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Band 72

Quarterium-ZYKLUS

 

Die Paxus-Konferenz

Das Quarterium berät über die Zukunft der Menschheit

 

Leo Fegerl & Jens Hirseland

 

Was bisher geschah

Im Jahre 1305 NGZ ist die Lage in Cartwheel vollkommen verändert. Der Bund der Vier hat das Quarterium gegründet, dessen Emperador Don Philippe de la Siniestro ist. Das Quarterium ist ein mächtiges und starkes Imperium, unter dessen Befehl eine gigantische Armee steht.

Doch während für die Lemurerabkömmlinge ein neues Reich entstanden ist, sind die Extraterrestrier in Cartwheel zu Wesen zweiter Klasse degradiert worden. Überschattet werden diese Ereignisse jedoch von der Invasion der Dorgonen in die estartischen Galaxien.

Während Perry Rhodan und die USO in geheimen Operationen den Estarten helfen wollen, spielen sich ganz andere Szenen auf Mankind ab. In der Anstalt für verdiente Kriegshelden ist jemand davon überzeugt, der verstorbene Joak Cascal zu sein, doch dem Mann glaubt niemand. Zur selben Zeit befindet sich auch die labile Kathy Scolar in der Anstalt. Beider werden Opfer einer Verschwörung und es stellt sich heraus, dass der Mann wirklich Joak Cascal ist.

Derweil ist die estartische Armee am Ende, Siom Som hat kapituliert und auch die anderen Galaxien sind vor der dorgonischen Invasionsflotte nicht mehr sicher. USO Agenten versuchen den Somer und anderen Völkern zu helfen, während das Quarterium seine Macht in Cartwheel ausbaut und unmenschliche Gesetze auf der PAXUS KONFERENZ verabschiedet ...

Hauptpersonen

Emperador de la Siniestro –

Der Herrscher des Quarteriums

Uwahn Jenmuhs, Torsor, Cauthon Despair und Leticron –

Sie beraten über die Zukunft der Galaxis

Aurec –

Der Saggittone sieht keine Alternative im Estartu-Konflikt

Kathy Scolar –

Die schöne Terranerin ersucht um Hilfe

Nataly Andrews –

Sie muss über ihren Schatten springen

Rosan Orbanashol-Nordment –

Die Leiterin der USO befürchtet das Ende der Organisation in Cartwheel

Wulf "Hank" Lane, Brad Callos und Jeanne Blanc –

Die drei Mutanten werden verurteilt.

 

 

 

 

 

1. In den Straßen von New Terrania

Sie waren jetzt schon drei Stunden unterwegs. Kurz nach Beginn der Flucht hatten die Vier noch etwas in einem netten Gasthaus gegessen. Der Wirt kannte sich in der Umgebung aus und nannte ihnen einen guten Weg, die Stadt unbemerkt verlassen zu können.

Joak Cascal war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihre Gegner inzwischen die bewusstlosen Agenten gefunden haben mussten. Wahrscheinlich wurden er, Neve Prometh und Kathy Scolar schon von der gesamten CIP gejagt. Cascal wusste noch immer nicht, warum man ihn so umständlich ausgeschaltet hatte. Warum machte man sich die Mühe, sein Gesicht kosmetisch zu verändern und sein Gedächtnis zu löschen, wenn man ihn doch einfach hätte liquidieren können? So, wie sich die Situation jetzt darstellte, war er noch immer eine drohende Gefahr für das Quarterium und die CIP. Das würde man ihn und seine Begleiter in den nächsten Stunden auch spüren lassen.

»Wann gibt es Kaffee, Kuchen und Kekse?«

Oh nein, Asteroid schon wieder, fluchte Cascal

»Halt die Klappe!«

Die Worte kamen schon fast automatisch aus Cascals Mund.

»Danke, vielen Dank!«

Vrank Asteroid schien zufrieden zu sein und würde wahrscheinlich die nächsten fünf Minuten nicht mehr nerven.

Sie mussten ihn loswerden. Wenn nur Kathy nicht so viel Mitleid mit ihm hätte. Sie waren auf der Flucht, da konnten sie sich einen auffälligen, Unsinn redenden Begleiter, wie Vrank nicht leisten.

»Kathy...«

»Ja, Joak?«

Endlich hatte sie seinen wahren Namen anerkannt. Als er sein Spiegelbild im Sanatorium gesehen hatte, war er sich selbst nicht mehr über seine Identität im Klaren gewesen.

»Kathy – wir müssen Vrank loswerden. Ich weiß, er kann nichts dafür, dass er mit hineingezogen wurde, aber er wird uns aufhalten und irgendwann verraten. Unabsichtlich, aber wir werden nicht jedes Mal so viel Glück haben wie bei dem Vorfall mit den Polizisten vorhin.«

Kathy sah ihn an und sagte: »Aber wo soll er hin? Ich kenne hier niemanden und selbst wenn – ich könnte niemandem vertrauen. Wer weiß, wer mit der CIP zusammenarbeitet.«

»Auch unter meinen Bekannten kann ich mir nicht sicher sein. Ich habe mich nie mit diesen oberflächlichen Leuten befasst; einige sprachen sich offen für das Quarterium aus, andere hielten sich bedeckt. Niemand wagte es, das System zu kritisieren, nicht in meiner Gegenwart oder der von Marvyn.«

Neve Prometh – für sie war vor wenigen Stunden eine Welt zusammengebrochen. Marvyn Mykke, ihr Freund, dem sie vertraute, hatte sie verraten, weil er noch immer seiner Familie hörig war und sich keine eigene Meinung bildete.

Sie hatte gehofft, ihn ändern zu können, doch sie hatte jahrelang versagt. Jetzt hatte sie sich endlich von ihm gelöst und in keiner besseren Situation als zuvor – auf der Flucht vor der CIP, zusammen mit Joak Cascal, Kathy Scolar und Vrank Asteroid. Diese junge Frau hatte alles bis auf ihr Leben verloren, das jetzt auch an einem seidenen Faden hing.

Cascal überlegte.

»Ich dachte an ein Sanatorium, ich habe von einem ganz in der Nähe gehört, das sehr gut sein soll. Dort sollte Vrank sicher sein.«

»Nein, das können wir nicht machen! Die CIP hat überall ihre Finger im Spiel. Sie würden ihn finden und foltern.«

»Aber er weiß doch nichts! Was soll er denn verraten?«, versuchte Cascal, sich durchzusetzen.«

»Ich teile Kathys Meinung. Wir nehmen ihn mit, auch wenn es schwierig wird. Niemand hat es verdient, von den Agenten gefoltert zu werden.«

»Aber nur, wenn wir ihn zurücklassen, können wir entkommen!«

Cascal rang mit den Händen, waren denn diese Frauen keinem vernünftigen Argument zugänglich?

Kathy verschränkte die Arme und sagte ernst: »Er kommt mit uns, sonst bleiben wir alle.«

»Ich bin Kathys Meinung. Und ich habe das restliche Geld.«

Cascal lachte trocken auf. Neves Argument zog nicht, denn ihr Geldvorrat war auf wenige Galax zusammengeschmolzen. Aber sie hatte Freunde nahe New Terrania City, die den Fliehenden vielleicht Unterschlupf gewähren konnten. Denn auch als Neve mit Marvyn verlobt war, hatte sie den Kontakt zu einigen älteren Bekannten nicht verloren. Zugegebenermaßen eine schwache Hoffnung, aber immerhin besser als gar keine.

»Also gut, wir nehmen ihn mit. Aber wir müssen alle aufpassen, mit ihm wird die Flucht deutlich schwerer.«

Die beiden Frauen waren einverstanden. Sie wollten den Weg fortsetzen, als Vrank sagte: »Wann gehen wir zurück zum Karl-Herbert Hoffmann Genesungsheim? Ich muss meine Bronchitis auskurieren.«

»Frag die beiden Damen, die können es dir sagen«, gab Cascal mürrisch zurück.

»Wann gibt es Kaffee, Kuchen und Kekse?« fragte Asteroid jetzt Neve und Kathy.

 

2. Die Jäger

Werner Niesewitz war erzürnt. Er war wütend über seine Leute, die kläglich versagt hatten, Cascal und Prometh in Gewahrsam zu nehmen. Jetzt mussten er und Cauthon Despair sich vor dem Emperador rechtfertigen. Durch das Fenster des Gleiters sah er das Regierungsgebäude von Paxus, welchem er sich rasch näherte. Es war ein imposantes großes Bauwerk, auf das gerade die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen.  Langsam bremste der Gleiter ab und senkte sich auf eine der größeren Terrassen hinab. Als er landete, erkannte Niesewitz die silberne Rüstung Despairs. Auch dieser schien soeben angekommen zu sein. Der Anführer der CIP stieg aus, und der Gleiter hob wieder ab.

Despair kam ihm entgegen.

»Ich begrüße Sie, ehrenwerter Cauthon Despair.«

Dieser verzichtete auf Höflichkeiten und kam gleich zur Sache.

»Haben sie Neuigkeiten bezüglich Cascal?«

»Wir sind ihm auf den Fersen. Nicht mehr lange und wir haben ihn und die Frau wieder in Gewahrsam.«

»Das hoffe ich um Ihretwillen, Niesewitz!«

Niesewitz ließ Despairs Drohung unkommentiert. Obwohl er einer der mächtigsten Männer des Quarteriums war, konnte er sich mit dem silbernen Ritter nicht messen.

»Der Emperador erwartet uns«, erklärte Despair schließlich. »Kommen Sie!«

Gemeinsam betraten sie das Haus. Ein Beamter geleitete sie zum Büro des Herrschers von fast ganz Cartwheel. Kaum dort angekommen wurden sie auch schon eingelassen.  Ein leicht verärgert wirkender Emperador de la Siniestro erwartete sie.

»Kommen wir gleich zur Sache. Wurden Joak Cascal und Neve Prometh schon festgenommen?«

De la Siniestro sah Despair an. Dieser drehte sich fragend zu Werner Niesewitz um.

»Nein. Zu meinem größten Bedauern noch nicht«, entschuldigte sich dieser verlegen.

 »Weiß man wenigstens, wo sie sich derzeit aufhalten?«

 »Wir sind ihnen auf der Spur. Nur noch eine Frage der ...«

»Keine Ausflüchte und leeren Versprechungen, Niesewitz«, unterbrach der Imperator ihn. »Ich will, dass die Beiden gefasst werden, bevor die USO darüber in Kenntnis gelangt.« 

»Ich bin mir sicher, die CIP wird sie nicht enttäuschen, Sir!«, erwiderte Despair sichtlich gelassen.

Dann blickte er zu Niesewitz herüber, der ganz und gar nicht so gelassen wirkte.

»Das hoffe ich auch. Immerhin stecke ich genug Gelder in diese Organisation.« 

»Aber natürlich, Emperador! Wir werden unser Bestes geben«, versicherte Niesewitz erneut und wollte es sich nicht wie ein leeres Versprechen anhören lassen.

»Davon gehe ich aus. Kommen wir zum nächsten Thema. Gestern

Abend bat mich Kaiser Commanus in einer Funknachricht um Unterstützung im Kampf gegen die Mächtigkeitsballung ESTARTU.«

»Was gedenken Sie zu tun, Emperador?«, erkundigte sich Despair.

»Ich werde aus diesem Grunde und auch wegen unseres Alienproblems ein Treffen aller Minister und Fürsten festlegen.«

»Wann soll die Zusammenkunft stattfinden?«

»So bald wie möglich. Umso länger wir warten, umso schlechter sind unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Ich würde sagen ... Moment!«

Der Emperador sah in seinem elektronischen Terminkalender nach und nickte dann. »Am ersten Juni wäre passend. Ich werde sofort einen meiner Sekretäre beauftragen, alles Nötige zu veranlassen und alle zu benachrichtigen. Und Niesewitz!«

»Ja, Sir?«

»Ich will bei unserem nächsten Zusammentreffen Erfolge hören oder ich werde mich persönlich um einen Nachfolger für Sie umsehen. Was dann aus Ihnen wird ...«

Niesewitz schwitzte nervös.

»Sie können gehen, Niesewitz. Despair! Sie bleiben bitte noch hier. Wir haben auch noch was anderes zu besprechen.«

Werner Niesewitz verschwand.

*

Siniestro lehnte sich zurück und starrte zur Decke. »Glauben sie an einen Erfolg der CIP?«

Cauthon ging zum Fenster und blickte in die Ferne. Er dachte an seinen Erzfeind Joak Cascal. Seit vierzehn Jahren verabscheuten sich beide gegenseitig. Cascal hatte Despair niemals seine Schandtaten bei der Mordred verziehen. Immer wieder hatte er den Silbernen Ritter mit Argwohn beobachtet.

»Wir dürfen Joak Cascal nicht unterschätzen. Setzen wir auch das

Mutantenkorps auf ihn an.«

Der alte Spanier stand auf und stellte sich neben Cauthon Despair. Beide betrachteten schweigend die Skyline von Paxus-City.

»So sei es«, beschloss der Emperador.

Despair verneigte sich und verließ das Büro des mächtigsten Mannes des Quarterium, der finster durch das Fenster blickte.

 

3. Die Herrscherfamilie

28. Mai 21:00 Uhr

 

Alle Siniestros fanden sich zur später Stunde im Schloss Madrid ein. Der Emperador legte sehr viel Wert darauf, dass beim Abendessen alle Familienmitglieder anwesend waren, sofern es möglich war.

Stephanie de la Siniestro war als letzte angekommen. Sie kehrte gerade von einem der Propagandafeldzüge zurück, die sie gelegentlich startete. Während des Essens diktierte sie einem ihrer Sekretäre noch die letzten Anweisungen.

»Wurde von den CIP Leuten schon festgestellt, warum der Firmenkomplex auf Sihdak explodierte?«

Der Sekretär tippte in seine Handsyntronik.

»Ja. Ein Versagen der Prallfelder war schuld. Wenn ein Blue namens Loilkt nicht eingegriffen und sich geopfert hätte, wäre der anliegende Stadtteil mit über 200.000 Einwohnern mit draufgegangen.«

»Wer weiß von dem Bericht?«, erkundigte sich die Schönheit plötzlich aufgebracht.

»Nur ein paar Männer der CIP.«

 »Also! Ich will, dass der Bericht geändert wird. Dieser Blue hat Schuld an der Explosion und ein Terraner der dort arbeitete, hat die Stadt gerettet. Des weiteren machen Sie Andeutungen, dass die USO vielleicht dahinter stecken könnte. Diesen geänderten Bericht übergeben Sie noch heute der Presse, so dass es morgen früh in aller Munde ist.«

Der Sekretär verneigte sich und verschwand.

Stephanie nahm sich zufrieden noch einen Teller Suppe.

Ihre Schwester Brettany starrte sie schockiert an, wagte es aber nicht, vor dem Emperador mit Stephanie über diese Lüge zu reden. Dieser legte sein Besteck zur Seite und wischte sich mit einem Tuch den Mund ab.

Dann sprach er. »Zu meinem Bedauern musste ich heute erfahren, dass bei dem Brand im Sanatorium ein Wahnsinniger entkommen ist, der sich für Joak Cascal hält.« 

»Joak Cascal? Aber der ist doch tot, Vater«, entgegnete Brett.

»Deswegen sagte er ja auch, es handelt sich um einen Wahnsinnigen, Schwesterherz«, erklärte Orlando sanft.

Stephanie schüttelte herablassend den Kopf.

Peter erkundigte sich: »Welche Nachteile bringt uns das, Vater?« 

»Sag du es mir, Sohn?«

»Na ja. Ich würde sagen, dass unter Umständen die USO auf ihn aufmerksam wird, in der Hoffnung, er könnte es doch sein. Die würden den angeblichen Cascal dann suchen. Das wiederum dürfen wir nicht zulassen, da die ganze Angelegenheit sich in unserem Hoheitsgebiet abspielt und wir somit Schwäche zeigen würden. Das heißt, es wird zu Kämpfen zwischen der CIP und der USO kommen.«

Peters Augen strahlten bei diesem kleinen Referat.

»Sehr gut, Peter. Bin stolz auf dich!«

»Danke dir, Vater«, erwiderte dieser stolz.

»Ich glaube nicht, dass die USO der Bevölkerung etwas absichtlich antun würde, Vater«, erklärte Orlando »Rosan Orbanashol-Nordment ist noch eine echte Dame. Sie ist hochanständig.«

»Bist du dir dessen so sicher? Deswegen wirst du dich mit dem alten Sato Ambush in Verbindung setzen.«

Orlando schaute seinen Vater fragend an.

»Er möge das Mutantenkorps bereithalten. Es könnte eine große Unterstützung für die CIP auf der Suche nach den Verrückten sein.«

Der Emperador erklärte seinem Sohn, dass dieser Cascal in Wirklichkeit den Namen Danny Mulder trug und in zwei ebenso verrückten Frauen Verbündete gefunden hatte. Der Leumund von Kathy Scolar war nie der beste gewesen. Der Emperador erklärte, dass wohl auch Neve Prometh nicht ganz richtig ticken musste, da sie sich mit diesem Mulder zusammengetan hatte.

»Ambush verweilt auf Terra. Er ist oft dort, seit Gründung des Quarteriums. Das ist aber kein Problem. Ich werde mich gleich morgen früh zu den Mutanten aufmachen.« 

Zufrieden nahm der Emperador wieder sein Besteck auf und aß weiter.

*

Am nächsten Morgen, der Emperador befand sich schon auf Paxus, saßen Stephanie, Brett und Peter beim Frühstück. Brettany sah den Zeitpunkt für richtig, um Stephanie wegen des vorigen Tages anzusprechen.

»Schwesterherz! Ich finde es unfair, den Blue als Verbrecher hinzustellen. Du etwa nicht?«

»Was meinst du?«, wollte Steph verwundert wissen, während sie ihr Glas Saft abstellte.

»Wie kannst du nur das Ergebnis der Untersuchung der Explosion auf Sihdak fälschen?«

»Ach das!«, lachte Stephanie. »Das ist Politik! Die Medien schreiben das, was dem aktuellen politischen Zeitgeist entspricht. Was dort nicht hinein gehört, wird geändert oder nicht erwähnt. Aber davon verstehst du nichts, Brett. Am besten du denkst nicht weiter darüber nach.«

Brettany wurde wütend und fauchte: »Was soll das heißen? Ich verstehe nichts? Glaubst du etwa, ich bin dumm?«

Stephanie hob abwehrend die Hände.

»Ganz ruhig. Das hab ich nicht gesagt. Ich meinte damit nur, dass du dich mit Politik nicht gut auskennst. Das hat überhaupt nichts mit deiner Intelligenz zu tun.

Es kommt auf das Wissen und die Erfahrung an. Du hast keine in Politik. Ich schon! Peter? Reichst du mir bitte die Butter rüber?«

Für Stephanie war das Thema damit erledigt. Sie begutachtete die Butter und erkundigte sich bei einer Dienstmagd, ob es fettarme Butter sei. Nachdem die Dienerin dies bestätigte, strich sie sich zart davon auf ihren Toast.

Brett suchte nach den richtigen Worten.

»Okay, vielleicht kenne ich mich in der Politik nicht aus. Aber ich höre auf mein Gewissen und das sagt mir, du hast Unrecht begangen!«

Jetzt mischte sich Peter ins Gespräch ein.

»Wenn alle nur auf das Gewissen hören würden, dann würde ich in Schlachten auf der Verliererseite stehen. Stell dir vor: Ich gebe einen Feuerbefehl auf ein feindliches Raumschiff. Mein Waffenleitoffizier weigert sich jedoch meinen Befehl auszuführen, weil er ein schlechtes Gewissen dabei hat. Das wäre Anarchie!«

Stephanie nickte zustimmend.

»Du findest es also in Ordnung, was Stephanie getan hat, Peter?«, hakte Brettany ungläubig nach.

Sie verstand die Welt nicht mehr. Ihre beiden Geschwister waren schon immer etwas gefühlsarm gewesen, doch so herz- und gewissenlos kannte sie die beiden nicht.

 »Ja, das finde ich in Ordnung. Manchmal muss man in Geschehnisse eingreifen und ändern, wenn es um das Wohle aller geht. Stephanie brauchst du noch das Salz?«

Brett sah ein, dass sie nichts erreichen konnte und gab auf. Sie spürte wie ihr die Tränen kamen, wollte aber keinesfalls, dass ihre beiden Geschwister das sahen. Mit den Worten »Habe keinen Hunger mehr« verließ sie eilig den Speisesaal.

*

Als Brettany sich auf dem Weg in ihre Gemächer befand, begegnete sie Orlando. Dieser merkte sofort, dass etwas nicht stimmte und sprach sie darauf an.

»Es ist nichts«, wehrte Brett ab.

»Ach, und warum kämpfst du dann mit deinen Tränen? Komm, setzen wir uns raus und du erzählst mir alles.«

Brett stimmte zu. Als die beiden draußen auf einer Bank saßen, brach ihr Widerstand. Die Tränen flossen in Strömen. Die junge Frau weinte sich an der Schulter ihres Bruders aus. Danach erzählte sie ihm, was sie belastete. Orlando hörte still zu. 

Mit »... dann habe ich den Speisesaal verlassen und bin dir begegnet«,  beendete  sie ihre Geschichte.

»Ich werde mit Stephanie darüber bei Gelegenheit reden. Ich halte das auch für unverantwortlich.«

»Und redest du auch mit Peter?« 

Orly nickte.

»Ja, das werd ich auch tun. Obwohl ich denke, dass ich ihn viel schwerer überzeugen kann. Das Militär ist sein Leben. Er würde alles tun, um immer als Gewinner dazustehen und sei es nicht gerade fair.«

Brettany musste ihrem Bruder Recht geben. Peter war so anders als sie beide. Er setzte mehr auf Gewalt als auf Diplomatie in gefährlichen Situationen. Sein Ruf war ihm sehr wichtig. Täglich ließ er Paraden seiner Infanterie durchführen. Dabei ließ er sich jedes Mal feiern. Sie fand, er war die falsche Auswahl für den Oberbefehlshaber des Heeres.

Zwar liebte Brettany ihn sehr als Bruder, aber seine brutale Art hasste sie. 

Brettany seufzte und blickte ihren großen, so edlen Bruder Orly an. Er gab ihr Halt, Liebe und Vertrauen.

»Glaubst du, dass wir sie dazubekommen können, ihre Ansichten zu ändern?«

Orly blickte verlegen zu Boden. Anscheinend hatte er selbst keine Ahnung.

»Ich hoffe es. So, aber jetzt muss ich aufbrechen. Vater hat mir gestern Nacht einen Auftrag erteilt. Kann ich dich alleine lassen?«

»Ja. Geh nur. Mir geht es schon wieder besser. Sehen wir uns heute Mittag wieder?«

»Ich werd versuchen, da zu sein. Wenn ich es nicht schaffe, entschuldige ich mich schon im Voraus.«

 

4. Das Mutantenkorps

Von der Verwaltung hatte Orlando de la Siniestro erfahren, dass die drei Mutanten in einem Lokal ihr Frühstück einnahmen.

Dort fand er die Drei auch vor und setzte sich zu ihnen. Es war lange her, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte. Auch wenn es Orly nicht zugeben wollte, sie hatten sich entfremdet. Sie waren verschiedene Wege gegangen. Orlando folgte dem Ruf des Militärs, die Mutanten blieben die, die sie waren. Zwar hatte ihr Mentor gewechselt, nachdem der Mausbiber Gucky wieder nach Terra zurückgekehrt war, doch in Sato Ambush hatten sie einen würdigen Nachfolger gefunden.

Doch auch der kleine Japaner hatte sich seit Gründung des Quarteriums von Orlando abgewandt. Orlando schätzte alle vier als Freunde und verstand nicht, warum sie sich so verhielten.

Die Begrüßung fiel unterkühlt aus.

»Ich habe einen Auftrag für euch,«  sprach er und bestellte nebenbei etwas zu trinken. 

Brad Callos schüttelte den Kopf. »Nein! Was es auch immer für ein Auftrag ist, wir werden ihn nicht annehmen.«

Orlando war für einen Moment sprachlos.

»Was ... Was soll das denn?«

 »Wir haben beschlossen, nach Terra zu ziehen,« erklärte Jeanne Blanc. »Aber das könnt ihr doch nicht machen. Wir brauchen euch hier. Warum wollt ihr denn weg?«

»Wir sind mit der Politik der Regierung und der Brutalität der CIP nicht einverstanden. Und wir haben Heimweh«, antwortete Callos.

Lane knurrte zustimmend.

Orlando verstand die Welt nicht mehr. Er spürte, wie ihm die Kontrolle der Drei entglitt. Auf keinen Fall durfte er das Vorhaben der Mutanten befürworten. Ihm fiel nur eine Lösung ein, um dem Ganzen wieder Herr zu werden.

»Ihr habt euch innerhalb zwei Stunden bei Cauthon Despair zu melden. Das ist ein Befehl! Dort könnt ihr ihm euer Ansuchen auf Kündigung ja unterbreiten.«

Aufgebracht sprang er auf, zahlte sein Getränk und verließ das Lokal.

*

Zwei Stunden später standen die Drei dem Silbernen Ritter gegenüber.

»Orlando de la Siniestro hat uns zu Ihnen geschickt. Wir wollen mit sofortiger Wirkung kündigen und unsere eigenen Wege gehen,« erklärte Jeanne als Sprecherin der Mutanten.

Despair stemmte die Hände in die Hüfte und musterte die Drei, die wie verlegende Schulkinder vor ihm standen.

»Ihr kommt zu mir, um zu kündigen? Einfach so?«

Von  Brad Callos kam ein zaghaftes  »Ja, so in der Art. Wir sind immerhin freie Menschen.«

»Irrtum!«, zischte Despair bedrohlich. »Ihr seit dem Quarterium verpflichtet und könnt nicht einfach gehen. Ich will nichts mehr von diesem Unfug hören. Oder wollt ihr, dass ich wütend werde?«

»Nein, Sir«, antwortete Brad eingeschüchtert.

Sie wussten, dass mit Cauthon Despair nicht zu spaßen war.

»Gut! Ihr werdet jetzt also einen neuen Auftrag erfüllen. Ihr werdet einen entflohenen, geistig kranken Terraner, der sich für Joak Cascal hält und eine Frau, die ihm bei der Flucht hilft, ihr Name ist Neve Prometh. Suchen und beide in Gewahrsam nehmen! Natürlich habt ihr die Unterstützung der CIP in dieser Sache. Noch Fragen?«

»Was ist an diesen Mann so wichtig, dass wir Mutanten und die CIP ihn suchen sollen? Das könnten ja auch die ansässigen Polizeikräfte erledigen«, erkundigte sich Jeanne Blanc.

»Die Tatsache, dass dieser Mann sich für den verstorbenen Joak Cascal hält, könnte die USO aufmerksam machen. Das kann wiederum zu Konflikten mit der CIP führen. Deswegen sollt ihr ihn finden, bevor es dazu kommt. Der hiesigen Polizei vertraue ich bei dieser heiklen Sache nicht. Zu leicht könnte was durchsickern.«

Mit diesen Worten überreichte er den drei Mutanten Unterlagen über die zwei Personen.

»Lasst euch nicht von diesem Mann täuschen. Wie ihr den Unterlagen entnehmen könnt, leidet er an einer Schizophrenie, durch die er glaubt, Joak Cascal zu sein. Mulder gilt als höchst gefährlich und unzurechnungsfähig. Er soll nach neuesten Untersuchungen auch den Brand im Sanatorium gelegt haben, von dem die Nachrichten berichteten. Warum diese Frau mit ihm geflohen ist, wissen wir noch nicht, aber es ist anzunehmen, dass sie unter seinen Einfluss steht und selbst geistig instabil ist.« 

Brad Callos blätterte mit den anderen die Schriftstücke durch.

»Weiß man, wo sie sich ungefähr auf diesem Planeten befinden?«

»Setzen Sie sich diesbezüglich mit Niesewitz in Verbindung. Er ist den beiden auf der Spur.«

 

5. Ein alter Bekannter

»Hallo, Onkel Derf!«

Der alte Mann zuckte zusammen, als er die weibliche Stimme vernahm. Seit ungefähr einer Stunde lag der pensionierte Lehrer auf einer Liege in seinem Garten und ließ sich sonnen. Dabei musste er wohl eingeschlafen sein, ohne es zu merken. Als er sich aufrichtete, um zu sehen, wer ihn mit »Onkel« anrief, erkannte er eine junge Frau, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte.

»Neve? Neve Prometh? Bist du das wirklich? Groß bist du geworden und erwachsen, wie man sieht.«

Neve war in Begleitung einer Frau und zwei Männern vor seinem Gartentor erschienen. Einer der Männer fragte um Kaffee und Kuchen, während der andere ihn strafend ansah. Derf Thomar kam auf die Vier zu und öffnete ihnen das Tor mit einer einladenden Geste.

»Ach, kommt doch rein. Hmm ... Kaffee hab ich natürlich und Kuchen müsste auch noch da sein. Einfach bei der Eingangtüre rein und dann rechts ins Wohnzimmer. Ich komm gleich nach. Bin nur schnell in der Küche.«

»Danke Onkel!«

Dann saßen sie alle und warteten auf Vrank Asteroid’s Kaffee und Kuchen. Joak sah sich nervös um.

