Quarterium-ZYKLUS
Dorgon steht kurz vor dem Sieg
Ralf König
Was bisher geschah Im Jahre 1305 NGZ ist die Lage in Cartwheel vollkommen verändert. Der Bund der Vier hat das Reich Quarterium gegründet, dessen Imperatore Don Philippe de la Siniestro ist. Das Quarterium ist ein mächtiges und starkes Imperium, unter dessen Befehl eine gigantische Armee steht. Doch während für die Lemurerabkömmlinge ein neues Reich entstanden ist, drohen die Extraterrestrier in Cartwheel zu Wesen zweiter Klasse zu werden. Überschattet werden diese Ereignisse jedoch von der Invasion der Dorgonen in die estartischen Galaxien. Während Perry Rhodan und die USO in geheimen Operationen den Estarten helfen wollen, spielen sich ganz andere Szenen auf Mankind ab. In der Anstalt für verdiente Kriegshelden ist jemand davon überzeugt, der verstorbene Joak Cascal zu sein, doch dem Mann glaubt niemand. Zur selben Zeit befindet sich auch die labile Kathy Scolar in der Anstalt. Beider werden Opfer einer Verschwörung und es stellt sich heraus, dass der Mann wirklich Joak Cascal ist. Derweil ist die estartische Armee am Ende, Siom Som hat kapituliert und auch die anderen Galaxien sind vor der dorgonischen Invasionsflotte nicht mehr sicher. Doch die Hilfe durch die USO und die Widerstandsgruppe ULEMAN lassen Sam und sein Volk wieder hoffen. Dank der USO befinden sich nun GEHEIMAGENTEN IN SIOM SOM ... |
Hauptpersonen Panisha Soradan Mog Aro - Der Pteru steigt von seinem Berg herunter, um Siom Som zu retten. Shada Ranrib - Die Shada holt ihren neuen Meister aus der Einsamkeit. Gal'Arn Jonathan Andrews Jan Scorbit - Die Anführer der Operation »Freier Adler« Shenia Drenia und Waldron Tragonar - Die beiden Goner suchen nach den Anführern des Untergrundes. Torrinos und Sruel Allok Mok - Die Anführer des Untergrundes in Siom Som. Sam Tyler - Der ehemalige Söldner bildet Untergrundkämpfer aus und macht sich keine Illusionen. Elgalar, Seppeltus und Vesus - Die dorgonischen Statthalter in Siom Som
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Der Schnee fiel in dichten, weißen Flocken. Die Atmosphäre war merkwürdig, sauber und rein auf der einen Seite, wie es einem nur vorkam, wenn frischer Schnee die ganze Welt zu bedecken schien, schallgedämpft auf der anderen Seite, auf eine merkwürdige Weise ruhig und friedlich, die gar nicht zu der derzeitigen Situation passen wollte. Meditativ und einsam, so liebte der Beobachter es.
Lange Zeit lag die Landschaft friedlich und ruhig. Niemand bewegte sich in dieser Einöde, niemand verunstaltete das Bild des sauberen glatten Untergrundes, den der Schnee zu bilden schien.
Niemand.
Für lange Zeit nicht.
Aber nach vielen Jahren, in denen niemand die Einsamkeit dieses verwunschenen Ortes gestört hatte, wurde der Schneefall doch unterbrochen durch ein Geräusch, das die ganze Welt aufzurütteln schien, denn mit einem Mal brach ein Schneesturm los, der die friedliche Welt in eine Welt des Chaos verwandelte.
Und inmitten dieses Chaos bewegte sich die schmale Gestalt eines menschlichen Wesens. Die Frau schien nicht zu dieser Welt zu gehören. Sie war nicht einmal sonderlich warm gekleidet, ein dünnes Hemdchen spannte sich über ihren schlanken, fast mageren Körper. Eine Menschenähnliche, wie der geheimnisvolle Beobachter feststellte. Schweigend verfolgte er, wie sich die Gestalt über den Schnee quälte, einerseits fast zu schweben schien, kaum in den tiefen Schnee einsank, was ihre Zartheit nur noch unterstrich. Andererseits aber kam sie kaum noch vom Fleck und der Beobachter fragte sich, was sie hier tat, alleine in dieser Gegend, frierend und verzweifelt.
Der Schneesturm flaute ab, als die Gestalt beinahe den Beobachter erreicht hatte. Er kauerte schweigend und abwartend in der Höhle, in der sich nicht sehr viel befand. Jemand, der nur einen oberflächlichen Blick hineinwarf, hätte sich gefragt, wie es dieser Einsiedler in dieser Kälte, an diesem Ort, so alleine über einen längeren Zeitraum aushalten konnte. Ein geübter Beobachter hätte aber die feinen Linien erkannt, die verborgene Zugänge trotz aller Sorgfalt verrieten.
Die schlanke Gestalt war aber keine geübte Beobachterin mehr. Frierend zog sie die Schultern hoch, rieb die schmalen, wie durchscheinend wirkenden Hände aneinander und blies vergeblich hinein. Der Atem kam als Wolke kondensierter Feuchtigkeit aus der kleinen Höhle, die die Hände zu bilden versuchten, löchrig wie ein Sieb waren sie, ließen die kostbare Wärme entweichen. Nur für einen Augenblick verspürte der Beobachter Mitleid. Dann versank er wieder in Betrachtungen dieser Welt und wartete.
Bis sie ihn erreicht hatte und stehen blieb. Er erkannte, dass das dünne Kleidchen, das er zu erkennen geglaubt hatte, gar kein Kleidchen war. Und sie war auch lange nicht so blau gefroren, wie es ihm im ersten Augenblick erschienen war. Und vermutlich war sie doch eine weitaus bessere Beobachterin, als er sich vorgestellt hatte. Was auch immer er sich gedacht hatte, sie war alles andere als das. Alles andere, als eine ätherische, geisterhafte Gestalt. Sie war real, hinterließ flache, aber deutlich sichtbare Eindrücke, in dem weichen, weißen Schnee, der ihre Schritte dämpfte und gleichzeitig ein leises Knirschen produzierte, das nur zu vernehmen war, wenn der Schnee sehr kalt war.
Der Beobachter kannte diese Gegend genau. Normalerweise kam niemand hier herauf, weil dieser Ort zu den unwirtlichsten dieser Planeten gehörte. Genau aus diesem Grund hatte er sich hierhin zurückgezogen und schon seit Jahren nichts mehr von der Welt gehört, die da draußen lag und darauf wartete, von ihm entdeckt zu werden. Er wollte nicht, versteckte sich vor der Welt, zog sich in eine Einsamkeit zurück, die sonst wohl niemand ertragen würde können. Atmete die Kälte dieses Ortes, sog die wilde, würzige Luft in seine Lungen, die die Kälte schon lange nicht mehr spürten, und wartete.
Worauf er wartete, wusste er selbst nicht.
Und dass es noch Menschen gab, die sich an ihn erinnerten, kam ihm wie ein Wunder vor. Denn nichts anderes bedeutete die Ankunft dieser Frau. Nach all den Jahren hatte er Schwierigkeiten, sie zu erkennen. Sie war eine Schönheit, erkannte er. Ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr gekannt hatte, breitete sich in seinen Lenden aus und er musste an sich halten, um nicht aufzuspringen und ihr entgegenzugehen.
Seine Entscheidung, dem Wahnsinn dieses Lebens für einige Zeit zu entfliehen, hatte er niemals bereut. Für eine lange Zeit war er vollkommen Incommunicado gewesen, hatte nicht mehr interagiert mit der Welt, die er kannte, und was noch wesentlich wichtiger war, er war nicht mehr ansprechbar gewesen, hatte sozusagen bewusst den Aus-Knopf gedrückt, um nicht mehr erreicht werden zu können. In der Einsamkeit hatte er nach Jahren der Hektik, des Lebens am Abgrund und der ständigen Erreichbarkeit erkannt, wie schal und leer doch in Wahrheit dieses Leben geworden war und wie wichtig es für ihn war, sich diesem Leben ein für alle Mal zu entziehen.
Er hatte sicher profitiert von dieser Entscheidung, war merklich reifer geworden. Mittlerweile erkannte er diese radikale Form der Askese als eine besondere Form von Luxus, die sich in einer Welt im Überfluss nur wenige leisten konnten oder gar erlaubten. Und trotz all dieser Einsamkeit hatte er nichts vergessen. Das bemerkte er in dem Augenblick, in dem er das Gesicht dieser Frau genau betrachtete, in dem er jede Linie las, in dem er ihr Aussehen geradezu in sich aufsog. Genug Zeit dazu hatte er, denn es war nicht einfach für sie, die letzten Höhenmeter zu überwinden. Sie kämpfte mühsam gegen den Schnee. Er bewegte sich nicht. Sie war zu ihm gekommen, sie musste selbst sehen, wie sie die letzten Meter überwinden würde. Aber er hatte keinen Zweifel, dass sie es schaffen würde.
Als sie ihn erreichte, war es, als würde ein Seufzer durch die verschneite Landschaft gehen, aber es war nur eine Lautäußerung des Wesens, das vor ihm auf die Knie sank und auf dem kalten Boden für wenige Augenblicke verharrte. Dann richtete sie sich auf und zeigte ihm damit mehr von ihrer Stärke, als sie vermutlich preisgeben wollte.
Schweigend wartete er, blickte sie an, studierte ihr Gesicht, ihre klaren Linien, die schlanke, steile Nase, deren Spitze keck nach oben gerichtet war. Er bewunderte die feinen Linien, die von ihrer Nase ausgehend in Richtung der Mundwinkel strebten und sich dort irgendwo verloren. Er genoss das klare Blau ihrer Augen, das wunderbar in die Landschaft passte und das Weiß ihrer Zähne. Ihr lockiges, dunkles Haar bildete einen interessanten Kontrast zu der weißen Umgebung, die seinen Augen schon lange nichts mehr anhaben konnte. Amüsiert schaute er zu, wie sie versuchte, sich aufzurichten und Haltung zu bewahren.
»Endlich.«
Ihre Stimme war nur ein Flüstern, ein dunkler, verwehender Klang in dieser gedämpft erscheinenden Umgebung. Er legte den Kopf zur Seite und lauschte dem sanften Echo nach, das nur für wenige Sekunden schwach zu vernehmen war und von ihr sicher nicht gehört wurde.
Erwartungsvoll blickte er sie an, seine Neugier war nicht zu bemerken. Wie auch, wenn er doch nach all den Jahren in dieser Einsamkeit gelernt hatte, eine Geduld nicht nur nach außen zu zeigen sondern auch nach innen wirken zu lassen, die niemand auf dieser Welt, vielleicht sogar niemand in dieser Galaxis jemals haben würde. Seine innere Ruhe war durch nichts zu erschüttern.
Nicht einmal durch das Ende der Galaxis.
Schwer atmend versuchte sie, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagen wollte und schaffte es schließlich.
»Wir haben alles verloren. Unsere Welt, unsere Heimat, unsere Sterneninsel. Der Krieg ist nach Siom Som gekommen. Sie haben uns besiegt. Viele Wesen sind gestorben.«
Sie senkte den Blick, die Träne kristallisierte in dieser Kälte sofort, bildete einen schimmernden Fleck auf ihren blassen Wangen. Er sagte nichts, wartete einfach nur.
»Eine fremde Macht regiert uns nun. Aber wir dürfen doch nicht einfach aufgeben. Der Widerstand formiert sich bereits, wir wollen unsere Heimat wiederhaben.«
Ein trotziger Zug spielte um ihre Mundwinkel und er fragte sich, wovor sie eigentlich Angst hatte. So lange es Menschen in diesem Teil des Universums gab, die einen solchen Weg zurücklegten, nur um einen lange vergessenen Geist eine solche Geschichte zu erzählen, mussten sie sich vor nichts fürchten. Zum ersten Mal lächelte er, nickte ihr zu und erhob sich aus der bequemen Haltung, die er fast immer einnahm, außer wenn er aß oder schlief. Von einem Augenblick zum anderen schüttelte er die Starre ab, die er sich all die Jahre selbst angetan hatte. Er richtete sich mit einer fließenden Bewegung auf und stellte fest, dass die Jahre in Askese seinem Körper nicht geschadet hatten. Er war stark und ausdauernd, wie er es immer gewesen war. Er streifte sein Kleidungsstück ab und stand vor ihr mit nacktem Oberkörper, dann bewegte er sich, eine gleitende, fließend erscheinende Bewegung, die ihn in eine Grundstellung brachte, die ihr nur allzu vertraut war. Sie schaute ihn verwundert an und begriff die Haltung des Mannes für einen Augenblick als Herausforderung, erkannte aber dann, dass es etwas vollkommen anderes war. Verwundert beobachtete sie den schattenhaften Boxkampf, der sich daraufhin auf dem engen Sims abspielte, den sie so mühsam erklommen hatte. Ihre Verwunderung wandelte sich sehr schnell in Bewunderung, als sie all die Bewegungen identifizieren konnte, die man ihr all die Jahre beigebracht hatte. Die Lehre des Upanishad, in Vollendung vorgeführt von einem ihrer größten Meister. Sie verharrte in Ehrfurcht und verbeugte sich schweigend, als der Mann fertig war und in der Höhle verschwand. Er raffte seine Kleidung zusammen, stattete sich mit all den Dingen aus, die aus der Zivilisation übrig geblieben und all die Jahre gut verborgen waren. Dann stand er vor ihr.
»Gehen wir«, sagte er. Nicht einmal eine Erfrischung bot er ihr an. Er schritt einfach in die verschneite Welt hinaus, ließ sich den kurzen Abhang hinunter gleiten und folgte den Fußspuren, die ihren Weg markierten, die aber immer schwächer wurden, je länger der Schneefall sie ausfüllte. Sie hatte Mühe, mit seinen kräftigen, geschmeidigen Schritten mitzuhalten. Und das, obwohl sie zu den besten ihres Jahrganges gehört hatte. Sie erkannte, dass die Gerüchte der Wahrheit entsprachen. Er war wirklich der beste, den es jemals gegeben hatte. Und vielleicht jemals geben würde.
Denn die Lehren der Upanishad waren zwar noch sehr präsent in den Galaxien von Siom Som, sie wurden auch noch gelebt, aber sie starben langsam, unmerklich, aus. Immer weniger Eingeweihte gab es, die alle Stufen der Upanishad erklimmen konnten und den Lehren in ihrer Reinheit folgten. Die heutigen Varianten der Upanishad waren allesamt verwässerte Nachfolger dieser einst so bedeutsamen Lehre, die allerdings, kombiniert mit den Ideen der Kodexmoleküle in ihr Gegenteil pervertiert wurden. Heute war das nicht mehr so, die Lehre funktionierte in ihrer einfachen Schlichtheit perfekt, auch ohne die Beimischung der Moleküle, die letztendlich nur das Schlechteste im Menschen geweckt hatten.
Eine lange Zeit des Talosh war vergangen, in der der männliche Pteru hoffentlich zu all den Dingen gefunden hatte, die er gesucht hatte.
Panisha Soradan Mog Aro hatte die selbst gewählte Isolation verlassen und bewegte sich in Richtung des Klosters, das er vor langer Zeit verlassen hatte, um sein eigenes Leben zu leben.
Die Festung auf dem einsamen Mond lag in relativer Dunkelheit, weitgehend unter der Oberfläche des Mondes und nur ein sehr geringer Bereich ragte über diese hinaus. An den Stellen, an denen die Festung auch von außen sichtbar war, waren manchmal Lichtschimmer zu erkennen, die sich aber in der Schwärze des Alls schnell verloren. Kein Schiff des Feindes konnte diese Festung finden. Sruel Allok Mok hoffte sehr, dass das so bleiben würde.
In dem Raum, der tief unter der Oberfläche lag, versammelten sich Menschen von Terra, die auf verschlungenen Wegen in diesen Mond gekommen waren. Transmitter von Terra, von der USO, speziell abgeschirmt, sodass der Gegner sie nicht anmessen konnte, stellten mittlerweile einen geheimen und unauffälligen Zugang in die Festung sicher, in den letzten Tagen war sehr viel geleistet worden. Aber das war auch nötig gewesen. Der Dorgone, der in den letzten Tagen Soms plötzlich vor ihnen gestanden war und sich als Retter angeboten hatte, hatte vieles möglich gemacht und ihnen gezeigt, was trotz einer fremden, feindlichen Besatzungsmacht alles getan werden konnte. Und doch war der Mond nicht die Zentrale. Er hatte eine symbolische Bedeutung, die nicht zu unterschätzen war. Sie hatten viel gelernt, zum ersten Mal in seinem Leben musste Sruel Allok Mok seine sonstigen Gewohnheiten vollkommen aufgeben, aus dem Verborgenen herausagieren, und konnte die sichere Deckung einer legalen Regierung nicht für sich in Anspruch nehmen.
Und irgendwie war das spannend.
Zumindest hatte er das am Anfang gedacht. Trotz all der Toten, hatte sich in ihm ein Gefühl breit gemacht, das er lange vermisst hatte. Abenteuerlust war es gewesen, aber sie hatte sich sehr schnell gelegt. Als die Stellvertreter einer fremden Galaxis angefangen hatten, ihren Herrschaftsanspruch auch auf vielen anderen Welten, aber vor allem auf Som, durchzusetzen, war sehr schnell klar geworden, dass sie keine Rücksichten kannten. Sruel Allok Mok waren seine eher positiven Gefühle schnell vergangen.
Und dann waren die Freunde aus Terra, war die erhoffte Hilfe aus fernen Galaxien, endlich eingetroffen. Gal'Arn, Jonathan Andrews und Jan Scorbit waren Teil einer kleinen Streitmacht, die ihnen helfen sollte, den Widerstand zu organisieren. Und Torrinos, der die neuen Verhältnisse in dieser Galaxis inzwischen einigermaßen kannte und von Sruel Allok Mok auch weitergehend eingewiesen worden war, erklärte den Ankömmlingen die Zusammenhänge.
»Es gibt einen neuen Herrscher, einen Statthalter des dorgonischen Kaisers in dieser Galaxis und es ist kein anderer als Elgalar, der Bruder oder wie er sicher selbst sagen würde, die Schwester von Commanus, der im Sinne des Kaisers Siom Som verwalten soll. Es steht nicht zu erwarten, dass er diesen Anweisungen punktgenau folgen wird. Commanus wird das aber kaum wirklich interessieren.«
Sruel Allok Mok ergänzte die Ausführungen des Dorgonen. »Ich habe den Eindruck, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Die ersten Monate unter dieser neuen Herrschaft haben das auch bewiesen. Wir brauchen dringend Hilfe, um uns gegen diese neuen Besatzer zu wehren.«
»Nun, mit Torrinos habt ihr ja auf jeden Fall den richtigen Mann an eurer Seite.« Gal'Arn nickte dem Dorgonen zu, der ungerührt auf die Worte des Ritters der Tiefe reagierte. »Mit seiner Hilfe können wir Strategien gegen die Besatzer entwickeln und ich bin sicher, dass auch Tyler und Tolk helfen werden. Sie können bei der Ausbildung eurer Widerstandskämpfer helfen.«
»Sruel Allok Mok wird nach außen hin als der Kopf des Widerstands erscheinen. Ich werde mich allerdings zurückhalten, da ich in dieser Galaxis unbekannt bin und deshalb wohl kaum zu einer Integrationsfigur werde. Unter dem Namen »Freier Adler« werden wir in dieser Galaxis sehr bald dafür sorgen, dass die Dorgonen spüren werden, dass sie noch nicht gewonnen haben. Eine solche Galaxis zu erobern, mag eine Sache sein. Aber die eroberte Galaxis dann auch zu halten, das kann sehr schwer werden. Wir sind uns einig, mit allen Mitteln gegen die Dorgonen anzukämpfen, denn nichts anderes werden sie auch tun.«
»Damit ist zu rechnen.« Andrews nickte. »Aber wir sollten trotzdem aufpassen, dass wir uns nicht einen schlechten Ruf erwerben. Niemand soll denken, dass wir letztendlich schlimmer sind, als die Besatzer.«
»Das ist unbestritten.« Der einstige Diplomat Sam nickte. »Wir sind uns also einig.«
Schweigend erhoben sich die Anwesenden und verließen den Raum in den Tiefen der Festung. Sie wussten, was sie zu tun hatten und machten sich umgehend daran, die beschlossenen Vorgehensweisen auch umzusetzen. Sruel Allok Mok nickte. Ja, sie waren zielstrebig, diese Terraner. Hoffentlich waren sie auch in jedem Fall gut für den neu erwachenden Widerstand in der Galaxis Siom Som. Und hoffentlich waren sie in gleichem Maße effizient.
*
Unzählige Wesen hatten schon in unzähligen Galaxien, auf unzähligen Welten, in unzähligen Palästen, an Fenstern gestanden und gedankenverloren ins Leere geblickt. Aber niemand beherrschte diese Tugend so meisterhaft, wie die göttliche Herrscherin Siom Soms, Elgalar, die brüderliche Schwester des Kaisers. Wenn er sie da so stehen sah, umflimmert vom Lichterkranz eines strahlenden Morgens, dann wurde ihm ganz warm ums Herz und er fragte sich, wie er nur das Glück haben konnte, unter einer solchen Herrscherin dienen zu können.
Nur für einen flüchtigen Augenblick fühlte er tiefe Befriedigung darüber, dass sie die Frau in der Beziehung war, leistete sich ein süffisantes Lächeln und trat hinter den Stellvertreter des Kaisers, der ihn allerdings einfach ignorierte.
Kurz nur war er versucht, Elgalar anzusprechen, dann aber verzichtete er doch lieber darauf. Er war sicher nur ein Abenteuer, nicht wirklich wichtig für diesen Herrscher und dass er ihn trotzdem hin und wieder bemerkte, war mehr als nur eine Ehre.
Die hochhakigen Schuhe des Statthalters klapperten auf dem steinernen Boden des Palastes, der einstmals von den rechtmäßigen Herrschern Siom Soms verwaltet worden war und nun den neuen Machthabern als deutlicher Beweis ihrer Überlegenheit diente. Der Diener wusste sehr genau, dass Elgalar hier tun und lassen konnte, was auch immer er wollte.
Wie ein Schatten blieb er genau hinter seinem Herrn und Meister und genoss die Ausstrahlung von Autorität, die der Bruder des Kaisers verstrahlte. Gemessenen Schrittes klapperte Elgalar auf den Thron zu, von dem aus er seinen Generälen eine Audienz zu gewähren gedachte. Den Diener, der ihm folgte, hatte er schon wieder vergessen.
Die Audienz erwies sich allerdings als langweilig, eine lästige Pflicht, die der Statthalter mit gewohnter Eleganz erledigte.
