich und bedankte sich. Despair betrachtete den muskelbepackten Körper. Leticron trug eine ärmelfreie Weste, die von zahlreichen Gürteln und Bändern umbunden war. Die riesige Arme waren mit denen eines Oxtorners zu vergleichen. Zahlreiche Dolche und Strahler hingen an seinem Gürtel.
»Ich bringe neue Kunde von unseren Brüdern«, eröffnete Leticron das Gespräch.
Despair verstand sofort, obgleich es ihn über alle Maßen überraschte. Denn Leticron meinte nicht nur den Emperador, wenn er von Brüdern sprach. Der Silberne Ritter bat den Corun in sein Privatquartier. Leticron setzte sich auf einen breiten Sessel aus Formenergie und ließ sich von den Servos eine großen Humpen Bier bringen.
Er nahm einen kräftigen Zug.
»Eines muss man den Terranern lassen. Sie können gutes Bier brauen«, bemerkte er. »Doch nun zur Nachricht. Cau Thon ist uns erschienen.«
Despair wurde hellhörig. Er wunderte sich, wieso Cau Thon nicht ihn aufgesucht hatte. MODROR musste am Silbernen Ritter zweifeln. Er hatte sich zu sehr um Myrielle gekümmert, hätte sich beinahe ihrer Liebe hingegeben. Und nun bestrafte der Meister ihn für sein Fehl. Er behandelte Despair wie einen unwürdigen Untergebenen und ließ ausgerechnet Leticron als Boten sprechen.
»MODROR scheint unzufrieden mit unseren Ergebnissen. Es ist ihm zu wenig.«
»Und was wünscht unser Meister? Was hat unser Bruder zu dir gesagt, Leticron?«
Leticron nahm einen weiteren Zug aus dem großen Bierpokal. Ein Rinnsal lief ihm über das Kinn. Er wischte es sich mit dem Unterarm weg.
»M 87 und die Milchstraße.«
Despair spürte, wie seine Knie weich wurden. Er setzte sich auf seinen Meditationshocker und dachte über die Konsequenzen nach. Ein Angriff auf zwei weitere Galaxien wäre verheerend.
»Das waren Cau Thons Worte?«
Leticron nickte.
»Der Emperador war genauso wenig begeistert, wie du es bist.« Leticron schien sich darüber zu amüsieren. »Doch Cau Thon fordert in MODRORs Namen, dass wir schon sehr bald M 87 angreifen sollen und uns eine gute Taktik für die Eroberung der Milchstraße überlegen. Torsor soll den Angriff auf M 87 übernehmen. Das wird ihm ein Vergnügen bereiten.«
»Und wer soll sich um die Milchstraße kümmern?«
Leticron grinste.
»Vielleicht ich, vielleicht auch du. Bevor wir jedoch die Milchstraße erobern, müssen die Saggittonen geschlagen werden. Ein Krieg an drei Fronten ist selbst für uns noch zu viel.«
Despair war über Leticrons Zurückhaltung überrascht. Der Überschwere brannte doch nur darauf, Perry Rhodan endlich zu töten.
»Geduld, obwohl Rhodans Ende so nahe wäre?«, provozierte Despair.
Leticron lachte und leerte den Humpen.
»Ich giere danach, Rhodans Kopf in meinen Händen zu zerquetschen. Doch Vorfreude ist bekanntlich die größte Freude, mein Freund.«
Leticron orderte ein deftiges Essen. Der Servo gab seine Bestellung an die Bordküche weiter. Sie würde den Wünschen des Corun von Paricza sehr schnell nachkommen.
Oberst Tantum meldete sich per Interkom. Despair hatte eine holografische Schaltung unterbunden, da er ungestört mit Leticron reden wollte. Er akzeptierte die Funkmeldung des Ersten Offiziers.
»Sir, wir haben Beschryr erreicht. Und unser Sicherheitsdienst hat neue Erkenntnisse über die Parder.«
Leticron blickte Despair erwartungsvoll an. Das Wort Parder hatte sein ungeteiltes Interesse erweckt.
»Ausgezeichnet. Der Corun und ich werden uns sofort über Ihre neuen Erkenntnisse informieren.«
Sie gingen in die Kommandozentrale. Leticron äußerte sein Bedauern, dass er nun doch auf das Essen warten musste. Gespannt ließ er sich von Despair über die Mutantin informieren, die das erste Mal auf Som-Ussad aufgetaucht war.
Es war den Spezialisten bisher nicht möglich gewesen, die Parder auf der EL CID zu lokalisieren. Oberst Tantum hatte eine DNS-Analyse aller Besatzungsmitglieder angeordnet, die jedoch ihre Zeit dauerte. Anscheinend hatten sie nun Erfolge bei der Fahndung erzielt.
Tantum salutierte, als die beiden die Brücke betraten. Er stellte ihnen den Wissenschaftler Ernsto Unzwill vor, einen Arkoniden von hagerer Gestalt mit wirrem Haar.
Er schüttelte die Hände der beiden. Despair zog seine schnell wieder zurück, während Unzwill Leticron gar nicht mehr loslassen wollte.
»Es ist mir so eine Ehre, wissen Sie? Ich komme ganz selten aus meinem Labor raus.« Er kicherte aufgeregt. »Und deshalb ist es richtig toll, solche hohen Persönlichkeiten wie Sie zu treffen.«
Leticron lachte.
»Den muss ich nicht mal beeinflussen, damit er mich bewundert.«
Dann wurde er wieder ernst.
»Zeigen Sie uns Ihre Ergebnisse.«
»Oh ja.«
Unzwill watschelte zu seinem Präsentationspult. Despair begleitete ihn, Leticron kam kurz danach zu ihnen. Dort zeigte Unzwill ihnen die Ergebnisse seiner Experimente.
»Wir haben alle Individualimpulse an Bord mit der Schiffsdatei unserer Besatzungsmitglieder verglichen. Wir wurden aber nicht fündig. Seltsam, oder?« Er kicherte irre.
»Sie sagen uns nichts Neues, Doktor«, gab Despair barsch zurück. Er hatte keine Zeit für geisteskranke Wissenschaftler.
»Oh, jetzt sage ich Ihnen aber etwas Neues. Der Fehler lag bei uns.« Wieder lachte Unzwill laut und schrill. »Ein Besatzungsmitglied vom Hinflug ist nämlich tot. Doch anscheinend lebt es doch noch, denn wir haben die ID-Impulse definitiv auf dem Rückflug angemessen.«
»Und weiter?«
»Nun, wir haben die DNS des vermeintlich toten Besatzungsmitglieds mit dem der Parder verglichen und eine 80-prozentige Übereinstimmung erzielt. In Anbetracht der Lage, dass die Parder ein künstlich entstandenes Wesen aus den Genlaboren von Som-Ussad sein könnte, wie die Forschungen meines werten Kollegen Tersol ja ergeben haben! Ferner stellte er fest, dass es sich bei der Parder um einen Gestaltenwandler handeln könnte.«
»Das würde Sinn ergeben«, warf Leticron ein. »Wenn die Parder in Wirklichkeit als ein Besatzungsmitglied der EL CID auftritt, kann man lange nach fremden ID-Impulsen suchen.«
Unzwill nickte eifrig und kicherte vor sich hin.
»Sie haben es erfasst, Sir! Die Parder ist das tot geglaubte Besatzungsmitglied. Es gibt nur diese Möglichkeit.«
»Und um wen handelt es sich?«, wollte Despair wissen.
»Nun, Sir. Sie gehört eigentlich nicht zur Stammbesatzung der EL CID. Sie war nur bei der Hinreise nach Beschryr dabei, daher können wir von Glück sagen, dass wir sie gefunden haben.«
Der Wissenschaftler machte eine Kunstpause. Despair schoss eine Idee durch den Kopf. Er kannte nur eine Person, die von Som-Ussad nach Beschryr auf der EL CID gereist war und auf dem Planeten starb. Sein Herz begann wild zu pochen.
»Wer ist es?«, fragte er barsch.
»Eine Frau namens Myrielle Gatto.«
6. Nacht des Horrors
Es war nicht der leichte Regen, der ihn wach hielt. Auch nicht die hohe Luftfeuchtigkeit, die Tiergeräusche aus dem Dschungel oder die Anspannung der Mission. Es war das grauenvolle Geschnarche des Springers Varnar Wendboom.
Das Schlafen im Freien war Jonathan Andrews gewohnt. Es hatte viele Missionen gegeben, in denen er den Luxus eines Bettes nicht genießen durfte.
Die Campbewohner auf Etustar waren einfach nur seltsam. In der obskuren Reality-Dokumentation, die sie drehten, war unglaublich vieles gestellt.
Ein Rascheln ließ Andrews die Augen öffnen. Er blickte zur Seite. Elyn nahm neben ihm Platz. Sie bemerkte, dass er noch wach war und bedachte ihn mit einem Lächeln.
»Warum wissen wir eigentlich so wenig von dir?«, fragte er direkt.
»Weil ich euch wenig von mir erzählt habe.«
Jonathan verdrehte die Augen und legte sich zur Seite. Elyn tippte ihn behutsam an.
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte sie leise. »Ich muss zu Menschen erst einmal Vertrauen fassen, bevor ich ihnen meine Lebensgeschichte erzähle.«
Andrews drehte sich wieder um.
»Und zu uns hast du noch kein Vertrauen?«
»In gewisser Weise doch. Zumindest seid ihr auf dem besten Wege. Es ist nicht so einfach, mein terranischer Freund.«
»Nun sei nicht so belehrend«, gab Andrews erbost zurück. »Ich bin schließlich kein Vollidiot. Du musst doch einsam sein, so weit weg von deiner Welt. Da braucht man Freunde.«
Elyn lächelte erneut. Für Andrews war es ein aufrichtiges Lachen. Er vertraute Elyn voll und ganz. Sie strahlte etwas Besonderes aus. Wärme, Ehrlichkeit, Hoffnung.
»Du bist von reinem Herzen, Jonathan.«
Nun musste Jonathan grinsen. Komplimente hörte er gerne, insbesondere von schönen Frauen. Das bestätigte ihn ungemein.
»Hier und da bist du aber auch etwas plump«, sagte sie leicht amüsiert. Jonathans plötzlicher Stimmungswechsel schien ihr nicht entgangen zu sein.
»Was denn für Fehler?«
Auf Jonathans Stirn gruben sich tiefe Falten. Kritik konnte er gar nicht leiden. Er hatte seiner Meinung nach sehr wenige Fehler, und diese wenigen durften höchstens Menschen wie Gal’Arn oder Aurec an ihm bemängeln.
»Einige«, meinte Elyn und kicherte. »Würde die ganze Nacht dauern, sie aufzuzählen.«
Jonathan äffte ihr Lachen nach. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt. Es war selten, dass andere auf seine Kosten Späße machten. Eigentlich war es immer andersherum. Natürlich meinte er selbst es nie böse, doch er hatte Gefallen daran gefunden, ab und an den Pausenclown zu spielen. Dabei legte er aber stets Wert darauf, dass die anderen ihn nicht als Suppenkasperl ansahen, sondern weiterhin respektierten.
Andrews fasste sich wieder etwas. Elyn meinte es bestimmt auch nicht böse. Trotzdem kränkte es seine männliche Eitelkeit, dass sich eine Frau über ihn lustig machte. Natürlich wollte er das unter keinen Umständen zugeben.
Er stimmte in ihr Lachen ein. Leider weckte das Geräusch Dynüöl Cüppüblöök auf, der sich umgehend zu ihnen gesellte.
»Und ich wollte gerade meditieren.« Elyn seufzte und sah den Blue fragend an. »Kannst du auch nicht schlafen?«
»Na, i kann net. Abba i hob eh mehr Lust mit dir zu schnackseln.«
Elyn schien nicht ganz zu wissen, was der Blue von ihr wollte. Andrews grinste und entschied zu schweigen. Als geborener Deutscher kannte er den bayerischen Dialekt, auch wenn er nur selten gesprochen wurde. Doch es gab immer wieder regionale Urgesteine in jedem Winkel Terras.
Cüppüblöök nahm Elyns Hand und massierte ihre Fingerkuppen. Dann fuhr er mit seinem sechsten Finger über ihren Handrücken.
»Host scheene Haut, Elyn.«
Elyn blickte ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen an. Zumindest interpretierte Jonathan ihre Mimik in dieser Richtung.
»I will Sex mit dir haben, Elyn.«
Die Augen der Alyske weiteten sich. Ihr Mund öffnete sich. Sie schien erstaunt zu sein. Oder eher entsetzt. Dazu musste Andrews nichts mehr hineininterpretieren.
»Uuuhhh«, machte Dynüöl und grinste. Er starrte sie erwartungsvoll an, schien sich seines männlichen oder weiblichen Charmes sicher zu sein. Elyn zog langsam den Arm zurück.
»Der Liebesakt ist etwas sehr Wertvolles, das ich nur mit einem Wesen teile, das ich aus vollstem Herzen liebe. Dem ich vertraue, mit dem ich die Seele teile.«
Der Blue glotzte sie seltsam an.
»Wie war des?«
Elyn lächelte abfällig.
»Für einen Toren wie dich: Das heißt nein!«
»Des verstehe i net, wieso denn net?«
»Das habe ich gerade versucht, dir zu erklären, kleiner Jülziisch. Du solltest dich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren. Sex gehört nicht dazu.«
Jonathan wollte Elyn in der Angelegenheit ganz und gar nicht zustimmen, aber auch Cüppüblöök unter keinen Umständen beipflichten. Also hielt er den Mund. Aber ein Leben ohne Sex? Das war für ihn ein Unding. Er hatte jetzt schon seine argen Probleme, die Zeit ohne Nataly zu überbrücken. Mit leidvoller Miene rechnete er nach, dass er seit zwei Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte.
Am 28. August hatten sie Cartwheel verlassen. Es war das letzte Mal, dass er etwas von Nataly gehört hatte. Nun schrieb man den November. Jonathan wusste, dass es wahrscheinlich noch sehr lange dauern würde, bis er die Liebe seiner Ehefrau wieder spüren würde.
Irritiert betrachtete er die wunderschöne Elyn. War sie wirklich so frigide, wie es den Anschein hatte? Frigide war wohl nicht das richtige Wort, überlegte der Ritterschüler. Anscheinend war die innere Liebe für sie wichtiger als die äußerliche, Vertrauen und Zuneigung die Voraussetzung für die körperliche Leidenschaft. In der schnelllebigen Zeit von heute waren solche Frauen die Ausnahme.
Aber Elyn war anders. Sie entstammte einem fremden Volk, war wohl mehr als 2.000 Jahre alt und brachte viel Lebenserfahrung mit. Und dennoch wirkte sie unschuldig und rein, als wäre sie erst zwanzig, dreißig Jahre jung. Wenn Jonathan sie anblickte, schlug sein Herz höher. Sie hatte eine Ausstrahlung, die jeden Mann um den Verstand bringen könnte.
Dann dachte er wieder an Nataly. Seine Frau. Er vermisste sie sehr. Jedes Mal, wenn er Elyn betrachtete, sah er auch ein Stück von Nataly in ihr.
Er versuchte an etwas anderes zu denken, bevor er noch gezwungen war, eine kalte Dusche zu nehmen. Der Anblick von Dynüöl Cüppüblöök half ihm dabei. Der Jülziisch stierte mit halb geöffnetem Mund an Elyn vorbei und schien wohl immer noch nicht kapiert zu haben, dass er einen Korb bekommen hatte.
