Band 56
Osiris-Zyklus
Die Hauri überziehen die Insel mit Gewalt
Jens Hirseland & Ralf König
Was bisher geschah Wir schreiben Ende Dezember 1298 NGZ. In der Milchstraße ist Osiris, der Kemete erwacht und ein uraltes Geheimnis der terranischen Geschichte wurde gelüftet. In Dorgon musste Kaiser Uleman mit seinen Getreuen sich einem Angriff des Separatisten Carilla erwehren. Das Raumschiff NIMH ist während seiner Expedition durch die cartwheelsche Nachbargalaxie Seshonaar auf Abwege geraten. Cartwheel: Es ist gerade einmal zwei Wochen her, seit sich die Lingus-Krise gelegt hat. Der Gos’Shekur musste klein bei geben und die arkonidischen Truppen von Lingus abziehen. Doch damit kehrt noch keine Ruhe in Cartwheel ein. Die Völker der Pelewon und Moogh begehren auf und erlangen ihre Unabhängigkeit. Doch der Hauri Afu-At-Tarkan überzieht die Galaxis mit TERROR IN CARTWHEEL… |
Hauptpersonen Don Philippe de la Siniestro – Der Marquês muss heiraten. Afu-At-Tarkan – Der Terrorfürst der Hauri lehrt das Hexameron. Dorys, Ian und Charly Gheddy – Eine illustre Familie. Orlando, Stephanie, Peter und Brettany de la Siniestro – Die Kinder des Marquês Remus und Jan Scorbit, Rosan Orbanashol-Nordment und Gucky – Sie versuchen, einen Terroranschlag zu verhindern. Sam Tyler – Der in Ungnade Gefallene soll ermitteln.
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22. Dezember 1298 NGZ
Trotz der schrecklichen Terroranschläge, die Cartwheel in diesen Tagen in Atem hielten, genoss neben dem terranisch-christlichen Weihnachtsfest ein spezielles gesellschaftliches Ereignis größtes Interesse: Die bevorstehende Hochzeit des Marquês von Siniestro mit der etwas seltsam anmutenden Dorys Gheddy. Da sich die Bevölkerung ähnlich auf dieses mediale Großereignis freute, wie in früheren Zeiten auf die Hochzeit eines Prinzenpaares, hatte man sich entschieden, die Zeremonie nicht zu verschieben. Man wollte dem Volk nicht die Freude nehmen, hieß es. Die Sicherheitsmaßnahmen sollten jedoch drastisch verstärkt werden. Niemand konnte ausschließen, dass der allseits beliebte Marquês zum Ziel der Terroristen werden konnte.
Es gab jedoch nicht wenige, die sich über die Auswahl der Braut, Dorys Gheddy, wunderten. Sie schien so gar nicht zu dem kultivierten »Vater der Menschheit« zu passen. Und so manch einer fragte sich, was sie hatte, dass andere Frauen nicht besaßen. Doch dass die Liebe oft die seltsamsten Wege geht, ist keine neue Weisheit. So erwartete Siniestro mit Spannung die Hochzeit, die am 29. Dezember stattfinden sollte und sicherlich so manche Überraschung bringen würde. Das Brautpaar hatte davon abgesehen, über die Weihnachtstage – welche immerhin die wichtigsten Feiertage der Terraner und ihrer Kolonien waren – zu ehelichen, so dass dieses Fest mit Besinnlichkeit und in diesem Jahr mit Andacht an die Trauernden und Demut und Frohsinn über die Lebenden zelebriert werden sollte.
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
*
Der Marquês rieb sich die Augen. Gerade war er aus tiefem Schlaf erwacht. Als sich die Schleier der Müdigkeit verzogen hatten, erschrak er zutiefst. Vor ihm tauchte ein hässliches, faltiges Gesicht voller Runzeln auf und fauliger Atem schlug ihm entgegen.
»Guten Morgen, liebster Philippus. Ich bringe dir Frühstück ans Bett«, sagte Dorys Gheddy.
Die Frau winkte einen schwebenden Servo herbei, der ein Tablett mit allem, was zu einem Frühstück gehörte, servierte.
»Ich heiße Philippe«, knurrte der Marquês gereizt. Jedes Mal, wenn er diese Frau sah, verschlechterte sich seine Laune. Am liebsten hätte er die ganze Hochzeitsfarce abgesagt, doch der Druck von Dorys Söhnen, Charly und Ian, wurde immer größer.
Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als dem angesetzten Hochzeitstermin zuzustimmen. Nur noch eine Woche blieb dem alten Spanier, um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden. Doch auch sein treuer Berater Diabolo wusste keinen Ausweg. Auch von Cauthon Despair war keine Hilfe zu erwarten. Der Silberne Ritter hielt die Angelegenheit für eine Privatsache des Marquês. Außerdem hatten sich die Gheddys abgesichert. Sollte einem von ihnen etwas zustoßen, würde der Öffentlichkeit das Geheimnis des Marquês bekannt gemacht werden. Wie es aussah, blieb Don Philippe also nichts anderes übrig, als am 29. dieses Monats Dorys Gheddy zu ehelichen.
Welch ein seltsames Weihnachtsfest das de la Siniestro in zwei Tagen bevor stand. Es gab Grund zu feiern: Das erste Familienfest des Marquês seit Ewigkeiten und das allererste mit seinen geliebten Kindern. Er war nun unsterblich – ein weiterer Grund zum Jubel. Die Tatsachen, dass er seine Seele MODROR verkauft hatte, dieses Monster bald heiraten würde und die Anzahl der Todesopfer in Cartwheel durch die ganzen Aktionen recht hoch war, gaben wenig Anlass zu einer besinnlichen Feier.
»Für mich heißt du Philippus«, holte ihn Dorys' knarrende Stimme aus seinen Überlegungen.
»Und jetzt iss erst mal dein Frühstück, damit du bei Kräften bleibst.«
Der Marquês gab nach und verzehrte sein Frühstück, während sich Dorys einen Kaffee, einen Vurguzz und eine Zigarette genehmigte.
»Wir müssen über die Hochzeit sprechen«, sagte Don Philippe notgedrungen. »Schließlich ist es nur noch eine Woche. Ich bin der Meinung, dass wir aufgrund der aktuellen Lage nur eine schlichte Zeremonie abhalten sollten.«
Doch Dorys schüttelte heftig den Kopf und blies dem Marquês den Rauch ihrer stinkenden Zigarette ins Gesicht, woraufhin dieser husten musste.
»Ich halte das einfach für nicht angemessen«, entgegnete Don Philippe. »Schließlich sind über 2400 Wesen gestorben. Es wäre am besten, die Hochzeit zu verschieben.«
Dorys wurde wütend. »Du Schwein! Das könnte dir so passen! Wenn du das tust, erfahren alle die Wahrheit über deine Klon-Bastarde!«
»Nicht so laut, du ordinäre Schlampe! Wage es nie wieder, so über meine Kinder zu sprechen!«
»Ich will meine Traumhochzeit!«, rief Dorys mit hochrotem Gesicht und stampfte mit den Füßen auf.
Don Philippe war zu müde, um sich wieder zu streiten.
»Ja ja, schon gut! Einigen wir uns auf den Mittelweg. Eine einfache Trauungszeremonie, dafür findet der Gala-Empfang wie geplant statt«, schlug er vor.
Dorys beruhigte sich wieder. »Na gut, Schnuppelchen. Wie du meinst.«
»Nenn' mich nicht Schnuppelchen!«, empörte sich der alte Spanier.
Dorys ging nicht darauf ein, sondern legte sich neben dem Marquês aufs Bett und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen.
»Was soll das werden?«, fragte der Don verständnislos.
»Wir sind schließlich bald Mann und Frau. Ich will, dass du es mir besorgst«, erklärte Dorys ernsthaft.
Entsetzt sprang der Marquês aus seinem Bett. »Um Gottes willen! Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
Dorys entblößte ihre gelbbraunen Zähne zu einem Lächeln.
»Ich verstehe, nicht vor der Hochzeitsnacht. Du bist ein Kavalier.«
Die Frau verließ das Bett wieder, was den Marquês sehr erleichterte.
»Ich kümmere mich jetzt um die Hochzeitsvorbereitungen, Schnuppelchen. Ich freue mich schon auf unsere Hochzeitsnacht«, sagte Dorys anzüglich.
Oh Gott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, dachte der Marquês. Sollte dies die Strafe für sein Tun sein?
»Übrigens, musst du dich noch um einen Trauzeugen kümmern«, verkündete Dorys. »Meine Trauzeugin ist meine Schwester Ottilie. Sie bekommt Ausgang aus dem Heim und freut sich schon, dich wiederzusehen.«
Der Marquês wurde noch bleicher. Das ist die Höchststrafe!
Der Marquês ahnte nicht, dass ihm noch weitaus Schlimmeres drohte.
Nicht nur Don Philippe und seine holde Braut trafen Vorbereitungen für die Hochzeit. Afu-At-Tarkan und seine Terrororganisation bereiteten den nächsten Schlag vor. Der Hauri, der sich für einen Propheten des Hexameron hielt, empfing seinen Planer und Strategen Raufu-Er-Heron in seinem geheimen Hauptquartier, um die nächsten Schritte zu besprechen.
Wie ein König saß er auf seinem Thron und gebot seinem Vasallen zu sprechen: »Nun, Raufu, hast du schon einen Plan für unseren großen Schlag ersonnen?«
Raufu nickte bedächtig. »Ja, mein Gebieter. Die Schwierigkeit besteht darin, in das Schloss hinein zu gelangen. Nach unseren erfolgreichen Aktionen wurden die Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht. Ein Kommandoeinsatz, um in das Schloss zu kommen, dürfte also sinnlos sein. Auch ein anfliegendes Raumschiff würde abgeschossen werden, bevor es das Schloss bombardieren könnte.«
»Wie ich dich kenne, hast du schon einen Plan«, vermutete Afu.
»Ja, mein Gebieter. Ich wende die Radikallösung an. Wir zünden – in der Nähe des Schlosses – eine Arkonbombe.«
At-Tarkan war von dieser Idee begeistert. »Das ist ein wunderbarer Plan«, schwärmte er. »Somit wird es sogar ein Fanal für den Untergang des Universums werden!«
»Ja, alle wichtigen Regierungschefs werden dort sein. Wir werden sie mit einem Schlag auslöschen«, stimmte Raufu zu.
In Afu-At-Tarkans Augen trat ein fanatisches Leuchten. Er erhob sich aus seinem Thron. »Und damit Cartwheel in ein Chaos stürzen und dem Untergang näherbringen. Doch damit tun wir ein gutes Werk. Das Universum ist korrupt und degeneriert. Unaufhörlich zerstört es sich selbst. Wir beschleunigen diesen Prozess lediglich. Der Herr Heptamer wird mit uns zufrieden sein. Gelobet sei der Herr Heptamer!«
»Gelobet sei der Herr Heptamer!«, wiederholte Raufu-Er-Heron.
Als sich Afu wieder beruhigt hatte, setzte er sich wieder. Sein Denken wurde wieder nüchtern.
»Kommen wir nun zu den Einzelheiten. Woher bekommen wir eine Arkonbombe?«, fragte er seinen Strategen.
»Ich habe bereits eine bei unseren Kontaktleuten in der Milchstraße geordert«, berichtete Raufu.
»Bei den Galactic Guardians?«, riet Afu.
»Ja, Herr. Ich weiß, du verachtest diese Leute. Sie tun alles nur für Profit. Geld scheint für die Wesen der Milchstraße eine Ersatzreligion zu sein, doch gerade deshalb sind sie nützlich.«
»Du hast Recht. Eines Tages wird der Herr Heptamer auch sie strafen, doch bis dahin benutzen wir sie für unsere Zwecke. Wird die Bombe rechtzeitig eintreffen?«
»Das wird sie. Sie wird in mehreren Transporten geliefert, was sehr nützlich ist. Wir können sie dann besser nach Siniestro einschmuggeln und dort zusammensetzen. Die letzte Lieferung kommt morgen an.
Bis zur Hochzeit wird die Bombe einsatzbereit sein. Ich habe schon lange mit der Idee gespielt, solch eine Bombe einzusetzen, aber es fehlte bislang ein lohnendes Ziel.«
»Welches wir nun haben. Ich heiße deinen Plan gut. Es wird auch eine erfreuliche Überraschung für Cau Thon und seinen Herren MODROR sein. Mit einem Schlag werden auch viele ihrer Feinde vernichtet werden.
Ursprünglich hatte mir Cau Thon geraten, einen großen Schlag gegen die Welt der Somer zu führen, doch als ich die Ansprache des Marquês sah, kam mir die Idee, einen Coup gegen seine Vermählung zu führen. Die Wirkung wird wesentlich beeindruckender sein.«
»Du solltest Cau Thon erst nach der Aktion unterrichten. Wenn der Plan gelingen soll, müssen wir äußerste Geheimhaltung üben. Noch einmal darf sich kein feindlicher Agent in unsere Angelegenheiten mischen«, warnte Raufu den Terroristenführer.
»Ja, du hast Recht. Nichts und niemand soll uns aufhalten. Nun gehe und tue meinen Willen.«
Raufu verneigte sich und verließ den Raum. Afu At-Tarkan lehnte sich zufrieden in seinem Thron zurück. Alles lief bestens. Wenn die Aktion gelang, würde er sich zu der Tat bekennen und alle sollten wissen, dass die Macht des Herrn Heptamer, verkörpert durch ihn, grenzenlos war.
Das entstehende Machtvakuum gedachte er dann schnell auszufüllen. Ironischerweise hatte Cau Thon den Terrorfürsten protegiert, nun drohte ausgerechnet dieser die Söhne des Chaos mit einem Schlag auszulöschen.
Doch das ahnte Afu-At-Tarkan nicht, da Cau Thon ihn nicht über die Identität der Söhne aufgeklärt hatte. Aber selbst wenn er es gewusst hätte, wäre er nicht von seinem Plan abgerückt. Für ihn zählte nur der eigene Erfolg.
Auf Quinto, dem Hauptquartier der Neuen USO in Cartwheel, trafen sich unterdessen die Leiter von TLD und USO, Will Dean und Jan Scorbit, sowie dessen neue Stellvertreterin Rosan Orbanashol-Nordment, um die aktuelle Lage zu besprechen. Hauptgrund war die bevorstehende Hochzeit des Marquês. Angesichts der jüngsten Terrorakte war man wegen der bevorstehenden Festlichkeit zutiefst besorgt.
»Wir haben höchste Alarmstufe angeordnet«, erklärte Jan Scorbit. »Alle möglichen Angriffe auf das Schloss sind berücksichtigt worden. Mehrere Divisionen der Armee wurden nach Siniestro verlegt.«
»Was ist mit der Kirche? Und dem Weg von dort zum Schloss?«, fragte Rosan.
Sie hatte wenig Interesse, zum Palacio Real von Siniestro zurückzukehren. Wyll war dort gestorben. Noch immer wusste sie nicht, wer der Mörder war. Und es gefiel ihr nicht, dass an der Todesstätte ihres Wylls eine große Feier stattfand. Am liebsten hätte sie ein Mausoleum daraus gemacht, doch de la Siniestro wohnte mit seinen Kindern weiterhin dort und schien Wyll auch schon längst vergessen zu haben.
»Das ist ein wunder Punkt«, meinte Will Dean. »Der Marquês will, im altertümlichen Stil, mit einer Hochzeitskutsche von der Kirche zum Palacio Real de la Siniestro fahren, damit das Volk ihm und seiner Schreckschraube zujubeln kann. Das erfordert einen riesigen Aufwand an Sicherheitskräften.«
Jan Scorbit schüttelte unwillig den Kopf. »Und das nur, weil der Alte sich in den Kopf gesetzt hat, diese hässliche Schabracke zu heiraten. Dafür nun der ganze Aufwand und das enorme Risiko!«, regte er sich auf.
»Offiziell heißt es, man will ein Zeichen gegen den Terror setzen. Aber meiner Meinung nach steckt die Alte dahinter. Irgendetwas stimmt doch da nicht«, vermutete Will Dean.
Jan zuckte mit den Schultern. »Sein Privatleben geht uns nichts an. Unsere Aufgabe ist es, ihn und die Bevölkerung zu schützen. Wenn wir nur mehr Informationen über die Terroristen hätten!«
»Gibt es schon etwas neues über Akaho da Purok?«, erkundigte sich Rosan.
»Leider nicht. Er ist spurlos verschwunden«, verneinte Jan Scorbit. »Unsere Leute konnten bislang noch keinen Hinweis auf seinen Verbleib finden.«
»Scheint so, als müssten wir ihn abschreiben«, meinte Will Dean mit belegter Stimme.
Rosan bedauerte die Aussage von Dean. Sie klang so nüchtern. Als ob man einen Gegenstand abschreiben würde. Dabei ging es um das Leben eines Menschen. Doch so hart war das Agentenleben. Vielleicht der gefährlichste Job in Cartwheel.
»Also brauchen wir einen neuen Mann«, folgerte Rosan.
Jan stimmte seiner Stellvertreterin zu. »Ganz meiner Meinung.«
Rosan lächelte. Darin bestand also Einigkeit. Daher brachte sie gleich einen Vorschlag ein: »Ich hätte da schon den Richtigen für uns.«
»Und wen?«, fragte Will Dean interessiert.
»Es ist ein alter Bekannter von Ihnen – Sam Tyler.«
Davon war Jan Scorbit nicht sonderlich begeistert. »Dieser Psychopath? Der sitzt doch noch wegen des Totschlags an Saron.«
Rosan stemmte die Hände in die Hüfte und versuchte ihren Standpunkt zu untermauern. »In diesen verrückten Zeiten brauchen wir knallharte Kerle wie Sam Tyler. Er verfügt über ausgezeichnete Fähigkeiten, Erfahrung und Kaltblütigkeit. Er weiß, wie man gegen solche Organisationen vorgehen kann. Ich halte ihn für den richtigen Mann, wir sollten ihn reaktivieren.«
»Sie hat nicht ganz unrecht«, fand auch Will Dean. »Mit Tyler hätten die Terroristen einen knallharten Gegner.«
»Nein, ich bin anderer Ansicht. Tyler ist unberechenbar. Wir hatten schon genug Ärger mit ihm. Er ist brutal und rücksichtslos, er kann sich nicht unterordnen. Wir sollten ihn da lassen, wo er ist – auf der Gefängniswelt Davau, da ist er genau richtig.«
»Aber …«, machte Rosan noch einen Versuch, aber Scorbit unterbrach sie.
»Kein Aber. Sie müssen erst noch Erfahrung sammeln, bevor Sie so etwas beurteilen können«, erklärte er der verdutzten Rosan. »Außerdem habe ich bereits zwei neue Agenten für unsere Organisation. Es ist mir gelungen, sie dem terranischen Militär abzuwerben. Sie verfügen über Erfahrung und sind genauso knallhart wie kompetent.«
»Um wen handelt es sich?«, fragte Will Dean.
»Ich lasse sie rufen, sie warten draußen«, sagte Jan und schaltete die Sprechanlage ein.
»Henner Herker und Henner Wosslyn können jetzt reinkommen!«, ordnete der USO-Chef an.
Kurz darauf betraten Henner Herker und sein bester Freund, der grobschlächtige Henner Wosslyn den Konferenzraum. Rosan betrachtete die beiden mit großer Skepsis. Diese beiden Horrorgestalten sollten die neuen Spitzenagenten sein? Herker und Wosslyn salutierten zackig.