»Hach, meine Schuhe bringen mich noch um«, flüsterte Elgalar dem Diener kurz zu, als er an ihm vorüberschwebte. Der Diener erstarrte fast, eigentlich waren solche Vertraulichkeiten im Dienst mehr als ungehörig. Andererseits war Elgalar nun mal die des Kaisers Statthalter und somit konnte er tun und lassen, was er wollte. Wer sollte ihn schon bestrafen? Mehr Abwechslung versprach die Konferenz, die nun vor ihnen lag. Vesus und eine Reihe weiterer hochrangiger Soldaten wollten Ideen präsentieren, wie man die Galaxis Trovenoor erobern konnte, der nächste Schritt in den ehrgeizigen Eroberungsplänen des Kaisers der Dorgonen. Wenn Elgalar ehrlich war, dann war er natürlich noch lange nicht Kaiserin, aber hier konnte er sich wenigstens ein klein wenig so fühlen.
»Statthalter.« Die Absätze der Stiefel schlugen krachend aneinander. Aber nicht Vesus war für diese zackige Ehrenbezeigung zuständig, sondern ein junger Centrus mit einem arroganten Zug um den Mund, der deutlich zeigte, dass er in diesem Saal wohl einzige Elgalar als ebenbürtig akzeptieren würde, es sei denn, man ließe ihm keine andere Wahl. Und da genau das der Fall war, verharrte er verbissen und erbittert in der Position, die er sich bereits erarbeitet hatte. Dieser Soldat war möglicherweise zu Höherem geboren, Elgalar wusste solche arroganten aber stattlichen Burschen zu schätzen. Und dieser Centrus hatte einen Zug im Gesicht, der ihm gefiel.
»Reizender Bursche«, seufzte er.
Der Diener neben ihm versteifte sich, aber das bekam der Statthalter nicht mit. Er ließ sich von ihm zwar gerne Kaiserin nennen, manchmal sogar mein Kaiserinchen, aber das gestattete er nur in ganz besonderen Situationen. Aber besonders ernst nahm er den Burschen nicht.
»Raus finden, wer das ist und ob es sich lohnt«, konnte der Statthalter gerade noch zischen, dann nahm ihn die geschäftige Atmosphäre der Konferenz voll in Anspruch. Aufmerksamkeit heuchelnd, ließ er sich von den Offizieren mit der Lage in Siom Som vertraut machen. Als wüsste er das nicht alles selber! Aber man musste diesen Burschen manchmal erlauben, zu reden. Der billigste Weg sich Freunde zu machen, ist ein einfaches Danke, dachte der Statthalter.
Oder manchmal nur den Mund halten und zuhören, auch wenn man innerlich mit schläft, dachte er, während seine Blicke wohlwollend über den muskulösen Körper des Centrus wanderten.
Angespannt erwartete er Bericht von seinem Diener. Wo blieb dieser Nichtsnutz nur?
Egal, jetzt wurde es interessant. Vesus mischte sich in die Gespräche. Da musste man schon ein klein wenig zuhorchen.
*
»Zuhören, ihr verdammten Faulpelze!!!«
Die Stimme halte über den weiten Platz, ohne ein Mikrofon zu benötigen. Wie ein Donnersturm fegte das Organ des Mannes über die versammelten Männer hinweg und ließ sie für einen Augenblick das Genick einziehen. Eilig erneuerten sie ihre stramme Haltung, pressten die Hände gegen die Seiten der Hose und starrten stur irgendwohin, wo sie nicht das zornrote Gesicht des Kommandeurs erkennen mussten.
Tyler hatte die Hände in die Hüften gestemmt und brüllte, was die Lungen hergaben. Wenn die Rekruten gerade nicht stramm standen, ließ er sie marschieren und als es ihm genug erschien, ließ er sie zum Appell antreten. Das Grinsen von Tolk ignorierte er geflissentlich, der natürlich wusste, dass der Terraner außer laut auch noch reichlich nett sein konnte. Diese Seiten hatten die Rekruten des hiesigen Widerstands allerdings noch nicht erlebt. Was auch kein Wunder war, denn immerhin erwiesen sie sich als Weicheier, wie Tyler nicht müde wurde, immer wieder zu betonen.
»So, dann wollen wir doch mal sehen, was die Herren mittlerweile so gelernt haben.« Genüsslich trat Tyler vor die Soldaten, die versuchten, möglichst unauffällig in der großen Gruppe zu verschwinden, geradezu nicht existent auf dem Platz zu stehen, aber den scharfen Augen des Ausbilders entging nicht das Geringste.
»Du da hinten, beweg dich! Hopp, hopp! Geht das nicht ein klein wenig schneller?«
Keuchend erreichte ein Pteru den Ausbilder. Der Einwohner von Siom Som nahm Haltung an, aber das interessierte den Ausbilder schon nicht mehr. Er ging zum Angriff über und parierte routiniert die Aktionen des Pteru, der mehr als einen Kopf größer war, als der Ausbilder. Als der Rekrut zu einem wunderbaren Wurf ansetzte, blockierte Tyler eiskalt die Aktion des Rekruten. Ein hässliches Knirschen war über den ganzen Platz zu hören, als die Knochen im Unterarm des Rekruten zersplitterten und der Soldat schreiend zu Boden ging. Die anderen zuckten zusammen und versuchten, sich noch kleiner zu machen. Wütendes Gebrüll von Tyler machte ihnen klar, dass er gar nicht zufrieden war, während der Verletzte von Sanitätern weggetragen wurde. Tyler beachtete ihn nicht einmal.
Gal'Arn sagte nichts dazu, schüttelte aber den Kopf und wandte sich an Scorbit, bei dem er sich über die Methoden des Ausbilders bitterlich beschwerte. Scorbit versprach, Tyler etwas zurückzunehmen. Aber zunächst einmal standen wichtigere Probleme an, deshalb verschob er die Unterredung mit dem Ausbilder auf später.
Tolk klopfte dem Freund auf die Schulter.
»Keine gute Idee«, knurrte er, während er gleichzeitig grinste. »Ist zwar gut für Soldaten, aber schlecht für Gemüt von Widerstandskämpfern.«
»Das lass mal nur meine Sorge sein. Wenn der Feind vor ihnen steht, wird er auch nicht zum Kaffeekränzchen mit ihnen fahren. Nein, das ist eine verdammt ernste Sache.«
Düster wurde sein Blick, als er sich die Rekruten genau anschaute. Viele von diesen Wesen waren Zivilisten, die sich voller Idealismus dem Kampf gegen den Feind verschrieben hatten. In Wahrheit wusste keiner von ihnen, auf was er sich einließ. Blut hatten diese Wesen vielleicht einmal gesehen, wenn sie sich beim Brotschneiden in den Finger geschnitten hatten, aber auch nur, wenn eines der redundanten Sicherheitssysteme mitsamt dem Backupsystem versagt hatte, und das kam praktisch nicht vor. Und jetzt sollten diese Operettensoldaten einen Widerstand führen? Wie das gehen sollte, wenn er sie nicht hart ran nahm, das konnte ihm auch keiner von den Verantwortlichen erklären. Aber Tyler wusste, dass Tolk nicht der Einzige sein würde, der ihn darauf aufmerksam machte. Und er wusste außerdem, dass der Barbar auf seiner Seite stand, er packte die Rekruten nicht weniger hart an. Das Leben im Krieg war nicht für jeden und je eher diese Zivilisten begriffen, dass es nicht so einfach war, desto besser. Vielleicht würden viele freiwillig gehen, aber das war besser, als sinnlos zu sterben. Und viele waren nicht mehr als Kanonenfutter. Wenn seine Methoden aber dafür sorgten, dass nur einer von ihnen wusste, was er zu tun hatte, dann war es nicht vergebens.
Tyler nickte sich selbst zu und öffnete den Mund. Er holte tief Luft, dann erschallte das Organ in alt gewohnter Lautstärke über den Platz hinweg.
*
Knirschend setzte der Panisha Schritt für Schritt und bewegte sich so konstant und gleichmäßig entlang einer gedachten Linie, die vollkommen gerade von einer Höhle in den Bergen zu einem Kloster führen würde, wenn jemand ein Lineal nehmen und auf der Karte dieser Landschaft einen Strich ziehen würde. Die junge Frau konnte fast nicht mithalten, aber sie hatte denselben Weg auch schon einmal zurückgelegt, all die Kilometer, alleine und zu Fuß. Der Panisha bewunderte sie für den Mut, den sie gezeigt hatte. Menschen wie sie waren der Grund, warum er es niemals bereut hatte, sich für diesen Beruf entschieden zu haben. Es verlangte einem alles ab, ein Anhänger der Upanishad zu sein und nicht sehr viele heutzutage hatten den Mut, sich ausbilden zu lassen und bis zum letzten Augenblick dabei zu bleiben. Dabei waren die Tugenden, die der Schüler einer solchen Einrichtung erwerben konnte, mehr als nur bedeutend, sie waren alles, was ein Wesen dieser Mächtigkeitsballung in dieser Welt benötigte. Der Geist machte sich den Körper untertan und bis zu einem gewissen Grade auch den ihn umgebenden Raum. Anders wäre es einem Lebewesen niemals möglich gewesen, in einer für es lebensfeindlichen Umwelt auf längere Sicht zu überleben. Der Panisha Soradan Mog Aro war ein Meister, aber es gab Augenblicke, in denen auch er sich nach einem anderen Leben gesehnt hatte.
Und nun war er auf dem Weg in ein solches und sehnte sich schon nach der Enklave in den Bergen zurück, die er vor mehreren Stunden verlassen hatte. Und noch viele Stunden mehr würde er gehen müssen, bevor er das Kloster erreichte. Die Frau, die in seinen Fußstapfen folgte, machte diesen Weg schon ein zweites Mal und sie hatte sich über das von ihm gewählte Tempo bisher noch nicht ein einziges Mal beklagt.
Eine würdige Schülerin, dachte der Meister. Blieb abrupt stehen und registrierte erfreut, dass sie sofort reagierte und ebenfalls stehen blieb, obwohl ihr Körper müde sein musste. Ihr Geist war hellwach.
Er drehte sich langsam um, fasste das nach menschlichen Maßstäben wunderschöne Gesicht ins Auge und musterte sie schweigend.
»Du bist mutig«, flüsterte er. Sie musste sich fast anstrengen, um ihn zu verstehen und erhöhte ihre Aufmerksamkeit, indem sie sich auf die zweite Stufe brachte. Der Panisha registrierte die Mühelosigkeit ihrer Anstrengung.
»Welche Stufe hast du erreicht?«
»Ich bin eine Shada«, flüsterte sie ebenso leise. »Ich habe die vierte Stufe erreicht.«
»Wer ist dein Lehrer?«
Sie senkte den Kopf, hatte sich aber sofort wieder im Griff. »Er ist den Lehren gefolgt und hat im Jadj alles gegeben, was er noch hatte, nachdem ihn die Feinde gefangen nahmen. Treue bis in den Tod.«
Panisha Soradan erkannte, dass sie nicht nur Gehörtes nachplapperte, sondern sehr wohl wusste, was die Worte bedeuteten. Einen Kampf hatte er ihnen geliefert und verloren und den Mut aufgebracht, den man von einem Schüler einer Schule der Helden erwartete.
»Und nun hast du keinen Lehrer mehr«, stellte er flüsternd fest. Der Wind und die Kälte, die sie beide umgaben, spielte in diesen Augenblicken keine Rolle, sie beide standen fest und sicher wie in einer Insel der Ruhe, wie im Auge eines Sturms und ließen sich von der Atmosphäre dieses Planeten nicht beeindrucken. Es gab Schlimmeres, als diese Witterung.
Sie erwiderte nichts auf seine Worte, denn traditionell wählte der Lehrer den Schüler aus, und nicht umgekehrt.
»Soradan Panisha apad salo trulii» sprach er die traditionellen Worte, die sie ebenso traditionell erwiderte:
»Shada Ranrib no rado Sali.«
Wortlos wandte der Meister sich ab und ging weiter auf dem kalten Weg, knirschenden Schrittes, der Kälte trotzend, als gäbe es sie nicht. Und seine Schülerin folgte ihm. Sie lächelte nicht einmal. Sie hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Nur wenige hatten eine solche innere Stärke. Sein kleiner Ausflug versprach, interessant zu werden. Ein unmerkliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Noch wenige Stunden bis zur Schule der Helden.
Tyler lümmelte sich nachlässig in den Sessel. Er verstand den tobenden Somer nicht, der versuchte, ihm klarzumachen, dass seine Verhaltensweisen für einen Einwohner dieser Galaxis eher demotivierend wirkten. Er ließ den Redeschwall über sich ergehen und dachte sich nichts weiter dabei, bis Sruel Allok Mok, der von den Terranern zumeist Sam genannt wurde, mit der Faust auf den Tisch haute, dass der Terraner in seinem gemütlichen Sitzmöbel gehörig zusammenzuckte.
Tyler zog die Beine an, die bisher auf der Tischplatte geruht hatten, und wollte aufspringen, besann sich dann aber im letzten Moment eines Besseren. Nur langsam erhob er sich, trat den letzten Schritt, der ihn von der Tischplatte trennte, vor und stand nun ganz nahe an dem Schreibtisch, auf den der Somer soeben noch geschlagen hatte.
Scorbit erhob sich, als wolle er zwischen den Terraner und den Somer treten, ließ sich dann aber wieder in seinen Sessel sinken. Sie schienen beide gehörigen Respekt vor dem Terraner zu haben, denn trotz dessen relativ sanfter Bewegung wich der Somer so weit zurück, wie das Prallfeld, in dem er lehnte, es zuließ.
Fast sanft stützte der Terraner beide Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor. In seinen Augen loderte ein Feuer, das Scorbit fanatisch vorkam, es konnte aber ebenso gut nur Leidenschaft für seine Aufgabe sein. Sicher war er sich nicht.
»Als wir beim Militär waren, wurden wir beinahe genauso gedrillt und wir haben es nicht verstanden. Viele von uns haben versagt, wollten die Ausbildung nicht bis zum Ende mitmachen.« Sein Blick verschleierte sich, als würde er in Erinnerungen schwelgen. »Aber es kam der Tag, als wir alle merkten, warum der Drill so hart sein musste. Es kam der Tag, an dem wir dem Feind gegenüberstanden. Er bedrohte uns mit Waffen, er feuerte rücksichtslos, er war erbarmungslos und in diesem Augenblick erkannte ich zum ersten Mal, dass unsere Ausbilder, so hart sie auch waren, immer noch freundlich waren im Vergleich zu dem, was diese Monster mit uns machen wollten. Sicher, es waren nur Soldaten. In Wahrheit wussten sie sehr genau, dass auch wir nur unseren Befehlen gehorchten, aber dieser Befehl sah vor, dass sie sterben mussten. Und für sie ging es nur noch darum, schneller zu sein.
Härter.
Brutaler und gnadenloser.
Deshalb kämpften sie erbittert und drängten uns gnadenlos zurück.
Und was noch schlimmer war, sie waren besser als wir. Sie ließen uns keine Chance und wir, die wir noch halbe Rekruten waren, mussten uns von ihnen zurückdrängen lassen. Als die ersten Schutzschirme dem Feuer der Angreifer nicht mehr standhalten konnten, hörte ich zum ersten Mal die Schreie meiner Kameraden, die nur wenige Sekundenbruchteile inmitten eines Thermostrahls standen, bei lebendigem Leibe geröstet wurden, gnädigerweise sehr schnell geröstet, nichtsdestoweniger aber grausam und ohne jegliche Gnade, die unsere Ausbilder noch hatten.
Wieder andere zerfielen vor meinen Augen, als sie in einen Desintegratorstrahl liefen.
Ich selbst stürzte und kam im Schatten einer Mauer zu liegen, die von Desintegratorstrahlen langsam aufgelöst wurde. Ich zitterte, ich hatte Angst, ich wartete auf mein Ende, als die Energiestrahlen aus dem Himmel fuhren und unter den Angreifern wüteten. Sie stellten das Feuer ein und bald war keiner von ihnen mehr zu sehen. Ich bewegte mich nicht, bis die Kameraden aus den Schiffen gelandet waren und unsere gefallenen Kameraden, soweit noch etwas von ihnen übrig war, bargen. Ich selbst hatte Verbrennungen von den Strahlwaffen erlitten und Teile meines Kampfanzuges fehlten, die bereits desintegriert worden waren. Ich wusste, dass es purer Zufall war, dass ich noch lebte und die weiteren Ausbildungen habe ich ertragen, ohne zu murren. Manchmal ist es furchtbar, aber in den Augenblicken, die unerträglich scheinen, stehen die schrecklichen Bilder vor meinem inneren Auge, erschrecken mich, lassen mich manchmal nachts aus meinen Träumen erwachen.
Und dann merke ich, dass ich nur noch hier bin, weil ich sehr viel Glück hatte. Viele meiner Kameraden hatten dieses Glück nicht. Seither habe ich geschworen, dass solches niemals wieder passieren wird, keinem Rekruten, der unter mir gelernt hat, keiner Truppe, die unter meinem Kommando steht. Und bisher hatte ich Glück, es ist nicht mehr passiert. Aber wir waren manchmal kurz davor und ohne die gnadenlose Härte gegen uns selbst hätten wir nicht überlebt.
Glaube mir, Somer, es ist nötig. Ich habe die Dorgonen kämpfen sehen. Sie machen kaum Gefangene, kennen keine Gnade und wenn man ihnen doch in die Hände fällt, dann hilft nicht einmal mehr beten.
Entweder ihr akzeptiert das, oder ihr sucht euch einen anderen.«
Sam Tyler atmete nicht einmal schneller, als er sich wieder in seinen Sessel niedersinken ließ. Die Stiefelabsätze knallten auf die Tischplatte, er ignorierte den Anflug von Missbilligung, den er im Gesicht des Vogelähnlichen erkennen konnte. Gal'Arn räusperte sich.
»Ich kann durchaus verstehen, was du dabei empfunden hast. Und ich kann deine Motive sehr gut nachvollziehen«, begann er vorsichtig, wurde aber von Tylers ruhiger Stimme unterbrochen.
»Niemand kann das, der das nicht selbst erlebt hat, deshalb verzeihe ich euch die Kritik. Aber ich sage euch, diejenigen, die bei dieser Form des Drills dabei bleiben, werden mir eines Tages dankbar sein. Und diejenigen, die diese Spiele, auch wenn sie hart sein mögen, schon nicht ertragen, wie sollten sie in der Lage sein, als Rebellen effizient zu agieren? Keiner von ihnen hilft uns, der jammernd in der Ecke sitzt. Sie müssen hart und unnachgiebig sein und unsere Interessen mit allen Mitteln gegen die Invasoren vertreten. Kompromisse wird es nicht geben. Die Dorgonen kennen Gnade nicht.«
»Das stimmt.«
Die drei Wesen hinter dem Schreibtisch hoben den Blick, als sie das vertraute Geräusch einer sich schließenden Tür hörten. Niemand hatte gehört, wie sie sich öffnete, aber das war vermutlich ihrer Anspannung zuzuschreiben.
Der Dorgone blieb vor der Tischplatte stehen. »Sie werden keine Gnade kennen. Und wer nicht darauf vorbereitet ist, wird untergehen. Sam Tyler hat vollkommen recht.« Torrinos nickte dem Terraner kurz zu, der seinen Blick ruhig erwiderte. »Lasst ihn seine Aufgabe erfüllen, es ist der einzig gangbare Weg.«
Sruel Allok Mok erhob sich und nickte. »Ich habe es erlebt.« Schaudernd erinnerte er sich an seine Erlebnisse auf der Heimatwelt der Ophaler, als die Invasion begonnen hatte. Er war entkommen und hatte doch die Niederlage auf Som miterleben und die Galaxis fallen sehen müssen. Und er verstand, was der Terraner meinte.
»Gal'Arn, ich denke, wir müssen die Methoden akzeptieren, auch wenn sie uns nicht gefallen. Der Erfolg ist entscheidend. Und die Soldaten unserer Rebellengruppe sollen zu den Besten gehören. Alles andere ist nicht akzeptabel. Siom Som muss befreit werden. Macht weiter mit der Ausbildung.«
Wortlos erhoben sich sowohl Gal'Arn als auch Tyler. Sie schauten sich kurz tief in die Augen, nickten sich dann zu und verließen den Raum. Scorbit folgte ihnen, nur Torrinos und Sruel Allok Mok blieben in dem Raum zurück.
»Es gibt da ein Problem«, sagte der Dorgone. »Uns läuft die Zeit davon. Der Konsul Elgalar schmiedet bereits Pläne, weitere Eroberungsfeldzüge durchzuführen und die Flotte der Dorgonen ist immer noch gewaltig. Ich fürchte, dass sie bald in einer anderen Galaxis weitermachen. Es wird Zeit, zu handeln.«
Sruel Allok Mok nickte. »Es wird Zeit für einen Besuch«, flüsterte er. Torrinos schaute ihn verständnislos an, sagte aber kein Wort. »Ich möchte, dass du mich begleitest.« Sruel Allok Mok nickte dem Dorgonen zu, der wortlos akzeptierte. Gemeinsam verließen sie den Raum tief unter der Oberfläche einer Welt, die die Besatzer hoffentlich niemals finden würden. Und gingen zu einem Transmitter, einer Konstruktion, die von der USO beschafft worden war. Besonders abgeschirmte Elemente sorgten dafür, dass die Sprünge von den Dorgonen nicht angemessen werden konnten und erlaubten so, dass die Wege kurz blieben. Nur ein Schritt und beide waren auf der Oberfläche des Planeten angekommen, von wo aus sie mit einem Raumschiff in die Tiefen des Alls von Siom Som vorstießen. Hier waren sie einigermaßen sicher, abseits der üblichen Reiserouten flogen sie einen einsamen Planeten an. Torrinos war gespannt, wen der Somer besuchen wollte.
*
»Ich fürchte, wir haben nicht mehr lange Zeit.« Gal'Arn schüttelte traurig den Kopf und winkte Sam Tyler zu sich. »Noch wissen sie nichts davon, aber der Feind rückt näher. Wir sollten uns auf eine Aktion vorbereiten. Auch wenn ich deine Methoden nicht billige, muss ich doch zugeben, dass sie sehr effizient sind. Wann sind die Kandidaten für einen Einsatz bereit?«
Tyler wandte sich kurz von Gal'Arn ab. Der Elare erkannte, dass der Terraner nicht unbedingt bereit war, jetzt schon loszuschlagen. Aber wenn es nötig sein würde, dann würde er in den Kampf ziehen. Der Ritter war sich sicher. Als er wieder in die Augen des Menschen blickte, erkannte er Entschlossenheit darin. Und er erkannte noch etwas, das er niemals bei diesem Menschen erwartet hätte. Es war Angst.