Elyn stand auf und lächelte die beiden an.
»Ich vertrete mir etwas die Beine. Ihr könnt ja über den Sinn und Unsinn der körperlichen Leidenschaft ohne innere Zuneigung diskutieren. Für mich ist das nichts.«
Sie ging los und ließ die zwei zurück. Andrews seufzte und legte sich wieder schlafen. Mit Cüppüblöök über Sex zu reden, das war nun wirklich das Letzte, was er wollte.
*
»Ah, a Ratte!«
Andrews öffnete die Augen. Bei dem Krach konnte auch kein normaler Mensch schlafen. Er rappelte sich auf und leuchtete in Richtung des Jülziisch. Der Blue umklammerte Zarolyne Axx’ Hand und zitterte am ganzen Körper.
»Da is es, des Monster.«
Andrews nahm seinen Thermostrahler und zielte auf die Ratte. Gal’Arn räusperte sich. Andrews verstand und schaltete genervt auf Paralyse um. Dann feuerte er auf das Nagetier.
»Braver Schüler«, lobte Gal’Arn, der das betäubte Tier aufsammelte und behutsam in den Wald brachte.
»Das müssen wir drehen. Gal’Arn und Andrews sind bessere Promis als ihr«, meinte Turk River und erntete dafür böse Blicke der Stars. »Die Szene kann man doch sicher irgendwie in die Serie einpacken«, grübelte er weiter.
»Fragen wir den Aufnahmeleiter«, meinte Zarolyne sichtlich genervt und sah sich nach ihm um. »Wo ist er denn?«
»Verschwunden«, sagte Gal’Arn knapp. »Bereits seit mehr als einer Stunde.«
»Er ist tot!«
Jonathan und Gal’Arn drehten sich überrascht um. Elyn kam aus dem Wald. Ihr Spaziergang hatte länger gedauert, als Andrews angenommen hatte.
»Seine Leiche liegt nur wenige Meter von hier. Jemand hat ihm die Kehle aufgeschlitzt.«
Die anderen Campbewohner schrien auf. Der Blue fing gleich wieder an zu heulen und wiederholte seine üblichen Sprüche. Nur Krosta blieb ruhig. Wie immer. Ob diesen Typen überhaupt etwas erschreckte?
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Zuzan Zanke, die einigermaßen ruhig blieb.
Gal’Arn bat den Ertruser Krosta, sich um die anderen zu kümmern, während er Andrews und Elyn zu sich rief. Sie gingen ein Stück weit weg von den anderen.
»Es ist offensichtlich, dass jemand hier ein Agent des Quarteriums ist. Sie haben bestimmt einen der Crew bestochen. Ohne Observation hätten die niemals Etustar anfliegen dürfen.«
Gal’Arn bestätigte damit Jonathans Vermutung. Es gab einen Spitzel im Lager. Nur wer? Es gab hier keinen Gärtner oder Butler.
»Wir werden uns außerhalb des Lagers erst einmal umsehen. Vielleicht hat der Täter Spuren hinterlassen.«
Gal’Arn ging sofort los. Anscheinend duldete er keine Alternativvorschläge. Andrews und Elyn folgten ihm. Jonathan hatte so viele Fragen an Elyn, doch die Alyske würde sich wieder einmal geheimnisvoll geben. Es hatte überhaupt keinen Zweck, ihr Fragen zu stellen.
Regen begann. Andrews hörte das Stöhnen der Dschungelcamper hinter sich und schüttelte den Kopf.
Er fing an, nach Spuren zu suchen. Plötzlich entstand Bewegung in den Sträuchern. Dutzende Tiere versammelten sich um sie. Andrews bekam es mit der Angst zu tun und zog den Strahler. Elyn drückte die Waffe sanft herunter.
»Die Tiere sind Vertreter dieser Welt. Sie tun uns nichts, wenn wir ihnen auch nichts tun.«
»Und was machen wir nun?«
»Uns ergeben …«
7. Zwischen Liebe und Loyalität
Die ganze Zeit über wusste Cauthon Despair nicht, ob er sich freuen oder trauern sollte. Myrielle Gatto lebte. Sie hatte das Attentat der Rebellen überlebt. Doch sie war die Parder, die geheimnisvolle Mutantin. Langsam ergab alles einen Sinn. Ihre vagen Andeutungen über die Entsorgungslager, ihr schlechter Gesundheitszustand.
Oberst Tantum meldete die erfolgreiche Umstellung des Lagerraums. Sie konnte nicht entkommen. Alle Ausgänge wurden bewacht, selbst die Lüftungsschächte. Die Parafallen waren aktiviert. Es gab kein Entrinnen.
»Warten Sie hier, Oberst. Ich werde die Sache persönlich regeln«, befahl Despair.
»Woher kommt dieser Heroismus?«, fragte Leticron.
Despair überhörte den Spott in den Worten des Corun keineswegs. Er würde den Teufel tun und Leticron seine Gefühlslage schildern, doch Despair wollte verhindern, dass die Parder in Myrielles Gestalt verletzt wurden. Vielleicht konnte er sie retten, sie bekehren.
»Sie könnte eine wertvolle Verbündete werden. Ich bin der Kommandant des Schiffes, meine Entscheidungen werden nicht kommentiert.«
»Auch nicht von einem Quarteriums-Fürsten?«
Leticron blickte Despair herausfordernd an. Der Silberne Ritter schwieg und machte sich auf den Weg. Die Tür glitt zur Seite und schloss sich wenige Sekunden später hinter ihm.
Bald erreichte er die Lagerhalle. Der Raum war hell erleuchtet. Dutzende Container bildeten ein unüberschaubares Labyrinth.
»Myrielle. Ich weiß, dass du hier bist«, rief Despair.
Keine Antwort. Er ging weiter, lauschte nach Schritten oder anderen Geräuschen. Nichts! Stille.
»Wir wissen, dass du die Parder bist. Ich …« Er stockte. Was er jetzt sagen würde, hatte er lange nicht mehr gesagt. »Bitte! Rede mit mir.«
Ein Fauchen hallte aus der rechten Seite der Halle. Er hörte weiche Schritte, danach das Klatschen nackter Füße auf Metall. Dann bäumte sich rechts auf einem Container das Katzenwesen auf.
Sie knurrte und fletschte die Zähne.
»Myrielle …«
Sie schrie, sprang hoch und landete direkt vor ihm. Despair wich nicht zurück. Kreischend schlug sie auf ihn ein. Er parierte ihre Schläge, ging ein paar Schritte zurück, erwiderte keine ihrer Attacken mit einem eigenen Angriff.
Dann ließ sie erschöpft nach. Ihre blaugrünen Augen funkelten voller Hass. Despair verstand ihren Hass nicht. Woher rührte er?
»Was ist los mit dir?«
»Du Idiot verstehst wohl gar nichts? Heuchelst vor, mich zu mögen und lässt mich ermorden. Und an die kleine Anica habt ihr gar nicht gedacht.«
»Ich habe niemanden umbringen lassen. Du wurdest von Rebellen angegriffen …«
»Oh ja, das ist wohl eure offizielle Version. Euer lieber Erich Village hat mir was anderes erzählt, als ich aus ihm die Wahrheit herausgekitzelt habe. Jenmuhs wollte mich und Anica loswerden. Wir wussten wohl zu viel. Zu viel über eure Artenbestandsregulierung. Die Entsorgung, nein Ermordung von Millionen unschuldigen Lebewesen.«
Despair senkte den Kopf. Jenmuhs hatte versucht, sie umzubringen. Daran trug er keine Schuld. Doch an der Ermordung der über einhunderttausend Wesen eben schon.
»Ich war dabei, als ihr die Einwohner in Reih und Glied aufgestellt habt, um sie niederzumetzeln. Das ist das großartige Quarterium. Eine Mörderbande!«
Despair hob die Hände. Er wollte sie beruhigen, doch sie ließ es nicht zu. Sie fauchte und wollte ihn kratzen. Ein sinnloser Versuch, denn er war für ihre Krallen zu stark gepanzert.
»Wir reden in Ruhe darüber.«
»Und wenn ich das nicht will?«
Sie entmaterialisierte, um nur eine Sekunde später sich vor Schmerzen krümmend auf dem Boden zu kauern. Despair ging auf sie zu. Er beugte sich zu ihr herunter.
»Der Raum ist umstellt. Parafallen sind aktiviert. Ergib dich und ich garantiere für deinen Schutz.«
»Das …« Sie stöhnte laut. Doch dann rappelte die Parder sich langsam wieder auf und stützte sich auf den Armen ab. »Das hast du schon einmal versprochen. Das ging auch in die Hose.«
»Ich werde nicht zulassen, dass man dich mir ein zweites Mal nimmt.«
Die stupide Aussage brach aus ihm heraus und er rügte sich dafür. Parder sah ihn ungläubig an, dann fing sie an zu lachen. Es war ein abfälliges, gemeines Lachen.
»Glaubst du wirklich, dass ich dir jemals gehört habe? Oh! Cauthon, der Ritter, liebt die Katze! Wir könnten in einer Freakshow auftreten.«
Despair half ihr hoch.
»Zeig mir dein wahres Gesicht«, forderte Parder und strich mit ihrer Tatze über Despairs Helm.
»Ich zeige dir auch meines.«
Sie ging einen Schritt zurück. Ihr Gesicht, ihr ganzer Körper begannen sie zu verformen. Sie schrie laut auf, ging in die Hocke und krümmte sich, dann war sie wieder ein Mensch. Sie bedeckte die Intimbereiche ihres nackten Körpers mit ihren Händen und Armen.
»Dein Mantel«, bat sie.
Despair starrte sie verblüfft an. Er konnte sich an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Myrielle räusperte sich. Erst jetzt realisierte Cauthon ihren Wunsch. Er nahm seinen Mantel ab und reichte ihn ihr. Sie bedeckte sich damit und stand auf.
Ihre Augen waren wässrig.
»Nun du, Cauthon. Lass uns reden. Von Angesicht zu Angesicht …«
Despair hatte Angst vor diesem Moment. Sie würde mit Abscheu sein wahres Gesicht betrachten, ihn verachten. Aber vielleicht war dies der einzige Weg, sie zu retten. Er öffnete langsam das Visier, löste die Verankerungen an dem Halsstück und nahm die vordere Helmhälfte ab. Er starrte Myrielle an, wollte sich für sein entstelltes Äußeres entschuldigen.
Sie fuhr die Hand aus und streichelte über sein Gesicht. Ihre Augen blickten in die seinen. Sie zeigte keine Abscheu.
»Du brauchst keine Maske tragen. Die Verletzungen kann man heilen.«
»Die Maske schützt mich. Sie flößt Respekt ein, macht mich zu dem, was ich bin – der Silberne Ritter.«
»Ich will Cauthon und nicht den Silbernen Ritter. So wie du Myrielle und nicht Parder begehrst.«
Despair schaute sie an. Sein Verlangen nach ihr wurde größer. Er wollte sie halten, küssen. Ihr seine Liebe zeigen.
»Myrielle, bitte, gib auf. Ich sorge für dich. Ich lasse dich nicht allein …«
Sie fing an zu weinen.
»Ich weiß nicht, was los ist. Warum ist das alles überhaupt passiert? Vor wenigen Wochen war ich noch eine blöde Tippse.« Sie schob Despair sanft von sich. »Doch ich kann nicht wegsehen. Ich muss euch bekämpfen. Ihr seid Mörder.«
Despair setzte seine Maske wieder auf. Er zog sein Schwert und hielt ihr die Klinge entgegen.
»Dann müssen wir gegeneinander kämpfen, obwohl wir einander … lieben … sollten.«
»Cauthon, ich …«
Er zögerte nicht länger, schlug ihr mit der flachen Seite des Schwertes gegen den Kopf. Sie fiel bewusstlos zu Boden. Despair steckte das Schwert zurück in den Halfter und beugte sich über Myrielle. Er streichelte ihr Haar, wischte ihr behutsam das Blut von der Stirn. Im anderen Raum erwarteten ihn die Offiziere und Leticron.
»Du hast sie am Leben gelassen. Ich kenne diese weichherzige Seite gar nicht an dir«, meinte Leticron.
Despair baute sich vor ihm auf.
»Wir können sie immer noch zu einer Mutantin in unseren Diensten bekehren. Ich werde sie persönlich ausbilden.«
»Soso«, sagte Leticron gedehnt. Er glaubte ihm wohl kein Wort.
Despair ging zurück zu der Stelle, wo sie lag. Er trug sie in ihre Kabine und ordnete an, dass sie bewacht werden sollte, aber dass ohne seine Erlaubnis nichts gegen sie unternommen werden durfte.
»Ich finde dein Benehmen seltsam. Empfindest du etwas für die kleine Blondine?«, fragte Leticron, während er Despair in dessen Kabine begleitete. Dort wartete bereits das Essen auf den Corun von Paricza.
»Das wird aber auch Zeit, ich könnte einen ganzen Okrill verspeisen.«
Leticron stürzte sich auf die warme Mahlzeit. Despair interessierte das wenig. Er hatte wieder mit sich zu kämpfen.
Ein stechender Schmerz schoss plötzlich durch seinen Kopf. Er musste in die Knie gehen. Leticron senkte Messer und Gabel.
»Was ist?«
Dann schrie auch er auf. Brüllend schlug er mit den Fäusten gegen die Wand. Beide waren fast besinnungslos vor Pein. Despair versuchte die Schmerzen zu kontrollieren. Dann ließen sie genauso schnell nach, wie sie gekommen waren.
Begebt euch nach Beschryr. Erwartet dort die Wiedergeburt des Roten. Eilt euch, meine Söhne. Eilt euch …
MODROR hatte gesprochen. Despair blickte Leticron an. Der Überschwere nickte. Despair wusste, dass auch er die Nachricht erhalten hatte. Er befahl Oberst Tantum, sofort eine Fähre nach Beschryr bereitzustellen.
8. Die Animateure
»Na toll!«, fluchte Andrews. »Jetzt sitzen wir in der Falle. Du hättest diesem Unkraut nicht trauen sollen.«
Vorwurfsvoll blickte er in Elyns Richtung. Die Alyske schwieg. Das tat sie meistens. Andrews fand sie zwar unglaublich schön und schon deshalb auch sympathisch, aber Gal’Arn hätte ihr nicht die Führung durch Etustar übergeben sollen.
»Da kommen unsere Dschungelfreunde«, meinte Gal’Arn und deutete auf die trostlosen Gestalten, die von dutzenden Tieren zu der Siedlung gebracht wurden. Die Stadt war symbiotisch mit dem Dschungel verflochten. Baumhäuser, beleuchtete Höhlen und nur wenig Technik bestimmten das Bild. Andrews sah einige Animateure auf sie zukommen.
Sie waren eine Erscheinungsform des Volkes der Pterus und hatten während der Zeit der Ewigen Krieger die wahren Herren der Mächtigkeitsballung ESTARTU gestellt.
Gleichzeitig waren sie die Begleiter und Überwacher eines jeden Sothos gewesen.
Nach außen hin hatten die Animateure der Sothos und der Ewigen Krieger, die Singuva, wie stets nörgelnde, widersprechende Partner gewirkt. Doch in Wirklichkeit waren sie es gewesen, die die Entscheidungen getroffen hatten. Sie hatten sich als die »wahren Erben« der verschwundenen Superintelligenz ESTARTU bezeichnet und darüber gewacht, dass sich die Sotho und die Ewigen Krieger kodextreu verhalten hatten.