»Agent Herker und Agent Wosslyn melden sich zum Dienst.«
»Danke, meine Herren. Sie können sich rühren!«, befahl Scorbit.
Herker grinste und klopfte Jan auf die Schulter. Auch Wosslyn lachte stumpfsinnig.
»Schön dich wiederzusehen, altes Haus. Mit uns hast du einen guten Griff getan. Wir werden die besten Agenten sein, die du je hattest. Wo wir zulangen, wächst kein Gras mehr«, lobte sich Herker selbst.
»Willkommen bei der Neuen USO, meine Freunde«, entgegnete Scorbit.
Rosans Skepsis wurde immer größer. So war das also! Die beiden waren seine Freunde. Scorbit schien einen seltsamen Freundeskreis zu haben. Besonders Henner Herker war Rosan auf Anhieb unsympathisch. Alles an ihm, seine ganze Art, wirkte auf sie als Frau abstoßend. Jan Scorbit deutete auf Rosan.
»Will Dean kennt ihr ja schon. Darf ich euch meine neue Stellvertreterin Rosan Orbanashol-Nordment vorstellen?«
Herker musterte Rosan neugierig mit seinen Schweinsaugen. »Aber hallo! Was haben wir denn da für einen heißen Feger? Alle Achtung, Jan, echt geile Sekretärin hast du da. Kann die auch guten Kaffee kochen?«, fragte der Mann allen Ernstes.
Rosans höfliches Lächeln gefror umgehend. »Ich bin nicht seine Sekretärin, sondern seine Stellvertreterin und somit auch Ihre Vorgesetzte«, stellte sie klar.
Herker lächelte sie höhnisch an. Er schien sie nicht ernst zu nehmen. Er musterte sie mit seinen hervorstehenden Fischaugen von oben bis unten, wie ein Objekt, das sich lohnte, es zu besitzen.
Jan Scorbit räusperte sich und überspielte die peinliche Situation. »Da ich gleich zu einer Inspektion muss, schlage ich vor, wir treffen uns heute Abend im Casino, um die weiteren Schritte zu besprechen.«
Rosan war nicht gerade davon begeistert, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Die Zeit drängte und es mussten entsprechende Maßnahmen getroffen werden.
*
Am späten Abend begab sich Rosan ins Casino von Quinto, wo sich die Besatzungsmitglieder des Stützpunktes trafen, wenn sie ihren Dienst absolviert hatten. Nicht gerade der geeignete Ort für eine wichtige Besprechung, wie die Halbarkonidin fand, aber Jan Scorbit hatte es so gewünscht und er war der Chef. Außerdem war er mit Herker und Wosslyn befreundet und wollte den beiden anscheinend einen angenehmen Empfang bei der Neuen USO bereiten. Rosan bezweifelte weiterhin, dass die beiden Neuankömmlinge für die Mission gegen die Terroristen geeignet waren. Zu ihrem Leidwesen war Will Dean, der ihrem Vorschlag, Sam Tyler zu reaktivieren, durchaus positiv gegenüberstand, nach Siniestro abgereist, um dort mit den Schutzmaßnahmen für die Hochzeit zu beginnen. Sie hätte ihn als Fürsprecher gebrauchen können.
Rosan entdeckte die drei an einem Tisch sitzend. Jeder von ihnen hielt einen riesigen Bierkrug in den Händen. Die drei stießen sich mit den Krügen an.
»Prost! Prost!«, rief Henner Herker lauthals und die beiden anderen stimmten in den Chor ein.
Am liebsten wäre Rosan wieder gegangen, doch Jan Scorbit hatte sie schon entdeckt.
»Hallo, Rosan! Hier sind wir!«, rief er.
Der jungen Frau blieb nichts anderes übrig, als Platz zu nehmen. Sie fühlte Henner Herkers Blicke auf sich ruhen.
»Je später der Abend, desto schöner die Gäste«, begrüßte der blonde Mann die Halbarkonidin.
»Kommen Sie, trinken Sie mit uns!«, lud Scorbit sie ein.
»Danke, Sir, aber wie ich sehe, haben Sie drei schon für vier getrunken«, erwiderte Rosan und deutete auf mehrere leere Vurguzz-Gläser.
Scorbit lachte, Henner Wosslyn rülpste laut und Henner Herker stierte weiterhin auf Rosan, die Platz nahm. Der Chef der USO bestellte die nächste Runde Bier und Vurguzz, Rosan nahm nur ein Mineralwasser.
»Warum bisten du so in schwarz gekleidet? Satanistin oder so was?«, wollte Henner Herker wissen, dessen Stimme immer undeutlicher wurde.
»Ich bin in Trauer. Mein Mann ist vor kurzem gestorben. Könnten wir uns jetzt den dienstlichen Angelegenheiten zuwenden?«, fragte Rosan Orbanashol-Nordment distanziert.
Herker beeindruckte dies jedoch herzlich wenig. »Also bist du wieder frei, Baby«, stellte er taktlos fest.
Bevor Rosan eine scharfe Erwiderung abgeben konnte, brachte der Kellner die nächste Runde mit Getränken. Die drei Männer prosteten sich zu und kippten den Vurguzz in einem Atemzug herunter, wonach Henner Wosslyn wieder herzhaft rülpste. Ansonsten war der gedungen wirkende Mann ziemlich still.
Rosan wunderte sich über Jan Scorbit. Wie konnte der Leiter der Neuen USO sich in Zeiten wie diesen so gehen lassen? Und dann noch seine seltsame Freundschaft mit Leuten wie Henner Herker und Henner Wosslyn. Die Halbarkonidin kam jedoch nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, denn Herker setzte sich direkt neben sie. Sein nach Alkohol riechender Atem ließ Rosan übel werden.
»Wie wär's denn mit uns beiden, du geile Schnitte?«, fragte der Mann anzüglich.
»Mister Herker, ich halte es für das Beste, wenn Sie sich wieder auf Ihren Platz setzen. Dann bin ich geneigt, Ihr unverschämtes Benehmen zu vergessen«, wehrte Rosan ab.
Doch das reizte Herker nur noch mehr.
»Ich mag es, wenn die Weiber sich zieren. Das machte das Ganze nur noch reizvoller. Du spielst die Prüde, aber in Wirklichkeit willst du, dass dich mal ein Hengst so richtig durchnagelt. Gib's zu, ich gefalle dir!«
Rosan sah sich Hilfe suchend nach Scorbit um, doch dieser starrte nur noch mit glasigem Blick vor sich hin. Der letzte von den dreißig Vurguzz war wohl schlecht gewesen.
»Das denken Sie nur im Traum! Ich würde Sie nicht mal haben wollen, wenn Sie der letzte Mann in Cartwheel wären!«
»Aber ich finde dich geil und ich will dich haben!«, rief Henner und grabschte Rosan ans Gesäß.
Jetzt reichte es der jungen Frau. Sie versetzte Herker eine schallende Ohrfeige, sodass dieser auf einen Schlag wieder nüchtern war.
»Ich habe jetzt genug von Ihrem miesen Benehmen. Sie sind ein widerliches Wildschwein! Im Übrigen halte ich Sie als Agenten für völlig ungeeignet für die Neue USO und werde mich an höherer Stelle über Sie beschweren«, warf sie dem verdutzten Henner an den Kopf.
Dieser wurde rot vor Wut und wollte auf Rosan losgehen. Doch bevor er an Rosan herankam, griff sein Freund Wosslyn ein und hielt ihn mit einem Griff zurück.
»Mach keinen Quatsch, Mann!«, rief er Henner zu.
Einige Leute im Casino waren schon aufmerksam geworden und blickten neugierig zum Tisch herüber.
»Das machst du nicht noch mal mit mir, du Schlampe!«, schrie Herker wie von Sinnen. »Das wirst du mir büßen, du arrogantes Arkonidenmiststück! Eines Tages poppe ich dich dafür tot!«
Rosan hatte genug. Sie verließ eiligst das Casino.
*
Am nächsten Morgen suchte sie Jan Scorbit auf, um sich über Henner Herkers Benehmen zu beschweren. Scorbit machte jedoch einen leidenden, gestressten Eindruck und hatte wenig Verständnis für Rosans Beschwerden.
»Henner behauptet, dass Sie ihn provoziert hätten«, erklärte er.
Rosan schüttelte empört den Kopf. »Das ist ja wohl die Höhe!«, rief sie. »Dieser Kerl wäre doch am liebsten vor allen Leuten über mich hergefallen. Ich werde ein Disziplinarverfahren gegen ihn beantragen!«
Jan verzog schmerzhaft das Gesicht und fasste sich an die Schläfen.
»Bitte nicht so laut. Ich habe Kopfweh«, klagte er.
Rosan sah ihn verächtlich an. »Sie müssen doch gesehen haben, wie sich Herker benommen hat.«
»Nun, ich muss gestehen, dass ich mich nicht mehr an alles erinnern kann, was gestern Abend vorgefallen ist«, sagte Scorbit zerknirscht. »Am besten, wir vergessen den Vorfall. Henner ist im Grunde genommen ein guter Kerl. Er ist nicht so schlimm, wie Sie denken, nur ein wenig impulsiv. Hinter seiner rauen Schale, verbirgt sich ein guter Kern.«
Rosan bezweifelte dies, schwieg aber.
»Ich rede mal mit Henner. Ich bin sicher, er sieht sein schlechtes Benehmen ein und entschuldigt sich.«
»Wenn Sie meinen«, erwiderte Rosan. »Allerdings zweifle ich an seiner Qualifikation als Agent, ebenso an Wosslyns. Ein Agent muss unauffällig arbeiten und darf sich nicht wie ein wildes Tier benehmen. Ich beantrage daher noch einmal die Reaktivierung von Sam Tyler. Er ist der Mann, den wir brauchen.«
Scorbit schüttelte unwillig den Kopf. »Das ist nur Ihre Meinung. Ich habe Ihnen meine Meinung zu diesem Thema bereits gesagt. Herker und Wosslyn werden die Helfer Ijarkors unter die Lupe nehmen und bei denen nach Hinweisen suchen. Damit ist die Angelegenheit für mich erledigt. Und nun lassen Sie mich bitte allein.«
*
Nachdem Rosan das Büro ihres Vorgesetzten wütend verlassen hatte, fasste sie einen Entschluss. Sie war der festen Ansicht, dass die Terroristen die Hochzeitsfeier für einen Anschlag auf den Marquês nutzen würden. Sie war auch nach wie vor der Meinung, dass die Helfer Ijarkors nur als Sündenböcke dienen sollten und dass die wahren Drahtzieher der bisherigen Anschläge ganz woanders zu suchen waren. Da nur bis zur Hochzeit noch wenige Tage Zeit waren, beschloss die Halbarkonidin auf eigene Faust zu handeln. Sie würde zur Gefängniswelt Davau fliegen, Sam Tyler aufsuchen und ihn anheuern, sofern er damit überhaupt einverstanden war. Doch sie wollte alles versuchen und nicht zulassen, dass die Sicherheit der Hochzeitsgäste von einem Mann wie Henner Herker abhing.
*
Schon wenige Stunden später befand sich Rosan im Anflug auf Davau, dem Gefängnisplaneten Cartwheels. Es gab hier mehrere Gefängnisse, die alle in unwirtlichen Gebieten angelegt worden waren. Der Planet war von öden Wüsten und kargen Gebirgen durchzogen. Außerdem war der Planet unbewohnt, sodass man keine Chance hatte zu überleben, wenn ein Ausbruch überhaupt gelingen sollte.
Rosan landete auf dem schwer bewachten Raumhafen von Davau. Von dort ging es mit einem Gleiter weiter in das Gefängnis, in dem Sam Tyler nach der Verurteilung wegen Totschlags an Saron untergebracht worden war. Als stellvertretende Leiterin der Neuen USO war es kein Problem, beim Direktor Besuchsrecht zu erwirken.
Wenig später wurde sie mit Tyler in einem Besucherraum zusammengebracht. Tyler nahm erstaunt zur Kenntnis, dass der Aufseher, der ihn hierher gebracht hatte, den Raum verließ.
»Rosan Orbanashol-Nordment. Sie müssen einen guten Grund haben, um auf diese verlassene Welt zu kommen«, schloss er.
Rosan nickte. »Sozusagen, Tyler. Ich habe Ihre Akte gelesen. Angesichts Ihrer Verdienste hat man Sie zu hart verurteilt. Ich könnte dafür sorgen, dass Ihnen der Rest der Strafe erlassen wird.«
Tyler verzog keine Miene. »Und was muss ich dafür tun?«
Rosan erklärte ihm die Vorfälle der letzten Wochen in Cartwheel und ihre Befürchtung, dass die Hochzeit des Marquês zum Ziel der Terroristen werden konnte.
Tyler hörte ruhig zu. Als Rosan geendet hatte, meinte er: »Sie haben den richtigen Einfall gehabt, Lady. Es gibt Gerüchte, auch hier im Gefängnis, von einer neuen Terrororganisation, deren Anführer ein Hauri sein soll. Die Helfer Ijarkors stecken auf keinen Fall dahinter. Sie haben damals gegen dieses Schwein Saron gekämpft. Sie sind keine Terroristen.«
»Dieser Meinung bin ich auch. Ein Hauri, sagen Sie?«, fragte die USO-Leiterin. »Die eignen sich doch besonders gut für Selbstmordattentate?«
Tyler nickte grimmig. »Besonders wenn die an das Hexameron glauben. Sollten die sich zu einer Terrororganisation zusammengeschlossen haben, ist Schlimmes zu befürchten. Was soll ich tun, Lady?«
»Sie machen also mit?«, fragte Rosan.
»Ja, ich will hier endlich wieder raus.«
»Also gut. Versuchen Sie Kontakt mit Sympathisanten der Terroristen hier im Gefängnis aufzunehmen. Sollten Sie erfolgreich sein und uns wichtige Hinweise liefern können, wird Ihnen der Rest der Strafe erlassen. Ich habe einen Deal mit dem Justizministerium für solche Fälle.« Rosan holte ein kleines Gerät heraus. »Dies ist ein siganesischer Mikrosender. Er besitzt jedoch eine große Reichweite. Wenn Sie etwas Wichtiges zu melden haben, funken Sie mich damit an.«
Tyler steckte das kleine Komgerät ein. »Okay, Lady. Ich vertraue Ihnen«, sagte Tyler finster. »Ich vertraue nur wenigen Leuten.«
»Mir können Sie vertrauen«, versicherte Rosan.
»Und – Sie müssen mir vertrauen, Lady. Wenn wir hier raus gehen, muss ich eine überzeugende Vorstellung für die da draußen geben, verstehen Sie?«
Rosan schluckte. Irgendwie war Sam Tyler schon etwas seltsam. »Ich denke schon.«
Als sie den Raum verließen, kamen sie in eine Halle, wo mehrere Gefangene verschiedenster Völker arbeiten mussten oder sich die Beine vertraten. Als sie in der Mitte der Halle waren, packte Sam Tyler Rosan und würgte sie.
»Ich werde niemals mehr für euch arbeiten, du Miststück!«, schrie er dabei. »Cartwheel wird sowieso bald untergehen und ihr alle seid des Todes! Nur die, die reinen Glaubens sind, werden überleben!«
Seine Hände waren wie Schraubstöcke um Rosans Hals. Natürlich hatte man sofort die Aufmerksamkeit aller in der Halle. Der Aufseher, der Rosan und Tyler begleitet hatte, war überrascht von dem plötzlichen Gewaltausbruch seines Häftlings, da dieser sich bislang immer gut geführt hatte. Er versuchte, Tyler von Rosan los zu reißen, doch dieser versetzte ihm einen Handkantenschlag an den Hals, so dass der Aufseher zusammenbrach.
»Tod allen Ungläubigen! Tod und Untergang dem Marquês und seinen dekadenten Schweinehunden! Das Ende ist nahe!«, brüllte Tyler wie von Sinnen.
Einige andere Wärter eilten herbei und paralysierten den Tobenden. Tyler ließ ab von Rosan, die sichtlich nach Luft rang. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, Sam Tyler würde sie wirklich umbringen. Ein Wärter kümmerte sich um die junge Frau.
»Tut mir leid, Frau Orbanashol-Nordment, wir hätten nicht gedacht, dass er Sie angreift. Bis jetzt war Sam Tyler ein Musterhäftling. Keine Ahnung, was in ihn gefahren ist. Jetzt müssen wir ihn zu den schwereren Fällen verlegen. Schade.«
Rosan begriff, dass dies die Absicht von Tyler gewesen war. Als sie die Würgemale an ihrem Hals abtastete, fragte sie sich allerdings, ob Jan Scorbit nicht doch Recht hatte. Tyler war mehr als überzeugend gewesen.
Raufu-Er-Heron plante unterdessen die weiteren Schritte der Aktion. Der Hauri hatte jedoch ein Problem. Er besaß zwar die Arkonbombe, doch sie war in mehrere Teile zerlegt worden. Um sie wieder zusammen zu setzen und die nötigen Schaltungen vorzunehmen, benötigte er einen Spezialisten, dem er vertrauen konnte. Seine Organisation hatte zwar solch einen Mann, den haurischen Wissenschaftler Hankun-ber-Mallah, einen fanatischen Anhänger des Hexameron, doch ausgerechnet dieser Mann saß derzeit im Gefängnis von Davau. Raufu musste also Hankun-ber-Mallah zunächst von Davau befreien, bevor er seine Aktion beginnen konnte, denn ein anderer kam für diese Aufgabe nicht in Frage.
Doch der Stratege hatte längst Vorkehrungen für diesen Fall getroffen. Er hatte seine Leute auch auf Davau und zwar nicht nur unter den Häftlingen. Es gab immer wieder korrupte Menschen, die sich kaufen ließen. Raufu verachtete vor allem die Lemurer-Abkömmlinge, für die Geld der wichtigste Wert im Universum zu sein schien. Sicher, es gab auch Ausnahmen – Idealisten, die an höhere Werte, Religionen oder Philosophien glaubten, doch sie waren in der Minderzahl. Die meisten glaubten an gar nichts und schienen ihr Vertrauen stattdessen in das Geld zu setzen, welches ja auch seit Urzeiten eine stabile Konstante geblieben war, während viele Religionen oder Philosophien im Laufe der Zeit wieder verblasst waren.
Raufu verachtete die Materialisten. Für ihn gab es nur einen Glauben – das Hexameron, das letztendlich obsiegen würde. Der Untergang des Universums war die einzig wahre Konstante, auf die man sich verlassen konnte. Doch Raufu war nicht unglücklich, dass es so viele korrupte Wesen gab, denn sie konnten der Organisation sehr nützlich sein, außerdem trugen sie dazu bei, das Chaos und somit den Untergang zu beschleunigen. Der Stratege informierte seine Kontaktleute auf Davau, dass noch heute mit der Befreiung Hankun-ber-Mallahs begonnen werden musste.
*
Nach seinem »Überfall« auf Rosan Orbanashol-Nordment war Sam Tyler in den Sicherheitstrakt verlegt worden. Hier wurden mittelschwere Straftäter untergebracht. Da sich besonders viele Hauris dort befanden, war das Tyler nur Recht. Die Gefangenen konnten sich in dem Trakt frei bewegen, da er von einem Energiefeld abgeriegelt wurde. Dieses Feld zu überwinden war ohne Hilfe von außen unmöglich.