»Ich wusste nicht, dass du einen Onkel hast, Neve.«

»Er ist auch nicht mein Onkel. Nur nannte ich ihn schon als Kind so. Er ist einer meiner Nachbarn von früher, der mir Nachhilfe für die Schule gegeben hat. Er ist dann nach Cartwheel gezogen und wir haben uns zufällig vor mehr acht Jahren das letzte Mal auf Mankind getroffen.« 

»Und du findest, wir können ihm vertrauen?«

Neve zuckte mit den Schultern.

»Ich denke schon. Sein Herz gehört Terra. Er ist ein ehrlicher, gutmütiger, alter Mann.«

»Wann gibt’s Kaffee und Kuchen?«, fragte wie schon unzählige Male zuvor Vrank.

Cascal versuchte auch dieses Mal wieder, die Kontrolle zu bewahren. »Gleich! Du hast ja gehört, dass wir dazu eingeladen wurden.«

Kathy Scolars Blick wanderte durch das Zimmer des Lehrers. Sie betrachtete das großzügig eingerichtete Aquarium interessiert. Eine Vielzahl exotischer Fische, von den verschiedensten Welten stammend, tummelte sich im Wasserbecken, welches von einer kleinen Syntronik gepflegt wurde. Verwundert registrierte Kathy, dass die Außenhülle aus Formenergie bestand und das Aquarium dadurch jederzeit vergrößert werden konnte. Neves Lehrer musste ein großer Fischliebhaber sein.

Sie trat näher an das Becken heran beugte sich nach vorne, um mehr Fische zu erkennen. Ein bunter, flacher Fisch zischte von links an ihr vorbei. Eine rote kleine Schnecke vergrub sich im Sand und ein krebsartiges Wesen versucht, eine Muschel zu öffnen.

 »Wahnsinn!«, murmelte sie. »So etwas werde ich mir auch mal zulegen.«

Derf kam mit einem großen Tablett aus der Küche. Darauf befand sich altes Keramikgeschirr. Nachdem er alle bedient und Asteroid sich mindestens zwanzig Mal bei ihm bedankt hatte, stellte der alte Mann die Frage, auf die alle gewartet hatten. Neve hatte zuvor mit den anderen ausgemacht, Derf die Wahrheit zu erzählen, da sie großes Vertrauen zu dem alten  Lehrer hatte.

»Also was hast du auf dem Herzen, Neve? Ich nehme Mal an, das ist kein Höflichkeitsbesuch«, fragte der Gastgeber freundlich.

Neve wusste nicht so recht, wie sie anfangen sollte.

 »Also das ist so. Ich habe mich an dich gewandt, weil ich große Probleme mit der Regierung habe. Um gleich mit der Wahrheit rauszurücken: Wir alle hier werden von der CIP gesucht.«

Derf starrte ungläubig die junge Frau an, die nervös an ihrem Kaffee schlürfte. Sollte das ein Scherz sein? Nein! Nicht, wenn er in die entschlossenen Augen des Mannes sah, der ihm gegenübersaß. Irgendwas stimmte nicht an dieser Gruppe.

»Ok, erzähl mir alles, mein Kind. Ich höre.«

Und Neve erzählte.

Ihr »Onkel« benötigte erst einmal einen kräftigen Schluck Vurguzz. Dann sprach er gefasst und ruhig: »Ich glaube dir. Obwohl ich anfangs das Ganze noch für einen üblen Scherz hielt. Um euch zu beruhigen: Ich werde euch nicht verraten.« 

»Danke!«, stieß Neve erleichtert hervor.

»Ich kann euch hier Unterschlupf gewähren, wenn ihr wollt. Im Keller ist ein versteckter Keller. Dort könnt ihr euch zur Not verstecken. Da ich aber so gut wie nie Besuch bekomme, könnt ihr euch auch hier im Haus frei bewegen.«

 »Bekomme ich Kaffee und Kekse?« 

»Vrank?«, warnte Cascal verärgert.

»Danke, vielen Dank!«

Derf kratzte sich verwirrt den Kopf. Hatte er ja doch gerade eben den Mann mit diesen Dingen versorgt.

Joak Cascal vergaß schnell wieder seine Wut und stand auf.

»Wir danke Ihnen, Mister Derf. Aber ich muss Sie auf jeden Fall darauf hinweisen, dass dies auch eine große Gefahr beinhaltet. Sollte die CIP ...«

»Das herausfinden, dann bin ich dran. Ich weiß. Jedoch muss euch ja irgendwer helfen, und wenn Sie wirklich Joak Cascal sind, ist es mir sogar eine Ehre, für Sie diese Gefahr einzugehen. Möchte wer von Ihnen einen Schluck echten Vurguzz? Der Händler schwört darauf, dass die Flasche aus Terra selbst stammt.« 

Joak grinste.

»Oh ja, gern. Das Angebot nehme ich gerne an.«

Auch Kathy konnte dazu nicht nein sagen. Neve und Vrank verzichteten.

 

6. Mutanten und C.I.P

»Ich finde wir sollten trotzdem versuchen, uns nach Terra durchzuschlagen«, murmelte Callos verärgert.

»Dieser Despair geht mit uns um, als wären wir seine Sklaven.«

Die drei Mutanten befanden sich mit einem Gleiter auf dem Flug zum Hauptquartier der CIP.  Dabei hatten sie es nicht eilig, dort frühzeitig anzukommen. Es gab auf dem Flug noch genug zu besprechen.

»Wir haben ja gesehen was geschieht, wenn wir offiziell versuchen, das Quarterium  zu verlassen. So kommen wir nie weg von hier.«

Blanc nickte zustimmend, während sie aus dem Fenster sah und in die weite Ferne blickte. »Da gebe ich dir vollkommen Recht. Also sollten wir es inoffiziell versuchen. Für was sind wir denn Mutanten?«

»Denk aber an Despair. Er wird jetzt ein Auge auf uns haben. Jetzt, nachdem er weiß, dass wir weg wollen.«

»Ja, da hast du höchstwahrscheinlich recht. Ich weiß sehr wohl, dass er uns nicht traut. Auch wenn ich keine Telepathin wäre, würde ich das wissen.«

Brad verzog die Mundwinkel.

»In diesem Falle ist das ja auch egal. Ob Telepathin oder nicht. Du kannst seine Gedanken sowieso nicht lesen, mein Schatz …« 

»Leider nicht«, seufzte Jeanne. »Also, was machen wir? Lane, hast du einen Vorschlag?« 

Wulf hob unschlüssig seine Schultern.

»Also nein. Brad?«

»Ich würde sagen, wir machen gute Miene zum bösen Spiel. Wir erledigen weiterhin schön brav unsere Aufträge und zeigen nach außen hin keinerlei Hinweise, dass wir weg wollen. So als ob wir uns damit abgefunden hätten, hier zu bleiben.« 

»Und dann, wenn wir es für den richtigen Zeitpunkt halten und die Chance sich ergibt, sind wir weg. Cauthon Despair wird dann blöd da stehen vorm Imperator,« ergänzte die Frau neben ihm und kuschelte sich mit geschlossen Augen an dem rechten Arm Brad Callos.

Welcher diese Zuneigung sichtlich genoss. Wulf gab ein zufriedenes Knurren von sich.

*

Eine halbe Stunde später erreichten sie das Hauptquartier der CIP.  Niesewitz ließ sie in Vorraum seines Büros nochmals 30 Minuten warten, bevor er die Mutanten zu sich rufen ließ. 

»Ich begrüße euch hier in meinem Reich. Tut mir leid, dass ihr solange warten musstet, aber ich musste noch was Dringendes mit den Arkoniden klären. Auf einem ihrer Schiffe hatten wir illegale Drogen gefunden und die Besatzung inhaftiert. Morgen schicken wir das Schiff mit einer Ersatzmannschaft nach Arkon zurück«, erklärte er. »Wie ich hörte, sollt ihr uns bei unseren Ermittlungen behilflich sein. Wir sind zwar schon kurz vorm Abschluss, aber wenn ihr wollt, könnt ihr mir ja bei der Untersuchung zeigen, wie gut ihr seid.«

»Wir werden unser Bestes tun. Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, wo sich die Gesuchten ungefähr aufhalten könnten?« 

»Wir konnten ihre Spur nach New Terrania  zurückverfolgen. Gerade eben hat ein Barbesitzer, ihm gehörte das Lokal "Zum braunen Blue" gestanden, die Zwei gesehen zu haben. Bedauerlicherweise ist uns der gute Mann bei der Befragung weggestorben«, erwiderte der kleine dürre Terraner.

Jeanne Blanc wollte sich über diese sinnlose Gewalt am Volk beschweren, Callos jedoch brachte sie mit einem Wink zum Schweigen.

»Ok! Dann werden wir jetzt mal aufbrechen und Sie benachrichtigen, sobald wir etwas wissen.«

»Einverstanden. Aber warten Sie bitte noch einen Moment. Ich gebe Ihnen etwas mit, das sie benötigen werden«, entgegnete Werner und verließ das Büro.

Callos grinste. »Das passt mir ja gerade hervorragend. Jeanne! Du kontrollierst die Gedanken der jungen Sekretärin, die draußen sitzt. Die müsste als Erste erfahren, wann Niesewitz wieder erscheint.«

Danach machte er sich an der Tischsyntronik zu schaffen. Blanc erstarrte und wurde bleich.

»Brad?«, fauchte sie erschrocken.

»Weißt du denn, was du da tust, verdammt? Wir befinden uns im Büro des Chefs der CIP und du hast nichts Besseres zu tun, als in Niesewitz’ Computer herumzustöbern. Was ist, wenn dabei Alarm ausgelöst wird? Dann können wir uns gleich selbst mit unseren eigenen Waffen töten. Wäre humaner!« 

»Keine Angst, Jeanne, Liebes! Ich weiß, was ich tue. Ich glaube nicht, dass Niesewitz denkt, dass jemand ihn in seinem Reich ausspioniert. Jetzt konzentrier dich lieber auf die Sekretärin. An was denkt sie?«

Jeanne konzentrierte sich und verzog angewidert das Gesicht.

»Ih!«

Callos sah fragend auf.

»Was ist?«

»Sie denkt an Niesewitz’ Ding.«

»Ding? Du meinst das Ding?«, fragte Brad und sah an sich runter.

Blanc nickte.

»Ja, das Ding. Sie hat so stark darüber nachgedacht, dass ich es bildlich vor mir sehe.«

»Und ist es äh ... du weißt schon, groß, das Ding

»Callos, wollen wir jetzt darüber diskutieren, ob deiner größer ist als seiner, oder willst du lieber die Zeit dafür nutzen, Niesewitz auszuspionieren?«, warf Lane mürrisch ein.

»Hast Recht,« meinte er und bearbeitete den Syntron.

Wulf war die ganze Zeit nur daneben gestanden. Doch jetzt lachte er. »Lane, mäßige dich. Soll ja nicht jeder wissen, was wir hier tun,« ermahnte Jeanne ihn grinsend.

Callos brauchte ganze zehn Minuten, bis er das Gesuchte gefunden hatte. Zufrieden brachte er alles wieder in seinem Urzustand und gesellte sich zu Lane und Blanc.

 »Also, um noch einmal auf das Ding ...«, begann der Teleporter, wurde jedoch von Jeanne unterbrochen.

»Still! Er kommt« 

Die Tür öffnete sich.

»Tut mir sehr leid, dass es lange dauerte, aber es gab Probleme mit der syntronischen Steuerung des Ausrüstungslagers. Aber jetzt hab ich das Gewünschte. Hier bitte, nehmen Sie. Mit diesen kleinen CIP-Geräten können Sie mit uns immer sofort Verbindung herstellen, ohne sich vorher mit Verbindungsmännern herumärgern zu müssen. Absolut abhörsicher«, erzählte der Chef der CIP und überreichte ihnen die kleinen Armbänder.

Nachdem er den Dreien die Funktionsweise erklärt hatte, wünschte er ihnen noch alles Gute und setzte sie vor die Tür. Dann nahm Werner hinter seinem Schreibtisch Platz und blickte nachdenklich auf den Syntron.  Kurze Zeit später lächelte er und rief nach seiner Sekretärin.

 

7. Schlafenszeit

Derf Thomar und Joak Cascal spielten Schach. Es stellte sich schnell heraus, dass der alte Lehrer ein ausgezeichneter Spieler war, wodurch Cascal schon zum zweiten Mal verlor. Vrank saß vorm Trivid und blickte fern. Kathy Scolar hatte sich ein Bad eingelassen und Neve schlief. 

»Wissen Sie schon, wie Sie von diesem Planeten runterkommen wollen, Mister Cascal?«

»Noch nicht, aber ich arbeite daran. Irgendwie werde – nein – muss ich es schaffen, mit der USO Kontakt aufzunehmen und diese davon zu überzeugen, dass ich Joak Cascal und nicht Danny Mulder bin.«

»Da kann ich Ihnen leider nicht helfen, obwohl ich gerne möchte.«

 »Sie haben uns schon mehr als genug geholfen, indem Sie uns Unterschlupf gewähren, Thomar.«

»Mag sein. Schach und Matt. Wollen Sie noch ein Spiel? Vielleicht gewinnen Sie dieses Mal.«

Cascal lehnte dankend ab.

»Nein, danke. Ich hoffe es ist nicht allzu unhöflich Ihnen gegenüber, wenn ich mich jetzt etwas hinlege. Aber ich war schon zu lange auf den Beinen.«

»Gehen Sie ruhig schlafen. Ich bleib noch etwas wach.«

Cascal streckte sich und verließ das Zimmer. Er hörte noch, wie Thomar Vrank Asteroid fragte, ob er mit ihm Schach spielen wolle und hörte Vranks berühmtes »Danke, vielen Dank!«

Joak schüttelte kurz den Kopf und ging in den Keller schlafen.

 

8. Alienhass

Slusa bog hastig in die Seitenstraße ab. Sie verfluchte ihre heutige Eingebung, unbedingt auf eine Demo für Rechte der nicht lemurisch abstammenden Intelligenzen zu gehen. Jetzt hatte sie das Problem, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte. Fünf junge terranische Männer hatten sie nach der Demo, die relativ friedlich abgelaufen war, abgefangen.

 Sie, eine junge Topsiderin, wäre hier unerwünscht. Sie müsse nur noch überzeugt werden zu gehen, erklärten sie ihr. Dann hatten sie das junge Mädchen geschlagen. Slusa aber war ihnen fürs Erste entkommen.

Blut rann von ihrer Stirn herunter. Eine Metallstange hatte sie am Kopf gestreift.  Den Schmerz am Knie unterdrückte sie.  Schon hörte sie wieder die Stimmen ihrer Peiniger näher kommen. Sie wusste, dass das Unausweichliche kommen musste. Von den Passanten um sie herum konnte sie keine Hilfe erwarten. Zu viel Misstrauen und Angst, Probleme zu bekommen, hinderte die Leute, ihr zu helfen. Wer half schon einer dahergelaufenen blutenden Topsiderin. Sie stolperte und fiel hin. Rappelte sich wieder auf und rannte um die Ecke, und dort war Endstadion.

Sackgasse! Keine Chance mehr, zu entkommen. Slusa sank schluchzend auf die Knie und gab sich auf.

*

»Nichts«, sagte Jeanne niedergeschlagen. »Ich kann keinen Danny Mulder telepathisch erfassen. Als hätte er einen Mentalblock.« 

»Oder er ist verrückt und denkt nicht normal. Glaubst du, man kann Verrückte schwerer telepathisch erfassen als Normale?«, fragte Callos.

 »Was weiß ich!«, zischte sie gereizt. »Sagst du uns jetzt vielleicht, was du in Niesewitz’ Syntronik gesucht hast?«

»Hast du es immer noch nicht herausgefunden? Es liegt doch auf der Hand. Wulf? Weißt du es?«

Hank Lane nickte und sagte nur ein Wort: 

»Arkon.«

Jeanne sah die beiden fragend an. Dann erhellte sich ihr Blick.

»Ihr meint das Raumschiff, das nach Arkon fliegt?«

»Genau das. Unser Flug in die Freiheit.«

»Und wie hast du dir das vorgestellt?«

»Morgen Abend um sechs Uhr wird das arkonidische Schiff in den Weltraum starten und ohne weitere Untersuchungen direkt in die Milchstraße fliegen. Sie werden keine Kontrolle mehr durchführen, weil das Raumschiff schon bis zur letzten Schraube untersucht wurde und bis zum Start stark bewacht wird. Man rechnet aber nicht mit einem Teleporter wie mir«, antwortete Brad. 

»Ok! Nehmen wir mal an, wir fliegen morgen. Was machen wir dann jetzt? Weiter ernsthaft nach diesem Mulder suchen?«

»Ganz genau. Nach Mulder suchen und auf keinen Fall blöd auffallen.« Wulf blieb stehen und schnüffelte.

»Was ist? Riechst du was?«, fragte der Teleporter.

»Angst, Blut.« 

»Jetzt spür ich auch Angst. Jemand hat gerade mit seinem Leben abgeschlossen«, sprach Blanc.

Callos horchte auf.

»Wo?«

Jeanne zeigte in eine der Straßen. Wulf verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Callos griff nach seiner Verlobten und teleportierte.

*

Slusa sah sie kommen. Einen kannte sie sogar. Sie hatte sich vor ein paar Tagen recht freundlich mit ihm unterhalten. Doch jetzt schien er wie verwandelt.

»Hallo, Topsi! Wir sind’s wieder.«

»Mann ist die intelligent. Rennt voll in eine Sackgasse. Naja, ist halt ’ne Echse.«

Lautes Lachen war die Antwort. 

»Na, wer prügelt sie zuerst windelweich? Ordo, du!«

Einer der Männer reichte dem Jungen, den sie kannte, die Eisenstange. Hoffnung kam in dem Topsidermädchen auf.

»Bitte nicht, Ordo«, flehte sie schluchzend den jungen Mann an. Dieser hielt kurz inne, doch seine Freunde stichelten.

»He, sag bloß, du kennst die Echse? Bist vielleicht auch einer von diesen

Alienbefürwortern?«

»Sag bloß, du wirst schwach wegen einer verdammten Topsiderin?«

Ordo hatte sich entschieden und trat Slusa in den Magen. Freudig schrien die Männer auf, als sie zusammenbrach. 

»Ja, Mann! Das ist es, Ordo. Jetzt mach die Schlampe fertig. Gib ihr den Rest!«

»Wetten, du schaffst es nicht, ihr den Schädel zu spalten?«

Ordo holte mit der Eisenstange aus und zielte auf den Kopf des Mädchens. Doch als er zuschlug, warf sich eine massige Gestalt auf Slusa und wurde mit voller Härte von der Stange erwischt. Ein lauter Wutschrei erklang in den Gassen.  Dann starrten die jungen Männer auf einen Bären von Mann, der die Echse unter sich begraben hatte. Langsam stand Wulf auf und renkte sich seine Schulter wieder ein. Die Männer fanden langsam wieder ihre Sprache und versuchten, sich gegenseitig Mut zu machen.

»Was willst du denn hier? Verzieh dich, Penner!«

»Ja, Mann! Das ist unsere Straße!«

»Geh aus dem Weg, oder willst du noch einmal mit der Stange Bekanntschaft machen?« 

Wulf spannte seine Muskeln an und knurrte.

Die Männer waren dadurch zwar eingeschüchtert, suchten aber bei ihren Messern Schutz, die sie alle bis auf einen zogen. Ordo hatte seine Eisenstange. Da erschien Brad Callos hinter Wulf und gesellte sich zu ihm.

»He das ist unfair, Wulf. Das sind ja nur fünf und die sind ja nicht mal ganz aus ihren Windeln raus. Du weißt, was du auf Durta angestellt hast. Denk daran. Du wirst schon auf acht Planeten wegen Mordes gesucht. Willst du wirklich wieder umziehen, Bruderherz?«

Die jungen Männer wurden unruhig. Ordo ließ langsam die Stange fallen. »He, Mann. Alles easy. Wenn du die Echse willst, dann nimm sie dir. Ok?«

Seine Freunde sahen ihn verblüfft an. Der junge Mann ging einige Schritte rückwärts. Callos entspannte sich, während Jeanne sich zu Slusa runterbeugte, um nach ihr zu sehen. Die anderen Männer machten noch keine Anstalten, zu gehen.

Brad sprach: »Ok, Jungs. Wenn ihr es unbedingt darauf anlegen wollt. Probiert es. Aber ich kann dann für nichts garantieren. Wulf wird euch alle Knochen einzeln brechen.«

Ordo lachte nervös. Er versuchte noch immer, seine coole Seite heraushängen zu lassen. Callos kannte das aus seiner Jugend.

»Wisst ihr denn überhaupt, wer ich bin?«, rief Ordo.

»Ein Junge, der sich Mädchen zum Quälen sucht, um anzugeben vor seinen Freunden«, fauchte Jeanne Blanc.

Ordo war kurz sprachlos. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. »Mein Name ist Ordo Hulter, Sohn von Eudil Hulter«, erzählte er, als sei damit alles gesagt.

»Ah ja? Ich hab auch einen Vater. Wie bringt uns das in der Sache jetzt weiter?«

»Mein Vater ist ein hohes Tier bei der CIP. Der lässt euch foltern, wenn ihr nicht sofort abhaut.«

Jeanne stand auf und legte den Kopf schief. Dann sprach sie.

»Nein! Tu das ja nicht.«

Brad runzelte fragend die Stirn. Doch da sprach sie schon weiter.

»Wage es nicht und greif in deine Jackeninnentasche.«

»He, Mann! Warum nicht? Darin sind meine Zigaretten. Will eine rauchen.«

»Wulf!«, schrie die Telepathin panisch.

Der junge Mann griff hastig in seine Innentasche und zog den Nadelstrahler hervor. Doch hatte er nicht mit einer Telepathin und Wulf gerechnet. Da war auch schon der ehemalige Profi-Wrestler bei ihm und brach ihm beide Hände, als wären es Streichhölzer. Die Waffe flog ein paar Meter und schlug auf dem Boden auf. Ordo brach winselnd zusammen. Seine Freunde ergriffen panisch die Flucht.

»Ich sagte doch bis morgen nicht auffallen,« murmelte Callos leise, so dass es nur Jeanne hören konnte.

 »Sorry, aber er wollte uns killen, nur um zu beweisen, wie cool er ist«, rechtfertigte sich Jeanne Blanc.

»Wie geht es der Topsiderin?«

»Sie wird es überleben. Schürfwunde an der Stirn, und der rechte Fuß ist etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie hatte großes Glück, dass sich Wulf dazwischen geworfen hat.«

Dieser entspannte sich und lief zu dem Mädchen, um nach ihr zu sehen. Slusa, die wusste, dass er sie gerettet hatte, umarmte Lane dankbar und weinte sich aus. Callos rief über den Funk nach den Polizeikräften, die bald danach erschienen. Obwohl der Junge erzählte, dass die Drei ihn einfach so angegriffen und misshandelt hätten, kam er damit nicht weit.

Denn ein Adjutant von Cauthon Despair erschien persönlich am Tatort und regelte alles. Wenn man versuchte, das Mutantenkorps zu killen, um vor den Freunden gut dazustehen, war das selbst Despair zu viel. Ordo konnte da noch so oft betonen, wer sein Vater war. Der Junge wurde abgeführt, dessen Vater zu in das Büro des Adjutanten bestellt und die Mutanten von ihm aufgefordert, sich endlich um den Auftrag zu kümmern.

*

Am nächsten Tag, noch vor dem Morgengrauen, waren Brad Callos, Wulf und Blanc wieder unterwegs auf der Suche nach diesem Danny Mulder. 

»War das eine Nacht. Hast du gewusst, wie wichtig wir dem Quarterium sind? Despairs Handlanger ist ja richtig ausgeflippt als er hörte, was der Junge versucht hatte«, schwärmte der Teleporter.

»Ja wir sind ihnen so wichtig, dass sie uns nicht einmal freiwillig gehen lassen wollten«, sprach Jeanne betrübt. 

»Da hast du auch wieder Recht. Hast schon was Brauchbares aufgefangen?«

»Nein noch nicht.«

»Ändern wir also wieder mal unseren Standort. Wie so oft.«

 

9. Zwischenspiel

Gegen Mittag befanden sich Cascal, Vrank, Scolar und Prometh im Wohnzimmer von Derfs Haus und speisten. Vrank fing an, sich über Luftprobleme zu beschweren.

»Mein Doktor für innere kranke Terra­menschenmänner sagte, ich brauche zu dieser Jahreszeit viel frische Luft.« 

»Ach ne! Warum denn das bitte?«, erkundigte sich Cascal gestresst. »Danke, vielen Dank!« 

»Hör endlich auf, dich andauernd zu bedanken. Das macht mich langsam fertig mit den Nerven. Kannst du nichts anderes sagen? Nein sag es nicht ... Nein ... Nein ... ok, sag es.«

 »Danke, vielen Dank!« 

»Wusste ich es doch!« 

»Ich brauch frische Luft!« 

»Es darf uns aber keiner sehen, das weißt du doch!«

»Danke, vielen Dank!« 

»Nichts zu danken, Vrank.« 

»Ich brauch frische Luft!«

»Vielleicht gehen wir heute Nacht etwas spazieren. Ich will mir sowieso die Umgebung genauer ansehen.«

»Danke, vielen Dank! Ich brauch frische Luft hat der Terramenscheninnenmanndoktor mir gesagt.«

»Vrank ich sagte ...«

»Wisst ihr was, ich geh mit Vrank in den anliegenden Wald spazieren. Ok?«, unterbrach Kathy die Diskussion.

»Danke, vielen Dank!«

»Hmm, ich weiß nicht so recht. Wenn man euch sieht?« 

»Wer soll uns schon sehen zwischen den vielen Bäumen. Ich glaube nicht, dass es gerade in diesen Stück Natur von CIP Leuten wimmelt. Außerdem will ich selbst auch raus in die Natur.«

»Tut mir leid, aber ich halte es trotzdem für viel zu gefährlich. Man soll sein Glück nicht herausfordern.«

»Fragt sich, was besser ist. Uns rauszulassen oder dir Vranks Gerede bis in die Nacht hinein anhören müssen?« 

»Ha! Das halte ich schon aus.«

»Danke, vielen Dank«, kam es wieder von Vrank.

Cascal ließ seinen Löffel fallen, atmete tief durch und sprach dann ruhig: »Soll ich euch Pausenbrote einpacken für den Ausflug?« 

»Kaffee und Kekse!«

»Dacht ich’s mir doch!« 

Derf Thomar lachte.

 

10. Eine Spur

Brad Callos hatte es schon nicht mehr geglaubt, als Jeanne Blanc endlich bestätigte, einen Hinweis gefunden zu haben. Die Drei befanden sich gerade in Zentrumsnähe der Großstadt, als die Telepathin zusammenzuckte.

 »Soeben habe ich die Gedanken eines Lebewesens ausmachen können, welches gerade den Namen Neve Prometh gedacht hat.«

»Wurde aber auch Zeit! Kannst du herausfinden, wo sich diese Person aufhält? Jeanne zeigte in die Richtung eines Einkaufzentrums.

»Irgendwo da drinnen.« 

»Na dann los. Brechen wir auf.«

Nachdem sie den Gleiter verlassen hatten, flog dieser ferngelenkt in einen der unterirdischen Parkhangars. Dort würde er solange warten, bis er ein spezielles Funksignal bekam, welches besagte, wieder seine Passagiere abzuholen. Wulf ging voran. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmassen.

Callos runzelte die Stirn.

»Wow. Hier muss es etwas gratis geben. Der Laden hier ist vollkommen überfüllt. Ich hoffe, wir finden die Zielperson in diesem Tumult.« 

Jeanne bekam einen starren Blick. Sie deutete nach oben, sagte aber nichts. Callos musste sie führen, da sie sonst gegen eine Mauer gelaufen wäre. Beim nächsten Antigravlift schwebten sie in den ersten Stock. Auf Brads Frage, ob sie hier richtig wären, verneinte sie. Erst in der dritten Ebene erklärte sie knapp »Hier irgendwo müsste er sein.«

Die Drei verließen den Schacht. Eine junge Frau kam ihnen entgegen. »Hallo, wollt ihr bei einem Preisausschreiben mitmachen?«

»Nein, keine Zeit«, gab Callos geschwind zurück.

Er wollte nicht, dass Blanc von der Frau abgelenkt wurde. Doch die gab nicht so schnell auf. Sie stellte sich vor die drei Mutanten. Und das, obwohl sie wusste, dass sie es nicht verhindern könnte, wenn dieser eine stark beharrte große Mann an ihr vorbei wollte.

»Aber wollt ihr nicht mal wissen, was ihr gewinnen könnt?«

»Ok, sag es schnell. Wenn es dir dann besser geht. Wir haben keine Zeit für so etwas.«

»Ihr müsst nur ein paar Fragen beantworten. Geht ganz schnell. Dann habt ihr die Chance, einmal in eurem Leben in einen Raum mit Cauthon Despair zu sein und von ihm ein Autogramm zu bekommen. Na, wenn das kein Gewinn ist. Was sagt ihr? Jetzt habt ihr doch sicher Zeit für mich,

oder?«

Callos blickte sie mit offenem Mund an. Wulf lachte laut los und Jeanne Blanc war für diesen Moment durch den Gewinn so abgelenkt, dass sie ihre Spur in den Massen der Menschen verlor.

»Oh ja, da wird mir schon ganz anders, nur wenn ich an den Gewinn denke«, meinte die Telepathin sarkastisch.

