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Band 77

Quarterium-Zyklus

 

Vorstoß des Quarteriums

Das Estartukorps marschiert unbesiegt

 

Nils Hirseland

 

 

Was bisher geschah Hauptpersonen des Romans
Nach der Gründung des Quarteriums im Jahre 1302 NGZ war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem intergalaktischen Eklat kommt.

Dieser ist Anfang 1305 NGZ eingetreten, als Truppen der dorgonisch kaiserlichen Flotte die estartischen Galaxien angegriffen haben. Innerhalb weniger Monate sind Siom Som und Trovenoor in die Hände Dorgons gefallen.

Um den notleidenden Völkern zu helfen, entsendet Perry Rhodan zusammen mit der Saggittonischen Republik USO-Agenten nach Siom Som. Niemand ahnt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt MODRORs Söhne des Chaos das Quarterium kontrollieren und nur auf einen Fehler Rhodans warten.

Aufgrund des Paktes zwischen Dorgon und dem Quarterium greift das I. Estartukorps des Imperiums in Cartwheel zu Gunsten der Dorgonen in Siom Som ein, als Saggittor nun offiziell in den Krieg gegen Dorgon eintritt.

Im Herbst 1305 NGZ kommt es zur ersten Schlacht zwischen dorgonisch-quarterialen Truppen und den »Alliierten«. Das Quarterium siegt. Damit demonstriert das neue Reich seine militärische Dominanz und eilt fortan von Sieg zu Sieg.

Es ist der VORSTOSS DES QUARTERIUMS …
Cauthon Despair – Der gefürchtete Silberne Ritter begutachtet die neue Kolonie.

General-Kommandeur Stevan da Reych – Der stellvertretende Leiter der Cartwheel Intelligence Protective, kurz CIP, übernimmt die Führung von Som-Ussad.

Myrielle Gatto – Eine Sekretärin von Stevan da Reych.

Parder – Ein geheimnisvolles Katzenwesen.

Ash Berger – Soldat wider Willen.

Erich Village – Stevan da Reychs loyale rechte Hand.

1. Der neue Kommandant

Som-Ussad: 7. Oktober 1305 NGZ

Der Arkonide fuhr mit der Hand über seine kurz geschorenen, grauweißen Haare. Seine kleinen Augen registrierten jedes Detail und kaum ein Soldat oder Offizier wagte einen längeren Blickkontakt mit dem gefürchteten General-Kommandeur Stevan da Reych.

Da Reych war ein aristokratischer Arkonide und hatte eine wichtige Position bei der größten arkonidischen Bank innegehabt. Doch vor zehn Jahren war »der Organisator«, wie man ihn nannte, in den arkonidischen Geheimdienst gewechselt und hatte seitdem viele Operationen geleitet. Bostich selbst hatte ihm damals nahe gelegt, nach Cartwheel aufzubrechen, um einen fähigen Mann im Geheimdienst zu haben. Nach Gründung des Quarterium wurde da Reych einer der wichtigsten Männer in der CIP und trug nun einen Sonderstatus als General-Kommandeur des Quarterium.

Obwohl er »nur« ein Geheimdienstler war, waren seine militärischen Fähigkeiten beachtlich. Er hatte die Operation gegen die Hauris 1298 NGZ mit Erfolg befehligt und sowohl terranische als auch arkonidische Verbände kommandiert.

Diese Zusammenarbeit hatte damals als zukunftsweisend für die Gründung des Quarterium gegolten.

Doch da Reych hatte auch seine negativen Seiten. Menschenleben oder das Leben anderer Intelligenzwesen bedeuteten ihm nichts. Er vergab keine Fehler und bestrafte Versager hart. Da Reych war durch und durch ein unangenehmer Mensch.

Das bemerkte Leutnant Wissmer sofort, als er den neuen Kommandanten von Som-Ussad freundlich begrüßte. Da Reych grüßte mit leiser Stimme zurück und rieb an seinem Schnauzbart.

»Name?«

Gert Wissmer stellte sich vor. Darin lag schon der erste Fehler in da Reychs Augen. Wissmer vergaß den Rang.

»Sind Sie hier der Putzmann oder der Suppenkasper, Mensch?«, brüllte der Arkonide plötzlich los.

Wissmer zuckte zusammen und entschuldigte sich. Er wiederholte seine Vorstellung. Diesmal jedoch korrekt.

»Leutnant Gert Wissmer von der XXXII. SHIFT-Division des Estartukorps. Einsatzschiff SOLARE EMPIRE, Herr General.«

Stevan da Reych nickte zufrieden. Wissmer war das alles ziemlich unangenehm. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, geleitete er den General-Kommandeur zum Oberkommando des Planeten. Da Reych schwieg während der gesamten Fahrt zum Zentralgebäude von Eschrayr. Er registrierte die zerbombten Häuser und machte ein paar Notizen.

Unteroffizier Markor Schutter, der den Gleiter fuhr, wollte die Stimmung etwas aufheitern.

»Schönes Wetter heute. Nur zu gut, dass wir uns jetzt in der Sonne aalen können und nicht die Flattermänner.«

Wissmer beobachtete da Reychs Reaktionen. Keine Regung. Der Arkonide schrieb weiter seine Notizen. Erst als er den Punkt setzte, antwortete er auf Schutters Aussage. »Unteroffizier, Sie sind nicht hier, um Urlaub zu machen, sondern um ihre Pflicht für Volk, Quarterium und Emperador zu erfüllen. Sollte ich Sie jemals im Dienst erwischen, wie Sie sich in der Sonne aalen, lasse ich Sie in die selbige in einem Sarg schießen.«

Schutter schwieg. Durch den Rückspiegel wechselte er einen Blick mit Wissmer. Der Leutnant schüttelte schwach den Kopf. Dann endlich erreichten sie das Oberkommando. Zwei Gardesoldaten stürmten auf den Gleiter zu und salutierten vor dem Arkoniden. Wissmers Auftrag war somit beendet. Ohne noch auf die beiden Terraner zu achten, schritt der zweitwichtigste Mann der CIP in das Gebäude. Als er außer Reichweite war, zündete sich Wissmer erst einmal eine Zigarette an.

»Was für ein Arschloch«, murmelte Schutter.

»An den müssen wir uns gewöhnen. Er wird der neue Kommandant von Som-Ussad«, meinte Gert. »Hoffentlich sind wir bis dahin wieder im Einsatz …«

*

Generalmarschall Ebur hieß den neuen Kommandanten der Welt Som-Ussad willkommen. Der General wirkte in der Gegenwart des Zaliters ganz anders. Er lachte und war höflich. Stevan da Reych konnte sich sein gewohntes Benehmen gegenüber dem zweithöchsten Heeresführer im Quarterium ebenfalls nicht erlauben. Doch im Grunde genommen verachtete er den Zaliter, denn er war nur ein arkonidischer Kolonist, kein arischer Arkonide in dem Sinne. Auch die Terraner sah er als Menschen zweiter Klasse an, doch diese Meinung musste er sich verkneifen. Die Terraner spielten eine wichtige Rolle im Quarterium, nicht zuletzt durch den Emperador de la Siniestro selbst.

Ebur musterte den Terraner in seiner hoch dekorierten schwarzgrauen Uniform mit den roten Hosenstreifen an der Seite. Da Reych wirkte nicht nur korrekt, sondern auch extrem selbstbewusst und von sich eingenommen. Sicherlich war er der richtige Kommandant für die Welt Som-Ussad.

»Nehmen Sie doch Platz«, bat Toran Ebur höflich.

Stevan da Reych folgte der Bitte und setzte sich auf seinen Sessel aus Formenergie. Ein spartanischer Stuhl hätte es in seinen Augen auch getan, doch er akzeptierte den Luxus des Generalmarschalls. Bald würde es sein eigener sein.

»Sie haben hervorragende Referenzen, da Reych. Ich bin froh, dass Leute wie Sie die Organisation übernehmen. Die Nachschublinien sind von enormer Wichtigkeit«, betonte Ebur.

Da Reych lächelte innerlich. Die Bedeutung seiner Person war niemandem entgangen. Wer konnte schon von sich behaupten, sowohl in der CIP als auch im Militär gebraucht zu werden?

»Ich trage Order vom Gos’Shekur Jenmuhs in Bezug auf die Handhabung der Eingeborenen«, wechselte da Reych plötzlich das Thema.

Ebur blickte ihn verwirrt an. Natürlich wusste er von den Umsiedlungen unbeugsamer Aliens nach Objursha, Carjulstadt oder Davau. Doch wollte man hier jetzt weitermachen?

»Welche Order tragen Sie?«

»Der Gos’Shekur betont, dass die Artenbestandsregulierung eine intergalaktische Mission ist. Er befiehlt daher die Errichtung von Ghettos und Lagern. Dort sollen Rebellen und Feinde der dorgonisch-quarterialen Ideologie bis zur Resozialisierung verwahrt werden.«

Ebur lehnte sich in den Sessel. All die schönen Worte verschleierten den wirklichen Auftrag. Eliminierung aller Feinde in diesen Ghettos und Lagern. Das konnten Millionen sein. Ebur wagte nicht, das Wort »Völkermord« in den Mund zu nehmen. Wenn der Befehl vom Gos’Shekur persönlich kam, hatte er ihn zu akzeptieren.

»Wir stellen alle gewünschten Mittel zur Verfügung«, erklärte er. »Gibt es schon Ideen, wo man ein Lager errichtet?«

Da Reych holte einen Datenspeicher aus seiner Tasche und schloss diesen an die Syntronik an. Eine Holographie erklärte die bereits längst ausgearbeiteten Pläne für die Artenregulierung.

»Auf der kürzlich eroberten Welt Kurul-Dar werden wir das erste Entsorgungslager errichten. In Kürze wird mein Adjutant, Erich Village, hier eintreffen. Er wird mich bei der Umsetzung entlasten. Ihre Aufgabe, verehrter Generalmarschall, wird nun voll und ganz die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte sein.«

Es klang beinahe wie ein Befehl, fand Ebur. Er blickte da Reych verächtlich an. Doch er provozierte keinen Streit. Jeder hatte seinen Befehl und sein Aufgabengebiet. Alles würde gut laufen, solange sich die beiden nicht in den Weg kamen.

*

Ebur führte da Reych zum Besprechungsraum des Oberkommandos Estartu. Das OKE bestand aus den Kommandanten der jeweiligen Flotten und Divisionen. Da Reych wirkte offenbar auf keinen der Offiziere und Generäle sonderlich sympathisch.

Er verlangte sofort, Analysen über den Sieg von Kurul-Dar zu machen, um eventuelle Fehler das nächste Mal zu vermeiden. Man merkte sofort, dass Stevan da Reych ein Taktiker war. Ebenso taktisch ging er mit Ebur um. Da Reych gab die Befehle, ohne die Autorität des Generalmarschalls in Frage zu stellen.

»In Kürze wird auch Quarteriums-Marschall Cauthon Despair eine Visite machen. Ich erwarte, dass wir ihm bis dahin Erfolge präsentieren können«, schloss er die Sitzung.

Ebur blickte ihm grimmig hinterher. General Benington gesellte sich zu dem Generalmarschall.

»Der bringt frischen Wind in die Truppe«, meinte Alcanar Benington.

Ebur blickte ihn schweigend an. Beningtons Grinsen gefror. Er salutierte rasch und verabschiedete sich.

2. Die Soldaten des Quarteriums

»Hinlegen! Los, schneller, ihr faulen Säue!«, brüllte der Oberst der Shiftdivision.

Die zwei Dutzend Soldaten warfen sich auf den nassen Boden. Beim nächsten Ruf sprangen sie auf, rannten los und warfen sich auf Kommando wieder hin. Wieder und wieder. Solange bis der Oberst zufrieden mit der Leistung seiner Leute oder ihm die Lust auf das Drillen vergangen war.

Wolf Linker genoss es, die Leute zu schleifen. Zwar hatte seine Division gute Arbeit bei der Eroberung von Som-Ussad geleistet, doch als guter Ausbilder verteilte man, seiner Ansicht nach, nur wenig Lob. Jeder noch so winzige Fehler würde auf ihn zurückfallen, was seiner Karriere unweigerlich schaden würde. Und sich von irgendeinem Gefreiten oder Unteroffizier den Beruf ruinieren zu lassen, wollte er auf keinen Fall. Deshalb mussten sie die Besten der Besten sein.

»Anhalten! Sammeln!«, brüllte Linker.

Die Leute traten an. Er ging an ihnen vorbei. Seine XXXII. SHIFT-Division. Teils erfüllte sie ihn mit Stolz, blickte er auf ambitionierte Soldaten wie Major Helge von Hahn, Sergeant Holge Wosslyn oder Sergeant Ace Blacktree. Teils aber auch mit Missgunst, wenn er den Gefreiten Nakkhole oder den Obergefreiten Glaus Siebenpack sah.

Ja, dieser Siebenpack war ein Soldat, wie ihn keiner brauchte. Weich und weiblich. Ein Künstler. Linker musste innerlich lachen. Siebenpack spielte Instrumente, schrieb Gedichte und las altmodische Bücher. Und so was wurde zur Armee geschickt. Kein Wunder, dass aus dem Jungen noch nichts geworden war. Immerhin diente Siebenpack seit dem Jahre 1297 in der Armee. Er hatte sogar die Eliteschule Redhorse Point besucht und wurde von Generaloberst Benington ausgebildet. Viel gebracht hatte es nicht. In Linkers Augen würde Siebenpack der ewige Versager bleiben. Ein einfacher Soldat. Zwar hatte Siebenpack es sogar mal zum Unteroffizier geschafft, doch seine Vorgesetzten mochten den »zarten« Terraner nicht und hatten sich was einfallen lassen, um ihn zu degradieren. Nun musste er sich mit ihm herumschlagen.

Sein Kumpel Nakkhole war auch nicht viel besser. Roppert Nakkhole, selber Jahrgang bei Redhorse Point und genauso untalentiert. Ein guter Infanterist und Kanonier, aber keine Führungsperson. Dazu hatte er viel zu viel Unsinn im Kopf.

Linker fand, dass Siebenpack eine kleine Lektion verdiente. Grinsend stellte er sich vor den Unteroffiziersanwärter.

»Siebenpack! Sie sind doch so ein fescher Bursche. Zeigen Sie mir mal zur Ehre Ihrer Einheit, wie gut Sie sind. Dreikilometerlauf. Und wehe, sie liegen unter der Bestzeit!«

Siebenpack blickte Linker verdutzt an. Das Lächeln des Obersts gefror sofort.

»Na los, Sie Idiot! Marsch! Lauf! Lauf! Lauf!«

Siebenpack rannte wie von einer Tarantel gestochen los. Die anderen blickten ihm hinterher. Sie hofften, dass Glaus den Lauf innerhalb der Bestzeiten schaffen würde, sonst würde es noch mehr Bestrafungen geben.

Siebenpack schaffte es in einer guten Zeit, doch Linker war damit nicht zufrieden. Siebenpack sollte den Lauf wiederholen. Wieder und wieder. Natürlich wurde er immer schlechter. Zur Strafe durfte die ganze Division einen Marsch rund um Eschrayr mit vollem Gepäck laufen.

*

Am Abend ließen sich die Soldaten erschöpft in ihre Betten fallen. Ash Berger wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte Siebenpack trübe an.

»Du bist noch mal unser Tod.«

»Sag so was bitte nicht.« Siebenpack klang entsetzt. Seine Stimme zitterte, wie der Rest seines Körpers. Plötzlich fing er an zu taumeln und fiel rückwärts zu Boden. Berger sprang aus dem Bett und kümmerte sich sofort um Siebenpack.

Roppert Nakkhole und Ace Blacktree trafen inzwischen auch im Zimmer ein.

»Was denn mit dem los?«, fragte Blacktree entgeistert, während er mit anpackte, um Siebenpack auf dessen Bett zu setzen.

»Entschuldigt, mir ist nicht gut«, erklärte Glaus.

»Na komm, wir bringen dich zum Arzt. Dann hast du wenigstens Ruhe vor Linker«, meinte Ash und zog Siebenpack hoch. Nakkhole hakte sich auf der anderen Seite ein und trug mit Berger Siebenpack aus dem Zimmer.

»Was soll das denn?«, rief Helge von Hahn aufgebracht, als er die Drei auf dem Flur ertappte. »Was ist mit dem los?«

»Akute Überarbeitung«, meinte Ash sarkastisch.

Helge stellte sich vor Siebenpack und musterte ihn mit seinen Glubschaugen abfällig. Er tätschelte ihm auf die Wange, damit Siebenpack wieder zur Besinnung kam. Mehr als einen müden Aufschlag der Augenlider bekam Helge von Hahn jedoch nicht als Antwort.

»Wenn der Herr Oberst merkt, dass wir so eine Trantüte unter uns haben, dann blüht uns was«, murmelte Helge grimmig.

Berger verdrehte die Augen, ließ von Siebenpack ab und vergewisserte sich, dass Nakkhole ihn alleine tragen konnte. Dann ging er zu seinem Major und packte ihn an den Schultern.

»Dein toller Oberst hat das längst bemerkt. Was glaubst du, warum er Glaus so drillt? Lange hält er das nicht durch. Er gehört erst einmal ein paar Tage auf die Krankenstation.«

Helge stieß Berger von sich weg. Wütend starrte er zu Siebenpack herüber.

»Also gut, weg mit dem.«

Berger und Nakkhole machten sich sofort wieder daran, Siebenpack in die Medostation der Kaserne zu bringen. Dort wurden sie von einer ungefähr 174 Zentimeter großen brünetten Frau begrüßt, die Ash Berger nur zu gut kannte.

»Olka!«, pfiff Berger.

Die hübsche Brünette schenkte ihm ein Lächeln.

»Was machst du denn hier, Kindchen?«, wollte Berger wissen und musterte die Schönheit, deren Ruf im Nachtleben von New Terrania wenig schmeichelhaft war. Ihr Männerverschleiß war entsprechend hoch, ihr wurde sogar eine kurze Beziehung mit Mathew Wallace nachgesagt, die er jedoch, aufgrund ihres Lebensstils, genervt beendet hatte. Berger war Wallace einige Male während seiner Ausbildung begegnet. Wallace hatte schon damals keinen großen Hehl daraus gemacht, dass er das Quarterium nicht leiden konnte. Berger hatte dies zu gut verstanden.

Und nun kämpften sie auf gegnerischer Seite. Wallace an Bord der IVANHOE II unter dem Kommando der Rebellen und er unter dem Banner des Quarterium. Ash zweifelte, wie eigentlich jeden Tag, an dem Sinn dieser Mission. Desertion schloss er jedoch aus. Er musste an seine Familie auf Mankind denken. Sie wären nicht sicher, wenn er einfach so fliehen würde. Außerdem gab es keine Gelegenheit dazu. Auf Desertion stand zudem der Tod durch Erschießung.

»Wie kann ich euch denn helfen?«, hakte Olka Arintev nach, als sie bemerkte, dass Ash sie nur geistesabwesend anstarrte.

»Oh, unser Kamerad hat einen Kreislaufzusammenbruch. Es wäre gut, wenn er für ein paar Tage im Lazarett bleibt«, erklärte Ash.

Roppert Nakkhole legte derweil den immer noch erschöpften Glaus Siebenpack auf ein Bett. Olka betrachtete den Soldaten und führte einen Scan durch.

»Und was machst du hier?«, wiederholte Berger schließlich.

»Ausbildung zur Krankenschwester. Ist doch ein schöner Job hier. Gut bezahlt, beim besten Arbeitgeber der Galaxis und viele hübsche Jungs, die von mir gepflegt werden wollen.«

Sie grinste schelmisch.

»Ich dachte elf Jungs in einer Nacht wären genug für dich gewesen«, erwiderte Ash Berger und erinnerte sich an jenem Abend in einem Nachtclub, wo die völlig betrunkene Olka Arintev mit insgesamt elf Männern herumgeknutscht hatte.

Olka bedachte ihnen eines strengen Blickes.

»Da war ich betrunken …«

»Gehörte ich damals deshalb zu den elf Leuten?«

Olka sah ihn schweigend an, dann wandte sie sich an den hereinkommenden Arzt. Berger musterte den Doktor, der wie ein typischer Mediziner für Soldaten wirkte. Unfreundlich, oberflächlich und eitel. Berger wurde sofort in seinem ersten Eindruck bestätigt.

»Was ist mit dem da?«, fragte der Ara unwirsch.

»Kreislaufprobleme, Doc«, erklärte Nakkhole.

»Für Sie Doktor Ignon Ruon«, entgegnete der Arzt barsch.

»Ach der«, stieß Nakkhole grinsend aus.

Berger sah ihn fragend an.

»Weißt du nicht? Der ehemalige Bordarzt der IVANHOE II. Sind wohl strafversetzt, oder?«

Jetzt erinnerte sich auch Ash an den Vorfall. Ruon und Glaus Schyll wurden für den Diebstahl der IVANHOE II verantwortlich gemacht. Während Schyll, Gerüchten zufolge, von Cauthon Despair persönlich hingerichtet wurde, hatte man sich bei Ruon danach mildtätiger gezeigt und ihn direkt für spätere Kriegseinsätze vorgemerkt.

»Das tut nichts zur Sache, meine Herren«, wehrte Ruon ab und schaute sich Glaus Siebenpack an.

»Akute Erschöpfung. Er braucht Ruhe«, riet Olka.

»Sie sind auszubildende Krankenschwester. Maßen Sie sich keine Diagnose an, Fräulein Arintev.«

Dann packte er ihren Reißverschluss und schloss das auffällig weit geöffnete Dekolletee.

»Wir sind hier in einer Medostation, keinem Striplokal«, meckerte Ignaz Ruon. Dann hob er beschwörend die Hände in die Höhe. »Warum muss ich mich immer mit solchen Idioten herumschlagen?«

Schlagartig wurde er wieder ruhig und untersuchte Glaus Siebenpack. Nakkhole und Berger lehnten sich gegen die Wand und beobachteten den Doktor bei seiner Arbeit.

»Und woher kennst du diesen heißen Feger?«, flüsterte Roppert seinem Kameraden leise ins Ohr. Berger erzählte ihm knapp von Olka und ihrem leichten Leben.

»Trotzdem ist sie ein nettes Mädchen«, schloss er seine Erzählungen. Gerade zum richtigen Zeitpunkt, denn Ruon war mit seiner Untersuchung fertig.

»Was dem Mann fehlt, ist eine kalte Dusche. Mehr nicht«, war seine Diagnose. Ash verstand die Welt nicht mehr. Selbst ein Laie hätte erkannt, wie schlecht es Siebenpack ging. Ruon wusste es sicher auch, doch er wollte Siebenpack nicht schonen, vermutete Berger.

»Nehmen Sie ihn wieder mit. Und nun raus hier.«

Zähneknirschend befolgten Ash und Roppert die Anweisungen des so »talentierten« Arztes. Sie schleppten Siebenpack wieder in das Quartier zurück. Er schlief sofort ein.

»Das kann noch heiter werden«, meinte Berger verärgert und legte sich auch hin.

3. Unerwarteter Besuch

Stevan da Reych wanderte im Garten seines neuen Oberkommandos umher und las Berichte über den Zustand der Einheiten. Neben ihm lief sein emsiger neuer Adjutant Erich Village.

Der noch junge Terraner war eigentlich vom Beruf Anwalt, doch seine Kanzlei war alles andere als gut gelaufen. Auf Drängen seiner Frau hatte er sich beim Quarterium beworben. Da Reych hatte damals Villages Potential erkannt und ihn zu seinem Assistenten ernannt.

»Terraner, Terraner, Terraner …«, murmelte da Reych.

»General-Kommandeur?«, hakte Village nach.

Der Arkonide winkte ab und lief ohne Village zu antworten weiter. Dann endlich sprach er.

»Sie wissen, was die Artenbestandsregulierung von uns erwartet, Village! Wir brauchen für die Umsetzung der Umsiedlungs- und Resozialisierungsmaßnahmen fähige, diskrete und hundertprozentig loyale Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob Terraner …«

Er schwieg und blickte für einen Moment seinen Adjutanten misstrauisch an. Village glaubte, dass da Reych das Vertrauen in ihn verlieren würde. Das konnte schädlich für seine Karriere sein.

»Herr General, auch Terraner sind überaus loyal. Sicherlich mögen viele emotioneller handeln als Arkoniden, doch ich versichere Ihnen, dass ich hervorragende Männer aus dem Estartukorps für die Sonderabteilung heraussuchen werde.«

Bei jedem Wort versteifte sich Village mehr. Fast schon ängstlich blickte er seinen Vorgesetzten an, der endlich einmal anfing zu lächeln. Er schlug Village freundschaftlich auf die Schulter.

»Guter Mann! Das wollte ich doch nur hören. Wir brauchen etwa 500 Leute. Den Rest besetzen wir mit Robotern. Die sind auch verschwiegen.«

Village lächelte nun auch. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Da Reych war ein feiner Mann, fand der Terraner. Ein guter und fairer Vorgesetzter. Manchmal hart, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Wer Leistung zeigte, wurde auch belohnt. Wie es sich gehörte!

»Sollen wir auch Pariczaner, Dscherro und Mooghs anfordern?«, wollte Village wissen.

Da Reych verzog das Gesicht.

»Pariczaner ja, aber keine Dscherro. Ich will diesen Abschaum nicht in meinen Lagern.«

Village salutierte.

»Herr General-Kommandeur, wie erklären wir der Zivilbevölkerung Estartus unsere Maßnahmen? Und wie stehen unsere dorgonischen Verbündeten zu der Sache?«

Da Reych nickte unmerklich und versank in Gedanken. Er hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, den Kopf tief in den Nacken gelegt und starrte in den Himmel.

»Diese Halbintelligenzen haben unsere Maßnahmen wenig zu interessieren. Das Ministerium wird sich um die Publicity kümmern. Nicht wir! Die Dorgonen werden nichts dagegen haben. Commanus ist gleicher Gesinnung.«

Da Reych fixierte eine Kugel im Himmel. Sie wurde größer und größer. Es war kein normales Supremoraumschiff.

Die EL CID, schoss es da Reych durch den Kopf. Sie wurde von dutzenden Jägern eskortiert. Das deutete auf einen hohen, aber unangekündigten Besuch.

»Village, ich will sofort wissen, wer da an Bord ist«, rief da Reych und deutete auf das Flaggschiff des Quarterium.

Village erkannte es nun auch. Hastig zog er den Interkom aus seiner Tasche und nahm Verbindung mit der Ortung des Oberkommandos auf. Village ließ sich die Meldung zweimal bestätigen, ehe er da Reych mitteilte, dass sich Cauthon Despair an Bord befand.

4. Die Sekretärin

Myrielle Gatto rieb sich ihre blaugrünen Augen und seufzte. Angewidert stellte sie die Tasse Kaffee beiseite. Er war schon kalt und schmeckte ihr nicht. Sie starrte auf den Rechner und überprüfte den Bericht von Erich Village. Es durfte kein Rechtschreibfehler, kein Grammatikfehler, nicht einmal ein falscher Absatz drin sein, sonst würde sie ihren Job verlieren.