Es war der 24. Dezember. Weihnachten. Doch aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Extraterrestrier war es verboten, Weihnachten zu feiern. Gerade die Hauris hatten etwas gegen terranische Feiertage, die auf religiösen Ereignissen beruhten.
Tyler bekam eine Zelle zugewiesen, in der sich ein Dscherro und ein Hauri befanden. Die beiden musterten Tyler mit einer Mischung aus Staunen und Respekt. Sam war durchaus bekannt, seine Aktion gegen Saron hatte für viel Wirbel in den Medien gesorgt. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb man ihn trotz guter Führung noch nicht begnadigt hatte. Im Gefängnis respektierte und fürchtete man ihn wegen seiner kompromisslosen Art. Das war Tyler nur recht und konnte ihm bei seinem Auftrag nützlich sein. Er wollte unbedingt wieder frei sein und am liebsten hätte er wieder für die Neue USO oder den TLD gearbeitet.
Tyler hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und seinen Fehler eingesehen. Mitleid mit Saron hatte er allerdings nach wie vor nicht.
»Du bist Sam Tyler«, stellte der hagere Hauri fest.
»Hm«, machte Sam nur.
»Willkommen in unserer Pension«, lachte der Dscherro rau.
»Danke, sieht ja gemütlich aus«, entgegnete Tyler ironisch.
»Ich war vorhin Zeuge deiner … Aktion«, sagte der Hauri langsam.
Tyler zuckte mit den Schultern. »Die USO-Tussi wollte mich kaufen, aber mit denen bin fertig«, sagte er mit langsam lauter werdendem Tonfall. »Geld und materieller Besitz bedeuten mir nichts mehr. Ich glaube an die reinigende Kraft des Feuers, die das Universum eines nicht mehr allzu fernen Tages verschlingen wird.«
»Wir Hauris glauben an etwas Ähnliches. An die Macht des Herrn Heptamer.«
Der Dscherro grunzte verächtlich. »Wir Dscherro glauben nur an Krieg und Beute!«
Der Hauri verzog sein ausgemergeltes Gesicht. »Du musst meinem Freund verzeihen, er glaubt mehr an einfache, weltliche Dinge. Geistiges übersteigt seinen Horizont.«
Der Dscherro winkte ab und fläzte sich auf sein Bett, während der Hauri Tyler mit stechendem Blick in die Augen sah. Sam hielt seinem Blick stand.
»Du hast Saron getötet«, sagte der Hauri leidenschaftslos.
Tyler wurde unruhig. Wollte der Hauri sich an ihm dafür rächen? Immerhin hatte Saron mit den Hauris zusammengearbeitet.
»Und?«, fragte Sam kalt.
»Ich danke dir dafür, Sam Tyler. Saron hat Abd-e-Metul ermordet, einen meiner besten Freunde. Du hast uns die Arbeit abgenommen, ihn zu rächen. Für uns ist das, was du mit Saron gemacht hast, kein Verbrechen, sondern eine gute Tat. Ich danke dir für den Tod Sarons.«
Tyler war erleichtert, ließ sich aber nichts anmerken. Einen Freund Abd-e-Metuls zu treffen, der ihm sogar dankbar für den Tod Sarons war, vereinfachte die Lage beträchtlich.
Der Hauri streckte die Hand aus. »Als Dank für deine Tat biete ich dir meine Freundschaft an und die Möglichkeit, aus dem Gefängnis zu fliehen. Nach dem Angriff auf die Frau werden sie dich wohl kaum bald freilassen.«
»Wohl kaum. Aber wie willst du hier herauskommen, Freund?«, erkundigte sich Tyler. »Davau gilt als sicherstes Gefängnis Cartwheels.«
»Wir haben unsere Verbindungen. Ich und mein Dscherro-Freund gehören zu einer Organisation, die schon bald zu einem großen Machtfaktor in Cartwheel werden wird. Erst vor kurzem haben wir durch einige koordinierte Terroranschläge bewiesen, wie mächtig wir sind.
Jemand wie du, mit seinem Wissen über die USO und den TLD, könnte für uns sehr nützlich sein. Schließe dich uns an!«
Tyler nickte. Er hatte wohl in ein Wespennest gestochen und war auf der richtigen Spur. Jetzt hieß es, dran zu bleiben.
»Ich hab es satt, hier zu verschimmeln«, zischte er. »Außerdem will ich mich an den Terranern rächen, dass sie mich so schmählich behandelt haben, obwohl ich ihnen treu gedient habe. Das allmächtige Feuer soll sie verschlingen.«
Der Hauri entblößte seine Zähne zu einem bösartigen Lächeln. »Das wird es, mein Freund, das wird es. Schließt du dich uns an?«
Tyler ergriff die Hand des Hauri. »Ja«, sagte er nur.
»Gut, dann wirst du schon heute Abend frei sein. Doch ich warne dich: Wenn du uns verrätst, bist du des Todes.«
»Das Gleiche gilt für dich, wenn du mich bescheißt«, gab Tyler zurück.
Der Hauri stutzte einen Moment, dann brach er in Gelächter aus. »Du gefällst mir immer besser, Sam Tyler.«
»Und wie ist dein Name, Hauri?«, wollte Tyler wissen.
»Ich bin Hankun-ber-Mallah.«
*
Tyler stellte befriedigt fest, dass er sich auf der richtigen Spur befand. Er hatte enormes Glück gehabt. Die Tatsache, dass er an einen Freund Abd-e-Metuls geraten war, der ihm sogar zu seiner Tat gegen Saron beglückwünschte, war ihm entgegengekommen. Welche Ironie, ohne den Mord an Saron wäre Tyler bestimmt nicht so leicht in die Terrororganisation hinein gekommen. Außerdem versprach sich Hankun-ber-Mallah Vorteile davon, wenn er einen Ex-Agenten wie Sam Tyler auf seiner Seite hatte. Tyler wollte ihn in dem Glauben lassen.
Der Name Hankun-ber-Mallah war dem ehemaligen Agenten geläufig. Ber-Mallah war ein bedeutender haurischer Wissenschaftler, jedoch auch ein fanatischer Anhänger des Hexameron. Er hatte für Abd-e-Metul gearbeitet, sein Spezialgebiet war die Entwicklung von Bomben. Nach dem Tod von Abd-e-Metul war er verhaftet worden, als er eine Bombe legen wollte. Dass er nun für diese noch unbekannte Terrororganisation arbeitete, und dazu die Tatsache, dass er noch heute aus dem Gefängnis geholt werden sollte, ließ darauf schließen, dass ein Bombenanschlag auf die Hochzeitsfeier des Marquês geplant war. Rosan Orbanashol-Nordment hatte den richtigen Riecher gehabt. Die Helfer Ijarkors hatten nichts mit dem Terror zu tun. Während die Neue USO einer falschen Spur nachging, bereiteten die Hauris in Ruhe das Attentat vor.
Tyler musste unbedingt Kontakt zu Rosan Orbanashol-Nordment aufnehmen, doch noch war es zu früh, er brauchte noch mehr Beweise und daher musste er sich Hankun-ber-Mallah anschließen. Tyler war sich klar darüber, dass ihn das sein Leben kosten konnte, doch seit jener Nacht auf Lepso suchte er dieses Risiko geradezu.
*
Am Abend erschienen zwei Aufseher im Trakt. Die beiden Plophoser machten nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck. Einer der beiden wandte sich an Hankun-ber-Mallah.
»Es ist soweit. Der Transport steht bereit«, sagte er.
Der hagere Hauri erhob sich und deutete auf drei andere Hauri, zwei Dscherro und Tyler. »Diese Leute sind meine Begleiter.«
»Das ist einer mehr als ausgemacht«, maulte der Aufseher. »Das kostet extra.«
Hankun-ber-Mallah sah ihn durchdringend an. »Du wirst dafür belohnt werden.«
Der Aufseher konnte dem stechenden Blick des Hauri-Wissenschaftlers nicht standhalten und gab nach. »Okay, ist ja schon gut. Kommt schon. Das Schiff fliegt in einer Viertelstunde ab.«
Die beiden Aufseher geleiteten die sieben Häftlinge in einen abgelegenen Raum. Dort befanden sich mehrere Frachtcontainer. Der Aufseher deutete auf einen der Container.
»Der grüne da ist für euch. Beeilt euch!«, befahl er nervös.
Tyler erahnte den Fluchtplan. Die Häftlinge im Gefängnis verdienten sich einige Galax, indem sie kleinere Alltagsdinge herstellten, die dann auf den verschiedenen Planeten verkauft wurden. Jede Woche ging ein Transport mit Waren zu einem der Planeten ab. Mit dem heutigen Transport sollten die Gefangenen unauffällig herausgeschmuggelt werden.
Tyler war überrascht, dass sogar Aufseher in den Ausbruch verwickelt waren. Diese Terrorgruppe war ausgezeichnet organisiert. Die Häftlinge bestiegen den Container, der kurz darauf verschlossen wurde. Er war mit genug Sauerstoff versehen, um das Ziel, welches auch immer, zu erreichen.
»Wohin geht die Reise eigentlich?«, wollte Tyler von Hankun-ber-Mallah wissen.
»Jetzt kann ich es dir sagen: nach Siniestro«, antwortete der Hauri.
»Siniestro? Keine schlechte Idee, sich in der Provinz zu verstecken«, sinnierte Tyler in der Hoffnung, mehr zu erfahren.
Hankun-ber-Mallah tat ihm den Gefallen. »Wir fliegen nicht dorthin, um uns zu verstecken oder gar auszuruhen«, sagte er höhnisch. »Wir haben zu arbeiten. Es wird allerdings nur ein sehr kurzer Aufenthalt sein.«
Dabei lachten die beiden Dscherro herzhaft. Der Ton in der Stimme des Hauri-Wissenschaftlers beunruhigte Tyler. Er war sich nun absolut sicher, dass ein groß angelegter Anschlag auf den Marquês geplant war.
*
Nach einer Viertelstunde quälenden Wartens wurden die Container eingeschifft und in den Laderaum eines Transportraumers geschafft. Nach einer weiteren Viertelstunde Wartezeit verließ der Transporter das Gefängnis.
Noch hatte niemand das Verschwinden der Gefangenen bemerkt. Die korrupten Aufseher würden schon dafür sorgen, dass die Flucht so spät wie möglich gemeldet wurde. Bevor Alarm gegeben wurde und man heraus bekam, wie die Häftlinge entkommen waren – falls man es überhaupt herausfand – waren sie wahrscheinlich schon auf Siniestro.
Tyler dachte, dass man wohl in Zukunft diese Sicherheitslücke schließen müsse. Doch für den Moment war sie ihm nützlich. Er musste nun auf eine Gelegenheit warten, noch mehr herauszufinden und sobald wie möglich Rosan Orbanashol-Nordment oder die Neue USO zu informieren.
*
Der Flug nach Siniestro verlief ruhig. Als man den Planeten erreicht hatte, landete der Transporter auf dem Raumhafen der Hauptstadt. Es herrschte reger Verkehr, da viele Transporter kamen und gingen, die Waren für die bevorstehende Hochzeitsfeier lieferten. Der Container, der die Geflohenen beherbergte, wurde aus dem Transporter ausgeladen und in einer abgelegenen Lagerhalle abgestellt. Anschließend flog der Transporter wieder ab, um sein nächstes Ziel anzusteuern.
»Wir sind am Ziel, meine Freunde. Gleich kommen unsere Leute, um uns in Sicherheit zu bringen«, erklärte Hankun-ber-Mallah.
Und er hatte Recht. Schon nach wenigen Minuten wurde der Container geöffnet und ein Hauri sah zur Öffnung hinein.
»Ihr könnt rauskommen, meine Brüder«, sagte der Hauri.
Die ehemaligen Häftlinge verließen den Container und betraten eine dunkle Halle.
»Willkommen auf Siniestro«, begrüßte sie Raufu-Er-Heron.
»Sei gegrüßt, Raufu. Ich danke dir für meine Rettung«, erwiderte Hankun-ber-Mallah.
Raufu deutete auf die anderen Häftlinge. »Sind das deine Leute?«
»Ja, sie sind alle zuverlässig.«
Misstrauisch musterte Raufu Tyler, der grimmig zurückblickte.
»Auch der da?«
Hankun nickte zustimmend. »Auch er. Das ist niemand anderes als Sam Tyler, der diesen ruchlosen Saron getötet hat, den Mörder unseres geliebten Abd-e-Metuls. Obwohl er damit eine gute Tat getan hat, verurteilten ihn seine eigenen Leute zu einer langen, unwürdigen Haftstrafe. Nun will er sich uns anschließen, um Rache an dem Marquês und seinen Leuten zu nehmen.«
Raufu sah Tyler durchdringend an. Sam hielt dem Blick stand.
»Ist das so?«
»Ja, ich will Rache nehmen. Der Marquês, der Generalsekretär und all die anderen Weicheier haben mich verraten. Obwohl ich ihnen treu gedient habe, ließen sie mich fallen. Diesen Verrat sollen sie mir teuer bezahlen. All die Werte, an die ich mal geglaubt habe, sind nichts wert. Cartwheel wird regiert von Willkür und Korruption. Der Paxus-Rat ist inkompetent und wird den Untergang der Galaxis nicht verhindern können.«
Tyler hoffte, dass er nicht zu dick auftrug, doch Raufu schien fürs Erste überzeugt zu sein.
»Du hast Recht. Deine Argumente klingen überzeugend. Du hast einen Grund, dich zu rächen. Warum solltest du deinen ehemaligen Leuten helfen, die dich wie Dreck behandelt haben. Rache ist ein Motiv, das bei Menschen häufig zu finden ist, und ich kann dir versichern, dass du dich an all jenen, die dir Unrecht getan haben, schon bald rächen kannst. Doch sei gewarnt, es gab schon Verräter in unserer Organisation, solltest du dir einfallen lassen, deine Meinung zu ändern, wirst du es genauso bereuen, wie der Verräter, der es zuletzt versucht hat.«
Tyler zweifelte keine Sekunde daran, dass Raufu-Er-Heron es ernst meinte. Dieser Hauri war skrupellos und gefährlich.
»Folgt mir!«, befahl Raufu.
In der Mitte der Halle öffnete sich eine geheime Tür. Die Gruppe stieg eine Treppe hinunter. Am Ende der Treppe befanden sich einige geheime Räume. Raufu führte die ehemaligen Häftlinge zu einer Art Kommandozentrale.
»Willkommen in unserer kleinen Niederlassung auf Siniestro. Sie ist etwas bescheiden, aber wir hätten nicht gedacht, dass Siniestro einmal derart wichtig für uns werden könnte.«
»Wie kann ich dir und Afu-At-Tarkan zu Diensten sein?«, erkundigte sich Hankun-ber-Mallah.
Raufu deutete auf einige Kisten. »In diesen Behältern befinden sich die Einzelteile einer Arkonbombe. Deine Aufgabe ist es, sie zusammenzubauen und scharf zu machen. Kannst du das, Hankun?«
Hankun verneigte sich ehrerbietig. »Selbstverständlich. Wann soll die Bombe gezündet werden?«
Raufu verzog seine Lippen zu einem hässlichen Grinsen. »Übermorgen, am 29. Dezember, dem Hochzeitstag des Marquês, wenn der Paxus-Rat und alle wichtigen Honoratioren auf Siniestro versammelt sind, um diesem lächerlichen Firlefanz beizuwohnen.«
Tyler lief es kalt über den Rücken. Er hatte in seiner Tätigkeit als Geheimagent schon viel erlebt, aber einen ganzen, bewohnten Planeten zu zerstören, nur um einige wichtige Leute zu erwischen, war auch ihm neu. Das war also der Plan. Mit einer solch drastischen Methode rechnete natürlich niemand, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen.
»Bis dahin wird die Bombe einsatzbereit sein, Raufu«, versicherte Hankun-ber-Mallah.
»Und wie kommen wir hier wieder raus?«, wollte einer der Dscherro wissen.
»Auf dem Landefeld steht ein Raumschiff für uns bereit«, erklärte Raufu. »Kurz vor der Explosion setzen wir uns ab. Die Bombe wird so nahe wie möglich am Palast platziert. Es wird kein Entkommen geben, weder für den Marquês, noch den degenerierten Paxus-Rat. Chaos und Untergang werden über Cartwheel kommen und unser Meister Afu-At-Tarkan wird zufrieden sein. Gelobet sei der Herr Heptamer!«
»Gelobet sei der Herr Heptamer!«, wiederholten alle Hauris.
Tyler fragte sich, in was für einem Irrenhaus er hier gelandet war. Er musste so bald wie möglich Rosan Orbanashol-Nordment benachrichtigen.
Rosan war inzwischen ebenfalls auf Siniestro eingetroffen. Sie ahnte nicht, dass sich Tyler ebenfalls dort befand. Genau wie die Halbarkonidin es vorausgesehen hatte, waren die Ermittlungen der beiden »Topagenten« Henner Herker und Henner Wosslyn bislang ergebnislos.
Dann erhielt Rosan die Nachricht, dass Sam Tyler zusammen mit einigen Strafgefangenen aus Davau verschwunden war. Bisher fehlte jede Spur von den Flüchtlingen. Rosan ließ sich Dossiers von den anderen Gefangenen geben. Als sie diese studierte, wurde ihr klar, dass sich Tyler offensichtlich auf einer heißen Spur befand. Anfangs wollte sie Jan Scorbit informieren, beschloss dann aber – angesichts ihrer Eigenmächtigkeit – noch abzuwarten, bis Tyler sich meldete und ihr konkrete Ergebnisse mitteilte. Sie war zuversichtlich, dass ihm das gelang, denn wenn einer das schaffte, dann Sam Tyler.
*
Auf Siniestro liefen unterdessen die Hochzeitsvorbereitungen auf Hochtouren. Der Marquês wurde immer nervöser und missgelaunter, je näher die Stunde der Wahrheit rückte.
Dorys hatte ihre Schwester Ottilie Braunhauer in das Schloss eingeladen. Sie fungierte als Trauzeugin und Beraterin ihrer jüngeren Schwester, was Don Philippe zusätzlich Nerven kostete. Ottilie schlurfte durch das Wohnzimmer und ließ sich ächzend in den Sessel des Marquês fallen.
»Ach, Herr Käse, mir geht es ja so schlecht!«, klagte die alte Frau. »Das können Sie sich nicht vorstellen!«
»Nun, vor kurzem stand ich auch noch mit einem Bein im Grab, Señora Braunhauer. Ich kann das also durchaus nachvollziehen«, antwortete Don Philippe, der die Frau schon seit den Abenteuern an Bord der TERSAL kannte, höflich.
Ottilie Braunhauer winkte verächtlich ab. »Ach, was glauben Sie, wie schlecht es mir ging, als ich im Koma lag! Und als ich wieder aufwachte, war Vatichen tot! Ausgerechnet Vatichen! Sie kannten ihn doch. Ein so kluger, tatkräftiger Mann wie er hätte auch einen Zellaktivator verdient gehabt! Und nun ist er tot und ich muss im Heim leben, weil meine undankbare Tochter nicht will, dass ich bei ihr wohne! Ach, ich wünschte, ich wäre nicht aus dem Koma erwacht und stattdessen eingeschlafen!«
Der Marquês wusste nicht, was er sagen sollte. Im Grunde genommen teilte er Ottilies Wunsch.