Aber nicht um sich.
»Es wird schon gehen.« Die Stimme des gnadenlosen Ausbilders und Kämpfers war sehr leise, eigentlich ungewohnt. Seine Rekruten würden ihn nicht wiedererkennen. Er nickte dem Elaren zu, dann wandte er sich wortlos ab und ging. Er blickte nicht zurück. Gal'Arn spürte, dass er bereit war. Wandte sich ebenfalls seiner Aufgabe zu. Und vermisste Torrinos, dessen Erfahrungen ihnen sicher helfen konnten.
Aber der Dorgone war nicht da. Wie Sruel Allok Mok übrigens auch. Wohin sie gegangen waren, wusste niemand.
Gal'Arn würde schon alleine entscheiden müssen.
*
Keuchen drang an die Ohren des Dieners, der nicht weit von den Gemächern seiner Majestät entfernt auf der Lauer lag. In dieser Nacht hatte sie ihn nicht zu sich gelassen. Die graue Eminenz des Imperiums, die schillernde Herrscherin, wie er sich selbst gerne sah, hatte anderes zu tun. Und so, wie es sich anhörte, hatte sie alle Hände voll zu tun. Näheres wollte sich der Diener gar nicht vorstellen. Er vergrub den Kopf in den Händen und unterdrückte ein Schluchzen. Sie war die Kaiserin.
Hoffentlich war er es wert.
*
Das Gebäude ragte vor ihnen auf, unerschütterlich und vor allem unbeeindruckt von allem, was in dieser Galaxis in den letzten Jahren geschehen war. Es war ein Bauwerk, das in den ehemaligen Galaxien der Mächtigkeitsballung ESTARTU auch heute noch ein vertrauter Anblick war. Eine Schule der Helden war Ziel vieler Wesen in dieser Galaxis, aber viele erreichten sie niemals. Früher waren Ewige Krieger hier ausgebildet worden. Seit dem Ende des Kriegerkultes, waren die Ziele dieses Ordens nicht mehr so weltlich, wie zuvor. Heute suchten die Mitglieder des Ordens nach Ruhe und Frieden. Fanden diese aber in den Mauern der Schule eher selten.
Als Meister wusste Panisha Soradan Mog Aro sehr genau, was ihn im Inneren dieser Mauern erwarten würde. Das Gebäude war wesentlich größer, als es den Anschein hatte. Das meiste davon war unterhalb der Erdoberfläche zu finden und für die Allgemeinheit nicht zugänglich.
Einer der Gründe, warum der Panisha in die Einöde der Eiswüste gewandert war, waren die Aufgaben gewesen, die nichts mit den Lehren zu tun hatten. Verwaltung war – ganz im Sinne seiner Lehre – ein Prüfstein, der einfach nötig war und die Techniken, die ein Panisha im Laufe seines Lebens erlernen durfte, halfen ihm dabei, ihn zu bestehen. Trotzdem waren die Jahre in der Einsamkeit eine Prüfung gewesen, die eines Panisha würdiger war.
War Würde das richtige Wort?
Der Panisha schüttelte die Gedanken ab. Er ging durch das Tor, betrat den Innenhof und ignorierte die verblüfften Blicke, die ihn trafen. Er winkte seine Schülerin zu sich und zog sich mit ihr in die Räumlichkeiten zurück, die auf ihn warteten, als wäre er niemals weg gewesen.
»Bitte erzähle mir, was geschehen ist. Von Anfang an.«
Ruhe kehrte ein. Meditation verhüllte die Gedanken der beiden, öffnete aber gleichzeitig die Wege, die nötig waren, um den Panisha ins Bild zu setzen. Langsam füllten sich seine Gedanken mit den Eindrücken von rennenden Menschen, glühendheißen Strahlbahnen, verbrennenden Wesen und unsäglichem Leid, das über Siom Som gekommen war. Nach langer Zeit richtete sich der Meditierende auf und riss damit auch seine Schülerin aus der Meditation.
»Erzähle mir von deinem Weg zu uns.«
Die Frage schien vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. »Ich bin ein Mensch. Meine Vorfahren sind vor langer Zeit aus der Milchstraße gekommen. Sie sind damals in der Schule des Lebens gewesen, die auf der Erde errichtet wurde. Sie waren noch ein Teil des Kriegerkults, eingefangen von den Kodexmolekülen. Sie haben sich fast nicht mehr davon lösen können. Es war mein Traum, ihnen zu folgen und zu lernen, was sie gelernt haben.«
Der Panisha brachte sich in eine Grundstellung, die ihr nur zu vertraut war. Bereits auf dem Felssims in der eiskalten Einöde konnte sie seine kraftvollen Bewegungen bewundern. Diesmal jedoch blieb sie nicht nur Zuschauerin. Als er eine blitzschnelle Bewegung machte, die kaum im Ansatz zu erkennen war, merkte sie, dass diesmal kein Schattenkampf das Ziel war. Sie reagierte mit den anerzogenen Reflexen, ließ sich fallen und wirbelte im Fall herum. Dort, wo eben noch seine Beine gewesen waren, war nun nichts mehr. Trotzdem verlor die junge Frau nicht die Orientierung. Sie spürte mit den Kräften des Chargonchar, wo sich der Meister befand. Und sie spürte, dass er es zuließ. Er spielte mit ihr. Sie reagierte trotzdem kühl und besonnen, brachte sich in eine Position der Verteidigung und ließ ihn kommen. War wie der Grashalm, der sich unter dem Ansturm des Windes beugt und so jeden Orkan überstehen konnte. Errang nach und nach die Achtung des Meisters, der ihre sparsamen, kontrollierten Bewegungen genau beobachtete und ebenfalls ihre fast asketische Art, seine Wirkungstreffer hinzunehmen.
Nach langer Zeit endete der ungleiche Kampf und die erschöpfte junge Frau, die immer noch keinen Schlag erhalten hatte, stand mit blitzenden Augen vor dem Meister. Sie hatte ihre Stärke bewiesen und wusste das auch sehr genau. Lange konnte sie diese übermenschliche Anstrengung nicht mehr aufrecht erhalten. Der Panisha wusste dies, er kannte seinen eigenen Körper sehr genau und konnte auch beurteilen, wie sich seine Gegner fühlten.
Er entließ seine Schülerin mit einem Nicken. Sie verließ den Raum und zum ersten Mal seit vielen Tagen war der Panisha allein.
Aber das blieb er nicht lange.
Dunkle Gestalten, die in dunkler Nacht vor einem dunklen Gebäude standen, das sich sehr niedrig hinter ihnen auf der Erde duckte. Ein Anblick, der dem Soldaten in Tyler sehr gefiel. Aber der Mensch, der sich hinter der Fassade des eiskalten Kämpfers zu verbergen schien, sah dies vollkommen anders.
Niemand ahnte das, vielleicht allenfalls der Barbar Sandal Tolk, dessen Gespür weitaus tiefer ging, als sich viele einbildeten. Leise ertönte die Stimme des Soldaten, der seinen Rekruten deutlich machte, was die Prämissen dieses Angriffs waren. Stille herrschte auf dem Platz, seine Stimme war also deutlich zu vernehmen. Und trotzdem brüllte er nicht. Er war ruhig und sachlich. Erklärte den Anwesenden, was er von ihnen erwartete und führte sie damit an eine Aufgabe heran, von der keiner der Anwesenden geträumt hatte.
Noch vor wenigen Wochen, manchmal sogar vor wenigen Tagen, waren diese Menschen in allen möglichen friedlichen, unpolitischen Berufen aktiv gewesen. Dort standen Familienväter genauso, wie allein lebende, Rechtsanwälte genauso, wie Verbrecher, Ärzte genauso, wie Patienten, Zuckerbäcker genauso, wie Landwirte. Handwerker, Techniker, Betriebswirte, Menschen, die Imperien gegründet hatten und sie genauso wieder zerfallen sehen mussten. Viele desillusioniert, bereits am Rande dessen gewesen, was einmal ihr friedliches Leben gewesen war. Von dem heute nicht das Geringste mehr übrig war.
In einer vollkommen neuen Situation, wuchsen viele dieser Wesen über sich hinaus. Davon konnte sich Tyler in den letzten Tagen überzeugen. Viele von ihnen waren aber auch bereits während der Ausbildung zerbrochen, hatten aufgegeben. Und heute standen diejenigen vor ihnen, die am längsten durchgehalten hatten.
Sam Tyler war noch lange nicht der Ansicht, dass diese Menschen bereits ihr volles Potenzial ausgeschöpft hatten. Viele von ihnen würden erst im Einsatz merken, worauf sie sich eingelassen hatten. Normale Menschen, mussten sie in den bevorstehenden Kämpfen wie Maschinen gegen die Besatzer vorgehen, bis zur letzten Konsequenz. Wie viele waren wirklich dazu bereit?
Das konnte nur die Zukunft zeigen.
Die Wesen gingen in geordneten Gruppen in die Raumschiffe und suchten sich ihre Plätze in den Landungsbooten, die sie in geringer Höhe, aber noch außerhalb des Orbits einer Welt, von der sie alle nichts wussten, absetzen muss ten. Diese Soldaten kannten weder die Position des Planeten, auf dem sie sich jetzt befanden, noch war ihnen klar, wohin man sie bringen würde. Gal'Arn fand dies zwar unmenschlich, aber es war besser für sie alle. Was diese Menschen nicht wussten, würden sie auch nicht verraten können. Und dass sie alle überleben würden, das war wohl kaum zu erwarten. Tyler folgte den Soldaten in die Schiffe und nahm seinen Platz in einem der Landungsboote ein. Auch Tolk gesellte sich zu einer der Truppen. Weder Gal'Arn noch Sruel Allok Mok hießen ihre Rolle gut, die sie als viel zu aktiv empfanden. Aber sie mussten sich beugen. Der Terraner hatte sich durchgesetzt. Und es hatte nichts gegeben, was ihn von seiner einmal gefundenen Ansicht abgebracht hätte. Schließlich hatten sie alle aufgegeben. Und sich mit der Rolle abgefunden, die ihre wertvollen Verbündeten spielen würden. Aber Tyler war sich darüber im Klaren, dass er von diesen Menschen nicht etwas verlangen konnte, was er selbst nicht zu geben bereit war.
Und nun waren sie auf dem Weg zu ihrer ersten Aufgabe. Arioch. Dorgonen, die eine friedliche Welt besetzten. Und sich schon sehr bald wundern würden, was für Überraschungen die scheinbar besiegten ihnen bereiten würden. Denn sie kämpften nicht nur um ihr Leben, sondern außerdem auch noch um ihre Heimat, die Welt, auf der sie geboren waren und um das Leben ihrer Freunde und lieben. Sie waren hungrig und gefährlich. Und viele von ihnen standen an der Schwelle zum Fanatismus.
Tyler hoffte sehr, dass er sie zügeln konnte. Sonst würden sie keine Freude haben an diesem Kampf um die Freiheit.
*
Der Panisha verharrte in seinen Räumen und bewegte sich nicht, bis er die Anwesenheit eines anderen Wesens spürte. Und dann kam auch noch ein zweites Wesen. Fremdartig war seine Ausstrahlung, ähnlich wie diejenige seiner neuen Schülerin. Er öffnete die Augen und erkannte, dass auch seine Gestalt der seiner Schülerin ähnlich war. Sie schienen demselben Volk anzugehören.
Das andere Wesen jedoch war eindeutig ein Kind dieser Galaxis. Der Somer neigte das Haupt, als er den Blick des Pteru auf sich verspürte. Ehrfürchtig, wie ihm schien, etwas, was er lange nicht erlebt und niemals vermisst hatte. Aber ehrfürchtig auf eine positive Weise. Und das ließ ihn in seinen Augen schon sympathischer erscheinen.
Er nickte den Ankömmlingen zu. Selbst in den Jahren seiner Einsamkeit hatte er die Höflichkeit nicht verlernt und er ließ die Wesen, die sicher keine Erfahrungen mit der Upanishad hatten, auf niederen Sitzgelegenheiten Platz nehmen. Der Menschenähnliche schien Probleme mit den Kissen zu haben, wie der Panisha interessiert beobachtete. Er selbst ließ sich auf einem davon nieder. Beinahe wie auf einem Thron saß er entspannt und zeigte so den Menschen, dass alles ein Thron sein konnte. Es kam ganz auf die Art und Weise an, wie man saß, nicht etwa, worauf man saß. In den Augen des Menschenähnlichen lag eine Spur von Neid, aber dann erkannte er, dass auch dieses Wesen scheinbar einer gewissen Kontrolle über seinen Körper fähig war. Plötzlich verwandelte er sich und saß beinahe so elegant, wie er selbst.
Der Somer beobachtete das merkwürdige Duell der beiden interessiert und sagte lange nichts. Dann nickte er dem Panisha zu.
»Du scheinst mich nicht mehr zu erkennen. Dabei bin ich vor langen Jahren in deiner Schule zu Besuch gewesen. Für viele Jahre, allerdings habe ich nicht alles gelernt, was für die Upanishad nötig geworden war. Trotzdem haben deine Lehren mir ermöglicht, meine Aufgaben immer zuverlässig zu erfüllen.«
Der Panisha lauschte dem Klang der Worte nach und versuchte, sie einzuordnen in das Gefüge, das ihn umgab. Er nickte langsam. »Sruel Allok Mok. Ich heiße dich Willkommen. Nach dieser langen Zeit bist du also zurückgekommen. Warum?«
»Weil ich deine Hilfe brauche. Wir alle brauchen sie.«
Der Somer erzählte von den Geschehnissen, seit der Eroberung dieser Galaxis, ohne zu ahnen, dass der Panisha schon mehr darüber wusste, als er ihm jemals erzählen konnte. Trotzdem wurde er nicht einmal unterbrochen. Der Pteru nickte langsam. »Ich habe davon gehört«, murmelte er.
Der Mensch, der bisher schweigend gesessen hatte, hob seinen Kopf und fing den Blick des Panisha ein.
»Weißt du auch, wer ich bin?«
Der Panisha musterte den Humanoiden für wenige Augenblicke, dann schüttelte er verwundert den Kopf. »Nein, ich kenne dich nicht. Und ich kann auch nicht darunter blicken.« Den letzten Satz murmelte er, sodass sie nicht sicher waren, ob sie richtig verstanden hatten. Aber keiner der beiden fragte nach.
»Ich bin einer von ihnen. Ein Dorgone, aus einer fernen Galaxis, die nichts anderes zu tun hatte, als eure friedliche Sterneninsel zu erobern. Ich bin bereit, an eurer Seite zu kämpfen. Glaubst du nicht, dass ihr alle eine Verpflichtung habt, diesen Kampf zu unterstützen?«
Der Panisha lächelte und sagte nichts. Niemand sagte etwas. Aber dann hob er doch wieder den Kopf.
»Was sollte ein einzelner da ausrichten können? Wir haben viele Verpflichtungen in diesem Leben, für uns und für andere. Mit solchen Floskeln könnt ihr mich nicht überzeugen.«
Sruel Allok Mok senkte den Kopf. Auch der Dorgone sagte nichts.
»Trotzdem werde ich euch helfen. Als Ranrib mich gefunden hat, wusste ich, dass etwa passieren würde. Alles hat seinen Platz. Und alles eine Bedeutung. Ich werde euch begleiten. Aber nur ich, zusammen mit einer Schülerin.«
Sruel Allok Mok nickte und auch Torrinos war zufrieden. Sie ließen sich von den Shada in eine Unterkunft bringen und gingen schlafen, obwohl sie sehr nervös waren. Sie konnten kaum schlafen, aber sie brauchten trotzdem die Ruhe, bevor sie wieder in den Kampf zogen. Und die Atmosphäre in der Schule der Helden half ihnen wirklich, sie schliefen und entspannten sich zum ersten Mal, seit sie den Kampf aufgenommen hatten. Und dachten erstmals nicht an ihre Sorgen. Jedenfalls so lange, bis der neue Tag angebrochen war.
*
Die Kämpfer hatten sich maskiert, obwohl ihnen das nicht helfen würde. Ein geschwärztes Gesicht überdeckte natürlich nicht die Wärmestrahlung, die ein Mitglied der Landetruppen ausstrahlen würden. Aber sie warteten ohnehin, würden nicht lange brauchen, um zu reagieren. Eine Besatzungstruppe war meistens in höchster Alarmbereitschaft und noch war die Invasion nicht lange genug her, noch gab es genug Widerstand. Die Soldaten würden schnell reagieren und ihnen kaum die Gelegenheit geben, sich unbemerkt zu nähern und wieder zu empfangen.
Es musste also anders gehen.
Schnell.
Und die schwarze Farbe in den Gesichtern der Rekruten war lediglich eine psychologische Hilfe, die hoffentlich im entscheidenden Augenblick ausreichen würde. Sicher nicht, um ihnen die Stärke zu geben. Aber vielleicht, um ihnen Sicherheit zu geben. Wenn genug von ihnen an sich glaubten, dann hatten sie alle eine Chance.
Zumindest würden ihre Chancen, den Angriff auch zu überleben, dann vielleicht steigen.
Und Sam Tyler würde mitten unter ihnen sein.
Er hatte nicht lange gebraucht, um die Entscheidung zu treffen, selber mit an die Front zu gehen. Von allen Anwesenden waren nur wenige wirklich mit Kampferfahrung ausgestattet. Tyler und Tolk natürlich, dazu noch einige Personen aus der Galaxis Dorgon und von der Erde, die mit ihnen gekommen waren. Diese Personen waren nicht alle dabei, Torrinos zum Beispiel war mit Sruel Allok Mok an einen Ort aufgebrochen, den sie aber niemandem verraten hatten. Damit fehlten ihnen wichtige Hilfskräfte, aber andererseits mussten die Rekruten auch lernen, alleine klar zu kommen. Deshalb wollten sie nur Hilfen geben. Aber die Hauptarbeit sollten die Rekruten machen.
Das Flackern der Alarmlichter ging ihnen allen allmählich auf die Nerven, aber es half auch dabei, das Adrenalin hochzuhalten. Die Sirenen waren abgeschaltet, sie würden erst kurz vor dem Einsatz dazukommen. Und der würde nicht mehr lange dauern. Im Hyperraum rückte Arioch immer näher.
*
An einer anderen Stelle, aber ebenfalls im Hyperraum, machte sich eine zweite Gruppe bereit, um einen ersten Angriff zu planen. Tolk führte diese zweite Gruppe an und wartete genauso, wie Tyler, auf den Angriff. Allerdings war Tolk geduldiger, als der Kämpfer, der sich mit seiner Gruppe Arioch näherte. Noch einmal rief er sich den Plan in den Kopf. Ihre Zielwelt hieß Sintrius, eine Welt, auf der viele Ophaler lebten. Auch diese Welt unterstand einer Einheit der Besatzer und ihr Ziel war, den Stützpunkt zu attackieren. Sie würden keine Gefangenen machen, aber alles daransetzen, um den Stützpunkt entscheidend zu schwächen. Auch wenn es keinen besonderen Effekt auf dieser Welt haben würde, so würden die Besatzer doch merken, dass die Zukunft für sie nicht nur rosig war. Es würde sicher interessant werden, zu sehen, wie Elgalar reagieren würde. Widerstand war er sicher aus der Heimat schon gewohnt, aber in den letzten Jahren war der nicht sehr ernsthaft gewesen. Hier in Siom Som würden sie auf besser vorbereitete Widerständler treffen. Und sie würden wesentlich härter losschlagen, als das in den letzten Jahren auf Dom und den anderen Welten der Dorgonen geschehen war. Definitiv aber war er noch niemals in leitender Verantwortung gewesen und so würde seine Reaktion sicher sehr schwer vorauszuberechnen sein.
Am schlimmsten wäre, wenn er einfach ein Exempel statuieren und so den Anspruch der Dorgonen unterstreichen würde. Aber damit mussten sie rechnen. Und leiden würden vor allem die friedlichen Völker dieser Galaxis, so lange Elgalar der Rebellen nicht habhaft werden konnte. Das war vielleicht der entscheidende Schwachpunkt ihres Plans. Andererseits blieb ihnen fast nichts anderes übrig.
Elgalar musste lernen, dass es nicht so einfach sein würde. Und wenn er erst merkte, dass er mit zu großer Härte den Widerstand eher noch steigerte, dann würde er auch mit den Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aufhören. Die Zeit bis dahin war sicher die Schwierigste. Unter den Rebellen die Moral aufrechtzuerhalten, war eine Herausforderung, der sie sich künftig stellen mussten.
Das wusste Tolk sehr genau.
Er blickte in die geschwärzten Gesichter seiner Einheit, einer Gruppe von Einwohner dieser Galaxis, denen nicht klar war, worauf sie sich wirklich einließen. In den Augen konnte er viele Dinge erkennen, oder er interpretierte sie nur hinein. Es sah nach Wut aus, nach Trauer über Verlust, nach Entschlossenheit und nach dem unbedingten Willen zur Vergeltung.
Auf jeden Fall aber sah es danach aus, als wüssten alle sehr genau, dass es nun kein zurück mehr gab.
Die Kämpfe standen unmittelbar bevor. Das machten auch die Sirenen klar, die nun durch das Schiff gellten.
*
Die Kämpfer nahmen ihre Positionen ein, wie besprochen. Tyler stellte sich hinter die Männer und wartete auf das Zeichen, dann rannte er in das Landungsboot. Dadurch, dass er der Letzte war, der einstieg, war er nun der Erste, der wieder aussteigen musste, einen Effekt, den er mit Bedacht einkalkuliert hatte. Er wusste, dass Tolk ähnlich vorgehen würde. Mit ihnen in dem Landungsboot waren noch mehr erfahrene Kämpfer, die als Gruppenführer fungieren würden. Er selbst sollte eine ähnliche Rolle spielen und somit an vorderster Front den Kampf mit den Besatzern suchen.
Sie mussten nicht mehr lange warten, aber den Rekruten kamen diese letzten Minuten sicher wie Stunden vor. Sie waren nervös wie Rennpferde und fieberten dem Kampf entgegen. Hoffentlich würden sie im entscheidenden Augenblick besonnen handeln und sich nicht von ihren eigenen Gefühlen zu sehr leiten lassen.