Sie hasste diesen Beruf. Weit weg von zu Hause musste sie für den General-Kommandeur Kaffee kochen, ihn an Termine erinnern und sich ständig anhören, was für eine dumme, terranische Kuh sie doch war. Das hatte sie sich nicht vorgestellt, als sie vor sieben Jahren nach Cartwheel gezogen war. Sie wollte ein neues Leben anfangen, es zu etwas bringen, auf eigenen Beinen stehen. Nun stand sie zwar auf ihren eigenen Füßen, trug jedoch die Ketten des Quarterium um ihre Knöchel.

Das passte ihr gar nicht. Sie verstand die vielen Menschen nicht, die voller Freude und Stolz ihren Dienst für dieses Imperium taten. Was hatte das Quarterium in Siom Som zu suchen? Nichts. Warum bekriegte man die Saggittonen? Wieso war Aurec plötzlich ein Staatsfeind? Sie schmunzelte kurz, als Aurec vor ihrem geistigen Auge erschien. Ein smarter, schöner Mann. Ein Prinz. Leider war sie nicht die Prinzessin. Eher eine Art Aschenputtel ohne Aussicht, Cinderella zu werden.

Mit der rechten Hand kramte sie in ihrer Tasche, immer noch den Text auf dem Bildschirm lesend, und holte eine Tüte heraus. Darin befand sich ihr Abendessen.

»Vernachlässigen Sie Ihre Arbeit?«

Myrielle verdrehte die Augen. Ausgerechnet dieser Knilch musste jetzt vorbeikommen. Sie packte den Apfel wieder in die Tüte und drehte sich um. Natürlich hatte sie jetzt ein Lächeln aufgesetzt.

»Mister Village«, begrüßte sie den Adjutanten des General-Kommandeurs.

»Spezial-Agent Village. Dem Rang eines Leutnants gleichzusetzen.«

»Ja, natürlich.«

Sie seufzte innerlich. Was hatte sie doch für Prachtexemplare von Vorgesetzten erwischt. Seit zwei Monaten arbeitete sie für die CIP. Vorher war sie Bürokauffrau bei einer bedeutungslosen Firma gewesen. Unter der Regierung zu arbeiten, war eine große Ehre. Sie hatte sich Karrierechancen erhofft, obwohl der Leumund des Quarterium nicht der Beste war. Zumindest außerhalb des Reiches. Trotzdem wollte sie vorankommen. Ein Schritt, den sie bereits bedauerte.

Sie blickte auf den Boden und dann wieder zu Village hinauf. Da stand er in seiner Uniform und wirkte wie ein biederer Rechtsanwalt. Das war er auch früher gewesen. Auch er hatte seine Chance im Quarterium gesehen. Erfolgreicher als Myrielle, wie sie sich eingestand. Doch trotzdem wollte sie nicht mit dem gelackten Terraner tauschen. Er war ihr völlig unsympathisch und seine Arbeit war geheimnisvoll und sicher nicht sauber. Myrielle hatte man jedoch als Sekretärin keine Einblicke in dessen Arbeiten gewährt. Sie durfte nur belanglose Texte über Logistik redigieren.

»Wie weit ist der Text?«, hakte Village schließlich nach.

»Fast fertig, Sir. Abgesehen von den üblichen Rechtschreibfehlern ist er in Ordnung.«

Sie kicherte. Village fand das anscheinend nicht so komisch wie Myrielle. Er blickte sie streng an. Sie konnte doch auch nichts dafür, dass er so eine schlechte Rechtschreibung hatte. Ein intelligenter Mann lachte auch mal über seine eigenen Fehler. Er nicht. Ein Grund mehr für Myrielle, ihn nicht zu mögen.

»Dann beeilen Sie sich. Der General-Kommandeur wartet ungern.«

»Ja, ich weiß. Langsam verstehe ich, warum meine Vorgängerin gekündigt hat …«

Village grinste überheblich.

»Sie hat nicht gekündigt. Sie wurde als Hochverräterin entlarvt und dementsprechend bestraft.«

»Oh«, machte Myrielle. »Und was wurde ihr vorgeworfen?«

»Spionage.«

Myrielle nickte schwach. Ihr Herz schlug höher. Der Job machte ihr von Minute zu Minute weniger Spaß. Vielleicht hätte sie doch lieber auf Terra bleiben sollen. Sie wandte sich wieder der Arbeit zu. Besser sie hielt die Klappe und erledigte ihre Aufgabe. Nicht, dass man ihr noch Sabotage oder so etwas in der Art vorwarf.

Village blieb im Raum. Er wanderte um ihren Arbeitsplatz herum und begutachtete jedes Detail. Das machte Myrielle nervös. Es fiel ihr schwer, sich auf den Text zu konzentrieren. Warum verschwand dieser blöde Kerl nicht endlich?

»Mit 41 Jahren haben Sie Ihr Leben immer noch nicht im Griff.«

»Wie bitte?« Myrielle glaubte, sich verhört zu haben. Was fiel diesem Typen eigentlich ein?

»Geboren am 19. April 1265 NGZ in Southampton auf Terra. Mutter Engländerin, Vater Italiener. Ewige Studentin, dann Bürofachkraft. Ihre Beziehungen gingen stets in die Brüche. In der Hoffnung, etwas an Ihrem Leben ändern zu können, sind Sie nach Cartwheel gezogen.«

Myrielle atmete tief durch. Warum betete er ihren Lebenslauf runter? Was bezweckte er damit? Auf jeden Fall war es ihr peinlich. Woher wusste er über ihre Beziehungen Bescheid?

»Das Quarterium gibt Ihnen eine Aufgabe. Ein neues, verantwortungsvolles Leben. Vergessen Sie das nie.«

»Ja, natürlich …«

Sie dachte etwas ganz Anderes. War Village nur zu ihr gekommen, um sie an die Güte des Quarterium zu erinnern?

»Haben Sie Kaffee?«, fragte er plötzlich.

Myrielle nickte, stand auf und lief zur Kaffeemaschine. Am liebsten hätte sie ihm das heiße Getränk ins Gesicht geschüttet, doch sie schenkte ihm mit aufgesetztem Lächeln ein. Village wirkte auf einmal wesentlich freundlicher. Er bedankte sich höflich und nahm einen Schluck.

»Das Quarterium ist wie ein strenger, aber doch gütiger Vater. Ich bin mir Ihrer Loyalität bewusst und werde ein gutes Wort beim General-Kommandeur einlegen.«

Myrielle wurde hellhörig. Wieso plötzlich diese Sinneswandlung? Das kam ihr seltsam vor. Doch sie schaute einem geschenkten Gaul nicht ins Maul. Ihr größter Wunsch war, endlich eine würdigere Aufgabe zu übernehmen. Sie war nicht zur Tippse geboren.

Das hatte auch schon ihr Therapeut oft gesagt, erinnerte sie sich, und sprach sich damit automatisch Mut zu.

»Danke, Sir. Ich würde wirklich gerne mehr machen. Ich fühle mich etwas unterfordert.«

Myrielle versuchte aus der Mimik von Village zu lesen. War sie zu weit gegangen? Immerhin kritisierte sie damit ihre Arbeit. Village jedoch schien Verständnis zu haben. Er lachte wieder. Ein unnatürliches, falsches Lächeln, fand Myrielle.

»Nun, ich gebe Ihnen eine Bewährungsprobe«, verkündete der CIP-Mitarbeiter und drückte Myrielle einen Datenspeicher in die Hand. »Überarbeiten Sie diesen Bericht. Vielleicht haben Sie sogar einige Ideen, um die Lösung effizienter darzustellen.«

Er sah sie vielsagend an. Myrielle wollte am liebsten vor Freude los schreien und sich Village um den Hals werfen. Natürlich riss sie sich zusammen. Und doch: Die Freude war groß. Endlich konnte sie ihre Talente unter Beweis stellen.

Village verabschiedete sich und ließ Myrielle alleine in ihrem Büro zurück. Sie machte sich sofort an die Arbeit.

*

Es war schon spät. Myrielle fielen hin und wieder die Augenlider zu. Der Kaffee erreichte nicht mehr die gewünschte Wirkung. Sie wollte aber keinesfalls aufgeben. Immer wieder und wieder studierte sie die Aufzeichnungen über den Bau des Geschützes »Kleine Claudya«. Die Abwehrkanone sollte nahe Eschrayr installiert werden, um von Som-Ussad aus Angriffe auf feindliche Schiffe in Nähe des Sternenportals durchzuführen.

Sie verstand wenig von den vielen Millionen Gigatonnen Sprengkraft, der physikalischen Erklärung des Transformgeschützes und anderen technischen Erläuterungen. Myrielle konzentrierte sich mehr auf die Logistik. Hier und da machte sie Anmerkungen. Myrielle freute sich, endlich eine Chance zu bekommen. Das hielt sie wach.

Plötzlich hörte die Terranerin Stimmen. Sie rieb sich die Augen, um nicht völlig übermüdet auszusehen. Dabei verwischte sie ihren Lidschatten.

»Mist!«, fluchte sie, kramte einen Spiegel aus ihrer Tasche und versuchte das Schlamassel wieder zu richten. Sie trug sich neue Schminke auf. Ihre Augen waren rot unterlaufen. Das waren sie oft. Bei Müdigkeit, Allergien, Stress. Myrielle hoffte, dass niemand dachte, sie hätte getrunken.

Schon traten die Männer ein. Es waren drei. Myrielle hörte die Stimmen von Erich Village und Stevan da Reych. Nun sah sie die beiden auch. Das Wesen hinter ihnen jagte ihr sofort großen Respekt ein. Cauthon Despair, der Silberne Ritter.

»Ihr Besuch kommt überraschend, Quarteriums-Marschall«, meinte da Reych.

»Das war auch der Zweck«, gab Despair kühl zurück. »So kann ich mir ein besseres Bild Ihrer Arbeitsweise machen.«

Die drei liefen an Myrielle vorbei, die hastig aufstand und sie anlächelte.

»Hallo.«

Da Reych, Village und Despair blieben stehen. Die beiden CIP-Mitarbeiter sahen sie verdutzt an. Despair stand einfach nur da und bewegte sich nicht.

Da Reych musterte Myrielle abfällig und blickte fragend zu seinem Adjutanten.

»Das ist meine Assistentin Myrielle Gatto. Sie überarbeitet gerade den Organisationsablauf der Kleinen Claudya«, erklärte Village.

Myrielle schaute die drei stolz an. Was für ein Tag, dachte sie. Heute Morgen noch mit Nebensächlichkeiten beschäftigt, jetzt war sie in einem Meeting mit dem Quarteriums-Marschall. Sie nahm allen Mut zusammen und ging auf Despair zu. Sie streckte ihre Hand aus.

»Willkommen auf Som-Ussad. Ich denke, jeder freut sich, Sie hier zu sehen.«

Despair rührte sich immer noch nicht. Myrielle wechselte verunsichert mit da Reych und Village einen Blick. Die sahen sie nicht sonderlich freundlich an. Myrielles Herz rutschte ihr in die Hose. Sie verfluchte sich für ihre Arroganz. Wahrscheinlich hatte sie ebenso schnell ihren neuen Job wieder verloren.

»Sie sind doch ein Idol …«, stotterte sie.

Despair bewegte sich endlich und nahm ihre Hand. Myrielle hätte beinahe unter dem festen Händedruck aufgeschrien.

»Ich danke Ihnen«, sagte Despair. »Sie sehen übermüdet aus.«

»Oh«, machte Myrielle und fuhr sich nervös durch ihre blonde Mähne. »Ja, ich habe lange gearbeitet. Ich will die … die Sache noch schnell beenden und dann ins Bettchen.«

»Das interessiert niemanden«, rief da Reych dazwischen. Myrielle bemerkte, wie aufgebracht er war. Sein kleiner Kopf war ganz rot.

»Seien Sie nicht so unfreundlich zu Ihrem Personal, General-Kommandeur«, ermahnte Despair. »Sie sollten froh sein, dass Miss Gatto so engagiert ist.«

Myrielle grinste. Ihr Lächeln erstarb, als sie den tödlichen Blick von da Reych bemerkte.

»Ich muss wieder arbeiten«, sagte Myrielle und nickte den drei hochrangigen Vertretern des Quarterium zu. Sie drehte sich um, stieß einen Seufzer aus und ging wieder zu ihrem Arbeitsplatz.

»Der Gos’Shekur wird ebenfalls bald hier eintreffen. Leticron spielt auch mit dem Gedanken. Der Krieg muss schnell beendet werden«, hörte sie noch Despair sagen, der anscheinend keine Anstalten machte, das Büro zu verlassen. Sie beobachtete die drei mit ihrem Handspiegel, den sie zum Monitor stellte. Myrielle entging es nicht, dass Despair oft in ihre Richtung sah. Der unheimliche Ritter schien wohl Interesse an ihr zu haben.

»Der Gos’Shekur ist bereits hier«, rief ein anderer. Es klang eher wie ein Blubbern. Einige Offiziere betraten den Raum. Myrielle wurde beinahe schwarz vor Augen. Sie konnte kaum glauben, was für hochrangige Menschen in ihrem kleinen Büro ein und aus gingen.

Sie betrachtete den fetten Arkoniden und erkannte ihn sofort. Uwahn Jenmuhs. Die unansehnliche Kreatur watschelte auf Despair und da Reych zu. Village war in einen Nebenraum verschwunden. Jenmuhs röchelte seltsam.

»Sieht doch ganz gut hier aus. Der ehrenwerte da Reych scheint alles unter Kontrolle zu haben. Arkoniden machen eben keine halben Sachen, Despair …«

Die komischen Geräusche ängstigten Myrielle. Im Gegensatz zu Despair wirkte Jenmuhs wie ein Freak. Sie hatte ihn noch niemals aus der Nähe gesehen. Immer nur bei Reportagen. Die Haut war kalkweiß, das weiße Haar fettig. Er schien jeden Moment aus seiner weißen Uniform zu platzen.

»Wie geht die Artenbestandsregulierung voran? Schon viele Hühnchen gebraten?«, wollte Jenmuhs wissen.

»Wir besprechen dieses heikle Thema besser im engeren Kreis«, schlug da Reych vor. Er blickte zu Myrielle herüber, die sich ertappt fühlte. Sie schob den Spiegel weg und tat beschäftigt.

Sie hörte das schwere Atmen des Gos’Shekur näher kommen. Seine schleifenden Schritte ließen sie vor Angst beinahe losweinen. Vor Despair hatte sie nicht so eine Angst, obwohl er viel fürchterlicher aussah in seiner Rüstung. Doch Despair wirkte kultiviert, überlegt. Jenmuhs nicht. Er schien unberechenbarer zu sein.

»Wen haben wir denn da?« Sein Keuchen bescherte Myrielle nur noch mehr Ekel. Jenmuhs war ganz nahe. Myrielle versuchte, ihre Angst zu unterdrücken. Sie drehte sich um und versuchte zu lächeln. Der faulige Atem des Arkoniden drang in ihre feine Nase. Ihr wurde plötzlich ganz anders, ein Brechreiz stieg in ihre Kehle. Sie hielt sich die Hand vor dem Mund und beschwor sich, nicht auf den Gos’Shekur zu brechen.

»Das ist da Reychs Assistentin«, erklärte Despair und ging nun auch wieder zu Myrielle herüber.

»Soso«, meinte Jenmuhs und musterte Myrielle. Er fuhr mit seinen Knubbelfingern durch ihr Haar. »Blond, knackige Figur. Gute Assistentin.«

Jenmuhs schien an ihr zu schnuppern. Wie krank war dieser Arkonide? Kannte er kein Benehmen vor Fremden? Myrielle nahm zaghaft die Hand vom Mund und hauchte ein »Hallo«.

»Ah, die Mieze kann sprechen«, stellte Jenmuhs amüsiert fest und fing an, laut loszulachen. Seine Offiziere stimmten mit ein. »Ich bin sicher, dass der General-Kommandeur ihre Qualitäten zu schätzen weiß.«

Myrielle bemerkte, dass Jenmuhs nicht in ihre Augen, sondern auf ihre Brüste starrte, während er sich mit ihr unterhielt. Dieser feiste Arkonide war die Ausgeburt des Ekels für Myrielle. Wie konnte so einer überhaupt Mitregent eines Reiches sein?

»Vielleicht werde ich Sie mal zur besonderen Verwendung abkommandieren.« Jenmuhs lachte wieder.

»Nein!«, stieß Myrielle entsetzt aus. Schnell hielt sie sich wieder die Hand vor dem Mund. Noch so ein Fauxpas, dachte sie. Sie konnte doch nicht einfach dem Gos’Shekur widersprechen.

»Nein?«, gellte er zurück. Nun wirkte er nicht mehr so »charmant« wie vorher.

»Miss Gatto wollte damit zum Ausdruck bringen, dass sie sehr stark in wichtige Projekte auf Som-Ussad involviert ist«, warf Despair ein. »Und diese sind wichtiger als Ihre privaten Gelüste.«

Jenmuhs blickte Despair überrascht an. Dann schaute er zu Myrielle herüber. Ihr Herz pochte schneller denn je. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass der Arkonide endlich gehen würde. Ihr Wunsch wurde erfüllt. Jenmuhs murmelte etwas vor sich hin und trottete davon.

»Wir sollten jetzt zum Dienstlichen kommen«, meinte da Reych und lud Jenmuhs und Despair in sein Besprechungszimmer ein. Jenmuhs watschelte in den Raum, die Offiziere gingen in einen anderen Nebenraum. Despair musterte Myrielle. Sie nahm die Hand vom Mund und atmete die frische Luft, frei von Jenmuhs üblen Atem.

»Danke, Mister Despair«, sagte sie. »Sie haben mich gerettet. Darf ich mich erkenntlich zeigen? Vielleicht mal ins Kino oder zum Essen einladen?«

Despair wandte sich von ihr ab und schritt zum Besprechungsraum. Myrielle blickte im hinterher und seufzte. »Dann nicht. Hätte ja sein können …«

*

»Du dumme Kuh. Das hast du ja prima angestellt. Du solltest wieder in die Therapie gehen«, flüsterte Myrielle zu sich selbst.

Sie verfluchte sich für ihre tollpatschige Art. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sie den General-Kommandeur, den Gos’Shekur und sogar den Quarteriums-Marschall vor den Kopf gestoßen. Eine wahrlich reife Leistung für eine zweitklassige Assistentin.

Sie hatte den Bericht endlich überarbeitet. Es war bereits 3 Uhr morgens. Man schrieb den 3. November 1305. Ein bedeutungsloses Datum. Zumindest erinnerte sich Myrielle an keine besonderen Ereignisse um diese Zeit herum.

Die Herrschaften saßen immer noch im Besprechungsraum. Myrielle überlegte, ob sie ihnen nicht Kaffee als Wiedergutmachung bringen sollte. Sie verwarf den Gedanken. Die fertige Datei wollte sie neu abspeichern, dabei stieß sie auf eine andere Datei mit dem Titel Artenbestandsregulierung. Myrielle vergewisserte sich, dass sie niemand beobachtete. Neugier wuchs in ihr. Ihre Gewissensbisse legte sie beiseite. Jenmuhs hatte von der Artenbestandsregulierung gesprochen. Warum war das Thema so heikel für da Reych gewesen. Es war jedem bekannt, dass Wesen, die sich nicht mit dem Quarterium ideologisch identifizierten, in autonome Gebiete gebracht wurden. Was gab es da für Geheimnisse?

Myrielle versuchte die Datei zu öffnen. Der Rechner verweigerte ihr den Zugriff und verlangte ein Passwort. Myrielle überlegte kurz, dann tippte sie »Martha« ein. Der Name von Erich Villages Frau. Fehlanzeige.

Mist, dachte sie. Dann fielen ihr die Namen von Villages Kindern ein. Sie tippte den Namen seines Sohnes ein – Lawrecht. Die Datei öffnete sich. Myrielle war stolz auf sich. Nun war sie schon zur Hackerin aufgestiegen. Sie wuchs über sich hinaus, fand sie.

Eilig überflog sie den Bericht. Dann stockte sie. Ihre Hände fingen an zu zittern. Sie atmete schwer. Myrielle glaubte nicht, was sie las. Das durfte nicht wahr sein.

»Errichtung eines oder mehrerer Entsorgungslager in Siom Som zum Zweck der Verringerung des Völkerbestandes der einheimischen Bewohner. Hinweis auf das Objursha-Prinzip. Verwendung von Konvertern zur Entsorgung der Häftlinge«, flüsterte sie. »Das darf nicht wahr sein. Das ist ein Scherz …«

Myrielle las entsetzt den Rest des Berichtes durch. Was dort vorgeschlagen wurde, war Massenmord. Die Auslöschung von Millionen Lebewesen. Sie massierte ihre Schläfe, dachte über die neuen Informationen nach. So viele Fragen. So viele Rätsel. Wieso wollten da Reych und Village einen Völkermord begehen? Sie durften nicht so eigenmächtig handeln.

Das tun sie nicht, schoss es ihr durch den Kopf. Du dumme Kuh, denk nach. In Objursha wird das bereits angewendet. Das bedeutet, die Regierung weiß Bescheid. Sie tolerieren das.

Myrielle machte eine Kopie der Datei. Dann fiel ihr ein weiteres Dokument auf. Es war auch durch ein Passwort geschützt. Village schien sehr einfältig in solchen Sachen zu sein. Diesmal war es der Name seiner Frau. Myrielle las von Genexperimenten auf Som-Ussad. Die Entwicklung einer neuen Bestrahlung zur Veränderung der Zellstruktur, um neue Soldaten zu erschaffen. Illustriert wurden die Erfolge und Misserfolge aufgezeigt. Grausame Missbildungen waren entstanden. Myrielle wurde wieder schlecht. Sie kopierte rasch auch diese Datei, deaktivierte den Computer und legte den originalen Datenträger in Villages Fach. Dann rannte sie aus dem Büro.

5. Ein gefährliches Spiel

Myrielle Gatto war nicht wohl, als sie zu Erich Village gerufen wurde. Sie richtete ihre Frisur zurecht und betätigte mit zittrigen Händen die Türklingel seines Büros.

»Herein«, rief Village.

Sie aktivierte den Öffner, die Tür glitt zur Seite. Sie lächelte verlegen und trat näher. Village begrüßte sie höflich. Das brach das Eis. Er wusste nichts davon, dass sie die Dateien gelesen hatte. Zumindest glaubte Myrielle das. Sicher war sie sich jedoch nicht.

»Nehmen Sie Platz.«

Myrielle tat, was ihr gesagt wurde. Erwartungsvoll blickte sie ihn an. Sie hoffte, er würde das laute Pochen ihres Herzens nicht hören. Was, wenn er doch etwas wusste und mit ihr Katz und Maus spielte?

»Gute Arbeit. Ihre Ideen sind hilfreich. Ich werde das mit dem General-Kommandeur besprechen.«

Myrielle war unglaublich erleichtert. Ihr fielen ganze Asteroiden vom Herzen, als sie das hörte. Das Lob war ihr inzwischen egal. Seit gestern wollte sie nicht mehr für das Quarterium arbeiten. Natürlich war sie auf eine Karriere bedacht, aber nicht um diesen Preis. Es kam für sie unter keinen Umständen in Frage, mit Mördern zusammenzuarbeiten.

Da war das Dilemma. Einfach kündigen konnte sie nicht. Man würde Fragen stellen, sie vielleicht sogar verhaften. Niemand trat einfach aus der Armee aus.

»Alles in Ordnung?«

»Was?«

Myrielle fühlte sich ertappt. Gott sei Dank konnte Village keine Gedanken lesen, unkte sie innerlich. Sie rief sich zurück zum Gespräch.

»Oh, natürlich. Ich bin noch etwas müde. Die Nacht war lang …«

Village blickte sie durchdringend an. Ihr behagte dieser Mann nicht. Sie wusste nie so ganz, woran sie bei ihm war. Aber das war wohl bei allen Anwälten so. Ein ehemaliger Anwalt beim Geheimdienst war doppelt so schlimm.

»Das Quarterium dankt es Ihnen. Sie dürfen sich einen Tag frei nehmen.«

»Mhm«, machte sie entgeistert. Dann bemerkte sie, wie abwesend sie doch war. Ihre Gedanken kreisten in jeder Sekunde um die Artenbestandsregulierung. Es ging nicht in ihren Kopf, wie grausam die Menschen sein konnten. Sie dachte, die Terraner seien anders als die Arkoniden. Doch gemeinschaftlich planten sie hier einen Völkermord.

»Danke«, gab sie knapp zurück. »Darf ich jetzt gehen?«

»Natürlich.«

Myrielle erhob sich und lächelte noch einmal kurz. Sie hoffte, sich nicht zu auffällig verhalten zu haben. Aber es ging nicht anders. Sie war zu aufgewühlt von den gestrigen Ereignissen.

*

In der Nacht schlich sich Myrielle in den Sicherheitstrakt. Es war leicht gewesen, Villages Codekarte zu kopieren. Village war in vielen Dingen unachtsam. Myrielle beschwerte sich darüber nicht. Sie nutzte die Tatsache, um mehr über diese Genversuche herauszufinden. Einen richtigen Plan hatte sie jedoch nicht. Sie wusste auch nicht, was sie mit den Informationen machen sollte. Die Terranerin hatte viel zu große Angst überzulaufen. Sie war keine Frau der Tat. Es überraschte sie ohnehin, dass sie so viel Initiative aufbrachte.

Myrielle war stets die graue Maus gewesen und hasste sich dafür selbst. In ihrem Leben gab es keine besonderen Ereignisse, keine Abenteuer, keine großen Liebschaften. Alles ganz normaler Durchschnitt. Sie wollte aber nicht durchschnittlich sein. Sie wollte mehr sein. Jetzt bot sich ihr die Chance. Deshalb übernahm sie die Initiative, glaubte sie. Irgendetwas trieb sie voran.

Vielleicht Ehrgeiz, vielleicht sogar ein Gerechtigkeitssinn. Sie wusste es selbst noch nicht genau.

Sie war an der Sicherheitstür angelangt. Die erste Sicherheitsstufe konnte mit der Codekarte umgangen werden. Dann wurde es schwieriger. Kameras, Wachroboter und sogar Offiziere wimmelten nur so auf den Gängen. Nachdem sie durch die erste Sicherheitssperre gelangt war, öffnete sie die Tür zu einem Lüftungsschacht. Mühsam quetschte sie sich hinein. Sie war froh, nur 1,64 Meter klein zu sein und mit 54 Kilogramm zu den Leichtgewichten zu gehören. Langsam krabbelte sie den Gang entlang und stellte fest, dass ihre Kondition nicht die Beste war.