»Na ja, was soll's. Jetzt wo Doryschen Sie heiratet, werde ich ab jetzt hier wohnen. Das hat sie mir fest versprochen«, erzählte Ottilie
Der Marquês glaubte sich verhört zu haben. Das Ganze wurde immer mehr zu einem Alptraum.
Ottilie Braunhauer war vor wenigen Wochen aus ihrem langen Koma wieder aufgewacht. Natürlich war sie psychisch noch ziemlich angeschlagen und lebte deshalb in einer offenen Einrichtung für solche Fälle. Die Gheddys zitterten bereits um ihre Prozente bei BOHMAR INC. So versuchten sie alles, um Ottilie Braunhauer auf ihre Seite zu ziehen.
»Na, Papi, freust dich schon auf die Hochzeit?«, fragte hinter ihm eine Stimme. Es war Charly Gheddy, der süffisant grinste und eine Zigarre rauchte. Gönnerhaft klopfte er dem Marquês auf die Schulter. »Ab morgen sind wir eine große, glückliche Familie.«
Dann stolzierte auch noch Dorys in ihrem Hochzeitskleid herein. Sie sah einfach lächerlich aus. Lasziv strich sie sich mit den Händen über ihren hässlichen Körper. »Gefalle ich dir, Philippus? Morgen ist endlich unsere Hochzeitsnacht. Ich kann es kaum erwarten.«
Don Philippe fragte sich ernsthaft, ob er nicht doch lieber den Zellaktivator an MODROR zurückgeben sollte.
*
Zur gleichen Zeit inspizierten Rosan Orbanashol-Nordment und Will Dean die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Mehrere tausend Soldaten, Polizisten und Agenten waren für die Feier bereitgestellt worden. Jagdmaschinen und Fluggleiter sicherten den Luftraum ab. Rund um das Palacio Real de la Siniestro waren Panzerfahrzeuge und Artillerie in Stellung gebracht worden. Siniestro glich einem Heerlager.
»Wir scheinen an alles gedacht zu haben und doch habe ich das Gefühl, wir übersehen irgendetwas«, meinte Will Dean.
Rosan hatte großes Vertrauen in Will Dean und erzählte ihm von ihrer eigenmächtigen Aktion mit Sam Tyler.
Will Dean pfiff beeindruckt. »Das kann Tyler eine Menge Ärger einbringen, so oder so. Und Ihnen auch, Rosan.«
»Ich weiß, aber ich bin der festen Meinung, dass er auf der richtigen Spur ist. Dieser Hankun-ber-Mallah, mit dem er geflohen ist, arbeitete als Wissenschaftler für Abd-e-Metul. Seine Spezialität ist der Bau von Bomben.«
»Mit der Möglichkeit einer Bombe mussten wir rechnen«, stimmte Dean zu. »Wir werden den ganzen Palast durchleuchten. Jeder Lieferant wird von oben bis unten durchsucht.«
»Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl«, meinte Rosan. »Ich hoffe, Tyler meldet sich bald.«
Dean nickte. »Hoffentlich. Sie müssen Jan Scorbit über die Angelegenheit informieren. Auch wenn er mit Herker und Wosslyn einen Fehlgriff getan hat, ist er immer noch Leiter der Neuen USO.«
»In Cartwheel! Zur Not rede ich mit Monkey und Adams. Aber ich werde vorher mit Jan sprechen. Jedoch erst, wenn ich Ergebnisse habe.«
»Na ja, wenn er Sie rausschmeißt, können Sie ja immer noch beim TLD anfangen«, sagte Will salopp.
*
Sam Tyler wartete bislang vergeblich auf die Chance, einen Funkspruch abzusetzen, doch die Hauris ließen ihn nie allein. Die Zeit drängte, bis zur Hochzeit waren es nur noch weniger als 24 Stunden. Sollte er keine Gelegenheit erhalten, die Neue USO zu informieren, musste er allein versuchen, die Terroristen aufzuhalten.
Hankun-ber-Mallah hatte seine Arbeit beendet und erstattete Raufu-Er-Heron Bericht.
»Die Bombe ist einsatzbereit. Ich kann sie manuell zünden oder per Fernbedienung beziehungsweise Zeitzünder.«
Raufu nickte zufrieden.
»Gut gemacht, Hankun. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Hast du auch an die Ersatzbombe gedacht?«
»Selbstverständlich. Hier ist sie.«
Hankun holte einen handgroßen Sprengsatz aus einem Behälter hervor.
»Die Sprengkraft reicht aus, um eine ganze Stadt zu vernichten.«
»Gut, das ist meine Notfallbombe, falls wider Erwarten etwas schiefgehen sollte«, erklärte Raufu. Er wollte nichts dem Zufall überlassen.
»Wie geht es nun weiter?«, wollte Hankun wissen.
»Bei den vielen Lieferantengleitern, die rund um das Schloss stehen, wird ein weiterer nicht auffallen.« »Genial, Raufu, du hast dich wieder einmal selbst übertroffen«, lobte Hankun den Strategen.
»Um auch ganz sicher zu sein, dass nichts schiefgeht, werden wir die Bombe von hier aus zünden«, entschied Raufu. »Leider werden deine Leute dann noch dort sein, aber mit diesen Verlusten mussten wir rechnen. Außerdem können wir dann ganz sicher sein, dass kein Verräter uns noch dazwischenfunken wird, wie dieser Akaho da Purok.«
Hankun-ber-Mallah verneigte sich demütig. »Wie du befiehlst. Gelobet sei Herr Heptamer!«
»Gelobet sei Herr Heptamer!«
Der Tag der Hochzeit – von den einen ersehnt, von den anderen verflucht – war gekommen.
Die Zeremonie wurde im altertümlichen Stil abgehalten, wie es bei königlichen Hochzeiten üblich gewesen war. In einer altertümlichen Hochzeitskutsche, die von vier weißen Pferden gezogen wurde, fuhren der Marquês und seine Braut Dorys Gheddy zum Dom von Siniestro, wo die Trauung im katholischen Stil abgehalten werden sollte.
Für die Bevölkerung vor Ort und vor den Bildschirmen daheim war das ganze Zeremoniell höchst interessant, denn so etwas erlebte man im Neuen Galaktischen Zeitalter auch nicht alle Tage. Die Sicherheitskräfte versuchten, so zurückhaltend wie möglich zu sein. Die massive Präsenz von Polizei und Armee war jedoch nicht zu übersehen und sollte auch durchaus abschreckend wirken.
Als die Kutsche hielt und der Marquês und Dorys ausstiegen, streuten mehrere Kinder vor ihnen hergehend Blumen.
»Ist das nicht eine Gaudi, Philippus?«, fragte Dorys mit ihrer rauen Stimme. »Jetzt bräuchte ich einen Schnaps und eine Zigarette.«
Der Marquês versuchte mühsam Haltung zu bewahren. »Versuch dich wenigstens einmal zusammen zu nehmen«, zischte er.
»Okay, reg dich ab, Phil. Wird schonschief gehen«, gab die Alte zurück. »Ist nur alles so verdammt anstrengend. Hoffentlich wird mir nicht schwindlig.«
»Wenn dir die Hochzeit zu anstrengend ist, können wir sie gerne absagen«, bot der alte Spanier an.
»Das könnte dir so passen! Das schaffe ich schon noch.«
*
In der Kirche hatten sich alle Hochzeitsgäste versammelt. Der gesamte Paxus-Rat war anwesend. Fast sämtliche Minister, wie Diethar Mykke, Reinhard Katschmarek, Werner Niesewitz und Peter Roehk, waren dabei. Auch Cauthon Despair war gekommen.
Jan Scorbit war mit Henner Herker und Henner Wosslyn gekommen, die nun vor Ort ermitteln sollten. Bislang hatten sie allerdings nichts herausgefunden.
Als Trauzeugen fungierten Ottilie Braunhauer für ihre Schwester Dorys und Diabolo für den Marquês. Die Klon-Kinder Don Philippes beobachteten die Zeremonie mit negativen Gefühlen. Zwar gönnten sie ihrem Vater das Glück, waren aber mit der Wahl Dorys Gheddys keineswegs einverstanden.
Charly Gheddy hingegen strahlte über das ganze Gesicht, während sein Bruder Ian, wie stets, misstrauisch und finster dreinschaute.
Als das Hochzeitspaar vor dem Traualtar stand, begann der in Ehren ergraute Erzbischof von Siniestro mit der Zeremonie. Nach einer langen, salbungsvollen Rede kam er zum Kern der Sache: »Philippe de la Siniestro, willst du diese Frau, Dorys Gheddy, zu deinem Weibe nehmen, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?«
Der Marquês zögerte einen Moment. Sollte er es wirklich tun? Noch konnte er zurück. Doch als er sah, wie Charly ihm frech zuwinkte und Ian seine Kinder böse anstarrte, blieb ihm nichts anderes übrig, als »Ja« zu sagen.
Der Erzbischof wandte sich Dorys zu. »Und du, Dorys Gheddy, willst du diesen Mann, Philippe de la Siniestro, zu deinem Gemahl nehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?«
»Jo«, sagte Dorys mit ihrer rauen Stimme.
»Somit erkläre ich euch, Kraft meines Amtes, zu Mann und Frau.«
Nachdem die Ringe getauscht worden waren, kam der Teil, den der Marquês besonders fürchtete.
»Du darfst die Braut jetzt küssen«, erklärte der Erzbischof.
Dorys hob ihren Brautschleier hoch, sodass ihr hässliches, faltiges Gesicht zum Vorschein kam, und entblößte ihre gelbbraunen Zähne. Ihr Atem roch nach Vurguzz. Der Marquês brachte es schleunigst hinter sich, während die Menge jubelte und applaudierte.
Anschließend setzte sich der Hochzeitszug in Richtung Schloss in Bewegung. Der Marquês und seine neue Ehefrau winkten den jubelnden Massen aus ihrer Hochzeitskutsche zu. Für Don Philippe war dies alles ein einziger Alptraum, aber das durfte er sich der Öffentlichkeit gegenüber nicht anmerken lassen.
*
Am Nachmittag begann die Festlichkeit im Schloss. Alles, was Rang und Namen hatte, war eingeladen worden.
Uwahn Jenmuhs, Leticron, Torsor und Cauthon Despair fühlten sich vollkommen sicher. Da Cau Thon die Terrorwelle insgeheim ins Rollen gebracht hatte, waren sie der Meinung, dass Afu-At-Tarkan keinen Anschlag auf ihre Person unternehmen würde. Allerdings übersahen sie dabei, dass Afu-At-Tarkan nicht über die Identität der Söhne des Chaos informiert war – so sehr vertraute Cau Thon dem Terrorführer nicht – und außerdem hatte der Hauri seine eigenen Pläne.
Auch die meisten anderen Gäste fühlten sich angesichts der massiven Präsenz der Sicherheitskräfte sicher und feierten ausgelassen. Nur Rosan Orbanashol-Nordment, die mit Mathew Wallace, Jonathan Andrews, Nataly Jargon sowie Uthe und Remus Scorbit zusammensaß, hatte ein ungutes Gefühl. Sie hatte erwartet, dass sich Tyler spätestens im Laufe des Tages melden würde. Sie hoffte, dass ihm nichts zugestoßen war. Missmutig sah sie zu ihrem Vorgesetzten Jan Scorbit hinüber, der wieder einmal gemeinsam mit Henner Herker und Henner Wosslyn einen Vurguzz nach dem anderen leerte. Wütend ging Rosan zu den dreien, die an einem Tisch saßen.
»Meinen Sie nicht, dass Sie jetzt genug getrunken haben?«, fragte sie Jan vorwurfsvoll.
Scorbit winkte lachend ab. »Heute ist ein Tag zum Feiern! Kommen Sie, Rosan, feiern Sie mit uns«, antwortete er vergnügt.
»Feiern? Hier ist Wyll gestorben. Ich hoffe nur, Sie vernachlässigen Ihren Dienst nicht«, sagte die Halbarkonidin eisig.
»Ach was, Jan ist ein richtiger Kerl! Und was ein richtiger Kerl ist, der verträgt schon einiges. Stimmt's, Jan? Du bist doch kein Muttersöhnchen?«, mischte sich Henner Herker ein.
Henner Wosslyn unterstützte seinen Kumpanen mit einem kräftigen Rülpser.
»Natürlich nicht!«, erklärte Jan. »Ich kann viel vertragen. Außerdem liegt die Sicherheit in Ihren Händen, Rosan. Ich kann von hier aus alles gut überblicken. Um den Rest kümmern Sie sich.«
»Darauf trinken wir noch einen! Prost! Prost!«, rief Herker und die drei stemmten ihre Bierkrüge hoch und prosteten sich zu.
Konsterniert verließ Rosan die drei und begann, alle getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu inspizieren. Obwohl alles ruhig zu sein schien, konnte sie ihre Unruhe nicht abstellen.
*
Diethar und Judta Mykke, Werner Niesewitz, Reinhard Katschmarek und Peter Roehk feierten ebenfalls ausgelassen. Werner und Judta tanzten vergnügt miteinander und schienen sich sehr anziehend zu finden, was Diethar nicht sonderlich gefiel. Katschmarek und Roehk stellten jungen Frauen nach – meist vergeblich. Auch Anya Guuze und Krizan Bulrich waren eingeladen worden. Ian hatte das arrangiert. Er wollte Anya, die er sein »Püppchen« nannte, unbedingt wiedersehen. Für ihn war es beschlossene Sache, dass die schöne Blondine eines Tages ihm gehören würde.
»Hallo, schön, dass du da bist, Püppchen. Wie gefällt dir unser Schloss?«, begrüßte er Anya. Bulrich übersah er einfach.
Anya trug ein aufregendes glitzerndes silbernes Kleid. Der Rücken und das Dekolletee waren tief ausgeschnitten und die Terranerin zeigte viel Bein. Ian war mehr als angetan von diesem Anblick.
»Oh, es ist wirklich prächtig. Aber ich dachte, es gehört dem Marquês?«, fragte sie etwas verlegen.
Ian Gheddy war ihr unheimlich.
»Seit heute ist es Familienbesitz«, stellte Ian klar. »Wollen wir tanzen, Anya?«
»Danke, vielleicht später. Ich bin ja mit meinem Freund hier«, erwiderte sie und legte ihre Hand demonstrativ um Krizan Bulrich, dem das sichtlich peinlich war.
Hastig stieß er ihre Hand wieder zurück, als er Ians böse Blicke auf sich ruhen fühlte. »Ey, lass das! Das ist uncool.«
Dann nahm er seinerseits Anya bei der Hand und zog sie zur Seite. »Hör zu, Anya, dieser Gheddy kann uns noch sehr nützlich sein«, sagte er, als sie außer Hörweite waren. »Wenn du nett zu ihm bist, kann uns das in der High Society und in der Geschäftswelt weit nach oben bringen. Wir könnten durch ihn zu viel Geld kommen. Das hast du dir doch schon immer gewünscht, oder?«
»Ja schon, aber …«, wollte sie protestieren, aber Krizan unterbrach sie und kehrte den Macho heraus.
»Kein Aber! Du tust das, was ich dir sage! Wenn du mich liebst, dann sei nett zu ihm.«
»Wie nett?«
»So nett, wie er es will. Geh mit ihm ins Bett, wenn es sein muss, und staube so viel Geld und Geschenke ab, wie du nur kannst«, verlangte Bulrich allen Ernstes.
Anya war alles andere als begeistert davon, aber sie liebte Bulrich abgöttisch und hatte Angst, von ihm verlassen zu werden, wenn sie nicht tat, was er verlangte. Dass ihr Freund nur an sich und seinen Vorteil dachte, merkte sie nicht. Sie war ihm hörig, also ging sie wieder zu Ian Gheddy und ließ sich von ihm hofieren. Er führte sie in ein Nebenzimmer des Schlosses. Dort übergab er ihr eine Schatulle.
»Das ist für dich, Püppchen. Mach es auf!«, forderte er.
Anya öffnete die Schatulle, in der ein wertvolles, diamantbesetztes Kollier lag.
»Oh, das ist ja wundervoll!«, freute sich Anya ehrlich.
»Leg es an!«, verlangte Ian.
Anya legte sich die Halskette an und fand sie einfach wunderbar.
»Du siehst aus wie eine Königin, Püppchen. Eines Tages wirst du meine Königin sein«, sagte Ian innbrünstig und ein unheimlicher Glanz lag dabei in seinen Augen.
*
Jan Scorbit feierte indessen heftig mit seinen beiden Henner-Freunden weiter. Sein Bruder Remus kam zusammen mit seiner Frau Uthe an ihrem Tisch vorbei.
»He, Remus! Komm und sauf mit uns!«, forderte Henner Herker laut.
»Nein, danke. Im Übrigen finde ich, dass ihr jetzt genug habt. Ihr seid schließlich dienstlich hier«, lehnte Remus ab.
Früher war auch er mit Henner Herker und Henner Wosslyn befreundet gewesen und sie hatten manche Nacht durchgezecht. Doch dann kam der Tag, an dem beide im Rausch einen Blue zusammengeschlagen hatten. Von da an hatte er sich distanziert. Sie verstanden sich weiterhin gut, doch Remus wollte nicht zu viel Zeit mit ihnen verbringen. Ihre Ansichten und Prinzipien gingen dafür zu weit auseinander.
Remus beschloss, in den nächsten Tagen ein ernsthaftes Wort mit Jan zu reden, denn schließlich trug er die Verantwortung für die USO in Cartwheel. Dieser Verantwortung musste er sich wieder bewusst werden.
Henner Herker war jedoch über Remus Zurückweisung erbost. »Du blöder Spießer! Kümmere dich lieber um deinen Kram!«, pöbelte er.
»Komm, Remus, lass uns gehen. Dieser Mensch ist einfach unmöglich«, sagte Uthe Scorbit, die bislang geschwiegen hatte.
Nun zog sie jedoch Henners Zorn auf sich. »Natürlich, Uthe wieder! Du bist schuld, dass aus Remus so ein Weichei geworden ist! Du hast ihn gegen mich aufgehetzt.«
Uthe schüttelte mitleidig den Kopf. »Das war gar nicht nötig. Durch dein eigenes Verhalten bringst du die Menschen gegen dich auf, aber das wirst du wohl nie begreifen.«
»Remus, du solltest deiner Frau mal eine Tracht Prügel verabreichen und sie danach mal tüchtig durchnehmen, damit sie weiß, wo ihr Platz ist«, zischte Henner hasserfüllt. »Frauen gehören an den Kochtopf und ins Bett!«
Remus wäre am liebsten auf Henner losgegangen, aber Uthe hielt ihn zurück.
»Friede! Friede! Prost!«, lallte Jan, der nicht mehr viel mitbekam.
Jonathan Andrews hatte die Streiterei mitbekommen und ging ebenfalls zum Tisch. Er bat Nataly, lieber zu warten, da er nicht wollte, dass sie in Kontakt mit Herker und Wosslyn kam.
»Wollt ihr das ganze Schloss leer saufen?«, erkundigte sich Jonathan in seiner typischen flachsigen Art.
Ein Bediensteter kam vorbei und fragte, ob die Herren noch etwas zu trinken wünschten.
»Ja, drei Fässer für den Herrn Scorbit. Ich nehme ein kleines Bier«, meinte Andrews mit einem Lächeln.