Die Angreifer im Landungsboot spürten nichts davon, als das Schiff in der Atmosphäre ankam, die Schleuse öffnete und das Landungsboot über dem Planeten das Schiff verließ. Sie sahen nur auf den Monitoren, wie plötzlich das Hangartor durch ein Bild des Alls ersetzt wurde, das plötzlich von der sanften Rundung eines sehr nahen Planeten abgelöst wurde. Dann sahen sie nur noch, wie die Oberfläche dieser Welt blitzschnell näher kam. Einigen wurde schlecht, aber die weitaus meisten starrten das Bild mit grimmiger Entschlossenheit an.
Und dann landeten die Boote erstmalig auf der Welt. Näherten sich knapp über der Oberfläche einer Station, die einsam auf diesem Planeten lag. Eine Versorgungsstation, die von den Invasoren eigentlich geheim gehalten wurde. Aber natürlich wurde sie immer wieder angeflogen, und das war den Bewohnern aufgefallen. Von ihnen stammte der Hinweis. Somit landete sie in den Systemen der Rebellen und wurde als mögliches Ziel für einen ersten Angriff ausgewählt.
Die nackten Zahlen in einem Rechnerverbund gespeichert zu sehen, war eine Sache. Den Planeten unter sich zu sehen und zu wissen, dass der Kampf nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, eine gänzlich andere.
Die Station rückte näher, war schon am Horizont sichtbar. Und das Landungsboot näherte sich sehr schnell. Jetzt war der richtige Moment, die Soldaten fielen aus den Schleusen, das Boot zog sofort nach oben weg. Und setzte eine andere Gruppe an einer anderen Stelle ab. Und so landeten alle Soldaten nach und nach um die Station.
Tyler war sich bewusst, dass sie bereits warteten.
Und deshalb wunderte er sich auch nicht, als er die Strahlbahn erkannte. Die Schlacht hatte begonnen.
*
Und forderte sofort ihr erstes Opfer. Eine junge Frau, die gerade noch grimmig ihren Strahler gehoben hatte, um irgendetwas unter Feuer zu nehmen, krümmte den Finger nicht mehr. Sie sank seufzend zu Boden, ihre Knie berührten den Sand dieser Welt, ihr Blut spritzte aus einer hässlichen Wunde. Tyler schaute nicht mehr so genau hin, er hörte nur noch einen dumpfen Laut, als der Körper auf die Erde schlug und rannte brüllend auf das Camp zu. Seine Schüsse trafen präzise. Die anderen ließen sich von seinem Brüllen anstecken, sprangen über das Opfer hinweg und feuerten ebenfalls.
Der Widerstand im Camp war nicht sehr groß. Aber das Camp war auch nicht gerade klein und so dauerte es lange, bis sie sich wirklich einen Überblick verschafft hatten. Von allen Seiten drangen die Gruppen in die Station ein, Dorgonen starben. Aufseiten der Rebellen hielt sich die Zahl der Opfer in Grenzen, die Schutzschirme und die allgemein akzeptable Ausrüstung halfen ihnen dabei. Tyler beobachtete, immer, wenn es ihm möglich war, die Gesichter der Kämpfer. Erkannte, wenn er Worte der Aufmunterung sprechen musste, brüllte, lobte und zeigte ihnen durch das eigene Vorbild, wie sie sich gegen die Verteidiger durchsetzen konnten.
Und schließlich erreichten sie die Zentrale dieses Camps.
*
Brüllende Menschen, die wutentbrannt in den Raum stürmten, waren das Letzte, was er für lange Zeit wahrnahm. Erst nach vielen Stunden öffnete er wieder die Augen. Und begriff nicht, was geschehen war. Er brauchte aber nicht lange, um es zu verstehen. Sein Blick traf den Blick des anderen, der die Augen ebenfalls bereits wieder geöffnet hatte. Sie verständigten sich schweigend. Richteten ihre Blicke auf die Rücken der Wesen, die vor ihnen standen, und sprangen mit einem lautlosen Ruck hoch. Trafen die Rücken, die Nacken, viele empfindliche Körperteile und schickten die Wesen schlafen.
Torrinos nickte dem Panisha anerkennend zu. Keiner der anderen bewegte sich mehr, aber das nützte ihnen auch nichts, wie er mit Kennerblick feststellte. Die Türen waren verschlossen und derzeit hatten sie keine Möglichkeit, sie wieder zu öffnen. Der Panisha überraschte ihn, er ließ sich auf den Boden niedersinken und schloss die Augen.
Torrinos überließ den Panisha seinen Gedanken und wusste, dass dieser Mann das Richtige tun würde. Dann wandte er sich den beiden anderen Anwesenden zu. Die junge Shada Ranrib und der wesentlich ältere Somer Sruel Allok Mok waren noch in tiefstem Schlaf. Aber die Shada regte sich bereits. Torrinos wollte ihr helfen, aber ein Blick aus den scharfen Augen des Panisha ließ ihn innehalten. Der Mann schüttelte schweigend den Kopf und Torrinos begriff seine Geste als Beleidigung. Einem Shade Hilfe anzubieten, schickte sich nicht.
Dafür kümmerte er sich um Sruel Allok Mok, der stöhnend zu sich kam und den vogelartigen Kopf hielt. »Was ist passiert«, flüsterte der Rebell.
»Ich weiß es nicht. Es ist viel zu schnell gegangen.«
»Der Verdacht liegt nahe, dass wir in den Händen der Dorgonen sind.« Die Stimme war gewohnt ruhig.
»Ich weiß nur noch, dass wir gestern Abend schlafen gegangen sind. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern.«
Torrinos nickte schweigend. Sie waren alle überrascht worden und der Verdacht, von den Dorgonen gefangen gesetzt worden zu sein, lag mehr als nahe. Aber wie waren sie auf den Planeten gekommen? Waren sie ihnen etwa gefolgt? War es ihre eigene Schuld gewesen, hatten sie die Dorgonen zu einer wesentlichen Hoffnung ihres Kampfes geführt?
»Es lohnt nicht, darüber zu grübeln. Was auch immer sie zu uns geführt hat, sie haben uns gefunden. Es war unausweichlich.«
Torrinos fragte sich, wie der Mann das machte. Er wirkte nicht sonderlich alt, aber auch nicht mehr jung und er hatte angeblich lange Jahre weitgehend ungeschützt und ohne besondere Ausrüstung in der Kältezone seines Planeten gelebt. Er war ohne Zweifel asketisch, aber bei weitem nicht ausgezehrt. Und wenn er sprach, dann tat er das mit leiser Stimme, die trotzdem den Raum erfüllte. Der Panisha war eine unglaubliche Persönlichkeit, hatte eine Präsenz, die den ganzen Raum auszufüllen schien. Torrinos war ein geschulter Kämpfer, aber mit dem Panisha wollte er sich nicht messen. Er war froh, ihn auf ihrer Seite zu haben.
Er interpretierte das Lächeln des Panisha richtig. Wiederum hatte der Mann seine Gedanken erraten.
»Sie werden kommen. Und dann werden wir bereit sein.«
Torrinos nickte. Sie warteten schweigend.
*
Die Zentrale war in ihrer Hand, Tyler beugte sich über den letzten Dorgonen, der in der Station gefallen war. Draußen hörten sie noch Kampflärm, aber es wurde immer ruhiger. Und offensichtlich hatten die Dorgonen nicht mit ihnen gerechnet, sie waren weitgehend überrascht worden. Tyler wertete das als gutes Zeichen.
»Sie sind alle tot.« Die Stimme klang etwas hysterisch und Tyler verdrehte die Augen. Er wandte sich um und sah die zitternde Gestalt, die auf die Dorgonen blickte, schreckensstarr, Blut an den eigenen Händen. Sie hatte einen der Toten aus dem Sitz gezogen und wollte ihn wegbringen, aber sie konnte es offensichtlich nicht. Tyler fühlte nichts als Bedauern, blickte das Mädchen lange an und holte schon tief Luft, aber dann konnte er es doch nicht. Nicht mehr, nicht nachdem die Schlacht bereits geschlagen war. Und er tat etwas, das ihn selbst überraschte. Er ging zu der jungen Frau. Legte seine Arme um ihren schmalen Körper und presste sie fest an sich, hielt ihren bebenden Körper, der von Schluchzen erschüttert wurde.
Lange Zeit sagten sie nichts, während um ihn herum verblüffte Rebellen die Zentrale von Leichen befreiten, nach Waffen absuchte, die gesamte Station auf den Kopf stellten und alles zusammenrafften, was sich in der kurzen Zeit zusammenraffen ließ.
Und dann schob er sie auf Armlänge von sich.
»Es ist vorbei. Der Tod ist Teil jeden Kampfes, der von lebenden Wesen bestritten wird. Roboter sind für das Töten besser geeignet, fürchte ich, aber bewahre dir deine Menschlichkeit. Wenn du nicht mehr kämpfen willst, dann verstehe ich das. Aber zuerst kehren wir nach Hause zurück. Willst du mit uns kommen?«
Sie nickte. Nachdrücklich. Und schenkte ihm ein Lächeln, das ihrem verheulten Gesicht einen freundlichen, aparten Ausdruck verlieh. Tyler lächelte kurz zurück. Gemeinsam verließen sie die Station und begaben sich an Bord des Raumschiffes, das gelandet war und deren Besatzung dabei half, die Beute mit an Bord zu nehmen.
Hoffentlich war bei Tolk alles gut gegangen.
*
Der Barbar schüttelte seine Mähne, während er wütend schnaubend an der Spitze seiner Männer in die Station stürmte. Als der Strahl ihn fast schon erreicht hatte, warf er sich zur Seite. Der Schutzschirm flackerte nur leicht, dafür explodierte das Aggregat seines Gegners unter der Überlastung. Splitter verletzten ihn leicht, aber das war nichts im Vergleich zu dem Loch, das plötzlich in seiner Brust klaffte. Tolk gönnte weder sich noch den Gegnern eine Pause, während er an der Spitze der Soldaten, die wenig mehr waren als Rekruten, durch die Gänge tobte. In seiner Ortung hörte und sah er das Knacken der Nachrichten, die den Planeten verließen. Sie riefen bereits um Hilfe, aber noch waren sie ihm Zeitplan.
Die Soldaten stürmten mit ihm an der Spitze auf die Zentrale zu und bewährten sich unterschiedlich unter den Belastungen. Die Meisten kamen damit klar, wie der Barbar am Rande bemerkte, nur wenige blieben etwas zurück und sammelten sich zunächst einmal. Nicht schlimm, es war der erste große Kampf und letztendlich waren sie nur hier, um zu lernen, diesen unerfahrenen Kämpfern erste Erfahrungen zu vermitteln. Seit der Kult der Krieger Siom Som verlassen hatte, waren viele Jahre vergangen. Die Bewohner dieser Welteninsel hatten sich verändert, waren ruhiger und friedlicher geworden. Viele waren schon immer in der Defensive gewesen, durch Kriege unterdrückt und mussten nun erst mühsam lernen, wieder zu kämpfen, sich gegen Machthaber zu wehren. Nur langsam fanden sie sich in ihre neue Rolle ein.
Und bewiesen, dass sie es durchaus noch konnten.
Die Zentrale war bald in ihrer Hand und die Station gehörte ihnen.
Es war nicht der einzige Erfolg, wie Tolk erfuhr. Auch die Gruppe um Tyler war durchaus erfolgreich gewesen.
*
Gal'Arn war verwundert gewesen, als er den harten Soldaten und gnadenlosen Ausbilder Tyler nach der Schlacht gesehen hatte. Er hatte eine junge Soldatin im Arm, die der Belastung offensichtlich nicht mehr gewachsen war. Ihr Gesicht zeigte Spuren der Tränen, die die Angst und Verzweiflung aus ihr getrieben hatten. Und Tyler tröstete sie, half ihr an Bord des Schiffes und ließ sie dann unter Obhut seiner Freunde zurück. Er ignorierte auch den verwunderten Blick des Elaren und begab sich in die Zentrale. Der Rückflug war bereits eingeleitet, die Koordination mit den Schiffen, die Sintrius angegriffen hatten, war eingeleitet. Die Operation erwies sich als voller Erfolg und nur wenige Stunden später wurden die Frachter mit reicher Beute aus den Beständen der Dorgonen entladen.
Und eine Konferenz wurde anberaumt, die das weitere Vorgehen klären sollte.
Von Sruel Allok Mok und Torrinos hatten sie lange nichts mehr gehört, aber die konnten sicher sehr gut selbst auf sich aufpassen. Dafür nahmen ihre Pläne langsam Gestalt an. Weitere Ausbildungen sollten folgen, die Rekruten sollten lernen, Soldaten zu sein und in immer mehr und immer gefährlicheren Einsätzen an ihre eigentliche Aufgabe herangeführt werden, nämlich die Befreiung von Siom Som. Dabei waren sich die Verantwortlichen durchaus darüber im Klaren, dass die Befreiung einer solch großen Galaxis sicher sehr lange dauern würde.
Aber auch die längste Reise begann mit dem ersten Schritt, wie schon die alten terranischen Philosophen wussten. Und deshalb legten sie neue Ziele fest, die sie in den nächsten Tagen angreifen würden.
Eine Nachricht erschütterte sie aber alle. Offensichtlich waren Torrinos und Sruel Allok Mok gefangen worden. Wohin man sie gebracht hatte, wusste niemand. Aber auf der Welt, die sie angeflogen hatten, befanden sie sich nicht mehr und einige übrig gebliebene Schada einer Schule der Helden auf Trallnok berichteten von angreifenden Schiffen der Dorgonen und einem fürchterlichen Kampf. Die Schule war weitgehend zerstört und ihr Panisha sowie die Besucher waren seither spurlos verschwunden.
Wohin die Dorgonen sie gebracht hatten, wussten sie nicht.
Das wussten nur die Gefangenen selbst.
*
Panisha Soradan Mog Aro bewegte sich nicht, als sich das Schott öffnete. Auch Torrinos beherrschte sich, nur Sruel Allok Mok zuckte zusammen. Die Shada legte ihre Hand besänftigend auf seinen Arm und der Somer beruhigte sich auch sehr schnell, als er den reich dekorierten Centrus der Dorgonen erblickte. Der Soldat baute sich vor ihnen auf und blickte von oben auf sie herab. Er verzog die Mundwinkel und ließ ein höhnisches Lachen hören. Dann spuckte er Torrinos ins Gesicht, der sich nicht einmal regte. Auch den Fußtritt nahm er ohne mit der Wimper zu zucken hin.
»Verräter an deinem eigenen Volk, es wird mir eine Freude sein, dich sterben zu sehen.«
Torrinos antwortete nicht. Was den Centrus sichtlich wütend machte.
»Ich bin Centrus Seppeltus und dass ihr mir in die Hände gefallen seid, ist ein glücklicher Zufall. Torrinos, der Kaiser würde sich freuen, wenn er dich persönlich in die Hände bekommen würde. So aber wird er mit dem Bericht seiner kaiserlichen Schwester vorlieb nehmen müssen, die sich freuen wird, an seiner statt das Todesurteil zu fällen und zu vollstrecken.
Und Sruel Allok Mok, auch deine Rolle bei der Eroberung von Siom Som ist uns nicht unbekannt. Wir werden dich bestrafen müssen. Ob du das überlebst, wird von dir abhängen.
Die anderen interessieren mich nicht. Ihr könnt sie töten.«
Seppeltus wandte sich um und verließ den Raum. Die Dorgonen, die ihm folgten, hatten die Waffen angelegt und bewegten sich auf die vier Gefangenen zu. Sie waren nicht gefesselt, aber von den dorgonischen Soldaten machte sich keiner Gedanken deswegen. Feuerwaffen waren sehr effizient und zwei der vier würden nicht mehr lange leben. Die übrigen Zwei würden wohl kaum noch die Gelegenheit haben, etwas gegen sieben bewaffnete Dorgonen auszurichten.
Der Panisha regte sich nicht, als die Wesen auf ihn zu kamen und Torrinos fragte sich, ob der Meister der Upanishad bereits aufgegeben hatte. Sruel Allok Mok beobachtete nur und Shada Ranrib machte ebenfalls keine Anstalten, sich gegen das Urteil zu wehren. Torrinos spannte die Muskeln an, bemerkte aber rechtzeitig das Zeichen des Panisha. Er entspannte sich wieder.
Soradan Mog Aro konzentrierte sich und wartete mit geschlossenen Augen auf die sieben Männer. Er hätte die Position eines jeden von ihnen genau beschreiben können, aber die Dorgonen waren sorglos. Der im Shant erprobte Panisha wartete, bis die Soldaten ihre Positionen eingenommen hatte, dann schnellte er hoch, wirbelte herum, sodass Torrinos kaum mit den Augen zu folgen vermochte und schlug drei der sieben Soldaten nieder. Und der Dorgone hatte sich noch nicht einmal halb erhoben, als auch schon zwei weitere dorgonische Soldaten auf dem kalten Stahl des Bodens zu liegen kamen. Ranrib stand ihrem Meister offensichtlich kaum nach, sie wirbelte mindestens genauso schnell zwischen den Gegnern, auch wenn man ihr anmerkte, dass ihr in manchen Bereichen noch die Erfahrung fehlte. Für die überraschten Soldaten reichte es aber allemal.
Und endlich reagierte auch Torrinos, aber ihm blieb nur noch, einen letzten Soldaten niederzuschlagen. Und zum ersten Mal musste der Kämpfer erkennen, dass es Wesen gab, die ihm eventuell noch überlegen waren.
Panisha Soradan atmete nicht einmal schneller, als er sich wieder auf seinen Platz niedersinken ließ. Ranrib setzte sich ihm gegenüber und Torrinos musterte die beiden verwundert.
»Du hast den ersten Schritt getan«, sagte der Panisha. »Der Weg steht dir offen, Shada. Das Hamosh ist der erste Schritt nach dem Shan und du hast ihn praktisch vollendet.«
Ranrib senkte das Haupt und sagte nichts. Torrinos wartete schweigend und achtete die Zeremonie, die sich schnell und ruhig abspielte. Als Shada Ranrib sich erhob, konnte er an ihren Augen nichts ablesen. Sie hatte sich unter Kontrolle, besser als es ein Kämpfer von Gon schaffen würde. Fast musste Torrinos diese Wesen bewundern.
Und ihm war durchaus klar, dass es gefährlich werden würde. Sie waren offensichtlich auf dem Weg nach Som, wo sich Elgalar befand. Und sie waren von den anderen Rebellen abgeschnitten. Wie viele Soldaten sich in dem Schiff befanden, konnten sie nicht ahnen. Auch wenn die Türen nun offen waren, würde der Kampf im Schiff ein Abenteuer werden, sie kannte das Schiff ja noch nicht einmal. Vermutlich war es ein Adlerschiff, aber wie groß und mit wie vielen Mann Besatzung, das mussten sie erst einmal herausfinden. Gefährlich? Ihre Mission war tödlich.
Aber die Alternative war Ansporn genug. Als der Panisha sich ebenfalls erhoben hatte, wandte Torrinos sich um und ging auf die Tür zu. Er griff nach Waffen, die den Soldaten aus den Händen gefallen waren, steckte eine der Feuerwaffen unter seinen Gürtel und warf zwei davon Sruel Allok Mok zu. Der Panisha wollte keine haben und auch Ranrib schüttelte den Kopf, also schnappte sich Torrinos achselzucken zwei weitere Waffen, die er in den Fäusten behielt. Dann bewegte er sich zur Tür.
»Wir müssen von diesem Schiff herunter. Wenn wir erst auf Som sind, dann haben wir ein Problem.«
»Oder die Lösung.«
Torrinos schaute dem Somer verblüfft ins Gesicht. Lösung?
»Ich kenne Som besser, als jeder Dorgone. Ich kann uns von dort aus in Sicherheit bringen. Du wirst dich wundern, Torrinos.« Sam lächelte und der Panisha nickte ernst. Torrinos schaute die beiden verblüfft an.
»Was schlagt ihr vor, dass wir uns nach Som bringen lassen? Direkt in die Höhle des Löwen?«
»Genau das. Die Hauptstadt ist riesig, wir können darin verschwinden. Wir müssen nur rechtzeitig aus dem Schiff fliehen. Und das werden wir sicher schaffen, mit eurer Hilfe.«
»Na gut, dann machen wir es so.« Torrinos ließ sich einfach auf den Boden niedersinken und wartete schweigend, während die Gefährten sich niederließen. Das konnte ja heiter werden.
*
»Diese Halunken, wie können sie es nur wagen.« Seine Wangen glühten, als er wütend mit dem Fuß aufstampfte. Er war hinreißend, wenn er wütend war. Der Diener verschwand schamhaft hinter dem Vorhang und holte dem Herrn eine Amphore voll Wein. Einen Pokal schenkte er ein, stellte ihn in Reichweite des Statthalters ab und zuckte zusammen, als der mit einer wütenden Handbewegung den kristallenen Pokal von seinem Tischchen fegte. Die Splitter verteilten sich überall, wurden von den Reinigungsrobotern aber sofort beseitigt. Der Diener machte schleunigst, dass er aus der Reichweite des wütenden Herrschers kam.
Centrus Seppeltus hingegen zuckte nicht einmal zusammen. Er nickte nur.
Nicht nur, dass ihm die Gefangenen entkommen waren, außerdem waren da noch Angriffe auf Stützpunktwelten überall in Siom Som. Und überall hatten sie eine Niederlage einstecken müssen. Das würden schlimme Tage werden.
»Strafen müssen wir sie. Ich befehle dir, sie zu suchen. Schaffe Ordnung in diesem Misthaufen von einer Galaxis, die es wagt, sich gegen meinen Bruder zu erheben. Und vor allem gegen mich«, brüllte er mit spitzer, sich überschlagender Stimme.
»Zu Befehl.« Seppeltus machte eine Ehrenbezeigung und verschwand aus dem Raum. Das war deutlich genug. Es würde unangenehm werden für die Rebellen.
Und damit würde es angenehm werden für ihn.
Vermutlich hätte es Elgalar nicht einmal interessiert, wenn er das sadistische Grinsen des Centrus gesehen hätte. Seppeltus würde den Befehl buchstabengetreu umsetzen. Und vielleicht hier und dort noch etwas hineininterpretieren.
Auf jeden Fall würden sich Torrinos und dieser Sruel Allok Mok noch sehr wundern.
Siom Som stand am Abend einer Götterdämmerung. Sruel Allok Mok wusste das sehr genau. Aber er konnte es nicht ändern. Im Augenblick waren ihnen die Hände gebunden.
Trotzdem würden sie alles dafür tun, den Invasoren das Handwerk zu legen und sie aus der eigenen Galaxis zu befreien.
Ihr Ausbruch aus dem Schiff kam ihm immer noch wie ein Traum vor. Eigentlich mussten sie alle tot sein. Aber sie waren es nicht. Und damit hatten sie die Gelegenheit, weiterzumachen. Zunächst im Untergrund von Som. Und dann den Kontakt wieder zu den anderen herzustellen. Nachrichten in die Galaxis zu schicken, damit sie erfuhren, dass es ihnen noch gut ging.