Nach einer halben Ewigkeit erreichte sie endlich den Labortrakt. Von ihrer Position aus konnte sie alles gut beobachten. Dutzende Wissenschaftler tummelten sich um ein gigantisches Gerät. Myrielle wusste nicht, welche Funktion dieser Apparat hatte.

Bedacht, keinen Laut von sich zu geben, robbte sie langsam bis ans Ende des Gitters. Nun hatte sie den besten Überblick. Myrielle erkannte Stevan da Reych neben einem der Wissenschaftler. Es war ein Ara.

»Zeigen Sie mir Ihre Forschungsergebnisse an den Einheimischen«, forderte da Reych.

Der Ara verneigte sich und gab einem seiner Assistenten einen Wink. Die Wesen, die vorgeführt wurden, verdienten die Bezeichnung nicht mehr. Es waren organische Klumpen, Missbildungen – Chimären. Mischungen aus Somer und Pterus, Kartanin und Unithern. Myrielle bekam eine Gänsehaut. Sie fürchtete sich vor dem grässlichen Anblick und bedauerte die armen Kreaturen. Zu welchem Zweck wurde ihr Leben weggeworfen? Anscheinend bedeutete dem Quarterium das Leben nichts. Aber was erwartete sie von einer Bande, die einen Völkermord beschlossen hatte?

»Nicht gerade berauschend«, stellte da Reych nüchtern fest. In diesem Moment betrat auch Uwahn Jenmuhs den Raum. Begleitet wurde er von einer Schar Offiziere und Naats.

»Sind dies die Ergebnisse?«, fragte er.

Da Reych nickte. Jenmuhs rümpfte die Nase und holte ein Taschentuch hervor, das er sich gegen die Nase hielt.

»Widerlich. Dafür geben wir Geld aus?«

»Nun, wir haben einen neuen Apparat entwickelt, der die genetischen Veränderungen perfektioniert«, wehrte sich der Ara.

»Nun gut. Testen wir es. Eilt euch, ich habe nicht viel Zeit«, forderte Jenmuhs.

Der Ara gab seinen Mitarbeitern ein Zeichen. Er bat die anderen, etwas zurückzutreten. Eine Glaswand fuhr aus dem Boden und trennte den Raum. Der Lüftungsschacht befand sich im gegenüberliegenden Raum von Jenmuhs und da Reych.

Die Wissenschaftler holten Menschen und Aliens aus einem Raum. Sie waren dreckig und wirkten kraftlos. Myrielle ahnte, dass es sich dabei um die Versuchskaninchen handelte.

»Raum hermetisch abriegeln«, rief der Ara durch einen Lautsprecher.

Die Wärter rannten aus dem Raum. Hinter Myrielle schoss plötzlich eine Trennwand herunter. Sie erschrak sich und wollte weg, doch der Rückweg war ihr versperrt. Sie verwünschte ihre Neugier. Nun saß sie in der Falle. Hoffentlich bemerkte sie niemand. Aber das war schwer möglich, denn der Lüftungsschacht befand sich etwa zehn Meter über dem Raum.

Eine grünliche Strahlung erfasste die Menschen und Aliens im abgeriegelten Raum. Schließlich hüllten die Strahlen den ganzen Raum ein und drangen schwach bis zum Lüftungsschacht. Instinktiv wich Myrielle zurück. Sie presste sich an die Trennwand und schloss die Augen. Plötzlich hörte sie qualvolle Schreie, Stöhnen. Stimmen in Todesangst. Sie hielt sich die Ohren zu, doch das Gebrüll war zu laut. Tränen rannen über ihre Wangen. Sie betete, dass dieser Spuk bald ein Ende hatte.

Dann verstummten die Schreie. Myrielle öffnete die Augen und krabbelte langsam zum Gitter. Sie schrie auf, als sie die verklumpten Körper sah. Alle waren tot. Ein blaues Leuchten hüllte nun den Raum ein. Dann senkten sich die Trennwände. Myrielle hatte genug gesehen. Sie kroch so schnell sie konnte in den Lüftungsschacht zurück, rannte aus dem Sicherheitstrakt direkt in ihr Quartier. Dort warf sie sich auf das Bett und fing an zu weinen …

6. Der Silberne Ritter

Cauthon Despair wanderte auf dem Balkon seines Raumes umher. Sein Zimmer befand sich im vierten Stock des Oberkommandos-Estartu. Einst war das Gebäude der zentrale Regierungssitz der Bewohner gewesen. Wie so vieles, wurde es auch im Namen des Quarteriums requiriert.

Manchmal fragte sich der Silberne Ritter, ob alles richtig war, was sie taten. Seine Vorstellung von einer geordneten Galaxis deckte sich nicht mit den Ansichten von MODROR. Allein dieser Gedanke war Blasphemie, doch Despair zweifelte schon sehr lange. Er war immer im Zweifel gewesen, gleich auf wessen Seite er gestanden hatte.

Ob es nun auf Perry Rhodans, Wirsal Cells oder MODRORs gewesen war. Keiner hatte ihn recht überzeugen können. Wie immer fühlte er sich allein. Zumindest war er respektiert, ja sogar gefürchtet. Er besaß eine gewaltige Macht und doch war diese winzig im Vergleich zu MODRORs Wirkungsbereich. Im Grunde genommen war Despair nur ein Handlanger MODRORs. Despair bedauerte diese Tatsache. Er hatte auch keinen Krieg gewollt. Und doch sah er die Notwendigkeit ein. Nur so konnten MODRORs Pläne durchgesetzt werden, ohne dass alles Leben ausgelöscht wurde. MODROR war in dieser Hinsicht sogar grenzenlos gütig. Er wollte die Galaktiker und anderen Völker beherrschen und nicht ausrotten. Das gab Cauthon Hoffnung.

Er lehnte sich an das Geländer und ließ den Blick über die Stadt schweifen. Vieles lag noch in Trümmern, nur die Viertel der quarterialen Soldaten und Beamten erstrahlten im neuen Glanz. Die Spuren der Schlacht waren dennoch nicht zu übersehen.

Ein lauter Schrei aus dem Zimmer neben ihm ließ ihn aufhorchen. Despair beugte sich über das Geländer und versuchte etwas zu erkennen. Es war das Zimmer von Uwahn Jenmuhs. Die Stimme gehörte aber nicht ihm, sondern einer Frau.

Despair überlegte, ob es sich nicht dabei um die hübsche Assistentin handeln könnte. Ihre grünblauen Augen hatten ihn fasziniert. Manchmal wünschte er sich so sehr die Liebe einer Frau. Die Einsamkeit quälte ihn jeden Tag. Jede Nacht.

Myrielle Gatto war ihr Name. Sie schien keine Angst vor ihm gehabt zu haben. Das imponierte Cauthon. Er zückte sein Schwert und verließ sein Zimmer. Zwei Naats versperrten ihm den Weg in Jenmuhs Gemach.

»Lasst mich vorbei, oder ich lasse euch erschießen.«

Der eine Naat grunzte unfreundlich, dann gab er den Weg frei. Despair schlug mit der Faust auf den Öffner, die Tür glitt zischend zur Seite. Das Wehklagen der Frau wurde lauter. Er ging in das Schlafzimmer, welches durch einen Vorhang abgetrennt war. Despair schob den Vorhang beiseite und blieb wie angewurzelt stehen. Beinahe hätte er das Schwert vor Schreck fallen lassen.

Cauthon Despair hatte schon viele abscheuliche Dinge gesehen, doch dieser Anblick rangierte weit oben in der Liste seiner schlimmsten Erlebnisse. Uwahn Jenmuhs streckte ihm sein nacktes, behaartes Hinterteil entgegen, während er sich über eine dunkelhaarige Frau hermachte, die Despair kaum mehr unter dem massigen Körper des Arkoniden zu erkennen vermochte.

Jenmuhs schob seinen Körper auf und ab, stöhnte und gluckste. Er war so in Ekstase, dass er offenbar Despair gar nicht bemerkt hatte. Cauthon hatte genug gesehen, er riss den Vorhang ab und warf ihn auf das Bett.

»Was soll das? Wer wagt es?«, brüllte er, während er versuchte, den Vorhang aus dem Bett zu werfen. Als es ihm gelang, blickte er Despair ins Angesicht, der ihn voller Verachtung anschaute.

Da saß Jenmuhs in seinem Fett. Nackt. Außer Atem. Würdeloser als er ohnehin schon war. Despair hätte ihn am liebsten eigenhändig erwürgt, doch Jenmuhs war ein Verbündeter. Was für ein Prachtstück von Verbündetem.

»Was machen Sie hier?«

»Ich habe Schreie gehört«, sagte Despair nüchtern. »Offenbar teilt die Dame Ihre Leidenschaft nicht.«

Jenmuhs grunzte irgendetwas und zog sich die Bettdecke über. Keuchend hievte er sich aus dem Bett. Despair betrachtete die Frau. Sie war nicht alt. Vielleicht Mitte zwanzig. Jetzt erkannte er sie.

Anica! Sie lebte also noch. Das grenzte an ein Wunder. Welcher Mensch konnte es fast sieben Jahre mit Jenmuhs aushalten? Despair schob das Schwert in den Halfter. Anica starrte ihn an. Ihre Augen waren matt, strahlten keinen Lebenswillen mehr aus. Cauthon berührte dieser Anblick. Sie war unschuldig und wurde von Jenmuhs missbraucht. Wieder und wieder.

Schon Wyll Nordment hatte deswegen sein Leben verlieren müssen. Damals war Nordment auf Anica gestoßen, die Jenmuhs entführt hatte. Hätte der Ehemann von Rosan Orbanashol-Nordment das an die Öffentlichkeit getragen, wäre Jenmuhs erledigt gewesen.

Er hatte es zugelassen, damit dieses Ungeheuer sich seiner Wollust hingeben konnte. In diesem Moment fühlte sich Despair wahrlich wie ein Sohn des Chaos. Todbringend, niederträchtig und gemein. Er hatte Mitleid mit Anica. Sie würde niemals mehr ein normales Leben führen können. Jenmuhs würde sie niemals gehen lassen. Und wenn, dann nur in den Tod.

Er hatte Mitgefühl mit Rosan. Er hatte der Halbarkonidin ihren geliebten Ehemann genommen. Dabei war Rosan wohl die älteste Freundin Despairs gewesen. Damals als sie vor 31 Jahren als kleine Kinder auf der Welt Mashratan entführt und von Gucky gerettet worden waren. Das Schicksal hatte sie danach auseinandergebracht und später zusammengeführt. Doch beide hatten sich verändert. Aus dem kleinen, schüchternen Jungen, den Rosan bei der Hand hatte nehmen müssen, war der mächtige Silberne Ritter geworden. Rosan hingegen war die Anführerin der neuen USO, die dem Quarterium in Dorn im Auge war.

Sie standen auf gegnerischen Seiten. Und dabei wusste sie noch nicht einmal, dass Despair der Mörder von Wyll Nordment war.

Despair musste plötzlich an Myrielle Gatto denken. Was hätte er wohl gemacht, wenn sie anstatt Anica da gelegen hätte? Despair wurde sich auf einmal über vieles unsicher. Er spürte etwas, was er verdrängen wollte. Ein Gefühl, das ihm nie Glück gebracht hatte. Weder bei Zantra Solynger noch bei Sanna Breen.

Er versuchte sich zu konzentrieren, ermahnte sich selbst. Despair war ein Sohn des Chaos und durfte keine Gefühle wie Mitleid oder gar Liebe empfinden.

»Also, Sie sehen ja, dass alles in Ordnung ist«, riss Jenmuhs ihn aus seinen Gedanken. »Verschwinden Sie wieder.«

»Reden Sie nicht in diesem Ton mit mir, sie feistes Schwein«, rief Despair ungewohnt aufgebracht. Sofort erlangte er seine Beherrschung wieder zurück. »Wie lange wollen Sie das Mädchen noch mit Ihrer Gier quälen? Erlösen Sie Anica.«

Jenmuhs lief rot an.

»Haben Sie nicht andere Probleme, Despair? Die Kleine bleibt bei mir, bis sie hässlich, langweilig oder tot ist.«

Despair verstand. Am besten wäre es gewesen, er hätte Anica einfach erstochen. Dann wäre sie erlöst.

Fehle meiner nicht. Dieses Mädchen ist unbedeutend. Nichts. Gefährde den Bund der Vier nicht wegen einer Made.

Despair verharrte erschrocken in seiner Bewegung. MODROR! MODROR hatte zu ihm gesprochen. Er war allgegenwärtig. Ein Gott. Mächtiger als Kosmokrat und Chaotarch. Nichts und niemand konnte ihm entgehen. Er war stets mit den Söhnen des Chaos verbunden. Wusste er von Despairs Zweifeln? Oder konnte Cauthon seine tiefsten Gedanken verborgen halten?

Despair fühlte sich ertappt, schuldig. Er trug die Schuld in jeglicher Hinsicht. Moralisch gesehen, hätte er Anica helfen sollen. Doch er war der Treue zu einem Herrn verbunden und durfte ihn nicht enttäuschen.

»Tut was Ihr wollt, Jenmuhs«, sagte er schließlich. »Seid nett zu ihr, denn sie befriedigt Euch. Zeigt Großmut.«

Jenmuhs sah Despair ungläubig an. Anscheinend kannte Jenmuhs dieses Wort gar nicht, vermutete der Silberne Ritter.

»Konzentriert Euch nun auf wichtigere Dinge. Den Sieg über die saggittonisch-akonische Allianz«, forderte Despair.

Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer. Er ging direkt in sein Zimmer zurück und meditierte. Er machte seine Gedanken frei von jeglichen Zweifeln und Schuld. So konnte er zumindest für eine Weile sein Gewissen beruhigen.

*

Am nächsten Morgen suchte der Silberne Ritter Myrielle Gatto auf. Er wollte sie unbedingt sehen, obwohl er wusste, dass es falsch war. Dennoch wollte er sie beschützen. Vor Jenmuhs und da Reych. Cauthon wusste, dass sie ein Auge auf Myrielle geworfen hatten. Da Reych wollte sie abservieren, Jenmuhs sie ins Bett zerren.

Zu Despairs Erstaunen wirkte Myrielle alles andere als erfreut ihn zu sehen. Sie saß stumm an ihrem Arbeitsplatz und erledigte Schreibkram. Sie grüßte ihn reserviert. Despair fiel auf, dass sie diesmal ihr gewelltes Haar offen trug, was er jedoch nicht für bedeutsam hielt.

Etwa drei Dutzend Mitarbeiter taten in diesem Großraumbüro ihren Dienst. Jeder Arbeitsplatz war jedoch abgeschottet, damit die Menschen in Ruhe arbeiten konnten.

Despair gefiel dieses Büro nicht sonderlich. Es erinnerte ihn an einen terranischen Roman von George Orwell, in dem die Menschen monoton ihrer Arbeit nachgingen, absichtlich isoliert. Dass so viele in einem Büro arbeiteten, hatte nichts mit sozialer Mitarbeiterführung zu tun. So waren sie leichter zu kontrollieren. Doch das war die Philosophie des Quarterium. Sie spiegelte die Ansichten MODRORs wider.

Kontrollierte Menschen würden weniger Schaden anrichten. Die Individualität hatte sie auch nicht weit gebracht, fand Despair. Das war einer der Hauptgründe, warum er eine neue Ordnung wollte.

»Was kann ich für Sie tun, Quarteriums-Marschall?«

In ihrer Stimme lag viel Bitterkeit. Ablehnung. Despair spürte das sofort. Es war keine fixe Einbildung, nur weil er jede Nuance in den Stimmen von Zantra und Sanna stets gedeutet hatte. Despair fürchtete sich, abgelehnt zu werden. Von MODROR würde er niemals verstoßen werden. MODROR baute große Stücke auf Despair. Auch wenn er letztendlich nur ein Handlanger der Entität war.

»Ich wollte mich nach Ihrem Wohlbefinden erkundigen«, antwortete Despair. »Sie hatten gestern sicherlich einen anstrengenden Tag. Viele illustre Begegnungen.«

»Wem sagen Sie das.«

Cauthon merkte, dass er so nicht weiter kam. Sie lehnte seine Präsenz anscheinend ab. Er wusste nicht warum, er hatte ihr doch nichts getan. Gestern war sie noch dankbar, wollte ihn sogar einladen. Und nun?

Die Unberechenbarkeit der Frauen, vermutete der Silberne Ritter wenig amüsiert. Es war immer so gewesen. Erst machten sie ihm Hoffnungen und dann ließen sie ihn fallen. So hatte es sich mit Zantra Solynger zugetragen und mit Sanna Breen war es nicht anders gewesen. Beide waren tot. Auch wenn Sanna bis vor einigen Jahren noch als Konzept DORGONs aufgetaucht war und ihm ihre Liebe gestanden hatte, so hatte er ihr niemals vergeben, dass sie sich für jemand anderes entschieden hatte. Natürlich liebte Sanna ihn nicht. Sie hatte als DORGONs Konzept versucht, ihn damit zu bekehren. Ein plumper Versuch, den Despair durchschaut hatte.

Und trotzdem fühlte er großes Bedauern. Die Einsamkeit fraß ihn auf. Selbst MODROR konnte ihm nicht das geben, was eine Frau konnte. Liebe. Reine Liebe.

Despair lachte über sich selbst. Als ob es so was noch gab in der heutigen Welt. Und selbst wenn – wer würde ein Monster wie ihn lieben? Niemand! Sie hatten ihn gehasst, verstoßen, sich über ihn lustig gemacht. Das war nun vorbei. Nun war er mächtig und keiner wagte es, ihn zu verletzen. Diesen Luxus hatte Despair MODROR zu verdanken. Weder einem Perry Rhodan noch einem DORGON.

»Alles in Ordnung?«

Er blickte Myrielle wieder an.

»Ja.«

Ihre Augen glänzten wundervoll. Cauthon hätte Stunden damit verbringen können, in ihre Augen zu sehen. Myrielle Gatto faszinierte ihn mehr, als er sich eingestand.

»Wegen der Einladung«, sagte sie zögerlich. »Es war etwas naiv von mir, Sie einfach so in Verlegenheit zu bringen. Es tut mir leid.«

»Es ist besser, wenn Sie nichts mit mir zu tun haben. Die Arbeit in der Führungsriege des Quarterium ist nichts für ein reines Geschöpf, wie Sie es sind«, sprach Despair.

Myrielle schaute ihn überrascht an.

»Danke«, sagte sie. »Wird denn etwas Unreines in der Regierung beschlossen?«

Despair atmete tief durch. Das ging Myrielle nichts an. Auch wenn er Zuneigung zu ihr empfand, war er nicht so töricht, ihr von den Machenschaften der Söhne des Chaos zu berichten.

»Verspielen Sie nicht meine Gunst durch naive Fragen, Miss Gatto.«

»Oh, tut mir leid …«

Sie widmete sich wieder ihrer Arbeit. Cauthon kam sich langsam vor wie ein Idiot. Was machte er eigentlich hier? Er war schließlich Quarteriums-Marschall. Eine unnahbare, unantastbare Persönlichkeit. Und doch gab er sich mit einer Assistentin ab. Das schadete seinem Ansehen. Er brauchte sie nur einmal ansehen, dann verflogen seine Zweifel. Sie war wunderschön. Nur einmal hätte er gerne ihre Wärme gespürt, einen Kuss, eine Umarmung.

Daraus würde niemals etwas werden. Er musste sich damit abfinden. Cauthon war kein Atlan, der die Frauen anzog. Kein strahlender Held, sondern der gefürchtete Silberne Ritter. Das würde er bis in alle Ewigkeiten bleiben.

»Sie sollten sich nicht um Dinge kümmern, die Sie nichts angehen. Das könnte sich schlecht auf Ihre Gesundheit auswirken«, drohte er Myrielle. »Nehmen Sie sich diesen Rat zu Herzen …«

7. Neofelis Nebulosa

Despair schreckte aus seiner Meditation hoch, als er die Alarmsirenen hörte. Er schnappte sich seinen Helm und setzte ihn auf. Rechts neben ihm lag sein Schwert. Er zog es aus der Scheide und lief auf den Balkon, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er vermutete einen Angriff der Saggittonen.

Doch kein Kanonenfeuer war zu hören. Keine Rauchschwaden. Kein Anzeichen eines groß angelegten Angriffes. Ein paar Sicherheitsbeamte patrouillierten aufgeregt an den Ein- und Ausgängen des OKE. Plötzlich fielen Schüsse. Die Scheinwerfer schwenkten zur Hauswand. Suchdroiden sausten auf das Schloss zu. Despair blickte nach rechts. Ein Schatten huschte an ihm vorbei. Despair kletterte über die Fassade zum Balkon von Jenmuhs Zimmer. Zwei Wesen standen im Raum. Die eine Frau erkannte er. Es war Anica. Die Kreatur vor der Zechonin glich einer Art Raubkatze. Einem Kartanin.

»Du bist eine große Miezekatze«, meinte Anica gewohnt infantil. Ihr Gegenüber fauchte und packte Anica an der Kehle.

»Nenne mich Parder. Du bist die Geliebte dieses ekelhaften Arkoniden …«

»Nein, ich hasse ihn. Er tut schlimme Dinge mit mir, die ich nicht will. Er ist fies und böse.«

»Warum soll ich dir glauben?«, fauchte Parder.

»Nimmst du mich mit nach Hause, lieber Kater? Ich will zurück zu Uthe und Jaquine …«

»Ich bin kein Kater. Ich bin ein Weibchen«, knurrte Parder und ließ Anica los. »Du bist nicht die Hellste, oder?«

»Ich habe dunkle und nicht helle Haare, meinst du das?«

Parder seufzte und beschnupperte Anica. Beide hatten Despair noch nicht bemerkt. Parder war vielleicht 170 Zentimeter groß und erinnerte Cauthon an eine Kartanin. Jedoch wirkte sie auch recht menschlich. Despair erinnerte sich an die Hybris Sha-Hir-R’yar, die einst eine Söldnerin der Mordred gewesen war. Ein genetisch gezüchtetes Wesen aus dem Hause Shorne. Jenmuhs war damals ihr Peiniger gewesen, als er verdeckt als »Nummer Vier« der Mordred agierte. Das Geheimnis hatte er lange bewahrt, ehe er Despair darüber informiert hatte. Nachdem diese Sha-Hir-R’yar desertiert war, wusste niemand, was aus ihr geworden war. Despair hätte erwartet, dass sie sich irgendwann an Jenmuhs und Shorne hätte rächen wollen, doch nichts war geschehen.

War sie das?

»Also gut, ich helfe dir zu fliehen. Ich versuche dich zu den Saggittonen zu bringen.«

»Danke, liebe Katzenfrau.«

Anica lachte glucksend und streichelte das gefleckte Fell des Eindringlings.

Plötzlich betrat Jenmuhs den Raum. Er kam anscheinend aus der Dusche, sein wabbeliger Körper war mit einem seidenen Mantel bedeckt.

»Was?«, rief er entsetzt und rannte los. Weit kam er nicht, denn Parder landete mit einem Satz direkt auf ihm. Sie riss ihn herum und kratzte mit ihren scharfen Krallen in seinem Gesicht herum. Despair stürmte aus seinem Versteck, um Jenmuhs zu helfen. Er fürchtete sich nicht vor dem fremden Wesen.

Parder rollte sich über Jenmuhs hinweg, sprang an die Wand und von dort direkt mit einem Dropkick auf Despair. Die Wucht des Stoßes drückte ihn nach hinten. Er brauchte eine Weile, um sich zu orientieren. Parder war derweil bereits aus dem Zimmer geflohen.

Die Naats rannten nun in Jenmuhs Gemach und kümmerten sich um ihren Herrn. Despair nahm die Verfolgung auf. Er hangelte sich an der Hauswand hoch und gelangte auf das Dach. Ein schmerzhafter Tritt warf ihn zu Boden. Behände sprang er auf. Parder knurrte bedrohlich und versuchte, Despair mit Tritten und Schlägen außer Gefecht zu setzen. Der Silberne Ritter parierte jeden Hieb. Er wollte Parder nicht verletzen. Zuerst wollte er mehr über das Wesen herausfinden.

Mit einem gezielten Schwertschlag verwundete er Parders Schulter. Kreischend fiel das Felidenwesen auf den Boden.

Despair senkte das Schwert und schritt langsam auf Parder zu. Sie starrte ihn an und atmete schwer.

Diese Augen! Despair faszinierte der Glanz der Augen dieser Kreatur. Sie kamen ihm bekannt vor.

»Sha-Hir-R’yar?«, fragte er.

»Wer? Ich bin der Parder!«

Bei genauerer Betrachtung erkannte Despair, dass es sich nicht um die Hybris aus vergangenen Tagen handelte. Das Fell war dunkler, die Gesichtszüge anders.

»Ergib dich, dann geschieht dir nichts«, versprach Despair.

»So? Wurde das den Versuchsmenschen in euren Genlabors auch gesagt? Ist das der Standardsatz für die Entsorgung eurer Häftlinge in den Lagern?«

Woher wusste dieses Wesen von dem Genlabor und den Entsorgungslagern? War sie eine Spionin der USO? Doch dafür ging sie zu plump vor. Despair wollte das Geheimnis des Parders ergründen. Er legte die Spitze des Schwertes an ihre Kehle.

»Du hast keine Alternative. Gib den Widerstand auf oder stirb.«

Plötzlich drückte irgendetwas Despairs Schwert zur Seite. Parder sprang auf, versetzte Despair einen Hieb auf die Brust und rannte weg. Despair packte ihren Schwanz und riss sie zurück. Parder rutschte aus, verlor den Halt und rutschte das Schrägdach herunter. Cauthon schaffte es nicht, sie zu halten. Sie fiel in die Tiefe. Doch kurz bevor sie auf den Boden aufschlagen sollte, verschwand sie in einem Wirbel.

Despair blickte verwirrt eine Weile auf den Boden. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Diese Parder war eine Mutantin. Sie musste die Telekinese und Teleportation beherrschen.

Er schaute auf die Stelle, wo sie hätte aufschlagen sollen. Einige Wachmänner blickten von unten zu Despair hoch.

»Wir werden uns wiedersehen, Parder …«

*

»Neofelis Nebulosa.«

»Wie bitte?«

Der Ara schüttelte über da Reychs Unwissen den Kopf. Er erklärte den Anwesenden, was es mit diesen beiden lateinischen Wörtern auf sich hatte.

»Es bedeutet Nebelparder. Ein Raubtier der Felidengattung, genauer gesagt eine Pantherine.«

»Eine Katze?«, fragte Toran Ebur ungläubig.

»Ja, Sir. Zumindest benennt sich dieses Wesen nach einem Parder. Das Aussehen gleicht einem Nebelparder in Menschengestalt. Wohlgemerkt weicht das Aussehen aber etwas von dem eines Kartanin oder Gurrad ab. Es handelt sich also nicht um eine dieser Rassen. Das belegen auch die DNS-Proben, die wir vom Blut des Parders haben, das an dem Schwert Despairs klebte.«

Cauthon Despair betrachtete die Videoaufnahmen des Parders.