Remus warf ihm einen strafenden Blick zu und packte dann Jan Scorbit. Jonathan half ihm dabei. Zusammen mit Uthe schleppten sie ihn ins nächste Badezimmer. Dort verabreichten sie ihm eine kalte Dusche.
Als Jan wieder halbwegs bei Sinnen war, machte ihm Remus Vorwürfe: »Vielleicht denkst du mal daran, dass du Leiter der Neuen USO bist und dich hier mitten in der Öffentlichkeit befindest, also kümmere dich gefälligst wieder um deine Pflichten! Du bist schließlich nicht zum Spaß hier.«
»Ich glaube, mir ist übel …«
*
Henner Herker vergnügte sich indessen alleine weiter. Er versuchte auf plumpe Art und Weise fast jedes weibliche Wesen im Schloss anzubaggern, holte sich jedoch einen Korb nach dem anderen. Seine Unbeliebtheit wuchs von Minute zu Minute. Cauthon Despair beobachtete ihn interessiert. So viel negative Ausstrahlung hatte er selten gesehen. Dieser Mann schien recht vielversprechend zu sein. Man sollte ihn im Auge behalten. Vielleicht könnte er eines Tages nützlich sein.
*
Der Marquês saß an einer großen Tafel, neben ihm posierte seine frisch gebackene Ehefrau Dorys und kippte einen Schnaps nach dem anderen in sich hinein. Ihre Schwester Ottilie, die ebenfalls einige Vurguzz intus hatte, zog ihre Schuhe aus und zeigte Diabolo ihren so genannten »Hammerzeh«. In aller Ausführlichkeit erläuterte sie ihm und den Gästen ihre Leiden.
Der Posbi fragte sich, wie die Menschen allen Ernstes behaupten konnten, sie seien die »Krone der Schöpfung«. Viele Menschen, die er in letzter Zeit kennen gelernt hatte, schienen eher eine negative Mutation der Schöpfung zu sein.
Als wollte sie seine Gedanken bestätigen, erhob sich Dorys de la Siniestro mit einem großen Glas Vurguzz in der Hand.
»Was ist das hier für ein langweiliger Totentanz! Macht Musik! Ich will Stimmung!«, krakeelte sie, dann zog sie ihre Schuhe aus, stellte sich auf den Tisch und fing an zu tanzen. Dabei summte sie mit ihrer rauen Stimme eine undefinierbare Melodie.
Der Marquês vergrub vor Scham sein Gesicht in den Händen, während sämtliche Gäste Dorys anstarrten. Diese kippte ihr Glas Vurguzz in einem Zug herunter und warf das Glas auf den Boden, wo es klirrend zersprang.
»Nastrowje!«, grölte sie.
Diabolo fragte sich, wie wohl erst das Eheleben ablaufen würde, wenn schon die Hochzeit so turbulent war.
*
Ein anderer fand die Feier höchst amüsant, nämlich Gucky. Der Mausbiber war mit dem Mutantenkorps als zusätzliche Sicherheits-Einheit auf das Fest abkommandiert worden.
Hank »Wulf« Lane stand neben dem Mausbiber und langweilte sich. Jeanne Blanc tanzte etwas und Brad Callos wartete eigentlich darauf, dass sie ihn bat mitzutanzen.
Als er Dorys auf dem Tisch tanzen sah, meinte Gucky zu Wulf Lane: »Echt was los hier. Anfangs hatte ich Sorge, dass die Party hier stinklangweilig werden könnte, aber man wird hier bestens unterhalten. Fast so lustig wie in der Geisterbahn.«
Lane sah ihn grimmig an. »Wie man es nimmt.«
»Ich habe irgendwie das Gefühl, dass heute noch was passiert«, meinte Brad Callos.
Gucky winkte gönnerhaft ab. »Ach was. Hier sind wir sicher. Denn wer würde es schon wagen, einen Ort anzugreifen, an dem ich bin?«
»Eben das beunruhigt mich«, meinte Callos.
*
Nicht alle waren über Dorys Auftritt so amüsiert wie Gucky.
Orly und Peter sahen finster drein. Zu ersten Mal waren die beiden einer Meinung.
»Wie konnte Vater nur diese Proletin heiraten? Sie führt sich auf wie eine Schlampe! Ich hasse sie!«, regte sich Peter auf.
»Es ist nicht zu verstehen«, stimmte Orly zu. »Vielleicht hätten wir der Sache eher Beachtung schenken sollen. Ich hatte immer noch die Hoffnung, er würde es sich anders überlegen.«
Nur Brettany blieb besonnen. »Es ist Vaters Entscheidung. Ich finde sie auch sonderbar, aber wenn Vater sie liebt, müssen wir sie akzeptieren. Wir sollten zu den beiden gehen und ihnen alles Gute wünschen.«
»Bier her, Bier her oder ich falle um!«, grölte Dorys an ihrem Tisch.
»Ohne mich!«, antworteten Orly und Peter im Chor.
Brett zuckte mit den Schultern. »Dann frage ich Stephanie. Wo ist sie denn?«
»Ich glaube sie unterhält sich mit diesem widerlichen Benington«, meinte Orly.
*
Stephanie nutzte die Feier, um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen – Männern. Gleich drei auf einmal umringten sie – Major Alcanar Benington, Krizan Bulrich und Charly Gheddy.
»Ich glaube, Sie und ich haben viel gemeinsam«, meinte Benington zu Stephanie. »Wir wissen beide sehr genau, was wir wollen. Macht und Stärke zieht uns erotisch an.«
Stephanie lachte schrill und leerte ein Glas Champagner. »Da haben Sie Recht. Vielleicht sollten wir uns irgendwohin zurückziehen, wo es ruhiger ist«, sagte sie anzüglich.
»Da will ich aber mitkommen«, mischte sich Krizan Bulrich ein.
Stephanie lächelte verführerisch. »Wo Platz für zwei ist, ist auch Platz für drei.«
»Oder für vier«, ergänzte Charly Gheddy mit lüsternem Blick.
Das war Benington aber gar nicht recht. »Dagegen muss ich protestieren.«
Charly sah ihn verächtlich an. »Dann protestieren Sie mal. Am besten Sie schreiben es auf und wir beschäftigen uns später damit.«
»Ich bin für alles zu haben«, versicherte Krizan Bulrich.
»Für was zu haben?«, fragte eine kraftvolle Stimme.
»Toran! Wie schön, dass du doch noch kommen konntest«, sagte Stephanie freudestrahlend.
»Für dich ist mir kein Weg zu weit«, erwiderte Toran Ebur galant.
»Wir sollten deine Ankunft gebührend feiern – in meinem Zimmer«, beschloss Stephanie und verließ mit dem Zaliter den Saal.
Benington sah ihnen wütend hinterher, während Krizan Bulrich sich nach einer neuen Gelegenheit umsah.
Charly klopfte Benington auf die Schulter. »Schade, da müssen wir uns wohl nach einer neuen Gelegenheit umsehen.«
Doch für Benington war die Sache nicht erledigt. Stephanie de la Siniestro konnte ihm für seine Karriere höchst nützlich sein. Er war fest entschlossen, sie wiederzusehen.
*
Als es dämmerte, setzte Sam Tyler alles auf eine Karte. Endlich war er einmal allein, die anderen Hauris hielten Gebete an den Herrn Heptamer ab. Tyler begab sich in die Toilette und sendete einen Funkspruch an Rosan Orbanashol-Nordment ab.
»Rosan, bitte kommen. Hier Tyler.«
»Hier Rosan. Endlich melden Sie sich«, erklang die Stimme der Halbarkonidin aus dem Gerät.
»Hören Sie auf zu labern und hören Sie mir zu: Siniestro soll mit einer Arkonbombe in die Luft gesprengt werden. Die Bombe wird mit einem Liefergleiter auf das Schlossgelände oder in dessen Nähe gebracht. Halten Sie Ihre Leute bereit. Sobald ich den genauen Standort weiß, melde ich mich wieder.«
»Tyler, wo bist du?«, rief eine Stimme. Es war einer der Dscherro.
Sam beendete die Verbindung und versteckte den kleinen Sender wieder. Dann verließ er das WC und ging zu dem Dscherro.
»Was ist denn los?«, fragte mürrisch.
»Wo warst du denn? Wir haben dich schon gesucht«, beschwerte sich der Dscherro.
Tyler deutete auf die Toilette. »Schiffen gehen. Wer weiß, wann wir wieder dazu kommen.«
Der Dscherro lachte rau. »Auch eine Art der Vorbereitung. Die Hauris haben zu Ende gebetet. Es geht also los.«
Tyler und der Dscherro begaben sich hinauf in die Halle, wo der Lieferanten-Gleiter bereitstand.
Hankun-ber-Mallah verstaute die Bombe.
»Der Tag des Gerichts ist gekommen«, verkündete Raufu-Er-Heron. »Ihr werdet die Bombe auf das Nachbargelände des Schlosses transportieren. Danach wird Sarik-Id-Wadil, der eure Gruppe anführt, die Bombe aktivieren. Ihr habt dann noch eine Stunde Zeit, hierher zurückzukehren. Wenn die Bombe explodiert, müssen wir schnellstens von hier weg. In dem allgemeinen Chaos wird es ein Leichtes sein, unterzutauchen. Geht nun. Der Herr Heptamer möge euch beistehen.«
Der Gleiter setzte sich in Bewegung und verließ den Raumhafen. Sein Ziel war das Schloss des Marquês.
Nachdem Rosan Orbanashol-Nordment den kurzen Funkspruch Tylers empfangen hatte, alarmierte sie sofort Will Dean.
»Wir müssen sofort die Evakuierung einleiten«, meinte Rosan.
Dean war anderer Ansicht. »Wenn wir das machen, entsteht eine Panik, und dann wüssten die Terroristen, was los ist, und zünden die Arkonbombe sofort. Ich trommle meine besten Leute zusammen. Holen Sie Gucky und das Mutantenkorps. Wenn Tyler sich wieder meldet, müssen wir sofort einsatzbereit sein.«
Rosan war damit einverstanden und ging zu Gucky, der gerade das neueste Opfer von Ottilie Braunhauer geworden war. Auch ihm zeigte sie ihre Füße und berichtete ihm ausführlich von ihren Leiden.
»Sie können sich das nicht vorstellen, Herr Micky, was so ein Hammerzeh für Schmerzen bereitet«, jammerte Frau Braunhauer, während sie ein Glas Vurguzz leerte. »Und das alles muss ich ohne Vatichen ertragen. Hach, ich wünschte ich wäre tot!«
»Kann ich verstehen«, erwiderte Gucky, als ihm Ottilie ihren »Hammerzeh« zeigte.
Rosan ging zu dem Ilt und flüsterte ihm die Neuigkeiten ins Ohr. Sofort wurde Gucky ernst und rief unauffällig die anderen Mutanten zusammen. Jetzt konnten sie nichts weiter tun, als auf Tylers Alarmsignal zu warten.
Der Ilt versuchte, die Gedanken Sam Tylers zu espern.
*
Der Lieferanten-Gleiter setzte in der Nähe des Schlosses auf. Er wurde inmitten von vielen anderen Gleitern geparkt, so dass ihn niemand beachtete.
Die Gleiter erhielten keine Erlaubnis, direkt auf dem Hof des Palastes zu parken. Etwaige Lieferungen wurden am Eingang von TLD- und USO-Agenten kontrolliert.
Sarik-Id-Wadil begann nun damit, die Arkonbombe scharf zu machen. Tyler wusste, dass er es dazu nicht kommen lassen durfte. Ein ganzer Planet stand auf dem Spiel. Mit einem Handkantenschlag schlug Tyler einen Hauri nieder und schnappte sich dessen Waffe.
»Keine Bewegung oder es ist eure letzte!«, rief er den Terroristen zu.
Hasserfüllt sah ihn Sarik-Id-Wadil an. »Du elender Wurm! Für deinen Verrat wirst du teuer bezahlen.«
»Nicht so teuer wie du, Skelettgesicht.«
»Packt ihn!«, befahl Sarik seinen Leuten.
Sofort stützten sich die Hauris auf Tyler, der sofort schoss und zwei tödlich traf. Doch die beiden Dscherro schlugen Tyler die Waffe aus der Hand. Geistesgegenwärtig öffnete Tyler die Ladetür und sprang aus dem Gleiter. Die beiden Dscherro setzten ihm jedoch nach. In ihren Händen hielten sie Äxte, die sie drohend schwangen.
»Koscha, Dscherro! Koscha!«, riefen sie.
Ihr berüchtigter Blutrausch schien über sie zu kommen.
Doch bevor sie zuschlagen konnten, materialisierten Gucky und Brad Callos mit Will Dean und einigen TLD-Agenten, die das Feuer auf die Dscherro eröffneten. Schreiend brachen die beiden Terroristen zusammen. Tyler schnappte sich von einem Agenten einen Thermostrahler und stürmte in den Gleiter, wo Sarik-Id-Wadil dabei war, die Arkonbombe zu aktivieren.
»Auch wenn du mich tötest, werde ich im Fallen den Schalter betätigen«, geiferte der Hauri. »Du hast verloren, Verräter! Das Feuer wird euch alle verschlingen!«
Doch als er die Bombe zünden wollte, konnte er seine Hand nicht mehr bewegen.
»Was ist das?«, fragte der Hauri verzweifelt.
»Nicht was, sondern wer. Ich natürlich, der Retter des Universums«, erklang die piepsige Stimme Guckys, der in den Gleiter stolzierte.
Dahinter erschienen Will Dean und Rosan Orbanashol-Nordment.
»Ist das die Bombe?«, fragte Rosan ängstlich.
Tyler nickte grimmig.
»Ups, ich lese in seinen Gedanken, dass die Bombe auch ferngesteuert gezündet werden kann, wenn Schaschlik der Wesir sich nicht bei seinem Herrchen meldet«, informierte der Ilt die anderen.
»Im Orbit steht ein unbemanntes Schiff bereit, um die Bombe an Bord zu nehmen«, erklärte Will Dean.
»Dann wollen wir keine Zeit verlieren.«
Gucky nahm die Bombe und teleportierte mit ihr weg. Nur wenige Sekunden später kam er wieder zurück.
»Wir haben Roboterkommandos an Bord, die versuchen werden, die Bombe zu entschärfen«, erzählte Dean.
Rosan ging auf Tyler zu. »Wir haben Ihnen viel zu verdanken, Tyler. Ohne Sie wäre ganz Siniestro verloren gewesen. Nicht zu fassen, wozu diese Leute fähig sind.«
Tyler winkte ab. »Wir sind noch nicht fertig, Lady. Ihre Anführer, Raufu-Er-Heron und Hankun-ber-Mallah sind noch frei. Die müssen wir unbedingt erwischen, denn die haben bestimmt noch mehr Tricks auf Lager.«
Will Dean ging drohend auf Sarik-Id-Wadil zu. »Los, raus mit der Sprache: Wo sind deine Leute?«, wollte er wissen.
»Das erfahrt ihr nie, denn ich bin tot. Gelobet sei der Herr Heptamer!«, rief der Hauri noch, dann sank er zusammen.
Hastig beugte Dean sich über ihn. »Er ist tot. Er hat eine Giftkapsel geschluckt.«
»Das nützt denen auch nichts. Ich habe mir den Weg gemerkt, als wir hierher kamen. Sie sitzen in einer Lagerhalle am Rande des Raumhafens.
»Dann nichts wie hin!«, befahl Rosan.
»Sie kommen mit den Agenten nach, Lady. Ich, Will und Gucky teleportieren voraus«, entschied Tyler.
»Wer hat hier eigentlich das Sagen?«, fragte Rosan wütend.
»Mach dir nichts daraus, das ist seine charmante Art, mit Frauen umzugehen«, warf Gucky ein.
Kurz darauf verschwand Gucky mit Tyler und Dean. Rosan setzte sich mit den Agenten in Richtung Raumhafen in Bewegung.
*
In ihrer Kommandozentrale warteten Raufu-Er-Heron und Hankun-ber-Mallah auf eine Nachricht Sarik-Id-Wadils, die jedoch ausblieb.
»Er hätte sich inzwischen melden müssen. Irgendetwas stimmt nicht«, vermutete Raufu.
»Die Positronik zeigt an, dass die Bombe scharf ist«, meldete Hankun-ber-Mallah.
»Zünde die Bombe! Sofort!«, befahl Raufu dem Wissenschaftler.
Hankun betätigte umgehend ein paar Schalter.
»Gezündet«, meldete Hankun.
Doch auf dem Monitor erschien nichts.
»Warum ist sie nicht explodiert?«, schrie Raufu. Der Hauri verlor zum ersten Mal die Nerven und begann Hankun zu würgen.
»Tu ihm nicht weh, es war nicht seine Schuld. Wir waren es«, sagte eine Stimme neben ihnen.
Gucky, Tyler und Will Dean standen mit vorgehaltener Waffe vor den beiden Terroristen.
»Leider ist nun einer unserer Robot-Kreuzer dahin. Wir werden Schadenersatz fordern müssen«, sagte Will Dean.
Hasserfüllt starrte Raufu Sam Tyler an.
»Du bist an allem schuld!«, schrie er.
Tyler nickte kalt. »Stimmt, nur weil ich diesen Bastard Saron erschossen habe, heißt das noch lange nicht, dass ich Sympathie für solchen Abfall wie euch hege.«
Raufu schrie auf, packte Hankun-ber-Mallah und warf diesen mit unheimlicher Kraft auf die drei Eindringlinge. Tyler gab noch einen Schuss ab, traf aber nur Hankun. Raufu schnappte sich unterdessen einen Behälter und stürmte aus der Zentrale.
»Alarm! Eindringlinge sind in der Zentrale! Tötet sie!«, rief er.
Im Nu waren mehrere Terroristen zur Stelle, die das Feuer eröffneten. Tyler und Will Dean schossen zurück, während Gucky äußerst beunruhigendes in den letzten Gedanken des sterbenden Hankun-ber-Mallahs las.
»Ich glaube, wir sind in Schwierigkeiten«, meinte Will Dean.
»Es sind zu viele«, stimmte Tyler zu. »Gucky, wir müssen hier raus.«
Gucky nahm die beiden an der Hand und teleportierte nach draußen.
Dort trafen gerade mehrere Einheiten von TLD und USO ein. Es kam sofort zum Feuergefecht mit den heraus stürmenden Terroristen. Die Hauris und Dscherro leisteten erbitterten Widerstand, doch da die Sicherheitskräfte immer mehr Verstärkung erhielten, war der Kampf nach einer Viertelstunde entschieden. Nur wenige Terroristen konnten gefangen werden. Die meisten waren gefallen oder hatten sich selbst gerichtet.
Rosan Orbanashol-Nordment traf ebenfalls auf dem Raumhafen ein. »Gratuliere, ihr habt es geschafft«, begrüßte sie die drei.
»Kommt drauf an, ob Raufu-Er-Heron dabei ist«, räumte Gucky ein.
»Wieso? Selbst wenn er entkommen ist, kann er allein nicht viel ausrichten.«
»Ich las in den Gedanken Hankun-ber-Mallahs, dass noch eine zweite Bombe existiert, die stark genug ist, um die ganze Stadt in die Luft zu jagen«, erklärte der Ilt. »Als Raufu geflohen ist, nahm er einen Behälter mit sich.«
»Wir müssen sofort zum Schloss. Wenn er entkommen ist, wird das sein Ziel sein«, meinte Tyler.