Dann wurde sie ernst.

»Wegen so einem Blödsinn hältst du uns auf? Such dir einen Job, der was einbringt. Und jetzt tritt zur Seite, sonst wird dir Wulf deine Gewinnlose sonst wohin stecken.«

Eingeschüchtert verschwand die junge Frau in der Menge.

»Oh Mann, wie mich so etwas aufregen kann!«

Callos sah Jeanne an, als hätte er einen Geist gehen.

»Was ist?«, fragte sie.

»Ich finde, du siehst wunderschön aus, wenn du wütend bist.«

 »Findest du? Aber lassen wir das jetzt mal. Ich hab den Mann verloren, wegen dieser Göre.«

»Dann setz dich mal dort vorne hin und entspann dich. Ich bin sicher du findest ihn wieder.«

*

Der besagte Mann war nur an die fünfzig Meter entfernt. Der Lehrer verhandelte mit einem Pflanzenverkäufer.

»Finden Sie nicht, dass dieser Preis an Wucher grenzt, guter Mann?«

Der Händler, ein Ferrone, schüttelte seinen Kopf.

»Keinesfalls. Das ist auch eine sehr seltene Pflanze, müssen sie bedenken. Allein schon dass aus einem Samenkorn ein Pflänzlein entspringt, waren zwanzig Jahre Pflege und Geduld notwendig. Dieses Exemplar aber ist immerhin sieben Zentimeter groß. Bedenken sie bitte - es gibt auf diesem Planeten nur noch zwei dieser Art, die größer als dieses hier sind.«

 »Und wie groß sind die?«, wollte Derf interessiert wissen.

Der Händler lächelte.

»Die eine ist elf Zentimeter groß und die andere, nebenbei gesagt die größte in ganz Cartwheel, 1,55 Meter. Von dieser Pflanze kommen auch die Samenkörner, da sie die einzige Pflanze in der Galaxie ist, die groß genug ist, um Blüten zu bekommen«, erzählte der Ferrone frei heraus.

»Interessant. Also das hab ich noch nicht gewusst,« gab Thomar offen zu. »Jedoch was sollte ich mit dieser Pflanze anfangen? Ich bin ein alter Mann. An was speziell soll ich mich den Rest meines Lebens an dieser Pflanze erfreuen. Dass sie bis dahin zwei Millimeter, wenn überhaupt, gewachsen ist?«

»Sie könnten das gute Stück dann weitervererben.«

»Da würden sich meine Verwandten aber freuen, wenn sie eine Miniaturpflanze bekommen würden, die so gut wie nie wächst.«

»Wenn sie die Pflanze schon nicht kaufen wollen, dann kann ich sie hoffentlich zu den Begonien dort drüben überreden. Kommen sie mit!«

Thomar folgte ihm. Ein viertel Stunde später waren sich beide über den Handel einig und zufrieden. Der alte Lehrer kehrte danach noch in ein Café ein und dachte nicht mehr an die Blumen, die er gekauft hatte. Diese würden am nächsten Tag bei ihm zu Hause eintreffen. Sorgen machten ihm viel mehr Neve Prometh und deren Begleitung. Thomar Derf schätzte Joak Cascal sehr. Nie würde er ihn an die Behörden verraten.

Auf die eine oder andere Weise wollte er den Vieren jedoch helfen. Wie, wusste er nicht. Wieder dachte er an Neve. An damals, wie sie noch ein kleiner Fratz gewesen war. Und an jetzt. Sie war eine erwachsene, schöne Frau geworden. Neve wäre seine Wunschtochter gewesen, dessen war Derf sich sicher.

*

Was Derf auf keinen Fall wusste, war, dass er durch seine Gedanken in diesem Moment Neve einer Telepathin auslieferte, die vor dem Café stand und die Süßigkeiten in der Auslage betrachtete.

»Ich weiß jetzt, wo sich dieser Mulder - Cascal und Neve derzeit aufhalten!«, erzählte Jeanne ihren Kameraden.

»Der alte Mann ist voll und ganz davon überzeugt, dass Mulder wirklich Cascal ist.«

»Aber uns kann dieser Mulder nicht überzeugen. Wir wissen, dass Joak Cascal tot ist.«

»Das ist sicher. Wie ist unser nächstes Vorgehen, Brad?«

»In vier Stunden fliegt das Raumschiff ab. Wir funken die CIP an, teilen ihnen mit, wo sie die Gesuchten finden und setzen uns danach ab.« 

»Nein. Besser wir nehmen die beiden gleich fest und rufen eine Stunde vor Abflug die CIP.  Despair ist dann zufrieden, mit etwas Glück mit den Gedanken bei diesem Mulder und schöpft keinen Verdacht, was wir vorhaben«, schlug Blank vor.

»Ich denke, du hast Recht. Zurzeit hat er sicher ein Auge auf uns geworfen und wird sofort eingreifen, wenn wir abhauen wollen. Da kommt ein kleines Ablenkmanöver gerade richtig. Mann, bin ich froh, wenn ich das hinter mir habe und im Raumer nach Arkon sitze.«

»Wir alle sind dann froh, Schatz.« 

Callos grinste müde.

»Also, bringen wir es hinter uns. Wulf, bist du bereit? Jeanne? Ergreift meine Hände und ... Äh, wo befinden die sich denn jetzt überhaupt?«

Die Telepathin lachte, teilte es ihm mit, und er teleportierte.

 

11. Kontakt

Joak Cascal wurde immer unruhiger. Wie ein gefangener Tiger streifte er durch das Haus. Kathy Scolar und Vrank Asteroid waren schon seit ein paar Stunden weg und hatten bisher kein Lebenszeichen von sich gegeben. Derf Thomar, der ältere hilfsbereite Lehrer, war im Zentrum der Stadt unterwegs, um dort Pflanzen für seinen Garten einzukaufen. Vrank und Kathy befanden sich im angrenzenden Wald. Er hoffte – nein, betete – dass Vrank mit seiner Art nicht irgendwelche Passanten aufmerksam machte.  

Neve Prometh hatte sich in ein Zimmer zurückgezogen, um für sich alleine zu sein.  Es gab zurzeit nicht die geringsten Anzeichen, dass man ihnen auf der Spur war. Dennoch fühlte Cascal förmlich, dass sich etwas anbahnte.

Er wusste nur nicht was. Und das machte ihn fast verrückt. Wieder einmal kam er auf seinem Streifzug an der Küche vorbei. Sein Blick fiel auf die volle Kaffeekanne. Seufzend holte er sich eine Tasse aus einem der Schränke und schenkte sich das heiße Getränk ein. Plötzlich nahm er rechts von sich ihm Augenwinkel eine Bewegung war. Neve hätte von links kommen müssen, wenn sie es gewesen wäre. Außerdem hätte er sie kommen gehört. Obwohl ihm der Schrecken durch die Knochen gefahren war, zwang er sich äußerlich zur Ruhe. Langsam schlürfte an dem Kaffee und tat als wolle er die Tasse wieder hinstellen. Bevor sie jedoch die Küchenplatte berührte, riss er seinen Körper nach hinten und schüttete das heiße Getränk auf die Person hinter ihm. 

Diese schrie erschrocken auf und wich fluchend rückwärts. Joak setzte augenblicklich nach und schlug seinem Gegenüber die Waffe aus der Hand. Ein gezielter Tritt in die Magengegend folgte, und sein Gegner sackte ächzend zusammen. Cascal bückte sich nach der Waffe. Er konnte sie aber nicht mehr erreichen, da er von der Seite gepackt wurde und durch den Türrahmen aus der Küche geschleudert wurde. Joak kam auf dem Boden des Esszimmers zum Liegen.  Leicht benommen und mit Schmerzen im Rückenbereich richtete er sich ächzend auf. Vor sich sah er eine Gestalt, die er von früher her kannte. Wulf! Gegen diesen Gegner hätte er im Kampf keine Chance. Ihm blieb nur eine Möglichkeit. Cascal musste den ehemaligen Profi-Wrestler davon überzeugen, dass er wirklich Joak Cascal war. Doch bevor er etwas sagen konnte, wurde er von einem Paralysestrahl erfasst und brach bewusstlos zusammen.

*

Jeanne Blanc war es, die geschossen hatte. Die Telepathin hatte dem Ganzen ein schnelles Ende bereiten wollen und im geeigneten Augenblick abgedrückt. Schnell eilte sie zu Brad, der sich am Küchenboden soeben erbrach.

»Oh, Schatz! Alles in Ordnung mit dir? Oh nein! Deine Hand ist ja ganz aufgequollen.«

Der Teleporter keuchte schmerzhaft und blickte auf seine Rechte. »Der ... Kaffee ... verdam ... heiß ...  Das brennt wie Feuer ...  Oh ist ... übel.« 

Jeanne versorgte Brad mit einer Salbe gegen Brandwunden, welche zum Inventar ihrer erste Hilfe Ausrüstung gehörte. Schnell erholte sich der Teleporter.

Das Übelkeitsgefühl, hervorgerufen durch den Fußtritt Mulders, ließ langsam nach. Die Telepathin erinnerte sich an die zweite Person, die sie festnehmen sollten.

Neve Prometh! Die war durch den Kampflärm aufgewacht, wusste jedoch nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Die Frau suchte nach einem Ausweg und hatte gerade entschieden, durch das Fenster in den Garten zu fliehen.

Leider wusste Neve nicht, dass jeder ihrer geheimsten Gedanken ein offenes Buch für Jeanne Blanc war, die sich noch immer in der Küche befand und sich um Brads Wohlbefinden sorgte.

Prometh öffnete leise das Glasfenster und sprang zwei Meter tief in die weiche Wiese. Kurz hielt sie inne und horchte. Doch alles war ruhig. Der angrenzende Wald gab ihr Hoffnung.

Sie könnte vielleicht Kathy und Vrank warnen. Leise schlich sie zum Zaun. Als sie ankam, ertönte hinter ihr eine weibliche Stimme.

»Geben Sie auf, Neve Prometh. Es ist vorbei!«

Erschrocken blickte Prometh zurück. Ein Riese von Mann und eine Frau waren aus dem Haus gekommen. Die Frau hatte eine Waffe auf sie gerichtet, während der bullige Mann abzuwarten schien.

»Sie können zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden, Neve. Entweder Sie ergeben sich und kommen wieder her oder ich werde sie paralysieren. Wie wollen Sie es?« 

Neve überlegte kurz und schätzte ab, wie weit sie kommen würde, kam aber zu dem Schluss, dass sie nicht fliehen konnte. Die Frau würde sie auf alle Fälle erwischen. Also ergab sie sich ihrem Schicksal und gab ihre Flucht auf. Sie machte sich Sorgen um Joak Cascal. Hoffte, dass ihm nicht zugestoßen war. Ihre Hände wurden mit energetischen Handschellen nach hinten gefesselt. Dann wurde Prometh mit dem noch paralysierten Cascal in den Keller gesperrt.

*

Brad Callos war wieder in Ordnung. Die Hand brannte zwar noch, aber die Verbrennung war nicht so schwer gewesen, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Es war halb fünf am Nachmittag.

Also noch 90 Minuten bis sechs.

»Hmm. Die Zwei haben wir also in Gewahrsam. Jetzt dürfen wir keinen Fehler machen. Wir rufen die CIP hierher, erzählen ihnen, dass wir uns zurückziehen und einen Bericht darüber für die Akten schreiben, welchen wir morgen vorlegen werden. Dann setzen wir uns ab und lassen diese Welt hinter uns.« 

Jeanne und Wulf nickten zustimmend.

»Jeanne, was konntest du über unsere Gefangenen herausfinden?«

»Der Mann scheint einen Mentalblock zu haben. Ich komm zu seinen Gedanken nicht durch. Diese Neve jedoch ist kein Problem für mich. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass Mulder Cascal ist. Angeblich ist Joak von Despair reingelegt worden, als er erkannte, dass der silberne Ritter ein Sohn des Chaos ist. Cascal wurde in ein Sanatorium für geistig Kranke gesperrt und als Danny Mulder ausgegeben. 

Da Joak unter Gedächtnisverlust gelitten hatte, war es für Cauthon ein leichtes Spiel gewesen. Nach dem Ausbruch hatte Joak mittels DNA-Test bewiesen, dass er es war«, erzählte die Telepathin.

»Du glaubst also auch daran, dass er Joak Cascal ist?«

»Ja, ich glaube jetzt auch daran. Aber um sicher zu gehen, müsste ich mal mit ihm reden.«

Brad seufzte.

»Na toll. Jetzt wird alles noch schwerer. Jetzt müssten wir also Cascal auch mitnehmen nach Arkon. Wir müssen uns schnell was ausdenken.«  Die Telepathin richtete sich auf.

»Zu spät. Die CIP ist hier. Sie fahren gerade vor.« 

»Was? Wie kommen die denn hierher? Woher wissen sie, wo Cascal ist?« »Von Derf Thomar persönlich. Sie haben ihn kurz nach uns aufgespürt und solange gefoltert, bis sie alles wussten.«

»Verdammt, wir müssen hier weg. Aber schnell. Ich teleportiere euch zum Raumhafen und hole Cascal und Prometh nach.« 

Wulf und Blanc ergriffen den Teleporter und alle drei verschwanden. Nur wenige Sekunden später erschien Brad ihm Keller des Hauses ergriff die zutiefst erschrockene Prometh und Cascal. Dann teleportierte er auf das Dach eines Hangars, der auf dem Raumhafen dem Arkonraumer am nächsten war.

 

12. Die Flucht

Roboter und Menschen führten die letzten Wartungsarbeiten vor dem Start aus. Blanc erfuhr aus den Gedanken der Arbeiter, dass die Nahrungscontainer noch nicht eingeladen waren. Dies teilte sie Callos mit. Neve war inzwischen von ihren Fesseln befreit worden. Cascal befand sich noch in Bewusstlosigkeit. Brad Callos teleportierte zwischen die Container und kontrollierte sie. Einer war nur zu drei Vierteln beladen.

Zufrieden teleportierte er zu den anderen zurück und erzählte ihnen sein Vorhaben.

»Ich werde uns in den einen fast vollen Container teleportieren. Er ist mit Pflanzen beladen. Also gibt es eine Luftzufuhr und Wasserversorgung. Wenn das Raumschiff erst mal gestartet ist, sehen wir weiter.« 

Die anderen waren mit dieser Entscheidung einverstanden. Also teleportierte er zuerst allein hinein. Als er sich von der Ungefährlichkeit im Inneren des Behälters überzeugt hatte, holte er die anderen nach.

*

Zehn Minuten vor Sechs setzte sich der Container in Bewegung. Zu dieser Zeit begann auch Joak Cascal, sich stöhnend zu bewegen. Nachdem er der Forderung Blancs nachkam, sie seine Gedanken lesen zu lassen, bestätigte sie den anderen Mutanten, dass er der wirkliche Joak Cascal sei. Brad erzählte ihm, was seit seiner Bewusstlosigkeit geschehen war und dass sie sich auf dem Weg nach Arkon befanden. Der Container kam zum Stillstand. Da piepste Brads CIP Gerät.

Alle sahen erschrocken darauf.

»Das Ding hatte ich vollkommen vergessen«, gab Callos zu.

»Was machen wir jetzt?«, flüsterte die Telepathin nervös.

»Am besten abheben und so tun, als wären wir noch in der Stadt und suchen nach Mulder. Wenn wir nicht abheben, wird man vielleicht dieses Gerät zu orten versuchen. Verdammt, wie konnte ich nur auf diese Dinger vergessen? Wir hätten sie gleich als wir sie bekamen entsorgen sollen.«

Er atmete tief durch und nahm den Anruf an.

»Hier Callos!«

»Hier spricht Cauthon Despair. Haben Sie die gesuchten Personen ausfindig gemacht?«

»Ja, haben wir. Leider sind sie uns jedoch entkommen. Aber wir sind ihnen auf der Spur. Weit können sie nicht sein. 

»Wo befinden Sie sich gerade, Callos?« 

Brad fing an zu schwitzen. Jeanne biss sich in ihre Lippen.

»Ich fragte: Wo befinden sie sich gerade, Callos?«

»Wir sind gerade mitten im Siniestropark«, log Brad. 

»Kommen sie unverzüglich in Niesewitz’ Büro.« 

»Das geht leider nicht. Wir sind diesem Mulder auf der Spur. Wenn wir jetzt zu Niesewitz kommen, verlieren wir ihn wieder.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

Stille.

Alle starrten auf Callos. Zögernd sprach dieser:

»Einstweilen ja. Wir kommen so bald es geht. Rechnen sie mit drei, vier Stunden. Dann sind wir da. Verstehen Sie bitte, Sir. Wir sind sicher, Mulder demnächst in Gewahrsam zu haben. Wenn wir jetzt zu Niesewitz kommen, dann ...«

»Machen sie sich das mit Niesewitz selbst aus.«

Eine neue Stimme erklang, eindeutig die des Angesprochenen.

»Hallo Callos, können sie mich hören?«

»Ja.«

 »Wie ist die Luft bei Ihnen?«

»Wie meinen sie das?«

 »Atmen sie mal tief ein und beantworten sie mir diese einfache Frage.«  Brad war irritiert.

»Wenn sie unbedingt wollen. Die Luft ist ...«

In diesen Moment überkamen ihm starke Schwindelgefühle. Er sah Jeanne vor sich schwanken und zu Boden fallen. Auch denn anderen ging es nicht besser. Selbst Wulf war davon betroffen. Brads Beine gaben nach. Bevor er den Boden berührte, hatte er das Bewusstsein verloren.

*

»Sie können den Container jetzt öffnen lassen, Niesewitz! Sammeln Sie diesen Abschaum auf.«

Ohne auf eine Antwort abzuwarten, verließ Cauthon Despair den Hangar. Von Anfang an hatte er gewusst, dass die Mutanten es versuchen würden. Deshalb hatte er ihnen eine Falle gestellt und sie waren darauf reingefallen. Despair hatte auch nichts anderes erwartet. Der Arkonraumer war eine zu große Verlockung gewesen. Man hatte den Teleporter sofort durch seine Psitätigkeit angemessen und bis zum Container zurückverfolgt. Der Rest war einfach gewesen. Der Sohn des Chaos hatte die Mutanten angefunkt und abgelenkt, während ein starkes geruchloses Betäubungsgas in den Container eingelassen wurde.

Zufrieden machte er sich auf, seinen Gleiter zu besteigen. Er musste ja auch noch schwierige Unternehmungen erledigen.

 

13. Hoffnungslosigkeit

»Vrank! Komm jetzt! Wir müssen endlich zurück. Cascal macht sich sicher Sorgen.«

»Danke! Vielen Dank!«

Kathy verlor allmählich die Geduld.

Vrank hatte einen kleinen Tümpel entdeckt, ein paar Meter neben einem Fluss, voller kleiner Fische. Und als sie ihm erklärte, dass diese bald sterben würden, da die Sonne den Tümpel allmählich austrocknen würde, wollte er unbedingt die Fische retten. Kathy konnte nicht mal verhindern, dass er ein paar Passanten ansprach, die ihm helfen sollten. Ein paar Kinder willigten ein und alle fingen an zu graben. Das Wasser des Flusses sollte einen Zugang zum Tümpel bekommen, so dass die Fische entfliehen konnten. Anfangs konnte selbst Kathy von Vrank eingelullt werden, zu helfen. Aber mit der Zeit wurde sie immer unruhiger. Da wurden sie von der CIP gejagt und hatten nichts Besseres zu tun, als ein paar kleine Fische zu retten, die sowieso vielleicht von Größeren im Fluss gefressen würden.

Endlich, als es auf sechs Uhr abends zuging, war Asteroid zufrieden mit seiner Arbeit bzw. der Delegierung der Arbeit und als die Kinder versprachen, ab und zu vorbei zu sehen, ließ er sich losreißen und folgte fröhlich Scolar. Doch als sie an den Waldrand kamen, sahen sie ein großes Aufgebot an Menschen vor Derfs Haus.

CIP Einheiten und einheimische Polizisten waren nicht zu übersehen. Sie zerrten die Bewohner aus den Nachbarhäusern, um sie zu verhören. Fluchend zog sie sich mit Vrank zurück, tiefer in den Wald.

Was sollte sie jetzt tun?  Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte man Cascal und Neve erwischt. Jetzt war sie auf sich alleine gestellt. Und auf Vrank Asteroid musste sie auch aufpassen.

»Wann gibt's Kaffee und Kuchen, Elvira?«, fragte Vrank zögerlich.

Doch sie gab keine Antwort. Sie spürte die Verzweiflung in sich hochkommen. Die Hoffnungslosigkeit wurde immer größer.

»Ich will Kuchen und Kekse, Evelyn!«

Sie würde Aurec nie wiedersehen. Am besten wäre es, sie würde sich gleich den Männern dort draußen ergeben.

»Wir haben niemanden mehr, Vrank«, schluchzte sie.

Asteroid dachte kurz nach. Dann erhellte sich sein Gesicht und er sprach »Ich habe viele Freunde und einen Mercedes. Nataly Opasli hat gesagt, es ist das schönste Fahrzeug, das sie je sah.« 

Kathy zuckte zusammen.

»Was hast du gerade gesagt?«

»Ich habe einen Mercedes!« 

»Oh Vrank, du hast mich gerade auf eine Idee gebracht. Es gibt noch jemanden, den ich versuchen kann zu erreichen. Du bist Gold wert.«

»Danke! Vielen Dank! Wann gibt’s Kekse?«

»Bald Vrank, bald. Zuerst muss ich versuchen, Nataly Jargon zu erreichen…«

 

14. Vor der Konferenz

Morgen war ein großer Tag für das Quarterium. Oder sollte er vielmehr sagen ein dunkler Tag? Der Emperador de la Siniestro fand in dieser Nacht zum 01. Juni 1305 NGZ keinen Schlaf. Zu sehr beschäftigten ihn die Themen des bevorstehenden Treffens, welches schlicht Paxus-Konferenz genannt wurde.

Es war viel mehr als nur eine Konferenz. In den nächsten Tagen würden sie ihre Planungen über die Artenbestandsregulierung vertiefen, neue Beschlüsse fassen und letztendlich die Durchführung der Entsorgung der Betroffenen beginnen.

Der Spanier wollte das nicht. Keine unschuldigen Wesen sollten sterben, aber sein Wille zählte nicht. So ironisch, nein sarkastisch, es war – aber der mächtigste Mann in Cartwheel hatte in dieser Angelegenheit kein Mitspracherecht.

Eigentlich hatte es niemand in Cartwheel, denn die Befehle zur Artenbestandsregulierung waren von Cau Thon gekommen. Seit der Sohn des Chaos ihn vor einem Jahr aufgesucht hatte, zermarterte der Emperador seinen Kopf, wieso die ABR so wichtig für MODROR war. Was bezweckte die finstere Entität damit?

Wenn es nach dem Emperador ging, würde man alle Staatsfeinde aussiedeln, in ihre Heimatgalaxien zurückschicken. Doch Cau Thon hatte den Befehl gegeben. Als Sohn des Chaos war der Emperador MODROR mit seinem Leben verpflichtet. Würde er MODRORs Befehle nicht ausführen, war sein Schicksal besiegelt. Das wollte der Spanier nicht. Zu sehr hing er an seinem Leben, der Macht und der Unsterblichkeit.

Dafür  nahm er das schlechte Gewissen in Kauf – auch wenn es ihn in jeder Nacht heimsuchte …

 

15. Mutanten

1.Juni 1305 NGZ, Paxus

 

Langsam und nachdenklich schritt Orlando de la Siniestro in den Hochsicherheitstrakt der CIP entlang. Hierhin hatte man seine Freunde aus dem Mutantenkorps, Wulf "Hank" Lane, Brad Callos und Jeanne Blanc sowie Joak Cascal und Neve Prometh nach ihrer Gefangennahme gebracht.

Orlando hatte eine Besuchserlaubnis verlangt und als Sohn des Emperador auch erhalten. Er konnte das Verhalten seiner drei Freunde nicht begreifen und hoffte durch ein Gespräch mit ihnen, sie besser zu verstehen.

Ein Aufseher führte den jungen de la Siniestro in einen extra abgesicherten Trakt, der eigens für die Mutanten eingerichtet und mit Parafallen abgesichert war, um jeden Fluchtversuch von vornherein auszuschließen. Der Wärter brachte Orlando in einen Besucherraum und bat ihn, Platz zu nehmen. Kurz darauf wurden Wulf Lane, Brad Callos und Jeanne Blanc hereingeführt. Eine durchsichtige Energiewand trennte die Drei von Orlando.

»Orly! Wie schön, dass du gekommen bist. Ich habe euch ja gleich gesagt: Orly hilft uns«, freute sich Brad Callos.

Doch sein Lächeln gefror, als er die abweisenden Gesichtszüge seines Freundes erblickte. Die drei Mutanten setzten sich auf die ihnen zugewiesenen Stühle.

»Wache, lassen Sie uns allein, bis ich Sie rufe«, befahl Orlando den Wächtern.

»Aber -«, wollte der Aufseher protestieren, doch der junge de la Siniestro duldete keinen Widerspruch.

»Kein aber. Tun Sie, was ich sage.«

»Wenn Sie die Verantwortung übernehmen, Sir.«

»Das tue ich.«

 Daraufhin verließen die Wärter den Besucherraum. Orlando musterte seine drei Freunde misstrauisch.

»Warum? Warum habt ihr mir das angetan?«

Wulf Lane schüttelte den Kopf.

»Das hat doch nichts mit dir zu tun. Wir sind unserem Gewissen gefolgt. Wie du weißt, beobachten wir schon seit längerem die Entwicklung in Cartwheel und die Vorgehensweise des Quarteriums mit Sorge. Als wir in New Terrania mit ansehen mussten, wie sich die CIP gegenüber unschuldigen Menschen verhielt, war für uns der Punkt gekommen, an dem wir uns entscheiden mussten.«

Abwechselnd berichteten die drei Mutanten über ihre Erlebnisse auf Mankind und über ihre Gefangennahme. Orlando hörte mit wachsender Ungeduld zu. Als die Drei ihren Bericht beendet hatten, schüttelte er verständnislos den Kopf.

»Auch wenn die CIP sich falsch verhalten hat, ist das doch kein Grund das Quarterium und damit mich und meinen Vater zu verraten. Dieser falsche Cascal ist eine Gefahr für den Staat und muss eingesperrt werden.«

»Dieser Mann ist Joak Cascal. Er wurde das Opfer einer Verschwörung auf höchster Ebene an der Werner Niesewitz, Diethar Mykke und Cauthon Despair beteiligt sind«, erklärte Jeanne Blanc eindringlich.

Doch Orly verdrehte nur die Augen.

»Die Verschwörungstheorie eines Verrückten. Und dafür lasst ihr alles im Stich. Der Mann sieht ja nicht mal aus wie Cascal und ist aus einem Irrenhaus abgehauen!«

»Sein Aussehen wurde verändert und sein Gedächtnis manipuliert. Doch Cascal war stark genug, um diese Intrige zu durchschauen. Aber selbst wenn du recht hättest und er nur ein Irrer wäre, warum sind die CIP und Cauthon Despair dann so massiv hinter ihm her? Warum fürchtet man an höchster Stelle einen angeblich harmlosen Verrückten?«, bohrte Brad Callos.

Darauf wusste Orlando auch keine Antwort.

»Ich bin sicher, die CIP hat ihre Gründe. Der galaktische Terrorismus ist überall. Sicherlich hätte man uns besser informieren sollen, trotzdem hättet ihr nicht so handeln dürfen.«

Jeanne sah ihn traurig an.

»Orly, du verstehst einfach nicht, was hier vor sich geht. Das Quarterium ist auf dem Weg zur totalitären Diktatur zu werden. Machtgier, Krieg, Rassismus und Einschränkung der Freiheit greifen immer mehr um sich. Darum sind wir gegen das Quarterium und darum bitten wir dich, uns zu helfen. Um unserer Freundschaft Willen bitten wir dich, uns zu befreien und mit uns zu kommen.«

Orlando war fassungslos. Wütend stand er auf.

»Das ist Verrat! Ihr wollt mich dazu anstiften, meinen Vater zu verraten!«

»Dein Vater ist für diesen Wahnsinn mit verantwortlich. Er hat das Volk von Cartwheel verraten!«, ereiferte sich Wulf Lane.

»Ich will nichts mehr davon hören! Euer Vorschlag ist ehrlos. Ich werde euch nicht zur Flucht verhelfen.«

Brad Callos warf ihm einen düsteren Blick zu.

»Dann sind wir schon so gut wie tot. Denke nur an die Leute von der IVANHOE. Die wurden nur durch Flucht gerettet, sonst wären sie hingerichtet worden. Genau das wird mit uns passieren, wenn du uns nicht hilfst.«

Orlando winkte unwillig ab.

»Unsinn, niemand wird euch hinrichten. Das Mutantenkorps ist viel zu wichtig für das Quarterium. Ich werde mich bei meinem Vater dafür einsetzen, dass ihr milde bestraft werdet. Das verspreche ich euch. Mehr kann ich nicht tun.«

»Dann lebe wohl, Freund«, sagte Callos bitter.

Orly rief die Wache und verließ mit einem unguten Gefühl das Gefängnis.

 

16. Die Konferenz (Beginn)

Nicht weit vom Gefängnis entfernt begann die geheime Paxus-Konferenz. Die mächtigsten Vertreter des Quarteriums aus Politik, Militär, Wirtschaft und Justiz versammelten sich, um die Zukunft der Völker Cartwheels zu besprechen und das weitere Vorgehen miteinander abzustimmen.