Im Extremfall hatte ein Animateur einem Sotho befehlen können, sich zu töten, um einem Nachfolger Platz zu machen.
Die Singuva hatten im August 446 NGZ offiziell die Macht in den Galaxien der Mächtigkeitsballung ESTARTU übernommen, nachdem die zwölf Ewigen Krieger in ihren Augen versagt hatten.
Doch ihr Hochmut war vor den Fall gekommen. Nach dem Ende des Kriegerkultes hatten sich die Singuva über alle Galaxien verstreut. Einigen wurde auch der Prozess gemacht. Nur wenige waren auf Etustar geblieben und versuchten, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Sie wollten die Welt friedlich hegen und pflegen, bis ESTARTU wiederkommen würde. Seither waren sie als friedliche Gärtner Etustars bekannt. Und das seit nunmehr 800 Jahren.
Andrews musterte die kleinen Echsenwesen. Sie waren ungefähr einen Meter groß und äußerlich ein verkleinertes Ebenbild der normalen Pterus. Anstelle des Schwanzstummels besaßen sie jedoch einen ein Meter langen Knorpelschwanz, den einige unter der Achsel trugen.
Die Bekleidung war spärlich. Die Singuva erinnerten ihn ein wenig an kleine Teufelchen. V-förmige Augenbrauenwülste, schräge Augen, V-förmiger Mund unter schnabelförmiger Schnauze, an der ein kleiner Knochenkamm begann, der bis in den Nacken reichte und dort ins Rückgrat überging.
»Hilfe, i bin a Star, holt mi raus!«, keifte Cüppüblöök mit schriller Stimme.
Auch den anderen Prominenten sah Andrews die Angst an. Nur Krosta schien gefasst. Er marschierte ruhig neben den Tieren und versuchte, auch seine Kameraden zu beruhigen.
Sie wurden direkt neben Andrews, Gal’Arn und Elyn aufgestellt. Die Tiere verschwanden und die Animateure bildeten einen Kreis um die Gefangenen.
Einer von ihnen trat näher.
»Ich bin Sorosh, der Oberste Gärtner im Garten ESTARTUs.«
Gal’Arn trat etwas hervor. Er war der bessere Redner, das gab Andrews neidlos zu.
»Ich bin Gal’Arn, Ritter der Tiefe. Dies sind Galaktiker, Schützlinge von ESTARTUs Bruder ES.«
»Und die Frau?«
Sorosh deutete auf Elyn. Jonathan war überrascht. Woher wusste der Singuva, dass sie keine Galaktikerin war?
»Ich bin eine Alyske. Wir sind ein uraltes Volk und euch freundschaftlich gesonnen.«
»Hm«, machte Sorosh. »Wir verweilen seit vielen Jahrhunderten auf Etustar, haben das Exil gewählt, um Buße für die Verbrechen unserer Vorfahren zu tun. Für gewöhnlich werden wir in Ruhe gelassen, doch seit einiger Zeit erhalten wir viel Besuch.«
Der Singuva blickte die auf die versammelten Campbewohner. Jonathan glaubte eine vorwurfsvolle Grimasse auf dem Echsengesicht zu erkennen.
»Wir sind dennoch nicht uninformiert. Die unterirdischen Anlagen auf Etustar arbeiten noch. In den Eidos und Morphen haben wir unsere Augen und Ohren. Wir wissen, dass ihr gekommen seid, um Hilfe zu ersuchen, erlauchter Gal’Arn.«
Die schrille Stimme des Singuva schmerzte in Andrews Ohren. Anscheinend schien er ihnen aber wohl gesonnen zu sein. Gal’Arn verbeugte sich und bedankte sich höflich.
»Wir sind zufällig auf die anderen gestoßen«, erklärte er.
»Geistlose Kreaturen. Sie verdienen den Tod. Sie haben nicht einmal um Erlaubnis gefragt, ehe sie kamen.« Offensichtlich erbost trat der kleine Animateur an die Dschungelcamper heran. Er stellte sich vor Turk River, mit dem er fast auf Augenhöhe war.
»Wir haben euer infantiles Gehabe beobachtet und jeden Tag gehofft, ihr würdet wieder gehen. Doch unsere Geduld ist jetzt am Ende. Verschwindet oder ihr werdet sterben.«
Dynüöl fing an zu weinen und zu schreien. Er ging auf den Pterus zu und stemmte die Ärmchen in die Hüfte.
»Na sage mal du, wie redest eigentlich mit uns, ey? Wir san Stars, Diven und Helden. Da kommst du dahergelaufene Ledertasche und erteilst uns Befehle? Du hast sie ja wohl net mehr olle. I mach des net mit, klaro?«
Sorosh wich zurück und winkte etwas herbei. Eine ganze Horde der Rampf-Tiere stapfte auf sie zu.
»Hast du vor unseren Wächtern mehr Respekt?«
Der Blue fasste sich an den Tellerkopf und schrie schon wieder. Er hörte gar nicht mehr auf. Andrews hatte die Nase voll. Mit wenigen Schritten stand er vor ihm und schlug ihn mit einem rechten Haken bewusstlos.
»Nein, hat er nicht«, sagte Andrews zu Sorosh.
»Hoher Sorosh«, mischte sich Gal’Arn ein. »Die Galaktiker sind im Geiste schwach, doch nicht von übler Natur. Stellt sie unter … unseren Schutz. Wir garantieren, dass sie euch nicht weiter belästigen werden.«
Andrews blickte seinen Meister verwirrt an. Wieso tat er das? Natürlich, er wusste es. Gal’Arn schätzte das Leben an sich am meisten. Er würde niemals zulassen, dass den Typen ein Leid angetan würde. Andrews erkannte, dass es auch der richtige Weg war. Man durfte sie nicht den Rampf überlassen.
»Sie dürfen bei euch bleiben. Nehmt sie aber mit, wenn ihr Etustar verlasst«, verfügte Sorosh. »Und nun zu eurem Begehr. Ihr sucht die Hilfe ESTARTUs?«
Gal’Arn nickte.
»In den estartischen Galaxien tobt ein furchtbarer Krieg. Dorgonen und Truppen des neu gegründeten Quarterium haben Siom Som und die anderen Galaxien überfallen. Es gibt Völker, die dagegen kämpfen. Eine Allianz wurde gebildet. Wenn ihr uns helfen könnt …«
Der Singuva winkte ab.
»Wir haben das Krieg führen seit mehr als 800 Jahren aufgegeben. Wir sind jetzt friedliche Gärtner. Wir können euch militärisch nicht helfen.«
Andrews seufzte. Die Reise war umsonst gewesen.
»Gibt es andere Möglichkeiten uns zu unterstützen? Eure Brüder sterben dort draußen.«
Gal’Arns Stimme war vom Ernst geprägt.
»Ihr dürft die Anlagen von Etustar untersuchen. Vielleicht findet ihr dort Hilfe. Auch erlauben wir euch, Etustar als Versteck zu nutzen. Doch erwartet nicht, dass wir für euch in den Krieg ziehen. Haltet uns aus diesem Unheil heraus.«
Sorosh drehte sich um und ging in eine Hütte. Ein anderer Animateur hüpfte auf sie zu.
»Folgt mir zu den Anlagen …«
Ein seltsames Volk, dachte Andrews.
»Johnny, du bleibst hier und kümmerst dich um die anderen«, befahl Gal’Arn und machte sich mit Elyn auf den Weg.
Das war nicht fair!
9. Das rote Gespenst
Die Fähre berührte nach einer halben Ewigkeit den Boden Beschryrs. Jedenfalls kam es Cauthon Despair so vor, als würden die Minuten, die sie brauchten, um auf dieser Welt zu landen, sich endlos dehnen.
Das Schott glitt zur Seite und Despair lief aus dem Raumschiff. Leticron folgte ihm. Sie wurden vom Gruppen-Kommandeur Floryn Alunatuk begrüßt. Alunatuks Gesicht war blass, als hätte er einen Geist gesehen.
»Nun, was geht auf dieser Welt vor sich?«, wollte Despair wissen.
Alunatuk seufzte und bat die beiden, ihm zu folgen. Er brachte sie zu dem Ort des Massakers, das wenige Tage zuvor stattgefunden hatte. Die Gegend war verwüstet, eine leere, tote Wüste aus Staub und Dreck. Die Spuren der Desintegratoren durchzogen das Gelände.
Und doch bemerkte Despair überall Wachposten. Anscheinend war eine ganze Shiftpanzer-Division zur Bewachung des Gebiets abgestellt.
»Sir, die Quelle liegt hier irgendwo. Sie nehmen ab und zu Kontakt mit uns auf.«
»Sie?«, hakte Leticron nach.
»Ja … die Gespenster.«
Die letzten Worte hauchte Alunatuk nur noch. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Quatsch«, murrte Leticron.
Despair schenkte ihm keine Beachtung. Er spürte eine ungewöhnliche Präsenz. Ohne das Gespräch weiter zu verfolgen, schritt er in das Tal hinab, in dem mehr als 140.000 Wesen den Tod gefunden hatten. Die bedrückende Atmosphäre war fast zu greifen. Er ignorierte die Rufe von Alunatuk und Leticron.
Plötzlich grub sich eine Hand aus dem Boden. Sie reckte sich Despair entgegen. Dann folgte eine zweite Hand, die Arme und kurz danach wuchtete sich der verbrannte Körper eines Pterus aus dem Boden. Es war ein entsetzlicher Anblick. Die Leiche war völlig entstellt, in Verwesung begriffen und stank grauenvoll.
»Kommen Sie zurück, Sir!«, rief Floryn Alunatuk aufgeregt. »Feuerschutz für den Quarteriums-Marschall!«
Despair hob den Zeigefinger und bewegte ihn mehrmals von links nach rechts. Er wollte mit diesem Wesen reden.
Der Tote wankte mit knackenden Geräuschen auf den Silbernen Ritter zu, der keine Angst vor dem Gespenst hatte. Es musste etwas mit MODROR zu tun haben, sonst hätte der Meister nicht zu ihm gesprochen.
»Was willst du, Kreatur?«, fragte Despair barsch.
»Beordere deine Truppen von diesem Planeten! Alle sollen innerhalb von einer Stunde Beschryr verlassen haben oder sie werden sterben.«
»Eine Drohung?«
»Eine Warnung …«
Despair nahm sein Schwert und schlug dem Toten den Kopf ab. Das Gerippe fiel zu Boden, doch der Kopf sprach auch ohne Rumpf weiter. Die Augen glühten.
»Verschwindet und kehret erst wieder, wenn der rote Strahl Siom Som spaltet.«
»Und die Zivilbevölkerung?«
»Sie soll bleiben …«
Despair ließ den Totenschädel liegen und wandte sich ab. Er sah in den Gesichtern der quarterialen Soldaten, dass sie große Angst hatten. Nur Leticron wirkte gefasst.
»Eine bestimmte Nachricht?«, wollte er wissen, was im Klartext hieß, ob MODROR zu Despair gesprochen hatte.
»Sämtliche quarterialen Truppen werden innerhalb einer Stunde evakuiert. Die Schiffe ziehen sich an den Rand des Systems zurück. In einer Stunde muss Beschryr geräumt werden – nur die Besatzungstruppen, keine Einwohner!«
»Aber …«
Floryn Alunatuk konnte Despairs Befehl anscheinend nicht glauben. Er starrte den Silbernen Ritter mit weit offenen Augen an, als ob seine Welt zusammengebrochen wäre.
»Wir kehren nach Beschryr zurück, keine Sorge«, beschwichtigte Despair. »Jedoch warten wir auf ein Signal. Und nun los!«
10. Der Verräter
»Trokan steht inzwischen im vierten Haus. Das bedeutet, wir werden Besuch bekommen«, meinte Thontor Smitt. »Und die Venus steht in Schräglage zum Plutoasteroidengürtel. Das bedeutet, eine Schlange ist unter uns.«
Andrews war versucht, Smitt Glauben zu schenken. In der Tat schien der Mörder des Teamleiters aus dem Camp zu kommen. Die Animateure oder die Morphe und Eidos waren es sicherlich nicht gewesen. Sie hatten keinen Grund dazu gehabt.
Mit Besuch meinte der Wahrsager vielleicht einen Trupp des Quarteriums. Das würde übel werden, denn sie hatten nichts, um die Animateure zu verteidigen. Ganz zu schweigen davon, gegen ein Supremoschlachtschiff zu kämpfen.
»Sagen deine Sternchen auch, wer die Schlange ist?«
Hastig tippte Smitt etwas in seinen Rechner ein. Er verwendete wohl mit Absicht eine antiquierte Tastatur. Sie hatte jedoch den Vorteil, dass sein Gegenüber nicht mitbekam, was er eingab.
»Der Saturn strauchelt. Das heißt, er kann keine genaue Aussage liefern.«
Andrews verdrehte die Augen. Damit hatte er schon gerechnet. Wenn es drauf ankam, dann versagte der Wahrsager.
»Doch es sieht nach einer Teufelszunge im Engelsgewand aus«, fügte Smitt hinzu und nickte den Kopf, um sich selbst zuzustimmen. Der Schweiß perlte von seiner Stirn. Das war auch kein Wunder, so zugeknöpft, wie er bei den über dreißig Grad im Schatten herumsaß.
»Teufelszunge im Engelsgewand?«, wiederholte Andrews und blickte automatisch zu Zarolyne Axx herüber. Oder war es vielleicht Zuzan Zanke? Lyza da Ugur? Persönlich würde Jonathan die beiden letzteren nicht unbedingt als attraktiv einstufen. Sicher waren sie es mal vor vielen Jahren gewesen, doch hier im Camp machten sie nicht die beste Figur. Die Akonin war schön und resolut. Aber auch intrigant, wie Andrews zu Beginn festgestellt hatte.
Er schüttelte den Kopf. Warum verließ er sich auf die Aussagen eines debilen Wahrsagers, der sein Geld bei einem drittklassigen TV-Sender verdiente?
Jonathan musste auf seinen Instinkt vertrauen, auf die Intuition eines Ritters der Tiefe. Er sah die drei Frauen an. Zarolyne war von drei Singuva umringt, die sich mit ihr unterhielten. Lyza da Ugur saß mit Krosta und Wendboom zusammen, während Zuzan wieder abseits von allen auf einem Baumstumpf kauerte. Das kam Andrews verdächtig vor. Warum war sie immer von allen abgekapselt?
Jonathan stand auf und ging zu ihr.
»Zuzan, du bist eine CIP-Agentin. Deine Tarnung ist aufgeflogen.« Andrews zog das Schwert und richtete es auf Zanke. Ihre Augen wurden wässrig, sie fing an zu zittern und dann weinte sie.
»Alle hassen mich. Ich … ich …« Sie flennte weiter, ergab sich in ihren Heulanfall und wollte gar nicht mehr aufhören. Andrews senkte das Schwert. Die anderen sahen ihn abfällig an.
»A geh, die Zuzan is doch koa Agentin«, meinte Dynüöl Cüppüblöök.
»Ich … ich …«, schluchzte sie. »Ich wollte doch nur meinen Vater wiedersehen. Ich weiß doch nicht, wer es ist. Vielleicht ist es ja ESTARTU?«
Andrews verstand den Zusammenhang nicht so ganz. Entweder war die Zanke nicht ganz normal oder eine brillante Schauspielerin. Er tippte auf die erste Variante.
Jonathan richtete sein Schwert auf die Campbewohner. Vielleicht würde sich der Mörder selbst entlarven.