»Wir müssen herausfinden, woher es kommt und wieso es wichtige Staatsgeheimnisse kennt«, forderte er.

Stevan da Reych schlug mit der Faust auf den Tisch. Despair ließ es kalt, dass Reychs Untergebene zitterten.

»Sie haben den Quarteriums-Marschall gehört. An die Arbeit. Es rollen Köpfe, wenn das Problem nicht gelöst wird. Stellt Parafallen auf, sucht dieses Vieh!«

»Ich glaube, ich weiß, woher es kommt«, gestand der Ara.

»Ja, Doktor Tersol?«

Tersol traute sich anscheinend kaum, in die rotglühenden Augen des Arkoniden zu schauen.

»Bei der Bestrahlung vorgestern haben wir versucht, die Wesen zu mutieren«, begann er zögerlich. »Wir … wir haben die Forschungsergebnisse von Shorne Industries als Grundlage genommen.«

Despair erinnerte sich an den Vorfall. Michael Shorne hatte nicht nur Menschen geklont und in früheren Zeiten solche Hybris gezüchtet, sondern auch später in Cartwheel die DNS diverser Wesen manipuliert. Er hatte Gott gespielt und Mutanten erschaffen. Metaformer, Telepaten, Telekineten, Teleporter und sogar Strukturerschütterer. Rijon, der kleine Bluesjunge, war zu einer gewaltigen Gefahr herangewachsen und von Gucky gestoppt worden. Einige von Shornes Geschöpfen existierten noch – die drei Mutanten in Cartwheel. Doch sie waren zu den Saggittonen übergelaufen. Alles in allem waren Shornes Experimente ein Fiasko gewesen. Das neue Projekt schien sich in die gleiche Richtung zu bewegen.

»Fahren Sie fort«, bat Despair.

Der Ara nickte hastig.

»Nun, wir haben etwas herumexperimentiert.« Tersol kicherte. »Wir wollten einen Mutanten erschaffen, der die Gestalt verändern kann. Ein Mutant, der erst mit dieser Verwandlung seine Fähigkeiten einsetzen kann. Er wäre so unauffällig. Ein normales Wesen, doch wenn es sich verwandelt …«

Der Ara lachte laut. Die anderen fanden das wenig komisch. Das bemerkte der Wissenschaftler und verstummte.

»Das bedeutet, eines ihrer Versuchsobjekte ist ausgebrochen«, stellte Ebur fest.

Der Ara schüttelte den Kopf.

»Nein, die sind alle tot. Die Bestrahlung hat sie umgebracht. Das war unser Problem bis jetzt. Wir wussten nicht, wie wir die Bestrahlung dosieren sollten.«

»Woher stammt es dann? Und wie können wir es finden?«, brachte es da Reych auf den Punkt.

»Nun, wir könnten eine DNS-Probe aller auf Eschrayr befindlichen Lebewesen nehmen und sie mit dem Blut des Parders vergleichen. Das wäre die einzige Methode. Es sei denn, er läuft uns in eine Parafalle.«

»Die aber erst in ein paar Tagen kommen«, wandte Erich Village ein. »Wir waren auf Mutanten nicht vorbereitet. Wir müssen sie erst einmal in Cartwheel anfordern …«

Despair erhob sich. Er hatte genug gehört. Sie jagten ein Wesen, welches die Gestalt wechseln konnte, teleportieren und wichtige Informationen besaß, die keinesfalls in die Hände der Feinde fallen durften.

»Nehmen Sie unauffällig DNS-Proben aller atmenden Intelligenzwesen in Eschrayr«, befahl Despair und verließ die Konferenz. Er hatte genug von dieser Besprechung. Stevan da Reych zeichnete sich bisher nicht gerade als brillanter Oberbefehlshaber aus. Hoffentlich war er bei der Umsetzung der Artenbestandsregulierung effizienter.

Despair fiel Myrielle Gatto auf, die ziemlich erschöpft über ihrem Schreibtisch brütete. Was war mit ihr los? Sie hatte sich bereits gestern seltsam benommen. Wenn Despair ehrlich war, dann war die ganze Frau ein Mysterium für ihn. Ebenso schön wie unberechenbar und geheimnisvoll.

»Sie schon wieder.«

Despair hätten jeden anderen für diese respektlose Aussage persönlich enthauptet. Ihr verzieh er diese Entgleisung. Es tat ihm sogar etwas weh, so barsch von ihr begrüßt zu werden. Diese Frau hatte sich verändert, wirkte gereizter auf ihn.

»Wenn Sie so weitermachen, werden Sie noch bestraft werden«, drohte er ihr.

Myrielle blickte ihn verständnislos an. Ihre blaugrünen Augen schienen ihn zu durchdringen. Es fiel Cauthon schwer, Myrielle zu drohen, doch das geschah nur, um sie zu schützen. Ihre freche Art könnte sie den Kopf kosten. Eigentlich hätte Despair sie bereits für den Frevel an seiner Person töten müssen, doch dazu war er nicht in der Lage. Cauthon horchte in sein Herz hinein. Dann verdrängte er die Gefühle wieder. Es durfte nicht sein. Niemals!

»So? Was macht man dann mit mir? Entsorgen?«

Despair ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. Woher wusste sie von der Artenbestandsregulierung? Oder war sie sich über die Doppeldeutigkeit des Wortes Entsorgung nicht im Klaren? Despair nahm ihren Arm und zog sie hoch.

»Begleiten Sie mich nach draußen.«

Myrielle sah ihn kurz überrascht an, dann folgte sie ihm wortlos. Despair hätte zu gern gewusst, was in dem wunderschönen Köpfchen dieser Frau vorging.

Sie gingen in die Parkanlagen des Schlosses, die zu größten Teilen wiederhergestellt waren. Mehrere Dutzend der verschiedensten Blumen von Som-Ussad blühten edel. Ein paradiesischer Anblick, für den Despair jedoch wenig übrig hatte. Er gehörte nicht zu den Leuten, die ein Picknick machten.

»Myrielle, Sie sind eine geheimnisvolle Frau. Ich hätte Sie eigentlich schon längst für Ihre Impertinenz töten müssen.«

»Warum tun Sie es dann nicht?«, fragte sie gleichgültig.

Despair war von ihrer furchtlosen Reaktion beeindruckt. Warum hatte sie keine Angst? Oder verstand sie es nur sehr gut, ihre Furcht zu verschleiern?

Irgendetwas ging in ihr vor. Cauthon wusste nicht, was es war. Es musste etwas passiert sein, was sie in diese Stimmung versetzt hatte.

»Wollen Sie Ihr Leben so leichtfertig wegwerfen, Myrielle?«

Sie vergrub ihr Gesicht zwischen den Händen und setzte sich auf eine Parkbank. Despair blieb stehen und blickte auf sie herab.

»Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich habe ständig Kopfschmerzen, mir ist übel, ich kann nicht schlafen … habe ständig Alpträume …«

Despair verdrehte die Augen. Wahrscheinlich hatte sie eine Grippe. Wie wehleidig doch die Menschen waren. Deshalb setzte sie ihre Karriere aufs Spiel und benahm sich so seltsam. Despair spürte so etwas wie Enttäuschung. Er hatte Myrielle Gatto zäher eingeschätzt.

Sie sah ihn aus trüben Augen an.

»Schon meine Mama hat gesagt, dass ich sehr launisch bin, wenn ich krank bin …« Sie schaute nun verlegen aus dem Boden. Despair konnte keinen Groll gegen sie hegen. »Außerdem bin ich von Jenmuhs und da Reych angewidert.«

Sie blickte sich um, wollte sich anscheinend vergewissern, dass niemand anderes zuhörte. Mit leiser Stimme sagte sie: »Wissen Sie, ich verstehe nicht, warum das Quarterium solche Leute beschäftigt. Die sind doch krank …«

Despair schmunzelte. Myrielle sah das natürlich nicht. Niemand bemerkte seine Regungen. Niemals. Das war Despair nur recht. So eine Maske hatte seine Vorteile.

Myrielle lag mit ihrer gewagten Aussage nicht falsch. Cauthon konnte weder Jenmuhs noch da Reych leiden. Doch das Quarterium benötigte einen gewissen Schlag an Menschen für bestimmte Aufgaben. Das konnte er Myrielle schlecht erklären.

»Sie haben vielleicht recht, doch das Quarterium braucht Jenmuhs und da Reych.«

»Ich habe Angst vor ihnen«, gestand sie. »Es macht mir wenig Freude, unter da Reych und seinem Rechtsverdreher zu arbeiten. Ich weiß, das ist wieder eine Gotteslästerung …« Sie blickte ihm tief in die Augen. In diesem Moment wirkte sie so unschuldig. Despairs Herz raste vor Aufregung. Wie würde er es bloß schaffen, sich dem Bann dieser Frau zu entziehen?

»Ich denke aber, dass ich mit Ihnen drüber reden kann, obwohl Sie so ein hohes Tier sind. Irgendwie sind Sie anders.«

Natürlich unterschied sich Despair vom Rest dieser Narren. Er war der Silberne Ritter. Vom Aussehen her ein Monster, doch in allen anderen Belangen Kreaturen wie Jenmuhs weit überlegen.

»Wieso denken Sie, dass ich anders bin?«

»Gefühlvoller. Sie wirken auf mich nicht wie ein gefährlicher Killer, wie man Sie oft bezeichnet. Eher wie ein trauriger, einsamer Mann.«

Myrielle war ziemlich direkt. Eine Eigenschaft, die Cauthon bereits an Sanna Breen geschätzt hatte. Myrielle sah Despair anscheinend nicht als das Rüstung tragende Monster, sondern als Menschen. Nur selten wurde ihm so ein Gefühl gegeben. Ebenso selten wünschte er auch, als Mensch angesehen zu werden. Die Rüstung, die finstere Maske wirkten respektvoll auf andere. Doch auch diese Eigenschaften machten ihn einsam. Despair war hin- und hergerissen zwischen seinem Pflichtbewusstsein für MODROR und seinem eigenen Leben. Im Grunde genommen durfte er kein eigenes Leben führen. All seine Kraft sollte MODROR gehören. Und doch widerstrebte ihm das.

»Sie müssen wahrscheinlich denken, dass ich dumme Gans nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Es kommt bestimmt nicht oft vor, dass eine fremde Frau Ihnen Komplimente macht.«

Myrielle kicherte.

»Nein, mir macht niemand Komplimente …«

»Oh«, sagte Myrielle knapp. »Tut mir leid. Ich … ich habe das so nicht gemeint.«

Despair erwiderte nichts. Er wusste auch nicht, was er sagen sollte. Dass er ein Monster war, welches noch nie eine Frau geliebt hatte? Sie würde ihn sicher auslachen. Ihn, den Quarteriums-Marschall!

»Ich bin nur etwas nervös«, gestand Myrielle plötzlich. »Ich rede nicht jeden Tag mit dem Silbernen Ritter so privat. Es ist ganz seltsam.«

Das fand Despair auch. Eigentlich redeten beide um den heißen Brei herum. Myrielle schien sich nicht zu trauen, offener zu sprechen, Despair zwang sich selbst dazu. Er durfte unter keinen Umständen sein Herz an Myrielle Gatto verlieren. Und dennoch war es so unglaublich schwer, ihr zu widerstehen.

Einmal vergessen, wer er war, den Krieg, MODROR. All das Leid. Nur sie und er. Spüren, dass jemand ihn leiden konnte. Dass er jemandem etwas bedeutete.

Dieses Gefühl vermochte MODROR ihm nicht zu geben. Unter MODROR war er Despair der Krieger. Kalt, tödlich und einsam. Ein dunkler Rächer ohne Liebe. Seine Motivation war das Chaos. Aus dem Chaos sollte eine neue Ordnung entstehen – MODRORs Ordnung. Dafür kämpfte Despair. Doch langsam sah er ein, dass es mehr gab, als nur dieses übergeordnete Ziel. Freundschaft, Liebe. Gefühle.

Cauthon verfluchte sich für seine schwache Haltung. Was sollte MODROR von ihm denken?

»Sir?«

Was war denn nun los? Wütend drehte sich Despair um, um den Störenfried zu begrüßen.

»Leutnant Ash Berger, Sir!«

Despair musterte den jungen Offizier in seiner feldgrauen Uniform. Der Ritter spürte, dass dieser Soldat fähig war und dennoch widerspenstig. Er las es aus der Körperhaltung, der Art, wie sich Berger gab. Cauthon wünschte, er hätte auch aus Myrielle so gut lesen können.

»Was gibt es, Leutnant?«

»Generalmarschall Ebur wünscht Sie zu sprechen. Es geht um ein Lager der Alliierten auf der Welt Beschryr.«

»Informieren Sie den Generalmarschall, dass ich ihn in Kürze in der Konferenzhalle erwarte. Da Reych und Benington sollen ebenfalls dort anwesend sein.«

Berger salutierte und lief zurück. Despair blickte ihm hinterher. Wie einfach doch die Welt eines Soldaten manchmal sein konnte. Befehle ausführen und nicht darüber nachdenken. Natürlich tat das nicht jeder. Despair wollte auch nicht darüber nachdenken, denn es hätte wieder zu Zweifeln geführt.

»Verzeihen Sie, ich muss zur Konferenz«, sagte Despair, Myrielle Gatto zugewandt. Sie nickte leicht.

»Gehen Sie nur. Ich muss auch wieder zurück zur Arbeit, sonst kriege ich noch Ärger.« Sie stand auf und lächelte Despair an. »Wir sehen uns …«

Cauthon sah ihr noch eine Weile hinterher, begutachtete ihr wohlgeformtes Hinterteil und stieß einen Seufzer aus. In diesem Augenblick spürte er sein Leben. Er war kein Zombie MODRORs, sondern fühlte aufrichtige Zuneigung zu dieser Frau. Sein Herz war erwacht. Seit so langer Zeit.

Zumindest für diesen Moment. Bis zum Beginn der Besprechung …

8. Marsch auf Beschryr

Myrielle versuchte, die stechenden Migräneanfälle zu unterdrücken. Es war jedoch nicht einfach. Sie schrieb ihren schlechten Gesundheitszustand dem wenigen Schlaf zu. Seit der Entdeckung des Forschungslabors hatte sie kaum ein Auge zugetan. Wenn doch, wurde sie von schrecklichen Albträumen geplagt.

Was war nur los mit ihr? Sie seufzte, streckte sich und gähnte herzhaft. Diese Müdigkeit machte sie fertig. Die Kopfschmerzen ohnehin. Am liebsten hätte sie sich krankgemeldet, doch das wurde nicht gerne gesehen.

Cauthon Despair und die anderen verließen den Konferenzraum. Alle wirkten ernst und angespannt. Cauthon lief an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Naja, zumindest vermutete sie das. Sicher war sie sich nicht. Wusste sie, was er unter seinem Helm für Grimassen schnitt? Erich Village ging auf sie zu.

»Miss Gatto, packen Sie Ihre Sachen. Wir brechen heute Nacht nach Beschryr auf. Sie sollen als meine Assistentin mitkommen.«

Myrielle blickte irritiert auf ihr Chronometer, dann wieder zu Village.

»Das ist Ihre Chance. Sie werden Dinge erleben, die Ihnen vielleicht nicht gefallen werden. Tun Sie aber das, was ich Ihnen sage, dann machen Sie Karriere unter mir.«

Village grinste und ging weiter. Myrielle hoffte, dass er das »unter ihm« nicht wörtlich nehmen würde. Sie packte ihren Kram zusammen und lief in ihr Quartier.

Ihr Puppenhaus oder die zahlreichen Stofftiere würden sicher kein Platz in ihrem Gepäck finden. Manchmal fragte sie sich, ob sie nicht etwas zu kindlich eingestellt war. Eigentlich tat sie das jedes Mal, wenn sie auf die riesige Ansammlung der Teddybären, Plüschmausbiber und Puppen schaute. Doch diesmal war etwas anders. Es fiel Myrielle sofort auf. Einem Teddybär fehlte der Kopf. Myrielle kramte zwischen den Stofftieren herum und fand den abgerissenen Kopf.

Seltsam, dachte sie. Der kann doch nicht einfach abgefallen sein. Der wurde abgerissen.

Doch niemand außer ihr selbst hatte Zugang zu ihrer Wohnung. Ein Einbrecher? Myrielle zuckte bei dem Gedanken zusammen. Dann dachte sie genauer nach. Ein Verbrecher würde sicher nicht nur in ihre Wohnung einbrechen, um einen Teddybären entzweizureißen.

Überhaupt war es ziemlich unordentlich in ihrem Quartier. Ihr fiel es erst jetzt auf. Sie schrieb es ihrem schwachen Gesundheitszustand zu. Die Kopfschmerzen waren immer noch unerträglich.

Plötzlich summte es an der Tür. Myrielle erinnerte sich daran, dass Village ihr einen Mann zum Koffertragen schicken wollte. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und öffnete ihm.

»Ach du bist das«, sagte sie mit einem Funkeln in den Augen.

Ash Berger trat in den Raum und musterte Myrielles Wohnung. Ihr war es etwas peinlich, da alles so unordentlich herumlag. Auch musste er nicht unbedingt ihre Stofftiersammlung sehen, sonst würde er sie noch für eine infantile Schnepfe halten.

»Ich melde mich gehorsamst zum Koffertragen.«

»Er liegt auf dem Bett«, rief Myrielle, während sie im Bad ihre Utensilien zusammensuchte. Als sie fertig war, fand sie Berger in ihrem Schlafzimmer. Er betrachtete die Stofftiere. Myrielle verwünschte sich selbst, sie hatte ihn förmlich dazu eingeladen.

»Hübsch …«

»Niedlich. Aber davon haben Waffen tragende Männer wohl keine Ahnung«, entgegnete Myrielle gereizt.

»Tja, du darfst hier ja auch hinter dem Schreibtisch sitzen und diesem arkonidischen Fatzke Kaffee kochen, während die Männer in den Kampf müssen. Ich würde gerne tauschen.«

»Ash Berger! Wir kennen uns erst seit wenigen Wochen und immer wieder habe ich den Eindruck, dass du das Quarterium nicht magst.«

Berger lächelte.

»Der Eindruck täuscht nicht. Ich wollte nicht in den Krieg, sehe auch keinen großen Sinn darin. Aber nun stecke ich mitten drin. Auf Desertion steht der Tod. Auch nicht gerade verlockend …«

Myrielle nickte schwach, während sie einiges im Koffer noch einmal umpackte. Sie konnte sich nicht entscheiden, welche Kleidung sie mitnehmen sollte. Auf der anderen Seite musste sie sowieso meist eine quarteriale Uniform tragen. Es war also völlig egal.

»Meine Sympathie für das Quarterium schrumpft auch von Tag zu Tag …«

»Und dass obwohl du in der obersten Riege verkehrst?«, fragte Berger und spielte damit wohl auf ihre Gespräche mit Cauthon Despair an.

»Ich verstehe es selbst nicht so ganz. Despair ist irgendwie faszinierend. Geheimnisvoll und doch wirkt er auf mich verletzlich. Als ob er etwas verbergen will.«

»Wahrscheinlich jede Menge Leichen im Keller«, entgegnete Berger. Dann steckte er sich eine Zigarette an. Myrielle bedachte ihn mit einem strengen Blick. Sie mochte es nicht, wenn man in ihrer Gegenwart rauchte.

»Sicherlich ist Despair kein Heiliger. Wer ist das schon? Du auch nicht. Du befolgst die Befehle dieser Irren.«

»Irre? Das sind ja ganz neue Töne.«

Myrielle hörte mit dem packen auf und starrte in Ashs Augen. Ob sie ihm von dem Labor erzählen sollte? Nein, das musste ihr Geheimnis bleiben. Vorerst.

»Bist du sicher, dass wir das Richtige tun?«, wollte sie stattdessen wissen.

Berger stieß den Rauch aus und zuckte mit den Schultern. Er hatte genauso wenig eine Antwort darauf wie sie. Stimmte all das patriotische Geschwätz des Emperador oder waren in Wirklichkeit sie die Bösen?

»Wir müssen los.«

Myrielle nickte und nahm ihre Tasche. Berger hob ächzend den Koffer hoch. Myrielle sah ihn entschuldigend an. Dabei hatte sie doch nur das Nötigste eingepackt. Berger ging voraus. Nachdenklich trottete sie ihm hinterher. Was sie wohl auf Beschryr erwarten würde?

*

Die EL CID hätte wahrscheinlich alleine gereicht, um Beschryr zu besiegen, doch Cauthon Despair wollte eine Demonstration des Estartukorps sehen. Die ARKON schwebte in einem Abstand von 300.000 Kilometern neben der EL CID. An Bord des Flaggschiffes des Estartukorps befanden sich Generalmarschall Toran Ebur und General-Oberst Alcanar Benington. Sie würden die Operation leiten. Der Stab der CIP residierte auf der EL CID. Da Reych, Village, aber auch Myrielle Gatto.

Insgesamt 45 Schlachtschiffe vom Typ Supremo begleiteten die beiden gigantischen Raumschiffe nach Beschryr.

Despair erinnerte sich an die Konferenz vor wenigen Stunden. Die CIP-Agenten hatten berichtet, dass wichtige Anhänger der Alliierten auf Beschryr einen neuen Stützpunkt errichten wollten.

Uwahn Jenmuhs, der es vorgezogen hatte, lieber auf der ARKON mitzufliegen, hatte vorgeschlagen, nicht nur die Alliierten von Beschryr zu vertilgen, sondern auch die Artenbestandsregulierung rigoros auf diesem Planeten anzuwenden. Er wollte ein Exempel statuieren und auf Beschryr das erste Entsorgungslager errichten.

Despair war dagegen, doch er musste sich den Anordnungen beugen. Die Artenbestandsregulierung hatte hohe Priorität. Er konnte das nicht verhindern. Despair wusste, dass auf Beschryr schon bald der Tod Einzug halten würde …

9. Ein Leben in Bescheidenheit

»Erinnere dich an diesen Tag, mein Junge.«

Das Licht der Sonne stach in Frods Augen. Um nicht vollends geblendet zu werden, blinzelte er, während er seinen Vater fragend anschaute.

»Heute ist das Leben gut.«

Shantron Hama atmete die frische Luft tief ein und freute sich über den Duft des geernteten Getreides. Er liebte solche Tage. Die Sonne schien, kaum ein Wölkchen am Himmel. Es war perfekt. Hama war stolz, das Leben eines einfachen, aber glücklichen Bauern zu führen. Mit aller Macht versuchte er das auch seinem siebzehnjährigen Sohn beizubringen.

Doch Frod war zu jung, um sich mit dem in seinen Augen langweiligen Leben zu begnügen.

Er wollte hinaus in die Galaxis. Am liebsten nach Som, wo das Leben tobte. Dort wurde für einen jungen Somer alles geboten, hatte Frod seinem Vater oft genug gesagt. So oft, dass Hama es bald nicht mehr hören konnte.

Aber eines Tages würde Frod verstehen, dass das Leben auf Beschryr angenehmer und sorgloser war als auf den Metropolen der Galaxis. Hier gab es kaum Verbrechen, keine Wirtschaftskartelle, die den kleinen Agrarhandel mit ihren Ketten kaputt machten. Hier war noch Natur. Die Bauerngrundstücke waren viele Hektar groß. Beschryr war mit seinen 350 Millionen Somern, Pterus und Ophaler ein kleiner, beschaulicher Planet. So wie es Hama liebte. Sein Vater Arroch Hama hatte hier bereits gelebt wie dessen Vater und die Väter davor. Hamas Gut war ein Traditionsbauernhof.

Und Frod sollte eines Tages diese Tradition weiterführen. Das war das Privileg des ältesten Sohnes. Shantron Hama war damals stolz gewesen, hatte das Gefieder aufgeplustert, als er das Erbe seines Vaters angetreten war.

Ob Frod das auch eines Tages tun würde? Besorgt blickte Hama seinen Sohn an, der offensichtlich wenig begeistert war, das Getreide einzusammeln.

»Vori, können wir nicht aus der Stadt mal den neuen TX-72K-Ernter besorgen? Der macht alles von selbst.«

Vori! Frod nannte seinen Vater nur so, wenn er etwas wollte. Ansonsten blieb er bei dem distanzierten Vater. Dabei klang Vori viel netter, fand Hama. Früher hatte sein Junge ihn immer nur Vori genannt. Aber nun wurde er erwachsen und da war es peinlich. Besonders in Gegenwart seiner Freunde oder junger Mädchen.

»Nein, schon die Ahnen haben das auf diese Weise gemacht«, gab Hama brüskiert zurück.

»Ja, die Ahnen haben ihre Nester noch auf Bäumen gebaut und rohe, lebendige Würmer gefressen. Müssen wir das auch tun?«

»Sei nicht so frech, Junge.«

»Essen!«, rief jemand aus dem Hof.

Frod warf sofort die Forke hin und flatterte zum Haus. Hama seufzte und unterbrach ebenfalls die Arbeit. Er trottete gemütlich zum Bauernhof und genoss das schöne Wetter. In der schnelllebigen Zeit von heute erfreuten sich viel zu wenige Somer an dem schönen Wetter. Es war simpel und schön. Nicht so kompliziert wie ihre Forschungen, die Wirtschaft oder die Politik.

Ary begrüßte ihren Ehemann mit einem liebevollen Zwitschern. Hama beäugte das Essen. Es gab panierte Großwürmer mit Brot und einer pikanten Soße. Hama liebte dieses Essen. Er sprach eine Danksagung an den somerischen Erntegott und erlaubte danach seiner Frau und seinem Sohn kräftig zuzulangen.

»Wie geht es den Küken?«, fragte Hama mit vollem Schnabel.

»Nur noch zwei Wochen, dann schlüpfen unsere drei Küken«, frohlockte Ary.

Endlich Nachwuchs. Das wurde aber auch nach siebzehn Jahren Flaute wieder Zeit, fand der Herr im Hause, wie sich Shantron Hama gerne bezeichnete. Drei neue Kinder. Zwei Mädchen, ein Junge. Hama freute sich schon darauf. Die Kinder würden Leben ins Haus bringen. Und eines Tages würden sie gute Bäuerinnen und Bauern abgeben. Oder die Mädchen würden einen reichen Somer heiraten. Oder sie würden so starrsinnig wie sein Erstgeborener sein. Hama bedachte Frod mit einem milden Lächeln und seufzte, nachdem er den gebratenen Wurm runtergeschluckt hatte.

»Gibt es schon was Neues vom Krieg?«, fragte Frod in die Runde.