Uwahn Jenmuhs befand sich mit seinem Gleiter im Anflug auf das Regierungsgebäude. Begleitet wurde er von seinen Militärführern Admiral Terz da Escor, Generalmarschall Toran Ebur, General-Oberst Jodur Ta´Len Weron und General-Oberst Keitar Ma’Tiga Leson.

Jenmuhs blätterte interessiert in dem Konferenz-Programm.

*

Quarterium-Meeting auf Paxus vom 01.06-03.06 1305 NGZ

Tagesordnung

01.06.1305 NGZ

 

14:00 Uhr – Begrüßung und Vorstellung durch den Emperador de la Siniestro

 

14:30 Uhr – Weiteres Verfahren mit den Terroristen Joak Cascal und Neve Prometh

 

15:30 Uhr – Kaffeepause

 

16:30 Uhr – Haltung im Estartu-Konflikt

 

18:00 Uhr – Ende

 

19:00 Uhr – Gemeinsames Abendessen auf Einladung des Emperador.

 

02.06.1305 NGZ

 

10:00 Uhr – Gleichschaltung der Galaxis

 

12.30 Uhr – Mittagessen

 

14:00 Uhr – Imageverbesserung gegenüber anderen Mächten / Erfahrungsaustausch

 

15:30 Uhr – Kaffeepause

 

16:00 Uhr – Lösung der Alien-Frage

 

18:00 Uhr – Ende

 

19:00 Uhr – Gemeinsames Abendessen

 

20:00 Uhr – Geselliges Beisammensein auf Einladung des Emperador

03.06.1305 NGZ

 

9.00 Uhr – Gemeinsames Frühstück

 

10.00 Uhr – Abschließende Beratungen / Erfahrungsaustausch

 

13:00 Uhr – Ausklang und Abreise der Teilnehmer nach dem Mittagessen.

*

»Am besten gefallen mir die Pausen«, sagte Jenmuhs kichernd, als er das Programm zu Ende gelesen hatte.

 Als der Gleiter landete, halfen ihm seine Militärführer beim Aussteigen. Ächzend und schnaufend wuchtete sich der korpulente Arkonide aus seinem Gefährt.

Die Arkoniden begaben sich in das Innere des extra eingerichteten Konferenzgebäudes. Alles wirkte prächtig und kolossal wie in einem Herrensitz des terranischen 18. Jahrhunderts. Im Konferenzsaal hatten sich bereits Leticron und Torsor sowie die terranischen Vertreter versammelt. Das waren - Cauthon Despair, General Alcanar Benington, Generalmarschall Peter de la Siniestro, Finanzminister Michael Shorne, Justizminister Glaus Klink, CIP Chef Werner Niesewitz, CIP General-Kommandeur Stevan da Reych, CIP Oberst-Kommandeur Reynar Trybwater, Minister für die Alien-Frage Reinhard Katschmarek, Außenministerin Stephanie de la Siniestro, Minister für Arbeit und Wirtschaft, Diethar Mykke und natürlich der Gastgeber der Konferenz: Emperador de la Siniestro.  Sie alle verkörperten die Macht des Quarteriums.

Als die Anwesenden Platz genommen hatten, begrüßte sie der Emperador und würdigte jeden einzelnen der Konferenzteilnehmer für seine Verdienste für das Quarterium. Dann begann die Arbeit.

»Hiermit erkläre ich die Konferenz für eröffnet. Erster Punkt der Tagesordnung ist das weitere Verfahren der Terroristen Joak Cascal und Neve Prometh. Sie haben sich des Verstoßes gegen die quarteriale Sicherheit schuldig gemacht und stellen mit ihrem Wissen eine Gefahr für das Quarterium dar. Wir müssen nun entscheiden, wie mit ihnen verfahren werden soll«, sprach der Emperador.

»Umlegen, weiter mit dem nächsten Punkt«, meinte Leticron.

»Sofort töten«, schloss sich ihm Torsor an.

»Das ist aber nicht sehr zivilisiert und auch nicht rechtstaatlich«, gab Diethar Mykke zu bedenken.

»Ich stimme dem Minister zu. Einfach ermorden kann keine Lösung sein«, fand auch der Emperador.

»Außerdem ist es viel zu leicht. Sie sollen leiden. So sehr, dass ihnen der Tod wie eine Erlösung vorkommt«, meinte Uwahn Jenmuhs.

»Der Staat muss vor solchen Invaliden geschützt werden«, warf Reinhard Katschmarek ein.

»Individuen heißt das, Reini«, verbesserte ihn Niesewitz. »Sie sollen dafür büßen, dass sie mir und meiner CIP so viel Ärger gemacht haben.«

»Man sollte sie solange drillen, bis sie tot sind«, ereiferte sich Peter de la Siniestro, wobei er einen roten Kopf bekam.

»Mein Brüderchen hat recht. Schicken wir sie doch in unser neues Entsorgungslager - nach Objursha«, schlug Stephanie de la Siniestro vor.

»Hervorragende Idee! Dort können sie lernen, anständig zu arbeiten«, freute sich Katschmarek.

»Bis sie entsorgt werden«, ergänzte Niesewitz.

»Der Kommandant muss angewiesen werden, ihnen eine besondere Behandlung angedeihen zu lassen«, schlug Jenmuhs mit teuflischem Grinsen vor.

»Ich würde eine saubere, militärische Lösung bevorzugen. Sofortige standrechtliche Erschießung und der Fall ist erledigt«, meinte Terz da Eskor.

»Sie haben eben keine Phantasie, Admiral«, erwiderte Jenmuhs.

Auch Leticron schloss sich der Meinung des fetten Arkoniden an.

»Ich muss sagen, ein langsamer, qualvoller Tod gefällt mir auch besser als ein schneller.«

»Wenn Sie dieser Meinung sind, will ich dem nicht im Wege stehen«, erklärte Torsor nüchtern.

Der Vorschlag fand breite Zustimmung und wurde schließlich einstimmig gebilligt.

Werner Niesewitz hatte jedoch noch einen Punkt, der besprochen werden musste.

»Da wären noch die Leute aus dem Heim, in dem Cascal saß. Ich plädiere dafür, sie ebenfalls in Objursha zu entsorgen. Sie sind lästige Zeugen.«

»Und unwertes Leben noch dazu«, ergänzte Minister Katschmarek.

»Dann weg mit ihnen«, entschied Leticron.

»Oder hat jemand was dagegen?«, fragte er süffisant und blickte die anderen Konferenzteilnehmer an.

Der Emperador wollte zunächst moralische Bedenken äußern, verwarf diese Absicht jedoch wieder, als er bemerkte, dass alle anderen der Meinung des Überschweren waren. So wurde auch Niesewitz Vorschlag einstimmig angenommen.

Uwahn Jenmuhs rieb sich zufrieden die Hände.

»So, das hätten wir. Machen wir jetzt Kaffeepause?«

 

17. Die Jaarons

Mankind, New Turin

 

Es war ein dunkler, regnerischer Tag in New Turin und schien zur Stimmung der drei Personen zu passen, die sich in der Villa von Jaaron Jargon versammelt hatten. Aurec war zu Besuch bei Nataly Andrews, bei der sich auch Rosan Orbanashol-Nordment, die Leiterin der USO in Cartwheel befand. Sie und Aurec waren - abgesehen von dem Akonen Mirus Traban - die letzten demokratischen Vertreter in Cartwheel. Nataly sah nachdenklich aus dem Fenster.

»Du denkst an Jonathan, nicht wahr?«, erriet Aurec.

Nataly nickte.

»Ich mache mir Sorgen um ihn. Und ich vermisse ihn.«

»Es geht ihm bestimmt gut«, sagte Aurec einfühlsam.

»Bestimmt, Unkraut vergeht nicht und Jonathan schon gar nicht«, machte sie sich Mut.

Wenig später servierte Nataly Tee und die die Drei saßen zusammen und diskutierten über die Lage in ESTARTU.

»Die saggittonische Regierung und ich sind sehr besorgt über ESTARTU. Wir befürchten, dass sich das Ganze auf andere Galaxien ausweiten könnte, womöglich auch auf Cartwheel«, erklärte Aurec.

Rosan Orbanashol-Nordment, die Halb­arkonidin, nickte.

»Es ist besorgniserregend. Die Verluste der USO-Agenten in ESTARTU sind hoch - zu hoch.«

Rosan seufzte. Die Leitung der USO hier in Cartwheel, weitab von der Milchstraße, verlangte viel Verantwortung von ihr.

»Ich fürchte, dass der Krieg schon längst verloren ist. Die Dorgonen werden sich durchsetzen. Und sie haben die volle Unterstützung des Quarteriums. Was wird Saggitton tun, Aurec?«

Der Saggittone wirkte nachdenklich.

»Ich weiß es nicht - noch nicht.«

*

Als Aurec in sein Hotel im Zentrum von New Turin zurückgekehrt war, bekam er seinerseits Besuch. Es war Henry Portland. Erfreut begrüßte der Saggittone den Offizier.

»Flak, wie schön Sie wiederzusehen. Ich bin überrascht, Sie hier zu treffen.«

»Ich hörte, dass Sie ebenfalls hier zu Gast sind und wollte es mir nicht nehmen lassen, Sie zu treffen.«

Aurec bat seinen Gast herein und servierte Drinks. Dabei fiel dem Saggittonen etwas an Portland auf.

»Sie tragen nicht mehr die Uniform des Quarteriums. Das ist eine terranische Uniform, nicht wahr?«, erkundigte er sich neugierig.

Portland nickte zustimmend.

»Ganz recht, Sir. Das ist die Uniform der LFT. Ich habe sozusagen die Fronten gewechselt.«

Aurec gab Portland seinen Drink und setzte sich zu ihm.

»Ich kann mir denken, wieso.«

»Ich konnte mich nicht mehr mit dem Quarterium identifizieren. In den letzten Jahren hat das alles eine höchst unerfreuliche Wendung genommen. Anfangs hatte ich noch gehofft, es entstünde eine Art neues Solares Imperium, doch stattdessen driftet Cartwheel unaufhaltsam in eine Diktatur ab, und die Terraner haben ihren unrühmlichen Anteil daran«, erklärte Henry Portland.

»Und was machen Sie nun, Flak?«

»Aufgrund meiner Erfahrungen und meiner Kenntnisse der Verhältnisse innerhalb Cartwheels hat mich Resident Rhodan zum Militärattaché der LFT für Cartwheel ernannt. Ich habe meinen Amtssitz nun auf Mankind. Mein Besuch ist nicht nur privater Natur, ich hoffe auf gute Zusammenarbeit mit Ihnen und Saggittor.«

Aurec lächelte.

»Auf die können Sie zählen, Flak. Ich wünschte mir nur, DORGON würde sich endlich einmal melden und sehen wie schlecht sich die Dinge hier entwickeln. Das ist nicht mehr im Sinne dieser Entität.«

Flak Portland nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas.

»Und ich wünschte mir diese Entitäten würden sich endlich aus dem Leben der normalen Lebewesen heraushalten. Sie haben schon genug Schaden angerichtet, indem sie uns Normalsterbliche herum schieben wie Schachfiguren. Wir haben auch ohne die Kosmokraten und Superintelligenzen und deren Widerparts genug eigene Probleme.«

Aurec stimmte dem Terraner zu.

»Sie haben recht, aber ich fürchte diese Wesen haben schon eine Entwicklung in Gang gebracht, die wir nicht mehr aufhalten können.«

Portland sah den Saggittonen ernst an.

»Dann müssen wir uns, so gut es geht, dagegen wappnen.«

*

Zur gleichen Zeit kehrte Jaaron Jargon von einer Reise zurück, die er für Recherchen an seinen Chroniken gemacht hatte. Sein neuestes Kapitel handelte vom Quarterium, dem der alte Linguide äußerst kritisch gegenüberstand. Um sich ein Bild von der Stimmung zu machen, hatte er einige wichtige Planeten bereist und war zuletzt auf Paxus gewesen.

Nun war er froh wieder zu Hause zu sein, wo ihn seine Nichte Nataly herzlich begrüßte.

 »Schön, dass du wieder da bist, Onkel Jaaron.«

»Ja, mein Kind. Ich bin auch froh. In den eigenen vier Wänden muss ich wenigstens nicht diese ekelhafte Propaganda ertragen, die einem überall entgegenkommt. Die Medien werden immer mehr gleichgeschaltet. Die Menschen werden mit Geld, Macht und Titeln geködert und begreifen nicht, dass sie eines Tages die Zeche dafür zahlen werden«, sagte Jargon bitter.

Seufzend ließ er sich einem Sessel nieder.

»Die nichtmenschlichen Außerirdischen behandeln sie wie den letzten Dreck. Welch ein Wahnsinn. Daraus kann nichts Gutes entstehen. Aber kaum jemand traut sich etwas dagegen zu sagen. Dieser Lokalnationalismus hat die Leute aufgehetzt oder eingeschüchtert. Aber mich werden sie nicht beeinflussen. Ich bin der Chronist DORGONs und werde meine Pflicht tun und meine Meinung in den Chroniken niederschreiben.«

»Und was ist deine Meinung?«, fragte Nataly beunruhigt.

»Dass das Quarterium eine faschistische Diktatur ist, die von Verbrechern geführt wird. Allen voran dieser Blender, der sich jetzt Emperador nennt und seine Brut. Das Volk muss diesem Spuk ein Ende machen, bevor es zu spät ist«, ereiferte sich der alte Mann.

»Beruhige dich, Onkel Jargon. Du hast selbst gesagt, dass diese Leute gefährlich sind. Wenn du sie provozierst, kann das Leben hier sehr erschweren«, gab Nataly zu bedenken.

Doch Jargon blieb stur.

»Sie werden es nicht wagen, dem Chronisten Cartwheels etwas zu tun. Und einer muss schließlich die Wahrheit sagen. Außer mir und Speaky Mohlburry tut das ja keiner mehr.«

Beunruhigt ließ Nataly ihren Onkel allein. Sie fürchtete, dass ihr Onkel sich in Gefahr bringen würde. Wenn die Regierung des Quarteriums wirklich so skrupellos war, wie Jaaron befürchtete, würde sie auch nicht davor zurückschrecken, den Chronisten der Insel beiseite zu schaffen.

 

18. Die Konferenz (Fortsetzung)

»Wir kommen nun zu Punkt zwei der Tagesordnung: Die Haltung des Quarteriums im Estartu-Konflikt«, verkündete der Emperador. »Zusammen mit Gos’Shekur Jenmuhs, Corun Leticron und Torsor bin ich dafür unsere Freunde, die Dorgonen, begrenzt zu unterstützen.«

»Und wie soll diese Unterstützung aussehen?«, wollte General Benington wissen.

Cauthon Despair, der bislang geschwiegen hatte, erhob sich und antwortete auf diese Frage.

»Die Dorgonen werden finanziell und humanitär unterstützt. Das Quarterium erklärt sich bereit, dorgonisches Militär auf der Insel zu dulden, zwecks Handels und Reparaturarbeiten.

Außerdem werden keine Flüchtlinge aus ESTARTU aufgenommen.«

»Das ist doch alles Pippifax!«, regte sich Peter de la Siniestro auf. »Wir sollten mit unserer Flotte angreifen und den Dorgonen demonstrieren, wie gut unsere Armee ist, die von mir gedrillt wurde. Wir machen kurzen Prozess mit den Terroristen!«, redete er sich in Rage.

»Schwachsinn, der mal wieder nur von dir kommen kann, Bruder«, fuhr ihm seine Schwester Stephanie in die Parade.

»Was mischst du dich ein, Schwester? Frauen haben keine Ahnung vom Militär!«, schrie Peter.

»Aber von Diplomatie. Ein Eingreifen ohne Grund wäre nicht gut für unser Image. Solange keine Einmischung der LFT oder direkter Feinde des Quarteriums erfolgt, sollten wir keine Truppen in die estartischen Galaxien entsenden«, erwiderte Stephanie.

»Ganz meiner Meinung. Du wirst dich Stephanies Klugheit beugen, Peter«, entschied Don Philippe.

Damit war diese Frage geklärt. Mit Ausnahme von Peter stimmten alle Konferenzteilnehmer für den Vorschlag des Emperador und es wurde beschlossen, den Dorgonen vorerst nur finanzielle und logistische Hilfe zukommen zu lassen. Ferner behielt man sich vor, im Falle von Unruhen und Revolten der estartischen Völker innerhalb Cartwheels, Internierungen zum Schutz der Galaxis vorzunehmen.

 

19. Bürokratie

New Turin, 02.6.1305 NGZ

 

Nataly Andrews hatte Aurec verabschiedet, der nach Saggittor zurückgeflogen war, und fuhr anschließend in das Stadtzentrum von New Turin, um einige Besorgungen für ihren Onkel zu machen. Außerdem musste sie ins Rathaus, da ihre ID-Karte abgelaufen war. Zwar hatte Nataly schon vor Wochen eine neue Karte beantragt, doch sie wartete noch immer auf die längst fällige Zustellung. Die Halbterranerin ging in das Büro des zuständigen Sachbearbeiters und fragte erneut nach der ID-Karte. Der Beamte, ein korpulenter Mann mit schütterem Haar und knallrotem Gesicht sah die junge Frau nur verständnislos an.

»Die ist noch nicht fertig«, sagte er desinteressiert. Anscheinend war er ungehalten über die Störung.

»Ich warte nun schon seit vier Wochen auf meine Karte. Normalerweise müsste sie schon längst fertig sein. Ohne die Karte kann ich Mankind nicht verlassen«, erklärte Nataly wenig erfreut.

Der Beamte nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und verzog unwillig das Gesicht.

»Bäh, der Kaffee ist ja schon wieder kalt.«

Seufzend erhob sich der dicke Mann und bereitete sich neuen Kaffee zu. Die träge Art des Sacharbeiters brachte Nataly nur noch mehr auf.

»Wenn Sie in diesem Tempo arbeiten, kann es noch Jahre dauern. Solange kann ich nicht warten.«

Der Beamte glotzte sie irritiert an.

»Nun werden Sie mal nicht gleich frech, junge Frau. Wir tun was wir können und arbeiten hart. Sie bekommen Ihre ID-Karte, wenn sie fertig ist«, sagte er unfreundlich.

Nataly verdrehte die Augen und versuchte ruhig zu bleiben.

»Ich bin nun schon das dritte Mal hier und frage sie nochmals: Wann bekomme ich meine Karte?«

»Wenn sie fertig ist.«

»Wann ungefähr wird das Sein?«

»Weiß ich nicht.«

»Warum dauert das denn solange? Ist das Ganze denn überhaupt nötig?«

Der Beamte glotzte die Frau an, als sei sie geisteskrank.

»Der Gesetzgeber hat das nun mal so entschieden. So ist das, und nicht anders. Daran können auch hysterische, junge Frauen nichts ändern.«

Nataly beschloss, es mit Freundlichkeit zu versuchen.

»Entschuldigen Sie, ich bin sicher, dass Sie Ihr Bestes tun.  Vielleicht könnten sie ja mal einen Blick in ihre Syntronik werfen. Vielleicht ließe sich ja dann feststellen, wie lange die Angelegenheit noch dauert.«

Stöhnend ließ sich der Beamte in seinem Sessel nieder und tippte lustlos auf der Tastatur seiner Personalsynronik herum. Dabei sah er auf die Uhr, wobei sich sein müdes Gesicht auf einmal aufhellte.

»Mittagspause!«, freute er sich strahlend und schaltete die Syntronik wieder ab.

»Tut mir Leid, junge Dame, aber Sie müssen später wiederkommen.«

Nataly konnte es nicht fassen.

»Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Das hätte doch nur eine Minute gedauert.«

Der Beamte zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Vorschrift ist Vorschrift. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden.«

»Das lasse ich mir nicht bieten. Ich wünsche mit Ihrem Vorgesetzten zu sprechen - auf der Stelle!«

»Etwa den Gruppen-Kommandeur?«, fragte der Sacharbeiter gelangweilt.

»Ja, genau den.«

»Der ist beschäftigt.«

»Wahrscheinlich genauso wie Sie«, entgegnete Nataly sarkastisch.

»Also bitte, wie Sie wollen.«

Ächzend stand der Beamte aus seinem Sessel auf und führte Nataly in das Büro des Gruppen-Kommandeurs, dessen Rang dem eines Bürgermeisters gleichkam. In dem Büro saßen zwei Männer in ihren Sesseln. Beide trugen Uniform, waren klein von Statur und wohlgenährt.

Den einen kannte Nataly nicht, den anderen umso mehr - es war Ewald Kessel, ihr einstiger Vorgesetzter. Der Beamte, der Nataly hierher geführt hatte, sprach Kessel an.

»Die Frau hier will sich beschweren, Herr Gruppen-Kommandeur.«

Ewald Kessel erkannte Nataly Andrews sofort und warf ihr einen bitterbösen Blick zu.

»Sieh mal an, Miss Andrews. So trifft man sie wieder.«

»Was machen Sie denn hier?«, fragte Nataly unbehaglich, obwohl sie es schon ahnte.

»Ich bin der Gruppen-Kommandeur von New Turin und vertrete hier die Interessen des Quarteriums. Wie ich höre, stiften Sie wieder einmal Unruhe. Typisch Linguiden. Was wollen Sie denn?«, fragte Kessel höchst unfreundlich.

Am liebsten hätte Nataly wieder auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre gegangen, denn Ewald Kessel war so ziemlich der letzte Mensch, dem die Halbterranerin begegnen wollte. Sie erinnerte sich noch mit Unbehagen an die Zeit, in der Kessel ihr Vorgesetzter gewesen war. Doch einfach so nachgeben wollte sie nun auch wieder nicht.

»Ich versuche schon seit geraumer Zeit meine neue ID-Karte zu bekommen, doch dieser unhöfliche Mensch ist nicht in Lage mir mitzuteilen, ob sie endlich fertig ist und wann ich sie erhalte.«

Nataly deute auf den feisten Beamten, der sie unfreundlich ansah.

»Es war eine Minute vor der Mittagspause«, verteidigte sich der Sachbearbeiter.

»Der Mann hat nur seine Pflicht getan. Die Bestimmungen des Quarteriums gelten auch für Linguiden wie Sie, Frau Andrews, ebenso wie für Ihren senilen Onkel Jaaron.«

Bei den letzten Worten wurde der andere uniformierte Mann, der bislang geschwiegen hatte,  aufmerksam und erhob sich aus seinem Sessel.

»Verzeihung, wenn ich mich einmische, aber handelt es sich zufälligerweise um den Chronisten Jaaron Jargon?«, fragte er Nataly mit freundlichem Lächeln.

»Ja, ich bin seine Nichte.«

Das Lächeln des dicklichen Mannes wurde noch breiter.

»Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Ich bin Ronald Kreupen, der neue quarteriale Bezirks-Kommandeur für Mankind.

Bei diesen Worten ergriff Kreupen Natalys rechte Hand und küsste sie.

»Es ist eine Freude, eine solche strahlende Schönheit in diesem tristen Rathaus zu haben«, schmeichelte er. Dann wandte er sich an Ewald Kessel.

»Ich finde nicht, dass man die Nichte des ehrenwerten Chronisten Jaaron Jargon so behandeln darf. Veranlassen Sie bitte, dass ihre subalternen Mitarbeiter dem Wunsch dieser jungen Dame ungehend nachkommen. Schließlich wollen wir beweisen, wie effizient das Quarterium arbeitet und keinen schlechten Eindruck entstehen lassen«, sagte der Bezirks-Kommandeur zu dem sichtlich verdutzten Gruppen-Kommandeur.

Mit hochrotem Kopf wandte sich Kessel an den trägen Beamten und brüllte ihn an.

»Haben Sie nicht gehört, was der Bezirkskommissar gesagt hat? Setzen Sie ihren fetten Arsch in Bewegung und stellen Sie sofort die ID-Karte für Nataly Andrews aus!«

»Aber meine Mittagspause ...-«, versuchte der Beamte zu protestieren.

»Die ist gestrichen! Und alle anderen Pausen auch, wenn Sie nicht sofort meine Befehle ausführen!«, unterbrach ihn Kessel rüde.

Das brachte den Sachbearbeiter in Bewegung. Schon fünf Minuten später hatte Nataly ihre neue ID-Karte.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, zeigte sie sich Kreupen gegenüber dankbar.

»Indem Sie mir erlauben, Sie zum Mittagessen einzuladen«, antwortete der Bezirks-Kommandeur.

Normalerweise hätte Nataly eine solche Einladung ausgeschlagen, aber da sie Kreupen Dank schuldete, nahm sie an. Außerdem konnte es in Zeiten wie diesen sicher nicht schaden, wenn man einen Freund in der Regionalregierung besaß, besonders da er ein Vorgesetzter von Ewald Kessel war, der als Gruppen-Kommandeur durchaus Ärger machen konnte.

Kreupen lud sie in ein gemütliches Restaurant gegenüber vom Rathaus ein und erzählte ausführlich von sich. Ursprünglich hatte Ronald Kreupen als kleiner Verwaltungsfachmann für den TLD gearbeitet und durch erfolgreiche Tätigkeit während der Hauri-Krise 1298 NGZ war er befördert worden. Er trat der CIP bei und hatte es schließlich bis zum Bezirks-Kommandeur von Mankind gebracht. In dieser Tätigkeit war er für die polizeilichen und geheimdienstlichen Belange auf ganz Mankind zuständig. Kreupen war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er bezeichnete sich als Kunstliebhaber und als begeisterter Leser von Büchern und Gedichten.

»Ich bin ein großer Bewunderer ihres Onkels und seiner Werke. Sein Schaffen als Chronist der Insel ist beispiellos«, lobte Kreupen.

»Ich bin auch sehr stolz auf ihn. Aber ich bin auch ein wenig besorgt. Ich kenne Ewald Kessel von früher. Er ist uns nicht wohl gesonnen«, meinte Nataly.

Kreupen winkte lässig ab.

»Machen Sie keine Sorgen, verehrte Nataly. Ich, als Bezirks-Kommandeur garantiere für Ihre Sicherheit; ebenso für die Ihres Onkels. Ich hatte ein paarmal das Vergnügen bei seinen Vorlesungen anwesend zu sein und würde ihn gerne einmal wiedersehen, um mich mit ihm zu unterhalten. Wäre es möglich, ihn einmal zu besuchen?«, fragte er treuherzig.

Irgendwie gefiel Nataly dieser Mann nicht. Er wirkte aalglatt und sie war sich nicht sicher, ob seine Freundlichkeit echt oder bloß aufgesetzt war. Andererseits konnte sie ihn nicht vor den Kopf stoßen, denn wenn er es ehrlich meinte, konnten sie noch auf seine Hilfe angewiesen sein.

»Aber sicher doch. Wie wäre es, wenn Sie morgen zum Mittagessen zu uns kommen würden?«

Kreupen strahlte.

»Mit dem größten Vergnügen. Bis morgen Abend also.«

*

Nachdem Ronald Kreupen sich verabschiedet hatte, kehrte Nataly nach Hause zurück. Als sie ihren Gleiter vor dem Anwesen landete, fielen ihr zwei seltsame Gestalten auf, die vor dem Tor der Villa herumlungerten. Es waren eine Frau und ein Mann, der sich irgendwie unnatürlich bewegte und ständig seinen Kopf schüttelte, wobei er sich die rechte Hand vor das Gesicht hielt. Nataly hatte diesen Mann noch nie gesehen, aber die Frau kam ihr irgendwie bekannt vor. Als die Nataly erblickte, winkte sie ihr zu. Neugierig trat die Halbterranerin näher und erkannte schließlich die Frau. Es war Kathy Scolar.

»Kathy Scolar, was willst du denn hier?«, fragte Nataly völlig erstaunt.

»Bitte hilf uns. Ich muss unbedingt mit Aurec sprechen. Es geht um Leben und Tod!«, flehte Kathy Scolar.

Ehe sich Nataly versah, hatte ihr der Mann, der neben Kathy Scolar stand, einen Klaps auf den Hintern gegeben.

»Hallo, Süße! Gibt´s jetzt Kaffee, Kuchen und Kekse?«, fragte der seltsame Mann unschuldig.

»Was erlauben Sie sich! Wer ist das?«

»Das ist Vrank Asteroid, mein Begleiter. Er ist etwas verwirrt.«

Vrank Asteroid schüttelte den Kopf.

»Mir ist nur schwindelig. Ich will jetzt ins Rolf Köhler Genesungsheim und kuriere dort meine Bronchitis aus und am Freitag, dem Wonnemonat Mai fliege ich mit meinem Sternenzerstörer ins Auenland. Danke, vielen Dank!«

Nataly war sprachlos. So etwas wie Vrank Asteroid hatte sie noch nie gesehen.

»Es ist eine lange Geschichte. Es geht um Joak Cascal und die CIP. Dürfen wir reinkommen? Dann erkläre ich dir alles. Ich weiß nicht, wohin wir uns sonst wenden können.«

Nataly blieb skeptisch. Schließlich hatte Kathy Scolar nicht den besten Ruf. Sie hatte für MODROR gearbeitet. Diese schien ihre Gedanken zu erraten.

»Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber das ist vorbei. Ich bereue, was ich getan habe. Ich stand damals unter dem Bann MORDORS, doch jetzt bin ich frei. Ich habe wichtige Neuigkeiten für dich und deinen Onkel. Ich muss unbedingt Kontakt zu Aurec aufnehmen. Es geht um das Schicksal Cartwheels.«

Nataly überlegte einen Moment, dann entschied sie sich, die beiden mit hineinzunehmen und führte sie zu ihrem Onkel Jaaron. Der alte Linguide reagierte zunächst etwas verwundert auf die ungebetenen Gäste, als dann aber Kathy Scolar zu erzählen begann, hörte er gebannt zu.

*

Kathy schilderte ihre Erlebnisse im Heim, wie sie Joak Cascal getroffen hatte und wie sie zusammen mit ihm und Vrank Asteroid aus diesem Gefängnis entkommen war. Schließlich von ihrer Flucht quer durch Mankind, gejagt von der CIP und die Verhaftung von Cascal, Neve Prometh und den Mutanten.

»Und als sie Cascal und die anderen verhaftet haben, stand ich alleine mit Vrank da. Ich versuchte mehrmals mit Aurec Kontakt aufzunehmen, doch ich konnte ihn nicht erreichen. Ich wusste auch nicht, wie ich Kontakt zu USO herstellen sollte. Die Einzige, die mir noch einfiel, warst du, Nataly. Bitte helft uns. Ich befürchte, dass sie Joak und Neve umbringen«, schloss Kathy.

Nataly und Jaaron Jargon brauchten ein paar Minuten, um das Gehörte zu verarbeiten.

»Du, Alfred! Kann ich mal pullern gehen?«, platzte Vrank Asteroid in die gespannte Stille.

Nataly konnte nicht anders: Sie musste lachen, als sie den entgeisterten Blick ihres Onkel sah. Noch nie war ihr so ein seltsamer Mensch wie Vrank Asteroid untergekommen.  Nataly brachte den Wahnsinnigen zur Toilette, wo er auch prompt Platz nahm und laute Dankesgebete und Beschwörungsformeln von sich gab. Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, sagte ihr Onkel düster:

»Joak Cascal lebt. Ich kann es nicht fassen. Und ranghohe Politiker stecken hinter einer gewaltigen Verschwörung. Dies ist nur die Spitze des Eisberges. Ich habe es geahnt: Das Quarterium ist eine Täuschung, ein totalitäres Imperium, das einen intergalaktischen Krieg vorbereitet. Die Kriege und Repressalien gegen die Extraterrestrier Cartwheels sind nur der Anfang. Man wird alle Völker unterwerfen, bis das Quarterium ganz Cartwheel  beherrscht. Das Ausmaß all dessen ist noch schlimmer, als ich zu vermuten wagte.«

»Was sollen wir bloß tun, Onkel Jaaron?«

Der alte Mann dachte angestrengt nach.

»Man kann niemanden von der Regierung trauen, die stecken alle unter einer Decke. Wir müssen Aurec und Rosan Orbanashol informieren.«

»Zu dumm, dass Aurec und Rosan heute Morgen abgereist sind«, warf Nataly ein.

Kathy Scolar wurde hellhörig.

»Aurec war hier?«

Nataly nickte.

»Ja, du hast ihn nur um wenige Stunden verpasst.«

Niedergeschlagen schwieg Kathy.

»Wir müssen unbedingt Aurec und die USO informieren. Sie müssen Miss Scolar und ihren Begleiter von hier wegbringen. Auf Mankind sind sie nicht sicher«, meinte Jaaron Jargon.

»Ich werde Aurec augenblicklich benachrichtigen. Er ist ab morgen früh wieder erreichbar«, stimmte Nataly zu.

Sie wandte sich an Kathy Scolar.

»Bis Aurec kommt, können du und Vrank bei uns bleiben.«

»Vielen Dank, Nataly. Das vergesse ich dir nie«, versprach Kathy.

»Danke! Vielen Dank, Natascha, dass ich mit heruntergelassenen Hosen kacken durfte!«, blökte Vrank Asteroid herein.

 

20. Die Konferenz (Fortsetzung)

Nach einem ausgiebigen Frühstück versammelten sich die Konferenzteilnehmer erneut, um über das weitere Schicksal Cartwheels zu beraten. Punkt drei der Tagesordnung stand auf dem Programm: Die Gleichschaltung Cartwheels.

Diesmal hatte Uwahn Jenmuhs das Wort.

»Meine Herren, meine Dame! Nach der erfolgreichen Entwicklung des Quarteriums ist es nun an der Zeit auch die restlichen Gebiete, die ihm noch nicht unterstehen, dem Reich einzuverleiben. Auf diese Weise gewährleisten wir die Stärke und Sicherheit Cartwheels, denn solange die Alienvölker einen Gegenpunkt zum Quarterium bilden, ist Unruhe vorprogrammiert. Daher plädiere ich zusammen mit Leticron und Torsor dafür, die restlichen Sternensysteme innerhalb der nächsten Zeit zu besetzen und dort eine Quarteriumsregierung einzusetzen.«

Dieser Vorschlag fand breite Zustimmung bei den Konferenzteilnehmern. Es wurde beschlossen, den noch autarken Systemen am 15. Juni ein Ultimatum zu stellen, in dem sie aufgefordert wurden, sich innerhalb eines Monats in das Quarterium einzugliedern oder die Galaxis zu verlassen. Bei Nichtbeachtung des Ultimatums sollte mit Besetzung und Einsetzung einer quarterialen Regierung gedroht werden. Als offizieller Grund sollte angegeben werden, dass nur ein geeintes Cartwheel die Sicherheit und die Stärke der Galaxis gewährleisten konnte. Das Ultimatum sollte an die Blues, Vennos, Gurrads, Kartanin, Somer, Elfahder, Pterus und Ophaler gerichtet werden.

Die Völker Akons, der Thoregon-Allianz und Saggittors sowie deren assoziierten Völker sollten, aufgrund ihrer militärischen Stärke und Allianz mit der LFT, als einzige autarke Republiken vorerst toleriert werden.

 Die Militärs wurden aufgefordert, unter der Leitung von Admiral da Eskor Pläne zur Besetzung der genannten Systeme auszuarbeiten.

Damit wurde ein weiterer wichtiger Schritt zur totalen Unterwerfung Cartwheels getan.

 

 

21. Besuche

Nataly hatte Aurec über die saggittonische Botschaft eine Nachricht zukommen lassen, dass sein Kommen dringend erforderlich sei. Sie wagte nicht nähere Details bekannt zu geben, da man nie sicher sein konnte, wo die CIP ihre Leute hatte. Außerdem hatte Kathy Scolar darauf bestanden, dass sie mit Aurec persönlich sprechen wollte. Der Saggittone war zunächst verwundert so schnell wieder nach Mankind zurückzukehren, doch er ahnte, dass ihn die Jargons nicht ohne Grund um Hilfe baten und sagte sein Kommen für den Abend zu.

»Ich bin so froh, dass Aurec kommt. Jetzt wird alles gut«, zeigte sich Kathy Scolar erleichtert als sie in der Villa Jargon zusammen saßen.

»Es ist gut, dass er Sie in Sicherheit bringt, aber für Joak Cascal und die anderen befürchte ich das Schlimmste. Auch Aurec kann sie nicht aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Paxus befreien: Er kann ja nicht einfach so das Gefängnis besuchen und die Fünf mitnehmen«, meinte Jaaron Jargon skeptisch.

Bei dem Wort Besuch fiel Nataly plötzlich etwas ein.

»Meine Güte! Ich habe ganz vergessen, das dieser Ronald Kreupen heute zum Mittagessen kommen würde«, erschrak sie.

Jaaron Jargon blickte seine Nichte fragend an.

»Ronald Kreupen?«

Nataly erzählte ihrem Onkel von den Problemen, die sie tags zuvor im Rathaus gehabt hatte und bei deren Lösung Kreupen ihr behilflich gewesen war.

»Ich erinnere mich an Ronald Kreupen. Er war tatsächlich auf einigen meiner Vorlesungen und ich habe mich angeregt mit ihm unterhalten. Ein sehr sympathischer, intelligenter und kultivierter junger Mann. Wir können ihm so kurzfristig nicht mehr absagen«, meinte Jaaron.

Kathy Scolar war nicht so begeistert von dem, was sie das hörte. Sie befürchtete Schwierigkeiten.

»Einem Mitarbeiter der CIP möchte ich nicht unbedingt begegnen. Ich bin nämlich nicht der Meinung, dass diese Leute sympathisch und kultiviert sind«, warf sie ein.

»Man darf nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt auch dort vernünftige Mitarbeiter«, belehrte sie der alte Linguide.

»Ich finde, Kathy hat recht. Es ist besser, wenn Kreupen sie hier nicht sieht«, pflichtete Nataly der Terranerin bei.

Jaaron Jargon gab sich einsichtig.

»Sicher, mein Kind, sicher. Am besten, Sie und dieser seltsame Vrank bleiben im Gästezimmer, während wir mit Herrn Kreupen speisen.«

»Wir machen es so kurz wie möglich«, versicherte Nataly.

Kathy Scolar war nicht ganz wohl dabei zumute, im selben Haus mit einem CIP-Agenten zu sein. Am liebsten wäre sie auf und davon gelaufen, aber sie musste hier bleiben und auf Aurec warten, der in wenigen Stunden kommen würde.

»Also gut. Ich wünschte nur, Aurec wäre schon hier.«

*

Schon kurze Zeit später, nachdem Kathy Scolar und Vrank Asteroid in einem Zimmer untergebracht waren, das am weitesten vom Esszimmer gelegen war, erschien Ronald Kreupen, diesmal in Zivil. Er überreichte Nataly einen großen Blumenstrauß und beschenkte Jaaron Jargon mit einem Buch über terranische Philosophen. Der Alte zeigte sich überaus erfreut und bat zu Tisch. Er hatte seine Köchin angewiesen, terranische Spezialitäten zu kredenzen, sehr zu Freude Kreupens, der auch tüchtig zulangte.

»Lieber Herr Jargon, ein Kompliment an Ihre Köchin. So viel Gutes habe ich schon lange nicht mehr gegessen«, lobte er.

»Ach wirklich?«, fragte Nataly und sah sich dabei die wohlgenährte Figur Kreupens an.

»Ja, meine liebe Nataly. Wirklich ganz ausgezeichnet. Auch Ihr Haus ist sehr geschmackvoll eingerichtet. Man merkt gleich, dass hier ein Mann von hochstehender Kultur wohnt«, schmeichelte der Bezirkskommissar dem Linguiden, der dafür durchaus empfänglich war.

»Sie schmeicheln mir, mein lieber Ronald.«

»Aber nein, Sie sind einer der größten Geister Cartwheels. Nicht umsonst hat DORGON Sie zum Chronisten auserwählt. Eine Entität tut so etwas nicht ohne guten Grund«, meinte Kreupen.

Jaaron seufzte.

»Leider findet meine Arbeit nur noch wenig Beachtung in der Öffentlichkeit. Und die Regierung interessiert sich herzlich wenig für meine Meinung.«

»Oh, sagen Sie das nicht. Ich bin sicher, dass Ihre Meinung große Beachtung in den Medien und bei der Bevölkerung finden würde. Sie muss nur richtig dargebracht und Sie müssten professionell gemanagt werden.«

»Meinen Sie wirklich?«, fragte Jargon interessiert.

»Aber ja. Wir sollten uns öfters treffen und über eine Zusammenarbeit diskutieren. Ein Mann wie Sie - der Chronist der Insel - hat dem Quarterium viel zu geben.«

Nataly verfolgte unbehaglich, wie Kreupen ihren Onkel immer mehr einwickelte. Sie traute diesem aalglatten Mann nicht. Doch sie hatte momentan keine Möglichkeit Jaaron das zu sagen. Er und Kreupen unterhielten sich angeregt über Kultur und Politik.

*

Kathy Scolar war eingeschlafen. Die Müdigkeit hatte sie übermannt. Die Anstrengungen der letzten Tage und Wochen waren auch ziemlich groß gewesen. In dem Haus der Jargons fühlte sie sich, zum ersten Mal seit langem wieder sicher und geborgen. Als Kathy wieder aufwachte und die Augen aufschlug, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Die Tür stand offen und Vrank Asteroid war nicht mehr im Zimmer. Entsetzt suchte sie nach ihm. Was, wenn der Schwachsinnige dem CIP-Bezirkskommissar über den Weg lief?

 

22. Die Konferenz (Fortsetzung)

Nach einem üppigen Mittagsbüfett setzten die Konferenzteilnehmer ihre Sitzung fort. Thema war nun die Imageverbesserung gegenüber den neutralen Mächten außerhalb Cartwheels. Dazu erteilte der Emperador seiner Tochter Stephanie de la Siniestro, der Außenministerin und Pressesprecherin des Quarteriums, das Wort.

»Sehr verehrte Teilnehmer! Unsere Erfolge innerhalb Cartwheels in den letzten Jahren waren gewaltig, außerhalb Cartwheels jedoch steht man dem Quarterium misstrauisch gegenüber. Besonders die wichtigen Völker der Milchstraße, die LFT, das Forum Raglund und das Kristallimperium tun sich noch schwer mit unserer neuen Macht. Es gilt nun, ihr Misstrauen zu zerstreuen. Dazu sind folgende Punkte wichtig:

Das Quarterium muss dynamisch und stark aber auch friedlich erscheinen. Als geeintes Imperium, dessen Bevölkerung glücklich und zufrieden ist und optimistisch in die Zukunft blickt. Nichts, aber auch gar nichts, darf von unseren Maßnahmen zur Rassentrennung und Entsorgung unwerter Elemente an die Öffentlichkeit dringen. Im Gegenteil, es muss der Eindruck erweckt werden, dass der Emperador mit strenger aber auch gütiger und väterlicher Hand die nichtmenschlichen Völker regiert. Dies ist eine große Aufgabe für Sie und Ihre Mitarbeiter. Mein Informationsministerium steht Ihnen jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite.«

Die Teilnehmer äußerten ihr Einverständnis. Stephanie fuhr mit ihren Ausführungen fort.

»Um den anderen Völkern unseren Friedenswillen und zugleich unser perfektes System zu demonstrieren sollte das Quarterium eine intergalaktische Sport-Olympiade ausrichten. Am besten noch in diesem Jahr. Dort haben wir die Gelegenheit uns von unserer besten Seite zu präsentieren.«

Die meisten Teilnehmer waren von dieser Idee sehr angetan, nur Michael Shorne hatte Einwände.

»Haben Sie schon einmal daran gedacht, was uns das kostet? Dazu müssten wir die Steuern erhöhen, was uns nicht gerade populärer macht.«

»Betrachten Sie es als Investition in die Zukunft. Unsere vereinten Ressourcen dürften ja wohl problemlos ausreichen. Shorne Industries erhält dafür die Vermarktungsrechte an der Olympiade. Sie werden schon nicht zu kurz kommen, Michael«, erwiderte Stephanie unbeeindruckt.

Shorne hatte nun keine weiteren Einwände mehr.

»Diese Investition ist auch dafür da, interessierte Lemurerabkömmlinge nach Cartwheel zu locken«, fuhr Stephanie fort. »Wir können jederzeit neue Spitzenkräfte und sonstiges Menschenmaterial gebrauchen. Dazu müssen wir den Interessierten klarmachen, dass sie es hier besser haben als in der Milchstraße oder anderswo, weil man hier in Cartwheel sicher leben und mit einer guten Perspektive in die Zukunft schauen kann. Der Standort Cartwheel muss so attraktiv wie möglich gemacht werden. Danke, meine Herren.«

Die Konferenzteilnehmer bedachten Stephanie mit Applaus und nahmen ihre Vorschläge einstimmig an. Cartwheel sollte die prächtigste Olympiade ausrichten, die das Universum je gesehen hatte.

 

23. Der Irre

New Turin, Mankind

 

Nach dem ausgiebigen Mittagessen hatten sich Nataly und Jaaron Jargon mit Ronald Kreupen in den Salon gesetzt und genossen Kaffee und Gebäck. Kreupen nuckelte an einer dicken Zigarre und genoss diese sichtlich. Nataly gab sich nach außen witzig und charmant, sehnte aber innerlich den Augenblick herbei, in dem der Bezirks-Kommissar endlich gehen würde. Doch Jaaron merkte nichts davon und vertiefte seine Diskussionen über die kulturelle Entwicklung des Universums seit Anbeginn des Urknalls, mit Kreupen immer mehr. Nataly nahm gerade eine Tasse Tee zu sich, als sie den genommenen Schluck vor Schreck wieder ausspie.

»Guuten Taag! Gibt´s jetzt Kaffee, Kuchen und Kekse auf dem Tisch, auf dem Teller, auf dem Rand serviert? Danke! Vielen Dank!«, blökte Vrank Asteroid. Zu ihrem Entsetzen watschelte Vrank genau auf Ronald Kreupen zu.

»Herr Ober! Zwei Tassen Kuchen und drei Stück Kaffee bitte!«, verlangte der Schwachsinnige von dem sichtlich verdutzten Bezirks-Kommissar. Da Kreupen einen schwarzen Anzug trug, glaubte er wohl einen Kellner vor sich zu haben. Ohne eine Antwort Kreupens abzuwarten, griff sich Asteroid zwei Stück Kuchen und vertilgte sie laut schmatzend.

»Was ist das?«, fragte jetzt Kreupen sichtlich verwirrt.

Bevor Nataly zu einer Antwort ansetzen konnte, erschien auch noch Kathy Scolar, die auf der Suche nach Vrank war, im Raum. Die Halbterranerin reagierte geistesgegenwärtig.

»Darf ich Ihnen meine Cousine Karla vorstellen? Sie lebt auf Terra und ist zu Besuch hier.«

Kreupen erhob sich und begrüßte Kathy gentlemanlike mit einem Handkuss.

»Sehr erfreut, meine Dame.«

»Ebenfalls«, log Kathy.

»Ich hoffe, Sie bleiben länger hier in unserem wundervollen Quarterium.«

»Das habe ich schon richtig lieb gewonnen«, erwiderte die Terranerin zweideutig. »Aber ich muss bald wieder abreisen.«

Sie war erleichtert, dass der Bezirks-Kommissar sie nicht erkannte. Anscheinend wurde nach ihr und Vrank nach wie vor nicht gesucht.

»Oh, wie schade«, fand Kreupen.

»Hallo Klara! Hallo Eumel!«, rief Vrank Asteroid laut, der sich mit Kaffee und Kuchen voll gekleckert hatte und somit die Aufmerksamkeit des Bezirks-Kommissars auf sich zog.

»Ich dachte, sie heißt Karla. Und wer ist Eumel?«, wunderte sich Kreupen.

Vrank tippte ihn mit dem Finger an.

»Na du, Kalle! Danke, vielen Dank!«

Nataly versuchte die Situation zu entschärfen.

»Das ist Teddy, der hiesige Dorfdepp. Er ist leider geistig zurückgeblieben, seit er als Kind von einem Haluter umgerannt wurde. Wir haben Mitleid mit ihm und geben ihm manchmal etwas zu essen.«

»Verstehe«, sagte Kreupen und sah Vrank an, als er hätte ein fremdartiges Ungeheuer vor sich.

»Stimmt ja gar nicht, Nadine! Ich wohne im Rolf Köhler Genesungsheim und kuriere meine Bronchitis aus und am Freitag fahre ich wieder nach Hause mit meinem Mercedes-Gleiter, der unten in der Garage steht«, erläuterte Vrank ernsthaft und schüttelte dabei den Kopf hin und her.

Kreupen sah ihn misstrauisch an.

»Und wo ist dieses Rolf Köhler Genesungsheim?«

Vrank machte eine umfassende Geste und ruderte mit den Armen.

»Na hier, Jupp.«

»Verstehe«, sagte Kreupen knapp.

»Ja, ein tragischer Fall. Selbst heutzutage kann die Medizin nicht immer helfen«, warf Jaaron Jargon ein. »Seien wir dankbar, dass wir gesund sind.«

»Gewiss«, stimmte Kreupen dem Chronisten zu. »Leider muss ich jetzt aufbrechen. Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen und ihrer Nichte für Ihre exzellente Bewirtung.«

»Ach, wie schade. Ich hoffe, Sie besuchen uns bald wieder«, log Nataly lächelnd.

»Aber ganz bestimmt. Wir sehen uns bestimmt bald wieder«, entgegnete Kreupen. Nataly war sich nicht sicher, ob das als Höflichkeit oder als Drohung zu verstehen war.

Jaaron begleitete den Bezirks-Kommissar hinaus und machte ihm Komplimente über seine Tüchtigkeit und seine kulturelles Verständnis, während sich die beiden Frauen erleichtert hinsetzten. Vrank stopfte derweil die letzten Reste Kuchen in sich hinein.

»Wenn du noch einmal wegrennst, kriegst du von mir einen Tritt in den Hintern!«, drohte ihm Kathy Scolar an.

»Hoho! Drohe mir nicht so mit deinem Mund! Das hat der Arzt für Inneres verboten«, erwiderte Asteroid.

Kathy seufzte resignierend.

»Was bin ich froh, wenn ich diesen Schwachkopf nicht mehr sehen muss.«

Jaaron Jargon kehrte ins Zimmer zurück. Nataly sah ihren Onkel besorgt an.

»Meinst du, er hat was gemerkt?«

»Ich glaube nicht, Nataly. Aber wir sollten kein Risiko eingehen. Du fährst mit den beiden in unsere kleine Zweitwohnung in der Stadt und bleibst mit ihnen dort, bis Aurec eintrifft«, entschied der Chronist.

»Wann gibt´s was zu essen?«, fragte Vrank Asteroid laut.

 

24. Die Konferenz (Fortsetzung)

Die Paxus-Konferenz kam nun zu ihrem wichtigsten und heikelsten Thema: Die Lösung der Alien-Frage. Der Minister für Aliengleichschaltung Reinhard Katschmarek hatte das Wort erteilt bekommen. Katschmarek hatte viele Ideen eingebracht, die er aus einem der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte entnommen hatte. Er berichtete akribisch über die bisher gemachten Fortschritte.

»Unser hoch verehrter Finanzminister Shorne hat den Finanzhaushalt in Höhe von 550 Milliarden Galax für den Bau von insgesamt vier Entsorgungslagern, kurz ELs genannt, bewilligt. Zusätzlich werden weitere zehn Milliarden Galax für Personal und Betriebskosten bereitgestellt. Eine weitere Finanzierung findet durch die SHORNE INDUSTRY Gesellschaft statt. Die SIG wird durch Enteignung von Bankkonten, Immobilien und Wertgegenstände aller Art der von der Artenbestandsregulierung betroffenen Wesen entschädigt. Ich möchte an dieser Stelle dem Finanzminister für sein Entgegenkommen und seinen patriotischen Einsatz danken«, sagte Katschmarek sichtlich begeistert.

Shorne erhielt Applaus von den Konferenzteilnehmern und verbeugte sich knapp.

»Nichts zu danken«, sagte er selbstgefällig. Er war zufrieden, denn er machte ein gutes Geschäft dabei.

Katschmarek fuhr mit seinen Ausführungen fort.

»Das bestehende Internierungslager auf Objursha wird zum ersten Entsorgungslager ausgebaut. Der Umbau soll im nächsten Jahr beendet sein. Ebenfalls werden Carjulstadt und Davau umgebaut werden, wobei Carjulstadt als Vorzeigelager für mögliche Besucher verschönert werden soll. Jeder der das Lager besucht, wird sehen können, wie gut es dort den Bewohnern geht.«

Stephanie de la Siniestro hatte einen Einwand.

»Es ist wichtig, dass auf die richtige Kommunikation und Außendarstellung geachtet wird. Die Entsorgungslager müssen offiziell als Resozialisierungseinrichtungen dargestellt werden. Die Verlegung in die Lager werden als Umsiedlungen in autonome Gebiete und Ermöglichung einer friedlichen Koexistenz basierend auf ein differentes Lebensumfeld bezeichnet. Das ist sehr wichtig für die positive Außendarstellung des Quarteriums«, erklärte sie.

Uwahn Jenmuhs lachte keckernd auf.

»Das gefällt mir! Ihr Terraner habt wirklich Phantasie.«

»Wir werden Ihre Anordnungen umgehend ausführen, Frau Außenministerin«, versicherte Katschmarek devot. Dann fuhr er mit seinem Vortrag fort.

»Kommen wir nun zur Personalfrage. Die CIP gründet mit sofortiger Wirkung die Sonderabteilung II, die sich ausschließlich mit der Artenbestandsregulierung beschäftigen wird. Den Oberbefehl über diese Abteilung hat CIP-Chef Niesewitz, ihm stellvertretend folgen General-Kommandeur da Reych und Oberst-Kommandeur Trybwater, dessen spezielle Aufgabe der Bau der Entsorgungslager sein wird.

Im Übrigen ist bereits der Bau von zwei weiteren ELs geplant, und zwar auf Koshan und dem noch zu besetzenden Upanishad. Um Cartwheel möglichst schnell von den Feinden des Quarteriums und anderen unintelligenten Rassen zu befreien, werden in den Lagern Großkonverter aufgestellt, die bis zu 50.000 Lebewesen pro Tag entsorgen können.«

»Das klingt vielversprechend«, meinte Leticron zufrieden.

»Was ist mit dem Personal für die Lager?«, wollte Oberst-Kommandeur Trybwater wissen.

Daraufhin meldete sich Arbeitsminister Mykke zu Wort.

»Ich arbeite zurzeit, zusammen mit dem CIP-Beauftragten Krizan Bulrich, an den Stellenausschreibungen für die ELs. Jeder Mitarbeiter wird persönlich und sorgfältig ausgewählt werden, ob er für diese Aufgabe geeignet ist.«

»Pah! Wozu der Aufwand? Nehmt doch die Dscherro dafür«, meinte Uwahn Jenmuhs geringschätzig.

»Die Dscherro werden selbstverständlich den Kern des Wachpersonals bilden, jedoch müssen sie ordnungsgemäß geführt werden, da sie leicht zu Anarchie und Schlamperei neigen. Dazu bedarf es intelligentem - dem Quarterium absolut treu ergebenen Führungspersonals, welches die Lager akkurat leitet. Alles muss seine Ordnung haben«, erklärte Minister Katschmarek pflichtbewusst.

»Die besten und ordentlichsten Wesen im Universum sind nun mal Menschen«, warf Werner Niesewitz ein.

»Um die Artenbestandsregulierung sachgerecht ausführen zu können, müssen zuvor die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Dazu erteile ich unserem hochgeschätzten Justizminister Glaus Klink das Wort«, sagte Katschmarek.

Der unnahbare, steif wirkende Glaus Klink erhob sich.

»Danke, Minister Katschmarek. Mein Ministerium arbeitet zurzeit an der Änderung zur Aufhebung von Grundrechten für bestimmte Völker. Alle nichthumanoiden, unethnischen Wesen fallen darunter. Dies wären unter anderem Blues, Dumfries, Okefenokees, Galornen, Zentrifaal, Nonggo, Tasch-Ter-Man, Somer, Elfahder, Ophaler, Perlians und Unither.

Ausnahmen werden für Topsider, Pterus, Kartanin und Gurrads geltend gemacht.«

»Wieso Pterus? Und wenn wir die Thoregon-Völker als minderes Leben deklassieren, wie können wir denen dann Autarkie gewähren?«, warf Leticron ein.

»Ich habe einen Rassenkatalog erstellt«, erklärte Katschmarek. »Humanoide Rassen sind eine Stufe höher. Dazu zähle ich auch die so genannten Tierrassen, wie Gurrads und Kartanin. Aufgrund der Loyalität der Topsider gehören diese auch zu den höheren Rassen.«

Leticron erhob den Einwand, dass die Pterus nicht mit den Topsidern gleichzusetzen sein.

»Wir sollten die Pterus eine Stufe herabsetzen«, schlug er vor. Die anderen stimmten ihm bei. »Ebenfalls müssen wir die Thoregonvölker vorerst als gute Aliens ansehen. Zumindest solange sie noch nicht dem Reich einverleibt sind.«

Leticron grinste bei diesen Worten vielsagend. Niemand hatte einen Einwand.

Glaus Klink meldete sich wieder zu Wort: »Die Aussetzung der Grundrechte soll in mehreren Stufen erfolgen. Und zwar durch die bewusste Bevorzugung von Lemurerabkömmlingen bei Wirtschaft und Handel. Planetenarreste von Angehörigen der genannten Rassen. Hohe Besteuerung von Angehörigen der genannten Rassen. Geburtenkontrolle bei den genannten Rassen. Aberkennung des Grundrechts der Freiheit. Vertreter der genannten Rassen können als Diener und Sklaven verkauft werden. Dieser Verkauf findet vorerst nur über staatlich lizenzierte Händler statt. Internierung in Entsorgungs- und Arbeitslagern und Vorbereitung zur Entsorgung, wobei offiziell von um und Neubesiedelung die Rede ist.

Nach der Internierung und Deportation folgt die Entsorgung des unwerten Lebens, bis Cartwheel vollständig gereinigt ist«, erklärte Klink kalt und nüchtern.

»Ausgezeichnet«, lobte Leticron. »Auf diese Weise stellen diese Völker in Zukunft keine Gefahr mehr für die Vorherrschaft des Quarteriums dar. Ich erwarte, dass dieser Plan Punkt für Punkt umgesetzt wird.«

 »Dem schließe ich mich an. Ich ersehne, dass die Artenbestandregulierung rücksichtslos und effizient durchgeführt wird«, stimmte Uwahn Jenmuhs zu.