»Du bist es!«, sagte er und achtete darauf, dass sich jeder von ihnen angesprochen fühlte.
»I bin koa Agent«, jammerte nun auch Cüppüblöök und fing an zu weinen. Er pochte wieder auf den Tellerkopf und rannte im Kreis.
»Nein«, sagte Andrews entschlossen. »Der CIP-Agent und Mörder des Teamleiters muss intelligent sein. Gerissen und kräftig. Oder zumindest flink.«
Andrews Blick schweifte von Krosta über Wendboom, Lyza da Ugur und Zarolyne Axx. Dann sah er Turk River tief in die Augen. Oder war es Zonya gewesen?
»Ritter der Tiefe«, hörte Andrews Sorosh hinter ihm rufen. Jonathan drehte sich um.
»Was gibt es?«
»Ein Schiff ist in den Orbit vorgedrungen. Ein Kugelraumer mit plattem Ringwulst und einem zylinderförmigen Anhängsel. Das Raumschiff hat einen Durchmesser von 500 Metern.«
Sorosh schien besorgt zu sein.
»Ein Supremoraumer der Klasse E. Jemand muss sie informiert haben. Gibt es Abwehrmöglichkeiten auf Etustar?«
Sorosh nickte schwach.
»Eure Freunde werden sich darum kümmern. Die Anlagen ESTARTUs bergen viele Geheimnisse und Schutz für uns alle …«
»Die Sterne stehen aber ziemlich ungünstig«, meinte Thontor Smitt und grinste seltsam.
»Dein Hirn steht auch ungünstig«, zickte Zarolyne ihrem ehemaligen Lästerkollegen zu. »Wir haben doch keine Chance gegen quarteriale Soldaten. Was für ein Mist, hätte ich bloß Flash weiter moderiert.«
Andrews konnte sich das Gekeife nicht länger anhören. Vielleicht war es aber auch nur Show von Axx. Wenn dem so war, musste sie die Agentin sein.
»Ein 500 Meter Stern steht direkt im ersten Obergeschoss«, verkündete Smitt und lachte.
Er tippte irgendetwas in seinem Computer ein und der Rechner schwebte plötzlich von alleine. Er legte sich zehn Meter von ihnen entfernt auf den Boden und baute sich auseinander. Greifarme fuhren aus den Seiten heraus und diverse Kleinteile schwebten aus dem Gehäuse, nur um mit dem Rest zusammen gebaut zu werden. Der Rechner war nun flach und bot eine Fläche von zwei mal einem Meter. Es baute sich ein künstliches Feld um ihn herum auf. Jetzt dämmerte es Andrews erst. Eine Transmitterstation!
Sofort erschienen die Konturen von zwei Quarterialen. Andrews zog seinen Strahler.
»Das würde ich nicht machen«, riet Thontor Smitt und zog eine Waffe aus seinem Anzug. Er sprang auf, packte Zarolyne Axx von hinten und drückte ihr den Strahler an die Schläfe.
»Was soll das du Arschloch? Mistschweinenase! Du blöder Penner, das tut weh!«, zeterte Axx. Dann fing sie an zu weinen, so dass nun sie, Zuzan Zanke und Cüppüblöök gemeinsam heulten. Auch Lyza konnte sich nicht mehr zurückhalten.
»Bitte«, sagte Smitt leise. »Zarolyne ist Fisch und für die Fische ist das heute ein ganz schlechter Tag.«
Andrews warf den Strahler auf den Boden. Die beiden Quarterialen Soldaten drückten ihn auf den Boden. Zwei weitere kamen aus dem Transmitterfeld, dann noch zwei. Es wurden mehr und mehr.
Mehr als drei Dutzend Truppen hatten sie inzwischen umringt. Die Animateure hatten schlagartig die Flucht ergriffen.
Ein arkonidischer Offizier vom Rang eines Colonels trat an den breit grinsenden Smitt heran. Er ließ Axx los, die sich auf den Boden warf und weinte. So resolut, wie sie während der Sendung vorzugeben schien, war sie nicht, stellte Andrews fest. Sie stellte jetzt wohl den Unterschied zwischen ekligen Dschungelprüfungen und dem tödlichen Ernst des Krieges fest.
»Sehr gute Arbeit, Herr Smitt.«
Smitt nickte.
»Ich nehme an, es bleibt bei der Vereinbarung?«
»Ja, Herr Smitt. Wir werden ein gutes Wort beim Intendanten von INSELNET für Sie einlegen. Sie werden Ihren Job bekommen.«
Andrews wurde noch wütender. Thontor Smitt hatte alle nur für einen schäbigen Job verraten. Er war durch und durch gewissenlos. Der Colonel ging auf Jonathan zu. Die Überheblichkeit des Offiziers war nicht zu übersehen. Er trat gegen Andrews Brust. Jonathan kullerte nach hinten. Er rappelte sich wieder auf, da spürte er schon den Gewehrkolben in den Kniekehlen, sackte auf die Knie und versuchte den Schmerz zu ertragen.
»Wir hätten nicht gedacht, dass sich die Bestechung von Herrn Smitt wirklich auszahlt«, sagte der Offizier lächelnd. »Doch irgendwann mussten die Rebellen Etustar, die Welt ESTARTUs aufsuchen.«
Der Quarteriale sah sich um und schüttelte mit abfälligem Gesichtsausdruck den Kopf.
»Was für ein öder Planet.«
»Was wird jetzt aus uns?«, fragte Krosta.
»Was schon? Sie werden hingerichtet!«
11. Das Quarterium auf Etustar
Der Offizier wanderte um die Gefangenen herum. Inzwischen hatte Andrews auch seinen Namen erfahren. Emror da Solan. Der Arkonide musterte die Gefangenen abfällig und schien sich über ihr Leid zu erfreuen. Welche Ironie, dachte Andrews. Nun hatten die Fernsehprominenten ihre perfekte Show. Würde das ausgestrahlt werden, würden die Zuschauer mitfiebern. Nur konnte hier keiner einfach so gehen. Sie mussten bis zum bitteren Ende bleiben. Das war der Tod.
Ein Space-Jet landete auf der Lichtung. Einige weitere Soldaten und ein Mann in Zivil stiegen aus. Der Offizier salutierte vor ihm. Der Terraner im dunklen Anzug und Ledermantel wirkte alles andere als sympathisch. Sein eisiges Lächeln wirkte aufgesetzt.
»Gestatten, Gregor McThott, Kommandeur der CIP-Gruppe Estartu B.«
»Bin entzückt«, meinte Jonathan und grinste.
»Ihnen wird das Lachen noch vergehen, Herr Andrews. Wir sind sehr stolz, dass uns so ein wichtiger Fang gelungen ist. Ihr Herr Ritter dürfte nicht weit von hier sein?«
Jonathan zuckte mit den Schultern.
»Wir werden ihn finden, keine Sorge, Herr Andrews. Keine Sorge, keine Sorge …«
McThott ging zu den anderen.
»Ist von den Damen und Herren vielleicht jemand gesprächsbereiter?«
»I konn doch gar nix dafür. I bin a Diva und will wieder singen. Die sans doch alle ballert do droben.«
Zarolyne Axx stieß Dynüöl Cüppüblöök unsanft an.
»Halt's Maul!«
»I holt net des Maul, du olle Schlampe«, giftete der Blue zurück. »Wos fällt dir ein mi zu haue? Glaubst wohl, du bist wos Besseres?«
»Halt die Klappe, du Hottentottenblue!«, brüllte Colonel da Solan. »Sei froh, dass du Tellerbirne überhaupt noch lebst. Also rede, wenn du weißt, wo die anderen sind.«
»Sie sind in den unterirdischen Anlagen von Etustar«, erklärte Thontor Smitt. »Wir sollten die Singuva fragen, wo sich die Anlagen befinden …«
»Haben Ihnen das Ihre Sterne gesagt?«, wollte McThott scheinbar belustigt wissen.
»Nein, ich habe das Gespräch mitbekommen«, antwortete Smitt pikiert.
»Wir werden die Singuva befragen. Holt den Anführer her.«
McThott legte seinen Mantel ab und widmete sich den Campbewohnern. Er nahm einen Stock und drückte einen Knopf an der Seite. Energie züngelte aus dem vorderen Ende des Stocks. Andrews befürchtete, dass McThott sie foltern würde.
Seine Befürchtung bewahrheitete sich sehr schnell. McThott drückte den Elektrostock an die Brust des Jülziisch. Der Blue schrie schrill auf. Er musste unglaubliche Schmerzen haben.
»Aufhören«, rief Krosta Korokhan.
Er erntete dafür einen Fußtritt des Arkoniden. McThott machte unbeirrt weiter. Dynüöl wand sich am Boden und weinte bitterlich. Jonathan empfand nun sogar Mitleid für den exzentrischen Blue. Dann hörte sein Peiniger tatsächlich auf. Die selbsternannte Diva blieb als klägliches Bündel am Boden liegen.
McThott wandte sich an Zarolyne Axx.
»Ein hübsches Gesicht. Da muss ich mir etwas anderes einfallen lassen …« Er grinste wieder und zog ein antiquiertes Rasiermesser aus der Tasche. Wahrscheinlich hatte er noch viel mehr Folterwerkzeuge dort drinnen. Er strich sanft mit dem Messer über die Wange der Akonin, die vor Angst zitterte. Tränen kullerten über ihr Gesicht.
»Ich … ich sage ja alles, Sir …«
»Oh, Frau Axx, ich habe Sie aber gar nichts gefragt.«
McThott lachte. Dieses heisere Lachen war furchtbar. Andrews versuchte seine Fesseln zu lösen, doch es ging nicht. Er konnte Zarolyne Axx nicht helfen. Langsam schnitt er eine Wunde in ihrer rechte Wange. Sie schrie auf und weinte noch mehr, wagte aber nicht einmal die Hände zu heben.
»Herr McThott, der Anführer der Singuva ist hier«, meldete ein Grautruppler.
McThott seufzte und steckte das Messer wieder ein. Er lächelte der Akonin noch einmal zu, als habe er mit ihr geflirtet, und zwinkerte.
Sorosh wurde von den Soldaten zum CIP-Kommandeur geschubst. Der Animateur versuchte seine Würde zu bewahren, doch das war den Quarterialen offensichtlich völlig gleichgültig.
»Wo sind die Anlagen, Reptil? Sprich schnell, meine Zeit ist kostbar.«
McThott war nun weniger freundlich. Er konnte Nichthumanoide anscheinend nicht leiden. Andrews fragte sich, in welchen Kanälen sich diese Ratten eigentlich bis zur Gründung des Quarterium versteckt hatten?
»Etustar ist ein heiliger Planet. Er ist der ehemalige Sitz einer Superintelligenz. Maßt sich das Quarterium wirklich an, ESTARTU herauszufordern?«
Sorosh schien davon überzeugt zu sein, dass ESTARTU ihn beschützen würde. Dabei musste er doch wissen, dass die Superintelligenz seit unzähligen Jahrtausenden nicht mehr auf Etustar gewesen war.
»Das Quarterium ist bestrebt, die höchste Macht im Universum zu werden. Auch eine Superintelligenz, die sich seit knapp 53.000 Jahren nicht mehr gemeldet hat, wird uns nicht aufhalten.«
»Wir werden sehen«, gab Sorosh zurück. »ESTARTU beschützt uns. Sie ist allgegenwärtig. In den Morphen und Eidos, überall …«
»Humbug, ein telepathischer Trick, Herr Sorosh. Ich habe mich über diese Welt informiert.« McThott legte wieder sein satanisches Grinsen auf. »Aber wollen wir mal sehen, ob ESTARTU Sie beschützt.«
Er zog seinen Strahler und schoss Sorosh nieder. Die anderen Singuva schrien erschrocken auf. Sorosh war sofort tot. Sein lebloser Körper plumpste zu Boden.
McThott blickte sich erwartungsvoll um. Nichts passierte. Keiner rührte sich. Die Animateure versammelten sich schweigend um ihren toten Anführer.
»Tja, war doch alles Humbug. Brennt die Siedlung nieder. Schickt Suchtrupps aus. Wir werden die Anlagen finden.«
Colonel da Solan salutierte und befahl seinen Männern, sofort an die Arbeit zu gehen. Die Animateure wurden zusammengetrieben und in ihr Haupthaus gebracht.
McThott summte einen alten Marsch. Andrews kannte ihn von der Militärakademie Redhorse Point. Es war der Gary Owen Marsch, ein terranischer Kavalleriemarsch aus der voratomaren Zeit. Märsche hatten seit dem Beginn des Quarteriums wieder stark an Bedeutung gewonnen. Es war kaum ein Tag auf Paxus vergangen, an dem nicht ein Marsch zu einer Parade erklungen war.
Der CIP-Kommandeur schien jetzt wieder Zeit für seine besonderen Gefangen zu haben. Er stemmte die Arme in die Hüften und blickte zu ihnen herunter.
»Was machen wir jetzt mit euch?«
Hinter ihm baute sich etwas Großes auf. Der Schatten der Kreatur war gigantisch. Andrews traute seinen Augen nicht: Hinter McThott trottete ein riesiger Felsen heran. Jetzt schien es auch der Offizier des Quarteriums zu bemerken. Er drehte sich langsam herum und schrie los.
Von allen Seiten kamen Tiere, unzählige Tiere. Große und mächtige Raubtiere. Plötzlich tauchten hunderte oder gar tausende Vögel über den Quarterialen auf. Dann griffen sie an. Die Tiere stürmten auf die überraschten Soldaten zu. Der Felsen ließ sich auf den Boden fallen und zermalmte McThott unter sich.
Einige Animateure eilten aus dem Wald herbei und lösten Andrews Fesseln. Dann die von Cüppüblöök. Die Wachen erkannten die Befreiung und feuerten auf die Animateure. Andrews sprang zur Seite, doch die anderen wurden getroffen. Manche suchten ihr Heil in der Flucht. Jonathan hielt nach seinem Strahler und dem Caritschwert Ausschau. Sie befanden sich nur wenige Meter von ihm entfernt. Zu weit, denn sofort erntete er einen Tritt von Colonel da Solan. Andrews rappelte sich auf und boxte auf ihn ein, doch der Arkonide wandte einen Dagorgriff an, parierte die Schläge und schickte Andrews wieder zum Boden. Dann nahm er ihn in einen Würgegriff. Jonathan versuchte sich verzweifelt zu befreien. Die Luft wurde ihm knapp und der Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerplatzen.
»Dynüöl … meine … Wa … Wa …«, röchelte Andrews, doch nichts tat sich. Jonathan nahm die letzten Reserven zusammen und rammte seinen Ellenbogen in da Solans Magen. Der Arkonide lockerte den Griff, hämmerte jedoch sein Knie in Andrews Nieren. Jonathan wäre beinahe bewusstlos geworden vor Schmerz. Er platschte auf den Bauch. Da Solan trat auf ihn ein.
»I konn des net. I hob Ongst. I hob so schreckliche Ongst«, plärrte der Blue.
Andrews verwünschte diese Heulsuse.
»Befrei mich«, rief Krosta.
»I hob Ongst …«
»Du kannst es tun. Du bist doch ein Superstar. Zeig allen, dass du der Größte bist.«
Cüppüblöök sah Zarolyne verwundert an.
»Meinst des ehrlich, du?«
Sie nickte.
»Oh, des is abba süß. Umarme mi jetzt …«
Andrews verdrehte die Augen. Er versuchte zum Schwert zu robben, doch immer wieder trat da Solan auf ihn ein.