Sein Vater wollte vom Thema ablenken, doch Frod war bereits aufgestanden, um das Mediengerät zu aktivieren. Auf Beschryr spürten die Bewohner nichts von den galaktischen Auseinandersetzungen. Das sollte auch so bleiben. Warum interessierte sich Frod so dafür? Hama mochte die Dorgonen zwar auch nicht, aber man musste sich zur Not arrangieren. Bisher war nur einmal ein Centrus auf Beschryr gelandet und hatte um eine Bestandsaufnahme zwecks Steuern gebeten. Das war vor einem Monat gewesen.

»Wenn wir brav unsere Steuern zahlen, geht uns der Krieg nichts an. Ob nun für die estartische Föderation oder für die Dorgonen, ist doch egal.«

»Aber die Dorgonen sind Mörder!«, warf Frod ein. »Sie haben Planeten geplündert, Städte zerstört und viele getötet. Wir müssen gegen sie kämpfen!«

»Kämpfen? Bist du wahnsinnig?«

Wütend warf Hama sein Besteck in den Teller. Dabei spitzte etwas Soße auf seine Brust. Grollend rieb er sich das rote Zeug vom Gefieder. Als er fertig war, blickte er seinen Sohn streng an.

»Denk nicht mal daran. Ich weiß doch genau, dass du für Siom Soms Freiheit kämpfen willst. Aber daraus wird nichts. Du verhältst dich ruhig, dann bleibst du auch am Leben. Ende der Diskussion!«

Hama stand auf und rannte aus dem Wohnzimmer. Immer wieder musste sein Sohn einem das Essen verderben. Seitdem der Krieg tobte, war es noch viel schlimmer geworden. Frod sah einfach nicht ein, dass ein kluger Somer den Krieg scheute und überlebte. Welche Chancen hätte Frod denn schon im Krieg? Keine!

Hama mochte die Dorgonen nicht, verabscheute ihre Taten. Aber es war nun an der Zeit, sich den neuen Herren unterzuordnen.

»Heute ist ein schlechter Tag«, murmelte Shantron Hama und ging ins Bett.

10. Widerstand auf Beschryr

Jan Scorbit musterte den Dorgonen eindringlich. Was wohl in ihm vorging? Er kämpfte gegen seine Brüder, weil die wieder in ihre imperialistischen Gelüste verfallen waren. Oft wurde Torrinos mit Argwohn von den USO-Spezialisten betrachtet. Einige trauten ihm offensichtlich nicht.

Das hatte sich schlagartig nach Eintritt des Quarteriums in den Krieg geändert. Nun kämpfte jeder gegen sein eigenes Volk. Ein Wahnsinn. Scorbit verstand bis heute nicht, wie es innerhalb von nur sechs Jahren zu dieser Katastrophe gekommen war.

Mit Commanus Thronbesteigung und der Gründung des Quarteriums waren zwei machthungrige Imperien entstanden, die sich wohl nun anschickten, die ihnen bekannten Galaxien zu unterwerfen. Was Jan wirklich schockierte, war die Tatsache, dass so viele mitmachten. Millionen halfen bei den Verbrechen, anstatt dagegen zu demonstrieren. Hatten die Dorgonen die wenigen friedlichen Jahre unter Uleman schon wieder vergessen? Waren die Lemurerabkömmlinge in Cartwheel dem Emperador de la Siniestro so hörig, dass ihnen Moral und Ethik völlig gleichgültig war?

Nicht für jeden. Es gab noch die altruistischen Agenten der USO, die Widerstandskämpfer Dorgons und die Allianz der Saggittonen und Akonen in Cartwheel. Von den Saggittonen wusste man dank Aurec um ihre Integrität, doch der Einsatz der Akonen war in Scorbits Augen eine faustdicke Überraschung.

In der Milchstraße genossen die Akonen keinen sonderlich guten Ruf. Sie galten als zurückgezogen und egozentrisch. Sie interessierten sich selten für die Belange der Milchstraße, es sei denn, es verschaffte ihnen einen Vorteil.

Anders die Akonen in Cartwheel. Unter Mirus Traban hatten sie einen weisen Regenten, der anscheinend Demokratie und Verantwortung in sein Volk tragen wollte. Bei den Bürgern von New Sphinx war es ihm gelungen.

Eine seltsame Mischung an den verschiedensten Wesen kämpften für die Freiheit Siom Soms. Scorbit ließ seinen Blick über die Truppe schweifen. Terraner, Arkoniden, Akonen, Saggittonen, Dorgonen, Somer, Pterus, Blues und Elfahder waren in seiner Mannschaft vertreten. Insgesamt 2.000 Mann, die den Planeten Beschryr sichern sollten. Die SESTORE war zwanzig Kilometer von der Hauptstadt Kamran gelandet. Der Großteil der Besatzung sollte erst einmal auf der SESTORE bleiben. Scorbit und Torrinos wollten erst einmal mit der Regierung sprechen.

Scorbit wunderte sich über Torrinos Outfit. Er trug Robe und Rüstung eines Prettosgardisten.

»Ich weiß nicht, ob die Somer uns so vertrauen«, warf Scorbit ein.

»Zumindest werden sie Respekt vor uns haben. Sie werden annehmen, dass wir zu den Besatzern gehören.«

Jan war nicht ganz wohl bei der Sache, aber er ließ Torrinos gewähren. Sie fuhren mit ihrem Gleiter in die Stadt. Sie war wesentlich kleiner als andere Metropolen in Siom Som, doch Kamran hatte einen Vorteil, sie war intakt. Es gab keine Spuren des Krieges auf Beschryr. Diese Kolonie war bisher verschont geblieben. Und gerade das war der Grund, warum man hier eine neue Station errichten wollte. Die pterische Widerstandsgruppe STALKER hatte die USO auf diesen Planeten vor wenigen Tagen aufmerksam gemacht. STALKER wollte mehr als 20.000 Soldaten nach Beschryr entsenden. Vielleicht waren sie schon da. Scorbit und Torrinos würden es bald herausfinden.

Kamran wirkte auf Scorbit schlicht und unspektakulär. Keine Holowerbung, Schwebebahnen und ein undurchdringlicher Verkehr in den Wolken. Die Siedler schienen sehr naturverbunden zu sein.

»Der Treffpunkt ist in dem Gebäude dort hinten.«

Scorbit sah zu dem großen Haus, auf das Torrinos deutete. Es glich einer Oper oder einem Theaterhaus. Der Dorgone parkte den Gleiter direkt davor. Als er ausstieg, hörte er das Tuscheln der Passanten um ihn herum. Einige versuchten wegzusehen, andere starrten ihn entsetzt an. Die Wirkung der Dorgonen war unübersehbar.

Furcht!

»Komm, wir gehen besser rein, Centrus«, sagte Jan und nahm Torrinos am Arm. Scorbit wollte auf jeden Fall nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Sie öffneten die Tür und etwa dreihundert Gesichter starrten sie an. Jan glaubte zuerst, dass sie in irgendein Theaterstück hineingepoltert waren, doch er erkannte, dass die Somer und Pterus keineswegs Schauspieler waren. Sie trugen Waffen.

»Ziemlich unvorsichtig. Was wäre, wenn wir Quarteriale oder kaiserliche Dorgonen wären?«, fragte Jan in den Raum.

»Dann hättet ihr es nicht bis hierher geschafft«, antwortete ein Pterus. Er ging auf die beiden zu. Die Echse überragte Jan und Torrinos um etwa zwanzig Zentimeter. Der muskelbepackte Körper zuckte vor Erregung.

»Ich bin Rachorn!«

»Angenehm, Jan Scorbit.«

Jan reichte dem Pterus die Hand. Er bereute die Geste des guten Willens im nächsten Moment, als er glaubte, Rachorn würde ihm die Hand brechen. Endlich ließ der Pterus los. Torrinos nickte ihm nur zu. Offenbar hatte er Jans Fehler bemerkt.

»Dorgonen«, knurrte der Pterus abfällig. »In einer Prettosrüstung. Heil Commanus, dem Mörder unserer Kinder.«

Rachorns Körper versteifte sich, er hob die Hand zum Gruß und schlug sich dann mit der Faust auf die Brust. Anschließend spuckte er vor Torrinos Füße. Jan beobachtete den Dorgonen, der völlig ruhig blieb. Eines musste man Torrinos lassen, er beherrschte sich sehr gut.

»Die Dorgonen der Widerstandsgruppe Uleman haben euch als erste geholfen. Wir arbeiten mit Sam zusammen und haben die USO und die LFT erst auf eure schreckliche Lage aufmerksam gemacht«, erklärte Torrinos ruhig. »Wir sind eure Freunde …«

»Das werden wir sehen.«

Rachorn drehte sich um und forderte die beiden Alliierten auf, ihm zu folgen.

»Insgesamt haben wir 17.000 Freiheitskämpfer auf dieser öden Agrarwelt stationiert.«

»Wo?«, wollte Torrinos wissen.

»Überall. Wir bevorzugen seit der Niederlage unserer Flotte den Guerillakrieg. Überall haben wir Bunker und Höhlensysteme angelegt. Meine Leute sind dabei, die Ländereien zu verminen«, erklärte der Pterus.

»Wie steht die Bevölkerung dazu?«, fragte Jan Scorbit.

Rachorn blieb stehen und sah Scorbit an. Die schwarzen Augen des Reptils ruhten auf dem Terraner. »Die sind feige!« Spucke schoss aus dem Mund des Pterus. Jan wich etwas zurück, um nicht getroffen zu werden. »Die meisten sind Bauern und völlig verweichlicht. Wir haben gerade mal 500 Anhänger hier.«

»Wird die Bevölkerung uns freie Hand lassen?«, war für Jan viel wichtiger. Was nutzte ein Befreiungskrieg, wenn man nicht die Rückendeckung des Volkes hatte?

»Sie werden uns nicht im Wege stehen, uns aber auch nicht großartig unterstützen.«

Scorbit nickte. So etwas in dieser Art hatte er erwartet. Sicherlich sympathisierte das Volk mit den Freiheitskämpfern, doch wer nicht mutig genug war, sich ihnen anzuschließen, würde sie auch im Notfall nicht unterstützen. Die Bewohner auf Beschryr waren Bauern, einfache Somer, Pterus und Ophaler. Man durfte nicht zu viel von ihnen verlangen. Immerhin lag dieser Planet weit ab von den wichtigen Welten Siom Soms. Sie hatten ein ideales Versteck gefunden.

»Wir möchten mit der Regierung sprechen. Den obersten Bürgern, denen wir vertrauen können. Sie sollen über unsere Aktivitäten informiert werden«, schlug Torrinos vor.

»Wozu?«

Rachorn schien das offenbar nicht ganz zu verstehen. Jan bedeutete Torrinos, zu antworten.

»Weil wir nicht garantieren können, dass die Zivilbevölkerung im Falle einer Schlacht geschont wird. Vielleicht müssen wir Nahrung beschlagnahmen, Häuser besetzen.«

»So ist Krieg nun einmal«, gab Rachorn kalt zurück.

»Wir unterscheiden uns aber von unseren Gegnern in vielen Punkten. Du hast uns das Kommando freiwillig angeboten, Pterus! Wir können ja wieder gehen, wenn du nicht willst …«

Rachorn blickte Torrinos herausfordernd an und knurrte bedrohlich. Seine Muskeln spannten sich. Scorbit erwartete jeden Moment einen Angriff des Pterus. Er legte seine Hand an das Halfter des Thermostrahlers.

»Also gut, Dorgone. Ihr beide habt das Kommando.«

Rachorn fletschte zum Abschluss die Zähne, bevor er ihnen den Rücken zukehrte. Scorbit warf Torrinos einen vielsagenden Blick zu. Der Dorgone stieß einen erleichterten Pfiff aus.

*

»Wenn er Zicken macht, schustern wir aus ihm ein paar Lederstiefel.«

Scorbit seufzte. Für Sam Tyler war immer alles so einfach. Passte ihm jemand nicht, wollte er ihn am liebsten in die ewigen Jagdgründe schicken. Auf Pterus war er ganz besonders schlecht zu sprechen. Tyler hatte ihnen niemals den Tod seines Partners Chris Japar vergeben. Damals war Japar von dem Pterus Saron getötet worden. Saron war ein wahnsinniger Terrorist in Cartwheel gewesen und war dank der USO überführt worden. Tyler hatte Saron selbst gerichtet, obwohl dieser wehrlos in dem Moment gewesen war. Dafür musste er eine Gefängnisstrafe absitzen, war jedoch nach knapp einem Jahr begnadigt worden, weil er von der USO reaktiviert wurde und so einen schweren Anschlag verhindert hatte.

Sam Tyler, mochte er auch noch so brutal und unmenschlich wirken, war aus der USO nicht mehr wegzudenken. Seine Mittel waren oft grausam, doch er zählte zu den härtesten und professionellsten USO-Agenten. Er war einer ihrer besten Männer.

Das wusste Scorbit und deshalb verzieh er ihm den einen oder anderen Fehltritt.

»Rachorn mag zwar ein garstiger Typ sein, doch er steht auf unserer Seite«, schloss Scorbit die Diskussion.

Tyler, Torrinos und Scorbit selbst hatten nach der Unterredung mit den wichtigsten Politikern bereits einige namhafte Bürger Beschryrs aufgesucht, um für ihre Sache zu werben. Rachorn hatte ihnen vorher eine Liste mit vertrauenswürdigen Personen gegeben. Einer von ihnen war Shantron Hama, ein führender Bauer. Er war Sprecher der Agrarier und die Alliierten erhofften sich von ihm Lebensmittel.

Der Gleiter näherte sich dem Gut des Somers. Es wirkte auf Scorbit alles sehr idyllisch. Weite Felder mit Gersten, Ställe mit Tieren, die Pferden, Kühen und Schweinen nicht unähnlich waren.

»Eier gibt es hier sicher nicht zum Frühstück«, unkte Tyler und lächelte für eine Millisekunde.

»Keine falschen Kommentare in Gegenwart des Bauern, Sam!«

»Okay, du bist der Boss …«

Torrinos parkte den Gleiter direkt vor dem Gutshaus. Hama stand mit seiner Frau, Jan nahm zumindest an, dass es seine Gattin war, bereits am Eingang und hob den rechten Flügelarm zur Begrüßung.

Scorbit stieg aus, rückte seine Uniform zurecht und ging lächelnd auf das Ehepaar zu.

»Shantron und Ary Hama nehme ich an?«

»Ja. Und Sie sind Jan Scorbit, einer der Anführer der Kriegstreiber?«

Das kann ja heiter werden, dachte Jan, ließ sich aber nichts davon anmerken.

»Die Kriegstreiber sind die kaiserlichen Dorgonen und das Quarterium. Wir wollen euch eure Freiheit zurückgeben.«

»Hm«, machte der Somer und lud die drei in sein Haus ein. Tyler musterte abfällig den Bauernhof. Jan hoffte, dass sich der Terraner beherrschen würde.

Hama bot ihnen etwas zu trinken an. Der Höflichkeit halber nahmen sie an. Scorbit wollte allerdings schnell zur Sache kommen.

»Der Befreiungskampf auf Beschryr kostet aber auch die Bürger etwas. Ohne Verpflegung sind wir aufgeschmissen. Es wäre freundlich, wenn Sie und Ihre Kollegen uns unterstützen könnten. In Form von Nahrung und Getreide. Natürlich nur so viel, dass Sie ohne Probleme weiter von Ihren Erträgen leben können …«

Jan bemerkte erst jetzt den dritten Somer. Ein Knabe. Wie alt er war, konnte Scorbit nicht einschätzen. Die Somer sahen für ihn alle gleich aus. Wahrscheinlich ging es den Bewohnern Beschryrs aber genauso mit den für sie fremden Menschen.

Frod stellte sich neben Tyler.

»Hast du schon viele Dorgonen getötet?«

»Ja, Kleiner.«

»Was hast du gefühlt?«

Nicht nur Tyler guckte verwundert, auch der Rest der Anwesenden. Shantron Hama stand wütend auf und lief zu dem kleinen Somer.

»Frod! Benimm dich!«, forderte er. »Mein Sohn möchte auch mal ein Krieger werden. Soweit ist es schon gekommen …«

Tyler grinste und beugte sich zu dem Wesen herunter.

»Es war befriedigend. Je mehr tote Dorgonen, desto schneller kommt der Frieden.«

Frod zwitscherte fröhlich.

»Ich will auch ein Soldat werden. Gebt mir eine Waffe. Ich kämpfe mit euch und töte die Dorgonen.«

Tyler stieß einen Pfiff aus und stand wieder auf. Er holte sein handliches Thermogewehr aus dem Halfter und hielt es Frod unter den Schnabel.

»Du bist aus dem richtigen Holz geschnitzt, Knirps! Soll ich dir zeigen, wie es geht?«

»Ja!«

»Nein«, brüllte Shantron Hama. Er packte den linken Flügel seines Sohnes und zog ihn an sich. »Du gehst jetzt sofort in dein Zimmer. Du bist zu jung zum Krieg spielen. Geh!«

»Du bist ein Feigling, Vater! Alle kämpfen für die Freiheit und du verkriechst dich zu Hause.«

Shantron Hama knirschte mit dem Schnabel. Seine Augen weiteten sich. Jan Scorbit beobachtete interessiert die Auseinandersetzung.

»Ich bin bald Vater von vier Kindern. Ich kann mir solche Prinzipien nicht leisten. Wer soll sich um euch kümmern, wenn ich in der Schlacht falle? Hast du daran mal gedacht?«

Trotzig riss sich Frod los und rannte die Treppe hinauf. Hama blickte ihm traurig hinterher. Dann drehte er sich um und setzte sich an den Holztisch.

Scorbit befahl Tyler, die Waffe wieder einzustecken. Merkbar widerwillig folgte Tyler der Order.

»Ihr habt einen tapferen Sohn«, sagte Torrinos. »Unterstützt uns, damit wir den Krieg an seiner statt gewinnen.«

Besser hätte es Scorbit auch nicht sagen können. Lange kannte er Torrinos noch nicht, doch der Dorgone kompensierte mit seiner Aufrichtigkeit und seinem Mut die negativen Eigenschaften seiner Artgenossen.

Hama schien über Torrinos Worte ernsthaft nachzudenken. Seine Frau Ary stand offenbar nur teilnahmslos herum. Sie war zu einer Statistin degradiert. Sie merkte nun wohl, dass ihrem Mann die Entscheidung nicht leicht fiel. Ary streichelte sanft über sein Gefieder.

»Vertraue den Männern. Sie tun Gutes.«

Shantron nickte schwach. Dann stimmte er zu. Er bot den Alliierten Lebensmittel und Wolle an. Alles, was sein Hof zu bieten hatte. Scorbit nahm dankbar an.

Nachdem sie das Haus verlassen hatten, blieb Tyler kurz stehen und sah zum Fenster hoch. Dort stand der junge Frod und winkte ihnen zu. Scorbit legte seine Hand kurz auf Tylers Schulter.

»Komm jetzt, Sam. Er ist wirklich zu jung für den Krieg. Hoffen wir, dass er davon verschont bleibt.«

11. Der Marsch des Quarteriums

Uwahn Jenmuhs wirkte grotesk wie eh und je, als er die Brücke der EL CID betrat. Despair nickte ihm als Begrüßung kurz zu. Es widerstrebte ihm jeden Tag aufs Neue, mit diesem abscheulichen Irren zusammenzuarbeiten.

»Wie geht es Eurer Mätresse?«, erkundigte sich Despair interessiert. Er hoffte, dass Jenmuhs irgendwann einmal Erbarmen mit dem kleinen Ding haben würde.

»Meinem Besitz meint Ihr? Nun, es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie hat einen kleinen Unfall gehabt. Zu sehr mit dem Feuer gespielt. Ist ganz entstellt. Schade, schade …«

Despair bezweifelte, dass es ein Unfall gewesen war. Jenmuhs hatte Anica sicher nicht verziehen, dass sie mit der Parder fliehen wollte. Jenmuhs war ein Unmensch durch und durch. Selbst den Sohn des Chaos schockierte die Art, wie der Arkonide mit Leben umging. Despair tötete nicht ohne Grund oder aus purer Freude.

 

Innenillustration

 

»Oberst Tantum«, sprach Despair zum stellvertretenden Kommandanten der EL CID. »Wie weit sind wir von Beschryr entfernt?«

Der hagere Terraner salutierte. Man sah ihm die Ehrfurcht vor Despair förmlich an.

»Wir sind noch zehn Lichtjahre entfernt. Ankunft in etwa zwanzig Minuten, Sir!«

»Gut, halten Sie die Aufklärer bereit.«

Despair registrierte, dass Stevan da Reych, Erich Village und Myrielle Gatto die Kommandozentrale betraten.

»Was gibt es?«, fragte Despair barsch. Er duldete keine ungebetenen Besucher auf seiner Brücke. Da Reych und Village gehörten der CIP an, nicht der quarterialen Raumflotte.

»Wir würden gerne die Details zur Operation ABR-E auf Beschryr mit Ihnen besprechen, Despair«, entgegnete da Reych sichtlich gelassen. Anscheinend versuchte er Eindruck bei Despair zu schinden. Das würde ihm jedoch nicht gelingen.

»Kommen Sie in den Planungsraum.«

Jenmuhs, da Reych und Village folgten dem Silbernen Ritter. Auch Myrielle Gatto wollte mit. Despair hörte Village zu ihr sagen: »Das ist nur etwas für wichtige Personen.«

Im Planungsraum begann da Reych eine umfangreiche Präsentation über die Infrastruktur von Beschryr zu zeigen. Anschließend erklärte er, wo man gedenke, das Entsorgungslager zu errichten.

Despair stimmte allem zu. Er nahm mit Toran Ebur eine holografische Verbindung auf. Der Generalmarschall erläuterte den Plan zur Besetzung Beschryrs.

»Ich hoffe, die Übernahme wird weniger blutig als die von Eschrayr.«

Despair notierte Eburs giftigen Blick. Diese Zurechtweisung musste Ebur über sich ergehen lassen. Despair deaktivierte die Verbindung und beendete die Besprechung.

*

Myrielle Gatto nutzte die Zeit, um sich etwas auf der EL CID umzusehen. Schließlich war sie noch nie auf so einem gigantischen Raumschiff gewesen. Ihre Kabine war mit 100 Quadratmetern größer als ihre Wohnung auf Mankind.

Einige Naats stampften an ihr vorbei. Uwahn Jenmuhs quartierte sich offenbar um. Da die ARKON direkt in den Kriegseinsatz über Beschryr gehen würde, wollte Jenmuhs wohl auf der sicheren EL CID verweilen. Was für ein Held.

Er quält dieses arme, kleine Ding auf furchtbare Weise, traut sich aber selbst nicht einmal an einer Schlacht teilzunehmen.

Myrielle blieb abrupt stehen.

Welches kleine Ding?

Woher wusste sie von einer Gespielin von Jenmuhs? Sie dachte angestrengt nach. Hatte es ihr jemand erzählt? Nein. Myrielles Neugier wuchs. Sie suchte das neue Quartier von Jenmuhs auf und wollte eintreten. Ein Naat versperrte ihr den Weg. Grimmig blickte er mit seinen drei Augen auf sie herunter.

Myrielle erschrak sich beinahe zu Tode. Sie schrie kurz auf und wich zurück. Als der Naat sich nicht rührte, kam sie wieder näher.

»Hi …«, sagte Myrielle verlegen. »Ich bin Sekretärin … Assistentin des General-Kommandeurs, der im Moment eine wichtige Besprechung mit dem Gos’Shekur führt. Der Gos’Shekur hat etwas vergessen. Ich soll es holen … es liegt in seiner Kabine …«

Sie deutete in das Zimmer hinein.

»Was sollen Sie holen?«, fragte der Naat.

»Was? Oh, die … die … der …«

Myrielle blickte ihn verzweifelt an. Sie war wieder gewaltig ins Fettnäpfchen getreten. Hinter dem Naat bemerkte sie eine zweite Person. Sie war kleiner und trug einen Schleier.

»Hallo?«, rief Myrielle.

Die Gestalt reagierte, blieb stehen und befahl dem Naat, Myrielle hineinzulassen. Die Tür glitt hinter ihr zu. Sprachlos musterte Myrielle die verhüllte Gestalt. War das die Kleine?

»Du bist …?«

»Anica ist mein Name. Bist du ein Engel?«

Myrielle starrte Anica verwundert an. Sie wurde leider nur selten mit einem Engel verglichen. Deshalb schmeichelte ihr die Frage sogar etwas. Doch sie beantwortete sie wahrheitsgemäß.

»Wieso? Nein …«

»Du hast so schöne blonde Haare und himmelsblaue Augen. Du musst ein Engelchen sein. Kommst du, um mich zu holen? Bist du eine Freundin der Miezekatze?«

»Welcher Katze?«

»Na die große Katze, die mich retten wollte.«

»Du meinst Parder?«

Myrielle wusste von der seltsamen Kreatur, die vor wenigen Tagen in Jenmuhs Gemach eingebrochen war. Angeblich in der Gestalt eines Panthers, genauer gesagt eines menschlichen Schneeparders, die sie an das Volk der Kartanin erinnerte. Despair hatte ihn verfolgt, doch das Wesen, welches sich selbst als weiblich bezeichnete, war anscheinend Teleporter und Telekinet. Woher das Wesen stammte, wusste sie nicht. Sie war sich nicht sicher, ob man ihr die Informationen absichtlich vorenthielt oder die Verantwortlichen wirklich ratlos waren.

»Ja, Panda. Sie ist lieb und will mich retten vor dem fiesen, dicken Mann.«

Myrielle war über die Naivität dieses Mädchens verwundert. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein, doch selten hatte sie ein so infantiles Geschöpf getroffen.

»Ich kenne Parder nicht, aber vielleicht kann ich dir helfen.«

Myrielle glaubte nicht, was sie eben gesagt hatte. Das konnte sie Kopf und Kragen kosten. Doch was sollte sie tun? Sie durfte Anica nicht hilflos Jenmuhs aussetzen. Myrielle wollte zu diesem Verbrechen nicht schweigen.

»Wieso trägst du einen Schleier?«

Anica senkte den Kopf, dann hob sie den Stoff aus Seide hoch. Myrielle schrie entsetzt auf. Sie hielt sich die Hand vor dem Mund und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Myrielle starrte in die verbrannte Fratze des Mädchens. Die Haare waren versengt, die Haut verkrustet, die Nase deformiert.

»War … war er das?«

Anica nickte.

Myrielle war fassungslos. Sie nahm Anica in den Arm und drückte sie fest an sich. Plötzlich begann das Mädchen zu weinen.

»Ich will zu Uthe und Jaquine …«

Myrielle wusste nicht, wer das war. Doch sie nahm sich vor, Anica hier herauszubringen. Und wenn es das letzte war, was sie tat. Das Quarterium wurde immer grausamer, je mehr sie über ihren Arbeitgeber erfuhr. Artenbestandsregulierung, Genversuche, Versklavung.

»Du kannst bei mir wohnen. Ich kenne jemanden, der dein Gesicht verarzten kann.«

»Erwischt!«

Myrielle drehte sich erschrocken um. Uwahn Jenmuhs stand vor ihr, sein fetter Körper zitterte vor Wut. Sein unangenehmes Röcheln wurde lauter und schneller.