Viele Aufgaben warteten auf sie.
Aber wenigstens ein Anfang war gemacht. Auch wenn die Situation nicht gerade ideal war.
*
Shenia konnte es nicht fassen. Torrinos war in der Hand der Gegner, zumindest mussten sie nach der Meldung davon ausgehen. Aus der Schule der Helden erreichte sie die Nachricht von einem Überfall, bei dem viele getötet worden waren. Neben dem ehemaligen Panisha waren noch eine Schülerin und der Somer Sam in die Hände der Dorgonen gefallen. Und Torrinos. Natürlich kannten ihn die Dorgonen am Besten.
Waldron legte seine schwere Pranke beruhigend auf ihre Schulter, aber das brauchte sie derzeit nicht. Sie schüttelte seine Hand ab.
»Wir müssen dort hin. Sie haben ihn sicher nach Som gebracht. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Dragonar nickte nur. Er ging schweigend aus dem Raum und bereitete den Abflug vor. Niemand hinderte sie daran. Und so machte sich ein kleines Kommandounternehmen auf den Weg nach Som.
*
Er leitete die Säuberungsaktionen persönlich.
Auf vielen Welten der Galaxis Siom Som landeten Raumschiffe mit Boten, die den dortigen Besatzern Anweisungen erteilten. Auf vielen anderen Welten landeten Flotten, die ihre Aufgabe verrichteten, um dann weiterzuziehen und die nächste Welt anzugreifen. Und in Som führte Seppeltus die Truppen selbst an.
Willkürlich ließ er Somer verhaften, die nichts getan hatten. Aber das war nicht entscheidend, viel wichtiger war die Wirkung, die diese Aktion haben würde. Sie würde sich herumsprechen, dafür würde Seppeltus sorgen.
Und wenn erst bekannt war, wie sie mit ihren Gegnern umgingen, dann würden die Rebellen sehr schnell mit ihren Übergriffen aufhören. Eine ganze Galaxis war die Geisel der Dorgonen. Genügend Auswahl. Seppeltus grinste hinterhältig, als er mit seiner Reitgerte einer jungen Frau quer über das Gesicht schlug. Rücksichtslos wurde die Somer in einen der Gleiter geworfen, wo sie weinend liegen blieb. Es interessierte ihn nicht. Opfer waren irrelevant.
Entscheidend war nur, dass die Kaiserin glücklich war.
Aber dafür würde er sorgen.
Dem Somer gefiel das sardonische Lächeln nicht, das seine Mundwinkel umspielte. Und er hatte Recht, es bedeutete Ärger. Nicht nur für ihn.
Blutig waren diese Stunden der Nacht auf Som.
*
Unauffällig drückten wir uns, wie Schatten, in eine Nische, verschmolzen mit der Nacht. Niemand folgte uns, aber das interessierte im Augenblick keinen von uns. Wir waren Zeugen geworden. Gräueltaten, im Namen des Kaisers begangen, begleiteten diese Nacht.
Nachdem wir den Planeten Som erreicht hatten, war es unser erster Gedanke gewesen, die Oberfläche dieser Welt so schnell wie möglich zu verlassen. Wir tauchten unter, nicht in den Untergrund, die Verhältnisse auf Som waren in dieser Hinsicht nicht so ideal, wie das auf Dom der Fall war. Aber wir hatten uns mit der Situation abgefunden und tauchten in den verwinkelten Gassen der Altstadt unter. Ein Areal von mehreren Quadratkilometern Größe und einem gewaltigen Rauminhalt wurde so zu unserem Unterschlupf.
Wir waren uns darüber im Klaren, dass die Suche der Soldaten nicht nur nach uns, sondern nach allen Rebellen vorangetrieben wurde. Und trotzdem durften wir uns nicht sehen lassen, wollten wir die letzte Chance, die diese Galaxis hatte, nicht zerstören.
Manchmal war es nicht einfach. Aber wir waren eine Gruppe, die kaum Probleme damit hatte, uns in einer solchen Situation zu behaupten.
Da war zum einen der Dorgone Torrinos, der seine Fähigkeiten schon des Öfteren unter Beweis gestellt hatte. Er allein war schon eine Waffe, die jeder gerne an seiner Seite hatte. Unterstützt durch die Fähigkeiten, die ihm sein Anzug noch zusätzlich verlieh, war er eine der wichtigsten Personen. Manchmal glaubte ich, dass er mir überlegen war.
Und natürlich der Meister, der Panisha Soradan Mog Aro. Seine Fähigkeiten waren denen des Dorgonen weit überlegen, aber auch den meinen. Nur Sam war eine Person, der ich mich nicht unterlegen fühlen würde. Wenn die Lehren der Upanishad mir solche Gedanken erlauben würden.
Aber das taten sie nicht. Im Gegenteil, sie hatten mich gelehrt, der Situation mit kühler Überlegung entgegenzusehen, mit Verstand, nicht so sehr mit Gefühlen. Und so war es mir möglich gewesen, zusammen mit den anderen und als wertvolles Mitglied unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft bis jetzt durchzuhalten. Und das, obwohl um uns herum immer wieder Gegner zu finden waren.
Es war erschreckend, zu sehen, wie Menschen, Somer, wehrlose Einwohner dieser Galaxis, unter den willkürlichen Taten dieser Menschen leiden mussten und mehr als einmal hatten wir alle das Gefühl, dass es an der Zeit war, einzugreifen. Aber trotzdem taten wir es nicht. Unauffällig zu bleiben, war in dieser Situation wichtiger, als den Menschen und Wesen dieser Galaxis zu helfen. Ich dachte es und hasste mich gleichzeitig für diesen Gedanken. Nur kurz hatte ich zu kämpfen, dann hatten die jahrelang antrainierten Reflexe, die Ausgeglichenheit meiner eigenen Gedanken, den erschreckenden Eindruck, der für einen Augenblick in mir entstanden war, wieder in sich aufgenommen. Wir mussten aufpassen, wir mussten überleben und uns hier finden lassen von unseren Freunden, wie auch immer sie das anstellen wollten.
Und deshalb war es nötig, immer in Bewegung zu bleiben.
Auch wenn die Gegenden, in denen wir uns versteckten, mich Sicherheit nicht zu den Besten dieser Stadt gehörten. Som war groß und beeindruckend, aber es hatte Ecken, die ich allein niemals betreten würde. Oder besser, unter anderen Umständen. Die Menschen hatten eine Chance verdient, die sie aber nur dann erhielten, wenn sie selbst ihr Schicksal in die Hand nahmen. Nicht wenigen war dies gelungen. Sruel Allok Mok flüsterte uns zu, dass er aus einem der schlimmsten Viertel stammte und es nur seiner eigenen Kraft zu verdanken hatte, dass er es geschafft hatte, aus diesem Viertel zu entkommen. Und nun war er gezwungen, an seine Wurzeln zurückzukehren. Er ließ es sich nicht anmerken. Aber wenn man ganz tief in ihn hineinblickte, den Augen bis auf den Grund, dann erkannte man darin die Gedanken, die ihn bewegten. Freunde, Verwandte aus diesen Tagen, die er lange nicht gesehen hatte, von denen viele sicher nicht mehr lebten.
Alles war im Wandel. Das war eine der wesentlichen Gedanken, die die Upanishad uns lehrte. Wer nicht untergehen wollte, der musste sich anpassen. Aber Sruel Allok Mok hatte diese Kraft.
Verstohlen musterte sie den kräftigen Körper ihres Gefährten, den sie nun schon so lange kannte. Manchmal fragte sie sich, wie sie sich jemals hatte dazu hinreißen lassen können, mit einem ungehobelten Klotz wie Waldron zusammen auf Reisen zu gehen, und das auch noch auf eine Reise, die so lange dauern würde. Aber bereut hatte sie ihre Entscheidung eigentlich nie. Es war wichtig, einen Gefährten zu haben, wenn der eigene Körper nicht immer so reagierte, wie man das wollte. Ihre dreitägigen Schlafattacken konnten gefährlich werden, dafür hatte sie aber auch drei Tage, an denen sie am Stück wach bleiben konnte. Und das immer im Wechsel. Auf ihrer Heimatwelt war das durchaus nicht ungewöhnlich, viele vor allem weibliche Goner hatten diese Fähigkeit.
Sie schaute in ihr Spiegelbild, das sich auf der glatten Fläche einer Wand unscharf abzeichnete. Eigentlich war sie mit sich zufrieden, aber die leicht grünliche Färbung ihrer Haut, die sich außerhalb ihres eigenen Planeten sehr schnell verlor, fehlte ihr doch sehr. Ohne diese würde sie auf ihrer eigenen Welt keinem Schönheitsideal entsprechen. Solange sie nicht dort war, war das nicht so schlimm. Aber wenn sie zurückkehrte, würde es gut sein, den Teint wiederzugewinnen.
Dragonar rülpste ungeniert und pulte mit einem seiner dicken Finger in den Zähnen herum. Angewidert wandte sich die Gonerin ab.
»Das wird auch nicht mehr besser mit dir. Ein Benehmen hast du – da können wir ja froh sein, dass wir alleine an Bord sind.«
Dragonar grinste ungeniert und kratzte sich im Schritt, wie Shenia missbilligend registrierte. »Das hat dich doch noch nie gestört. Außerdem habe ich das noch nie gemacht, wenn andere dabei waren.«
»Ja, auf mich Rücksicht zu nehmen, wäre auch zu viel verlangt.«
Shenia grinste, als sie dies sagte. Einen rücksichtsvolleren Menschen hatte sie nur selten kennen gelernt, und das war auch nötig. Schließlich musste sie in den drei Tagen, die sie quasi bewusstlos schlummerte, ihrem Beschützer vollkommen vertrauen können. Und in dieser Hinsicht war der Goner über jeden Zweifel erhaben. Andererseits musste sie ihm wohl oder übel einmal seine Grenzen aufzeigen. Sonst würde er niemals so etwas wie ein Benehmen lernen.
»Ach komm, wo sonst, wenn nicht allein auf diesem blöden Kahn, sollte ich wohl mal ich selbst sein dürfen.«
Er zuckte zusammen, als es plötzlich neben ihm zu piepen und zu blinken begann.
»Ortung«, meldete der Bordrechner. »Ein Geschwader nähert sich in schneller Fahrt. Es sind Adlerschiffe.«
Blitzschnell ließ Dragonar sich in den Pilotensessel plumpsen und stellte die Situation graphisch dar. Es gab nur eine Möglichkeit. Er ließ den Bordrechner einen Kurs berechnen und steuerte das Schiff dann mit Höchstgeschwindigkeit in ein nahe gelegenes System. Ausgerechnet auf einem Orientierungsstopp auf ein Geschwader des Gegners zu treffen, nannte man wohl Pech. Allerdings gehörte ihre Route zu einer der Standardflugschneisen in dieser Galaxis. Es konnte also schon passieren, dass sie plötzlich auf gegnerische Schiffe trafen.
Nun kam es nur darauf an, was der Gegner von ihnen mitbekommen hatte. Gespannt beobachteten die beiden Goner die Schiffsbewegungen der Dorgonen. Shenia war hinter ihren Beschützer getreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Waldron ließ sich davon aber nicht ablenken. Zunächst passierte nichts.
Dann löste sich eines der Schiffe aus der Formation und flog in Richtung des Systems, das sie eben erreicht hatten. Waldron steuerte das Schiff in die Nähe der Sonne und näherte sich der Korona.
»Du willst dich dort doch nicht etwa verstecken?«
Shenia runzelte skeptisch die Stirn.
»Nein, unser Antrieb wäre zu schwach, um wirklich tief in die Korona eintauchen zu können. Ich würde aber doch vorschlagen, dass wir zunächst einmal die Sonne zwischen uns und die Verfolger bringen, das schirmt uns wenigstens gegen direkte Ortung ab. Danach können wir immer noch weitersehen.«
Er versteckte das Schiff so hinter dem Horizont der Sonne, dass sie mit ihren passiven Ortern den Gegner noch sehen konnten, aber selbst nicht geortet werden konnten. Zumindest hoffte er das, denn so genau war er über die Möglichkeiten des Gegners nicht informiert. Aber selbst wenn sich der Gegner herantrauen würde, so war es doch nur ein Schiff. Sie mussten vermeiden, dass die anderen nachrückten. Am Besten war aber, wenn der Gegner wieder abzog. Das hing aber davon ab, was er von dem kleinen Schiff wirklich geortet hatte. Wenn es nur ein unscharfer Reflex war, dann war es schon bewundernswert, dass man auf der Gegenseite überhaupt reagiert hatte.
Das Schiff näherte sich und flog nur langsam in das System ein. Dabei scannte es den Weltraum. Es näherte sich einem der Planeten, umkreiste ihn und ortete auch den Mond des Planeten. Dann verharrte es einige Zeit im freien Fall. Schließlich überlegten es sich die Dorgonen offensichtlich anders und verließen das System. Shenia atmete hörbar auf.
»Nur nicht zu früh freuen«, warnte Dragonar. Er lehnte sich zurück und machte keine Anstalten, die Korona zu verlassen. »Wir warten noch etwas. Das gibt uns Gelegenheit, etwas zu klären. Wie sollen wir eigentlich nach Som kommen? Ich meine, die Dorgonen sind dort ziemlich stark vertreten. Was nicht verwunderlich ist, schließlich ist das ihre Basis.«
Shenia lächelte nur. »Darüber machen wir uns Sorgen, wenn wir angekommen sind. Offensichtlich ist das gar nicht so selbstverständlich. Außerdem hatte ich Gelegenheit, mich mit dem Widerstand und in erster Linie mit Sruel Allok Mok zu reden. Es gibt Anlagen der ehemaligen Machthaber, von denen die Dorgonen noch nichts wissen. Nicht zuletzt gibt es eine Anlage auf dem Mond, die bereits Ijarkor als Unterschlupf gedient hat. Ich denke, wir werden einen Weg finden, schließlich konnte Sruel Allok Mok auch von dieser Welt entkommen. Wir werden sehen.«
Waldron nickte, dann blickte er auf die Kontrollen. Er machte aber immer noch keine Anstalten, weiterzufliegen. Schweigend warteten sie. Nur die Schwärze des Alls und das Leuchten der Sonne, die Lichtbögen der Eruptionen, begleiteten sie. Ein Schauspiel, das man als romantisch bezeichnen konnte. Verklärt blickte Shenia auf die Lichtbahnen, auf die Feuerspiralen, die aus der Korona geschleudert wurden. Sie bewegte sich nicht. Für Vertrautheiten hatten sie im Augenblick beide keine Zeit. Sie mussten Som erreichen und sie hatte nur noch zwei aktive Tage vor sich. Möglicherweise würde Waldron alleine helfen müssen. Aber darüber machte sie sich im Augenblick keine Gedanken. Es war besser, nicht daran zu denken.
Schweigen breitete sich aus, das erst nach fast einer Stunde von Dragonar gebrochen wurde.
*
»Ich bin auf dieser Welt aufgewachsen, ich werde uns helfen, von ihr zu verschwinden.« Sruel Allok Mok hatte vollmundig von seinen Möglichkeiten berichtet, aber nun waren sie fast ständig auf der Flucht. Der Panisha und Torrinos schienen noch am ehesten mit der ungewöhnlichen Situation fertig zu werden, sie blieben vollkommen ausdruckslos, was nicht so sehr verwunderlich war. Soradan hatte eine Ausbildung hinter sich, die ihm die nötige Ruhe gab und seine Zeit in der Einsamkeit seiner Welt hatte zusätzlich dabei geholfen, eine Abgeklärtheit zu entwickeln, die in einer solchen Situation unersetzlich war. Auch ich verfügte über ein gewisses Maß an Abgeklärtheit, dem aber noch ein guter Teil Erfahrung und ein klein wenig Ausbildung fehlte. Trotzdem erlaubte mir das, was ich bisher wusste, meine Gefühle unter Kontrolle zu behalten und in gefährlichen Situationen meine Frau zu stehen. Das war eine Voraussetzung, die wir in unserer Situation alle nötig hatten.
Der Einzige, der sich sichtlich nicht wohl zu fühlen schien, war Sruel Allok Mok selbst.
Es mochte daran liegen, dass er seine eigene Welt kaum wieder erkannte. Da waren all die vertrauten Plätze seiner Jugend, all die Sehenswürdigkeiten, die seiner Welt etwas Einmaliges verliehen, die aber nun, da die Besatzer sie nach ihren Vorstellungen neu gestaltet hatten, teilweise kaum noch zu erkennen waren. Obwohl die Welt sich seit Ijarkors Herrschaft weitergedreht hatte, atmeten viele Teile der Stadt noch die Seele der Vergangenheit. Und doch wieder nicht, denn die Besatzer hatten dafür gesorgt, dass sich Som in eine Stadt verwandelte, die ihren Vorstellungen entsprach.
Warum sie sich überhaupt für diese Welt als Hauptsitz entschieden hatten, war eine andere Frage, schließlich gab es noch andere, die vielleicht sogar besser gepasst hätten. Die Welt der Ophaler zum Beispiel, auf der sich eine der wichtigsten Begegnungsstätten für alle Völker dieser Sterneninseln befand, hätte viel besser gepasst. Aber vielleicht war es die klangliche Nähe von Som zu ihrer eigenen Heimat Dom, die vor allem den Statthalter des Kaisers dazu bewogen hatte, sich nach Som zu begeben. Eine besondere Ähnlichkeit mit ihrer Heimat wies Som zwar nicht auf, aber das versuchten sie gerade zu ändern. Vielleicht war der Grund auch einfach der, dass Sruel Allok Mok als Symbolfigur des Widerstands galt und schon vor der Ankunft der Freunde aus Dorgon begonnen hatte, den Eindringlingen einen, wenn auch passiven Widerstand, entgegenzusetzen. Seine eigene Heimat zu dorgonischer Gefolgschaft und absoluter Treue zu den neuen Machthabern zu zwingen, war da eine Rache, die angemessen erschien, jedenfalls wenn man die verqueren Vorstellungen der dorgonischen Machthaber zugrunde legte.
Was es auch immer war, es sorgte dafür, dass der Somer unter der jetzigen Situation leiden musste. Wir waren nun schon mehrere Stunden in den Straßen dieser Stadt unterwegs, in den Seitengassen, unter der Oberfläche und im Verborgenen versuchten wir, den Verfolgern aus dem Weg zu gehen, bislang auch durchaus erfolgreich. Schlimm war aber, dass sich die Dorgonen offensichtlich an den unschuldigen Bewohnern dieser Welt schadlos hielten. Immer wieder wurden wir Zeuge, wie Einwohner der Stadt oder Besucher von anderen Welten von einer Patrouille der Besatzer aufgehalten und gedemütigt wurden. Und immer wieder mussten wir ausweichen, konnten den unschuldigen Opfern nicht helfen. Manchmal konnten wir ihnen in die Augen blicken, ihre Verzweiflung erahnen, aber eingreifen, das konnten wir nicht. Für Sruel Allok Mok war dies wohl das größte Problem, denn die meisten der Gefolterten waren seine Landsleute. Und auch wir anderen konnten damit wohl nur umgehen, weil wir einfach nicht daran dachten, die Gefühle erst gar nicht an uns heran ließen, jedenfalls soweit das möglich war.
Natürlich war es nicht immer möglich. Aber im Augenblick blieb uns fast keine andere Wahl.
Sruel Allok Mok führte uns durch die Gassen seiner Heimat und ließ uns immer wieder Umwege gehen, wenn wieder eine Einheit der neuen Machthaber auftauchte. Andererseits passierte dies nicht allzu oft, denn die Stadt war viel zu groß, um beständig kontrolliert werden zu können. Wir wussten das sehr wohl und darauf beruhte auch unsere Hoffnung, uns vor den Verfolgern verstecken zu können. Nur, wie wir entkommen sollten, das war uns noch nicht so ganz klar.
Sruel Allok Mok erklärte uns, dass es die Möglichkeit gab, mit Transmittern auf den Mond dieser Welt zu flüchten. Er trug den Namen eines ehemaligen ersten Kriegers namens Ijarkor. Und dieser Mond beherbergte immer noch die Festung dieses Ewigen Kriegers. Mok hatte diese Festung bereits als Stützpunkt benutzt und sich in ihr versteckt, als das System von den Dorgonen gestürmt wurde. Es lag also nahe, sich wieder dorthin zu begeben. Das Einzige, was ihnen dazu fehlte, war ein entsprechender Transmitter. Diesen zu finden, war Teil ihrer Aufgabe.
Ich konnte dem Somer ansehen, dass er immer wieder darüber nachdachte, wie sie denn in eine solche Situation geraten konnten. Aber diese Überlegungen waren müßig. Entscheidend war nicht, wie, sondern schlicht, dass wir in diese Situation geraten waren. Was auch immer geschah, man passte sich entweder an die neue Situation an, oder man ging unter.
Wie ein Grashalm im Wind.
Aber dieses Sprichwort war sicher in vielen Teilen der Galaxis bekannt.
Sruel Allok Mok machte seine Sache in Anbetracht der Umstände auch sehr gut. Wir stürmten gerade wieder durch eine Gasse, als uns ein Transporter der Dorgonen entgegenschwebte. Geistesgegenwärtig retteten wir uns in einen Hauseingang. Ein öffentliches Gebäude, wie wir feststellten, und als solches als Versteck durchaus nicht zu gebrauchen. Aber Mok ließ sich von der Beschaffenheit des Gebäudes überhaupt nicht beeindrucken, er stürmte durch die Eingangshalle und erreichte einen Ausgang, der tiefer unter das Gebäude führte. Niemand hielt uns auf, sie schauten alle nur, lächelten, als sie den Somer erkannten und ignorierten uns. Als die Truppen des dorgonischen Kaisers in das Gebäude stürmten, hatten sie uns bereits vergessen. Ihre Gesichter hatten sich verschlossen. Sie schauten den Eindringlingen abweisend entgegen, die sich ihnen sofort widmeten.
Offensichtlich waren sie nicht auf der Suche nach uns. Das Letzte, was wir mitbekamen, waren die Schreie der Wesen in der Halle. Offensichtlich wurden wieder Exempel statuiert. Und wir konnten nichts tun.
Mok presste seinen Schnabel fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Er konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Ein Zugang in den Untergrund war jedenfalls genau das, was wir brauchten. Nicht mehr an der Oberfläche, konnte es uns erheblich besser gelingen, unseren Häschern zu entkommen.