*
Raufu-Er-Heron war entkommen. Nun musste er seinen Notfallplan ausführen. Er bedauerte, dass er nun selbst sterben musste, aber nur so konnte der Plan noch gerettet werden. Als Versager wollte er Afu-At-Tarkan nicht gegenübertreten. Raufu hatte sich für diesen Fall durch einen Mittelsmann, der zum diplomatischen Korps der Hauris und somit zu den Hochzeitsgästen gehörte, einen Transmitterzugang zum Schloss schalten lassen.
Während draußen gekämpft wurde, begab sich der Stratege mittels Transmitter zum Schloss. Inmitten des Marquês und seiner Gäste würde sich Raufu selbst in die Luft sprengen und mit ihm das Schloss und die ganze Stadt.
*
Nichts ahnend von dieser Gefahr vergnügten sich die Hochzeitsgäste weiterhin ungeniert.
Reinhard Katschmarek und Peter Roehk torkelten durch den Saal und sangen zusammen mit Dorys Trinklieder. Ottilie Braunhauer klagte allen, die es hören oder nicht hören wollten, ihr unendliches Leid. Stephanie trieb es mit Toran Ebur auf ihrem Zimmer, während Henner Herker, trotz seines sprichwörtlichen »Charmes«, immer noch keine Bettgefährtin gefunden hatte. Also leerte er mit Henner Wosslyn die restlichen Alkoholvorräte.
Für die Klatschpresse war diese Hochzeit ein gefundenes Fressen. Dem Marquês war klar, dass er mit Dorys keine Frau gefunden hatte, die ihm Sympathiestimmen bringen würde.
*
Raufu-Er-Heron materialisierte in der Gegenstation des Transmitters im Schloss. Dort erwartete ihn sein Gefolgsmann.
»Willkommen, Herr«, meldete der Hauri demütig. »Ihr befindet Euch hier im Kellergewölbe. Der Saal mit den Hochzeitsgästen befindet sich oben. Ich habe eine ID-Karte für Euch, damit wir ungehindert an den Sicherheitskräften vorbei kommen.«
»Das hast du gut gemacht«, antwortete Raufu. »Bevor wir gehen, werde ich die Bombe präparieren.«
Der Stratege brachte die Bombe an seinem Körper an und verband den Zünder mit seinem Puls. Selbst wenn er getötet wurde, würde die Bombe dreißig Sekunden nach Verlöschen seines Pulses gezündet werden. Seine Feinde würden ihm nicht entkommen.
»Ich bin bereit, gehen wir«, sagte er zu dem Hauri.
*
Gucky, Tyler und Will Dean teleportierten wieder zurück zum Schloss. Sofort begannen sie, nach Raufu zu suchen.
»Wir müssen in den Festsaal, er kommt bestimmt dorthin«, vermutete Tyler.
Hastig begaben sich die drei zum Hochzeitssaal, wo nach wie vor ausgelassene Stimmung herrschte.
Gucky nahm telepathischen Kontakt mit Jeanne Blanc auf und befahl ihr, mit Lane den Raum zu durchsuchen und den Sicherheitsleuten die entsprechenden Instruktionen zu erteilen.
Sie kamen keine Sekunde zu früh. Tyler entdeckte den Hauri inmitten der Menge. Er stand unweit des Hochzeitspaares. Doch Raufu hatte auch Tyler gesehen.
»Töte diesen Mann!«, rief er seinem Gefolgsmann zu.
Dieser zog unter seinem Umhang einen Strahler hervor und schoss sofort auf Tyler. Dieser brachte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit. Hinter ihm kam Will Dean herein und erschoss den Hauri. Die Leute gerieten in Panik und liefen schreiend wild durcheinander.
Raufu nutzte dies und bewegte sich auf den Marquês zu, der mit Orly zusammenstand.
»Orly, das ist ein Terrorist!«, warnte Gucky.
Orlando reagierte schnell und ließ seinen »Schatten« heraus, der den überraschten Raufu niederschlug. Dorys de la Siniestro fing wild an zu schreien und rannte dabei Orly um, der dadurch abgelenkt wurde. Inzwischen hatte sich Tyler durch die Menge gekämpft und Raufu entdeckt, der sich wieder aufrappelte und den Zünder der Bombe aktivieren wollte. Tyler überlegte nicht lange und schoss eine ganze Salve auf den Hauri ab, der tödlich getroffen zusammenbrach.
An seinem Arm wurde der Zünder der Bombe sichtbar. Entsetzt sahen Gucky und Tyler auf dem Display, dass der Countdown der Bombe gestartet wurde.
»Er hat den Zünder mit seinem Puls gekoppelt. In dreißig Sekunden sind wir tot!«, rief Tyler.
Gucky rannte zu der Leiche und entmaterialisierte mit ihr.
»Gucky!«, rief Orly entsetzt.
»Ach, was soll's! Hauptsache, wir leben«, sagte Dorys egoistisch.
Kurz darauf materialisierte Gucky wieder im Festsaal. »Puh, das war knapp. Jetzt habe ich mir aber ein dickes Lob verdient.«
»Wo ist die Bombe?«, wollte Tyler wissen.
Gucky winkte lässig ab. »Och, etwa 2000 Kilometer von hier befindet sich eine menschenleere Wüste. Dorthin hab ich sie geschickt.«
Aus der umstehenden Menge kam Brettany und gab Gucky einen Kuss.
»Du bist unser Retter«, sagte sie.
Gucky fühlte sich wie im siebten Himmel.
*
So endete die Hochzeit des Jahres mit einem Happyend. Sogar die Söhne des Chaos waren froh, dass der Anschlag fehlgeschlagen war, denn sonst wäre auch ihr Leben zu Ende gewesen. Uwahn Jenmuhs war empört und forderte härteres Vorgehen gegen die Terroristen.
Neben Gucky war Sam Tyler der Held des Tages. Auf Rosans Betreiben wurde ein Begnadigungsantrag für ihn gestellt. Die Halbarkonidin hatte sich als würdige Stellvertreterin der Neuen USO erwiesen, während sich der trinkfreudige Jan Scorbit samt seinen »Topagenten« Henner und Henner nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte.
Die Suche nach den Hintermännern der Terroristen würde weiter andauern.
*
Das Schönste an einer Hochzeit
Erschöpft von dem anstrengenden Tag begab sich der Marquês in sein Schlafgemach. Er war nun tatsächlich mit Dorys verheiratet, der Alptraum war Wirklichkeit geworden und er war noch nicht zu Ende.
Als er die Tür zu seinem Schlafzimmer öffnete, stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Auf dem Bett saß Dorys mit Reizwäsche bekleidet und sah ihn lüstern an. Don Philippe stöhnte. Eine schlimme Hochzeitsnacht stand ihm bevor …
04. Januar 1299 NGZ
»Ja, mein Kleiner. Mama wird sich sofort um dich kümmern.«
Das Kind schrie, fühlte sich sichtlich nicht wohl. Die Blue wandte sich dem Kind zu, schob dessen kleinen Bruder, der nur ein Jahr vor ihm geschlüpft war, zur Seite und brachte es zu einer Liege, auf der sie das Kind ablegte. Langsam, mit geübten Bewegungen, wechselte sie die Windeln und entsorgte das volle Paket in einem Abfallschacht.
Danach setzte sie das Kind wieder auf den Boden und beobachtete für einen Augenblick dessen spielende Brüder und Schwestern. Dann wandte sie sich wieder ihren Arbeiten zu.
Was für ein Tag auf Schnrych! Die Sonne lachte; der Sommer war in seine heißeste Phase gekommen. Vor der Tür spielten einige der älteren Kinder und planschten in einem kleinen Becken, das die Eltern in den Garten gebaut hatten.
Abseits der wichtigen Handelsrouten der Insel war die Welt gelegen, auf der sich vorwiegend Blues niedergelassen hatten. Alles wirkte noch neu und improvisiert, denn so lange gab es die Kolonien in Cartwheel noch nicht. Und abgesehen von den Hauptwelten waren sie auch nicht schon mit Infrastruktur versehen gewesen. Mehr als einen Start hatte ihnen DORGON auch nicht zukommen lassen. Deshalb wirkten viele der neuen Kolonialwelten auch noch eher primitiv. Der Standard, den sie dort bekamen, war weit entfernt von dem, den sie in der Galaxis gehabt hatten. Trotzdem war es schön hier. Sie hätte es ja nicht gedacht, aber zu den Pionieren zu gehören, die eine Welt erforschten und für die Blues nutzbar machten, war eine Herausforderung, die sie wesentlich mehr erfüllte, als sie sich hatte vorstellen können.
Die Sonne brannte auf die fremde Welt hernieder, eine fremde Sonne, die ein vergleichsweise merkwürdiges Licht erzeugte. Sie hatte einige Tage gebraucht, bis sie sich an diese neue Welt gewöhnt hatte und am Anfang war sie nicht sicher gewesen, ob es ein schönes Ziel geworden war. Mit ihren Kindern, die sie zu dieser Zeit schon hatte, auf eine weite Reise zu gehen, war ihr zuerst wie eine dumme Idee erschienen. Aber mit der Zeit hatte sie sich nicht nur an den neuen Lebensraum gewöhnt, mittlerweile wollte sie diese neue Stadt gar nicht mehr missen.
Sie hatten diese Ansiedlung an der Küste errichtet, nicht weit von wunderbar kühlem Wasser entfernt, in einer Gegend des Planeten, die eher auf der südlichen Hemisphäre lag, in Breiten, in denen sogar Pflanzen wuchsen, die subtropisches Klima benötigten. Wie ein Paradies war ihnen dieser Teil von Schnrych zunächst erschienen, jedenfalls so lange, bis die ersten Unruhen in Cartwheel ausgebrochen waren. Mittlerweile hatte sich doch vieles auf der Insel verändert, waren viele Dinge geschehen, die das Paradies etwas schal erscheinen ließen. Wobei das weniger an den Örtlichkeiten lag, sondern mehr an den Wesen, die diese Örtlichkeiten belebten. Auf Schnrych war das aber nicht so schlimm. Sie waren weit entfernt von allem, was für die Machthaber der Insel wichtig war, und deshalb nicht von den Problemen betroffen. Noch konnten sie das Paradies genießen.
Es war noch nicht lange her, als sie mit der ganzen Familie, allen vierzehn Kindern und ihrem Mann, an den Strand gefahren und in den kühlen Fluten der warmen Welt geschwommen waren. Es war wundervoll gewesen, vor allem die Kinder hatten viel Spaß. Wobei der jüngste noch nicht alleine ins Wasser durfte, das wäre doch zu gefährlich gewesen, trotz aller Absicherungen, die heutzutage ein Ertrinken verhinderten.
Solche Tage gab es viele, seit sie im Paradies angekommen waren. Und deshalb würde sie niemals auf die Idee kommen, wieder nach Hause zu wollen: In eine Galaxis, in der jeder nur an seine eigenen Interessen dachte. Diese Streitigkeiten hatten sich nur zum Teil auf die Insel mit verlagert, dafür waren andere dazugekommen, neue entstanden. Letztendlich konnten sie froh sein, dass sie sich für einen Teil der Galaxis entschieden hatten, der abgelegen genug war.
Es ist merkwürdig still, dachte sie. Jedenfalls wesentlich ruhiger, als sie es erwartet hätte. Das lag an den Kindern, wurde ihr klar. Sie schrien nicht mehr. Es war so still, wie es schon sehr lange nicht mehr gewesen war. Bevor die ersten Kinder geschlüpft waren.
Sie ging zurück ins Haus und zu ihren Jungen. Sie standen alle im Kreis und blickten auf eine Stelle, die sie nicht einsehen konnte. Schnell trat sie zwischen die Kinder und schob sie zur Seite. Da sah sie ihren jüngsten, der auf dem Bauch lag und die Augen, die nach hinten blickten, geschlossen hatte. Sie fiel neben ihm auf die Knie und drehte ihn auf den Rücken. Auch die Augen an der Vorderseite des Tellerkopfes waren geschlossen. Der Mund war leicht geöffnet, der Flaum am Hals flatterte leicht. Sie legte die Hand auf eine Stelle, an der sich der Puls normalerweise fühlen ließ, aber da war nichts mehr. Sie wollte es nicht wahrhaben, sprang hoch und löste einen Alarm aus. Nur wenige Minuten dauerte es, bis die Sanitäter eingetroffen waren, und sich das Paradies in ihre ganz persönliche Hölle verwandelte.
»Er ist tot. Vergiftet. Da können wir nichts machen.«
Ratlos umstanden die Männer den kleinen Leichnam. Da ertönte der Alarm erneut, sie wurden zu einem weiteren Einsatz gerufen. Wieder ein Kind. Wieder bewegte es sich nicht. Es sah aus, als hätten sich andere Völker daran erinnert, dass es immer noch Welten in Cartwheel gab, auf denen man vergleichsweise ruhig leben konnte. Und die das ändern wollten.
Aber das interessierte sie schon nicht mehr. Sie schluchzte leise und wartete auf ihren Partner, der von dem Unglück bereits wusste und von seinem Arbeitsplatz auf dem Weg nach Hause war. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, hierher zu kommen.
Und der Spielmann, ein Geschenk, den sie beim letzten Einkauf bekommen hatte, saß in der Ecke und grinste. Zum ersten Mal erschien ihr die Fratze hämisch, das Lächeln wie eine Verhöhnung.
Eigentlich hatten sie sich das alles ganz anders vorgestellt. Nicht so gefährlich, nicht so tödlich für viele Menschen, die gar nichts damit zu tun hatten. Aber immer wieder mussten sie, seit sie auf dieser merkwürdigen Insel eingetroffen waren, miterleben, wie Lebewesen von anderen Lebewesen getötet wurden. Ein Paradies war ihnen versprochen worden, aber sie hatten eine Hölle bekommen.
*
Der Elfahder plätscherte frustriert in seiner Rüstung und gab damit dem Ophaler zu verstehen, dass er mit der Situation nicht zufrieden war. Araan Taak konnte ihm da aber nicht helfen. Auch er tat nur, was in dieser Situation das Beste war, nämlich die Ideale Ijarkors nicht zu verraten.
Der Ophaler rief sich in die Erinnerung zurück, was er von dem Pteru wusste. Ursprünglich ein Ewiger Krieger, ein Stellvertreter der ESTARTU, hatte er den pervertierten dritten Weg als Wichtigste aller Philosophien für sich in Anspruch genommen und damit vielen, die nach persönlicher Freiheit und Wohlstand strebten, das Leben schwer gemacht. Auch als die Galaktiker damals in ihre Mächtigkeitsballung gekommen waren, hatte sich zunächst nichts geändert. Im Gegenteil, von Kodexmolekülen überwältigt, waren sie übergelaufen, hatten die Lehre des dritten Weges akzeptiert und waren der Upanishad beigetreten. Ein Terraner namens Julian Tifflor war einer der ersten gewesen, die die Prüfung damals erfolgreich abgelegt hatten. Bis zum heutigen Tag konnte der Terraner die Lehren der Upanishad nicht vergessen und folgte noch immer vielen ihrer Riten und Philosophien, aber lenkte sie nun in eine positive Richtung.
Ähnlich hatte sich auch Ijarkor entschieden. Nachdem klar war, dass die Lehre des dritten Weges so nicht mehr haltbar war, hatte er sich als einer der ersten Ewigen Krieger, noch bevor die Niederlage überhaupt feststand, abgewandt von diesen Ideen und seine eigenen Ideale in Frage gestellt.
Was danach geschehen war, wusste wohl nur der große Ijarkor selbst. Jedenfalls war der Ewige Krieger in all den Jahren, die ihm noch verblieben waren, auf die Seite der Guten gewechselt, hatte sich dafür entschieden, all jenen, denen er Verderben gebracht hatte, nun Gutes zu tun und ihnen zu helfen. In seinem Bestreben war er nie allein gewesen. Bereits nach kurzer Zeit hatten sich Helfer um ihn versammelt, die sich dann auch mit der Zeit so genannt hatten. Die Helfer Ijarkors waren bald ein Mythos in den zwölf Galaxien geworden.
Lange Jahre war er verschwunden gewesen, bis er dann plötzlich wieder auftauchte, persönlich und offensichtlich noch sehr am Leben. Heute wussten die Helfer, dass sie immer noch ihrem Meister dienten. Er hatte keinen Zellaktivator. Wie er so lange überlebt hatte, blieb ein Rätsel, das sie irgendwann vielleicht einmal lösen würden.
Die Helfer beobachteten die Völker der restlichen fünf Galaxien der ESTARTU-Mächtigkeitsballung und halfen hier und da. So auch als Sam sein Volk vor einer Infiltration durch die Dorgonen warnte.
Und dann waren sie von DORGON aufgefordert worden, mit den Galaktikern und Dorgonen, Saggittonen und vielen anderen nach Cartwheel zu gehen. Ein Experiment war ihnen angekündigt worden, ein Staatenbund, ein Zusammenschluss von Vielen zum Wohle Vieler. Sie hatten zugestimmt, weil solche Ideale durchaus hehr waren. Jedenfalls grundsätzlich.
Aber bald schon hatten sie erleben müssen, wie sich immer mehr von diesen Galaktikern auf politisches Gezänk einließen, wie auch viele andere ihren eigenen Interessen folgten und aus der Idee einer friedlichen Gemeinschaft etwas vollkommen anderes wurde.
Heute war das politische Gezänk vorherrschend. Wer der eigentliche Machthaber war, war gar nicht so klar. Sam, immer noch Generalsekretär und außerdem ein Somer, versuchte, mit all seiner Macht gegenzuhalten. Der Ophaler war sich nicht sicher, ob das noch lange gutgehen würde. Auf ihn wirkte der Somer schwach, ein Papiertiger, den viele der Nationen manipulierten, wie es ihnen beliebte. Aber das war nur sein Eindruck. In Wahrheit war Sam noch immer eine starke Figur, das bewies er immer wieder.
Jedenfalls konnte er das ungeduldige Schwappen im Exoskelett des Elfahders durchaus verstehen. Auch er selbst war mit dieser Situation nicht zufrieden. Und zu allem Überfluss fingen nun auch wieder die mysteriösen Anschläge an.
Er atmete tief durch und wandte sich um, seinem Schiff zu. Gemeinsam kehrten sie in die METEOR zurück.
Auf einer der Außenwelten Cartwheels hatten sie sich niedergelassen. Anfangs waren sie nur ungern den Verlockungen gefolgt, hatten sich dann aber schnell überzeugen lassen. So sicher fühlten sie sich in der Galaxis nicht mehr, seit Terroristen, die sich sowohl gegen die Terraner als auch gegen die Arkoniden zu wenden schienen, immer mehr das Feld beherrschten. Es war in der Heimat ungemütlich geworden und damit war sie derzeit nicht der rechte Platz für das Kind, das sie erwarteten.
Gedankenverloren strich sich die junge Frau über den Bauch und warf einer Holographie ihres Mannes einen verliebten Blick zu. Sie bereute nicht, dass sie sich auf den Ehevertrag eingelassen hatte. Mittlerweile hatten sie natürlich das Kind schon bekommen, das damals mit ihnen gekommen war. Es war bereits das zweite, das nun unterwegs war, und sie hatte es ihm noch gar nicht gesagt. Später würde sie ihn in der Stadt treffen.