Myrielle wusste, dass sie nun am Ende war. Wahrscheinlich würde man sie erschießen oder sie würde der erste »Gast« im neuen Entsorgungslager werden.

»Darf man fragen, was du hier suchst?« Jenmuhs Stimme bebte. »Hast du meine Kreation bewundert?« Er kam näher. »Oder wolltest du sie mitnehmen? Du bist eine Diebin. Gemeine Diebin!«

Myrielle zuckte bei jedem Wort zusammen. Die letzten hatte Jenmuhs geschrien. Seine Naats versammelten sich im Quartier. Auch Stevan da Reych und Erich Village kamen dazu.

»Miss Gatto, was fällt Ihnen ein?«, fragte da Reych.

»Ich … ich …«, stotterte sie.

Anica trat vor und stellte sich demonstrativ vor Myrielle.

»Ich habe die Engelsfrau eingeladen. Mir war langweilig.«

Village und da Reych zuckten beim Anblick der entstellten Anica zusammen. Myrielle wunderte sich über Anicas Ehrenrettung. Vielleicht brachte es etwas.

»So … Anica, du bist doch zu blöde, um überhaupt schreiben zu können. Du willst sie eingeladen haben?« Jenmuhs misstraute ihr offensichtlich. Myrielle atmete schneller, ihr Herz raste in Lichtgeschwindigkeit. So fühlte es sich zumindest an. Sie hatte große Angst.

»Was geht hier vor?«

Cauthon Despair! Myrielle war froh, ihn zu sehen. Sie lief auf ihn zu, hätte ihn am liebsten umarmt, doch sie stellte sich vor ihn und erzählte von dem Vorfall.

Despair musterte Anica.

»Warum wurde Anica nicht medizinisch versorgt, Jenmuhs?«

»Warum? Warum? Warum?« Jenmuhs stieß einen gellen Schrei aus und fuchtelte mit den Armen herum. »Wieso muss ein Gos’Shekur Rechenschaft ablegen? Ich bin der Vize-Imperator des Quarteriums. Wenn ich jemanden töte, entstelle oder verrecken lasse, geht es niemanden etwas an.«

Speichel rann aus Jenmuhs Mundwinkeln. Er wischte es mit einem Tuch hastig ab und blickte Despair herausfordernd an.

»Dieses Flittchen ist in mein Quartier eingedrungen. Sie ist eine Spionin und muss bestraft werden.«

Jenmuhs deutete auf Myrielle, die zurückwich und sich hinter Despair stellte.

»Myrielle Gatto steht unter meinem persönlichen Schutz. Sie hat wie eine ehrenvolle Terranerin gehandelt und wollte Anica helfen. Daran ist nichts auszusetzen«, sagte Despair. Er ging auf Jenmuhs zu und blickte auf ihn herunter. »Sie mögen zwar Gos’Shekur sein, doch es gibt ein Wesen, dem gegenüber wir alle Rechenschaft ablegen müssen. Und zu dem habe ich einen besseren Draht …«

Jenmuhs schien darüber nachzudenken. Er wurde ruhiger und blickte sich unschlüssig um. Dann grunzte er irgendetwas vor sich hin und forderte Myrielle und Despair auf, zu gehen.

»Danke.« sagte Myrielle, als die beiden das Quartier des Gos’Shekur verließen.

*

»Wie konnte dieses Miststück hier einfach so eindringen? Was?« Jenmuhs schlug mit der Faust auf die Brust des Naats, der unterwürfig erklärte, Anica hätte sie eingeladen.

Jenmuhs verstand diese Unfähigkeit seiner Untergebenen nicht. Er war schließlich ein Kristallkönig, der zweitgrößte Arkonide im Universum. Wobei er sich persönlich selbst schon als größten Arkoniden ansah. Er war der Begam, der Imperator. Irgendwann würden Bostich und der Rest des Kristallimperiums das erfahren. Nur würde Bostich dann zwei Meter unter der Erde liegen.

Doch jetzt galt es erst einmal, die estartische Föderation unter Kontrolle zu bringen. Und solche unerwünschten Unterbrechungen störten bei seiner großen Mission. Wie kam diese Gatto dazu, sich einfach in seine Belange einzumischen? Sie war doch nur eine Terranerin.

Jenmuhs dachte an ihren Körperbau. Schlank, sexy, wunderschönes gewelltes Haar. Tiefe, blaugrüne Augen. Gut, die Augen waren nicht arkonidisch, aber nur wenige Wesen genügten seinen perfekten Ansprüchen. Ihre Brüste waren für seinen Geschmack etwas zu klein. Welche Oberweite mochte sie wohl haben? Das interessierte ihn nicht, er wollte ihr schließlich keine Reizwäsche kaufen.

Wobei er sie schon gerne genauer erforscht hätte. Vielleicht war sie deshalb in seine Kabine eingedrungen? Damit er in sie eindrang? Jenmuhs lachte leise. Das Kätzchen spielte mit ihm. Er dachte nach, versuchte seine Hormone etwas zu drosseln. Nein, mit dieser Gatto stimmte etwas nicht. Sie wollte auch nichts von ihm. Anscheinend stand sie mehr auf Freaks wie Despair. Wie konnte sie das eigentlich wagen? Warum verbrachte sie die Zeit mit diesem Maskenträger, wobei sie ihn haben konnte? Die Frauen wussten einfach nicht, was gut für sie war. Gatto beleidigte ihn damit. Sie musste sterben.

Jenmuhs betrachtete Anica.

Die ist auch noch nicht tot, dachte er genervt. Dem wollte er Abhilfe schaffen. Aber nicht jetzt.

»Geh zum Arzt und lass dir eine neue Visage geben«, befahl er ihr.

Er wies einen Naat an, sie zur Medostation zu bringen. Alleine hätte sie bestimmt nicht den Weg gefunden. Die war doch zu allem zu blöde.

Jenmuhs ging im Kreis, ließ sich von den anderen Anwesenden nicht stören. Sein Meistergehirn arbeitete einen neuen Plan aus. Da war die Idee!

»Da Reych, Village!«

»Ja, Gos’Shekur?«

Jenmuhs schniefte laut und packte da Reychs Kragen.

»Sorgen Sie dafür, dass weder Anica noch dieser Blondschopf die Inspektionen auf Beschryr überleben. Verstanden?«

»Welche Inspektion?«, fragte Village.

Jenmuhs seufzte laut. Warum war er nur von Dilettanten umgeben? Aber was sollte er schon von einem Terraner erwarten? Er brauchte sich diesen Milchbubi nur anzuschauen und wusste sofort, dass dieser nicht wegen seiner Intelligenz von da Reych zu seiner rechten Hand gewählt worden war.

»Wenn Beschryr besetzt wird …« Jenmuhs stockte, ihm kam ein neuer Gedanke. Ein brillanter Einfall, wie er fand.

»Village, gehen Sie zu Myrielle Gatto und entschuldigen Sie sich in meinem Namen. Sagen Sie ihr, dass sie recht hatte und lassen sie Gatto mit Anica etwas Zeit verbringen.«

Village schien ihm nicht folgen zu können. Jenmuhs hatte nichts Anderes erwartet.

»Verbringen sie beide ihre Zeit miteinander, ist es einfacher, sie beide bei einem Unfall umzulegen. Verstanden, Barbar?«

Village nickte.

Da Reych schien Jenmuhs wohl besser zu verstehen.

Er blickte Jenmuhs kalt an.

»Ja, mein Gos’Shekur!«

12. Der Kampf beginnt

»Achtung!«

Major Helge von Hahn, Sergeant Ash Berger und Leutnant Ace Blacktree standen stramm beim Befehl von Oberst Linker. Der hagere Terraner marschierte an ihnen vorbei und musterte seine Truppe.

»Mit Stolz blicke ich auf die Eroberer von Som-Ussad. Nun steht eine neue Welt an.

Beschryr. Die XXXII. SHIFT-Division wird mit gutem Beispiel vorangehen. Zusammen mit drei weiteren Kompanien werden wir die umliegenden Dörfer um die Hauptstadt Kamran sichern. Noch Fragen?«

Wolf Linker blickte sich um. Keiner sagte etwas.

»Sehr gut. Für das Quarterium!«

»Für das Quarterium!«, brüllten die anderen nach.

Ash Berger machte sich auf den Weg zu seinem Shift-Panzer. Er gehörte den mobilen Einheiten an. Berger wurde nicht nur als spezieller Meldefahrer, sondern auch zusammen mit Kanonier Glaus Siebenpack und Richtschütze Roppert Nakkhole für die Artillerie eingesetzt. Das verdankten sie ihrem neuen Shiftpanzer-Modell. Ash begutachtete das Schlachtross.

Zehn Meter lang, sechs Meter breit, drei Meter hoch. Die Doppelflak bestand aus einer Panzerkanone mit einem Durchmesser von 550 Millimetern, die FLAK hatte sogar einen Durchmesser von 1500 Millimetern.

Prallfelder, HÜ-Schirm, syntronisch-positronische Ortung und eine Fluggeschwindigkeit von 1000 Kilometern pro Stunde gehörten zum Standard der quarterialen Panzer.

Der Shift-Panzer VI trug den Eigennamen SAURIER. Berger fand den Namen sogar passend. Dieses Monster war wirklich ein Dinosaurier. Groß und klobig, aber absolut tödlich.

Sgt. Berger begrüßte seine beiden Kameraden Nakkhole und Siebenpack, die bereits im Panzer saßen und die letzten Kontrollen durchführten.

»Wird das ein Spaziergang oder eine Tortur?«, fragte Nakkhole grinsend. Ihm konnte wohl nichts die Stimmung verderben. Vielleicht war er auch einfach zu dumm dafür, dachte Berger. Glaus wirkte wie immer in sich gekehrt und traurig. Berger stupste ihn an.

»Hey, hat Olkas Behandlung dich aufgepäppelt?«

Siebenpack grinste.

»Ein liebes Mädchen. Ich glaube, ich habe mich verliebt …«

»In Olka?« Berger lachte laut los. Er hätte jede andere Frau Siebenpack von Herzen gegönnt, aber Olka Arintev war nun wirklich nicht die Richtige für ihn.

»Du weißt, dass Olka ein leichtes Mädchen ist? Ob die dir treu bleibt …«

Siebenpack grinste immer noch. Er öffnete seinen Kragen und zeigte Ash die Kette mit dem Ring an seinem Hals.

»Hat mir Olka geschenkt. Es soll ein Glücksbringer sein, damit ich heil zu ihr zurückkomme.«

»Na, das nenne ich mal gute Medizin.« Nakkhole lachte grölend. Er hämmerte Siebenpack freundschaftlich auf die Schulter. Berger schüttelte nur amüsiert den Kopf. Dann warf er einen Blick auf die anderen Shift-Panzer. Die Besatzung um Major von Hahn, Leutnant Blacktree und Leutnant Wosslyn hatten auch einen SAURIER-Panzer VI bekommen. Wissmer, Arny Pomme und Booz Shiningjokes mussten sich mit dem MAMMUT-Panzer IV zufriedengeben.

Über alle Lautsprecher wurde das Signal gegeben. Hunderte Truppen stürmten in die Landungsfähren.

»Anschnallen!«, rief Berger. »Es geht los.«

Der Hangar der SOLARE EMPIRE öffnete sich. Berger erhielt das Freizeichen zum Start. Er beschleunigte und schwebte aus dem Hangar. Unter ihnen lag die Welt Beschryr.

»HÜ-Schirm aktiviert. Eintritt in die Atmosphäre steht kurz bevor«, meldete Siebenpack.

Der Shift wurde durchgerüttelt, stabilisierte sich nach wenigen Sekunden wieder. Sie durchstießen die Wolkendecke. Unter ihnen erkannten sie die Stadt Kamran.

»Hundert Quarter, dass wir zuerst einen Flattermann abschießen.«

Berger seufzte, als er Blacktrees Stimme über Interkom vernahm. Er schaute seine beiden Kameraden an.

»Wir wetten nicht um so was. Ende.«

»Spielverderber«, antwortete Blacktree.

Berger hätte den Typen am liebsten auf den Mond geschossen. Er konzentrierte sich lieber auf eine saubere Landung.

»Kein netter Empfang. Plus zwei Grad, trübe und matschig. Tauwetter«, berichtete Nakkhole.

Berger war das Wetter relativ egal. Hauptsache, die Einwohner Beschryrs waren besser eingestellt. Doch irgendwo lauerten bestimmt jede Menge Rebellen. Das war der Grund ihres Einsatzes. Lokalisierung und Eliminierung der estartischen Untergrundkämpfer.

»Landung vorbereiten«, befahl Ash.

Er beobachtete die anderen Truppenverbände. Die Landefähren glitten langsam auf den Boden. Eskortiert wurden sie von Shifts und Abfangjägern.

Eine Explosion! Neben ihm verging ein Shift-Panzer. Ash sah sich verwundert um. Überall explodierten Raketensprengköpfe am Himmel. Die Hölle brach los!

»Landen!«, rief Nakkhole aufgeregt.

Ash senkte den Flugpanzer und brauste auf die Oberfläche zu. In letzter Sekunde zog er ihn wieder hoch und bekam ihn einen Meter über dem Boden wieder unter Kontrolle. Er verfolgte auf den Sensoren den Angriff.

»Die haben FLA-Raketenwerfer irgendwo hier getarnt.« Siebenpack und Nakkhole schwiegen. Sie betrachteten gebannt die Abschüsse der eigenen Männer.

»Sgt. Berger an Befehlshaber. Bitte melden.«

»Hier Oberst Linker, tun Sie was, Mann! Die schießen uns alle ab.«

Berger beendete die Verbindung. Er versuchte, die FLA-Stellungen anzupeilen. Endlich hatte er eine geortet. Ash gab Nakkhole und Siebenpack die Koordinaten. Sie machten sich schussbereit. Berger beschleunigte den SAURIER und donnerte auf die Stellung zu. Energiesalven prasselten auf den Panzer ein.

»Feuer!«, rief er.

Siebenpack zögerte keine Sekunde. Eine volle Salve traf die Stellung. Eine riesige Explosion drückte den Panzer zur Seite. Ash verlor die Kontrolle und setzte auf dem Boden auf. Sie waren mitten im freien Feld. Er ignorierte die Wunde an der Stirn und erkundete mit Hilfe eines Feldstechers die Umgebung. Der Feldstecher zeigte Energieemissionen automatisch an. Berger glaubte den Anzeigen nicht. Überall waren Flugabwehr-Stellungen. Etwa dreihundert Meter neben ihm schlug eine Landefähre auf den Boden. Sie verging in Feuer und Rauch. Einige andere Fähren und Panzer schafften die Landung. Sofort begannen sie mit dem Feuer auf die feindlichen Stellungen.

»Aus 2 Uhr stürmen einige Pterus auf uns zu«, meldete Nakkhole.

»Feuert!«

»Geht nicht. Die Kontrollen sind im Eimer. Der Panzer reagiert nicht«, erklärte Siebenpack.

»Verdammt«, fluchte Berger. »Bewaffnet euch und unter dem Panzer Deckung suchen.«

Kaum waren sie aus dem Panzer, lagen sie unter schwerem Feuer. Berger warf sich in den Schlamm und kroch unter den Panzer. Siebenpack und Nakkhole verschanzten sich an der Seite des zur Seite geneigten SAURIERs.

Zwölf Pterus rannten auf sie zu. Einer kniete sich hin und schoss mit einer Rakete auf den Panzer.

»Weg hier«, brüllte Ash.

So schnell er konnte, rannte er los und warf sich in ein Einschlagloch. Der Shift zerbarst. Von links stürmten drei Pterus heran. Berger warf sich herum und schoss auf sie. Die drei Pterus fielen getroffen zu Boden. Über ihn brauste ein Shift-Panzer hinweg. Einige Dutzend quarteriale Soldaten liefen an ihm vorbei.

Berger schloss sich ihnen an. Sie stürmten auf eine FLA-Stellung. Die Feinde schienen sie zu bemerken und feuerten mit Schnellfeuerwaffen auf sie. Die komplette Reihe vor Berger brach tot zusammen. Geistesgegenwärtig warf sich Berger auf den Boden. Er nahm eine Granate und warf sie auf die Stellung. Nach der Detonation schwiegen die Waffen. Er signalisierte einigen Soldaten neben ihm, mit ihm mitzulaufen. Dann rannten sie los und warfen sich über die Deckung in die Stellung. Alle dort waren tot. Abgetrennte Flügel von Somer, aufgesprengte Körper von Pterus. Berger versuchte, den Anblick zu ignorieren.

»Hat jemand ein intaktes Interkom oder Hyperkom?«, wollte er wissen.

Einer der Soldaten nickte und stellte den größeren Hyperkom ab. Der Vorteil gegenüber gewöhnlichen Interkoms, die jeder Soldat bei sich trug, war eine höhere Reichweite, längere Lebensdauer und eine bessere Verschlüsselung sowie Sendeleistung.

Ash stellte eine Verbindung zur SOLARE EMPIRE her und erstattete Meldung.

»Hier Oberst Linker. Geben Sie Ihre Position durch«, kam es als Antwort. Überraschenderweise befand sich Linker bereits auf Beschryr. Er musste irgendwo in dem Kampfgetümmel stecken.

Berger gab die Koordinaten durch.

»Machen Sie, dass sie wegkommen. Bomber werden das Terrain einäschern. Also weg.«

»Aber Sir, da sind noch unsere Leute. Die müssen informiert werden«, gab Ash zu bedenken.

»Befehl ist Befehl, Mann! Der Generalmarschall hat persönlich die Order gegeben. Also raus da.«

Ash stieß eine Verwünschung aus. Er bemerkte einen Wald etwa einen Kilometer von ihnen entfernt. Was für eine tolle Aussicht! Tausend Meter über freies Gelände unter feindlichen Beschuss oder von den eigenen Bombern in Stücke geschossen werden.

»Geben Sie einen Funkspruch an alle raus, dass wir uns in den Wald zurückziehen. Hoffen wir, dass viele sich retten können. Dann nichts wie weg hier.«

Nachdem der Funker die Warnung durchgegeben hatte, rannten sie los. Berger hatte nur den Wald vor Augen. Er konzentrierte sich ausschließlich auf den Wald. Was um ihn herum geschah, kümmerte ihn in diesem Augenblick wenig. Er versuchte, die Explosionen und den Donner der Geschütze weitestgehend zu ignorieren. Weitaus schwieriger fiel es ihm bei dem Geschrei seiner eigenen Leute. Ein Aufheulen am Himmel ließ ihn noch schneller laufen. Das waren die Geräusche der eigenen Jagdbomber. Berger hörte die Einschläge und Explosionen. Der Wald war nicht mehr weit. Gleich hatte er ihn erreicht. Berger keuchte und schnaufte, ruderte mit den Armen, eine Druckwelle fegte ihn auf den Boden. Er krabbelte hinter einen Stein. Wo waren seine Leute? Einige hatten es bis in den Wald geschafft, viele lagen auf dem Feld. Einige stöhnten, andere schrien. Die meisten waren schon tot. Eine Feuerwelle raste über die Felder hinweg. Die Jagdbomber ebneten das ganze Terrain ein. Ein gewaltiger Energieblitz schlug auf der Erde ein. Er riss einen gigantischen Krater, wo sich vor wenigen Minuten noch eine FLA-Stellung befunden hatte. Dann wurde es ruhig.

Berger war zu erschöpft, um sich noch bewegen zu können. Er lehnte an dem Stein und atmete tief durch. Es war überstanden. Einige Soldaten näherten sich Berger.

»Ash, alles in Ordnung?«

Berger war froh, das hagere Gesicht von Roppert Nakkhole wiederzusehen. Hinter ihm lief Siebenpack. Zwei Panzer landeten direkt neben ihnen. Major Helge von Hahn stieg aus dem einen aus, Gert Wissmer aus dem anderen.

»Ich glaube, wir haben die Wette gewonnen«, bemerkte Ash und lächelte. Hahn grinste und half ihm hoch.

»Die Flattermänner haben uns ganz schön eingeheizt. Die ganze Gegend ist verseucht von denen«, erklärte der Major.

»Das wird dann doch kein Spaziergang«, stellte Nakkhole fest und setzte sich erschöpft auf den Boden.

*

Oberst Linkers Gleiter fuhr vor. Es war klar, dass der Oberbefehlshaber der XXXII. SHIFT-Division sich erst nach dem Gefecht blicken lassen würde. Vermutlich hatte er während der ganzen Schlacht irgendwo weit ab seinen Gleiter geparkt. Marko Schutter lief aufgeregt aus dem Gleiter und öffnete Linker die Tür. Berger schüttelte über so viel Arroganz eines einfachen Obersten den Kopf. Die Soldaten rissen sich hier den Arsch auf und er spielte den überlegenden Feldherren.

»Verluste?«

Major von Hahn stellte sich stramm auf und meldete, dass sie noch keinen Überblick über die Toten hatten.

»Es gibt ziemlich viele. Vermutlich die Hälfte des Einsatztrupps. Die meisten haben es nicht mal auf den Boden geschafft.«

»Bedauerlich. Sie sind den Heldentod gestorben«, meinte Linker gleichgültig.

»Nun denn, wir haben neue Befehle vom General-Oberst Benington. Das Terrain muss gesäubert werden. Benington selbst wird nach Kamran vorstoßen. Unsere Aufgabe ist es, die Bauernhöfe und Siedlungen zu überprüfen.«

Wissmer stieß einen Pfiff aus.

»Mit den paar Leuten?«

»Stellen Sie Befehle nicht in Frage. Befolgen Sie die Order des General-Obersten. Der Supremo-D Kreuzer THUNDERSTRIKE wird auf dem Feld landen und Verstärkung bringen. Ich werde dort mein Hauptquartier aufschlagen, da mich Generaloberst Benington zum Oberbefehlshaber der Gruppe Beschryr West gemacht hat.«

»Gratulation. Darauf können Sie sich ja ein Ei braten«, rief Nakkhole sarkastisch. Berger musste auch lachen. Linker nicht. Doch er ignorierte Nakkhole einfach und gab Helge von Hahn weitere Instruktionen.

Der Krieg auf Beschryr war in vollem Gange. Mit diesem Widerstand hatten weder Berger noch, so war er sich sicher, das Oberkommando gerechnet.

13. Rebellen Beschryrs

»Wir haben einen großen Sieg davongetragen«, jubelte Rachorn und ballte die Fäuste.

Jan Scorbit teilte den Enthusiasmus nicht.

»Mehr als fünfhundert Tote und zwanzig verlorene FLAs. Das nennen Sie einen Erfolg?«

»Pah!« Der Pterus fletschte die Zähne. »Die Quarterialen haben mindestens zweitausend Mann verloren und drei Dutzend Panzer. Wir haben sie entscheidend geschwächt.«

Scorbit schüttelte den Kopf.

»Unser Ziel war es, eine geheime Station auf Beschryr zu errichten. Wir hätten die Quarterialen nicht angreifen dürfen. Nun wissen sie Bescheid und werden den Planeten erobern.«

»Sie mussten vorher informiert gewesen sein«, warf Torrinos ein. »Es ist seltsam, dass ein Verband des Estartukorps so kurz nach unserer Ankunft hier eintrifft.«

Jan hatte daran noch nicht gedacht. Anscheinend gab es undichte Stellen in Rachorns Widerstandsbewegung. Den Pterus darauf jetzt anzusprechen, war sinnlos. Er hätte nur wieder trotzig reagiert. Jetzt galt es, besonnen zu handeln.

»Verbände des Quarterium marschieren auf Kamran zu. Wir werden keinen offenen Kampf suchen«, beschloss Scorbit. Er sah Rachorn entschlossen an.

»Einverstanden«, sagte dieser knapp. »Wir lassen sie kommen und bekämpfen sie mit Terroraktionen.«

»Wir sollten uns eher ruhig und unauffällig verhalten«, meinte Torrinos. »Das Quarterium wird keine Ruhe geben, solange wir aktiv sind. Die Zivilbevölkerung wird darunter leiden.«

»Es ist Krieg!«, brüllte Rachorn. »Da sterben Zivilisten und Soldaten gleichermaßen.«

Torrinos seufzte und setzte sich schweigend auf einen Stuhl. Jan blickte ihn und Rachorn besorgt an. Mit dem ungestümen Pterus war kein geheimer Krieg zu gewinnen. Rachorn wollte mit dem Kopf durch die Wand und hatte anscheinend trotz des Debakels seines Artgenossen Kantor Throk nichts dazugelernt.

»Es gibt etwas, was ihr vergessen habt«, warf Tyler ein, der die Diskussion bis jetzt still verfolgt hatte. »Die EL CID befindet sich im Orbit von Beschryr. Der codierte Funkspruch der SESTORE besagt, dass sich Despair und Jenmuhs an Bord befinden. So nahe kommen die uns kein zweites Mal. Das ist die Chance …«

Jan musste zugeben, dass der Fang von Cauthon Despair und Uwahn Jenmuhs sehr verführerisch war. Damit konnte sie das Quarterium empfindlich treffen. Vielleicht gelang sogar ein Dialog mit dem Emperador, wenn Jenmuhs außer Gefecht gesetzt war.

Es war wirklich die große Möglichkeit, dem Krieg eine Wende zu bringen. Wenn sich das Quarterium aus dem Krieg heraushielt, standen die Chancen viel besser.

Plötzlich stürmte ein kleiner Somer zu ihnen. Ein Mitarbeiter hatte vergeblich versucht, ihn abzuwimmeln.

»Der Kleine hat darauf bestanden, mit Tyler zu sprechen.«

Sam warf einen Blick auf den Somer. Jan erkannte ihn auch sofort. Es war der junge Frod Hama. Er war mit einem Projektilgewehr bewaffnet.

»Wie bist du hierher gekommen?«

»Ihr habt meinem Vater die Kontaktadresse für die Lieferungen gegeben. Dann habe ich mich bei euren Kollegen durchgefragt. Ich will euch helfen. Will Dorgonen und Quarteriale abschießen.«

Frod wirkte entschlossen. Der junge Somer war sehr idealistisch, aber auch naiv. Sie konnten ihn wirklich nicht gebrauchen.

»Knirps, ich respektiere deinen Mut, aber das ist was für Profis«, winkte Tyler ab. »Du kannst ja nicht einmal das Gewehr halten.«

Frod nahm das Gewehr ab und schoss ein Loch neben Tylers Kopf in die Wand. Tyler blickte erstaunt in das Einschussloch.

»Vielleicht habe ich mich geirrt …«

»Ihr könnt jeden Soldaten gebrauchen. Ich will meine Heimat verteidigen.«

Jan war damit nicht einverstanden. Das war noch ein Kind. Er sollte noch etwas vom Leben haben und nicht beim ersten Gefecht erschossen werden. Torrinos wandte sich an den Jungen.