Torrinos sicherte den Rückzug, während der Panisha vorne ging und sich neben dem Somer hielt. Ich selbst war in der Mitte, zwischen den beiden, bereit, auf alles zu reagieren. Was es auch sein mochte. Ich würde zur Stelle sein, um die größere Bedrohung abzuwehren.
Aber nichts hielt uns auf.
Bis es uns gelang, unter der Stadt zu verschwinden. Und in einem der elendigsten Viertel der Stadt Dom unterzutauchen.
Dem Barranko, aus dem Sruel Allok Mok einst gekommen war.
*
Vesus blickte sich nachdenklich um, wie er es schon so oft getan hatte. Er hatte das Gefühl, alt zu werden, als er in all die jungen Gesichter blickte, die in der Zentrale standen, an ihren Arbeitsplätzen, eine konzentrierte Atmosphäre der Ruhe erzeugend, die er so sehr schätzte. Immer neue Kreuzzüge hatten ihn zermürbt, auf der anderen Seite aber auch stärker gemacht. Im Augenblick konnte er kaum sagen, was schwerer wog. Aber er war müde und er war nicht mehr bereit, den Machthabern als Erfüllungsgehilfe zu dienen.
Schon lange hatte er nicht mehr das Gefühl, das Schlimmste verhindern zu können, wenn er nur an den Einsätzen an vorderster Front teilnahm. Dies mochte auch an seiner eigenen Einstellung als Krieger liegen, die ihm nur die Möglichkeit verlieht, entweder ganz, oder gar nicht, aktiv zu werden. Als Oberkommandierender einer gewaltigen Streitmacht hatte man aber genau genommen überhaupt keine Wahl. Man konnte nur die Kontrolle behalten, wenn man entsprechend rücksichtslos war. Und Vesus konnte das sehr wohl, auch wenn er es nicht mehr wollte.
Die Macht der Gewohnheit, dachte er, während er die Schwärze auf den Schirmen beobachtete. Bei dem Orientierungsstopp hatten sie die Signaturen eines Schiffes geortet, eines kleinen nur, und der Eindruck war auch ziemlich verwischt gewesen. Aber die Besatzung war die Elite seines Volkes, und wenn die eine Signatur erkannt zu haben glaubten, war es durchaus wahrscheinlich, dass eine solche auch da war. Er hatte also eines der Schiffe ausgesandt, um nachzuprüfen, was sie geortet hatten. Es war aber ohne Erfolg zurückgekehrt. Was Vesus durchaus begrüßte, denn insgeheim fürchtete er, auf Schiffe der Widerständler zu treffen. Wie in Dorgon, so war er auch in dieser fernen Galaxis eher auf der Seite der Rebellen, denn er war mit der derzeitigen Führung nicht einverstanden. Schon gar nicht mit einem dekadenten Verrückten wie Elgalar es war. Er war froh, nicht mehr in der Nähe des Statthalters sein zu müssen, der sich für einen Kaiser hielt und gleichzeitig die pervertierte Schwester des eigentlichen Kaisers spielte.
Wenn schon sonst gar nichts, so war dies doch ein unschätzbarer Vorteil an dem neuen Kommando, das er erhalten hatte. Die Galaxis Trovenoor war das Ziel und dieser Aufenthalt nur der erste Zwischenstopp auf dem Weg dorthin. Sage und schreibe dreihunderttausend Adlerschiffe standen unter seinem Kommando. So viele, wie bei der Invasion von Siom Som. Und wenn sich die Nachrichten bereits bis in die Nachbargalaxie verbreitet hatten, dann würde er dort sicher leichtes Spiel haben, denn wenn die Einwohner Trovenoors wussten, was sie erwartete, dann würden sie den Argumenten der Dorgonen sicher sehr aufgeschlossen gegenüberstehen.
Und dreihunderttausend Adlerschiffe konnte man als sehr gute Argumente betrachten.
*
Eigentlich war es kaum zu glauben, dass sie immer noch erfolgreich waren. Aber so war es. Schon seit Wochen übten sie die Anschläge auf die Truppen Dorgons aus und hatten schon einige Erfolge erzielt, Material erbeutet, Truppenstützpunkte vernichtet. Sicher waren Wesen gestorben, aber dank ihrer guten Ausbildung hielten sich die Verluste in Grenzen.
Sam Tyler hatte in seinem Leben schon eine ganze Reihe von Soldaten ausgebildet. Immer, wenn er vor den Rekruten stand, hasste er seinen Job. Aber in jedem Augenblick war er sich auch darüber im klaren, dass er das Richtige tat. Bedrohungen waren keine Einbildung, sondern tägliche Realität. Sich nicht darauf vorzubereiten, kam einem Selbstmord gleich. Und so übte er mit seinen Rekruten all die Dinge, die ihn zu einem erfolgreichen Soldaten gemacht hatten. Gleichzeitig war er aber nicht stolz auf das, was sie taten. Und er war sich über jeden einzelnen Verlust bewusst.
In Siom Som war es eigentlich noch schlimmer, denn es waren keine Soldaten, die er ausbildete, sondern Rebellen. Eine Art Untergrundkämpfer, die er in jedem anderen Fall als illegale Einheiten empfunden hätte. Im Falle des Angriffs der Dorgonen auf Siom Som, war die Sache aber eine gänzlich andere. Die Angreifer waren im Unrecht, die derzeitigen Machthaber nicht die rechtmäßigen Eigentümer dieser Galaxis. Viele Völker standen unter dem Einfluss der Soldaten aus Dorgon und sie hatten keine Wahl gehabt. Tyler, dessen Gerechtigkeitsgefühl gegen ein solches Vorgehen rebellierte, machte das, was er glaubte, tun zu müssen.
Außerdem war er mit der Führung von Untergrundkämpfern bestens vertraut. Auch er selbst war ein Söldner gewesen, bevor er in die Reihen der USO eingetreten war. Trotzdem hegte er keine große Sympathie für dieses Völkchen. Dennoch bildete er diese Gruppen aus, weil er wusste, dass es das Richtige war. Sie waren nicht unbedingt Söldner, eher Freiheitskämpfer.
Und so würde er mit den Verlusten leben müssen.
Er stand auf der Brücke des Schiffes und beobachtete die Bildschirme, die ihm zeigten, was sich auf der Oberfläche dieser Welt abspielte. Eine Einheit unter dem Oberkommando von Sandal Tolk hatte sich auf den Planeten begeben und machte sich auf den Weg zum Stützpunkt der Dorgonen auf dieser Welt, deren Namen Tyler bereits wieder vergessen hatte. Es waren schon viele Welten gewesen, die er in den letzten Wochen gesehen und verwüstet hatte. Und es war ihm mittlerweile gleichgültig. Einzig wichtig war noch, wohin es Sruel Allok Mok und Torrinos verschlagen hatte. Beide waren wichtig für sie, der letzte Informationsstand, den er hatte, war der, dass sie aus einer Schule der Upanishad entführt worden waren. Wohin, wusste niemand. Aber als Täter kamen nur die Dorgonen in Frage.
Es war nur erstaunlich, dass genau die Dorgonen, die eigentlich im Verdacht standen, die Auslieferung des Rebellen Sruel Allok Mok forderten. Neben der Einstellung aller Angriffe auf Leben und Eigentum des dorgonischen Reiches. Tyler und die anderen, die nun anstelle des Somers die Fäden in der Hand hielten, hatten sich aber gegen die Aufgabe entschieden. Aufgeben, das wäre gleichbedeutend damit, die Galaxis vollends in die Hand des Feindes fallen zu lassen und das war nun wirklich nicht das, was sie wollten. Und vor allem nicht das, was Sruel Allok Mok gewollt hätte. Und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Auch wenn das die Einwohner von Siom Som das Leben kostete.
Der Statthalter des dorgonischen Kaisers hatte aber nicht gezögert, zu reagieren. Er begann damit, die Zivilbevölkerung als Geisel zu nehmen und allein dafür hätte ihm Tyler am liebsten den Hals umgedreht. Oder noch schlimmeres.
Stattdessen hielten sie sich an den anderen Welten schadlos, die nicht so stark von den Dorgonen bewacht wurden. Und hatten auf diese Weise schon einige Welten von den Machthabern gesäubert, die nicht ersetzt wurden, weil den Dorgonen einfach noch das Personal für eine so große Sterneninsel fehlte.
Wobei es erste Überläufer schon gegeben hatte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Dorgon fest im Sattel sitzen würde.
Was sie in dieser Situation allerdings in Trovenoor wollten, das fragte sich Tyler schon. Erste Gerüchte hatte es bereits vor einer Woche gegeben, aber mittlerweile war es wohlbekannt, dass die Streitmacht der Dorgonen in die Nachbargalaxie eingefallen war. Dort hatten sie schnell erste Erfolge erzielt und es sah auch ganz so aus, als wäre der Feldzug schon fast wieder zu Ende. Die Einwohner Trovenoors jedenfalls leisteten kaum noch Widerstand, weil sie die hohen Verluste, wie sie aus Siom Som bekannt waren, eigentlich vermeiden wollten. Die letzten Widerstandsnester würden die Truppen Dorgons sicher bald ausgeräuchert haben und dann waren sie bereits im Besitz zweier Galaxien. Der Begriff »Blitzkrieg« bekam so eine gänzlich neue Bedeutung. Trotzdem blieb das Problem, dass Dorgon dann zwei Galaxien verwalten musste.
Tyler warf einen Seitenblick auf die hektischen Bilder, die auf den Monitoren flimmerten. Sie zeigten die Aufnahmen, die von den Helmkameras der Soldaten aufgezeichnet wurden und sie waren nicht sonderlich beeindruckend. Alles verlief nach Plan, wie es schien. Tyler konnte sich also weiterhin seinen Betrachtungen widmen.
Besonders schlimm war, dass die Machthaber selbst keine Rücksicht auf die Wesen nahmen, die sie unterworfen hatten. Sie hatten damit begonnen, gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Und noch viel schlimmer, sie waren dabei, ihnen ein Ultimatum zu stellen. Wenn sie nicht die Angriffe auf die Stützpunkte Dorgons einstellen würden, dann würde das Konsequenzen haben, hatten sie gedroht. Nur welche das sein würden, hatten sie noch nicht verkündet. Aber es war offensichtlich, dass das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, das immer mehr Opfer forderte, durchaus damit zu tun hatte.
Wenn sie nur an Sruel Allok Mok herankommen würden, dann wäre wenigstens wieder die Symbolfigur des Widerstandes an ihrer Seite. So lange mussten sie das Beste daraus machen.
Und das taten sie auch, wie ein Blick auf die Bildschirme zeigte. Solange die Rebellen selbst nicht wussten, dass ihr Anführer augenblicklich nicht verfügbar war, hatten sie alle Chancen.
Aber wie lange das noch der Fall sein würde, war höchst ungewiss.
Das Barranko der Verlorenen, nannte der Somer diesen Teil der Hauptstadt. Unterirdisch gelegen, war die Umgebung in ein beständiges diffuses Dämmerlicht gehüllt, in dem andere Lebewesen nur schwer auszumachen waren. Andererseits waren aber so viele von ihnen in den Straßen und Gassen oder besser Gängen dieser unterirdischen Welt, dass es höchst schwierig war, die anderen nicht zu sehen.
Trotzdem fanden sie keine Beachtung in der brodelnden Menschenmenge, die ihnen den Weg versperrte. Hier unten hätten sogar die Soldaten des dorgonischen Reiches ihre Schwierigkeiten. Bisher hatten sie sich auch noch nicht in diesen Teil der Welt getraut.
Immerhin konnten sie auf diese Weise unter der Stadt entlang in Richtung des Regierungsviertels marschieren, denn nur von dort aus, so hoffte zumindest Sruel Allok Mok, würden sie auf eine Möglichkeit treffen, diese Welt zu verlassen. Die meisten Transmitter waren streng bewacht und wenn sie einen finden wollten, der unbewacht war, dann würde der sich am ehesten in einem Bereich befinden, der von Haus aus bereits gut gesichert war. Was natürlich auf den Palast zutraf.
Aber Sruel Allok Mok war ja schon lange auf dieser Welt zu Hause und kannte den größten Teil der Hauptstadt. Insofern hofften wir, einen Weg in den Palast zu finden. Ganz so einfach wie in Dom würde es wohl nicht werden. Aber Sruel Allok Mok machte uns Hoffnung, auch wenn Torrinos da wohl eher skeptisch war.
Noch verhielten wir uns alle diszipliniert, was angesichts unserer Ausbildung auch kaum verwunderlich war. Der Panisha verzog selten eine Miene und gab auch keinen Kommentar dazu. Auch Torrinos beriet sich nur sehr einsilbig mit dem Somer. Und Sruel Allok Mok hatte andere Sorgen, wie man an seinen Augen ablesen konnte. So blieb mir selbst auch kaum etwas anderes, als zu schweigen und zu beobachten. In der Gruppe blieben wir unbelästigt. Glücklicherweise schien niemand genauer auf uns zu achten, sonst hätte der eine oder andere sicher bereits geahnt, wer sich dort unten befand. Sruel Allok Mok zumindest war in diesem Teil der Galaxis kein unbekannter.
Es war trotzdem nicht auszuschließen, dass einer ihn bereits erkannt hatte. Trotz meiner Aufmerksamkeit, konnte ich nicht garantieren, dass einer der Anwesenden bereits unterwegs war, um die neuen Machthaber zu informieren. Gerade in einem Viertel, in dem die Verzweiflung zu Hause war, war nicht damit zu rechnen, nur auf Freunde zu treffen.
Auch dann nicht, wenn man davon ausging, dass Mok diesem Hexenkessel entstammte und womöglich sein prominentester Vertreter war, worauf die Einwohner sicher auch stolz waren.
War da nicht ein Schemen, das in einem der Seitengänge verschwand? Es war durchaus möglich, aber all die fliegenden Händler und feilschenden Kunden machten es schwierig, den Überblick zu behalten. Über der Szene lag, an allen Orten, an denen sie bisher vorbeigekommen waren, ein Brausen, das in den Ohren schmerzte. So viele Menschen machten eine Menge Krach. Es war schon verwunderlich, dass sie noch nicht getrennt worden waren. Und dass sie sich überhaupt noch miteinander verständigen konnten, gehörte ebenfalls zu den erstaunlichen Dingen.
Ich dachte dies alles, war aber trotzdem nicht unaufmerksam. Die Gedanken lebten auf einer Ebene, die von dem Erleben vollkommen getrennt werden konnte. Ich nahm alles wahr, was für uns wichtig sein konnte und blendete auf einer unbewussten Ebene alles aus, was nicht dazu gehören mochte. Ich musste mich dazu auf meinen Instinkt verlassen, der von dem eines Panisha Soradan Mog Aro weit entfernt war. Aber ich musste mit dem arbeiten, was ich nun einmal hatte.
Ich wusste schon längst nicht mehr, wo wir waren, hatte die Orientierung einigermaßen verloren. Zwar traute ich mir zu, auf demselben Weg wieder aus dem Labyrinth zu finden. Aber ich hatte nicht einmal ein Gefühl dafür, wo unter der Hauptstadt ich mich befand. Hoffentlich wusste der Somer, was er tat. Aber er machte ganz den Eindruck, nahm die Umgebung in sich auf und wirkte auf eine Weise entrückt, als wären seine Gedanken ganz woanders. Trotzdem wusste er offensichtlich, wohin er gehen musste, bewegte sich mit einer schlafwandlerischen Sicherheit durch die Gänge, die nur jemand aufweisen würde, der sich unter der Stadt sehr gut auskannte. Vermutlich bewegte sich sein Bewusstsein auf einer Metaebene, die ihm die eigene Jugend zurückbrachte und gleichzeitig die eigene Vergänglichkeit eindringlich klar machte. Unangemessene Gedanken in dieser Situation, aber nur allzu menschlich.
Schließlich erreichten wir einen Bereich, der sich in Nichts von den anderen Bereichen unterschied. Für mich zumindest, der Somer hingegen schien sehr genau zu wissen, wohin er sich zu wenden hatte, plötzlich verschwand er durch eine Öffnung, die einen Augenblick vorher noch nicht da gewesen war.
Wir folgten ihm schnell, Torrinos verschloss den Zugang wieder.
Und dann bewegten wir uns nach oben. Bis wir in einer kleinen Zentrale angekommen war, die sichtlich nur als Notbehelf angelegt worden war.
Dahin also hatte der Somer gewollt.
Er beugte sich über den Kommunikator und rief die Nachrichten der letzten Tage ab. Wir hatten nicht sehr viel mitbekommen von den Ereignissen in unserer Heimat. Das konnte durchaus schädlich sein, insofern konnte ich die Handlung des Somers sehr gut verstehen.
Und sein Instinkt erwies sich als durchaus richtig. Er stieß auf eine Nachricht, die der Stellvertreter des dorgonischen Kaisers an die Rebellen schickte. In dieser Nachricht kündigte er an, die anhaltenden Angriffe auf das Imperium auf das grausamste zu bestrafen. Sruel Allok Mok regte sich nicht, während der Panisha und Torrinos ihn schweigend musterte. Niemand sagte etwas. Bis der Somer seufzte und den Kopf senkte.
»Ich bin in einer Zwickmühle. Sie wollen mein Volk bestrafen für etwas, das ich veranlasst habe. Wäre ich nur im Rebellenstützpunkt, dann könnte ich das Schlimmste verhindern.«
Torrinos schüttelte den Kopf. »Du machst dir etwas vor. Wenn du dort wärst, könntest du auch nichts tun. Und du würdest keine andere Entscheidung treffen, denn es geht um die Galaxis.«
»Aber was nützt die Galaxis, wenn niemand mehr darin lebt?« fuhr der Somer auf. »Nein, es muss enden.«
Der Panisha räusperte sich. »Das kannst du nicht beeinflussen. Was auch immer du tust, wer sagt denn, dass die Dorgonen dann mit dem aufhören, was sie den Einwohnern dieser Galaxis antun? Der Widerstand wird dich als Symbolfigur verlieren. Und die Dorgonen haben so gut wie gewonnen. Ist das wirklich eine erstrebenswerte Alternative? Komm mit uns. Lass uns die Welt verlassen.«
Sruel Allok Mok senkte das Haupt und dachte nach. Nur wenige Augenblicke benötigte er, dann richtete er sich entschlossen auf. Er nickte den Freunden zu. »Ihr habt recht. Lasst uns verschwinden.«
Zur Zentrale gehörte auch ein Transmitter und der Somer aktivierte ihn, ohne länger zu zögern. Er programmierte ein Ziel ein, das nicht allzu weit entfernt lag, und trat entschlossen durch den Transmitter. Wir folgten ihm und erreichten innerhalb eines Sekundenbruchteils eine andere Welt.
Eine für mich unbekannte Welt, eine technische Welt, einen Raum, in dem mehrere Transmitter standen.
Ijarkor, der Mond des somerischen Heimatplaneten, war unser Ziel gewesen. Von hier aus mussten wir sehen, wie wir weiterkommen würden.
Aber es erwartete uns eine Überraschung, mit der wir nicht hatten rechnen können.
*
Wenig Widerstand hatte es gegeben, als die dreihunderttausend Schiffe der Dorgonen schließlich eine der Hauptwelten Trovenoors erreichten. Tamplikuu lag unter uns. Es interessierte ihn nicht einmal mehr, wer wirklich in diesem System lebte. Entscheidend war nur noch eines, nämlich die Kapitulation.
Ein Schiff löste sich von dieser Welt, das sich dem Flaggschiff der Dorgonen näherte. Vesus bestätigte mit einem Nicken, als er den fragenden Blick bemerkte, der ihm zugeworfen wurde. Das Schiff näherte sich und schleuste ein. Ein merkwürdiges Wesen erschien, dem Vesus keine besondere Beachtung schenkte. Genau genommen, sah er es nicht einmal an. Er hörte nur, wie das Wesen seine Kapitulation anbot und nahm die Worte mit einem befriedigten Nicken entgegen. Damit war ein weiteres System dieser Sterneninsel in ihrer Hand. Es ging überraschend reibungslos und wenn er bedachte, dass Tamplikuu eine der wichtigsten Welten in dieser Galaxis war, dann bedeutete das wohl, dass die Insel praktisch ihnen gehörte.
Es hatte während der letzten Tage einige Widerstandsnester gegeben, aber nichts sonderlich Aufregendes, nichts, das die gewaltige Streitmacht aus Dorgon wirklich gefordert hätte. Er hatte einige Gefangene verhören lassen, die berichteten, dass die Taten der Dorgonen in Trovenoor weitererzählt wurden, von Flüchtlingen, die aus der Nachbargalaxie kamen. Daher wusste man, mit wem man es zu tun hatte und wie gefährlich die Angreifer waren. Und das war auch der Grund, warum kaum jemand Widerstand leistete. Sie wollten Opfer vermeiden. Und das gelang ihnen auf diese Weise sehr wohl.
So leicht hatte er schon lange keine Welt mehr erobert, geschweige denn eine ganze Galaxis. In diesem Fall gelang ihm tatsächlich, was er sich jedes Mal vornahm, nämlich die Opfer so gering wie möglich zu halten. Einige wenige hatte es gegeben, wenige, verglichen mit den Milliarden und Milliarden von Wesen in einer solchen Galaxis. Er hatte den Untergang eines Volkes nicht verhindern können. Es war als Exempel von ihnen vernichtet worden und hatte so den anderen gezeigt, was passieren würde, wenn sie sich der Macht des dorgonischen Reiches entgegenzustellen wagten. Er war unter den Bomben explodiert, die er geworfen hatte, die Wesen dort hatten keine Chance gehabt. Und dieser letzte Akt der Gewalt hatte ein Übriges getan. Die Nachrichten aus Siom Som waren schon schlimm genug gewesen für die Einwohner von Trovenoor, da war es nur konsequent, dass sie sich ins unvermeidliche fügten und sich ergaben. Auch wenn sie damit letzten Endes unter die Kontrolle eines gnadenlosen Feindes kamen, so hatten sie doch zunächst verhindert, dass die ganze Galaxis in einen verlustreichen Krieg gestürzt wurde. Und wenn schon sonst auf wenig in der letzten Zeit, so konnte der Befehlshaber der Invasionsflotte auf diesen fast gewaltlosen Sieg ein klein wenig stolz sein.
Dorgon hatte gesiegt, eine weitere Galaxis konnte dem Reich angeschlossen werden. Nur noch wenige Tage, wenige Systeme, und er würde den Sieg vermelden können.