Auch Torsor meldete sich zu Wort.

»Sollten die Humanoiden zu weich für die Durchführung sein, stelle ich gerne einige Divisionen meiner Bestien zur Verfügung.«

Minister Katschmarek strahlte.

»Danke, meine Herren! Wir werden unsere Pflicht tun! Wir sind auf einer kosmischen Mission. In hunderten von Jahren wird die lemurische Menschheit mit Stolz an uns denken! Ich werde Ihr Vertrauen nicht enttäuschen«, rief er pathetisch.

Somit wurde die Artenbestandsregulierung amtlich beschlossen. Noch in diesem Monat sollte die zuständige Behörde von Reinhard Katschmarek  eingerichtet werden. Alle Teilnehmer waren heiter und zufrieden, nur der Emperador hielt sich zurück. Irgendwie war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass unzählige Lebewesen einfach so vernichtet werden sollten, doch er konnte nichts dagegen tun, ohne seine Position zu gefährden. Niemandem fiel auf, dass noch jemand schwieg - Cauthon Despair. Keiner wusste, was er unter seiner Maske dachte.

 

25. Wiedersehen

New Turin, Mankind

 

Nataly hatte Kathy Scolar und den anstrengenden Vrank Asteroid in ihr Appartement in der Stadt gebracht. Dort warteten sie bis zum Abend und ließen Vrank Asteroids nervige Sprüche über sich ergehen. Dann, als es dunkel wurde, summte es an der Tür. Die beiden Frauen erschraken, während Vrank Asteroid zur Tür trottete.

»Warte, Vrank! Lass mich erst zur Tür«, ermahnte ihn Nataly, doch es war schon zu spät. Asteroid öffnete die Tür. Am Eingang standen drei Männer, zwei davon bewaffnet. Der dritte Mann war Aurec.

»Guuten Taag! Gibt´s jetzt Kaffee, Kuchen und Kekse mit Messer und Gabel?«, fragte Asteroid den verwunderten Saggittonen, der nicht wusste, was er darauf antworten sollte.

»Aurec! Endlich bist du da!«, rief Kathy Scolar erleichtert und umarmte ihn. Dem Saggittonen war seltsam bei dieser Umarmung zumute. Solange hatte er Kathy nicht berührt, dachte sie wäre tot. Schnell gewöhnte er sich an ihre Nähe wieder.

»Kathy, ich bin so froh, dass du lebst«, sagte Aurec mit sanfter Stimme und war versucht, sie sofort zu küssen. Doch dafür war jetzt nicht die Zeit. Der Saggittone zeigte auf seine beiden Begleiter.

»Das sind meine besten Sicherheitsleute. Sie passen auf, dass uns nichts geschieht.«

»Hallo Albert! Kriege ich einen Keks?«, krähte Vrank Asteroid mal wieder dazwischen.

Der Saggittone sah ihn verwundert an.

»Wer ist das?«, fragte er Kathy.

»Das ist eine lange Geschichte.«

Kathy schilderte ihm ihre Erlebnisse von Anfang an bis zum heutigen Nachmittag.

Aurec saß auf der Couch und lauschte gespannt.

»Das ist ungeheuerlich. Sie haben Joak Cascal einfach aus dem Verkehr gezogen. Diese Verbrecher schrecken vor nichts zurück. Dies alles ist nur Teil eines großen, ungeheuerlichen Plans, dessen Puzzleteile sich allmählich zusammenfügen«, meinte der Saggittone.

»Wir müssen Joak Cascal unbedingt helfen«, meinte Nataly.

Aurec nickte.

»Ja, aber das wird nicht so einfach sein. Ich habe erfahren, dass die Mutanten ins Hochsicherheitsgefängnis von Paxus gebracht wurden. Dort werden sich auch Cascal und Neve Prometh befinden. Ich werde mich dazu mit Rosan beraten. Doch zuvor bringe ich Kathy nach Saggittor in Sicherheit«, entschied er.

»Wann gibt’s Kaffee, Kuchen und Kekse?«, fragte Vrank Asteroid.

»Was wird aus Vrank? Wir können ihn nicht hier lassen«, fand Kathy. Auch wenn ihr Vrank auf die Nerven ging, trug sie die Verantwortung für ihn.

»Wir nehmen ihn mit nach Saggittor. Dort wird man gut für ihn sorgen«, versprach Aurec.

»Komme ich ins Rolf Köhler Genesungsheim, wo ich meine Bronchitis auskuriere und am Freitag mit meinem Mercedes XL 500 Gleiter nach Andromeda in die Milchstraße fliege?«

Aurec klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Ja, du kommst mit uns. Dort gibt es einen wundervollen Ort an dem kriegst auch jede Menge Kaffee, Kuchen und Kekse, soviel du willst.«

»Danke, Antonio, vielen Dank.  Komme ich ins Rolf Köhler Genesungsheim, wo ich meine Bronchitis auskuriere und am Freitag mit meinem Mercedes XL 500 Gleiter nach Andromeda in die Milchstraße fliege?«, wiederholte Vrank stereotyp.

Aurec verzichtete auf eine Antwort und wies seine Männer an, Vrank mitzunehmen. Dann verabschiedete er sich von Nataly.

»Willst du nicht lieber mit uns nach Saggittor kommen?«

»Nein, danke. Ich glaube nicht, dass uns hier Gefahr droht. Außerdem kann ich meinen Onkel nicht allein lassen«, lehnte die junge Frau ab.

»Wir bleiben in Verbindung«, versprach Aurec.

»Vielen Dank für deine Hilfe«, bedankte sich Kathy.

Nataly nickte ihr zu. Man merkte ihr die Abneigung gegenüber Kathy noch an.

*

Man verabschiedete sich und fuhr zum Raumhafen. Kurze Zeit später befand sich Kathy in Aurecs Schiff auf dem Weg nach Saggittor. Endlich war sie in Sicherheit. Aurec besuchte sie in ihrer Kabine.

»Wie fühlst du dich?«, fragte der Saggittone.

»Wie neugeboren. Endlich konnte ich wieder mal für mich sein und baden. Es war fürchterlich im Heim. Dieser Gestank und diese kranken Menschen und dann diese ständige Flucht, die Angst erwischt zu werden ...«

Aurec berührte Kathy Hand.

»Jetzt hast du es überstanden. Du bist in Sicherheit.«

Aurec schwieg einen Moment, dann sagte er: »Kathy, ich liebe dich noch immer. Ich möchte, dass du meine Frau wirst.«

Sie starrte ihn überrascht an. Im nächsten Moment senkte sie beschämt den Kopf und blickte verlegen auf den Boden.

»Obwohl ich dich verraten habe? Ich bin deiner nicht würdig.«

»Denke nicht mehr daran. Ich habe dir längst vergeben. Als ich erfuhr, dass du noch lebst, schwor ich mir diese zweite Chance, die uns das Schicksal gewährt hat, nicht zu vergeuden. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du meine Frau wirst.«

Kathy umarmte Aurec innig. Leidenschaftlich küssten sie sich.

»Das wünsche ich mir auch, Aurec. Ja, ich will deine Frau werden.«

In diesem Moment verschwanden alle Probleme und es gab nur noch sie beide.

 

26. Die Konferenz (Fortsetzung)

Am Abend, nachdem die wichtigsten Beschlüsse der Konferenz gefallen waren, saßen die meisten Teilnehmer im Palast in trauter Runde und beglückwünschten sich. Bis auf Leticron, Torsor und Despair, die von solch geselligem Beisammensein nichts hielten, waren alle gekommen. Der Emperador hatte sich jedoch schon rasch wieder verabschiedet, so dass der nun der Rest der Teilnehmer es sich gemütlich machte und den Alkohol in Strömen fließen ließ.

»Ich muss sagen, die Konferenz war echt toll. Ein großer Erfolg für das Quarterium«, fand Reinhard Katschmarek gut gelaunt.

»Jawohl«, stimmte Werner Niesewitz seinem Kumpel zu. »Das Schicksal hat uns aus allen Winkeln und Zeiten des Universums zusammengeführt und uns dazu ausersehen dem Universum eine neue Ordnung zu geben«, schwärmte der CIP-Chef.

Diethar Mykke blickte ihn skeptisch an.

»Manchmal frage ich mich, ob wir wirklich das Richtige tun. Die Artenbestandsregulierung kann uns den Kopf kosten, wenn das herauskommt.«

Niesewitz und Katschmarek sahen ihn böse an, was Mykke nicht entging.

»Äh, ich meine, das kann leicht missverstanden werden«, ruderte er zurück. Der Arbeitsminister hatte zwar Bedenken an der Sache, aber deswegen wollte er sich nicht mit den anderen streiten und seinen Posten und seinen Status gefährden.

»Aus diesem Grund halten wir es ja vorerst geheim«, belehrte ihn Niesewitz.

»Im Übrigen wird Geschichte immer von den Siegern geschrieben. Wenn wir verlieren, wird man uns verteufeln, aber wenn wir gewinnen - und das werden wir - wird man eines Tages unsere Leistung zu würdigen wissen.«

Reinhard Katschmarek pflichtete seinem Freund bei.

»Genau, denn was wir tun, tun wir damit die kommenden Generationen besser haben als wir und in Frieden und Wohlstand leben können. Die ganze Misere liegt doch an den vielen Außerirdischen und Sozialschmarotzern, die uns auf der Tasche liegen und unseren Wohlstand gefährden. Es sind einfach zu viele geworden. Wenn es in der Natur zu viele Insekten oder Tiere gibt, reguliert man diese Arten einfach. Auf diese Weise verhindert man, dass sie einem alles wegfressen. Genau dasselbe tun wir jetzt auch.«

»Aber es handelt sich doch hierbei um Intelligenzwesen«, gab Mykke zu bedenken.

»Intelligenzwesen! Das ich nicht lache!«, mischte sich Uwahn Jenmuhs in das Gespräch ein.

»Das sind bestenfalls Halbintelligenzen! Sie sind hässlich und abstoßend. Sie haben keine Kultur und keine Ordnung, so wie wir. Wenn Unkraut zu viel wird, dann vertilgt man es. Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich darüber aufregen, Mykke.«

»Äh, ich wollte nur auf die moralischen und rechtlichen Aspekte hinweisen, Gos’Shekur«, meinte der Arbeitsminister devot.

Jenmuhs lachte hässlich auf.

»Da stehen Sie mit ihrer Moral und Ihrem Recht und hier stehe ich mit meinem Waffen. Wer von uns beiden setzt sich wohl durch?«

»Sie natürlich, Gos’Shekur«, versicherte Mykke, der es bereute, überhaupt etwas gesagt zu haben.

»Ja, ich natürlich! Es siegt immer derjenige, der die besten Waffen und die wenigsten Skrupel hat sie anzuwenden. So war es immer und so wird es immer bleiben. Moral und Recht sind für die Schwachen. Und weil wir nicht so schwächlich sind wie unsere Feinde und unsere Ziele knallhart durchsetzen, werden wir siegen«, redete sich Jenmuhs in Rage.

»Darauf trinken wir! Prost, Prost!«, rief Katschmarek und kippte sein Bier herunter. Die anderen taten ihm nach.

Diethar Mykke hatte immer noch gewisse Zweifel, doch er beschloss, sie nie wieder in Anwesenheit der anderen zu äußern. Seine Karriere war ihm wichtiger als ein paar fremde Wesen.

*

Am nächsten Morgen wurden noch einige Detailfragen geklärt, dann wurde die Konferenz beendet. Alle Teilnehmer kehrten an ihre Positionen zurück. Noch wusste niemand, außer diesen Leuten, dass in den vergangenen zwei Tagen über das Schicksal Cartwheels und unzähliger Lebewesen entschieden worden war. Das Unheil war nun nicht mehr aufzuhalten.

 

27. Elyn

4. Juni 1305 NGZ

 

Aurec ging allein in den Wäldern Saggittors, die er so liebte, spazieren. Er war froh, endlich wieder sein privates Glück gefunden zu haben. Doch die politische Situation beunruhigte ihn.

Wie sollte er sich nun verhalten? Wie sollte er Joak Cascal und die Mutanten befreien? Er hatte tags zuvor mit Rosan Orbanashol-Nordment darüber gesprochen, doch auch die USO wusste derzeit keinen Weg, wie man in das Hochsicherheitsgefängnis von Paxus gelangen konnte.

»Aurec?«, hörte der Saggittone plötzlich eine Stimme.

Aurec blickte sich um. Nur ein paar Schritte von ihm entfernt stand eine Frau, die er noch nie gesehen hatte. Sie war anmutig und von großer Schönheit. Ihr langes Haar war glatt und braun und ihre geheimnisvoll blickenden großen Augen waren violettblau, außerdem hatte sie spitze Ohren. Langsam schritt der Saggittone auf sie zu.

»Ja, ich bin Aurec. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Ich bin Elyn, vom Volk der Alysker«, sagte die Fremde freundlich.

Aurec wusste nicht so recht, was er von der Besucherin halte sollte.

»Ich muss gestehen, noch nie von diesem Volk gehört zu haben. Kommst du von außerhalb Cartwheels?«

»In der Tat. Wir sind innerhalb des Galaxienverbundes beheimatet, den die Terraner Seyferts Sextett nennen. Meine Heimatwelt heißt Alysk«, antwortete die Schöne.

Aurec nickte anerkennend.

»Das ist weit weg von hier. Was führt dich zu mir?«

»Ich bin Auftrag DORGONS und meines Vaters Eorthor hier. Ich soll dir helfen.«

Aurec horchte auf. Erst vor ein paar Tagen hatte er mit Henry Portland darüber gesprochen, dass er auf ein Zeichen oder sogar Anweisungen der Entität DORGON hoffte. War dies nun die Antwort auf seine Hoffnungen? War die Fremde tatsächlich eine Botin DORGONS? Andererseits hatte er noch nie  ein Wesen wie die Alyskerin gesehen und auch noch nie etwas von ihrem Volk gehört. Konnte es sich womöglich um eine Täuschung oder eine Falle der CIP handeln? Die Fremde schien seine Gedanken zu erraten.

»Du kannst mir vertrauen. Ich kenne den Ritter Gal’Arn.«

»Du bist Gal’Arn begegnet? Wo ist er jetzt und wie geht es ihm?«, wollte der Saggittone aufgeregt wissen. Doch Elyn machte eine abwehrende Handbewegung.

»Das ist von untergeordneter Bedeutung.«

Diese Bemerkung gefiel Aurec nicht sonderlich.

»Da bin ich anderer Meinung. Wenn ich dir vertrauen soll, musst du schon etwas mitteilsamer sein.«

»Ich werde dir später von ihm berichten. Ebenso von meiner Begegnung mit Sato Ambush vor vielen Jahren, als er noch Begleiter eines Artgenossen meines Volkes war. Doch zunächst gibt es wichtigeres zu sagen.«

Elyn legte eine wirkungsvolle Kunstpause ein und als Aurec schon genervt fragen wollte, was denn nun sei, sagte sie unheilsschwanger:

»DORGON liegt im Sterben und MODRORS Söhne des Chaos sind aktiver denn je. Sie bereiten großes Unheil vor, welches Chaos über viele Galaxien bringen wird. Daher ist die Befreiung Siom-Soms und das Aufhalten der beiden Imperien von allergrößter Wichtigkeit. Dies ist deine Aufgabe, Aurec. Du musst Cartwheel vom Quarterium und M100 vom Joch des kaiserlichen Regimes befreien.«

Jetzt musste Aurec erst einmal tief durchatmen.

»Wenn es weiter nichts ist«, meinte er sarkastisch.

»DORGON braucht Wesen wie dich, die nicht nur an ihr eigenes Wohl denken und bereit sind, sich aufzuopfern. DORGON hat dich auserwählt, weil er dich für würdig erachtet«, belehrte ihn die Alyske.

Aurec sah sie zweifelnd an.

»Und woher weißt du das alles?«

»Mein Volk dient DORGON seit Äonen und stand vorher auch im Dienste der Kosmokraten als Krieger und Wissenschaftler. Doch eines Tages bestraften uns die Kosmokraten hart für unser Versagen …«

Plötzlich wirkte Elyn traurig und nachdenklich. Sie blickte Aurec mit ihren großen Augen an. »Wir stehen auf derselben Seite. Auch wir sind … Soldaten im Krieg gegen MODROR…«

Das überzeugte Aurec. Er spürte, dass er der Elyn vertrauen konnte.

»Ich will tun, was ich kann. Bitte, begleite mich in mein Haus.«

Elyn verneigte sich höflich und begleitete Aurec in seinen Bungalow.

*

Als sie den mondänen Bungalow erreichten, wartete bereits Kathy Scolar ungeduldig auf der Veranda des Hauses. Als sie die schöne Alyske in Begleitung ihres Geliebten erblickte, verfinsterte sich ihr Blick. Eifersucht keimte in ihr auf.

»Wer ist denn die Tussi? Wo kommt die denn her?«, fragte die Terranerin unverblümt, was Aurec sichtlich unangenehm war. Elyn reagierte nicht auf diese Worte, das Wort "Tussi" sagte ihr nichts.

»Also bitte, Kathy«, ermahnte Aurec seine Freundin. »Dies ist Elyn vom Volk der Alysker. Sie ist eine Botin DORGONS und bringt wichtige Nachrichten.«

»Und sie hat den Wald dafür ausgewählt?«

Aurec zuckte mit den Schultern und erklärte Kathy, was er von der Alyske gehört hatte. Doch die Terranerin blieb skeptisch.

»Und du traust ihr einfach so über den Weg? Sie könnte eine Agentin der CIP sein.«

Elyn blieb ungerührt.

»Ich bin keine Agentin. Das Wort CIP ist mir gänzlich unbekannt.«

»Ich vertraue ihr, Kathy. Sie hat mit Gal´Arn und Sato Ambush Kontakt gehabt«, sagte Aurec. Dann wandte er sich wieder an Elyn.

»Ich hatte dich bereits vorhin gebeten, mir von deiner Begegnung mit ihnen zu berichten. Ich würde dies als vertrauensbildende Maßnahme ansehen.«

Elyn nickte.

»Gut, ich werde berichten«, erklärte sie sich einverstanden.

Aurec bat die beiden Frauen in den Bungalow zu gehen und anschließend berichtete die Alyske von ihrer kurzen Begegnung mit Gal´Arn und Jonathan Andrews, die sie vor sechs Jahren in der Galaxis Shagor aus der Gefangenschaft der Tukar befreiten. Jahre zuvor, es war das Jahr 1290 NGZ gewesen, hatte Elyn kurzen Kontakt zu einem ihrer Artgenossen und Sato Ambush gehabt.

Aurec dämmerte es nun wieder. Ambush hatte von einem Alysker berichtet. Demnach hatten die Alysker sie bereits seit fast zwanzig Jahren beobachtet.

»Mehr habe ich im Moment nicht zu sagen. Was gedenkst du nun zu tun, Aurec?«, wollte Elyn wissen.

Aurec überlegte kurz, dann sagte er:

»Morgen kommt Rosan Orbanashol-Nordment, die hiesige Leiterin der USO, einer wichtigen mit uns verbündeten Organisation. Ich werde sie mit dir bekannt machen und mich dann mit ihr beraten«, entschied Aurec.

»Damit bin ich einverstanden«, willigte die Alyske ein. Sie registrierte den finsteren Blick, den ihr Kathy Scolar zuwarf, die ihr offensichtlich immer noch misstraute, beschloss aber die unverständliche feindliche Haltung ihr gegenüber zu ignorieren. Kathys Eifersucht war in ihren Augen derzeit nicht relevant.

*

Am nächsten Tag traf Rosan Orbanashol im Bungalow von Aurec ein. Der Saggittone stellte ihr Elyn vor und berichtete ausführlich.

»Das klingt alles nicht sehr verheißungsvoll«, meinte Rosan skeptisch als Aurec geendet hatte. »Mir wäre es lieber, DORGON würde uns konkrete Hilfe zukommen lassen, damit wir gegen die Übermacht des Quarteriums und der Dorgonen bestehen können. Im Moment bin ich auch ratlos. Außerdem mache ich mir große Sorgen um die drei Mutanten und Joak Cascal. Wir haben Informationen, dass sie hingerichtet werden sollen.«

»Auch das noch! Wir sollen wir bloß in das Hochsicherheitsgefängnis von Paxus gelangen?

Die Gefangenen dürften wohl bestens bewacht werden«, befürchtete Aurec.

Rosan zuckte resignierend mit den Schultern.

»Meine Spezialisten wissen auch keinen Rat.«

»Wenn diese Leute so wichtig für euch sind, werde ich euch helfen sie zu befreien«, verkündete Elyn.

»Und wie wollen Sie das machen?«, fragte Rosan argwöhnisch.

»Mein Volk verfügt über eine Technologie,  die der Euren weit überlegen ist. Mein Schiff, die RIVEDELL, wartet in dem Wald, in dem wir uns begegnet sind. Das Quarterium kann es nicht orten.«

»Gut, dann stelle ich einen Stoßtrupp unserer besten Leute zusammen«, bot Rosan an.

»Abgelehnt. Nur Aurec wird mich begleiten.«

»Nur wir beide gegen das Quarterium?«, zeigte sich der Saggittone erstaunt. Das war ihm nicht geheuer. Doch die Alyske blieb stur.

»Nur wir beide«, bekräftigte sie.

»Immerhin ist es unseren Agenten gelungen, die Baupläne zu beschaffen und herauszubekommen, in welchem Trakt die Gefangenen untergebracht wurden. Ich denke diese Daten werden euch weiterhelfen«, sagte Rosan und übergab Aurec einen Datenspeicher.

»Das nehmen wir gerne an«, entgegnete Elyn freundlich.

*

Elyn führte Aurec zu ihrem Schiff, das sie auf einer Lichtung im Wald abgestellt hatte.

»Wir sind da«, sagte sie, während sie stehen blieb.

Aurec sah sich um. Er konnte kein Schiff entdecken.

»Wo ist es?«

Elyn holte eine Tastatur aus ihrem Gewand und betätigte ein paar Schalter. Daraufhin wurde das Schiff sichtbar.

Aurec nickte anerkennend.

»Ein Deflektorfeld«, stellte er fest.

Elyn nickte zustimmend.

»Die RIVELDELL konnte die saggittonische Ortung umgehen und wird dies auch bei der quarterialen tun. Komm bitte an Bord.«

Aurec folgte der Alyske und wenige Minuten später startete das Schiff in den Weltraum und nahm Kurs auf Paxus.  Aurec nutzte den Flug zu einem Nickerchen. Er hatte noch nicht lange geschlafen, als ihn Elyn weckte.

»Wir sind im Paxus-System.«

Aurec rieb sich die Augen und sah auf sein Chronometer.

»Schon da? Das ging schnell. Eure Technologie ist wirklich beachtlich. Ich hoffe, du hast noch mehr davon, wenn wir auf Paxus landen.«

»Wir werden nicht landen. Die RIVEDELL bleibt im Orbit. Die Quarterialen werden das Schiff nicht orten können«, erklärte die Alyske.

»Das sagtest du schon, aber wie kommen wir in das Gefängnis?«, wollte der Saggittone wissen.

Elyn führte Aurec zu einer Plattform. In der Nähe stand ein Roboter, der ein Schaltpult bediente.

»Das ist ein Fiktivtransmitter. Er wird uns in das Gefängnis bringen.«

Aurec erinnerte sich mal davon in den terranischen Archiven gelesen zu haben, dass die Superintelligenz ES über einen solchen Transmitter verfügte. Die Terraner hatten bisher noch keinen bauen können und auch die saggittonische Wissenschaft war noch nicht soweit.

»Das Gefängnis ist von einem Schutzschirm umgeben«, gab der Saggittone zu bedenken.

»Damit mussten wir rechnen. Wir werden eine Strukturlücke schaffen, durch die wir hindurchschlüpfen.«

Sein Respekt vor Elyn wuchs stetig. Ihr Volk musste in der Tat sehr hochstehend sein. Die Alyske hatte schon das nächste Utensil parat.

Sie überreichte Aurec einen Gürtel, an dessen Schnalle sich ein kleines silbernes Gerät befand.

»Das ist ein Deflektorgürtel, er funktioniert im Prinzip so wie beim Schiff. Wir werden also weder zu sehen noch zu orten sein.«

»Das ist doch prima. Deflektoren gibt es bei uns aber auch, so primitiv sind wir auch wieder nicht«, meinte Aurec locker.

Elyn zeigte ihm, wie er den Deflektorgürtel zu bedienen hatte, dann brachen sie auf. Die Alyske hatte anhand der Pläne, die sie von Rosan Orbanashol erhalten hatte, die Zielkoordinaten eingestellt. Der Roboter strahlte sie ab.

*

Aurec und die Alyske materialisierten in einem Korridor des Hochsicherheitstrakts.

»Hier müssen sie untergebracht sein«, vermutete Elyn.

Aurec erblickte einen einzelnen Wächter, der die Anlagen für die Parafallen kontrollierte.

»Das werden wir gleich genau wissen«, sagte der Saggittone grimmig und zog seinen Strahler. Kurz entschlossen ging er unbemerkt auf den Wärter zu und packte ihn. Der Mann erschrak, als ihm von unsichtbarer Hand ein Thermostrahler an den Kopf gehalten wurde.

»Wo sind die Gefangenen Joak Cascal und Neve Prometh? Rede oder du bist so gut wie tot«, drohte ihm der Saggittone.

»Bitte tut mir nichts! Sie sind nicht mehr hier. Sie wurden vor zwei Stunden abgeholt«,  stammelte der verstörte Wärter.

Aurec drückte ihm die Kehle zu.

»Wohin? Rede, Mann!«

»Das weiß ich nicht.«

Aurec konnte es nicht fassen. Nur um zwei Stunden hatte man Cascal und Neve Prometh verpasst. Hoffentlich waren nicht auch die Mutanten fortgebracht worden.

»Wo sind die Mutanten Callos, Lane und Blanc?«

Der Wärter zögerte.

»Das ... das darf ich nicht sagen«, zauderte er.

Aurec verpasste ihm einen Streifschuss ins Bein.

»Und jetzt?«

»Bitte nicht schießen! Ich sag´s ja. Sie sind noch hier. Sie befinden sich gleich nebenan.«

»Führ uns hin!«, befahl Aurec.

Der Wärter parierte und öffnete die Zellentür. Die beiden Männer waren in einer Doppelzelle untergebracht, während Jeanne Blanc eine Einzelzelle hatte. Der Wärter öffnete beide. Kurz darauf waren die verwunderten Mutanten auf den Beinen.

»Brav gemacht, mein Junge. Jetzt leg dich ein Weilchen schlafen«, sagte Aurec und paralysierte den Wächter. Dann betätigte er die Schaltung am Gürtel und wurde sichtbar.

Sofort erkannten die Mutanten ihren Retter.

»Aurec! Wie hast du denn das geschafft?«, wunderte sich Brad Callos.

»Ist doch egal, Hauptsache er ist hier«, meinte Wulf Lane.

Aurec wies auf Elyn, die sich ebenfalls sichtbar gemacht hatte.

»Das ist Elyn vom Volk der Alysker. Bei ihr müsst ihr euch bedanken.«

»Wir müssen Joak Cascal und Neve Prometh befreien«, warf Jeanne Blanc ein.

»Zu spät, sie wurden an einen unbekannten Ort verschleppt«, sagte Aurec zerknirscht.

»Wir müssen jetzt von hier weg«, meldete sich Elyn, der bislang geschwiegen hatte, zu Wort.

»Ja, wir sollten keine Zeit verlieren. Kommt.«

»Wir müssen wieder zu der Stelle an der materialisiert sind«, erklärte Elyn.

Als sie auf den Korridor traten, öffnete sich ein Schott. Zwei Männer kamen herein, einer war ein Wärter, der andere Orlando de la Siniestro, der Sohn des Emperador.

Aurec reagierte sofort als der Wächter zu seiner Waffe griff und paralysierte ihn. Orlando war unbewaffnet und hob überraschend die Hände.

»Aurec! Sie hätte ich hier nicht erwartet. Sind Sie jetzt auch unter die Terroristen gegangen?«, fragte er den Saggittonen.

»Ich fürchte, dass Sie zu den Terroristen zählen, Orlando«, gab Aurec zurück.

Die drei Mutanten traten auf ihren Freund zu.

»Aurec ist hier, um uns zu befreien, Orly. Er ist unser Freund«, sagte Jeanne Blanc.

»Wenn ihr flieht, gebt ihr eure Schuld zu und werdet zu Gesetzlosen. Geht zurück in die Zelle und ich sorge dafür, dass die Angelegenheit unter uns bleibt. Und Ihnen, Aurec, gewähre ich freies Geleit, wenn Sie sofort abziehen«, zeigte sich Orlando unbeeindruckt.

»Sie sind nicht in der Position Forderungen zu stellen«, erinnerte ihn Aurec.

»Bitte, Orly, komm mit uns. Hilf uns gegen diese Verbrecher. Sie haben Cascal und Neve Prometh nach Objursha gebracht. Das Gleiche oder Schlimmeres hatten sie mit uns vor. Sage dich los vom Quarterium«, bat Brad Callos seinen Freund.

»Nein, niemals werde ich mein Vater und meine Heimat verraten. Ich erweise euch einen letzten Freundschaftsdienst. Ich lasse euch abziehen und werde keine Wache rufe. Doch von diesem Augenblick sind keine Freunde mehr. Von nun an stehen wir auf gegnerischen Seiten«, blieb Orlando stur.