Gedankenverloren nahm sie einen Schluck aus dem Glas und ließ das kühle Nass genießerisch durch ihre Kehle rinnen. Wasser war auf einer Kolonialwelt ein wertvolles Gut, das für das Überleben aller extrem wichtig war. Und sie hatten hier auch mehr als genug davon gefunden. Sie hatten das Richtige getan, da war sie sich sicher.
Nur kurz dachte sie an Terrania, die Hauptstadt der Menschheit. Sicher vermisste sie viele der Geschäfte, die es dort gegeben hatte – die Boutiquen, die Flaniermeilen, den vertrauten Anblick der Solaren Residenz, die es so lange ja noch gar nicht gab, und die doch sehr schnell zu einem Symbol für die Menschen der Erde geworden war. Anfangs hatte sie sich gar nicht damit identifizieren können. Zu bombastisch hatte die Residenz gewirkt, zu sehr war sie wie ein Symbol erschienen und hatte damit etwas verkörpert, was sie nicht gut hieß. Symbolik war nie gut für ein Volk, jedenfalls, wenn sie übertrieben war. Aber die Residenz hatte doch etwas Magisches. Dieses schwebende Gebilde, das so sehr die Hauptstadt dominierte, mit ihren Cafés und dem Museum, mit ihren Möglichkeiten, in direkten Kontakt mit den Vertretern der Menschheit zu kommen. Sie war schon eine gute Idee gewesen.
Aber sie war nicht mehr in Terrania.
Und auf ihrer neuen Welt, da war alles noch ganz anders. Sicher, auch hier gab es Boutiquen und Flaniermeilen. Auch hier konnte man als junge Frau gut leben und ihre Bedürfnisse decken, aber so, wie sie sich oft fühlte, mussten sich die ersten Bewohner von Welten wie Plophos, Olymp, Nosmo und den anderen Kolonialwelten Terras gefühlt haben. Es war ein Gefühl von Freiheit, ein Gefühl von Verantwortung und auf der anderen Seite das Gefühl, dass alles noch irgendwie unfertig war. Sie lebten nun schon einige Zeit hier, aber es gab noch immer große Bereiche, die provisorisch wirkten, die aus modularen Containern errichtet waren, die wie Bungalows aussahen, aber dennoch nicht so solide wie die Bebauung, die sie von Terra gewohnt war.
Sie blickte verstört vor sich auf die Anrichte, als sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Bauch verspürte. Das Kind konnte sich doch noch nicht regen, dazu war es noch lange nicht alt genug. Nein, das war auch nicht im Bauch, das war im Magen. Sie zwinkerte, als plötzlich alles so verschwommen wirkte, aber dann klärte sich ihr Sichtfeld und sie fühlte sich wieder normal.
Achselzuckend wandte sie sich ab und verließ den kleinen Wohnblock, den sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewohnte. Vor der Tür musste sie nur wenige hundert Meter laufen, bis sie in die Zentrumsgebiete der neuen Ansiedlung gelangt war. Hier, weitab von den normalen Handelsrouten in Cartwheel, fand man nicht ganz den Überfluss, wie man ihn auf den neuen Welten fand, die von ausziehenden Völkern zuerst besiedelt worden waren. Während da bereits die gesamte Infrastruktur vorhanden war, waren auf einigen der neueren Kolonialwelten keine Häuser, Städte, Kanalisationen, Straßen, Beleuchtungen und was man sonst so brauchte zu finden. Sie mussten erst geschaffen werden und darüber musste der Luxus warten, den sie aus ihren Welten gewohnt waren.
Trotzdem gab es schon die Möglichkeit, einkaufen zu gehen und alles, was man zum Leben benötigte, war hier auch schon zu finden.
Sie bemerkte, dass es vor ihr einen Auflauf zu geben schien. Die Menschen drängten sich vor einem der Geschäfte dicht zusammen, gaben aber den Weg frei, als die ersten Mitglieder der Rettungskräfte erschienen. Sie beachtete den Vorfall nicht weiter. Dort vorne war schon das Geschäft, in dem sie sich mit ihm verabredet hatte. Später würden sie noch in eines der Cafés gehen, die letzten Sonnenstrahlen genießen und dann würde sie ihm von dem Kind erzählen. Sie wusste, dass er sich freuen würde. Er liebte Kinder. Auch wenn ihr anderes Kind gerade noch bei der zentralen Betreuung war, würde er später wieder mit dem Kleinen spielen und die neue Welt als das annehmen, was sie sehr schnell geworden war: eine neue Heimat.
Das Schwindelgefühl, das schon seit einiger Zeit in ihrem Kopf fühlbar war, das sie aber ignoriert hatte, wurde nun deutlicher. Sie taumelte, hatte sich aber schnell wieder gefangen. Da war er schon! Sie winkte ihm zu, rannte ihm entgegen und knickte nur einen Schritt vor seinen ausgebreiteten Armen in den Knien ein. Als sie auf dem Boden aufschlug, spürte sie schon nichts mehr. Ihr Herz beschleunigte, schlug über zweihundert Mal in der Minute. Dann setzte es aus, noch bevor ihr Mann nach den Rettungskräften gerufen hatte. Die hatten alle Hände voll zu tun, weil in diesem Augenblick überall in der Stadt nach ihnen verlangt wurde. Sie starb, noch bevor er erfahren konnte, dass sie schwanger war.
*
Er sank kraftlos auf den Stuhl, vergrub das Gesicht in den Händen. Verblüfft, ein wenig verzweifelt und vollkommen fassungslos, hatte er immer noch ihr Bild vor Augen, wie sie direkt vor seinen Augen zusammengebrochen und einfach erloschen war, wie eine Kerze, die ein zu starker Luftzug ausgepustet hatte. Sie war schwanger gewesen, wie ihm die Sanitäter mitgeteilt hatten und jetzt war ihm auch klar, was sie von ihm gewollt hatte. Deshalb hatte sie den Kleinen vorübergehend bei der zentralen Betreuung abgegeben, um an diesem Abend mit ihm allein zu sein.
Nun verstand er, aber das war kein Trost. Er hatte den kleinen abgeholt und war wie betäubt nach Hause gegangen. Und zum ersten Mal, seit sie hier waren, fragte er sich, ob sie nicht besser zu Hause geblieben wären, sich all dem Terror gestellt und das Leben trotzdem genossen hätten. Dann wäre sie heute auf jeden Fall noch bei ihm. War es seine Schuld? Nein, diese Entscheidung hatten sie zusammen getroffen. Wie auch immer, er konnte nichts daran ändern.
Er hob den Kopf und warf einen Blick in die Wiege, in der das Baby lag, alles was ihm noch von ihr geblieben war. Das Kind und die Bilder und Filme aus besseren Zeiten, die noch gar nicht so lange her waren und doch so unendlich fern erschienen.
In der Wiege lag ein Spielzeug, das er noch nicht bemerkt hatte. Das musste der Spielmann sein, von dem sie ihm während ihres kurzen Gesprächs am Mittag erzählt hatte. Das Spielzeug lag neben dem Kind, das schlief und nichts von allem wusste, was passiert war. Das Gesicht zeigte ein Lächeln. Es wirkte irgendwie verzerrt, höhnisch, so als wolle es ihm etwas sagen.
Aber das kam ihm sicher nur so vor, in dieser Situation verständlich. Seine überreizten Nerven spielten ihm einfach einen Streich. Er wandte sich ab und ließ sich auf das Sofa nieder. Mit mechanischen Bewegungen entkorkte er den Vurguzz und schenkte sich ein Glas davon ein. Eigentlich hatten sie ihn für eine besondere Situation aufbewahren wollen. Aber das war sinnlos. Man musste das Leben genießen, solange man es noch hatte. Für sie war es zu Ende. Und für ihn in dieser Form ebenso.
Gedankenverloren nahm er einen Schluck aus dem Glas. Sie hatten ihnen ohnehin das Wasser abgestellt. Da konnte er genauso gut Alkohol trinken.
Sam saß einsam in seinem Büro und sichtete die Schreckensmeldungen, die da herein flatterten. Zunächst der Babypuder auf einer Welt der Gataser, den man mit einer giftigen Substanz vermischt hatte, der sich als gefährlicher Reizstoff herausstellte. Dann noch die Meldungen von einer Kolonialwelt in den Randgebieten von Cartwheel, auf der mehrere tausend Menschen an einer Trinkwasservergiftung gestorben waren. Das Wasser war absichtlich vergiftet worden und offensichtlich wieder von einem Unbekannten, der sich zunehmend zu einer Geißel in Cartwheel entwickelte. Wenn man ihn nur greifen könnte, aber es gab keine Hinweise, weder von Seiten der Neuen USO noch vom TLD und auch nicht von anderen Geheimdiensten, mit denen man sich ausgetauscht hatte. Trotzdem musste da jemand sein. Und es musste möglich sein, ihn zu finden. Wenn nicht, dann würde das noch lange so weitergehen.
Schweigend verfolgte der Somer noch einige Zeit lang das Treiben auf den Schirmen, in denen immer mehr Berichte von den Anschlägen zu finden waren. Die Menschen wollten eigentlich nur in Frieden leben. Aber es gab viele, die das anders sahen. Vor allem auf Seiten der Politiker waren sie zu finden. Und deshalb gab es keine Ruhe in dieser neuen, fremden Welt, die langsam zu einer Heimat wurde.
Und trotzdem hatte der Somer nicht den Eindruck, dass sie sich diese Heimat verdienten. Was hier passierte, war grausam und entsprach nicht dem, was er erwartet hatte. Auf der anderen Seite hätte er es wissen müssen. DORGON hatte deutlich genug gemacht, dass es eine Prüfung werden würde. Und nun war es eine geworden. Wieso war er eigentlich überrascht?
Er erhob sich und ging auf den Balkon. Ganz am Anfang hatte er schon einmal hier gestanden und seither immer wieder, in die Betrachtung dieser Welt versunken. Es war eine Welt, die DORGON als Zentrale vorgesehen und ausgebaut hatte. Es gab hier das Parlamentsgebäude, das eine Begegnungsstätte für all die verlogenen Politiker dieser Welt geworden war. Jeden Tag musste er sich mittlerweile diesen Intrigenspielen stellen. Er war Diplomat und als solcher einiges gewohnt. Aber hier wurde es immer schlimmer, vor allem von Seiten dieses arroganten Arkoniden.
Jenmuhs war es ein Dorn im Auge, dass er als Somer der Generalsekretär geworden war. Viel eher sah er einen Arkoniden in dieser Rolle und das machte er auch immer wieder deutlich. Er warf ihm nie direkt Inkompetenz vor, dazu war er viel zu diplomatisch. Aber er ließ keine Gelegenheit aus, ihm seine Fehler vorzuhalten. Natürlich hatte er als Politiker das Recht dazu, vor allem da sie eindeutig unterschiedlicher Meinung waren. Aber es war nicht das, was Sam wollte und er hatte sich in letzter Zeit öfter Gedanken gemacht, ob er nicht besser zurücktreten sollte. Immer wieder hatte er sich dagegen entschieden, weil er sein Amt als Privileg mit hoher Verantwortung begriff. Er war eine Hoffnung für diese Welt, das machte er sich in aller Bescheidenheit klar und er würde so lange ausharren, wie es nur ging.
Vielleicht war damit schon morgen Schluss. Ein Antrag lag ihm vor, der von Jenmuhs kam. Aufgrund der Vorfälle der letzten Zeit berief der Arkonide eine Sitzung ein. Die Überschweren unterstützten das und damit war klar, dass sie sich morgen treffen würden. Sam war sich darüber im Klaren, was das Thema sein würde. Nichts weniger als die Anschläge, die in den letzten Stunden bekannt geworden waren. Fröstelnd zog er die Schultern hoch, obwohl es durchaus noch warm war an diesem Abend. Die unterschiedlich gestalteten Anlagen der diplomatischen Vertretungen erhellten sich langsam und erstrahlten in einem Glanz, der nicht zur Insel in ihrem derzeitigen Zustand passte.
Trotzdem entspannte er sich und atmete tief durch. Sein leicht ergraut wirkendes Gefieder gewann etwas von dem Glanz zurück, das man von ihm gewohnt war. Morgen würde er wieder kämpfen, auch wenn er nicht sicher war, ob es überhaupt einen Sinn hatte.
Der Somer saß äußerlich entspannt in seinem Sessel, aber wer ihn genau betrachtete, konnte sehen, dass er sich unwohl fühlte. Seine schlanken Hände lagen auf den Armlehnen des Drehsessels, der hinter seinem Schreibtisch stand, und klammerten sich regelrecht daran fest. Vor wenigen Sekunden erst hatte er die Meldung bekommen, dass die Sendungen auf dem Inselsender unterbrochen worden waren und stattdessen ein lächelnder Spielmann zu sehen war. Da man solche auf den Welten gefunden hatte, auf denen es in der jüngsten Vergangenheit zu Anschlägen gekommen war, war allen Beteiligten klar gewesen, dass es sich wohl nur um eine Sendung handeln konnte, die von dem Attentäter initiiert worden war.
Will Dean saß Sam gegenüber und fixierte ihn für wenige Augenblicke. »Dir ist schon klar, dass es sich nicht um den wahren Attentäter handeln muss? Es kann ein Trittbrettfahrer sein, oder er kann sich hinter einer Maske verstecken. Es muss nicht sein, dass wir irgendetwas erfahren.«
Rosan Orbanashol-Nordment schüttelte sofort den Kopf und ließ Sam, der sowieso nichts sagte und die Hände nun vor dem Gesicht wie zu einem Dach zusammenlegte, gar nicht zu Wort kommen.
»Dazu hätte wohl kaum einer die Mittel. Und wenn doch, dann ist er mindestens genauso gefährlich, wie dieser Attentäter. Darüber hinaus glaubst du doch nicht wirklich, dass er sich verstecken wird, wenn er eine Sendung ankündigt? Ich glaube eher, in diesen Kreisen ist es üblich, sich groß anzukündigen, um dann mit seinen Taten zu prahlen.«
»Was auch immer.« Der Somer hatte die Hände, die eben noch eine Pyramide bildeten, ruckartig zu den Seiten gestreckt und damit jeglicher Erwiderung von vorne herein die Grundlage geraubt. »Wir werden es mit einiger Sicherheit gleich erfahren.«
In gespielter Verzweiflung schüttelte er den Kopf. Er wusste schon, was er an den beiden Agenten hatte, aber manchmal war es nicht einfach. Schuldbewusst senkte Rosan Orbanashol-Nordment den Kopf, während Will Dean sein Gesicht verzog. Sein Grinsen erinnerte entfernt an den Smiler, nur fehlten ihm die Narben und auch die Hautfarbe korrespondierte nicht ganz. Trotzdem hatte der Agent des TLD mit dem Smiler eine Menge gemeinsam.
Langsam verblasste der Spielmann, während gleichzeitig eine Gestalt darüber geblendet wurde. Sie drehte der Kamera noch den Rücken zu, wandte sich dann aber langsam um. Etwa mittelgroß und sehr schlank war die Gestalt. Kleine Augen, in tief liegenden Höhlen, funkelten fanatisch in die Kamera. Zunächst waren sie grau, verwandelten sich dann aber in ein grün glühendes Funkeln, das immer dann auftrat, wenn sich Angehörige seines Volkes erregten. Und der Fremde war erregt.
»Hauri.« Fast lautlos flüsterte Will Dean es den beiden anderen zu, die das ohnehin schon selbst erraten hatten.
»Die Lehre des Hexameron ist nicht tot. Der Herr Heptamer wird wiederkehren und er hat mich dazu auserkoren, so lange an seiner statt über diese armselige Insel zu herrschen. Nicht nur über sie, aber es ist immerhin ein Anfang.« Er grinste leicht, aber nur für einen Augenblick, dann schien sich das grüne Funkeln in seinen Augen noch zu verstärken.
»Am besten, du übergibst mir die Galaxis ohne weiteren Widerstand. Dann wird der Herr Heptamer euch vielleicht verschonen. Ich werde wiederkommen und ihr werdet mich niemals vergessen, so wahr ich Afu-At-Tarkan heiße.«
Er schloss die Augen, sog die Luft in die Lungen und atmete langsam aus. Dann lachte er, für einen Augenblick wirkte er fast wie der Spielmann, der sein Markenzeichen war. Die Kameras blendeten ihn aus, ersetzten ihn wieder durch den Spielmann. Nur wenige Augenblicke später war von dem Spuk nichts mehr zu sehen.
Will Dean wirkte nicht sonderlich beeindruckt. »Nun kennen wir den Gegner. Und wie wir wissen, ist ein Gegner, den man kennt, nur noch halb so schlimm.«
»Ich bin mir nicht so sicher.« Sam erschauerte.
Dean wusste nicht, was der Somer meinte, dass sie den Gegner nun kannten oder dass er dann nur noch halb so schlimm war. Aber er kam auch nicht mehr dazu nachzufragen.
Rosan schüttelte ihre Gänsehaut, die sie nur kurz beeinträchtigt hatte, ab und erhob sich.
»Sehr aufschlussreich«, meinte sie. »Ich denke, wir sollten uns darum kümmern. Und ich weiß auch schon, wer uns dabei helfen kann. Wir sollten Ijarkor fragen. Kommst du mit?«
Der Blick, mit dem sie Will Dean bedachte, wirkte nur einen Augenblick überheblich, trotzdem zuckte der Terraner zusammen. Er konnte nicht verhindern, dass er sich ihr für eine Sekunde unterlegen fühlte, dann kehrte das Grinsen wieder in sein Gesicht zurück. Er ärgerte sich, dass sie es geschafft hatte, ihn aus der Reserve zu locken, und das mit so einfachen Mitteln.
Er nickte. »Aber klar. Arkoniden kann man nichts alleine machen lassen, auch wenn sie keine richtigen sind.«
Der Scherz verpuffte wirkungslos. Keiner der anderen beiden ging darauf ein. Schweigend verließen sie den Raum, nachdem sie dem Generalsekretär zugenickt hatten.
*
Das übliche Gemurmel, das von einer großen Gruppe von Wesen in einem großen Raum verursacht wurde, war zu hören. Sie waren alle gekommen, waren alle zu dieser Versammlung am Nachmittag erschienen. Nach der Ansprache des Hauri Afu-At-Tarkan hatte sich niemand von dieser Versammlung ausgeschlossen, nicht einmal die Hauri selbst, die zu Beginn der Versammlung deutlich machten, dass sie mit dieser Anschlagserie nicht das Geringste zu tun hatten. Viele der anderen Volksvertreter glaubten ihnen nicht.
Sam schwieg und ließ die Atmosphäre in dem Saal auf sich einwirken. Er genoss das Gefühl, Verantwortung zu tragen, immer noch. Hatte er gestern noch sorgenvoll daran gedacht, sein Amt aufzugeben, war davon heute nichts mehr zu spüren. Vor allem nach den Bekenntnissen des Hauri war ihm klargeworden, dass er sich nicht davonstehlen würde. Sie brauchten ihn hier und so lange er das Gefühl hatte, dass er noch die Kraft dazu hatte, seiner Aufgabe nachzukommen, würde er nicht zurücktreten.