Einstweilen reichte es wohl, dem Statthalter des Kaisers einen Bericht zukommen zu lassen. Sicher würde Elgalar entzückt sein, wenn er von den Erfolgen erfuhr. Vesus ließ sich nichts anmerken, aber innerlich schüttelte er sich, wenn er nur an den Dorgonen dachte, der im Augenblick in Siom Som herrschte. Für einen Augenblick war er froh, auf der Seite der Sieger zu stehen. Aber dann schämte er sich dieser Gedanken. Auf diese Eroberung konnte er wahrlich nicht stolz sein, denn letzten Endes verriet dieser Statthalter alle Ideale, die ein Krieger wie er zwangsläufig haben musste. Er verhöhnte ihn damit und vermittelte ihm das Gefühl, ihn nicht zu respektieren. Was er vermutlich auch nicht tat.
Vesus musste das akzeptieren. Auch wenn es ihm nicht gefiel.
Er winkte, und der Bote, der immer noch neben ihm gekniet hatte, wie der Soldat erst jetzt bemerkte, erhob sich hastig. Er folgte dem zweiten Winken und verließ die Zentrale. Wenige Minuten später konnte Vesus den Flug des Schiffes verfolgen, das sich langsam zu seiner Heimat zurückbewegte. In dem wichtigen System ließ er eine Reihe von Schiffen zurück und machte sich dann auf den Weg, den ihm die strategische Planung vorschrieb.
*
»Das sind gute Neuigkeiten«, verkündete Elgalar, zur Abwechslung wohl gelaunt. Er grinste seinem Diener zu, der sich schüchtern halb hinter einer der Säulen versteckte und sich auf diese vertraute Geste hin einen Schritt weiter hervor traute. Allerdings zuckte er sofort wieder zusammen, als er Seppeltus erkannte, der sich mit festen Schritten näherte. Auch Elgalar wurde sofort aufmerksam und setzte sein verführerischstes Lächeln auf. Er klopfte auf das Polster direkt neben sich und legte seinen Arm um die starken Schultern des Mannes, der sich unbefangen neben die Schwester des Kaisers setzte.
»Trovenoor scheint schon fast gefallen«, bemerkte er. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass die Rebellen ihnen in der neu eroberten Galaxis Siom Som nichts als Ärger bereiteten. Es gelang ihm nicht. Wenn Elgalar darauf zurückkommen würde, dann würde es sicher unangenehm werden.
Aber der Statthalter dachte nicht daran. Er nickte dem Centrus an seiner Seite zu und streichelte sanft mit der linken über den Schenkel des Mannes, während die Rechte immer noch auf den Schultern ruhte. »Gute Nachrichten, zur Abwechslung mal.« Nur kurz verdunkelte ein Schatten sein markantes Gesicht, dann beugte er sich zu dem Centrus und küsste ihn auf die Wange. Die überraschende Zärtlichkeit verblüffte Seppeltus, aber er ließ es geschehen. Wenn die Kaiserin glücklich war, dann musste er das genießen. So oft war das in letzter Zeit nicht vorgekommen.
Und wirklich, Elgalar gab dem Diener einen Wink, der diesen sofort verschwinden ließ. Er hatte einen roten Kopf, wie der Centrus bemerkte. Der Schelm war doch nicht etwa eifersüchtig?
Seppeltus kam nicht dazu, weiter über den Diener nachzudenken. Nur kurz wehrte er die Zärtlichkeiten der Kaiserin ab, dann überließ er sich allem, was Elgalar wollte. Und der wollte eine ganze Menge.
Es wurde eine heiße Nacht für die beiden.
*
Umso erschreckender war der neue Morgen. Seppeltus fühlte sofort, dass sich die Stimmung der Kaiserin gewandelt hatte. Elgalar war aber auch so was von launisch. Er zog sich die Strümpfe nach oben und befestigte die Hüfthalter, dann ließ er das ungewöhnliche Kleidungsstück unter den weit geschnittenen Hosen, die eher wie ein Rock aussahen, verschwinden. Das schwierigste war das Make-up, dafür nahm sich seine Majestät immer besonders viel Zeit. Seppeltus beobachtete ihn nur kurz und fragte sich, warum er nicht schon längst permanentes Make-up hatte auftragen lassen. Aber vermutlich machte ihm die Schminkerei auch noch Spaß.
Trotzdem war die Kaiserin offensichtlich wütend. Es musste etwas vorgefallen sein, von dem der Centrus noch nichts wusste. Elgalar setzte zu einer Erklärung an. Centrus Seppeltus lauschte gespannt.
»Sie ärgern mich doch sehr, diese Rebellen. Ich habe gerade wieder drei Berichte von Stützpunkten erhalten, die Besuch erhalten haben. Dazu kamen drei Berichte von Adlerschiffen, die sich in Systemen umgesehen haben, aus denen wir keine Nachrichten mehr empfangen haben. Diese Welten sind seither ohne unseren Schutz. Sruel Allok Mok wird ein Ärgernis. Ich wünsche, dass er sich ergibt und freiwillig ausliefert, dazu sollen auch noch die Angriffe eingestellt werden. Andernfalls werde ich mich an der Bevölkerung dieser Galaxis vergreifen.
Sorge er dafür, dass sie es alle erfahren. Jede Stunde werde ich einhundert Wesen dieser Sterneninsel hinrichten lassen, wenn meine Bedingungen nicht erfüllt werden.«
»Ich werde Carilla informieren, meine Kaiserin.« Er richtete sich auf und bedeckte hastig seine Blöße. Aber der lüsterne Blick der Kaiserin verschwand sofort wieder, er konzentrierte sich doch lieber auf die anstehenden Probleme. Schleunigst verschwand der Centrus und informierte Carilla von den Plänen des Statthalters.
Umgehend wurden diese umgesetzt.
*
Gal'Arn saß bequem hinter seinem Schreibtisch, als er von Tyler über die Neuigkeiten informiert wurde. Die Bequemlichkeit hielt daraufhin nicht sehr lange an.
»Umbringen? Zivilisten? Jetzt ist er völlig übergeschnappt.« Er wandte sich von dem Tisch ab und drehte dem Terraner unhöflich den Rücken zu. Nachdenklich blickte er aus dem Fenster und nahm das Bild auf dem Vorplatz in sich auf. Rekruten bei der Ausbildung, erkannte er, ohne es wirklich zu registrieren. Rekruten, die streng genommen schon keine mehr waren, sonder aktive Soldaten im Einsatz. Er betrachtete sie lieber als solche, denn als Rebellen, das gab dem ganzen Unternehmen einen wesentlich legaleren Anstrich.
»Es war wohl zu erwarten, dass dieses perverse Wesen auf eine solche Idee kommen würde. Gegen ihn ist Commanus ziemlich umgänglich, würde ich sagen.«
»Ich muss mich übrigens entschuldigen.« Scheinbar zusammenhanglos machte Gal'Arn diese Bemerkung. Er neigte kurz den Kopf. »Es war richtig, unsere Freunde so hart auszubilden. Wir haben erfreulich geringe Verluste.« Dem Ritter der Tiefe entging nicht, wie sich die Züge des Terraners verhärteten. Langsam lernte er, die Gesichtszüge dieses Mannes zu lesen. Seine Kiefer pressten sich aufeinander und er ballte die Hände.
»Dieses Lob habe ich nicht verdient. Es sind immer noch viel zu viele, die nicht wieder nach Hause kommen«.
»Und es wird noch schlimmer kommen, wenn dieser Irre seine Ankündigung wahrmacht. Und wir wissen noch nicht einmal, wo sich Sruel Allok Mok überhaupt befindet. Oder Torrinos. Auch der Panisha und seine Schülerin sind nicht auffindbar. Keine Spur von ihnen. Vielleicht leben sie schon nicht mehr. Es ist zwar unglaublich, nur daran zu denken, aber wenn sie tot sind, wie sollen wir das Elgalar beweisen?«
»Gar nicht. Du sagst es doch selbst, wir haben keine Kenntnis über seinen derzeitigen Aufenthalt und damit können wir auch nicht wissen, ob er lebt oder tot ist. Und wir werden es auch nicht beweisen, denn die einzige vernünftige Antwort auf das Ultimatum dieses verrückten ist eine Fortsetzung der Angriffe.«
»Wie kommst du denn darauf? Das ist viel zu gefährlich für all die Menschen.«
»Es macht keinen Unterschied, denn wir sind nur ein willkommener Vorwand des Statthalters, um mit Säuberungsaktionen beginnen zu können. Du wirst es sehen, wenn wir aufgeben, dann werden trotzdem viele Wesen dieser Galaxis sterben. Willst du das wirklich?«
»Ich weiß nicht, was richtig ist. Aber dieser millionenfache Tod ist es ganz sicher nicht.« Er verstummte, als er die Ausweglosigkeit ihrer Situation erkannte. Schon oft hatte er in vergleichbaren Situationen gestanden, aber da war es zumeist um ihn selbst, allenfalls noch um seinen Orbiter oder seine Kampfgefährten gegangen. Diesmal jedoch war eine ganze Galaxis betroffen. Und der Ritter bezweifelte, ob seine Schultern breit genug waren, um diese Last wirklich tragen zu können.
Gar nicht zu reden davon, dass er dies vielleicht gar nicht wollte.
Wütend griff er nach seinem Schwert und wirbelte es mit einer eleganten Bewegung über seinen Kopf. Ohne abzusetzen, ließ er die Klinge wieder in die Scheide gleiten. Dies geschah so schnell, dass Tyler der Bewegung fast nicht mit den Augen folgen konnte. Verblüfft riss er die Augen auf, wich einen Schritt zurück.
»Ein fairer Zweikampf wäre besser, als dieser Unsinn.«
»Aber den kriegen wir nicht. Was also machen wir?«
Gute Frage, dachte der Elare. Sehr gute Frage, das. Was machen wir?
*
Waldron stellte sich diese Frage nicht. Er griff sich in den Schritt und kratzte sich voller Hingabe, dann rülpste er ungeniert. Shenia verkniff sich jegliche Bemerkung und beobachtete lieber die Ortung. Das Schiff hatte die Steuerung übernommen und näherte sich den äußeren Planeten des Systems der Somer. Es war kaum zu glauben, aber niemand schien das kleine Schiff zu bemerken. Sicher hatte auch dieses System eine lückenlose Raumüberwachung. Aber ganz offensichtlich waren die Dorgonen noch nicht so weit, dass die diese vollständig beherrschten. Was ihnen in dieser Situation sehr gelegen kam.
Oder sie hatten anderes zu tun. Die letzten Informationen, die sie erhalten hatten, kündeten von den neuerlich angekündigten Gräueltaten der Dorgonen, die die Bevölkerung als Geiseln genommen hatten. Auf den Schirmen konnten sie die Sendungen beobachten, die ausgestrahlt wurden und die von den Verbrechen – echten oder angeblichen – der Bevölkerung berichteten. Die Ankündigung, Wesen aus der Galaxis zu ermorden, war sicher aus politischem Kalkül heraus erfolgt. Sie konnten auf diese Weise elegant einige der Rädelsführer beseitigen, während sie gleichzeitig ein Druckmittel hatten. Nicht, dass sie das nötig hatten, aber vielleicht machte sich das ja einmal viel besser in den Geschichtsbüchern.
»Nicht in meinen jedenfalls«, knurrte der Goner. Shenia verstand kein Wort, sie fragte aber auch nicht nach.
»Da vorne ist der von Sruel Allok Mok in den Karten besonders hervorgehobene Planet, auf dem sich die Transmitterstation befindet. Von ihm aus können wir Ijarkor erreichen. Und dann sehen wir weiter.« Dragonar nickte und steuerte das kleine Schiff auf die Oberfläche dieser Welt. Die Angaben des Somers Sruel Allok Mok waren präzise. Genau dort, wo er es beschrieben hatte, fanden sie einen der Stützpunkte seines Volkes. Die neuen Machthaber waren noch nicht dazu gekommen, ihren neuen Besitz vollständig zu erkunden. Oder sie hatten keine Zeit, sich um diese unwichtigen Dinge zu kümmern.
Was der Goner doch sehr bezweifelte. Trotzdem schien sie niemand zu erwarten.
»Vielleicht ist es auch eine Falle.«
»Waldron Dragonar, langsam gehst du mir auf die Nerven mit deinen Andeutungen. Könntest du eventuell die Güte haben, mir mitzuteilen, was du meinst? Ich kann nämlich noch nicht Gedanken lesen.«
Dragonar grinste, während er sich zurücklehnte und die Hände im Nacken verschränkte. Er schüttelte nur den Kopf. »Vergiss es, ich habe nur laut gedacht.«
»Das war mir klar. Aber vielleicht könntest du mir ja erklären, was du zuvor leise gedacht hast?«
Dragonar machte ein überraschtes Gesicht. »Ehrlich gesagt, ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Was habe ich denn gesagt?«
Empört schnaubend wandte sich Shenia ab. Das Grinsen des Partners sah sie nicht mehr. »Du bist unmöglich«, grummelte sie. Dann lächelte sie leise vor sich hin. Man musste ihn mögen, auch wenn er ihr manchmal sehr auf die Nerven ging.
Die Oberfläche war erreicht. Sie verließen das Schiff, nachdem sie die Umgebung noch einmal genau gescannt hatten. Im Inneren der Station fanden sie die beschriebenen Transmitter und benutzten einen davon, um sich nach Ijarkor abstrahlen zu lassen.
Eine Überraschung erwartete sie dort.
*
Elgalar blickte auf die Schirme, die ihm den Haufen abgerissener Gestalten zeigten, die im Hof des Palastes standen. Sie trauten sich nicht, auch nur eine Bewegung zu machen. Offensichtlich wollte keiner der Erste sein und deshalb bemühten sich alle darum, nicht aufzufallen. Es machte nichts, sie würden alle sterben.
Genau einhundert Wesen von Siom Som.
Und die weiteren Opfer waren ebenfalls schon in den übervollen Gefängnissen zu finden. Es war nicht überraschend, dass sie schon mehr Platz brauchten, als sie hatten. Und ein angenehmer Nebeneffekt seiner rigorosen Vorgehensweise war natürlich, dass die Gefängnisse geleert wurden.
Natürlich sorgte Truppen schon dafür, dass sie auch schnell wieder gefüllt wurden. Auch auf anderen Planeten gab es mehr als genug Opfer.
Aber das war nicht wichtig. Wie gebannt beobachtete er die Situation auf dem Bildschirm, tastete nach der Hand des Centrus, der neben ihm stand. »Gleich beginnt es«, flüsterte er. Dann nickte er Carilla zu, der die Anweisungen weiterleitete.
Auf ein Kommando hin knieten sich alle hin. Beugten die Häupter, ohne die Hände bewegen zu können. Energiefesseln hielten sie vor den Körpern der Gefangenen, zogen sie zusätzlich nach unten. Leises weinen glaubte er zu vernehmen, aber das konnte Einbildung sein. Schließlich war es nur eine Übertragung. Vielleicht war es auch nur ein Rauschen in der Leitung. Andererseits rauschten diese Systeme eigentlich kaum noch.
Wie auch immer, den Schuss konnten sie alle hören. Sehr deutlich. Den anschließenden Seufzer ebenfalls und das dumpfe Klatschen eines schweren Körpers auf dem Metallplastik des Hofes. Wie ein Sack Mehl, dachte Elgalar fasziniert. Er grinste, als er den Körper identifizierte und den Dorgonen hinter ihm, der langsam die Waffe sinken ließ und hinter den nächsten trat. Die Kameras nahmen jede Bewegung auf und speisten die Bilder in das Netz des Planeten, von dort aus strahlten sie in die ganze Galaxis und darüber hinaus. Die Macht des Imperiums sollten alle sehen. Vor allem die Rebellen.
Weitere Körper fielen, als am anderen Ende der Reihe ebenfalls ein Henker mit seiner grausamen Arbeit begann. Von beiden Seiten bewegten sich die Soldaten aufeinander zu, hinter sich eine Reihe von liegenden Gestalten zurücklassend, die sich nicht mehr bewegten. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten. Dorgonen waren schnell und gründlich. Keiner der Toten regte sich mehr. Und der Hinrichtungsplatz wurde schnell geräumt, um der nächsten Gruppe von genau einhundert Opfern Platz zu machen.
Gespenstisch war die Stille auf dem Platz und die Hand der Kaiserin löste sich langsam aus der des Centrus.
»Bring mir Opfer. Keine Gnade«, zischte der Dorgone. Seppeltus bemerkte das Funkeln in seinen Augen. Er war nicht verrückt, dieser Dorgone. Er war gefährlich, skrupellos und ohne Gnade. Und er hatte Blut gerochen.
Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück. »Ja, mein Fürst«, flüsterte er. Dann drehte er sich um und ging davon. Er blickte sich nicht mehr um.
*
»Was tut ihr denn hier?« Dragonar schaute verblüfft auf die Gruppe, die aus einem der anderen Transmitter gekommen war. Neben Sruel Allok Mok, identifizierte er mühelos Torrinos, den dorgonischen Elitesoldaten, der im Widerstand ebenfalls eine wichtige Rolle spielte. Die beiden anderen Wesen kannte er nicht, er identifizierte sie aber als Terranerin und als Pteru.
Schweigend schauten sich die beiden Gruppen an, dann gingen sie langsam aufeinander zu. »Ein Glück, dass wir euch gefunden haben. Es war nur eine Vermutung. Aber glücklicherweise war sie richtig.« Er wandte sich an den Pteru. »Du musst dieser Panisha sein. Es ist mir eine Ehre. Bei Gelegenheit, musst du mir mal erzählen, wie du das so machst. Vielleicht kann ich ja noch was von dir lernen.«
Der Panisha senkte das Haupt. »Es wäre mir eine Ehre, meine Fähigkeiten mit den deinen zu messen. Aber an einem anderen Ort. Im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun.«
»Das ist richtig«, mischte sich nun Shenia ein. »Die Dorgonen haben damit begonnen, Gefangene erschießen zu lassen. Sie werden so lange weitermachen, bis wir mit den Angriffen auf ihre Truppen aufhören. Und bis sich Sruel Allok Mok in ihre Hände begeben hat. Da sind ihre Bedingungen. Wir müssen zurück und beraten, was wir jetzt tun. Hoffen wir, dass der Rückweg schneller gehen wird, als der Hinweg. Was du ebenfalls noch nicht weißt ist, dass eine Flotte der Dorgonen nach Trovenoor geflogen ist. Wir sind ihnen vor einigen Tagen begegnet, jedenfalls den letzten Nachzüglern davon. Wir konnten uns gerade noch verstecken. Anscheinend haben sie einige Erfolge gefeiert.«
»Ich weiß bereits, was zu tun ist.« Sruel Allok Mok wandte sich ab. Er näherte sich einem der Transmitter und programmierte ihn.
»Was hast du vor?« Eine schwere Hand legte sich auf die Schulter des Vogelwesens. Er schüttelte sie ab, was Dragonar kaum interessierte. »Du solltest mit uns kommen, diese Galaxis braucht dich.«
»Solange Wesen aus dieser Galaxis sterben, gibt es für mich nur eine Lösung. Ich werde das Ultimatum erfüllen.«
Er ließ sich nicht mehr umstimmen. Als er die Koordinaten programmiert hatte, ließ er sich abstrahlen. Zurück auf die Heimatwelt seines Volkes. Direkt in den Palast hinein. Er lieferte sich aus. Einfach so.
*
»Einfach so?« Tyler brüllte fast, seine Stimme überschlug sich. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ist der denn wahnsinnig geworden?«
In seiner Wut konnte er sich kaum über die Rettung durch die Goner freuen. Dann wich die Wut einer betäubenden Enttäuschung, schließlich ungeheurer Sorge.
»Es wird sie nicht interessieren, das ist euch doch klar, oder? Wenn wir aufhören, wenn Sam in ihrer Gewalt ist, dann haben sie zwar erreicht, was sie wollten. Aber mit dem Morden werden sie weitermachen.«
»Das ist noch lange nicht gesagt.« Gal'Arn hielt ihn zurück. Jan Scorbit nickte beifällig. »Es kann immer noch alles gut gehen.«
»Dann verkünden wir, dass wir auf das Ultimatum eingehen?«
»Genau das.« Gal'Arn nickte bekräftigend, auch wenn Tyler dies nicht gefiel. »Bis auf weiteres wird es keine Angriffe mehr geben.«
Wütend rannte der Soldat davon. Er sagte nichts mehr, drehte sich nicht mehr nach den Freunden um.
»Sein Zorn wird verrauchen. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck.« Der Panisha nickte dem Elaren über viele Lichtjahre hinweg zu. »Trotzdem hat er recht, und das weißt du sehr genau. Sie werden damit fortfahren und vermutlich wird Sruel Allok Mok schon bald nicht mehr leben.«
»Es mag sein, dass du Recht hast. Aber in einem irrst du vermutlich. Sie werden ihn nicht töten, weil sie damit einen Märtyrer schaffen würden. Und das können sie wohl kaum riskieren.«
»Gib dich keinen Hoffnungen hin. Ich glaube nicht, dass Elgalar so weit denkt.«
»Sruel Allok Mok jedenfalls hat seine Entscheidung getroffen. Was auch immer er tut, er muss es vor sich selbst und vor seinen Landsleuten verantworten können.«
Sie nickten sich zu. Dann wandte sich Gal’Arn schweren Herzens an die Führung der Dorgonen. Er verkündete, dass die Anschläge auf die Truppen der Dorgonen ab sofort eingestellt würden. Außerdem kündigte er an, dass Sam auf dem Weg nach Som sei. Danach konnte er nichts mehr tun, außer die Hände in den Schoß legen und warten.
*
Sam trat aus dem Transmitter. Er fühlte keine Angst, obwohl ihm klar war, dass sein Leben nun von der Gnade des kaiserlichen Bruders abhing. Und ob Elgalar wirklich so großzügig sein würde, war nicht absehbar. Mit gemischten Gefühlen verließ er die stillgelegte Ersatzzentrale und betrat den Palast. Erst nach mehreren Minuten bemerkten ihn die dorgonischen Wachen. Er wehrte sich nicht, als sie ihn aufhielten, ließ sich willenlos abführen und vor den Statthalter des Kaisers bringen.
Elgalar grinste triumphierend, als er den Somer sah.
»Sruel Allok Mok.« Er lehnte sich zurück, lächelte sein strahlendes Lächeln und fixierte den Somer, der in der Miene des Dorgonen nicht zu lesen vermochte. »Lange bist du mir entkommen, aber jetzt bist du in meiner Gewalt. Wo sind deine Freunde?« Wie beiläufig klang seine Stimme.