»Du kannst uns helfen.«

Alle blickten den Dorgonen verwundert an.

»Beschütze deinen Hof. Bevor du die Augen verdrehst, lass es mich erklären …«

In der Tat wirkte Frod genervt. Anscheinend wollte der Somerjunge nichts von den üblichen Argumenten, er sei noch zu klein, hören. Doch Torrinos hatte sich die Aufmerksamkeit des Somer gesichert.

»Die Quarterialen werden Städte und Gutsanwesen untersuchen. Sie werden auch bei euch auftauchen. Studiere deine Feinde, sammle Informationen und gib sie uns weiter. Als Einheimischer hast du größere Bewegungsfreiheit. Wir brauchen alle erdenklichen Informationen. Truppenstärke, Gruppierungen, Waffen, Moral und dergleichen. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe.«

Frod schien darüber nachzudenken. Er schulterte das Gewehr und zwitscherte zustimmend. Torrinos lächelte und reichte Frod die Hand. Ohne zu zögern, ergriff Frod Hama sie.

Dann verabschiedete er sich von ihnen.

»Pass auf dich auf, Knirps«, sagte Tyler zum Abschied.

Jan glaubte fast so etwas wie Zuneigung aus Tylers Worten gegenüber dem Somer zu hören.

Scorbits Respekt vor Torrinos wuchs immer mehr. Der Dorgone machte sich. Er übernahm viel Verantwortung und unterstützte Jan enorm. Er brauchte so einen ruhigen Pol um sich. Tyler reagierte zu hart. Scorbit war froh, dass Torrinos an seiner Seite war.

»Also, wie gehen wir weiter vor?«

Jan wollte wieder auf ihren Plan zurückkommen.

»Ganz einfach. Wir verhalten uns ruhig. Hier und da noch etwas Widerstand. Das Quarterium muss denken, dass sie uns geschlagen haben. Schon werden Jenmuhs und Despair Beschryr betreten und dann killen wir sie.«

»Klingt mir zu einfach, Tyler«, meinte Scorbit.

»An Bord der EL CID einschleichen wird nicht funktionieren. Wir sollten uns in der Tat ruhig verhalten und den richtigen Moment abwarten. Die SESTORE soll Verstärkung anfordern«, schlug Torrinos vor.

»Akzeptiert«, antwortete Scorbit.

Vielleicht konnten sie den Verband in eine Falle locken. Solange Beschryr als gesichert galt, hatten sie eine Chance. Falls Despair und Jenmuhs solange im System blieben. Viele ungeklärte Komponenten im Plan, doch den Versuch war es wert.

*

Am 27. Oktober wurde Kamran von den Quarterialen besetzt. Jan Scorbit hatte Rachorn davon überzeugen können, keinen Widerstand zu leisten. Die Truppen der Alliierten und der Organisation STALKER hatten sich in den Katakomben der alten Stadt versteckt.

Es standen ihnen immer noch viele tausend Soldaten zur Verfügung. Trotzdem war Shantron Hama nicht sonderlich wohl dabei zumute, dass er und sein Sohn als Spione für die Alliierten arbeiten sollten. Eigentlich hätte Frod diesen Job alleine ausführen sollen, doch Shantron wollte ihn nicht allein in diese gefährliche Mission schicken.

Sie standen auf dem Marktplatz von Kamran und blickten auf die schier endlose Masse an Panzern und Soldaten, die zu einer lauten Marschmusik defilierten und ihren Sieg zelebrierten.

Hama gewann dieser Marschmusik nichts ab. Er sehnte sich nach einer Ode der Harmonie von einem Ophaler. Die fremde Musik war nicht harmonisch. Sie war laut und voller Gewalt. Mit Pauken und Trompeten demonstrierten die Eroberer ihre Macht. Die haushohen Panzer schwebten grollend an der Masse vorbei.

Die Stiefelsohlen der Soldaten klatschten bei jedem Schritt im Takt zur Erobererhymne. Langsam verstand Hama, warum man gegen diese Leute kämpfen musste. Sie wirkten düster, dämonisch und brutal in ihren Uniformen. Wie Spielzeugsoldaten marschierten sie den langen Damm entlang. Soldaten mit einem tödlichen Spielzeug.

Mit vor Stolz geschwellter Brust liefen sie an den Besiegten vorbei, würdigten sie keines Blickes. Sie gaben Hama das Gefühl, ein Nichts zu sein. Allein diese Parade zeigte den Bürgern Beschryrs ebenso subtil wie schmerzlich, dass sie nichts mehr zu sagen hatten.

Die Marschmusik wechselte. Die Kapelle spielte ein neues Stück. Für Hama klang es nicht sonderlich anders. Ein anderer Takt, ansonsten derselbe monotone Krach.

Drei offene Gleiter fuhren an ihnen vorbei. Frod stieß seinen Vater aufgeregt an.

»Das sind die Oberbefehlshaber.«

Hama musterte die Männer. Der eine trug eine silberne Rüstung. Selbst Hama kannte seinen Namen: Cauthon Despair. Der fette Mensch mit den langen, weißen Haaren hieß Uwahn Jenmuhs. Sie waren Regenten des Quarteriums. Die anderen Generäle kannte er nicht. Es war ihm auch egal. Sie sahen alle gleich aus in ihren hoch dekorierten Uniformen.

Eine Fanfare wurde gespielt, während Uwahn Jenmuhs mit Despair die Stufen zum Rathaus hinaufging. Von dort sprachen in der Regel die Regenten Beschryrs. Die neuen Herrscher setzten die Tradition fort. Jenmuhs ließ sich viel Zeit, schien sich feiern zu lassen, doch keiner der Somer, Pterus oder Ophaler spendete Beifall. Die laute Musik ließ allerdings den Eindruck eines Festes erwecken. Ohne die Märsche würde eine Totenstille herrschen.

Jenmuhs stellte sich an das Rednerpult und hob die Hände. Er lachte und schien sich beim Volk zu bedanken. Wofür? Niemand mochte ihn. Anscheinend eine einstudierte Geste.

Die Musik wurde leiser und endete schließlich. Jenmuhs wankte auf der Stelle hin und her. Eine sehr seltsame Geste, aber vielleicht war sie typisch für die Menschen. Hama wusste es nicht.

»Volk von Beschryr«, begann der Arkonide. »Heute ist ein großer Tag für uns alle. Ab sofort steht ihr unter dorgonisch-quarterialen Schutz. Wir geben euch Sicherheit vor den gefährlichen Rebellen, die versuchen, die neue Ordnung zu sabotieren.«

Hama beobachtete die Bürger Kamrans. Sie hörten schweigend dem neuen Herrscher zu.

»Kooperiert mit uns gegen die Rebellen und ihr werdet ein gutes Leben haben. Macht ihr gemeinsame Sache mit dem Feind, werdet ihr bestraft. Zur Überwachung eurer Eingliederung wird euch ein Bezirks-Kommandeur beraten. Er wird für die nächsten Monate die Regierungsgeschäfte übernehmen.«

Jetzt ging ein Raunen durch die Masse. Jenmuhs winkte einen weiteren Menschen herbei. Er schien Terraner zu sein. Hama stützte seine Vermutung auf das kurze, braune Haar und die braunen Augen.

»Das ist Bezirks-Kommandeur Floryn Alunatuk. Er wird euch zur Seite stehen und die nötigen Formalitäten klären.«

Jenmuhs übergab an Floryn Alunatuk, der einige Verlautbarungen bekannt gab. Es waren die üblichen neuen Regeln einer diktatorischen Macht. Shantron Hama wollte sich das nicht mehr mit anhören. Er hatte genug gesehen.

»Lass uns gehen, Frod. Erstatten wir Bericht …«

14. Unter dem Banner des Quarteriums

Myrielle hatten die letzten Tage überrascht. Es war relativ ruhig auf Beschryr. Seit einer Woche gab es kaum mehr Anschläge. Dennoch waren die Sicherheitsvorkehrungen auf der höchsten Stufe. Die Rebellen konnten hinter jedem Busch lauern. Interferenzen beim Abtasten des Planeten schienen die Befürchtungen des Oberkommandos zu bestätigen.

Myrielle hatte die letzten Tage mit Anica verbracht. Das war die nächste Überraschung gewesen. Jenmuhs hatte Anicas Gesicht operieren lassen. Sie sah so schön wie eh und je aus. Ebenfalls hatte er ihr gestattet, Zeit mit Myrielle zu verbringen. Die Terranerin verstand das nicht. Ob Cauthon etwas damit zu tun gehabt hatte? Sie hatte ihn seit dem Vorfall in Jenmuhs Kabine nicht mehr gesehen. Warum mied er sie? Oder war es nur Zufall? Sie vermisste Despairs Nähe etwas.

Als ob du mit dem etwas angefangen hättest, dachte sie. Du hast doch nie Glück mit Männern. Von welchen Männern redest du eigentlich?

Sie seufzte leise und konzentrierte sich wieder auf den Bericht. Myrielle fand es schon etwas seltsam, dass sie bei einer Volkszählung mit Namen, Herkunft und sonstigen Besonderheiten mithelfen sollte. Wofür brauchte das Quarterium das? Konnte man sich nicht an die alte Regierung deshalb wenden?

Erich Village betrat ihre Kabine. Wie üblich kam er einfach herein, ohne sich anzumelden.

»Ich hätte auch nackt sein können«, sagte Myrielle vorwurfsvoll.

»Nicht während Ihrer Dienstzeit«, gab Village unpassend zurück.

Myrielle verdrehte die Augen. Village war wirklich eine Trauergestalt von Mann. Dass er zwei Kinder in die Welt gesetzt hatte, grenzte an ein Wunder. Aber wahrscheinlich hatte seine Frau dabei die Initiative übernommen.

»Was wollen Sie, Sir?«

»Uwahn Jenmuhs hat eine Bitte.«

»Was will der denn?«

»Der Gos’Shekur bittet Sie, mit seiner Freundin in Kamran einkaufen zu gehen. Er möchte nicht, dass Anica alleine dorthin geht. Es sollte lieber eine Person dabei sein, die etwas von Einkäufen und Orientierung versteht.«

Myrielle schaltete die Syntronik ab und stimmte zu. Auch wenn es sie verwunderte, doch etwas Abwechslung tat gut. Die Arbeit war trist und langweilig.

Sie suchte Anica auf, die bereits fertig angezogen im Hangar stand. Eine Space-Jet brachte sie auf die Welt. Von dort aus flogen sie mit einem Gleiter nach Kamran. Das Quarterium hatte es vorerst abgelehnt, seine Raumschiffe auf dem Raumhafen von Kamran landen zu lassen. Man befürchtete Attentate der Rebellen. Stattdessen wurde ein Landefeld fünfzehn Kilometer von Kamran entfernt angelegt.

Ein Roboter flog den Gleiter.

»Wieso behandelt dich Jenmuhs plötzlich so gut? Das muss doch einen Haken haben …«

Anica zuckte mit den Schultern.

»Er sagt, dass du und der Silberne Ritter daran schuld seid. Uwahn meint, dass ihr ihm ins Gewissen geredet habt.«

Für Anica mochte das zwar eine plausible Erklärung gewesen sein, doch Myrielle bezweifelte, dass Jenmuhs im Moment eine Wandlung vom Saulus zum Paulus durchlebte.

»Sollten wir nach Cartwheel zurückkehren, werden wir diese Uthe suchen. Weißt du, wo sie wohnt?«

»Auf dem Erdball …«

»Auf welchem?«

»Na dem Erdball …«

»Aha«, machte Myrielle und grübelte angestrengt nach, welchen Erdball Anica meinte. Jetzt fiel es ihr ein. Die Erde. Terra. Das würde schwer werden, doch nicht unmöglich.

Myrielle wollte Anica helfen. Sie sah es als ihre Chance, endlich mal etwas Gutes in ihrem bisher ereignislosen Leben zu tun. Sie nahm Anicas Hand und wollte ihr etwas Nettes sagen. In dem Moment brach die Hölle los. Ein ohrenbetäubender Lärm ließ sie hochschrecken. Um sie herum Feuer. Der Gleiter verlor die Kontrolle und krachte auf den Boden. Myrielle wurde nach vorne geschleudert und stieß sich ihren Kopf an der Decke des Gefährts. Beide wurden durchgerüttelt. Anica schrie in Panik auf. Myrielle wusste nicht, wie ihr geschah. Der Roboter reagierte nicht auf Zurufe. Der Gleiter schlitterte über ein Feld. Myrielle robbte sich nach vorne und übernahm die Steuerung. Blut floss ihr ins Auge. Sie hatte eine Platzwunde an der Stirn.

Sie sah den Abgrund und riss das Steuer nach links. Der Gleiter drehte etwas und blieb direkt über den Abgrund stehen. Eine zweite Explosion schleuderte sie nach hinten. Ein stechender Schmerz ließ sie aufschreien. Sie starrte entsetzt ihre blutende Hand an. Myrielle zitterte am ganzen Körper. Vorsichtig schaute sie aus dem zerbrochenen Fenster.

»Oh Gott«, rief sie.

Der Gleiter baumelte mit der Hälfte über dem Abgrund. Alle Knochen taten ihr weh. Sie konnte sich kaum bewegen. Schmerzerfüllt drehte sie sich zur Seite und rüttelte an Anica.

»Wir müssen ganz vorsichtig hier raus …«

Anica reagierte nicht. Myrielle drehte sie zur Seite. Die Augen Anicas waren starr auf Myrielle gerichtet. Starr und leblos. Aus ihrem Mund floss Blut. Sie fühlte Anicas Puls.

»Nein …«

Myrielle fing an zu weinen, als sie Gewissheit über Anicas Tod hatte. Sie nahm die lieb gewonnene Zechonin in den Arm. Der Gleiter fing an zu knarren. Myrielle ließ Anica los und kroch zur Seite. Sie musste über die Tote rübersteigen, doch plötzlich senkte sich der Gleiter. Verzweifelt krallte sich Myrielle fest. Sie sah ihr Leben in Sekundenbruchteilen an sich vorbeilaufen, dann stürzte der Gleiter in die Tiefe. Myrielle erfassten wieder die stechenden Kopfschmerzen, die sogar die anderen Schmerzen übertrafen. Es half ihr auch nicht. Sie blickte auf den immer näherkommenden Boden und sah dort ihr Ende.

*

Cauthon Despair stand reglos vor dem Überbringer der schlechten Nachricht. Er bezweifelte die Echtheit der Meldung und doch war es nur ein törichter Versuch, das Unabänderliche für wenige Momente nicht zu akzeptieren.

»Wir suchen noch nach den restlichen Leichenteilen, Sir. Der Gleiter ist völlig ausgebrannt. Wrack- und Körperteile könnten sich während des Absturzes weit verteilt haben. Es wird eine Weile dauern, Sir.«

Despair notierte die Worte des Unteroffiziers, erwiderte aber nichts. Er blickte zu Jenmuhs herüber. Der Arkonide wirkte tatsächlich betroffen.

»Ich hatte gerade angefangen, sie ins Herz zu schließen«, jammerte Jenmuhs und ließ sich theatralisch auf die Knie fallen. Er fasste sich ans Herz, schloss die Augen und senkte den Kopf. Er schien für Anica zu beten. Despair bedauerte den Tod der Zechonin, auch wenn er vielleicht sogar eine Erlösung für sie gewesen war. Doch der Tod von Myrielle Gatto erschütterte ihn zutiefst.

Jetzt gestand er sich seine Gefühle ihr gegenüber ein. Er hatte sich in sie verliebt. Ihre tiefblauen Augen, ihr sinnlicher Mund, ihre Ausstrahlung. Die Art, wie sie Despair behandelt hatte.

Zu spät, dachte Despair bitter.

Er hatte die Chance vertan, sich zu wenig um sie gekümmert. Er hätte sie niemals unbewacht nach Beschryr lassen dürfen.

»Ursache?«, fragte der Silberne Ritter knapp.

»Eine Mine der Rebellen, Sir. Wir haben Überreste am Detonationsort gefunden.«

Despair ballte die Fäuste. Die verfluchten Rebellen hatten Myrielle getötet. Immer wieder wurde ihm etwas genommen, was er liebte. Und immer wieder von Pseudoverbündeten.

»Ungeheuerlich«, sagte Jenmuhs. »Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen. Die arme, kleine Anica …«

»Heucheln Sie kein Bedauern, Sie fettes Schwein«, herrschte Despair den Gos’Shekur an. Er bereute keine Silbe dieses Wutausbruches, auch wenn die anderen ihn verwundert anblickten. Jenmuhs selbst wagte es nicht einmal, ein Wort zu sagen.

»Wie reagieren wir auf den Anschlag?«, wollte Toran Ebur wissen. »Was machen wir mit den Rebellen?«

Despair drehte sich zu Ebur um.

»Ausradieren!«

*

Ash Berger hatte über Interkom von dem Anschlag gehört. Er bedauerte Myrielle Gattos Tod aufrichtig. Ash hatte sie gut leiden können. Wieder ein Kriegsopfer mehr, dabei war der Krieg gerade mal zwei Monate alt. Helge von Hahn marschierte mit Oberst Linker zu ihnen. Anscheinend gab es neue Instruktionen. Das wurde auch Zeit, denn seit Tagen saßen sie irgendwo im Wald und warteten.

»Männer, wir haben neue Befehle. Quarteriums-Marschall Despair verlangt die komplette Auslöschung der Rebellen. Bei bewaffneten Widerstand keine Gefangenen. Bei Kapitulation ohne Schusswechsel werden die Häftlinge der CIP-Sonderabteilung Zwei übergeben.«

»Und wie sollen wir die Rebellen finden?«, fragte Blacktree zurecht.

Linker verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er musste sich in diesem Moment so unendlich überlegen vorkommen.

»Wir durchkämmen die gesamte Gegend. Durchsuchen jeden Bauernhof, jedes Haus, jede verdächtige Unebenheit im Boden.«

Die Männer machten sich an die Arbeit. Das konnte heiter werden. Ash vermutete, dass Despair diesen Befehl aus Rache gegeben hatte. Anscheinend waren er und Myrielle doch enger befreundet gewesen, als es den Anschein hatte.

Helge trat vor und rief seine Leute zusammen.

»Wir bilden Teams. Ash, Booz, Roppert und Siebenpack bilden eine Gruppe. Ich selbst, Holge, Ace und Wissmer die zweite Einheit. Wir teilen die uns zugewiesenen Regionen auf. Die Flattermänner können sich warm anziehen.«

Helges Augen leuchteten. Er schien sich auf die Säuberungsaktion zu freuen. Da war er wohl der einzige. Berger zumindest war überhaupt nicht danach, jedes Haus zu verwüsten, die Bewohner zu verhören, um nach Hinweisen der Rebellen zu suchen.

Zwei gepanzerte Gleiter vom Typ RAPTOR fuhren vor. Im Vergleich zum SAURIER oder MAMMUT waren sie wesentlich schneller und boten mehr Platz für Soldaten. Die Bewaffnung war vergleichsweise schwach, denn sie besaßen zwei Schnellfeuergewehre und eine kleine 100-Millimeter-Kanone. Ash stieg mit seinen drei Begleitern in den Ersten ein. Sie fuhren los und machten nach wenigen Kilometern am ersten Haus halt. Es war ein großer Gutshof.

»Also gut, dann lasst ihn uns durchsuchen. Nakkhole und Siebenpack bleiben beim Panzergleiter und geben uns Feuerschutz. Shiningjokes und ich suchen mal den Bauern auf.«

Ash stieg als Erstes aus. Er entsicherte sein Schnellfeuergewehr und schulterte es. Shiningjokes folgte ihm auf dem Fuß.

»Sieht friedlich aus. Wir sollten freundlich zu den Leuten sein«, meinte Shiningjokes.

Berger stimmte ihm zu. Er wollte sich keineswegs als Besatzer aufspielen. Das lag anderen, wie Helge, besser.

An der Eingangstür zum großen Haus stand ein Somer. Er starrte die beiden an. Berger glaubte, viel Verachtung, aber auch Furcht in den dunklen Augen des Vogelwesens erkennen zu können.

»Guten Tag«, sagte Berger und stellte sich vor. »Wir sind Offiziere der XXXII. SHIFT-Division der SOLARE EMPIRE. Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?«

Der Somer schwieg immer noch. Ungläubig musterte er die beiden Soldaten. Ash merkte, dass Shiningjokes langsam nervös wurde. Er drehte sich zum Panzergleiter um. Siebenpack und Nakkhole hatten sich inzwischen hinter die Schnellfeuergewehre gesetzt und zielten auf das Haus.

»Mein Name ist Shantron Hama. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Beherbergen oder kooperieren Sie mit Rebellen?«

Berger kam die Frage ziemlich dumm vor, aber das war der Grund, warum sie hier waren.

»Nein«, antwortete der Somer knapp.

»Wir müssen Ihr Anwesen durchsuchen …«

Hama scharrte mit dem Fuß über den Holzboden. Berger vermutete, dass der Mann nervös war. Doch wer war das nicht, wenn ein bewaffneter Trupp plötzlich vor seiner Haustür stand?

»Tun Sie sich keinen Zwang an. Seien Sie bitte beim Brutplatz dort hinten vorsichtig.« Er deutete auf ein kleines Glashaus direkt neben dem großen Anwesen. »Meine Frau Ary brütet dort unseren Nachwuchs aus.«

»Wir werden vorsichtig sein«, versicherte Shiningjokes. »Sind sonst noch Lebewesen auf dem Bauernhof?«

»Mein Sohn Frod und die Tiere natürlich. Die Feldarbeiter sind zu Hause. In diesen Tagen habe ich ihnen frei gegeben …«

Berger nickte. Er winkte Siebenpack und Nakkhole herbei. Dann machten sie sich an die Durchsuchung des Bauernhofes. Ash blieb noch kurz stehen und blickte auf ein Fenster in der oberen Etage. Dort stand ein keiner Somer und blickte ihn an. Es war ein kalter, tödlicher Blick.

*

»Geschafft«, sagte Berger müde und setzte sich auf einen Heuballen. Er kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Hemdtasche und zündete sich eine an.

»Der Hof ist sauber«, meinte Nakkhole. »Schade, dass die Somer keinen Menschen sind. In dem ganzen Heu könnte man ein Mädel schön flachlegen.«

Berger schmunzelte. Danach wäre ihm jetzt auch eigentlich. Der Krieg forderte viele Entbehrungen. Aber schließlich waren sie nicht hier, um Spaß zu haben, sondern um das Quarterium zu vergrößern. Ash hätte lieber Spaß gehabt. Das Quarterium war ihm immer noch egal.

»Der Major will dich sprechen, Ash«, rief Siebenpack.

Er reichte Berger das Interkomgerät. Der Sergeant erstattete Bericht über ihre Untersuchung.

»Ist bei euch genügend Platz? Wir suchen ein Nachtquartier«, fragte Helge von Hahn.

»Ja, aber wir müssen den Bauern erst einmal fragen.«

»Der hat zu tun, was wir befehlen. Erwartet unsere Ankunft in einer Stunde.«

Prächtig, dachte Ash und schnippte die Zigarette weg.

Eine Stunde später erreichten Helge von Hahns Trupp und ein weiterer Gleiter den Bauernhof. Die Hamas waren nicht begeistert von der Präsenz der Soldaten. Berger hatte ihn zwar höflich um seine Gastfreundschaft gebeten, doch wer beherbergte schon freiwillig seine Unterdrücker?

Holge Wosslyn, Ace Blacktree und Gert Wissmer stiegen aus dem RAPTOR aus, während Major von Hahn zusammen mit Marko Schutter aus dem Gleiter ausstieg. Ash verdrehte die Augen. Noch eine Extrawurst für den selbstgefälligen Major. Nun ließ er sich schon mit einem Gleiter durch die Gegend kutschieren.

»Eine Leihgabe von Linker?«, fragte Berger.

»Linker war mit Marko unzufrieden als Fahrer. Naja, und da hat er ihn samt Gleiter mir überstellt. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.«

Helge lachte grölend. Dann nahm er wieder Haltung an, rückte seine Mütze zurecht und ging in das Haus. Ash begleitete ihn. Die Hamas saßen am Tisch und aßen zu Abend.

»Ich bin Major von Hahn. Ihr Haus wird uns für die heutige Nacht als Quartier zur Verfügung stehen. Wir wünschen Verpflegung und saubere Betten.«

»Du forderst wohl eher«, sagte der kleine Somer.

Berger kannte inzwischen seinen Namen: Frod. Helge glotzte den Jungen an, als wäre er ein Geist. Er schnaufte laut. Berger vermutete, dass er jeden Moment explodieren würde.

»Unsere Bitte ist ein Befehl für euch. Also los, was sitzt ihr noch so faul herum? Oder soll ich eine Bestrafung in Betracht ziehen?«

Shantron Hama stand auf und bat seine Frau, etwas für die Männer zu kochen. Frod lief in sein Zimmer. Das war das vernünftigste, was der Junge tun konnte. Ash wollte keine Auseinandersetzung mit der Familie.

»Und nun führen Sie mich mal herum. Haben Sie einen Weinkeller?«, wollte Major von Hahn wissen.

Hama nickte. Er führte die beiden quarterialen Offiziere in den Keller. Dort standen Fässer und Regale voll Wein und anderem Alkohol.

»Mein Bruder ist Winzer auf dem anderen Kontinent. Er schickt mir immer viel Wein«, erklärte Hama.

Helge hörte ihm gar nicht zu. Er konzentrierte sich auf den Wein. Er zog einen Korken heraus und trank aus der Flasche.

Was für ein würdevoller Oberbefehlshaber seiner Truppe, spottete Ash.

»Der Abend ist gesichert, Leute«, rief Helge und leerte die erste Flasche.

*

»Lieschen, Lieschen, rauf auf die Leiter, immer weiter«, johlte von Hahn und schwang mit seiner Flasche Wein umher. Die anderen stimmten fröhlich ein.

Nur Ash, Siebenpack und Wissmer waren relativ nüchtern geblieben. Berger wollte einen klaren Kopf haben. Dafür soffen von Hahn, Wosslyn, Blacktree und Shiningjokes für zwei.

»Gibt es hier nirgendwo einen Puff?«, fragte Helge in die Runde. Er versuchte aufzustehen, fiel jedoch wieder auf den Hintern. Die anderen lachten. Das schien ihn wenig zu interessieren. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm dann einen weiteren kräftigen Schluck aus der Flasche.

»Oder Kentucky Fried Chicken?«, unkte Ace Blacktree. »Hunger auf so ein richtiges Brathähnchen hätte ich jetzt schon …«

»Grillen wir doch den Bauern«, schlug Holge Wosslyn vor.

Helge lachte schrill und hob die Flasche Wein.

»Prost! Prost! Prost!«

Die anderen stießen an. Marko Schutter stand auf und wankte die Treppe hoch.

»Hey, schon fertig, Alter?«, wollte von Hahn wissen.