Die drei Mutanten erkannten, dass es keinen Sinn mehr hatte. Orlando war nicht mehr umzustimmen. Sie verabschiedeten sich von ihm und folgten Aurec und der Alyske, die ein paar Befehle an ihr Schiff gab. Kurz darauf verschwanden sie. Orlando de la Siniestro sah ihnen traurig nach.

*

Wenige Minuten nachdem die Fünf an Bord der RIVEDELL waren, verließ das Schiff das Paxus-System und nahm Kurs auf Quinto, dem Hauptstützpunkt der USO. Aurec war der Meinung, dass die Mutanten dort am besten aufgehoben waren und es entsprach auch ihren Wünschen. Trotz der geglückten Rettungsaktion war Aurec nicht zufrieden, da er Cascal und Neve Prometh nicht mehr helfen konnte. Ihr Schicksal blieb ungewiss. Bevor sie nicht den Aufenthaltsort der beiden kannten, konnten sie auch keine Rettungsaktion planen. Die Mutanten hatten nicht helfen können, denn sie waren in Parablockzellen gesperrt gewesen. Die Agenten der USO mussten nun Augen und Ohren offen halten. Wusste man, wo sich die beiden befanden, konnte man sie bestimmt mit Hilfe der Alyskerin Elyn befreien. Doch im Moment schwebten Joak Cascal und Neve Prometh noch in großer Gefahr.

Elyn schien seinen Kummer zu bemerken und setzte sich zu ihm.

»Es tut mir Leid, dass wir nicht alle deine Freunde retten konnten,« sprach sie mitfühlend.

»Wenn wir nur zwei Stunden schneller gewesen wären ...«, sinnierte Aurec.

»Es ist sinnlos, darüber nachzudenken. Du brauchst deine Kraft noch. Eine neue schwere Aufgabe wartet auf dich. DORGON erwartet von dir, dass du dich nach Siom-Som begibst und dort deinen Freunden hilfst. Sie sind in großer Gefahr. Die Dorgonen haben sie in große Bedrängnis gebracht und sie brauchen deine Hilfe«, erklärte die Alyske.

»Da sagst du mir jetzt erst?«

»Es schien mir ratsam, dich nach und nach zu informieren. Ich habe dir bewiesen, dass du mir vertrauen kannst. Bitte tue es auch weiterhin.«

Aurec dachte einen Moment nach, dann nickte er.

»Du hast recht, Elyn. Ich begleite dich nach Siom-Som.«

Die drei Mutanten hatten das Gespräch mitbekommen und gesellten sich zu Aurec und Elyn.

»Dann begleiten wir dich, Aurec«, beschloss Brad Callos.

»Seid ihr sicher? Das kann sehr gefährlich werden«, gab der Saggittone zu bedenken.

»Nicht gefährlicher als hier«, meinte Wulf Lane.

»Außerdem haben wir hier sowieso nichts mehr verloren. Die CIP dürfte uns überall in Cartwheel suchen«, fügte Jeanne Blanc hinzu.

»Also, gut«, erklärte sich Aurec einverstanden. »Ich freue mich über eure Hilfe und kann sie gut gebrauchen.«

*

Als die RIVEDELL im Stützpunkt der USO gelandet war, begab sich Aurec umgehend zu Rosan Orbanashol-Nordment, um mit ihr die Lage zu besprechen. Er berichtete von der nur zum Teil gelungenen Befreiung der Gefangenen.

»Ich werde sofort meine besten Agenten einsetzten, um zu versuchen an Cascal und Neve Prometh heranzukommen. Leicht wird es nicht werden«, meinte die USO-Leiterin.

Sie spürte wieder die Last der Verantwortung. Sie wollte den beiden helfen, und gab dazu ihr Bestes, doch war ihr klar, dass dieses vielleicht nicht ausreichen würde.

»Was wirst du nun tun?«, fragte sie Aurec.

»Mein Entschluss steht fest: Ich breche mit einem saggittonischen Expeditionskorps nach Siom-Som auf, um unseren Freunden beizustehen. Die Mutanten werden mich begleiten«, antwortete der Saggittone ernst.

Rosan war beeindruckt von dieser Mitteilung.

»Dir ist klar, dass dies einen Krieg zwischen Saggittor und dem Quarterium heraufbeschwören kann?«

Aurec nickte.

»Ja, aber machen wir uns doch nichts vor: Das Quarterium strebt die Herrschaft über ganz Cartwheel an. Früher oder später wird es zur Konfrontation kommen. Wir müssen jetzt etwas gegen die Unterdrückung unternehmen, sonst werden das Quarterium und seine Verbündeten - die Dorgonen, zu stark. Dann ist es zu spät.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Was ist mit dieser Elyn? Traust du ihr?«

»Ja, sie handelt im Auftrag DORGONS. Ich warte schon seit längerem auf ein Zeichen oder eine Instruktion dieser Entität, damit wir endlich einmal handeln können. Bis jetzt reagieren wir nur auf die Aktionen unserer Gegner, das muss sich ändern«, meinte der Saggittone entschlossen.

»Du wirst uns hier fehlen. Die Lage hier wird für die USO immer schwieriger«, klagte Rosan.

»Ich weiß. Aber wenn es uns gelingt, den Dorgonen in Siom-Som Einhalt zu gebieten, wirkt sich das vielleicht positiv auf die Gesamtlage aus und zügelt den Expansionsdrang des Quarteriums.«

»Hoffentlich. Ich wünsche dir viel Glück, Aurec.«

»Danke, ich kann´s gebrauchen. Halte die Stellung, Rosan. Und achte bitte ein wenig auf Kathy«, bat der Saggittone die Halbarkonidin.

»Begleitet sie dich nicht?«

»Nein, ich möchte, dass sie auf Saggittor bleibt. Dort ist sie in Sicherheit. Die Expedition wäre viel zu gefährlich für sie.«

»Und was sagt Kathy dazu?«, fragte Rosan neugierig.

Aurec reagierte ein wenig verlegen.

»Sie weiß es noch nicht.«

*

Aurec kehrte so schnell wie möglich nach Saggittor zurück und ordnete an, so schnell wie möglich ein Expeditionskorps von 2.000 Raumschiffen zusammenzustellen. Er wollte schon in wenigen Tagen aufbrechen. Schweren Herzens kehrte Aurec in seinen Bungalow zurück und teilte Kathy Scolar seinen Entschluss mit. Ihre Reaktion fiel erwartungsgemäß aus.

»Bist du verrückt? Nur weil diese spitzohrige Tussi plötzlich hier auftaucht und irgendwelchen Quatsch erzählt, lässt du hier alles stehen und liegen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«, ereiferte sie sich.

Aurec konnte ihre Enttäuschung durchaus verstehen, aber sein Entschluss war unumstößlich.

»Es ist mein voller Ernst, Kathy. Ich muss das tun. Unsere Freunde in Siom-Som brauchen meine Hilfe.«

»Und an mich denkst du gar nicht?«, fragte Kathy weinerlich.

Aurec seufzte innerlich. Kathy dachte leider nur in kleinbürgerlichen Maßstäben. Kosmische Hintergründe waren für sie unverständlich und interessierten sie auch gar nicht. Konnten sie dennoch zusammenpassen? Doch Aurec liebte Kathy und wollte sie nicht verlieren.

»Natürlich denke ich an dich. Es fällt mir sehr schwer, mich von dir zu trennen, da wir gerade erst zusammengefunden haben. Doch MODROR und die, die für ihn kämpfen, müssen besiegt werden, sonst werden wir nie frei und glücklich leben können. Denke nur daran, was MODROR dir angetan hat«, erinnerte er Kathy.

Die Terranerin sagte nichts mehr. Aurec legte seine Hände auf ihre Schultern.

»Lass uns nicht im Zorn voneinander gehen. In ein paar Tagen startet die Expedition. Lass uns bis dahin die Zeit nutzen. Ich liebe dich.«

Aurec holte aus einer kleinen Schatulle einen Ring hervor und steckte ihn der gerührten Kathy an den Finger.

»Jetzt sind wir verlobt. Und wenn ich zurückkehre, heiraten wir«, versprach er.

Kathy umarmte ihn und weinte.

»Wenn du zurückkehrst ...«

»Ich kehre zurück. Das verspreche ich.«

*

Am 13. Juni 1305 NGZ brach die SAGRITON mit zweitausend weiteren saggittonischen Schiffen nach Siom-Som auf. Der Abflug erfolgte in aller Stille und ohne Aufsehen, da der Start geheim gehalten worden war. Offiziell wurde die Milchstraße als Ziel genannt. Aurec wusste jedoch, dass diese Finte nicht lange funktionieren würde.

Es begann nun eine Expedition mit ungewissem Ausgang.

 

28. Objursha

14.Juni 1395 NGZ

 

Es war ein trostloser Tag als das Transportraumschiff, das Joak Cascal und Neve Prometh auf diesen Planeten brachte, landete. Schnee und Graupelschauer sowie ein eisiger Wind fegten über den Landeplatz hinweg. Cascal und Neve sowie einige andere Häftlinge wurden aus dem Schiff gebracht und an das dortige Wachpersonal übergeben, welches aus Überschweren und Dscherro bestand. Diese standen stramm und salutierten, als ein durchschnittlich aussehender Arkonide in Galauniform anmarschiert kam. Die Gefangenen mussten sich in einer Reihe aufstellen, wer nicht schnell genug war, wurde von den Dscherro mit Tritten oder Schlagstockhieben bedacht. Als sich als Gefangenen richtig aufgestellt hatten, stellte sich der Arkonide auf eine Metallkiste und begann zu sprechen.

»Gefangene des Quarteriums! Ich bin Selvon da Gohd, der Kommandant dieses Arbeitslagers. Ihr seid Verbrecher gegen die Ordnung des Quarteriums, ihr seid Dreck! Doch in seiner grenzenlosen Milde hat euch unsere Justiz euer Leben gelassen und die Chance gegeben eure Taten wieder gutmachen. Ihr dürft arbeiten. Arbeit macht das Leben süß ist das Motto unseres Lagers. Also arbeitet hart und gut! Nur Arbeit gibt dem Leben einen Sinn. Arbeitet ihr gut, werdet ihr auch gut behandelt. Doch wer faul ist, endet so ...«

Auf den Wink des Arkoniden schleppten die Dscherro ein paar Leichen heran, legten sie auf einem Scheiterhaufen ab und zündeten diesen an. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg auf.

»Lasst euch das eine Lehre sein! Sollte jemand von euch an Flucht denken, so sei ihm gesagt, dass dies völlig sinnlos ist. Auf Objursha gibt es nichts, wohin man fliehen kann. Wer es trotzdem versucht, endet so wie die da - auf dem Scheiterhaufen. Aber ohne vorher erschossen zu werden«, drohte der Kommandant. Der Arkonide deutete auf die Baustelle hinter ihm.

»Wie ihr seht, ist das Lager noch im Aufbau begriffen. Mit eurer Hilfe wird es jedoch schon bald fertig sein. Das Quarterium hat keine Kosten und Mühen gescheut, euren Strafvollzug so human wie möglich zu gestalten. Es stehen Wohncontainer und Baracken für euch bereit, in denen ihr essen und schlafen dürft. Arbeitskleidung bekommt ihr ebenfalls von uns gestellt. Wenn ihr Fragen oder Beschwerden habt, wendet euch vertrauensvoll an mich. Ich will wie ein Vater für sein - streng, aber gütig und voller Milde. Wenn ihr immer die Befehle des Wachpersonals befolgt und euch an die Lagerregeln haltet, werden wir Freunde sein. Wenn nicht, werdet ihr mich kennen lernen«, drohte Selvon da Gohd. Milder fuhr er fort:

»Als Zeichen meiner Großzügigkeit bekommt ihr den Rest des Tages frei, damit ihr euch auf Objursha einleben und mit den Örtlichkeiten vertraut machen könnt. Das wäre alles.«

Mit diesen Worten stieg der Arkonide von seiner Kiste und schritt zurück in sein Haus.

Das kann ja heiter werden, dachte sich Joak Cascal. Für ihn war dieser da Gohd verrückt. Doch solche Leute konnten es im Quarterium weit bringen. Die Dscherro trieben die Gefangenen zu einer Rampe. Dort wurden Männer und Frauen getrennt. Cascal verlor dabei Neve Prometh aus den Augen. Der Terraner sah sich ein wenig um. Das Lager bestand bis jetzt aus einem großen Hauptgebäude und ein paar Wohncontainern und Baracken. Der Rest war noch Baustelle. Cascal und die anderen Männer wurden in einen Container gebracht. Dort mussten sie sich ausziehen und erhielten Häftlingskleidung, die aus einem schlichten, blauen Overall bestand.

»Essen fassen! Heute gibt es Graupensuppe!«, rief ein Wärter.

Missmutig stocherte Cascal in seinem Essen herum.

»Gibt es das etwa jeden Tag?«, fragte er seinen Tischnachbarn, einen bärtigen Terraner.

»Nein, an Sonn- und Feiertagen gibt es auch Erbsensuppe«, antwortete dieser.

Nach dem widerlichen Essen kamen die Leute in ihre Zellen. Es war ein Wohncontainer, in dem ein Dutzend Gefangene, verschiedenster Rassen untergebracht waren. Die Privatsphäre bestand aus einer Pritsche, und einem Nachttisch. Für Cascal stand fest: Hier würde er nicht lange bleiben, sobald sich die Gelegenheit bot, wollte er fliehen.

 

29. Alle Macht dem Quarterium

15. Juni 1305 NGZ

 

Zwei Tage nach Aurecs Aufbruch hielt der Emperador eine Rede, die galaxisweit ausgestrahlt wurde. Sie richtete sich an die letzten freien Völker Cartwheels. Darin forderte er diese auf, sich binnen eines Monats dem Schutz des Quarteriums zu unterstellen. Alle noch souveränen Regierungen und ihre Bürger sollten sich bis zum 15. Juli 1305 NGZ klar zum Quarterium bekennen oder Cartwheel verlassen. 

»Mir ist klar, dass dies eine äußerst unpopuläre Entscheidung darstellt, jedoch muss ich als Zellaktivatorträger in anderen, größeren Kategorien denken. Nur ein vereintes Cartwheel kann Stärke, Kraft und Macht aufbringen, um intergalaktisch zu bestehen. Nur als eine Galaxis können wir MODROR und anderen Gefahren trotzen.

Die Machtkämpfe zwischen einzelnen Lobbyisten und fundamentalistischen, nationalistischen Machtgruppen muss der Vergangenheit angehören. Als Beispiel nenne ich die vorbildliche Zusammenarbeit zwischen dem Arkonblock und dem Terrablock. Die kleinliche Borniertheit, wie sie noch in der Milchstraße herrscht, gehört in Cartwheel der Vergangenheit an. Wer sich dem nicht fügen kann oder will, muss gehen. Reformen sind daher unumgänglich und alternativlos. Nur wer bereit ist, sich in die Gemeinschaft einzufügen, hat ein Recht darauf weiter hier zu leben. Für Reformverweigerer ist in Cartwheel kein Platz mehr. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, bevor es zu spät ist. Der Feind schläft nicht, wir müssen uns gegen ihn wappnen! Deshalb bin ich gezwungen, Druck auf einige Völker auszuüben, denn es ist zum Wohl aller Wesen von Cartwheel. Ich hoffe auf die Einsicht der Regierungen, die sich noch nicht dem Quarterium angeschlossen haben, und strebe eine gütliche, gemeinschaftliche und friedliche Lösung. Ich und meine Mitarbeiter stehen jederzeit zu Gesprächen zur Verfügung«, schloss der Emperador seine Rede.

Damit hatte das Quarterium begonnen, seine Konferenzbeschlüsse umzusetzen.

*

Unter den souveränen Völkern Cartwheels rief die Rede blankes Entsetzen hervor. Serakan, der Aurec während seiner Abwesenheit vertrat, fühlte sich überfordert. Er wünschte sich, Aurec wäre in Cartwheel geblieben. Nun musste er handeln. Für ihn gab es keine andere Alternative als das Ultimatum abzulehnen. Die Saggittonen hatten hier eine neue Heimat gefunden und würden niemals freiwillig auf ihre Unabhängigkeit verzichten. Serakan traf noch am selben Tag mit Mirus Traban, dem Regenten der Akonen zusammen. Auch Traban lehnte das Ultimatum ab. Er und Serakan schlossen ein Militärbündnis zum gegenseitigen Schutz. Des Weiteren trafen sie mit Rosan Orbanashol zusammen und man versicherte sich gegenseitiger Unterstützung. Die Zeichen standen auf Sturm für Cartwheel.

*

Noch aufgebrachter als Serakan und Mirus Traban war Trüüly Trützek, der Regent der vereinten  Blues-Völker.  Umgehend reiste er nach Paxus, um den Emperador persönlich zu sprechen. Trützek wurde eine Audienz gewährt, jedoch musste er stundenlang im Vorzimmer warten, was seine Erbitterung nur noch steigerte. Gegen Abend wurde der Regent endlich empfangen. Der Emperador saß an seinem Schreibtisch, flankiert von seinem Posbi-Berater Diabolo und Cauthon Despair.

»Mein lieber Trützek, ich heiße Sie herzlich willkommen«, begrüßte Don Philippe den Gataser überschwänglich. »Ich bin sehr erfreut zu sehen, dass die Jülziisch die Ersten sind, die dem Quarterium beitreten.«

»Bei der gelben Kreatur der Niedertracht! Bei Ihnen piept´s wohl! Ich bin hier, um im Namen der vereinigten Jülziisch-Völker eine Entschuldigung zu fordern!«, ereiferte sich der cholerische Trüüly Trützek.

»Außerdem fordere ich Sie auf, Ihr schändliches Ultimatum umgehend zurückzunehmen. Die stolzen Völker der Blues werden sich niemals einer anderen Macht unterwerfen.«

Der Emperador machte ein betrübtes Gesicht, was sein Gesicht noch faltiger aussehen ließ als sonst.

»Oh, es tut mir Leid, dass Sie das so sehen. Dennoch bleibe ich bei meinem Ultimatum. Entweder ihr Volk unterstellt sich bis zum 15. Juli dem Quarterium oder sie werden mit Gewalt aus Cartwheel entfernt.«

»Das wagen Sie nicht!«, schrie Trützek.

Plötzlich kam Cauthon Despair drohend auf den Gataser zu und packte ihn am Kragen.

»So, du glaubst also, wir trauen uns nicht, euch lächerliche Wurmfresser anzugreifen. Nun, du solltest sich dessen nicht allzu sicher sein.«

Despair schleppte den eingeschüchterten Politiker zu einem fenstergroßen Panoramabildschirm und aktivierte ihn. Das Bild zeigte, wie tausend Einheiten schwerer Schlachtschiffe starteten.

»Dies ist nur ein Teil unserer Flotte. Sie kann überall und jederzeit zuschlagen und eure Planeten zu Schrott schießen. Es wäre also besser, du tust, was wir dir sagen. Aber wenn du stur bleibst, schicken wir die Flotte der Bestien auf deine Heimatwelt. Du erinnerst dich sicher noch an ihr Vorgehen gegen die Planeten der Okefenokees, nicht wahr?«

Der Gataser sank zusammen und musste medizinisch versorgt werden. Als sich der Blue wieder einigermaßen von dem Schock erholt hatte, wurde er wieder in das Büro des Emperadors gebracht. Auf dem Schreibtisch lag ein Schriftstück bereit.

»Ich hoffe, es geht Ihnen wieder besser, mein lieber Trützek. Sie sollten sich nicht so aufregen, davon bekommt man Herzbeschwerden«, spottete Don Philippe.

»Der Emperador meint es gut mit Ihnen. Dort liegt die Beitrittsurkunde für die Blues-Völker. Sie sollten Sie unterzeichnen, um sich weitere Probleme zu ersparen«, sagte Diabolo zu dem sichtlich geschwächten Gataser.

Der Politiker war gebrochen. Eingeschüchtert unterzeichnete er die Urkunde und verließ wortlos den Raum.

»Sehr gut! Damit gehört das Gebiet der Blues zum Quarterium. Ein großer Schritt nach vorne für uns«, frohlockte der Emperador.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Peter de la Siniestro marschierte stampfend herein.

»Peter, mein Junge, kann du nicht ein bisschen leiser hereinkommen? Was ist denn los?«, fragte Don Philippe leicht ungehalten.

»Etwas sehr Schönes, Vater! Die Kartanin haben uns den Krieg erklärt«, berichtete Peter freudestrahlend.

»Darf ich die Kätzchen mit meiner Flotte vernichten, Vater?«

»Geh spielen, Kleiner. Das ist etwas für Erwachsene«, erwiderte Cauthon Despair kalt.

Wütend sah ihn Peter an.

»Ich hasse dich, Cauthon Despair! Ich hasse dich so sehr!«, ereiferte er sich, wobei sein Gesicht rot anlief.

»Beruhige dich, mein Sohn«, ermahnte ihn Don Philippe.

»Du bekommst noch deine Chance. Despair, kümmern Sie sich darum. Wenn wir die Kartanin genug einschüchtern, geben sie vielleicht auf, ohne dass ein Schuss fällt. Dies dürfte Signalwirkung für die anderen Völker haben«,  entschied der Emperador.

*

Sofort machte sich der Silberne Ritter auf dem Weg und startete mit tausend Schiffen, die schon in weiser Voraussicht in Alarmbereitschaft versetzt worden waren, auf den Weg ins das System der Kartanin. Despair hatte mit Widerstand gerechnet und daher die Flotte nach der Rede des Emperador in Alarmbereitschaft versetzt. Als die quarteriale Flotte im Kartanin-System auftauchte, gerieten die Feliden in Panik. Sie waren noch nicht einmal kampfbereit, da sie mit einer solch schnellen Reaktion des Quarteriums nicht gerechnet hatten. Despair rief die Regierung auf, keinen Widerstand zu leisten und drohte mit der Zerstörung aller besiedelten Planeten. Daraufhin gaben die Feliden ihren Widerstand auf. Ein Regierungsvertreter erschien auf Despairs Schiff und unterzeichnete die Beitrittsurkunde.

Damit war dieser "Krieg" schon nach wenigen Stunden beendet, ohne das ein Schuss gefallen war. Die Rechnung des Emperador war aufgegangen. Beeindruckt von dem rigorosen Vorgehen der quarterialen Armee gaben weitere Völker nach. Die Unither, Tefroder, Cheborpaner, Gurrads, Perlians und die ESTARTU-Völker traten dem Quarterium bis zum 23. Juni bei. Unnachgiebig blieben Saggittor und Akon, die einen Beistandspakt geschlossen hatten sowie die Thoregon-Völker, die diesem Bündnis freundlich gegenüberstanden. Dennoch war die Führung des Quarteriums zufrieden. Man beherrschte nun zwei Drittel Cartwheels. Damit war das Ultimatum ein voller Erfolg und man war zuversichtlich früher oder später auch den Rest zu beherrschen. Vorerst wollte man die drei verbliebenen Militärbündnisse noch dulden.

*

New Turin, Mankind, 24. Juni 1305 NGZ

 

Mit großer Sorge verfolgte Jaaron Jargon die politischen Vorgänge innerhalb Cartwheels. Abgelenkt wurde er durch die regelmäßigen Besuche Ronald Kreupens, der ihm immer wieder seine Bewunderung aussprach und mit dem alten Mann stundenlang über Kunst und Kultur diskutierte. An diesem Tag machte Kreupen Jargon einen Vorschlag, der diesen aufhorchen ließ:

»Mein lieber Jaaron, ich habe Ihnen schon oft gesagt, wie sehr ich ihre Werke verehre. Doch nicht nur ich zähle zu Ihren Bewunderern, sondern auch an höchster Stelle ist man sehr von ihren literarischen Werken angetan.«

»So?«, fragte Jargon neugierig.

»Wenn es Ihnen doch sage, mein lieber Freund. Unsere attraktive, hochgeschätzte Außen- und Informationsministerin Stephanie de la Siniestro hat Gefallen an Ihrer Arbeit gefunden und würde gerne heute Abend mit Ihnen über ein Projekt sprechen. Sie ist extra ihretwegen nach New Turin gekommen«, erklärte Kreupen treuherzig.

Jargon war überrascht. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, mein lieber Ronald.«

»Sagen Sie doch einfach ja.«

Jargon dachte einen Moment nach, dann siegte die Neugier und er entschloss sich zuzusagen, da er unbedingt wissen wollte, was diese Frau von ihm wollte. Ronald Kreupen strahlte über beide Backen.

»Ich wusste, das ich mich auf Sie verlassen kann, verehrter Jaaron. Wir sollen um 20.00 Uhr erscheinen, ich hole sie rechtzeitig ab. Eine Frau wie Stephanie de la Siniestro lässt man nicht warten«, freute er sich.

*

Pünktlich um 20.00 Uhr traf man Stephanie de la Siniestro, die im besten Hotel von New Turin abgestiegen war. Nataly hatte ihrem Onkel von dem Treffen abgeraten, als er ihr davon erzählt hatte, doch Jargon wollte die Gelegenheit nutzen einmal mit einem Führungsmitglied des Quarteriums zu sprechen, um sich selbst ein Bild von diesen Leuten zu machen.

Stephanie trug diesmal ein schlichtes Abendkleid und begrüßte den alten Linguiden freundlich.

»Lieber Jaaron Jargon! Wie schön, endlich einmal den Chronisten der Insel persönlich zu treffen«, sagte sie überschwänglich.

»Ganz meinerseits«, gab sich Jargon höflich aber zurückhaltend.

Nach dem opulenten Abendessen kam Stephanie zur Sache.

»Der Grund unseres Treffens ist, verehrter Herr Jargon, dass ich von Ihrer Arbeit als Chronist begeistert bin. Jedoch ist sie noch, ehrlich gesagt, noch unvollständig. Die Entstehung und der Aufbau des Quarteriums müssen gebührend gewürdigt werden. Nur ein Mann Ihres Formats kann das«, schmeichelte die Ministerin dem alten Linguiden.

»Ich und mein Ministerium würden Ihnen gerne dabei helfen. Außerdem planen wir die Ausrichtung einer Olympiade. Darüber müsste ebenfalls gebührend berichtet werden.«

»Nun, ich weiß nicht, ob ich dafür der Richtige bin«, gab sich Jaaron zurückhaltend.

»Ganz gewiss sind Sie das. Sie sind der Chronist. Wer könnte geeigneter sein, um über das Wachstum und die Blüte des Quarteriums zu berichten? Im Übrigen plane ich einen Film über Ihr verdienstvolles Leben zu drehen, damit das Volk von Cartwheel endlich mehr über den Chronisten erfährt«, bot Stephanie dem Linguiden an.

Jaaron wusste nicht, wie er reagieren sollte. Einerseits fühlte er sich geschmeichelt, dass man ihm solche interessanten Projekte anbot, andererseits traute er den quarterialen Machthabern nicht und befürchtete, dass sie seine Arbeiten in ihrem Sinne zensieren würden. Eine strikte Ablehnung wäre angesichts der zunehmenden Macht des Quarteriums aber auch nicht ratsam gewesen. Der Linguide beschloss, erst einmal Zeit zu gewinnen.

»Nun, ich fühle mich sehr geschmeichelt, junge Dame. Ihr Angebot kommt jedoch sehr überraschend. Ich müsste darüber ein paar Tage nachdenken. In meinem Alter ist man kein Freund spontaner Entschlüsse«, sagte er diplomatisch.

Wenn Stephanie enttäuscht war, ließ sie es sich nicht anmerken.

»Dafür habe ich vollstes Verständnis, lieber Jaaron. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen«, säuselte sie lächelnd.

Jaaron war zunächst erleichtert, doch was die Zukunft betraf, war ihm nicht wohl.

*

Stephanie de la Siniestro war hingegen sehr zufrieden. Sie war überzeugt, den alten Mann früher oder später für sich zu gewinnen. Sie fand Ronald Kreupens Vorschlag, Jaaron Jargons Fähigkeiten für das Quarterium zu nutzen, sehr gut. Zur Not musste man eben ein bisschen Druck auf den Linguiden ausüben. Das würde Kreupens Aufgabe sein. Am nächsten Tag traf sie sich mit dem LFT-Botschafter Lester Slone und seinem Militärattaché Henry Portland in New Terrania, um für ihr neuestes Vorhaben, die Olympiade, zu werben.

»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, meine Herren«, sagte sie zu den beiden Diplomaten, als sie Platz in ihrem Büro genommen hatten.

»Wir sind jederzeit für die Außenministerin des Quarteriums zu sprechen«, sagte Slone höflich.

»Das hört man gerne. Das Quarterium ist sehr an freundschaftlichen und engen Beziehungen mit der LFT interessiert«, betonte Stephanie.

»Leider hatte man in letzter Zeit nicht immer den Eindruck, dass dies der Fall wäre«, meinte Slone.

Stephanie kicherte und winkte ab.

»Aber ich bitte Sie, Mister Slone. Das waren doch nur Missverständnisse. Als Zeichen unserer Verbundenheit mit der Milchstraße und mit der LFT möchte das Quarterium die LFT als erste Nation zu unserer geplanten, intergalaktischen Sport-Olympiade einladen.«

Slone runzelte die Stirn.