»In Sicherheit.« Auch der Somer reagierte gelassen. Zu vieles schon hatte er in den letzten Jahren erleben müssen, um sich jetzt von einem dekadenten Dorgonen einschüchtern zu lassen. Aber der Humanoide ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Du wirst uns sicher alles erzählen, dafür werden wir schon sorgen. Einstweilen haben wir ein besonderes Schauspiel für dich.«
Er wies auf einen Wandbehang, der nun zur Seite fuhr. Der dahinter verborgene Bildschirm erhellte sich erst, als Elgalar eine entsprechende Geste machte, dann zeigte er Bilder, die Mok nicht sehen mochte. Er wandte sich ab, aber die Waffe, die sich in seinen Rücken bohrte und der gezischte Befehl des Soldaten, der ihm in Aussicht stellte, ihm die Augenlider zu entfernen, wenn er nicht sofort hinschauen würde, überzeugte ihn davon, dass es besser war, das Grauen zu ertragen.
Es waren viele verschiedene Wesen aus der Galaxis Siom Som, die da auf dem kalten Boden eines kahlen Hofes knieten. Und es waren zwei Henker mit Energiewaffen, die hinter den Knienden entlanggingen. Sie schossen und töten so nach und nach alle Wesen, die dort knieten, Wesen, denen Sruel Allok Mok nicht ins Gesicht schauen konnte, weil sie alle die Köpfe gesenkt hatten. Der Somer schämte sich, dass er nicht einmal das konnte.
»Du hast doch, was du wolltest. Lass meine Landsleute in Ruhe.«
Elgalar musterte ihn und setzte dabei ein Grinsen auf, das Mok sehr deutlich zeigte, was dieser Mann in Wahrheit dachte. Er dachte nicht daran, sein Volk in Ruhe zu lassen. Trotzdem hob er einen Arm und gab Carilla damit zu verstehen, dass die Hinrichtungen bis auf weiteres ausgesetzt werden würden. Dann nickte er dem Somer zu und bat ihn, sich zu ihm zu setzen.
»Du siehst nun hoffentlich ein, dass wir das Zepter in der Hand halten. Ihr habt keine Chance gegen die geballte Macht dieses Imperiums.«
Er wies erneut auf den Wandschirm, der diesmal gänzlich andere Bilder zeigte. Eine schier unübersehbare Anzahl von Adlerschiffen konnte Sruel Allok Mok erkennen, die alle auf einen unscheinbaren Planeten zuzufliegen schienen. Viele der Adlerschiffe trennten sich von der Gruppe und schienen in alle Richtungen auszuschwärmen.
»Sie kümmern sich um viele andere Welten in Trovenoor«, erläuterte der Dorgone. »Ja, mein Freund, was du siehst ist der Feldzug, den Vesus gerade in Trovenoor führt. Und er hat große Erfolge aufzuweisen. Die wichtigsten Sonnensysteme haben kapituliert und damit ist Dorgon praktisch die beherrschende Macht in diesem Teil des Virgo-Clusters. Weitere Galaxien werden folgen. Bald wird alles meinem göttlichen Bruder gehören.«
Mok warf ihm einen skeptischen Blick zu, aber der Dorgone meinte es offensichtlich ernst. Schaudernd wandte er sich ab. »Ihr seid wahnsinnig. Was glaubt ihr wohl, wie lange sich die anderen Völker in diesem Universum euer Treiben anschauen werden?«
»Sie haben jedenfalls nichts getan, um Siom Som und Trovenoor zu verhindern. Zwei Galaxien gehören schon zu Dorgon. Wer sollte uns wohl aufhalten?«
»Die schiere Größe des Universums möglicherweise? Eine Galaxis zu beherrschen, ist beinahe unmöglich. Mit zweien wird es noch ein wenig schwieriger. Allein der Virgo-Cluster ist so groß, dass es für ein Volk unmöglich sein wird, ihn zu beherrschen. Und dann ist da immer noch ESTARTU.«
»Die verschwunden ist, wie man so hört. Um die Superintelligenz mache ich mir derzeit keine Gedanken. Und alles Weitere werden wir sehen. Führt ihn ab.«
Mok wehrte sich nicht, als ihn die Soldaten aus dem Thronsaal zerrten. Er zeigte dem Kaiser aber mit seinem Blick die ganze Verachtung, die er fühlte. Elgalar ließ sich davon aber nicht beeindrucken.
*
Es dauerte genau einen Tag, dann begannen die Erschießungen erneut. Elgalar ließ die Wesen in Siom Som vor seiner Macht zittern und zeigte ihnen, wer der Herrscher in diesem Teil des Universums war. Aber er rechnete nicht mit den Siom Somern selbst, die ohne zu zögern sich auf die neue Situation einstellten. Die Aktionen des Statthalters, bescherten den Rebellen so viel Zulauf, dass sie die vielen neuen Rekruten fast nicht unterbringen konnten. Und Sam Tyler bekam erneut eine Aufgabe. Er kümmerte sich um die vielen Neuen, arbeitete weitere Ausbilder ein und organisierte neue Angriffe auf die Stützpunkte der Dorgonen.
»Du hattest Recht.« Gal’Arn beugte nur kurz den Kopf. Tyler erwiderte nichts darauf, denn eigentlich hätte er sich nichts mehr gewünscht, als in diesem besonderen Fall unrecht zu haben.
»Wo sind die Goner und die Geretteten?« Fragte er scheinbar zusammenhanglos.
»Noch im System der Sonne Som. Sie sind wieder in die Hauptstadt zurückgekehrt und versuchen, Sruel Allok Mok zu finden.«
Tyler lachte bitter auf. »Das dürfte nun ziemlich überflüssig sein. Es ist zu spät. Die Dorgonen werden sicher keinen Fehler in der Unterbringung des Somers gemacht haben. Wenn wir Sam jemals wieder sehen, würde mich das doch sehr wundern.«
»Wie immer siehst du viel zu schwarz.« Gal’Arn ließ sich vom Pessimismus des Terraners nicht abschrecken. »Wie auch immer, da die Dorgonen die Erschießungen wieder aufgenommen haben, sehe ich keinen Grund, den Widerstand weiterhin ruhen zu lassen. Bist du bereit, um wieder anzugreifen?«
»Das war ich die ganze Zeit.«
»Dann hast du jetzt Gelegenheit, dich wieder in die Schlacht zu stürzen. Sandal Tolk wird an deiner Seite stehen. Außerdem haben wir inzwischen so viele Rekruten, dass wir sicher bald mehrere Kommandotruppen gleichzeitig losschicken können. Wir werden den Dorgonen zeigen, dass sie in Siom Som nicht so sicher im Sattel sitzen, wie sie dachten. Genau genommen, war es sogar ein Vorteil, dass Mok in die Gefangenschaft der Dorgonen geriet. Das hat dem Widerstand erst den richtigen Schub gegeben.«
Es war zwar zynisch, aber genau so war es. Wenn Sruel Allok Mok nicht in die Gefangenschaft geraten wäre, dann hätten sie sicher nicht so viele Rebellen gewonnen. Nun aber konnten sie den Widerstand sogar ausbauen. Wenn nur die Goner und die beiden Upanishad-Kämpfer bei ihnen wären, dann hätten sie vier mehr, die Rekruten ausbilden könnten. Und einige wertvolle Kämpfer noch dazu, vor allem von dem Panisha konnten sie sich da wohl viel versprechen. Aber der hatte noch in Som zu tun, der Hauptstadt des Reiches.
*
Der Panisha verschmolz mit den Schatten und war nicht zu hören. Torrinos bewunderte den Panisha, der in all den Jahren der Askese offensichtlich niemals vergessen hatte, seinen Körper beständig zu trainieren. Die Körperbeherrschung des Wesens war beeindruckend und stand der von Torrinos in nichts nach. Sie war vielleicht sogar noch ein klein wenig besser.
Aber mit dem Anzug zusammen, konnte der Dorgone mit dem Pteru mithalten. Ich selbst hielt mich hinter den beiden, konzentrierte mich darauf, meinen Körper kampffähig zu halten und registrierte nur am Rande, wie sich die beiden Meister fortbewegten. Trotzdem merkte ich, dass mir noch etwas Ausbildung fehlte, wenn ich jemals so werden wollte, wie die beiden Kämpfer vor uns.
Wir folgten dem Schatten des Mannes, der durch die dunklen Straßen der Hauptstadt lief und offensichtlich nach Hause strebte. Centrus Seppeltus war zumindest auf Som der gefährlichste Dorgone, denn er koordinierte in Carillas und Elgalars Auftrag die Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Ihn auszuschalten, brachte also durchaus Vorteile.
Der Dorgone schien erschöpft, aber glücklich. Wir wussten, dass er von seiner Freundin Elgalar kam, mit dem er offensichtlich angenehme Stunden verbracht hatte. Entsprechend wenig aufmerksam war er auch, so dass wir, auch ohne die nötige Konzentration, dem Dorgonen sicher nicht aufgefallen wären. Er schien beschwingt und gut gelaunt und konnte nicht einmal ahnen, was ihn heute noch erwartete.
Als wir sein Haus erreichten, warteten wir, bis er es betreten hatte und folgten ihm dann, ohne zu zögern. Wir drangen einfach in das Haus ein, ohne einen Alarm auszulösen. Offensichtlich war sich der Centrus seiner Sache sehr sicher.
Und ganz offensichtlich hatte er im Bett seiner Freundin noch nicht alle seine Energien verbraucht, denn wir bemerkten gerade noch, wie er sich zusammen mit einem seiner Bediensteten in einen Raum zurückzog. Wir folgten ihm auch dorthin und überraschten den Centrus in der Badewanne, in der er sich gerade mit dem Bediensteten unterhielt.
Torrinos drang als Erster in den Raum ein und näherte sich dem Dorgonen, der wie erstarrt in der Wanne saß und den drei Eindringlingen entgegensah. Er machte keine Anstalten, seine Blöße zu bedecken, hatte offensichtlich erkannt, dass er ganz andere Probleme hatte, als sich Fremden nackt zu zeigen. Nur sein Diener verkroch sich hinter einem Vorhang und musterte uns ängstlich. Er hatte nichts zu befürchten. Unser Interesse galt einzig seinem Herrn, der mit seinen Handlungen unsere Aufmerksamkeit mehr als verdiente.
Umso mehr aber der Centrus, den Torrinos nun mit seinen Verbrechen konfrontierte.
In einer Zeit wie dieser kann auf diese Massenexekutionen nur eine Strafe erfolgen. Der Tod, stellte er gerade fest. Seppeltus erbleichte und griff nach einer Waffe, die halb unter seiner Hose hervorschaute. Aber er hatte nicht mit der Schnelligkeit seines Landsmannes gerechnet. Torrinos bewegte sich so schnell, dass sogar ich Probleme hatte, der Bewegung mit den Augen zu folgen. Bevor die Hand auch nur in der Nähe der Waffe war, hatte Torrinos sie bereits an sich genommen und war an seinen Platz zurückgekehrt. Verblüfft blickte der Centrus auf die Stelle, an der eben noch die Waffe gelegen hatte. Er konnte nicht begreifen, wohin sie verschwunden war und noch weniger, dass er sie in den Händen seines Landsmannes wieder entdeckte, der gelassen an seinem Platz stand, als hätte er sich gar nicht bewegt.
Seppeltus hatte keine Chance mehr. Er sank wimmernd vor den Eindringlingen auf den Boden und flehte um sein Leben. Aber Torrinos kannte keine Gnade. Er vollstreckte das Urteil, dann verließen wir den Palast des Centrus und machten uns wieder auf den Weg zum Mond Ijarkor, auf dem die beiden Goner immer noch warteten. Von dort aus sprangen wir auf einen Außenplaneten, auf dem die Goner ihr Schiff geparkt hatten. Ohne Sruel Allok Mok verließen wir das System und kehrten zu den Rebellen zurück.
Elgalar traf die Nachricht vom Tod seines Freundes mehr, als er sich selbst gegenüber eingestehen wollte. Er ordnete an, die Erschießungen aufrecht zu erhalten und ließ Sruel Allok Mok an den Gräueltaten teilhaben, indem er sie direkt in seine Zelle übertragen ließ. Er kannte keine Gnade mehr.
Davon bekamen die Flüchtenden aber nichts mit. Sie erreichten die Hauptwelt des Widerstandes, Stormgarde, und meldeten sich bei Gal’Arn zurück, der sie sofort in die Reihen seiner Widerstandskämpfer aufnahm und sie an den ersten Kampfhandlungen teilnehmen ließ. Insbesondere Torrinos und der Panisha übernahmen sofort die Verantwortung über eine Gruppe von Rekruten, die sie zu Kämpfern ausbildeten.
Der Widerstand ging weiter und ich wurde an der Seite meines Meisters nicht nur darin unterwiesen, andere Rekruten auszubilden, sondern lernte auch immer mehr von den Lehren der Upanishad. Meine Ausbildung ging weiter, genauso wie die der anderen Rekruten.
Für die Galaxis Siom Som bedeuteten diese Monate eine ständige Bedrohung. Ihres eigenen Lebens, ihrer eigenen Welt. Und aus diesem Grund unterstützten sie den Widerstand, mehr, als es den Dorgonen lieb sein konnte.
Gal’Arn kündigte die volle Offensive an. Wir konnten keine Rücksicht mehr nehmen.
ENDE
Es sieht nicht gut aus für die Rebellen in Siom Som. Im nächsten Roman geht es zurück nach Cartwheel. Joak Cascal und Neve Prometh werden gejagt, das Quarterium beruft die PAXUS-KONFERENZ ein: Leo Fegerl und Jens Hirseland schrieben Band 72.
Der vorliegende Roman bringt uns mit SIOM SOM an einen anderen Schauplatz der Serie und führt, zumindest wie ich hoffe, eine neue Hauptperson ein: Panisha Soradan Mog Aro.
Habe ich mich in der Wertung der letzten Romane in Superlativen bewegt, so gilt dies auch für den vorliegenden Roman: Ralf König führt in geradezu faszinierender Manier die beiden neuen Hauptpersonen ein, etwas was ich leider in den letzten Romanen des aktuellen Zyklus der Mutterserie vermisst habe. Ich habe hierzu nur eine Bitte: Mehr davon!
*
Und nun zur weiteren Entwicklung: Wir haben hier das klassische Guerilla - Szenario, einen militärisch weit überlegener Gegner, der die gesamte Infrastruktur der Galaxis SIOM SOM beherrscht und die Bevölkerung unterdrückt. Auf der anderen Seite die militärisch geschlagenen, ja vernichteten Völker SIOM SOMS, die jedoch ihren Traum von Freiheit und Unabhängigkeit nicht aufgeben und die Besatzungstruppen immer wieder durch nadelstichartige lokale Aktionen verunsichern. Hierzu kommt, dass die Völker SIOM SOMS nicht auf sich allein gestellt sind, sondern auf die Unterstützung der USO hoffen können. Und hier haben wir eine Parallele zu den alten, „klassischen” Zyklen der Mutterserie: Die USO, die aus dem Dunkel heraus den Gegner zermürbt. Und lohnende Angriffsziele gibt es genug, vor allem die langen Nachschubwege der Invasionstruppen aus DORGON. Und genau hier sind die Besatzungstruppen auch verwundbar.
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Dazu kommt noch als unbekannter Faktor der Panisha und seine Shada. Die Frage ist, über welche Fähigkeiten verfügt der Panish Panisha wirklich? Kann er zum Kristallisationspunkt des Widerstandes der Völker der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS werden?
Eine andere Handlungsoption wäre, dass der Panisha in CARTWHEEL die Reste der ehemaligen „Helfer Ijarkors“ sammelt und dort eine neue Widerstandgruppe gegen das Quarterium aufbaut. Hierbei ist es schade, dass Ijarkor Tod ist, ein interessantes Szenario wäre eine Auseinandersetzung zwischen dem „Ewigen Krieger“ und dem Panisha über den weiteren Weg des Upanishad. Aber vielleicht existiert das Bewusstsein Ijarkors noch irgendwie und greift in das Geschehen ein.
Außerdem gibt es ja noch Julian Tifflor, der sämtliche Stufen des Upanishad durchlaufen hat und sogar den Rang eines „Ewigen Kriegers“ erreicht hatte. Auch hier würden gemeinsame Aktionen einen interessanten Handlungshintergrund bieten.
Der vorliegende Roman führt die Handlung in den Galaxien der ehemaligen (?) Mächtigkeitsballung ESTARTUs fort, in der die Dorgonen von Sieg zu Sieg schreiten. Hierbei erhebt sich natürlich auch die Frage: Wo ist ESTARTU?
Da der Konflikt sich auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen den Superintelligenzen DORGON und MODROR abspielt, müsste eigentlich ESTARTU daran interessiert sein, ihre eigene Mächtigkeitsballung zu schützen und dies nicht mal wieder der Multigalaktischen Einsatzreserve aus Terranern überlassen. Oder erleben wir hier ein weiteres Beispiel wie eine SI buchstäblich über Leichen geht, um ihre Interessen zu wahren?
Wie dem auch sei, das zur Unterstützung der estartischen Rebellen und des dorgonischen Widerstandes gebildete USO-Korps, erzielt erste Erfolge. Nur scheint mir, dass der USO-Einsatzplanung ein gewaltiger Fehler unterlaufen ist. Wie sonst ist es erklärbar, dass unsere neue alte IVANHOE die kampfstärkste Einheit des USO-Verbandes darstellt. Soweit ich weiß verfügt die USO über weit kampfstärkere Schiffe, als sie die Schlachtkreuzer der ODIN-Klasse darstellen. Zumindest zum Schutz dieser Einheiten hätten noch einige kampfstarke Trägerschiffe der ENTDECKER-Klasse eingesetzt werden müssen. Oder hat man bei der Einsatzplanung die Kampfstärke der Dorgon-Flotten sträflich unterschätzt?
Nun ich denke, dass Monkey noch einige Überraschungen für die dorgonischen Invasoren in der Hinterhand hat und das in Siom Som operierende USO-Korps nur die Vorhut der eigentlichen USO-Eingreiftruppe darstellt.
Jürgen Freier
JF
Falcus
Legat des Kaisers Commanus, geboren 1251 NGZ auf Mesoph. Von durchschnittlicher Erscheinung, schlank, dunkles Haar und dunkle Augen, markantes Kinn. Falcus ist einst Angestellter einer Bank gewesen und unter seinem Befürworter Festatus in die Politik gegangen. Er ist zum zweitwichtigsten Mann im Protektorat Harrisch geworden.
Falcus ist unter der Uleman-Regentschaft Senator von Mesoph geworden. Nach Commanus Machtaufstieg im Jahre 1298 NGZ beginnt auch der verschlagene Politiker seinen rasanten Aufstieg. Es gelingt ihm, das Vertrauen von Commanus zu erringen. Fortan klettert Falcus die Karriereleiter als oberster Berater des Kaisers hoch.
Falcus ist im Jahre 1305 NGZ Legat des Kaisers, also Sprecher des Regenten. Er gehört neben Carilla, Vesus, Elgalar und Commanus selbst zu den mächtigsten Männern des dorgonischen Reiches.
Stormgarde
12103 Kilometer durchmessende Wüstenwelt mit nur wenig Vegetationen und Ozeanen in Siom Som. Stormgarde ist 17209 Lichtjahre von Som entfernt und hat früher als Militärbasis für die estartischen Völker gedient. Die Militärstation ist vor mehr als 600 Jahren errichtet worden. Nach der Stilllegung Stormgardes vor 30 Jahren haben sich die estartischen Rebellen und die USO seit Mitte 1305 NGZ dort eingesiedelt. Der Militärplanet eignet sich hervorragend als Versteck, zumal die Festung Stormgarde ein Hindernis für Angreifer, sowohl aus der Luft als auch über Land darstellt. Die Anlagen der Festung reichen bis tief ins Innere des Planeten. Dort befinden sich auch die Reaktoren für den Schutzschirm der Station. Drei große Geschütze dienen als Raumabwehr.
Panish Panisha
Aus der Kriegersprache Sothalk stammender Ehrentitel für Schüler der Upanishad-Lehre, die die zehn Schritte der Ausbildung mit Bravour bestanden haben. Panish Panisha bedeutet so viel wie „Lehrer der Lehrer“. Es gibt nur wenige Träger dieses Titels, der eine entsprechend hohe Stellung in der Kriegerhierarchie von ESTARTU garantiert.
Permanenter Konflikt
Die von den Beherrschern der Mächtigkeitsballung ESTARTU propagierte Lehre vom immerwährenden Kampf als Mittel zur Weiterentwicklung durch Bewährung. Mit dem Permanenten Konflikt einher geht der Kriegerkult, dessen Kriegerkodex die Beziehungen zwischen den einzelnen Völkern und die Hierarchie in den zwölf Galaxien der Mächtigkeitsballung regelt. Der Permanente Konflikt ist die Pervertierung bzw. Verfälschung der von der Superintelligenz ESTARTU begründeten und von Oogh at Tarkan propagierten Philosophie vom Dritten Weg zwischen Kosmokraten und den Mächten des Chaos. Als Herrscher über die zwölf Galaxien bestimmen die Ewigen Krieger, welches Volk sich bewahrt, um durch Kampf weiter zu reifen. Intelligenzen, die sich friedlich entwickeln, werden zum Kampf gezwungen, bis hin zur totalen Vernichtung „Uneinsichtiger“. Wer sich hervortut, darf in der Hierarchie Stufe um Stufe erklimmen, um im Tross des Kriegers zu dienen. Mit dem Kriegerkult einher geht die Errichtung der „kosmischen Wunder von ESTARTU”, die nach dem Weggang der Superintelligenz von den Pterus (bzw. den Nakken) geschaffen wurden. Ihr gemeinsamer Zweck ist (neben der Mystifizierung des Kriegerkults) die Zerstörung des Psionischen Netzes im Bereich der Mächtigkeitsballung, um zu verhindern, dass die Gorirns (bzw. Gänger des Netzes) weiter auf die Geschicke der Mächtigkeitsballung Einfluss nehmen. Weil die Gorims für die Erhaltung des Moralischen Kodes des Universums kämpfen und als der Konfliktpartner überhaupt angesehen werden, kämpfen die Pterus dagegen. Um den Permanenten Konflikt auch in andere Galaxien zu tragen, werden Sothos geklont und ausgeschickt, um den Boden für die Irrlehre an Ort und Stelle vorzubereiten. Der Kriegerkult findet in den Jahren 446/447 NGZ sein Ende, als Oogh at Tarkan wiedererweckt wird und seine zum reinen Machtinstrument gewordene Lehre widerruft.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2016
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 71, veröffentlicht am 06.07.2016 —
Titelillustration: Heiko Popp • Innenillustrationen: Klaus G. Schimanski
Lektorat: Jürgen Freier • Digitale Formate: Christina Hacker