»Mein Schwert«, brüllte Jonathan laut.
Cüppüblöök löste die Umarmung und atmete tief ein. Er rannte los, anscheinend nur noch das Schwert vor Augen, dann rutschte er aus, schlitterte zum Schwert und Strahler und schubste sie in eine kleine Grube.
»Nein«, schrie Andrews entsetzt.
Er rollte sich zur Seite und trat gegen das Knie des Arkoniden. Der taumelte zurück. Diese Verschnaufpause hatte Jonathan gebraucht. Er rappelte sich hoch und donnerte seine Faust in das kantige Gesicht des Gegners. Dieser fing den nächsten Schlag ab, hakte Andrews Arm ein und drehte ihn herum. Das Knacken und der damit verbundene Schmerz ließen Jonathan laut aufschreien. Er riss sich von da Solan los und fiel auf den Boden. Die Schulter war ausgekugelt. Jonathan stand auf und rannte gegen den Felsbrocken. Er hämmerte seine Schulter dagegen, bis es erneut knackte. Der Schmerz ließ nach, sie war wieder eingerenkt.
Lange erfreute er sich dessen nicht, denn Colonel da Solan stand bereits hinter ihm und nahm ihn wieder in einen Würgegriff. Andrews konnte gegen den Dagorgriff nichts ausrichten. Mit weit geöffneten Augen starrte er zu Dynüöl Cüppüblöök herüber.
»Des is in a Grube mit vielen klanen Viechern gefallen, I trau mi net do rein zu gehen.«
»Mach schon, sonst töte entweder ich oder der Arkonide dich«, rief Andrews mit letztem Atem.
Cüppüblöök sprang kreischend in die Grube und fischte Schwert und Strahler heraus. Er warf beides hoch auf den Rand und zog sich so schnell er konnte aus der Grube. Dann schrie er laut und stolperte über seine eigenen Füße. Cüppüblöök eilte zu Strahler und Schwert, doch jemand war ihm zuvorgekommen: Thontor Smitt!
»Das Horoskop von Jonathan Andrews für den heutigen Tag besagt: Tod!«, verkündete der Sadist. Er richtete die Waffe auf den Blue. »Aber dein Horoskop ist auch nicht besser, du peinlicher Jammerlappen! Es wird mir ein Vergnügen sein. Ich tue der Menschheit damit sogar einen Gefallen.«
Ein Schuss fiel, doch nicht Cüppüblöök fiel um, sondern Smitt. Hinter ihm erkannte Andrews voller Erleichterung Gal’Arn. Er nahm sein Schwert und warf es zu Andrews herüber, der die kurze Irritation von da Solan nutzte, sich losriss, das Schwert ergriff und den Kopf des Arkoniden mit einem einzigen Streich abschlug.
Die anderen Quarterialen flohen. Doch ihr Schicksal wurde nach wenigen Metern im Dschungel besiegelt. Andrews hörte ihre Schreie aus dem Wald. Gal’Arn trat an ihn heran.
»Die Singuva beherrschen die Morphe und Eidos. In den unterirdischen Anlagen sind Suggestionsmaschinen, die die Tiere kontrollieren. Elyn ist dort und hat den Angriff zusammen mit den Animateuren geleitet.«
Ein Singuva kam zu den beiden, während andere Pterus die Geiseln befreiten.
»Das ist Skarsh, der Anführer aller Animateure auf Etustar.«
Skarsh nickte kurz zur Begrüßung.
»Wir sehen die Gefahr durch das Quarterium ein. Wir werden euch voll und ganz unterstützen. Kommt mit. Eure Freunde auch.«
Die Dschungelcrew war inzwischen befreit. Cüppüblöök stand noch sichtlich unter Schock. Lyza und die anderen Frauen versuchten ihn zu trösten. Heulend fielen sich alle in die Arme. Sie folgten dem Animateur, der sie zu den unterirdischen Anlagen brachte.
»Sie sind Jahrtausende alt«, erklärte Skarsch. »Einiges wurde von euren Artgenossen während des Kampfes gegen die Ewigen Krieger vernichtet. Doch vieles ist erhalten und wurde neu aufgebaut.«
Andrews sah Elyn bereits von weitem. Sie nickte Andrews mit einem feinen Lächeln zu.
»Nichts anfassen, Kleiner«, riet Krosta seinem Mitcamper Cüppüblöök.
»Ah geh, i do net …«
Skarsh deutete auf ein Schaltpult.
»Etustar ist durchaus in der Lage, sich selbst zu verteidigen.« Er drückte zwei Knöpfe. Das Supremoschlachtschiff erschien auf einem dreidimensionalen Bildschirm. Dann aktivierte er eine Kontrolle. Ein Zielvisier erfasste das Schiff. Skarsch betätigte eine weitere Taste und ein todbringender Energiestrahl erfasste den Raumer. Der Schutzschirm begann zu flackern, weitere Salven folgten, dann verging das Raumschiff.
»Wo sind die denn hin?«, wollte Zuzan Zanke wissen.
»Vernichtet«, herrschte Zarolyne sie genervt an. »Dumme Hackfresse«, flüsterte sie leise, doch Andrews hatte es verstanden. Zarolyne Axx bemerkte das und lächelte ihn unschuldig an.
»Skarsch, wir möchten dich offiziell bitten, auf Etustar eine Station zu errichten. Es wäre ein perfekter Schutz für unser Hauptquartier«, bat Gal’Arn.
»Es sei gewährt.«
Skarsch versuchte offenbar seine hohe Stimme auf einem so angenehmen Ton wie möglich zu halten. Gal’Arn reichte als menschliche Geste der Freundschaft dem Pterus-Animateur die Hand. Skarsch überlegte offenbar, was das zu bedeuten hatte. Dann streckte er seine kleine Hand zögerlich aus und ergriff Gal’Arns.
Turk River und Zonya Zytschow filmten den historischen Moment. Einst waren die Singuva arge Feinde der Menschen gewesen, doch die Geschichte zeigte auch hier, dass jede Feindschaft zu Freundschaft werden konnte im Lauf der Zeit.
12. Die Wiedergeburt
Eine Stimme rief nach mir und ich folgte ihr durch das Weltall. Immer näher und näher, doch sie hatte sich immer wieder von mir entfernt. Dennoch rief sie wieder und wieder meinen Namen.
Sie rief ihn immer noch. Es nagte an meinem Verstand: Freude und Leid, Leben und Tod lagen so dicht beieinander.
Als ob ich das nicht selber wusste, denn seit Äonen weidete ich mich am Tod der anderen.
Das Licht blieb stehen. Ich kam näher heran. War das die Ewigkeit? Eigentlich wagte ich nicht, das Wort Paradies zu denken, und dann tat ich es doch. Ich war nicht für das Paradies geschaffen, sondern für die Hölle.
Nein, mein treuer Verbündeter. Das ist nicht das Paradies. Es ist auch nicht die Hölle.
Die Stimme meines Meisters. Er hatte mich gefunden. Geleitete er mich zu meiner letzten Ruhestätte? Welche Ehre.
Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Deine Dienste sind unentbehrlich. Vergiss nicht, mein Gefährte, wir haben noch viel zu tun.
»Aber Meister, ich bin tot. Vergangen im Hyperraum. Osiris hat mich bezwungen. Der Alysker ist dahin«, rief ich mental.
Das mag sein, doch der Wiedergeburt eines noch mächtigeren Wesens steht nichts im Wege. Sieh dort auf diesen Planeten.
Das Nichts des Hyperraums entschwand und vor mir baute sich eine Gruppe von Galaxien auf. In gigantischer Geschwindigkeit brauste ich mit meinem Meister darauf zu, direkt in eine Galaxis hinein, bis wir vor einem System schwebten.
Sofort spürte ich dort die Präsenz des Todes. Sie umschloss mich wie ein wohliger, warmer Regen. Leben kehrte in mich zurück, Leben durch den Tod anderer. Ich sah ihr Schicksal, hörte ihre Schreie, ihr Winseln im Angesicht des Todes. Und dort war ich.
Wie Lämmer wurden sie zur Schlachtbank geführt. Einer nach dem anderen. Die erbarmungslosen Energiestrahlen zerfetzten ihre schwachen Körper. Das Leben wich aus ihnen und sie irrten verängstigt umher, auf der Suche nach der Absolution, ihrem Paradies.
Sie drangen in mich ein, stärkten mich. Ihre Pein war meine Freude. Ich durchlebte ihren Tod aufs Neue. Bei jedem einzelnen. Ich fühlte ihre Furcht kurz vor dem Ende.
Gehe auf diesen Planeten. Er ist dein. Tue, was du tun musst, um zu erwachen. Dann erwarte meine Instruktionen.
Ich gehorchte meinem Meister. Der Geschmack des Todes hatte mich längst in seinen Bann gezogen. Ich wollte nicht mehr ins Paradies oder in die Hölle, ich wollte die Hölle selbst sein.
Ich tauchte hinab auf ihre Welt. Somer, Ophaler, Pterus, Menschen. Sie mussten gewarnt werden, denn ihr Schicksal unterschied sich von dem der Bewohner Beschryrs …
*
Cauthon Despair handelte weise, indem er meine Befehle befolgte. So viele Tote! Nun konnte ich mich stärken, mich an ihren Seelen satt essen. Diese Freude hatte ich seit den Tagen auf Zerachon nicht mehr verspürt. Prosperoh und sein Volk waren mir dankbar gewesen. Nur dieser Ritter der Tiefe und seine Maden hatten es gewagt, mir zu widerstreben. Dabei waren einige kaum höher entwickelt gewesen als die Zerachonen selbst. Ich erinnere mich an diese naive Yasmin Weydner oder ihre eitle Freundin Uthe Scorbit. Es dürstete mich, mir auch ihre Seelen einzuverleiben.
Bald würde ich dazu die Gelegenheit haben. Schon sehr bald. Ich spürte MODRORs Instruktionen. Er gab mir wichtige Informationen, schilderte mir die Zusammenhänge und die Ereignisse während meiner Abstinenz.
Doch zuerst musste ich wachsen. Mein Wesen sollte wiedergeboren werden. Dazu benötigte es viele Kreaturen, um meinen Hunger und Durst zu stillen.
Die Bevölkerung auf Beschryr litt unter den jüngsten Ereignissen. Ihr Leid verlieh mir Kraft. Ich erforschte ihre Städte und fand eine ophalische Familie in der Hauptstadt Kamran. Ein liebender Vater, eine fürsorgliche Mutter, zwei putzige kleine Töchter. Welch süßes Szenario, welch heile Welt in dieser zerstörten Landschaft.
Ich beschloss, sie zu beobachten, mich in ihre Gedanken zu versetzen, an ihrem Leben teilzuhaben.
»Hast du schon die Nachrichten gesehen, Schatz?«
Saruun-Ziin war tatsächlich über die aktuelle Lage auf Beschryr besorgt. Seiner Frau Sanina-Ziin erging es nicht anders, auch wenn sie es nicht zeigen wollte. Sie sorgte sich ebenso um ihren Mann und ihre Kinder. Sie liebte alle drei abgöttisch und wollte ihnen in der schweren Stunde Kraft geben. Das Gleiche wollte ihr Ehemann tun. Wie es sich für eine gute Ehe gehörte, standen sie einander bei.
Nur nicht mehr lange.
»Ja, Liebes. Das Verschwinden von so vielen Bürgern kommt mir komisch vor. Wir …« Er stockte, ging zu Sanina und hielt sie zärtlich fest. Er trällerte ein liebliches Lied in ihre Ohren. »Wir sollten vielleicht den Planeten verlassen.«
Sie nickte. Sie wusste, dass es der einzige Weg war, um sicher vor den tyrannischen Eroberern zu sein. Ihre Kinder spielten mit Puppen, zankten sich um einen kleinen Schuh. Sie hatten keine Ahnung von dem Krieg, waren sorglos und leichtfertig.
Nur nicht mehr lange.
Nimm das große Beil zum Holzhacken aus der Kammer.
Saruun fasste sich an den Schädel. Er glaubte nicht, was er eben gehört hatte. Welch ein Narr, natürlich konnte er nicht begreifen, was vor sich ging. Wie sollte er auch? Verlangten Menschen von einem Geißeltierchen, Algebra zu beherrschen? Doch der Ophaler befolgte meinen Befehl. Er versuchte sich zu wehren. Das grenzte beinahe an eine Beleidigung. Glaubte er wirklich, sich gegen mich wehren zu können? Narr …
Endlich ging er in die Kammer, öffnete langsam die Tür und starrte auf die Axt. Seine Augen ruhten auf der scharfen Klinge.
Nimm sie!
Nun griff er mit seinen tentakelhaften Greifarmen nach dem Werkzeug. Er nahm es fest in die Hände und drehte sich um.
Geh zu deiner Frau. Spalte ihren Schädel.
Der Ophaler tat, wie ich es ihm befohlen hatte. Er ging in die Küche und stellte sich vor seine Frau. Sie sah ihn erschrocken an, begriff den Ernst der Lage nicht.
»Was willst du mit dem Ding?«
Saruun-Ziin packte sie und schleuderte sie gegen die Wand. Dann holte er aus und schlug zu.
Herrlich! Ihr Gefühl der Angst, der Endgültigkeit, nachdem sie realisiert hatte, dass ihr Ende gekommen war, stärkten mich. Ihre traurige Seele wanderte in die meine. Sie gesellte sich zu den anderen 140.000 Kreaturen, die auf dieser Welt vor kurzem ihren Tod gefunden hatten. Es waren noch viel zu wenige, ihre Schicksale zu harmlos.
Oh, nun fingen seine Gören an zu schreien. Die kleinen, süßen Bälger jammerten und wehklagten. Sie schrien immerzu nach ihrer Mutter.
Du bist noch nicht fertig, mein ophalischer Freund. Geh zu deinen Kindern.
Ihre Herzen pochten höher, als sie ihren Vater blutverschmiert sahen.
Sie wollten weglaufen.
Schnapp sie dir.
Er rannte zu ihnen und packte die beiden. Mühelos schlug das jüngere Kind ins Gesicht. Sie kugelte zur Seite. Dann packte er seine älteste Tochter, die doch noch so jung war.
Ich befahl ihm, sich nacheinander an ihnen zu vergehen und sie anschließend zu töten. Dieser Ophaler hatte einen so schwachen Willen. Er tat alles, was ich ihm befahl. Das Kleinere von beiden sah zu, wie ihr Vater das andere umbrachte. Ich hatte das Gefühl, als würde jeden Moment ihr Herz stehen bleiben, so groß war ihre Furcht. Das Entsetzen war unglaublich. Ihre Welt brach zusammen. Sie kannten nur noch panische, hemmungslose Angst. Nur das beherrschte ihre Gedanken.
Dann war sie an der Reihe und starb durch des eigenen Vaters Tentakel.
Nachdem er sein Werk vollendete, entließ ihn aus meinem geistigen Bann.
Saruun-Ziin realisierte, was er getan hatte. Es war kein Alptraum gewesen. Er hatte seine Familie ermordet. Schreiend wie ein Baby kauerte er auf den Boden, packte schließlich die Axt und beendete sein nutzloses Dasein.
Ihre traurigen, ruhelosen Seelen wanderten in mich hinein. Ich fühlte ihre Schmerzen, ihre Todesängste und weidete mich an ihrem fassungslosen Entsetzen. Ich spürte, wie ich von Moment zu Moment stärker wurde, mich in diesem Universum wieder manifestierte.