»Olympische Spiele in Cartwheel? Ich selbst mache mir zwar nicht viel aus Sport, aber die Idee ist sicherlich zu begrüßen. Vielleicht kann ein sportliches Kräftemessen die Völker wieder enger zueinander führen.«

»Genau dieser Meinung bin ich auch. Neben dem Quarterium und der LFT sollten noch das Kristallimperium und Saggittor als wichtigste Nationen teilnehmen«, meinte Stephanie.

»Das klingt gut«, stimmte Slone zu. »Was meinen Sie, Flak?«

»Nun, ich halte diese Idee für ausgezeichnet. Ich bin aber der Meinung, dass alle Nationen daran teilnehmen, egal, welcher Rasse sie angehören. Die Blues, Topsider, Akonen und Somer dürfen nicht fehlen«, entgegnete dieser.

»Ich stimme Ihnen zu, Flak. Wenn alle Nationen eingeladen werden, wird die LFT ihrem Plan zustimmen, Miss de la Siniestro. Natürlich müsste das noch mit den zuständigen Sportverbänden abgesprochen werden«, erklärte Slone.

»Natürlich, das ist doch selbstverständlich«, säuselte Stephanie.

Sie war zwar von Portlands Vorschlag nicht besonders begeistert, aber ihr war klar, dass sich dieses Zugeständnis nicht vermeiden ließ.

*

Schon am nächsten Tag verkündete Stephanie de la Siniestro öffentlich in ganz Cartwheel, das vom 3. bis 23. Februar 1306 NGZ eine intergalaktische Olympiade ausgetragen wurde, die zugleich Sommer wie Winterspiele beinhaltete. Die Großveranstaltung sollte im Zeichen der Völkerverständigung und des Friedens stehen und alle Nationen waren herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Das dies alles nur ein Propagandatrick war, um das Quarterium als starke, hoch entwickelte Zivilisation zu preisen, sagte die Informationsministerin natürlich nicht.

*

29. Juni 1305 NGZ, New Terrania

 

Am Abend des 29. Juni gab der Emperador einen Empfang in seiner Residenz in New Terrania. Anlass war die Bekanntgabe der Olympiade. Sämtliche wichtige Diplomaten waren eingeladen. So kam auch Henry Portland mit seiner Frau Rhonda, die ganz begeistert davon war, sich endlich einmal in solch erlauchten Kreisen bewegen zu können. Rhonda Portland war einst eine schöne Frau gewesen, hatte jedoch ihre besten Jahre mittlerweise hinter sich gelassen, doch Portland liebte seine Frau noch immer, wenngleich sie ihm manchmal ganz schön auf die Nerven ging.

»Hach sieh nur, Flak! Da steht der Emperador! Ist er nicht eine stattliche Erscheinung?«, meinte Rhonda zu ihrem Mann.

»Wenn du meinst, Rhonda.«

Die Portlands standen in einer Schlange von Diplomaten, die nach einander an dem Emperador und seiner  Familie vorbeigingen und von den Siniestro begrüßt wurden. Schließlich waren die Portlands an der Reihe. Der Emperador - ganz Gentlemen alter Schule - küsste Rhonda die Hand.

»Es ist mir eine Ehre, eine solch schöne Frau in meinem Hause begrüßen zu dürfen«, sagte er höflich.

»Oh, vielen Dank, Euer Majestät«, freute sich Rhonda, der das runter ging wie Öl.

»Ich hoffe, Sie haben eine schöne Wohnung in New Terrania gefunden, Mister und Misses Portland.«

»Leider noch nicht, Sir. Momentan wohnen wir noch in der Botschaft«, antwortete Flak.

»Ich bin sicher, da wird sich was machen lassen«, meinte der Emperador.

Während Portland von dem alten Spanier nicht sonderlich begeistert war, schwärmte Rhonda in höchsten Tönen von ihm, als sie an ihrem Tisch saßen.

»Hast du das gesehen, Flak? Er hat mir die Hand geküsst! Man merkt wirklich, dass er aus der guten alten Zeit stammt.«

»In der Tat, man könnte meinen, er möchte sie uns wiederbringen, die gute alte Zeit«, meinte Portland grimmig.

»Ich weiß wirklich nicht, was du gegen ihn hast. Was er geleistet hat, ist doch wirklich höchst beeindruckend«, erwiderte Rhonda verständnislos.

»Da haben Sie Recht, gnädige Frau. Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze?«, fragte einer älterer Mann, ein Offizier.

Flak erkannte den Mann sogleich. Es war der arkonidische General Mandor da Rohn, der einen hohen Posten im militärischen Stab des Quarteriums bekleidete. Flak hatte schon ein paar Mal dienstlich mit da Rohn zutun gehabt und schätzte ihn, obgleich nicht verstand, wie solch ein respektabler Mann für das Quarterium arbeitete.

»Oh, General da Rohn. Ich grüße Sie, bitte nehmen Sie doch Platz.«

Bevor der General Portlands Aufforderung nachkam, gab er Rhonda einen Handkuss.

»Wie Sie sehen, können auch Arkoniden Gentlemen sein.«

»Wie reizend! Daran habe ich aber auch nicht gezweifelt, Herr General«, säuselte Rhonda und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Weinglas.

»Um auf ihre Bemerkung zurückzukommen, Frau Portland: In der Tat hat der Emperador Beachtliches geleistet. Es ist ihm gelungen, was weder unserem Imperator Bostich noch Ihrem legendären Perry Rhodan gelungen ist: Er hatte eine ganze Galaxis geeint. Das verdient Anerkennung«, meinte da Rohn.

»Die ganze Galaxis? Saggittor, Akon und die Thoregon-Völker weigern sich nach wie vor dem Quarterium beizutreten«, stellte Portland richtig.

Da Rohn winkte ab.

»Die werden schon vernünftig werden. Das ist nur eine Frage der Zeit, bis wir sie davon überzeugen werden.«

»Notfalls mit Gewalt?«

»Ich hoffe nicht. Das Ultimatum halte ich persönlich für unglücklich, andererseits muss man manchmal eine Drohkulisse aufbauen, wenn man Krieg vermeiden will. Und der Erfolg gibt dem Emperador recht. Letztlich müssen alle Völker Cartwheels an einem Strang ziehen, wenn sie gegen MODROR bestehen wollen«, meinte der General überzeugt.

»Glauben Sie, das Leute wie die da, das auch so sehen?«, fragte Portland und deutete auf Werner Niesewitz der mit Reinhard Katschmarek, Peter Roehk und Alcanar Benington an einem Tisch saß und lauthals mit ihnen ein Bier nach dem anderen trank.

Der arkonidische General verzog sein Gesicht.

»Abschaum, genau wie dieser Überschwere. Der Emperador und der Gos’Shekur täten gut daran, sich von denen zu trennen.«

»Aber, meine Herren! Wir wollen doch nicht den ganzen Abend mit Gerede über langweilige Politik vergeuden«, meldete sich Rhonda wieder zu Wort.

Portland verdrehte die Augen. Seine Frau begriff wieder einmal nichts. Er fand die Diskussion mit da Rohn sehr interessant und hätte sich gerne näher mit ihm unterhalten, um über ihn aufschlussreiche Kontakte zum Quarterium zu bekommen. Aber so war Rhonda nun einmal, sie interessierte sich kein bisschen für Politik.

»Sie haben völlig recht, Frau Portland. Wir sind schließlich hier um uns zu amüsieren«, stimmte da Rohn Flaks Frau zu.

Sonderliche Begeisterung ließ seine Stimme allerdings nicht erkennen. In diesem Punkt ähnelte der Arkonide Flak Portland. Beide waren konservative Militärs, die mit dem ausgelassenen Treiben der Partygäste und deren üppigen Alkoholkonsum wenig anfangen konnten.

»Huch, seht doch mal! Ist das nicht diese Rosan Orbanashol-Nordheim, oder wie die heißt?«, fragte Rhonda Portland plötzlich und deutete auf eine junge Frau mit rotbraun gelockten Haaren, die gerade zusammen mit einem Mann hereingekommen war.

Mandor da Rohn nickte.

»In der Tat, das ist sie. Und der Mann, der sie begleitet, ist doch Ihr LFT-Botschafter, nicht wahr, Flak?«, wandte er sich an Portland.

»Ja, das ist Lester Slone. Sie haben Recht, General«, stimmte dieser zu.

»Ganz schön mutig die Dame«, meinte der Arkonide anerkennend.

»Naja, zur Hälfte fließt ja auch arkonidisches Blut in ihr.«

»Lassen Sie das bloß nicht Ihren Gos’Shekur hören, General«, meinte Portland.

»Hach, ist das aufregend!«, fand Rhonda Portland und goss sich gleich noch ein Glas Wein ein.

Die Portlands und General da Rohn waren nicht die Einzigen, die Rosans Anwesenheit bemerkt hatten. Viele der umstehenden Partygäste verstummten und starrten Rosan an.

Schließlich schob sich Uwahn Jenmuhs ächzend und schnaufend an einigen Gästen vorbei und trat drohend auf Rosan zu.

»Wie können Sie es wagen uns zu belästigen? Hier ist kein Platz für Essoya«, ereiferte er sich.

»So? Und wieso sind Sie dann hier?«, gab Rosan kühl zurück.

Sie war sich bewusst, dass dies nicht sonderlich diplomatisch war. Doch Uwahn Jenmuhs reizte sie bis aufs Blut. Er erinnerte sie stark an seinen toten Zwillingsbruder Hajun, mit dem sie einst auf der LONDON unangenehme Erfahrungen gemacht hatte.

Der fette Arkonide schnappte nach Luft. Noch nie hatte eine Frau es gewagt, so mit ihm zu sprechen. Jenmuhs lief rot an im Gesicht.

»So eine Unverschämtheit! Ich werde dich noch Respekt lehren, Weib! Wache, ergreift sie!«, zeterte er.

»Dazu haben Sie kein Recht!«, ging Botschafter Slone dazwischen.

»Miss Orbanashol-Nordment steht unter dem offiziellen Schutz der LFT-Regierung und Resident Perry Rhodan«, stellte er klar.

Jenmuhs wusste nicht, was er sagen sollte. Am liebsten hätte er Rosan auf der Stelle umgebracht. Stattdessen ergriff der Gastgeber Don Philippe de la Siniestro das Wort.

»Aber, aber, meine Herren und meine Dame! Wir wollen uns doch nicht streiten. Senorita Orbanashol ist selbstverständlich mein Gast, Herr Botschafter.«

An Jenmuhs gewandt, sagte er mit leicht tadelndem Ton: »Ich muss Sie doch um ein wenig Mäßigung bitten, verehrter Gos´Shekur. So kann man doch eine Dame nicht behandeln.«

Wütend und wortlos stapfte Jenmuhs davon.

»Vielen Dank, Emperador«, bedankte sich Lester Slone.

»Nichts zu danken, man ist ja schließlich Kavalier. Darf ich Sie zu einem Gläschen Champagner einladen, Senorita?«, fragte der alte Spanier.

»Herzlich gern«, nahm Rosan an. Sie wurde nicht recht schlau aus dem alten Mann, aber sie war aus einem bestimmten Grund gekommen.

»Ich wollte ohnehin mit Ihnen sprechen. Sie scheinen der vernünftigste von allen zu sein«, sagte sie, als sie an einem abgelegenen Tisch Platz genommen hatten.

»Was kann ich für Sie tun, Senorita?«, fragte Don Philippe neugierig.

»Wie wäre es, wenn das Quarterium und die USO den kalten Kriegszustand beenden und von nun an wieder zusammenarbeiten? Sorgen Sie dafür, dass die USO als legale, unparteiische Ordnungsmacht wieder anerkannt wird«, schlug sie vor.

Der Emperador war angenehm überrascht.

»Dies wäre sicherlich großartig. Es entspricht unserer Politik Cartwheel zusammenzuführen und als eine Einheit zu formen, da darf die USO nicht fehlen. Ich würde mich dazu bereit erklären, wenn die USO eine Bedingung erfüllt.«

»Und welche?«, fragte Rosan unbehaglich.

»Sie müssen Ihre Truppen aus Siom-Som abziehen.«

Rosan dachte kurz nach, dann antwortete sie.

»Nein, dem kann ich unter keinen Umständen zustimmen. Siom-Som wurde widerrechtlich angegriffen, wir helfen dort nur. Erst wenn die Dorgonen sich wieder zurückziehen, wird auch die USO abziehen.«

»Das ist bedauerlich. Nun, wir müssen Geduld haben. Die Zeit wird zeigen, ob eine Lösung dieses Problem möglich ist. Ich werde aber Ihr Anliegen wohlwollend prüfen und mit meinem Kabinett besprechen«, versicherte der Emperador.

»Das ist ja immerhin etwas«, meinte Rosan und verabschiedete sich von dem alten Spanier, der ihr sehnsüchtig nachblickte.

Eine Frau wie Rosan hätte er gerne an seiner Seite gehabt, doch stattdessen hatte er sich mit einer Frau wie Dorys Gheddy abgeben müssen. Mit Grauen erinnerte sich der Emperador an seine kurze Ehe mit dieser grässlichen Frau zurück.

»Was wollte die Orbanashol?«, fragte eine kalte Stimme, die Don Philippe aus seinen Gedanken aufschrecken ließ. Es war Cauthon Despair.

»Müssen Sie sich so ran schleichen? Ich bin ein alter Mann.«

»Einen Herzinfarkt können Sie, dank Ihres Zellaktivatorchips, nicht kriegen«, meinte Despair trocken.

»Was machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie mögen keine Feste«, wunderte sich Don Philippe.

»Ich muss Sie dringend sprechen, es gibt unerfreuliche Neuigkeiten.«

Der Emperador ging mit dem silbernen Ritter in sein Arbeitszimmer. Nachdem er in seinem bequemen Sessel Platz genommen hatte, fragte er ungeduldig:

»Also, was ist nun so dringend?«

»Wie Sie wissen, hat Aurec vor zwei Wochen Saggittor überraschend verlassen«, begann Despair.

»Ja, er wollte er eine Rundreise in die Lokale Gruppe machen. Na und? Seien Sie doch froh, dass er eine Weile weg ist.«

»Seine Rundreise geht aber nicht in die Lokale Gruppe, sondern nach ESTARTU, genauer gesagt nach Siom-Som. Und er hat 2.000 schwer bewaffnete Schiffe mitgenommen.«

Fassungslos erhob sich der Emperador aus seinem Sessel.

»Aber das kann doch nicht sein. Sind Sie auch ganz sicher, Despair?«

»Meine Agenten sind zuverlässig. Aurec greift in den Estartu-Konflikt ein. Das kann nur eins bedeuten: Krieg!«

 

 

ENDE

Aurec ist mit einer Hilfsraumflotte nach Siom Som aufgebrochen. Er will die Estarten vor den Angriffen der Dorgonen schützen. Mehr darüber schildert S.W. Wltschek in Band 73 »Kampf um Stormgarde«.

 

 

 

 

Kommentar

Mutanten und Cauthon Despair

Zuerst jedoch noch ein Nachtrag zum Tollhaus. Ich möchte an dieser Stelle nochmals Nils meinen Respekt und meine Anerkennung aussprechen, dass er es wagte, ein solches Thema zum Gegenstand eines SF-Romans zu machen. Wenn wir uns das Themen-Spektrum der SF vor Augen führen, sind Romane, die sich mit der Situation von psychisch Kranken in einem Zukunftsszenario beschäftigen, äußerst dünn gesät. (Interessant in diesem Zusammenhang dürfte Übriges auch sein, dass die „größte SF-Serie der Welt“ dieses Thema nie aufgriff.) Umso höher ist die Leistung von Nils und Jens zu bewerten, die in den beiden Bänden sehr eindrucksvoll die Lebensumstände des „Ausschusses“ der Quarteriums-Gesellschaft schildern. Übrigens ist die Abschiebung von Regimegegnern in psychiatrische Kliniken ja bekanntlich nichts Neues.

*

Nun zurück zur Handlung des aktuellen Romans, der so etwas wie den Abschluss dieser Trilogie darstellt. Besonders interessant für die weitere Entwicklung der Handlung dürfte die Reaktivierung des Mutantencorps von Cartwheel sein wobei auffällt, dass Sato Ambush anscheinend keine Rolle mehr spielt, was ich persönlich sehr bedauerlich finden würde. Wenn sich die Mutanten auf die Seite der Gegner des Quarteriums stellen, würde dieses ernste Probleme bekommen. Interessant dürfte daher die Rolle der Mutanten in der weiteren Entwicklung der Handlung werden.

Hierbei erhebt sich die Frage, ob die Autoren es wagen, wieder „echte“ Mutanten in Einsatz zu schildern, oder ob uns auch innerhalb der Dorgon-Serie „kastrierte“ Mutanten entsprechend der aktuellen Handlung der Mutterserie erwarten. Ich für meinen Teil würde mich über echte Abenteuer im Stile des „alten“ Mutantenkorps des Solaren Imperiums freuen. Also liebe Autoren, lasst eure Phantasie spielen – Parafallen u.ä. können doch nicht wirkliche Hindernisse für einen Autor sein! ;-)

Und nun noch einige Bemerkungen zur Entwicklung einer der Hauptpersonen der gesamten Dorgon-Serie, nämlich zu Cauthon Despair.

Ich fand die Charakterzeichnung des „silbernen Ritters“ am Anfang der Serie äußerst faszinierend. Das übliche Schema von „gut“ und „böse“ war auf ihn nicht anwendbar. Sein Charakter hatte sowohl positive als auch negative Eigenschaften.

Im Quarterium-Zyklus wird jedoch zunehmend die „schwarz-weiß Sicht“ bevorzugt. Despair wird zur reinen Negativfigur, was meiner Meinung nach das Potenzial dieses Charakters wesentlich einschränkt. Die Faszination von Despair machte gerade aus, dass er eben nicht in das übliche „Freund-Feind Bild“ passte.

Nun, vielleicht ist meine Einschätzung falsch, und ein von Gewissensbissen gepeinigter Despair tritt wieder in Erscheinung. Lassen wir uns überraschen.

Der vorliegende zweite Teil des  Romans von Jens führt uns wieder zurück nach Cartwheel und eröffnet einige sehr interessante Handlungsperspektiven.

Ich möchte mich heute auf die außenpolitische Lage und die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen beschränken und werde mich jedoch in einem späteren Kommentar noch eingehend mit der »Artenbestandsregulierung« (ich nehme an, dass dieses Thema sich noch über weitere Bände erstrecken wird) beschäftigen.

*

Nun, fragen wir uns einmal, wie es in Cartwheel weitergehen kann. Wer bzw. welche Macht kann überhaupt die Söhne des Chaos stoppen?

Die Ausgangslage ist im Moment klar, bisher hat sich nur Aurec eindeutig gegen das Quarterium gestellt. Wer kann also das Quarterium in seine Schranken weisen? Aufgrund der geschilderten Situation ist dafür geballte militärische Macht nötig.

Gehen wir einmal die möglichen Kandidaten durch:

LFT:

Eindeutig Nein! Die LFT, wie sie sich uns im Jahr 1305 NGZ darstellt, ist militärisch dem Quarterium eindeutig unterlegen. Die ehemalige solare Flotte ist weitgehend defensiv, als Schutz für das SOL-System konzipiert und keinesfalls in der Lage, größere militärische Aktionen in fernen Galaxien durchzuführen. Darüber hinaus kann sie sich irgendwelche größeren militärischen Operationen außerhalb der Milchstraße überhaupt nicht leisten, da eine Schwächung der Verteidigung durch den Abzug von Einheiten der LFT unweigerlich aufgrund der politischen Lage in der Milchstraße das Kristallimperium unter Bostich geradezu einladen müsste, den vorherrschenden »Kalten Krieg« in einen »Heißen Krieg« umzuwandeln.

USO:

Hier liegt die Lage etwas anders. Klar ist, dass auch die USO für direkte militärische Aktionen nicht geeignet ist. Ihre Stärke liegt nicht in der direkten Aktion, sondern in Operationen aus dem Dunkel. Also auftauchen, zuschlagen und wieder verschwinden – das klassische Guerillaszenario. Und genau hier werden, so denke ich wenigstens, das Quarterium und die Dorgonen noch einige unliebsame Überraschungen erleben. Jedoch, auch das sei klar gesagt, über Nadelstiche und eine allgemeine Verunsicherung wird die Wirkung der USO nie hinausgehen können. Sie kann zwar die absolute Macht des Quarteriums bzw. der Dorgonen verhindern, aber zur Zerschlagung der Pläne MODRORS ist sie zu schwach.

*

Wer oder was bleibt also übrig? Wer kann die »Söhne des Chaos« stoppen? Ich denke, hierzu gibt es nur eine Antwort, und jetzt lehne ich mich weit aus dem Fenster, das Quarterium selbst. Entscheidend werden meiner Meinung nach, zwei Personen sein:

Joak Cascal und Orlando de la Siniestro

Saggittor (sorry Aurec), Akon und die Thoregon-Völker werden über kurz oder lang (eher kurz) von der militärischen Macht des Quarteriums überrollt und vernichtet werden.

Was bleibt also übrig? Nur das Quarterium selbst, das meiner Meinung nach eine »unheilige Allianz« zwischen Terranern, Arkoniden, Überschweren und Bestien darstellt. Und genau hier dürfte der Denkfehler MODRORS liegen: Auf die Dauer werden sich die Terraner nicht zur Unterdrückung und Ausrottung anderer Rassen missbrauchen lassen (sonst wäre die kosmische Bestimmung der Menschheit ein für alle Mal ad absurdum geführt). Was fehlt, ist eine Kristallisationsfigur, die den Menschen die Augen über die wahren Ziele der »Söhne des Chaos« öffnet. Und genau die ist Joak Cascal!

Jürgen Freier

JF

 

 

 

GLOSSAR

Artenbestandsregulierung

Die Artenbestandsregulierung wird auf der Konferenz vom Juni 1305 NGZ beschlossen. Sie bedeutet die Dezimierung extraterrestrischer Lebewesen auf ein für das quarteriale Regime erträgliches Minimum. Die Völker sollen keine Gefahr mehr für das Imperium darstellen können (z. B. durch Revolution, Widerstand).

Noch im selben Monat wird die Behörde für Artenbestandsregulierung eingerichtet. Beauftragter für die ABR ist der Minister für die Alienangelegenheiten Reinhard Katschmarek.

Die CIP gründet die Sonderabteilung 2, die eigens für die ABR zuständig sein wird. Die CIP und besonders ausgewählte Militärs werden für die Umsetzung der ABR in Cartwheel und später, im Falle eines Krieges in den estartischen Galaxien oder gar M87, in den besetzten Gebieten verantwortlich sein. Die ABR wird auf Wunsch des Gos'Shekur Uwahn Jenmuhs mit sehr hoher Priorität verfolgt.

Was die Militärs jedoch nicht ahnen, ist, dass Cau Thon persönlich im Namen MODRORs die Massenvernichtung angeordnet hat. Welche Ziele er damit verfolgt, bleibt den wenig Eingeweihten (Emperador de la Siniestro, Jenmuhs, Torsor, Leticron und Despair) verborgen.

Für die »Regulierung« des Artenbestandes (insbesondere der Blues) werden sog. Entsorgungslager (EL) auf den Welten Objursha, Davau und Koshan eingerichtet. Internierungslager und Ghettos werden auf diversen Welten eingerichtet. Das bekannteste ist das schöne Ghetto »Carjulstadt«.

Dieses heikle Thema wird von der Regierung des Quarterium natürlich harmlos dargestellt. Offiziell spricht man von »Resozialisierungseinrichtungen«, »Umsiedlungen in autonome Gebiete« und »Ermöglichung einer friedlichen Koexistenz basierend auf ein differentes Lebensumfeld«. Die CIP ist für die Geheimhaltung verantwortlich. Während autonome Gebiete wie Carjulstadt als Vorzeigesiedlung dienen, werden die wahren Vernichtungslager Objursha, Davau und Koshan abgeschirmt.

Die Vernichtung der Lebewesen soll nach folgendem Konzept ablaufen:

·         Fahndung und Selektion durch die Bezirks-Kommandeure und ihre Untergebenen

·         "Verhaftung" der Betreffenden

·         Den Betreffenden ein Angebot zur Umsiedelung machen. Wohnungen aussuchen lassen etc. (das Opfer soll nichts von der Exekution mitbekommen)

·         Abtransport (entweder Zwischenlager wie Carjulstadt etc. oder direkt ins Endlager)

·         Enteignung des Hab und Gutes. Aufteilung an quateriale Banken und Industrien (Shorne Industrys z. B.)

·         Zwangsarbeit in den ELs

·         Bei Unbrauchbarkeit Entsorgung durch Konverter

Die finanziellen Mittel werden teilweise durch private Förderer, wie die Shorne Industry Gesellschaft, gestellt. Die SIG wird durch die Enteignungen der Wesen, die entsorgt werden, entschädigt.

Um Zweifler zu überzeugen, werden manche Entsorgte vorher geklont, um der Öffentlichkeit resozialisierte Aliens vorweisen zu können.

Vrank Asteroid

Geboren auf Terra, ehemaliges Besatzungsmitglied der SLEEPY HOLLOW. Asteroid ist zusammen mit dem Rest der Besatzung im Jahre 1298 NGZ in die Psychiatrie für verdiente Raumfahrer eingewiesen worden. Bei allen Besatzungsmitgliedern ist eine unheilbare Geisteskrankheit, bedingt durch Strahlen eines fremden Schutzschirmes, festgestellt worden. Die Krankheit resultiert von der Expedition der SLEEPY HOLLOW in die Galaxis Seshonaar. Dabei gerät das Explorerschiff in ein unbekanntes Energiefeld, welches diesen Nebeneffekt hervorruft. Vrank Asteroid, ehemals Mechaniker an Bord der SLEEPY HOLLOW, glaubt seither, dass er nur zur Kur in der Psychiatrie ist. Er kann sich nur noch 5 Minuten etwas merken, vergisst Namen, Ereignisse, einfach alles. Er glaubt, er befindet sich noch im Jahre 1290 NGZ.

Asteroid wird in die Flucht von Joak Cascal und Kathy Scolar verstrickt. Er kommt unfreiwillig mit und bringt die beiden durch seine schusselige Art mehr als einmal in Schwierigkeit. Nachdem Kathy Scolar den Kontakt mit Aurec wieder hergestellt hat, wird Asteroid mit nach Saggittor genommen, wo er in ein Pflegeheim gebracht wird.

Militärränge in der quarterialen Raumflotte

Die Hierarchie in der quarterialen Flotte ist ähnlich aufgeteilt, wie es die Rangordnung innerhalb der Solaren Flotte gewesen ist, jedoch mit einigen kleineren Änderungen:

Kadett – Auszubildender Soldat

Raumfahrer-Rekrut – Fortgeschrittener Ausbildungssoldat

Raumfahrer – Ausgebildeter Soldat

Unteroffizier – Niedrigster Unteroffiziersrang, befehligt bis zu 10 Raumfahrer oder ein Geschütz

Sergeant – Höherer Unteroffiziersrang; befugt, als Ausbilder zu fungieren

Fähnrich – Offiziersanwärter nach bestandener Zwischenprüfung

Leutnant – Ausgebildeter Offizier, Brückenpersonal

Oberleutnant – Brückenpersonal, Befehlshaber von Gruppen

Chief / Bootsmann – Höherer Offizier, Maschinenraum

Hauptmann – Kommandant Space-Jet-Einheiten, Minor Globes, einzelner Geschwader

Major – Kommandant von Kreuzern

Oberstleutnant – Kommandant von Schlachtschiffen, kleinen Flottenpulks; Stabsplanung

Oberst – Kommandant einer Flottengruppe

Konter-Admiral - Befehlshaber einer Flotte. Kommandant eines Supremo A-Schiffes

Admiral – Befehlsgewalt wie Konteradmiral, zudem stellvertretender Oberbefehlshaber aller Flotten; Stabsplanung; Befehlsgewalt über Flottenverbände

Großadmiral - Oberbefehlshaber der vier Flotten

 

CIP-Kommandostruktur

Leiter der Cartwheel Intelligence Protective ist Marschall-Kommandeur Werner Niesewitz. Sein Stellvertreter ist der Arkonide Stevan da Reych. Da Reych trägt den Titel eines General-Kommandeurs inne. Die Ränge in der CIP stellen sich wie folgt dar:

Agent – Einfacher Rang in der CIP. Befugt, Einsätze in ganz Cartwheel durchzuführen.

Special-Agent – Wird bei speziellen Aufgaben eingesetzt, die besonders heikel sind. Special-Agents sind die besten Agenten an der Front.

Chief-Agent – Operationsleiter, beteiligt sich an Einsätzen.

Kommandeur – Kommandiert eine Gruppe von Agenten oder befehligt eine Niederlassung bzw. ein Lager.

Gruppenkommandeur – Oberbefehlshaber von speziellen Einrichtungen und von CIP-Belegschaften einer Stadt.

Bezirkskommandeur – Oberbefehlshaber über die CIP-Belegschaft auf Planeten

Oberst-Kommandeur – Oberbefehlshaber über die CIP-Belegschaft im Wirkungsbereich eines Quarteriumsfürsten.

General-Kommandeur – Strategische Planung, Leitung der CIP.

Marschall-Kommandeur – Leiter der CIP.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.  —  Copyright © 1999-2016

Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 72, veröffentlicht am 13.05.2016

Titelillustration: Gaby Hylla

Lektorat: Jürgen FreierDigitale Formate: Christina Hacker