»Ne, muss austreten …«

Berger hatte genug von der Feier. Er gab Siebenpack ein Zeichen. Die beiden standen auf und gingen etwas an die frische Luft. Vor ihnen torkelte Schutter von links nach rechts und schien eine passende Stelle an der Hauswand zu suchen.

Berger lehnte sich an den Gleiter und blickte zu den Sternen hoch. Siebenpack wanderte auf der Stelle herum. Ihm war wohl kalt. Kein Wunder bei den winterlichen Temperaturen.

»Eine schöne Welt. Schade, dass wir sie kaputt machen«, flüsterte Siebenpack.

»Unsere Gewissensbisse helfen uns im Moment auch wenig weiter. Wir müssen das Beste daraus machen …«

Berger fand seinen Ausspruch selbst ziemlich fahl. Natürlich hätten sie etwas dagegen tun müssen. Desertieren, sich der USO anschließen. Auch wenn das ihr Leben gekostet hätte. Aber das war so einfach gesagt und so schwer getan.

Plötzlich schrie Schutter laut auf. Berger sah Siebenpack kurz an, dann rannten sie los. Schutter hörte gar nicht mehr auf zu schreien. Sie liefen zur Hauswand, wo Schutter blutüberströmt lag. Eine Mistforke steckte in seinem Bauch.

»Zieht es raus! Zieht es raus!«, brüllte Schutter. Mit zitternden Händen versuchte er, die Wunde zu stopfen. Berger wurde bleich im Gesicht. Er beugte sich herüber und versuchte Schutter zu beruhigen.

»Hol die anderen«, rief er zu Siebenpack.

Dann sah er Frod, der starr daneben stand. Er hatte Schutter angegriffen. Scheinbar zufrieden ging Frod wieder ins Haus zurück. Ash nahm Schutters Hand. Er fing an, Blut zu spucken, sein ganzer Körper zitterte.

»Ich will nach Hause. Komme ich nach Hause?«

»Ja, Marko. Gleich morgen …«

Die anderen liefen nun auch auf sie zu. Berger blickte sie besorgt an, dann schloss er die Augen, als er merkte, dass der Druck von Schutters Hand nachließ. Er sah sich den Terraner an. Marko Schutter war tot. Berger ließ die Hand los und stand auf.

Die anderen blickten den toten Kameraden schweigend an. Niemand konnte anscheinend diese Tragödie fassen.

Helge von Hahn war der erste, der sich wieder zusammenriss.

»Wer war das?«

»Ich weiß es nicht«, log Ash. Er sah Siebenpack eindringlich an.

»Wir haben Schutter hier liegen sehen, aber nicht mitbekommen, wer es war«, erklärte nun auch Siebenpack.

Ash wollte das Leben der Hamas nicht sinnlos opfern. Der Himmel erhellte sich auf einmal. Kanonengeräusche wurden hörbar. Die Nacht wurde zum Tage.

»Da tobt irgendwo eine Schlacht«, stellte Shiningjokes fest.

Ein Schuss hallte durch die Nacht. Blacktree fiel getroffen zu Boden. Die anderen warfen sich hin.

»Blacktree«, rief Helge von Hahn.

»Mein Bein nur …«

Wosslyn robbte zum Panzer und rannte hinein. Er bewaffnete sich mit einem Strahler und schoss auf das Haus. Dabei stieß er einen lauten Schrei aus.

»Feuer einstellen«, rief Ash.

Wosslyn hielt inne. Die anderen rannten zum Panzer und bewaffneten sich. Sie stürmten das Haus. In der oberen Etage standen die Hamas mit erhobenen Händen. Shantron Hama warf das Gewehr auf den Boden.

»Ich ergebe mich«, sagte er.

»Nein, Vori! Ich war es. Ich habe den Soldaten getötet und den anderen verwundet«, wandte Frod ein.

Jetzt hatte Helge offenbar genug. Er nahm den Gewehrkolben und drosch auf Frod ein. Immer wieder und wieder schlug er auf den Jungen ein. Das Blut spritzte quer durch den Raum.

»Du blöde Sau!«, schrie von Hahn. »Ich schlag dich tot, du scheiß Huhn.«

Berger griff ein, hielt Helge von hinten fest. Die anderen halfen ihm dabei. Frod blieb benommen am Boden liegen. Blut klebte am Gefieder des Somer. Ary warf sich weinend auf ihren Sohn.

Helge riss sich los und zog seinen Strahler. Er richtete ihn auf Shantron Hama.

»Sag endlich die Wahrheit, du Stück Dreck. Sonst knall ich dich und deine verdammte Familie über den Haufen!«

»Sag nichts, Vori. Tyler wird den Typen schon erledigen …« Frod wurde besinnungslos. Ary jammerte und streichelte ihren Sohn. Die anderen standen teilnahmslos herum. Auch Ash konnte nichts mehr tun. Er durfte seinen Vorgesetzten nicht noch einmal angreifen. Shantron Hama musste jetzt die Wahrheit sagen.

»Tyler? Sam Tyler?«, brüllte Helge von Hahn. »Woher weiß der Junge von Tyler? Sing, du Kanarienvogel!«

Shantron schwieg immer noch.

»Helge, hole die Eier. Mal sehen, ob er gesprächiger wird.«

Nun regte sich Shantron. Er hob die Hände, fiel auf die Knie und winselte um das Leben seiner Kinder.

»Ich sage ja alles, aber lasst meine Kinder zufrieden. Sie müssen leben. Schont sie und Frod, dann … helfe ich euch …«

15. Auslöschung

Es war kein Tag für Jan Scorbit und die anderen. Die Hölle war vor wenigen Stunden über sie losgebrochen. Niemand verstand warum. Wer hatte geredet?

Irgendjemand hatte dem Quarterium ihr Versteck verraten. Seit Stunden wurde erbittert um jeden Tunnel, um jeden Gang gekämpft. Sie mussten Zeit gewinnen, um fliehen zu können.

Torrinos wurde verwundet von Tyler angebracht. Scorbit registrierte besorgt, dass Torrinos beinahe ohnmächtig war.

»Was ist passiert?«

»Sie setzen schwere Granaten ein. Ein Splitter hat Torrinos getroffen. Er wird es schaffen, doch es wird langsam eng.«

Tyler war auch verwundet. Er steckte es aber gut weg. Scorbit trat gegen ein Tischbein. Das hätte nicht passieren dürfen. Jan suchte händeringend nach einer Lösung. Rachorn betrat den Raum. Er wirkte arrogant wie immer. Trotz der drohenden Niederlage schien er nichts von seinem Selbstbewusstsein eingebüßt zu haben.

»Meine Truppen starten einen Großangriff. Wir werden ehrenvoll untergehen«, erklärte Rachorn.

»Was?«

Jan konnte es nicht glauben. Warum opferte Rachorn knapp 15.000 Wesen? Das war Wahnsinn.

»Wir sollten uns zurückziehen und absetzen. Eine Flotte wird bald kommen und uns mitnehmen. Das ist die beste Lösung.«

»Tun Sie das, feiger Terraner. Wir kämpfen für die Ehre und sterben glorreich.«

Rachorn verließ den Raum. Es war zwecklos, ihn aufzuhalten. Er hatte sein Schicksal gewählt. Die Einschläge wurden heftiger, der Putz bröselte von der Decke. Jan lief zum Waffenschrank und holte ein Thermogewehr heraus. Er vergewisserte sich, dass es voll aufgeladen war. Zur Sicherheit bestückte er es noch mit fünf Patronenmagazinen und steckte sich einige noch in die Taschen der Schutzweste. Er aktivierte den Individualschutzschirm an seinem Gürtel und lief los. Der Kampf tobte nicht weit von ihm. Unzählige Energiestrahlen schossen durch den Raum. Scorbit warf sich auf den Boden, rollte sich zur Seite und suchte Schutz hinter einer Ecke. Er lugte heraus und schoss einen Soldaten nieder. Scorbit wollte sich keine Gedanken über den Menschen machen, dessen Leben er gerade beendet hatte. Würde er stets über diese Hemmschwelle nachdenken, wäre er niemals imstande gewesen, eine Schlacht zu führen. In diesem Krieg musste er kompromisslos sein, wenn es darauf ankam. Nur so war das große Ziel zu erreichen.

Torrinos kam von hinten angeschlichen. Der Dorgone wirkte immer noch mitgenommen.

»Unsere Leute konnten eine Transmitterverbindung zur SESTORE aufbauen. Zweihundert akonische Schiffe lenken den EL CID-Verband im Moment von der SESTORE ab. Jetzt oder nie …«

Jan zielte auf einen weiteren Soldaten. Er hatte den Kopf anvisiert, zog im letzten Moment runter und feuerte in sein Bein. Der Soldat fiel um, ließ die Waffe fallen und versuchte in Deckung zu kriechen.

»Dann los …«

Scorbit und Torrinos rannten nach hinten. Der USO-Leiter Cartwheels gab via Interkom das Zeichen zum Rückzug.

»Vorsicht«, rief Torrinos.

Scorbit blieb abrupt stehen. Die Decke stürzte vor ihnen herunter und versperrte ihnen den Weg.

Sie liefen zurück und teilten den Offizieren die Lage mit. Scorbit beschloss, einen Ausbruch zu versuchen. Er gab das Kommando zum Ansturm. Die Soldaten schossen sich ihren Weg zum nächsten Ausgang durch. Endlich erreichten sie einen Ausgang zu den Katakomben. Kamran brannte! Scorbit registrierte entsetzt das grausame Szenario. Überall lagen Leichen. Menschen, Pterus und Somer.

»Die Transmitterstation ist unter dem Haus.« Torrinos deutete auf das Nachbargebäude. Es war noch relativ intakt, auch wenn der Dachstuhl eingestürzt war.

»Tyler!« Jan winkte den Terraner zu sich. »Sam, wir drei bleiben hier und halten die Truppen auf, während unsere Leute durch den Transmitter gehen. Wir benutzen ihn zuletzt …«

Tyler grinste.

»Du musst wieder den Helden spielen. Na egal, ich freue mich drauf …«

Die drei verschanzten sich in einem ausgebrannten Gebäude. Die Ruinen boten besten Schutz. Tyler eröffnete das Feuer auf ein paar Grautruppen. Torrinos warf Thermodetonatoren in ihre Richtung. Bei der Zündung wurden Dutzende Grautruppen durch die Luft geworfen.

»Volltreffer!«

Tyler war in seinem Element. Scorbit kannte seinen Kameraden sehr gut. Krieg war der Sinn in Tylers Leben. Sam visierte einen zweiten Trupp an. Es waren sechs terranische Soldaten. Tyler setzte mit einer Seelenruhe das Visier auf seine Waffe, folgte dem Lauf der Soldaten und schoss!

Der erste brach leblos zusammen. Ohne lange zu zögern, feuerte Tyler weiter. Er traf den zweiten am Gesicht. Der Soldat fasste sich an die Wange, riss den Helm ab, um seine Wunde zu versorgen. Ein tödlicher Fehler. Tyler schoss ein drittes Mal. Scorbit versuchte, so emotionslos wie möglich den Tod des gegnerischen Soldaten zu verfolgen. Durch den Schuss platzte der Schädel auf. Blut und Hirnteile wurden aus dem Kopf katapultiert. Der leblose Körper des Soldaten knickte um und fiel zur Seite. Die Innereien des Kopfes flossen langsam aus dem Schädel.

Tyler grinste mit leuchtenden Augen Scorbit an, der wenig Verständnis dafür hatte. Nicht nur, dass Sam den Mann getötet hatte, es war auf bestialische Weise geschehen. Doch das war so im Krieg. Tag für Tag …

Die anderen quarterialen Soldaten hatten sich ebenfalls verschanzt und lieferten sich ein Feuergefecht mit den drei Alliierten. Ein paar Truppen von STALKER stießen zu ihnen dazu.

Plötzlich waren sie überall. Granaten flogen durch die Gegend. Überall brachen leblose Körper zusammen. Blut in den verschiedensten Farben spritzte herum. Quarteriale Panzer erreichten das Gebiet.

»Dem kannst du nicht so einfach die Lichter ausblasen«, meinte Scorbit zu Tyler, dem das Lachen schon längst vergangen war. »Rückzug«, rief Jan.

Die drei rannten los. Die Panzer feuerten auf das Haus. Scorbit warf sich auf den Boden. Staub und Schutt fielen auf ihn herauf. Der Individualschirm vermied schlimmeren Schaden. Die Technologie war wirksam gegen Steine und Feuer, doch längst nicht mehr gegen die tödlichen Energiestrahlen der immer moderneren Waffen. Die Waffenhersteller hatten Mittel und Wege gefunden, die Struktur des Schutzschirmes zu durchbrechen. Vor Scorbit schlug eine Granate ein. Für ein paar Sekunden war er taub. Langsam kamen die Geräusche zurück und gingen in den Krach der vielen Schüsse über. Scorbit robbte in das Kraterloch. Etwa fünf Meter von ihm entfernt hockten Torrinos und Tyler. Sie hatten die Hälfte des Weges zur Transmitterstation geschafft. Immer mehr Shift-Panzer des Quarteriums bahnten sich ihren Weg.

Scorbit kroch zu seinen beiden Kampfgefährten.

»Wenn wir jetzt nicht verschwinden, schaffen wir es nicht mehr. Mehr können wir nicht retten.«

Scorbit musste Torrinos leider zustimmen. So schnell es ging, rannten sie in das Gebäude. Ein Dutzend USO-Agenten warteten noch auf sie. Scorbit gab den Befehl, durch den Transmitter zu gehen. Einige Kampfroboter wurden zurückgelassen, um den Transmitter zu zerstören, falls Quarteriale versuchen sollten, ihn zu benutzen.

Auf der SESTORE war es ruhig. Kein Lärm von einschlagenden Granaten, schreienden Wesen, grollenden Panzern.

»Wie lange können wir die Stellung noch halten?«, wollte Scorbit von dem Kommandanten, einem graubärtigen Springer, wissen.

»Gar nicht mehr. Die EL CID bewegt sich auf uns zu. Wir müssen uns absetzen, sonst sind wir erledigt.«

Scorbit wollte die restlichen Männer nicht im Stich lassen, doch die Leben der Besatzungsmitglieder der SESTORE auch nicht opfern. Er musste sich entscheiden. Er hasste solche Situationen, in denen er über Leben und Tod entscheiden musste.

»Absetzen«, sagte er mit belegter Stimme.

Er warf einen letzten Blick auf Beschryr zurück. Die ganze Operation war gründlich in die Hose gegangen und hatte vielen tapferen Wesen das Leben gekostet. Jemand musste sie verraten haben. Der Geheimdienst des Quarterium funktionierte wohl bestens.

Jan Scorbit hatte eine bittere Lektion gelernt.

Epilog

Eine Reise ging zu Ende. Ein Leben endete und ein neues wurde erschaffen. Das Wunder des Kosmos verschloss sich vor niemandem. Und niemand konnte diesem Wunder entrinnen. Selbst ich war dazu nicht imstande gewesen.

Ich war gestorben. Zusammen mit Millionen anderer. Vergangen in den Weiten des fünfdimensionalen Raumes. Ich hatte ihre Seelen gespürt, von ihnen gezehrt, damit mein Geist nicht in der Unendlichkeit verweht wurde. Ich hatte ihre Schreie gehört, ihr Wehklagen, nun da ihr Leben ein Ende gefunden hatte.

Dann war es still um mich geworden. Ich war allein gewesen. Einsam war ich durch die surreale Welt des Hyperraums geschwebt und gestorben. Doch aus Tod entstand neues Leben.

Mein Ende war nicht endgültig gewesen, denn es ging weiter. Verweht in andere Dimensionen, verblassten die Ereignisse aus dem HELL-Sektor. Osiris hatte obsiegt. Dieser verdammte, junge Kemete hatte mich überlistet und vernichtet. Ich hatte versagt, MODROR enttäuscht und meine Macht verloren.

Ich war ein Schatten. Ich war ein Geist und trieb mein Unwesen als rastloses Wesen zwischen den Dimensionen. Ich sah viel und doch gar nichts. Ich war allein im Kosmos.

Verloren.

Ohne Anker.

War das mein Ende?

Ich wusste nicht, wie lange ich durch das Nichts streifte. Doch ich vernahm eine Stimme, die mich rief. Meine ruhelose Seele erfasste Vertrautheit darin. Als könnte ich fliegen, jagte ich durch den Hyperraum und trat hier und da aus, um die Wunder des Universums zu bestaunen.

Doch diesmal war es anders. Die Stimme rief, ich solle in diesem Teil des Universums stoppen.

Ich sah die Insel im Weltraum. Sie bahnte sich den Weg durch die Leere zu einem Verbund an Galaxien. Majestätisch schwebte die gigantische Weltrauminsel durch das All, begleitet von ihren Tausenden an Monden.

War meine Reise am Ende? Hatte ich meinen Anker gefunden?

Zu den Galaxien, forderte die mentale Stimme.

Ich folgte dem Meister und erkannte die Galaxien. Es war die Mächtigkeitsballung von ESTARTU …

ENDE

Etwas Unheilvolles begibt sich in Richtung estartischer Galaxien. Mehr darüber schreibt Nils Hirseland in Band 78 mit dem Titel

ETUSTAR

DORGON-Kommentar

Artenbestandsregulierung I

Im vorliegenden Roman von Nils wird ein Schwerpunkt des gegenwärtigen Handlungsszenarios näher beleuchtet: die Artenbestandsregulierung oder kurz ABR. Um es gleich klipp und klar zu sagen, Verbindungen zur NS-Ideologie sind hier nicht zufällig, sondern gewollt, auch wenn das Szenario weit darüber hinausgehen wird. Nur nochmals kurz zur Erinnerung (an die Schulzeit?!) eine Kurzdarstellung der NS-Rassenideologie und ein entsprechender Vergleich mit dem Quarterium.

Rassenideologie im Nationalsozialismus und im Quarterium

In der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde die Menschheit in drei »Rassen«gruppen eingeteilt:

a) »Kulturschaffende Rassen«

Hierzu zählten die Nazis allein die so genannten »nordischen Rassen« die auf eine »arische Ur-Rasse« zurückgeführt wurden, die ihren Ursprung irgendwann in der Vorzeit im Gebiet des heutigen Tibet und der Gobi gehabt haben sollte. Kennzeichen waren u. a. die bekannten Merkmale: groß, blond und blauäugig. Laut NS-Ideologie waren nur die »arischen Rassen« zu irgendwelchen Kulturleistungen fähig, so wurden z. B. alle Erfindungen, alle kulturellen Leistungen wie Theater, Musik usw. ausschließlich von Menschen arischer Abstammung geschaffen.

Alle Gegner im eigenen Volk wurden als »Volksschädlinge« den »kulturzerstörenden Rassen« gleichgestellt und ebenfalls in Vernichtungslagern umgebracht. Behinderte und Geisteskranke waren in dieser Ideologie »lebensunwertes Leben« und sollten durch das »Euthanasieprogramm« aus dem »Volkskörper« entfernt werden.

Im Quarterium-Szenario entsprechen den »Kulturschaffenden Rassen« die »Lemurerabkömmlinge«, also vor allem Terraner und Arkoniden mit ihren jeweiligen Kolonialvölkern.

Den negativen Gegenpol hierzu bildeten die

b) »Kulturzerstörenden Rassen«

Hierzu zählten die semitischen »Rassen« (insbesondere die Juden) und die Sinti und Roma. Ziel dieser »Rassen« sei es gewesen, die der arischen »Rasse« zustehende Weltherrschaft zu verhindern und die »Reinheit« des arischen Blutes durch »Blutschande« zu zerstören.

Im Quarterium-Szenario entsprechen den »Kulturzerstörenden Rassen« sämtliche nichtmenschlichen Rassen, die sich dem Herrschaftsanspruch nicht unterordnen und nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung streben. Hierzu zählen z. B. Blues, Hauri, Kartanin aber auch Somer und Pterus.

c) »Kulturlose Rassen«

Hierzu zählten sämtliche farbigen »Rassen« (außer Indianern – siehe Karl May!) und »nichtarische« eurasische »Rassen« (z. B. Slawen). Diese »Rassen« sind nicht zu eigenständigen Kulturleistungen fähig und brauchen, um überhaupt eine kulturelle Leistung erbringen zu können, die Anleitung von Mitgliedern der »Herrenrasse«. Hitler sprach in diesem Zusammenhang von »Sklavenrassen«.

Im Quarterium-Szenario entsprechen den »Kulturlosen Rassen« alle nichtlemurischen Rassen (z. B. Dscherro, Naats oder Topsider), die vom Quarterium als »Hilfsvölker« eingesetzt werden.

*

Zum gegenwärtigen Handlungszeitpunkt ist das Quarterium dabei, erste »Vernichtungslager« für die »kulturzerstörenden Rassen« aufzubauen. Dieser Aufbau vollzieht sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und liegt in erster Linie in den Händen der CIP, die dadurch eine weit über die ursprüngliche Funktion als Geheimdienst hinausgehende Machtbasis erhält. Es ist zu erwarten, dass die CIP in Zukunft zu einer Art »Staat im Staate« innerhalb des Quarteriums wird.

Spekulationen

Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern dürfte nicht entgangen sein, dass in meinem obigen Vergleich ein schwerwiegender Machtfaktor fehlt, der in dieses Schema so nicht eingeordnet werden kann: die Bestienvölker der Pelewons und Mooghs unter dem Sohn des Chaos Torsor. Und genau in diesem Punkt liegt meiner Meinung eine der zentralen Fragen dieses Handlungszyklus:

In welcher Beziehung stehen die Bestienvölker zu MODROR?

In diesem Zusammenhang müssen wir jedoch auch die Frage nach der Verbindung der lemurischen Menschheit zu MODROR stellen, denn, wenn die Bestienvölker eine besondere Funktion für MODROR haben, dann steht auch die Menschheit lemurischer Abstammung in einem besonderen Verhältnis zu ihm.

*

Und jetzt machen wir es wie in den Romanen: Immer wenn es am spannendsten wird, vertrösten wir uns auf den nächsten Roman. Im Klartext: Meine Überlegungen zu diesem Thema werden im Folgeband fortgesetzt, sonst würde mein Kommentar wohl auch zu umfangreich!

Jürgen Freier

GLOSSAR

Schwerer Bomber »Feuerhornisse«

Quarterialer Raumbomber

Länge: 22 Meter

Breite: 20 Meter

Besatzung: 6

Bewaffnung: 1 MHV-Geschütz, 2 Impulsstrahler, Nadlerstrahler, 2 Projektil-MGs, 2 leichte Thermogeschütze, 20 schwere Plasmabomben, 20 leichte Thermobomben, 1 Arkonbombe, 1 Sternenfusionsbombe

General-Kommandeur Stevan da Reych

Geboren 26.05.1241 NGZ; Geburtsort Arkon I, Milchstraße; Größe 1,73 m; Gewicht 69 kg; Haarfarbe weiß mit hellgrauen Strähnen; Augenfarbe rot

Merkmale: Oberlippenbart, Knopfaugen, faltiges, gebräuntes Gesicht, unhöflich, reserviert, unmenschlich

Stevan da Reych hat den Titel eines General-Kommandeurs inne. Er gehört zur Führungsregie der Cartwheel Intelligence Protective und genießt das vollste Vertrauen von CIP-Chef Niesewitz und sogar des Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs. De facto ist er der Stellvertreter Niesewitz‘.

Da Reych ist ein kompromissloser, unmenschlicher Arkonide, der nur eines kennt: bedingungsloses Befolgen der Befehle. Nur die Erfüllung einer Mission zählt, gleich um welchen Preis.

Vor seiner Karriere in der CIP ist da Reych zuerst in der freien Wirtschaft als Organisationsleiter tätig gewesen. Schnell erkennt man seine guten Fähigkeiten und nimmt ihn beim Kristalldienst. Von da aus schließt sich der karrierebesessene Arkonide den Pionieren von Cartwheel an, um schließlich als glühender Verehrer des »lemurischen Gedankens« bei der CIP zu landen.

Da Reych wird von Freund und Feind gefürchtet. Er ist im Besitz unzähliger Akten und Dossiers. An seiner Seite steht der ehemalige terranische Rechtsanwalt Erich Village. Village hat sich als loyaler Adjutant für da Reych erwiesen. Trotz der Tatsache, dass Village ein Terraner ist, schätzt da Reych diesen Mann.

Trotz seiner Treue zum Quarterium sieht er Terraner als minderwertig an, hütet sich jedoch davor, dies offen zu propagieren.

Myrielle Gatto

Geboren am 19.04.1265 NGZ in Southampton, Terra; Größe 1,63 m; Gewicht 54 kg; Haarfarbe blond; Augenfarbe blaugrün.

Myrielle Gatto ist die Tochter eines Italieners und einer Engländerin. Sie hat eine durchschnittliche Kindheit verbracht und danach den Beruf der Bürokraft erlernt. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen – und um ihr Leben zu verbessern – zieht Myrielle Gatto im Jahre 1298 NGZ nach Cartwheel.

Dort arbeitet sie erst einmal weiter als Bürokraft, bis sie im Jahre 1304 NGZ beim Quarterium anfängt. Sie wird Sekretärin auf Paxus und bewirbt sich im Sommer 1305 NGZ auf den Assistentenposten des CIP-Spezial-Agenten Erich Village. Sie wird nach Som-Ussad versetzt.

Myrielle Gatto ist eine liebenswerte, sympathische, aber sehr komplizierte Frau. Ihre wenigen Beziehungen haben nie lange gehalten und sind schon zu Ende gewesen, bevor sie eigentlich begonnen haben. Da sie mit ihrem Leben nicht richtig klarkommt, sucht sie einen Therapeuten auf, der sie regelmäßig betreut. Myrielle ist nicht nur auf der Suche nach dem idealen Mann, sondern auch der idealen Aufgabe bzw. Berufung.

Erich Village

Geboren 13.01.1261 NGZ; Geburtsort Orun, Plophos; Größe 1,79 m; Gewicht 71 kg; Augenfarbe grün; Haarfarbe blond

Merkmale: korrekt, schwer einzuschätzen, diszipliniert

Erich Village, Sohn eines Konditors und arbeitsloser Rechtsanwalt, gehört zu den Gewinnern des Quarterium. Schnell findet er eine neue Stelle in der CIP und wird von Stevan da Reych gefördert.

Village dankt es ihm mit bedingungslosem Gehorsam und guten Ideen. Village ist kein Schläger. Er geht subtil vor, wie es ein Anwalt eben tut. Er verdreht die Tatsachen vor der Öffentlichkeit und ist ein Meister der Verschleierung. Er vertritt die ihm fremde Ideologie des Quarterium mit Inbrunst und Eifer.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2016

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 77, veröffentlicht am 17.10.2016 —

Titelillustration: John Buurman • Innenillustration: Heiko Popp

Lektorat: Jürgen Freier • Digitale Formate: René Spreer