Diese Familie war erst der Anfang. Jetzt kam der Rest von Beschryr … bis auf den letzten Bewohner!
*
»Es ist so schrecklich.«
Oberst Tantum war blass im Gesicht. Selbst den härtesten quarterialen Soldaten schockierten die Bilder von Beschryr. Vielleicht reagierten die CIP-Schlächter von Stevan da Reych weniger gerührt, doch die normale Besatzung der EL CID, die von der Artenbestandsregulierung nichts wusste oder wissen wollte, war zutiefst bestürzt. Despair hatte daran keinen Zweifel. Er brauchte nur in die Gesichter seiner Leute zu sehen.
Leticron stand unberührt vor dem großen Monitor. Vielleicht ergötzte sich der Corun von Paricza sogar an dem Massensterben. Despair hielt Leticron für extrem pervers, deshalb würde es ihn wenig überraschen.
Despair beobachte die vielen kleinen Bilder auf dem Gesamtschirm. Überall dasselbe Bild. Ein roter Schemen huschte an den Wesen vorbei, ob Somer, Pterus oder Ophaler. Sie begannen, einander zu zerstückeln. Auf die bestialischste Weise meuchelten sie sich und schrien im Wahn. Andere zerplatzen einfach oder ihre Körper zerliefen wie Wachs in einer Kerze, nachdem der rote Schemen an ihnen vorbei geschwebt war.
Nach vier Stunden war der Spuk vorbei. Übrig blieben die leere Stadt Kamran, leere Bauernhöfe, leere Siedlungen.
»Sir, die Ortung sagt, dass niemand mehr dort lebt. Nur noch Tiere und Insekten. Kein Intelligenzwesen mehr«, berichtete Oberst Tantum.
»Wie viele Einwohner hatte Beschryr?«, wollte Leticron wissen.
»Über dreihundert Millionen …«
Dreihundert Millionen Leben waren ausgelöscht. Unwiderruflich vernichtet von MODROR. Kein einziger Soldat des Quarteriums hatte sein Leben geben müssen. Dank des Hinweises des mysteriösen Toten hatten sie das gesamte Bodenpersonal rechtzeitig evakuieren können.
Despair wanderte voller Ungeduld in der Kommandozentrale umher. Leticron hockte gelassen auf einem Formenergiesessel und trank einen arkonidischen Wein.
Kommt hinunter, meine Söhne.
Despair blickte Leticron an, der schwach nickte. Der Corun hatte die Nachricht ebenfalls erhalten.
»Oberst Tantum, machen Sie die BREEN startklar. Der Corun und ich werden uns nach Beschryr begeben.«
»Aber, Sir!« Tantum war immer noch sichtlich mitgenommen von den entsetzlichen Bildern des Todes. »Das ist zu gefährlich. Ich bin um Ihre Sicherheit besorgt.«
Despair respektierte das Verantwortungsbewusstsein seines Ersten Offiziers. Tantum war gewissenhaft und loyal. Doch er verstand nicht annähernd, dass nicht die geringste Gefahr für ihn und Leticron bestand. Despair wollte es ihm auch nicht erklären. Niemand im Quarterium durfte wissen, dass sie in Wirklichkeit MODROR dienten.
»Dort wird keine Gefahr auf uns warten. Es ist vorbei.«
Tantum nickte zögerlich und gab Despairs Befehle weiter. Leticron stand auf und bewegte sich zum Ausgang. Despair folgte ihm. Sie betraten den Antigrav und ließen sich schwebend zu den Hangars transportieren.
»Was ist wirklich auf Beschryr passiert? Wieso hat MODROR diese Wesen ausgelöscht?«
Despair kannte die Antwort. Er hatte eine Theorie, wollte sie jedoch noch nicht preisgeben.
»Wir werden die Wahrheit bald erfahren. Es könnte sein, dass ein mächtiger Verbündeter zu uns stoßen wird.«
*
Despair landete die BREEN direkt auf dem Marktplatz von Kamran. Die Hauptstadt Beschryrs war zur Geisterstadt geworden. Eine tödliche Stille beherrschte die Stadt. Nur das Pfeifen des Windes unterbrach die Ruhe.
Leticron zog seinen Thermostrahler. Despair legte seine Hand darauf und drückte ihn herunter.
»Den wirst du nicht brauchen …«
Leticron steckte die Waffe zurück in den Halfter. Sie gingen ein paar Schritte und sahen sich um. Der Geruch der Toten drang selbst durch die Filteranlagen von Despairs Helm in seine Nase. Überall lagen verstümmelte Leichen, die Gliedmaßen über den Boden verstreut. Eine fast zwei Meter breite Blutspur verlief von einem Ende des Marktplatzes bis zum anderen.
Despair glaubte dort etwas zu erkennen.
»Was ist das?«, fragte Leticron, der es nun auch bemerkt hatte. »Irgendetwas rührt sich dort hinten …«
Sie gingen näher heran. An den Sohlen ihrer Stiefel klebte das vergossene Blut der Einwohner.
In der Blutlache vor ihnen bewegte sich etwas. Zuerst war es ein Schemen, dann verdichtete es sich, bis es eine feste Form besaß, und erhob sich. Der Kopf formte sich zu einem ovalen Helm. Nur ein Sichtschlitz ließ Despair erahnen, wo die Augen saßen. Dieser Schlitz leuchtete rot. Der Rest des humanoiden Körpers war von einem blutroten Umhang bedeckt. Das Wesen hatte eine Größe von etwa zwei Metern. Despair erkannte ihn.
Tief verneigte er sich vor der Inkarnation MODRORs. Leticron tat es ihm gleich.
»Ich bin wiedergeboren, meine Söhne. MODROR hat noch viel mit mir vor. Der Sieg der Kemeten hat nun endgültig an Bedeutung verloren. Es wird Zeit, uns für diese Schmach zu rächen.«
Despair lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er spürte die Millionen gefangenen Seelen in dem blutfarbenen Mantel des Roten. Sie litten, sie schrien vor Leid. Despair erinnerte sich an Gemälde aus dem terranischen Mittelalter. Damals wurde von Malern die Hölle oft als ein Ort mit tausenden dicht aneinander gedrängten Menschen dargestellt, ihre Hände in die Höhe gestreckt, wimmernd und klagend. Den Wesen in dem Roten erging es nicht anders. Sie waren körperlos, doch in der seelischen Hölle gefangen.
Despair wagte kaum zu sprechen. Er brachte nur ein Wort der Bewunderung heraus:
»Rodrom!«
13. Aufbruch
Der Rückflug glich einem Höllenunternehmen. Diese Dschungelplagen gingen der ganzen Crew der TERSAL mächtig auf die Nerven. Jonathan Andrews war froh, als die TERSAL den Orbit von Good Hope erreichte.
Endlich konnten sie den Ballast abliefern. Er warf einen Blick auf die Dschungelcampbewohner, die arglos im hinteren Raum hockten und fröhlich ihre Lieder trällerten.
Wenige Minuten später landete die TERSAL auf dem Raumhafen Good Hopes. Zwischen den hunderten von saggittonischen und akonischen Schlachtschiffen wirkte die TERSAL winzig, doch Jonathan würde das Schiff des Ritters der Tiefe Gal’Arn niemals gegen einen Kugelraumer eintauschen.
Nachdem Andrews, Gal’Arn und Elyn die ungebetenen Fluggäste in ihre Quartiere gebracht hatten, suchten sie Aurec auf. Der Saggittone begrüßte sie freundlich. Jan Scorbit und Mathew Wallace waren ebenfalls anwesend. Wallace und Scorbit begrüßten Andrews überschwänglich.
Aurec wirkte müde und angegriffen. Jonathan gefiel es nicht, seinen Freund in dieser Verfassung zu sehen.
»Ist alles klar mit dir?«
Aurec lachte bitter auf.
»Der Krieg verläuft gar nicht so, wie wir es uns vorstellen. Ich sehe nicht unbedingt positiv in die Zukunft. Ansonsten ist alles klar …«
Andrews legte seine Hand auf Aurecs Schulter und drückte sie.
»Immerhin musstest du dich nicht an der Front mit quarterialen Agenten und bekloppten Pseudostars herumschlagen.«
Aurec blickte ihn verwundert an. Gemeinsam berichteten Gal’Arn und Jonathan von den Ereignissen auf Etustar. Ebenfalls von der positiven Zusage der Singuva. Elyn war sehr still. Sie war blass und setzte sich auf einen Stuhl. Andrews dachte sich nicht viel dabei.
»Ich wäre gerne an der Front«, sagte Aurec. »Ich bin ein Mann der Tat. Mir gefällt es nicht, auf Good Hope zu sitzen, während tapfere Männer und Frauen ihr Leben riskieren.«
Aurec seufzte und setzte sich auch. Andrews war ratlos. Er konnte den Saggittonen sehr gut verstehen. Es würde ihm nicht anders gehen. Doch der Kanzler Saggittors musste um seine Fähigkeiten wissen. Er war ein Regent, ein Anführer. Mehr als ein Feldherr und sicher kein hitzköpfiger Held an vorderster Front. Aurec verstand es, die Wesen zu führen.
»Sam, Torrinos und Saraah sind nach Som aufgebrochen. Sie wollen dort den Widerstand leiten«, erklärte Aurec. »Jan hat wenig Erfreuliches von der Welt Beschryr zu berichten.«
Aurec gab das Wort an den Chef der USO in Cartwheel weiter. Scorbit berichtete von der Niederlage auf Beschryr.
»Beschryr …«, sagte Elyn plötzlich. Es klang wie ein Schrei. Tränen kullerten über ihre Wangen. »Auf Beschryr ist etwas Furchtbares passiert.«
Die anderen wurden hellhörig. Elyn blickte sie aus aufgerissenen Auge an, in denen Trauer und Entsetzen standen. Unartikulierte Laute bildeten sich in ihrer Kehle und sie presste beide Hände an den Mund.
»Der Rote ist zurückgekehrt. Er lebt noch.«
»Der Rote?«, wiederholte Aurec.
Dann schien er zu begreifen. Er erstarrte. Andrews konnte sich keinen Reim darauf machen.
»Rodrom«, sagte Gal’Arn ruhig. »Wie ist das möglich? Er wurde bei der Vernichtung des SONNENHAMMERs getötet.«
Elyn schluchzte immer noch. Andrews wusste nicht, was sie gespürt hatte, doch es musste furchtbar gewesen sein.
»Er ist wiedergeboren worden. Ein Rest von ihm hatte das Inferno im HELL-Sektor überlebt. MODROR hat ihn reaktiviert. Rodrom verweilt auf Beschryr. Ich fühle seine Präsenz. Ich fühle seine tödliche Kälte …«
Elyn wusste mehr über Rodrom als alle im Raum zusammen. Das war nun auch Jonathan Andrews klar. Anscheinend konnte sie ihn sogar spüren. Elyn machte immer noch ein Geheimnis um sich und ihre Herkunft. Eines war aber jedem im Raum sicherlich klar: Die Alysker waren ein besonderes Volk.
»Das bedeutet, MODROR wird das Quarterium unterstützen.«
Was Aurec aussprach, erschütterte Andrews zutiefst. Sie konnten einen Kampf gegen MODROR nicht gewinnen. Nicht gegen eine vereinte Allianz aus Quarterium, Dorgon und MODROR.
»Das tut er doch schon längst«, wandte Elyn ein. Sie versuchte sich wieder zu fangen und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Andrews hätte sie am liebsten in den Arm genommen, aber er bezweifelte, dass sie wirklich diesen Trost brauchte. »Die Zusammenhänge werden euch sehr bald klarwerden. Dann werdet ihr wirklich die Gefahr sehen, die von MODROR ausgeht. Ich muss mit Perry Rhodan sprechen.«
»Und wie willst du das anstellen? Wir haben keine Möglichkeit, über das Sternenportal bei Som-Ussad zur Milchstraße zu kommen«, warf Scorbit ein.
Elyn lächelte. So sah Andrews sie viel lieber.
»Wir müssen Umwege gehen. Fliegen wir nach M 87 und von dort aus durch das Sternenportal in die Lokale Gruppe.«
»Nach letzten Geheimdienstberichten scheint das Quarterium sowieso etwas mit M 87 zu planen«, meinte Aurec. »Wir sollten versuchen, die Konstrukteure des Zentrums als unsere Verbündeten zu gewinnen. Gal’Arn, Jonathan und Elyn werden mit der TERSAL dorthin fliegen. Das Schiff ist schnell.«
Der Ritter der Tiefe stimmte sofort zu. Es war beschlossene Sache. Andrews wunderte sich nicht mehr darüber. Kaum waren sie »zuhause«, mussten sie auch wieder los.
Der Abschied verlief schnell. Andrews erfuhr beiläufig, dass Robert Mohlburry die Dschungelprominenten auf der FOCUS nach Terra bringen würde. Jonathan schlug vor, dass auch sie sich auch auf der FOCUS verstecken sollten. Gal’Arn hielt das aber für zu gefährlich. Außerdem hatten sie ihren Auftrag: Die Völker von M 87 für ihre Sache zu überzeugen. Ein anderer scheute die Gefahr nicht – Sandal Tolk. Der Barbar von Exota Alpha wollte nach Cartwheel, um seinen Freund Joak Cascal zu suchen.
Am 21. November 1305 NGZ startete die TERSAL in Richtung M 87. Sie würden etwa zwei Monate unterwegs sein. Andrews war gespannt, was sie in der Heimat der Bestien erwarten würde.
14. Rodroms Befehl
»Seid nicht sprachlos, Söhne des Chaos. In diesem Universum gibt es viele Geheimnisse. Das Leben und der Tod sind vielleicht die Größten!«
Despair konnte seine Begeisterung schwer zügeln. Rodrom war zu ihnen zurückgekehrt. Leticron war still. Despair glaubte, der Corun fühlte so etwas wie Ehrfurcht vor dem Roten.
Despairs Interkom summte auf. Er aktivierte es. Oberst Tantums Stimme klang aufgeregt.
»Sir, ein fremdes Schiff hat das System erreicht. Es reagiert nicht auf unsere Funksprüche.«
Auf dem Display erschien ein Abbild des Raumers. Despair identifizierte es sofort als KARAN. Cau Thon und Goshkan befanden sich auf dem Weg nach Beschryr. Despair sah Rodrom an, dessen Sichtschlitz in einer anderen Farbe leuchtete. Er schien amüsiert zu sein.
»Lassen Sie das Raumschiff passieren. Es ist uns friedlich gesonnen.«
Despair beendete die Verbindung. Die KARAN war bereits am Horizont zu erkennen. Sie kam immer näher und verharrte über ihnen.
Schließlich erfasste ein Transmitterstrahl sie. Despair spürte das Kribbeln der Entmaterialisierung und fand sich einen Bruchteil von Sekunden später in der Kommandozentrale der KARAN wieder.
Vor ihm ragte der gewaltige Katrone Goshkan auf. Er packte Despair an den Schultern und drückte sie.
»Brüder!«
Despair wich etwas zurück, damit die spitzen Stoßzähne Goshkans nicht aus Versehen in seine Brust stachen. Auch Leticron wurde von seinem Bruder überschwänglich begrüßt.
Der Sitz des Kommandanten drehte sich langsam herum. Cau Thon saß darin. Seine Augen funkelten, als er Rodrom sah. Er stand auf, um sich zu verneigen.
»Herr, es ist eine Freude, Euch wieder zu sehen. Wohin wollt Ihr uns führen?«
Despair starrte seine Brüder und den Roten irritiert an. Wusste Cau Thon mehr als die anderen?
»Nehmt Kurs nach Absantha-Schad. 320.000 Lichtjahre von der ehemaligen Zentralwelt der Gänger des Netzes, Sabahl, entfernt, findet ihr eine Antwort auf eure Fragen …«
Cau Thon führte sofort den Befehl Rodroms aus. Despair saß angespannt neben seinem »Bruder« des Chaos. Seinem Namensgeber: Sein Vorname war nach Cau Thon, dem Freund seiner Eltern, ausgewählt worden. Thon war wie ein Idol für den Silbernen Ritter. Er bewunderte den rothäutigen Xamouri von ganzem Herzen.
Rodrom beschäftigte sich mit Goshkan und Leticron. Besonders Goshkan hatte seine Probleme, die Wiedergeburt Rodroms zu begreifen. Cau Thon blickte Despair seltsam an.
»Ich spüre Liebe in dir.«
Despair fühlte sich ertappt. Sofort dachte er an Myrielle Gatto. Ja, er hatte sich in sie verliebt. MODROR wusste es.
»MODROR wird keine Liebe dulden außer zu ihm. Mit deiner Liebe hast du bereits ihr Leben vernichtet.«
»Wie meinst du das, Cau?«
Thon grinste. Er schaltete die automatische Navigation ab und steuerte das Schiff manuell. Erst dann widmete er sich wieder dem Gespräch mit dem Silbernen Ritter.
»Rodrom wird deine Katzenfrau nicht tolerieren. Es kann gut möglich sein, dass sie den morgigen Tag nicht mehr erleben wird.«
Despairs Kehle zog sich zusammen. Ihm wurde schwindelig. Er hatte Myrielle vor Jenmuhs und da Reych beschützen können, doch vor Rodrom war es unmöglich.
»Diese Dinge werden später geklärt werden«, unterbrach Rodrom die beiden. Die Inkarnation wanderte um sie herum. »Aus dem Hyperraum jetzt austreten.«
Cau Thon reagierte blitzschnell. Die KARAN tauchte in den Normalraum ein. Cauthon Despair verschlug es den Atem. Vor ihm baute sich ein gigantisches Raumschiff mit der Form eines Totenschädels auf.
Hinter dem Raumschiff wurden noch mehr Raumer sichtbar. Eine schier endlose Flotte.
»Faszinierend«, sagte Cau Thon sichtlich beeindruckt. »Die Abtaster zeigen einen fünfdimensionalen Abdruck in dieser Region an …«
Cau Thon grinste diabolisch. Er wusste mehr als Despair, denn der Silberne Ritter hatte keine Ahnung, worum es sich bei dem fünfdimensionalen Abdruck handelte. Er sah zu Goshkan herüber, der wahrscheinlich noch größere Probleme hatte, der Konversation zu folgen.
»Ihr habt den Weg zu DORIFER geöffnet, Meister?«
Cau Thons Worte schlugen wie Hammerhiebe in Despairs Kopf. Jetzt verstand er. Sie befanden sich direkt bei den Koordinaten des ehemaligen DORIFER-Tores. Dort, wo jener fünfdimensionale Abdruck einen Eingang zum Kosmonukleotid gewährte.
»MODROR hat es geöffnet. Unser Meister ist unzufrieden mit eurem Plan. Es geht ihm nicht schnell genug.«
Rodrom wanderte in der Zentrale umher. Dann breitete er die Arme aus. Seine Aura umhüllte ihn. Sie breitete sich rasend schnell aus, umfasste Cau Thon und Goshkan. Zuletzt Leticron und Despair.
Sie fanden sich in einer dunklen Grotte wieder. Es stank nach verwesendem Fleisch. Nebel umhüllte sie bis zu ihren Knöcheln. Rodrom ging voran. Vor ihm öffnete sich eine Tür.
Das war keine Grotte!
»Willkommen auf meinem neuen Flaggschiff. Der SISHEN II.« Rodrom deutete den Söhnen an, mit ihm zu gehen. »Die SISHEN war vor vielen Jahrmillionen bereits mein Flaggschiff gewesen. Dies ist ihr Nachfolger.«
Die Kommandozentrale wirkte auf Despair völlig surreal. Sie war nicht mit der Brücke eines quarterialen Schiffes zu vergleichen. Die technischen Apparaturen hatte man in den kalten Felsen eingebaut. Die unterschwellige Bösartigkeit darin erweckte in ihm den nackten Horror.
Despair erkannte einige Zievohnen an den technischen Einrichtungen. Auch Rytar und Skurit tummelten sich in der Zentrale. Dazu noch mindestens ein halbes Dutzend Kreaturen, deren Rassen Despair nicht kannte.
»Beeindruckend. Ein Schiff mit der Gestalt eines katronischen Totenschädels«, meinte Goshkan.
»Eines humanoiden Totenkopfes«, verbesserte Despair.
»Ihr habt beide recht, Söhne des Chaos.« Rodroms Sichtschlitz leuchtete gelb. »Doch zerbrecht nicht eure Köpfe über das Aussehen der SISHEN II. Wie ich bereits sagte, ist MODROR nicht zufrieden. Das Kreuz der Galaxien ist ihm unterworfen, DORGON von Prosperoh befallen. Alles verläuft nach seinem Plan.«
»Wieso dann die Ungeduld?«, wollte Leticron wissen.
»Maßt du dir an, die Gedanken des Meisters in Frage zu stellen?« Rodrom schwebte vor Leticron und tippte ihm provokativ mit dem Finger auf die Brust. Man sah dem Überschweren sein Unbehagen an.
»MODROR unterschätzt seine Gegner nicht. Wir hätten sie im HELL-Sektor nicht unterschätzen dürfen und nun tun wir es auch nicht.« Rodrom schwebte zurück und ließ sich auf einen Thron nieder. Erst jetzt fiel Despair auf, dass der Thron aus Knochen gefertigt worden war. An Bord der SISHEN II schien alles etwas mit dem Tod zu tun zu haben.
»Endlich kann ich wieder Chaos im Universum stiften«, sagte Rodrom düster. »Darf ich euch unsere neuen Soldaten vorstellen?«
Rodrom gab einem Zievohnen ein Zeichen. Der Soldat rief etwas in barymischer Sprache. Das Schott glitt auf und eine hünenhafte Kreatur betrat die Zentrale.
Sie war etwas mehr als zwei Meter groß. Am auffälligsten war das in sich gewundene Horn. Die Körperfarbe war grün, manche Stellen waren mit braunen Haaren bedeckt. Filzig und nass hing eine Mähne vom Kopf herunter. Das Wesen trug eine Kampfrüstung. Die dolchscharfen Eckzähne lugten aus dem Maul.
»Das ist Yarzuk. Er ist der Prototyp eines neuen Volkes mit dem Namen Dscherr’Urk. Ich habe mit der Kreation in Barym begonnen, bevor ich von Osiris geschlagen wurde. Nun ist seine Art herangewachsen. Eine Horde von Kriegern, entstanden aus Genen der Turuk und Dscherro. Mein Kämpfervolk.«
Yarzuk knurrte finster. Despair musterte ihn. In seinen Augen war der Dscherr’Urk nichts weiter als eine stupide Kampfmaschine. Kein Wissenschaftler, kein Raumfahrer, kein Stratege. Was sollte MODROR mit solchen Kreaturen, wo er doch auf das Quarterium zurückgreifen konnte?
»Ich spüre euer Misstrauen«, sagte Rodrom, als ob er die Gedanken Despairs lesen könne. »Nun, die Dscherr’Urk sind Tötungsmaschinen, die unter Anleitung der barymischen Völker Chaos über euch alle bekannten Galaxien bringen können. Sie haben einen Vorteil gegenüber den quarterialen Soldaten – sie stellen MODRORs Befehle nicht in Zweifel …«
»Niemand stellt seine Befehle in Zweifel«, verteidigte sich Leticron.
»Ist das so, Cauthon Despair?«
Despair schloss die Augen. Er fühlte sich wie ein Schuljunge, den man bei etwas Verbotenem erwischt hatte. Nur waren die Ausmaße seines Vergehens in dieser Situation viel gewaltiger.
»Liebe ist etwas, was euch Menschen wohl immer begleiten wird. Es liegt in eurer Natur. Leticron liebt die Macht und sein Volk, Cau Thon liebte einst Ansunara und Despair sehnt sich nach der Liebe einer Frau.«
Die drei Söhne des Chaos blickten sich schweigend an. Niemand wagte etwas zu sagen.
»Nun denn! Dann hört mir genau zu. Sollte euch nicht bald der totale Sieg über die Saggittonen und die LFT gelingen, sollten nicht schon sehr bald alle estartischen Galaxien, M 87 und die Milchstraße unter der Kontrolle des Quarteriums stehen, wird MODROR sich selbst der Angelegenheit annehmen.«
Rodrom legte eine Pause ein. Er ließ seine Worte auf die Söhne des Chaos wirken. Despair spürte große Furcht. Nicht vor der eigenen Bestrafung, sondern vor dem drohenden Ende der Menschheit. Wenn es ihm und dem Emperador nicht bald gelingen würde, das quarteriale Banner über Terra zu hissen, würde es kein Terra mehr geben.
»Was das für Konsequenzen für eure geliebten Völker hat, brauche ich wohl nicht zu sagen. Kämpft! Kämpft für MODROR und ihr werdet reich belohnt. Versagt ihr, wird es nicht nur euer Ende bedeuten, sondern auch das eurer so geliebten Völker.«
Leticron ballte die Fäuste. Despair konnte ihn gut verstehen. Der Corun von Paricza war machtbesessen, doch ein Patriot. Er würde unter keinen Umständen den Untergang seines Volkes zulassen. Dem Silbernen Ritter erging es nicht anders. Die Menschheit sollte unter dem Emperador de la Siniestro in ein glorreiches Zeitalter geführt statt vernichtet werden.
»Und so lauten meine Instruktionen«, sagte der Rote schließlich. »Cauthon Despair wird nach Cartwheel zurückkehren, um die Invasion in M 87 und die Milchstraße vorzubereiten.«
Rodrom wandte sich an Leticron.
»Du wirst Aurec vernichten und die estartischen Galaxien endgültig erobern. Cau Thon und Goshkan werden nach M 87 reisen, um alte Freunde von gewissen Dummheiten abzuhalten. 1000 Schiffe werden euch begleiten.«
Cau Thon verneigte sich.
»Und nun kehrt zurück zu euren Schiffen. Ich werde mit euch in Kontakt bleiben. Der Sieg ist nahe.«
Epilog
Am 30. November 1305 NGZ verließ die EL CID Siom Som. Offiziell hatten Despair und Leticron verlauten lassen, dass unerklärliche Dinge auf Beschryr passiert waren. Ein fremdes Wesen, ein Wanderer zwischen den Galaxien, hatte die Katastrophe verursacht. Doch er war nun weitergezogen.
Niemand im Quarterium durfte die Wahrheit erfahren. Niemand durfte wissen, dass das gesamte Quarterium unter MODRORs Kontrolle stand.
Despair blickte voller Trauer auf die Welt Som-Ussad. Dort befand sich Myrielle Gatto. Er konnte sie nicht mehr schützen – durfte es nicht. Ihre Zukunft war ungewiss. Wahrscheinlich würde sie im Entsorgungslager Beschryr enden. Die Vorstellung brach Despair das Herz.
Doch er hatte nun Wichtigeres zu tun. Er musste die Menschheit retten. Welch ein Widerspruch: Der Mann, der der Menschheit Freiheit versprach, Perry Rhodan, wusste nicht, dass er in Wirklichkeit ihren Untergang besiegelte. Nur diejenigen, die Tyrannei und Unterdrückung androhten, konnten die Erde retten.
Eine gewaltige Flotte hatte sich um Som-Ussad gesammelt. Leticron setzte zum finalen Schlag gegen die Allianz an. In wenigen Stunden würde eine große Offensive gegen die Galaxis Erendyra beginnen.
Cauthon Despair hatte eines in Siom Som gelernt: Er war kein Sohn des Chaos aus Überzeugung, sondern weil er musste. Nur so konnte er die Menschheit vor ihrem Ende bewahren.
ENDE
Im nächsten Heft wechselt die Handlung in das Grüne Universum. Dort bahnt sich der Show-down zwischen Atlan und Monos an.
Michael Rossmann schrieb den nächsten Roman. Heft Nummer 79 trägt den Titel:
RUINEN VON TERRA
DORGON-Kommentar
Nach allen bisher vorliegenden Informationen der galaktischen Geschichtsforschung und Archäologie gehen die humanoiden Rassen der Milchstraße und Andromedas auf eine gemeinsame Ur-Rasse zurück, die Lemurer. Diese ist bekanntlich auf dem 3. Planeten einer unscheinbaren Sonne … usw. entstanden, oder war es der 5. Planet dieses Systems, Zeut, der zur Jetztzeit als Trümmerring um diese Sonne kreist? Wir sehen bereits hier, nichts Genaues weiß man nicht. Ich selbst neige dazu, diese gesamte Erklärung in den Bereich der Ammenmärchen zu verbannen, aber bleiben wir einmal aus Gründen der Vereinfachung dabei (nur als Hinweis: Wie sind andere humanoide Rassen wie beispielsweise die Hathor, die Laren, die Dorgonen u. a. zu erklären, die weitgehende genetische Gemeinsamkeiten mit den humanoiden Rassen der Milchstraße haben? Doch das wäre eine ganz andere Geschichte.).
Nun zurück zu unseren (vermeintlichen?) Ursprüngen. Nach der gängigen Geschichtsauffassung entstand etwa vor 55.000 – 60.000 Jahren auf dem uns heute unter dem Namen Terra bekannten 3. Planeten die Hochzivilisation der Lemurer. Innerhalb weniger Jahrtausende dehnte sich das lemurische Reich, das Tamanium, über die Milchstraße aus. Hiermit war eine mit dem »Solaren Imperium« des 25. Jahrhunderts vergleichbare Situation gegeben. Das Reich der »Ersten Menschheit« stand vor der Schwelle zum beherrschenden Machtfaktor in der Milchstraße zu werden, genau wie das »Solare Imperium« des 25. Jahrhunderts. Dann kommt es zu einer Duplizität der Ereignisse. Genau in der gleichen machtpolitischen Situation taucht plötzlich ein übermächtiger Gegner auf: die Bestien bzw. ihre Weiterentwicklungen. In beiden Fällen ist das Ergebnis nahezu identisch: Die Machtbasis der Menschheit wird zerschlagen, im Falle der Lemurer noch wesentlich nachhaltiger als im Falle des »Solaren Imperiums«. Die Begründung, die später den Terranern aufgetischt wird, ist in beiden Fällen wiederum identisch: Angeblich wurde durch »Zeitexperimente« eine Art kollektive Paranoia bei den Bestien ausgelöst, nur erscheint mir äußerst merkwürdig, dass sich diese »Paranoia« nur auf Zeitexperimente der Lemurer bzw. Terraner erstreckt. Die bekannte galaktische Geschichte weist genügend Zeitexperimente anderer Rassen aus, wobei ich hier nur das Beispiel der Akonen nennen will, die über Jahrtausende eine weitgehende Zeitforschung betrieben haben, ohne dass dadurch irgendwelche Bestien von »kollektiver Paranoia« befallen wurden und Amok liefen. Als Gipfel der Missachtung der Fakten durch die offizielle Geschichtsschreibung kann angesehen werden, dass genau diese Akonen, auf die der Begriff »Zeitverbrecher« mehr als zutreffend wäre, zu engen Verbündeten der Zweitkonditionierten werden. Terra scheint in dieser Situation dem Untergang geweiht. Doch dann greifen, welch eine Überraschung, ausgerechnet die Nachkommen der alten Bestien, die das lemurische Reich vernichtet hatten, auf Seiten der Terraner ein und retten das Sol-System vor der endgültigen Vernichtung. Als offizielle Erklärung wird später nachgereicht, dass lemurische Wissenschaftler mit einer Art Langzeitwaffe, dem Kontrafeldstrahler, aus den paranoiden Bestien friedliche Haluter geschaffen hätten. Ganz so, als ob sie gewusst hätten, dass nur diese in ferner Zukunft ihre Erben vor der Vernichtung durch die Nachfahren der Bestien, ihren eigenen Vorfahren, retten konnten.
Hierbei erhebt sich nur die Frage, wie ausgerechnet lemurische Wissenschaftler das bewirken konnten, was selbst den Schöpfern der Bestien, nämlich den »Konstrukteuren des Zentrums« unmöglich war.
Wem da nicht zu viel »Fiction« und zu wenig »Science« im Spiel ist, der verschließt die Augen vor den Tatsachen. Deshalb bleiben wir bei den bekannten, nachprüfbaren Tatsachen und gehen nochmals in die Zeit der lemurischen Hochkultur zurück.
Ergebnis der »kollektiven Paranoia« der Bestien ist der völlige Zerfall des lemurischen Reiches in der Milchstraße und der Rückfall der überlebenden Kolonialvölker in die Barbarei, die Jahrtausende währen sollte. Die Menschheit in der Milchstraße ist also als Machtfaktor ausgeschaltet.
Gleichzeitig kommt es zu einer parallelen Entwicklung: Dem Exodus der überlebenden lemurischen Elite samt den noch vorhandenen Flotteneinheiten nach Andromeda. Der wahre Hintergrund dieser Entwicklung wird deutlich, wenn wir uns die Auswirkungen vor Augen führen. Durch den Exodus der wissenschaftlichen Elite und der verbliebenen Raumflotten wird die Zerschlagung der »Ersten Menschheit« erst vollständig.
Und hier erhebt sich die Frage, wer hatte ein Interesse an dieser Entwicklung?
Als Antwort wird uns durch die offizielle Geschichtsschreibung eine »Verschwörung lemurischer Wissenschaftler« geliefert, die in der Organisation der »Meister der Insel« gipfelte. Genial, eine Erklärung für Schwachköpfe! Nicht nur, dass sich niemand je gefragt hat, woher diese so plötzlich »vom Himmel gefallen sind«, nein, auch die plötzlich vorhandene überlegene Technologie wird nicht hinterfragt. Als Hinweis soll uns hier nur das Beispiel der Zellaktivatoren dienen. Woher kamen sie? Offizielle Erklärung natürlich, wie könnte es auch anders sein, ES. Würde diese Ansicht der Wahrheit entsprechen, dann wäre die Superintelligenz noch zwiespältiger, als sie es sowieso ist. Denn die Konsequenz wäre, dass ES mit Absicht ein Regime von Staatsterroristen schlimmster Art installiert hätte. Ich traue ES sehr viel zu, aber zu dieser Niedertracht dürfte selbst er (oder es) nicht fähig sein. Also woher stammen dann die Zellaktivatoren der MdI?
Hierzu gibt uns die so genannte »Kritische Wissenschaft« eine andere Antwort, doch was ist hier eigentlich kritisch? Die Vertreter dieser Schule bescheinigen ES wiederum, man kann es sich schon denken, kollektive Wahnvorstellungen. Wo Logik fehlt muss also Wahn her, – einfach nur genial. Die Zellaktivatoren der MdI sollen in Wirklichkeit eine »Eigenentwicklung« (ja, man höre und staune!) eines einzigen supergenialen Wissenschaftlers, Selaron Merota, der dazu noch als Gipfel der Unlogik der Vater Mirona Thetins ist, gewesen sein. Zellaktivatoren, von einem Lemurer entwickelt? Aber natürlich, der hat einfach, so mir nichts, dir nichts, den Status eines Kosmokraten erreicht, ist aber auf der anderen Seite so naiv, dass er von Agaia Thetin und ihrer niederträchtigen Tochter ausgetrickst wird. Man soll nicht Kosmokratentechnik entwickeln, darauf steht Diebstahl und Verrat durch die eigene Geliebte und die wird natürlich danach von der gemeinsamen Tochter umgebracht. Logisch und absolut einsichtig, nicht wahr? Wie verblödet (man entschuldige bitte meine Wortwahl) muss man eigentlich sein, um diesen Schwachsinn zu verzapfen?
Also woher kamen nun die Zellaktivatoren und die überlegene Technik der Meister der Insel (einschließlich diverser Geräte zur Zeitmanipulation, die, man kann es sich wiederum schon denken, natürlich NICHT zum kollektiven Amoklauf der Erst- und Zweitkoordinierten führten, denn nur Zeitexperimente der alten Lemurer und des Solaren Imperiums sind strafbar!)?
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Die Kenntnis der bisherigen Hintergründe der Entwicklung in Cartwheel lassen eine ganz andere Schlussfolgerung weitaus wahrscheinlicher werden: Hinter den Ereignissen steckte MODROR!
Doch hüten wir uns vor Vereinfachungen und der Gefahr, aus Bequemlichkeit in die alten Fehler der offiziellen Geschichtsschreibung zu verfallen. Es wäre ja so einfach, die zuvor geschilderten Widersprüche einfach dadurch aufzulösen, dass MODROR hinter den Bestien und den MdI steht und DORGON, quasi als »Über-ES«, den Wandel der Bestien der Milchstraße zu den friedlichen Halutern bewirkt hätte, um die völlige Vernichtung der »Zweiten Menschheit« zu verhindern.
Weitaus wahrscheinlicher erscheint mir, dass hinter dieser Auseinandersetzung über Äonen noch ganz andere Mächte stehen, die im Moment noch gar nicht in Erscheinung getreten sind.
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In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals auf die von Nils geschilderten Ereignisse zurückkommen, um meine Ausführungen untermauern. Ich meine hier die Auferstehung Rodroms und das von ihm auf Beschryr angerichtete Blutbad. Rodrom und sein finsterer Herr scheinen ein existentielles Interesse an der Auslöschung nichtmenschlicher Intelligenzen zu haben. Gleichzeitig sind die Drohungen, die er gegenüber Despair und Leticron ausspricht, sehr bezeichnend und passen genau in meine obigen Ausführungen. Hieraus lässt sich ableiten, dass das Endziel MODRORS die Auslöschung aller positiven Eigenschaften der Menschheit ist: Der Mensch soll wieder zum Raubtier, zum gewissenlosen Massenmörder, zum dumpfen Instrument in den Händen unbekannter Mächte werden.
Fazit
Als Quintessenz der bisherigen Überlegungen bleibt festzuhalten, dass die bisherige Sicht der galaktischen Geschichte neu überdacht werden muss. Hierbei muss von folgendem Grundsatz ausgegangen werden: Alle bisherigen »Wahrheiten« müssen hinterfragt und gegebenenfalls neu bewertet werden. Die aktuellen Ereignisse in Cartwheel, Dorgon und den estartischen Galaxien lassen nur einen Schluss zu: Irgendwelche höheren Mächte, von denen bisher nur MODROR offen aufgetreten ist, haben ein doppeltes Ziel:
Einerseits sollen nichtmenschliche Intelligenzen durch einen bestialischen Völkermord dezimiert oder sogar ausgerottet werden, andererseits soll die Menschheit lemurischer Abstammung wieder in einen Bruderkrieg getrieben werden, dessen Ziel die Vernichtung der positiven Werte der Menschheit wie Demokratie, Toleranz und Menschlichkeit ist.
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Alles wogegen MODROR und das Quarterium steht, alles was durch die Ideologie des Quarteriums und MODRORs vernichtet werden soll, hat William Voltz bereits in seinem berühmten Band 1000 »Der Terraner« so formuliert:
Er kennt die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die Niedertracht, die Angst, den Hass, den Neid und die Sinnlosigkeit.
Er kennt das alles aus eigener Erfahrung, denn er ist einer von vielen Milliarden Menschen.
Er kennt aber auch die Hoffnung, den Mut, die Liebe, die Hilfsbereitschaft, die Kreativität, die Größe und die Erfüllung.
Er kennt das alles aus eigener Erfahrung, denn er ist einer von vielen Milliarden Menschen.
Er glaubt nicht, dass der Mensch ein Produkt des Zufalls in einem chaotischen Kosmos ist.
Er glaubt, dass tief in jedem Menschen eine unstillbare Sehnsucht verankert ist, seine kosmische Bestimmung zu erfahren.
Er glaubt nicht, dass der Mensch über den Rand des Abgrunds hinaustaumeln und auf einer von ihm selbst verwüsteten Erde untergehen wird.
Er glaubt, dass der Mensch sich als Teil eines wunderbaren Universums begreifen und voller Harmonie darin leben kann.
Perry Rhodan ist der Terraner.«
Jürgen Freier
GLOSSAR
Etustar
Einziger Planet der sogenannten Grünen Sonne im Zentrum der Überlappungszone von Absantha-Gom und Absantha-Schad, genannt der Dunkle Himmel; Äquatordurchmesser 13.150 km, Schwerkraft 1,04 g, mittlere Temperaturen bei plus 22 °C, Sauerstoffatmosphäre. Die Oberfläche besteht zu drei Fünfteln aus Wasser. Es gibt nur eine einzige große, zusammenhängende Landmasse, daneben kleinere Inseln. Der Kontinent ist von dichter Vegetation bedeckt. Es gibt keine größeren Bodenerhebungen, nur sanft geschwungene Hügelketten, die sich vom Zentrum der Landmasse aus wellenförmig zu den Küsten erstrecken. Alle technischen Anlagen sind unter der Oberfläche dieses Kontinents gelegen und vom Weltraum aus nicht zu orten. Sie erstrecken sich unter der gesamten Landmasse und reichen bis in rund 20 km Tiefe. Dort ist das Wissen der Superintelligenz ESTARTU gespeichert, der Etustar bis zu ihrem Verschwinden vor rund 55.000 Jahren als Sitz diente. Wegen der paradiesischen Natur und seiner Bedeutung für die verschollene Superintelligenz wird Etustar als Garten der ESTARTU bezeichnet. Die dort lebenden Pflanzen heißen Eidos, die Tiere Morphe – in Anspielung darauf, dass sie (was nicht der Fall ist) Bewußtseinsplitter ESTARTUS in sich tragen sollen. Sie lassen Besucher telepathisch wissen, dass sie »ESTARTU in sich tragen«, fühlen sich als Träger des Überwesens. »Etustar« bedeutet so viel wie »das Herz« und kann in seiner Bedeutung mit dem Kunstplaneten Wanderer der Superintelligenz ES verglichen werden. In der Handlungsgegenwart des 5. Jahrhunderts NGZ, bis zum Ende des Kriegerkults, wird Etustar von den als »Gärtnern« auftretenden Pterus vom Animateur-Typ verwaltet. Rund 100.000 davon leben auf dem Planeten. Überall, selbst in der unbelebten Materie, scheint ESTARTU noch zu sein, die Illusion ist perfekt. Auf Etustar wurden in einer besonderen Maschinerie die Sothos geklont, was Roi Danton und Ronald Tekener im September 430 NGZ durch Zerstörung der Anlagen ein für alle Mal abstellen. Es gibt ehemalige Kommunikationsverbindungen zu ESTARTU, die jedoch keine Antwort auf Fragen mehr liefern können. Bis zum Ende ihrer Herrschaft im Jahr 446 NGZ müssen die Ewigen Krieger in Jahrhundertabständen nach Etustar kommen, um ihr Leben durch eine erneute Zelldusche verlängern zu lassen, wobei sie gleichzeitig durch die Pterus per Gehirnwäsche wieder neu auf den Permanenten Konflikt eingeschworen werden. An diese Konditionierung haben sie danach keine Erinnerung mehr.
Animateure/Singuva
Die Bewohner der Welt Etustar. Eine der verschiedenen Erscheinungsformen des Volkes der Pterus, die wahren Herren der Mächtigkeitsballung ESTARTU während der Herrschaft des Kriegerkults.
Gleichzeitig Begleiter und Überwacher eines jeden Sothos. Nach außen hin wirken die Animateure der Sothos und der Ewigen Krieger wie stets nörgelnde, widersprechende Partner, was sich bis in die Rolle eines »Hofnarren« steigern kann. In Wirklichkeit sind es die Animateure, die die Entscheidungen treffen. Sie bezeichnen sich als die »wahren Erben« der verschwundenen Superintelligenz ESTARTU und wachen darüber, dass sich ein Sotho und die Ewigen Krieger kodextreu verhalten.
Im Extremfall kann ein Animateur einem Sotho befehlen, sich zu töten, um einem Nachfolger Platz zu machen.
Die Animateure übernehmen im August 446 NGZ offiziell die Macht in den Galaxien der Mächtigkeitsballung ESTARTU, nachdem die zwölf Ewigen Krieger in ihren Augen versagt haben. Es sind insgesamt 59 Animateure – 47 vom Planeten Etustar und die zwölf bisherigen Begleiter der Ewigen Krieger (insgesamt leben auf Etustar 100.000 von ihnen). Den Animateuren war, im Gegensatz zu den Kriegern, längst klar, dass ESTARTU nicht mehr in seiner Mächtigkeitsballung lebte.
M-A-R 21 »Phoenix« Sturm-MHV-Gewehr
Länge: 83 Zentimeter
Gewicht: 4 kg
Bewaffnung: MHV-Strahler (Thermo, Impuls, Desintegrator), Projektil-MG (400 Schuss á Magazin, Kaliber 7,62x51 mm), Stogsäuresprüher, ausfahrbares Vibrationsbajonett, Wechsellauf (Giftgas, Plasmaminimalbomben und »EMP« Patronen)
Defensivbewaffnung: 1fach gestaffelter Halb-HÜ-Schirm
Technische Extras: ID-Erkennung des Waffenenträgers, Scharfschützenzielsuche wird direkt in den Helm des Trägers übermittelt, via Datentransmitter mit Helm des Trägers verbunden.
Beschryr
Vierter von zwölf Planeten um die gelbe Zwergsonne Bellica. Beschryr besitzt eine reiche Vegetation auf seinen neun kleinen Kontinenten. Die durchschnittliche Temperatur liegt bei 13 °C. Es gibt Schneelandschaften, große Wälder, Wüsten, aber auch Dschungel. Der Planet besitzt eine Gravitation von 1,19. Auf Beschryr leben Somer, Ophaler und Pterus. Die Somer bilden die Mehrheit der 228 Mio. großen Bevölkerung.
Hauptstadt und Sitz der Administration ist Gantos auf dem Kontinent Sorryl, der von der Beschaffenheit mit Europa vergleichbar ist. Viele Somer betreiben Agrarwirtschaft auf dieser Welt. Ihre Produkte sind gern auf dem galaktischen Markt gesehen und bilden den Kern des beschryrischen Bruttosozialproduktes.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2016
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 78, veröffentlicht am 24.10.2016 —
Titelillustration: Klaus G. Schimanski • Innenillustrationen: –
Lektorat: Alexandra Trinley und Jürgen Freier • Digitale Formate: René Spreer