Das Murmeln war immer noch deutlich zu hören. Außer den Hauri hatte offenkundig niemand etwas zu sagen. Aber Sam wusste, dass das nur Taktik war. Er hatte den einstigen Anhängern der Lehre des Hexameron den Vortritt gelassen, weil ihm klar war, dass ihre Aussage für den Frieden in der Insel wichtig war. Andere Anträge hätte er sicher abgelehnt. Aber Jenmuhs wollte ohnehin auf seine Rede warten. Und sicher würde er dann nicht zögern, des Somers vermeintliche Fehler anzuprangern. Es würde am Ende laufen wie immer: Nicht sehr schön, aber erfolgreich für Sam. Jenmuhs war zu leicht auszurechnen und letztendlich galt das genauso für Nor'Citel.
Langsam erhob er sich, schwebte in die Mitte des Raumes und hob die Arme. Ruhe kehrte ein, die aber sogleich von einem Konzert aus Protestrufen abgelöst wurde. Vor allem die Arkoniden und die Gesandtschaft der Überschweren machte ihrer Empörung lautstark Luft. Sie kritisierten in erster Linie, dass verdächtige Volksgruppen wie Pterus, Dscherro und die Hauri überhaupt in das Parlament gelassen wurden. Sam blieb gelassen, ließ sie sich austoben. Er wusste, das gehörte zu dem Spiel, das zu spielen diese Starrköpfe wohl niemals müde wurden. Er senkte langsam die Arme und tatsächlich kehrte Ruhe ein.
»Nun wissen wir also, wer hinter den Anschlägen steckt. Zumindest gibt es jemanden, der sich dazu bekennt. Aber bringt uns das weiter? Ich meine nicht. Deshalb habe ich bereits meine Vertrauten damit beauftragt, die Hintergründe zu recherchieren. Wenn es diesen Afu-At-Tarkan wirklich gibt, dann werden wir ihn finden.«
Er brach ab, denn wandte er sich an die Arkoniden.
»Aber deshalb sind wir nicht hier. Ihr habt um diese Unterredung gebeten und ihr habt das zusammen mit den Überschweren getan. Deshalb möchte ich hiermit Uwahn Jenmuhs das Wort erteilen. Ich bitte, an meine Seite zu kommen.«
Er schwebte einige Meter zur Seite und wartete, bis der Arkonide neben ihm angekommen war, dann flog er zurück in seine Loge. Er blieb aber in Bereitschaft, weil ihm durchaus klar war, dass er bald wieder verlangt werden würde.
»Ich danke dem Generalsekretär.«
Der Arkonide richtete sich auf. Mit arrogantem Blick musterte er die Anwesenden und besonders intensiv die Pteru und Hauri. Dann begann er mit seiner Rede. Durchaus geschickt stellte er dar, wie die Attentäter es geschafft hatten, entgegen aller Vernunft manche ihrer Verbrechen zu begehen und steuerte auf sein Ziel zu, das Sam deutlich vor den Augen stand. Schließlich war es so weit, er hatte seine Argumentation abgeschlossen. Geschickt, aber für einen Diplomaten wie Sam, der schon so lange im Geschäft war, durchaus vorhersehbar.
»Wie aber kann es dazu kommen, dass eine Organisation, die nicht einmal so mächtig sein kann, wenn man bedenkt, dass ihre Mitglieder offensichtlich rückständigen und vollkommen unzivilisierten Völkern entstammen, einen solchen Anschlag wie die Vergiftung hochwertigen Trinkwassers eigentlich durchführen können? Das ist natürlich nur dann möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Auf den Welten der Terraner wundert mich das eigentlich, denn die sind vorbildlich von dem Marquês geführt.«
Es war reine Berechnung, die einen zu beleidigen und die anderen so offensichtlich zu loben, erkannte Sam.
»Trotzdem ist es klar, wenn die Führung insgesamt so schwach ist. Sieh es endlich ein, Somer, du bist nicht der Richtige auf diesem Posten. Du solltest dir selbst einen Gefallen tun und uns endlich von deiner Anwesenheit erlösen. Das Volk der Arkoniden verlangt, dass du mit sofortiger Wirkung zu unseren Gunsten zurücktrittst.«
Unter dem tosenden Applaus seiner Anhänger, die sich vor allem aus den Reihen der Arkoniden und Überschweren rekrutierten, aber auch einige andere erfassten, von denen der Somer das eigentlich nicht erwartet hätte, verließ er seine Position und schwebte in seine Loge zurück. Es gefiel dem Arkoniden nicht, dass es fast ebenso viele Stimmen gab, die sich gegen ihn wandten.
Sam schwebte wieder in die Mitte des Raumes und wartete, bis sich die Stimmung im Saal beruhigt hatte. Viele warteten auf seine Erwiderung, die aber vollkommen klar war.
»Ich danke dem Vertreter der Arkoniden und, wie ich mich überzeugen konnte, auch einiger anderer Völker.« Er legte genau das richtige Maß an Sarkasmus in seine Stimme. Jenmuhs bewahrte eine gleichgültige Miene.
»Trotz allem bin ich nicht der Meinung, dass die Arkoniden oder ihre Freunde in dieser Situation die Führung übernehmen sollten. Im Gegenteil, ich selbst bin mit den Abwehrmaßnahmen gegen den Terror bestens vertraut und versichere hiermit, dass von unserer Seite alles getan wird, was nötig und möglich ist, um dem Terror ein Ende zu bereiten. Wir sind in einer Position, in der uns nicht alle Mittel recht sein dürfen und gerade aus diesem Grund glaube ich nicht, dass die Idee des hoch geschätzten Vertreters der Arkoniden begrüßenswert ist. Ich werde deshalb auch weiterhin meine Aufgabe erfüllen und mit all meiner Kraft für unsere Sache streiten. Und unsere Sache, das wollen wir doch trotz allem nicht vergessen, ist immer noch eine Aufgabe, die uns DORGON gestellt hat.«
Die letzten Worte hatte er mit leicht erhobener Stimme gesprochen. Die Automatik reagierte und regelten die Lautstärke seines Mikrophons, sodass die Worte immer lauter und drohender erschienen, bis sie schließlich in dem akustisch optimal geformten Saal langsam verklangen.
Sam registrierte, dass sich zwar nicht der Arkonide und auch nicht der Überschwere, aber doch viele der anderen Völker davon beeindrucken ließen. Er nickte allen kurz zu.
»Ich erkläre die Sitzung damit für beendet. Wenn ihr gestattet, werde ich nun wieder zu meiner Arbeit zurückkehren. Ich werde euch über alle weiteren Maßnahmen auf dem Laufenden halten.«
Er schwebte an seinen Platz zurück und verließ den Saal. Langsam leerten sich die Reihen hinter ihm, aber davon bekam er schon nichts mehr mit. In Gedanken war er bei den Agenten des TLD und der Neuen USO. Hoffentlich würden sie bald Ergebnisse erzielen.
*
Aus den Archiven der USO stammten die Koordinaten, zu denen sie das kleine Raumschiff geschickt hatten. Rosan hatte sie ohne lange zu diskutieren in seine Speicherbänke überspielt. Allerdings handelte es sich dabei keineswegs um die Koordinaten der Welt, auf der sich Ijarkor derzeit aufhielt. Vielmehr wurden sie zu einer kleinen Sonne geleitet, die vor allem im Hyperspektrum strahlte und damit eine Menge Lärm für die Orter erzeugte. Scheinbar aus dem Nichts, vermutlich aber eher von irgendwo aus dem Orterschatten des Hyperstrahlers, wurden ihnen neuerlich Koordinatensätze übermittelt, denen sie folgten. Auf einem Mond schließlich landeten sie und verließen das Schiff.
Die Raumanzüge behinderten sie kaum, die mangelnde Schwerkraft hingegen schon. Zumindest, bis sie die Mikrogravitatoren aktivierten, die Normalgravitation simulierten. Neben dem eigenen Schiff standen noch drei weitere, eines der Baureihe der Somer entstammend, während die anderen beiden aus mehreren Kugelsegmenten bestanden, wie es für die Schiffe der Elfahder charakteristisch war.
Dieser Mond war nirgends verzeichnet und deshalb von Ijarkor zu seinem Hauptquartier erwählt worden. Dass sich nur so wenige Schiffe hier befanden, war einerseits erstaunlich, auf der anderen Seite aber durchaus verständlich. Immerhin war es sicherer, je weniger Flugverkehr hier herrschte. Solange niemand wusste, wo sich der ehemalige Ewige Krieger aufhielt, war natürlich auch nur schwer an ihn heranzukommen. Und es gab viele in dieser Galaxis, die den Helfern sehr kritisch gegenüberstanden. Vor allem waren dies die Völker Arkons und die Überschweren, denn letztendlich waren die Helfer ein Machtfaktor, fast so gefährlich wie die USO oder der TLD. Die Geheimdienste der anderen Nationen waren sicher schon auf der Suche. Noch war es hier aber ruhig.
Neben einem der Schiffe rührte sich etwas. Aus einer Schleuse löste sich ein Exoskelett und kam mit langsamen, merkwürdig ruckhaften Schritten näher. Wenige Schritte vor ihnen verhielt der Elfahder und stand schweigend still.
Rosan räusperte sich, sagte aber nichts, als der Elfahder die Hand hob und in eine Richtung deutete, in der sich lediglich eine Ansammlung von Felsbrocken befand, die verstreut auf einer Ebene lagen. Hinter den Felsbrocken erhob sich eine nahezu senkrechte Felswand, die allerdings nicht sehr hoch war.
Schweigend folgten sie dem Elfahder, der sie zwischen den Steinen hindurch geleitete und auf die nackte Felswand zuging. Will Dean warf einen Blick über die Schulter zurück und sah noch einmal zu ihrer Jet, die zwischen den Felsbrocken und den drei Schiffen der Helfer geparkt stand.
Dann richtete er den Blick wieder auf die Felswand, die einen undurchdringlichen Eindruck machte. Wenn der Elfahder auf diese Wand zuging, dann musste da aber noch mehr sein. Als sie das Gestein erreicht hatten, verschwand der Elfahder plötzlich. Er schien durch den Fels hindurch zu diffundieren. Als er verschwunden war, erschien plötzlich wieder die Hand des Exoskeletts und winkte ihnen, ihm zu folgen.
Zögernd trat Will auf die Wand zu, wurde aber von Rosan überholt, die ohne jeglichen Verzug gegen die Felswand lief und darin verschwand. Offensichtlich handelte es sich lediglich um eine Projektion und ein Prallfeld, das verhinderte, dass die Atmosphäre in dem Raum dahinter entweichen konnte. Will war etwas verblüfft, denn seine Orter stellten nichts fest. Die Dämpfungsfelder entsprachen zumindest terranischem Standard, vielleicht sogar dem arkonidischen.
Hinter der getarnten Tür lag eine Halle, die sie gemeinsam durchquerten. Sie wirkte wie ein Hangar, ein Schiff stand dort, wichtiges technisches Innenleben war neben dem Schiff ausgebreitet. Offensichtlich wurden hier Schiffe der Helfer gewartet. Der technische Standard dieses Hangars war durchaus beeindruckend. Die Helfer hatten mehr zu bieten, als Will Dean gedacht hatte. Nur kurz tauschten sie einen Blick aus, der Verwunderung und auch durchaus einen gewissen Respekt vor den Leistungen der Organisation ausdrückte.
Hinter dem Hangar betraten sie eine Schleuse und gelangten so in einen Gang, der ringförmig zu verlaufen schien. Sie folgten nicht dem ganzen Ring, sondern betraten eine Abzweigung, die wie eine Speiche zu einem imaginären Zentrum zu führen schien, das vermutlich das ganz reale Zentrum dieser Station bildete. Nach wenigen Minuten betraten sie einen zweiten Ring. Aber sie gingen nicht durch eine der Türen, die in die vermutlich runde Zentrale führte, sondern folgten dem Ring ein gutes Stück weit, dann wandten sie sich zu einem breiten Durchgang, der gegenüber der Zentrale gelegen war.
Die Türflügel schoben sich in die Wand. Will und Rosan traten nebeneinander mit gemischten Gefühlen durch die Tür und betraten den Raum, während der Elfahder zurück blieb. Sie vertrauten ihnen, niemand schien es für nötig zu halten, den großen Ijarkor zu bewachen.
Pterus waren schon von Natur aus nicht sonderlich groß, jedenfalls im Vergleich zu einem normal gewachsenen Terraner. Die Gestalt in der Kammer wirkte noch kleiner, höchstens 1,40 Meter. Verkrümmt stand die Gestalt auf einen Stock gestützt, vom äußeren Anschein mehr einer Mumie gleichend, als einem lebenden, atmenden Wesen. Was auch immer die Kammer für ihn tat, ob es wirklich eine Wirkung gab, die lebensverlängernd wirkte, weil sie den Körper in eine Stase versetzte, offensichtlich bewirkte sie zumindest, dass der gebrechliche Körper dieses Pteru gestützt wurde und somit überlebensfähig blieb.
»Willkommen auf Ijarkor.«
Die raue Stimme erinnerte Will Dean durchaus an Aufzeichnungen, die er von dem noch lebenden, kraftvollen Ewigen Krieger Ijarkor gesehen hatte. In der Aufzeichnung hatte das mächtige Wesen seine festungsähnliche Rüstung verlassen und war langsam, gemessenen Schrittes, auf andere Vertreter seines Volkes und einige Terraner zugegangen. Die Aufnahmen stammten aus einer Zeit, als Ijarkor gerade die lebensverlängernde Zelldusche verweigert worden war. Er war damals noch agil gewesen, heute war er es eindeutig nicht mehr.
Wenn er überhaupt mit dem Ewigen Krieger identisch war.
Auch dass er den Mond nach dem äußeren Mond von Som benannt hatte, war ein Indiz, wenn auch kein Beweis. Ijarkor war der Hauptsitz des ewigen Kriegers Ijarkor gewesen.
Dean sagte nichts, wartete darauf, dass der Ewige Krieger die Unterhaltung eröffnen würde. Sie blickten sich an, für einen Augenblick hatte Dean das Gefühl, einem der Unsterblichen gegenüber zu stehen. Wenn er eine Kopie war, dann eine sehr realistische. Ijarkor vermittelte Ruhe und Gelassenheit.
Rosan brach das Schweigen, verlor offensichtlich die Geduld. Vielleicht fühlte sie sich auch neben dem Blickduell der beiden Männer nur überflüssig.
»Wir haben mit Sam gesprochen. Nachdem sich Afu-At-Tarkan der galaktischen Öffentlichkeit hier in Cartwheel präsentiert hat, gehen wir davon aus, dass es für uns alle das Beste wäre, einen gemeinsamen Plan zu erarbeiten, gegen den Terroristen vorzugehen. Es wäre für die Insel sicher von besonderer Bedeutung, wenn dazu TLD, USO und die Helfer Ijarkors gemeinsam ermitteln würden.«
Sie verstummte verunsichert, als der Pteru nichts erwiderte. Er musterte sie weiterhin schweigend. Dann schnippte er mit den Fingern, eine Wand löste sich auf und gab den darunter verborgenen Holobildschirm frei. Der Bildschirm war in Bereitschaft, zeigte aber nur das Logo der Helfer, das die alten zwölf Galaxien der ESTARTU zeigte, die sich beständig umkreisten. Wie das Modell eines Atoms wirkte der Bildschirm, aber Will Dean ahnte, dass Ijarkor nichts umsonst tat. Es hatte etwas zu bedeuten.
»Du verlierst keine Zeit, Terranerin.«
Ijarkor hatte die Hände auf den Stock gelegt und fixierte die beiden Besucher von seiner niederen Position aus.
Dean nickte. »Es ist wichtig, dass wir schnell zu einer Lösung kommen. Die anderen Völker dieser Galaxis werden sicher nicht ewig warten. Und wenn es in die falschen Bahnen gelenkt wird, dann kann es schlimme Folgen haben.«
Ijarkor nickte bedächtig. »Du sagst es, Terraner, du sagst es.«
Müde senkte er den Blick, dann wies er auf den Bildschirm.
»Ich nehme an, ihr wisst noch nichts davon. Diese Sendung hat uns vor wenigen Minuten erst erreicht, ungefähr zu der Zeit, als ihr euer Schiff verlassen habt. Schaut es euch an.«
Der Bildschirm erhellte sich. Er zeigte einen Tisch, auf dem Erfrischungsgetränke bereitstanden. Kameras schwebten um den Tisch herum, richteten sich auf den Eingang und zeigten die Personen, die den Raum betraten.
Angeführt von Jenmuhs und dem Marquês, die nebeneinander gingen, betraten vier Personen den Raum. Nor'Citel war nur einen Schritt hinter den beiden Personen und Torsor bildete den Abschluss. Ohne Worte gingen sie zu den vier Stühlen und ließen sich hinter dem Tisch nieder. Schweigen kehrte ein, keiner der vier musste um Ruhe bitten. Will Dean ahnte, was nun kommen würde.
Zunächst einmal stellten die vier Personen in einer Präsentation dar, wie sich derzeit die Position in Cartwheel darstellte. Dabei verwiesen sie insbesondere auf die besondere Situation, die sich durch die vermehrt aufgetretenen Anschläge durch Afu-At-Tarkan ergab. Sie stellten mehrere der Anschläge im Detail vor und dokumentierten so den Schrecken, den der Hauri über die Galaxis brachte. Sie machten das geschickt, musste Will Dean zugeben. Sie waren ganz offensichtlich darauf aus, den Wesen in der Galaxis Angst einzuflößen. Gelang es ihnen, woran der Terraner keine Sekunde lang zweifelte, dann wären sie Wachs in ihren Händen. Und genau das strebten die vier an.
Dean dachte mit Schrecken an die Sitzung, die sie noch miterlebt hatten, während sie schon mit der Jet unterwegs waren. Da hatte Jenmuhs deutlich gemacht, was er von der Sache hielt. Wenn sie das als Grundlage nahmen, dann würde sich einiges ändern in Cartwheel.
Im Gegensatz zu den meisten Lebewesen traute Dean dem Marquês auch nicht. Er sah in dem alten Spanier keinen Heiligen. Doch damit stand er relativ alleine da. Vielleicht mochte er sich auch irren und der Bund der Vier will Cartwheel einen und gemeinsam die Gefahren angehen. Vielleicht …
Ijarkor beobachtete das Geschehen schweigend. Auch er schien beeindruckt von den Bildern sterbender Kinder und vergifteter Menschen. Dann erhob sich Jenmuhs.
»Wir können nicht mehr länger hinnehmen, dass in unserer neuen Heimat solche Elemente gegen den Frieden und die gemeinsam erworbene Freiheit vorgehen. Deshalb kündigen wir an, ab sofort zusammenzuarbeiten, um gemeinsam gegen den Terror vorzugehen.
Wir werden alle militärischen Gruppierungen zerschlagen, die sich offensichtlich gegen die bestehende Ordnung wenden. Davon sind die Hauri genauso betroffen, wie die Dscherro, die Pterus und weitere, die sich vehement gegen die gemeinsame Ordnung stellen. Ab sofort werden wir uns wehren.«
Er wirkte entschlossen, während er das sagte, und angesichts der Bilder, die sie gesehen hatten, war zu erwarten, dass ihm insgeheim viele der Menschen, die vor den Trividgeräten und im INSELNET die Pressekonferenz live verfolgten, zustimmten. Sie hatten sicher jetzt bereits eine starke Position und damit war die Vorsicht des Pteru durchaus verständlich. Das Versteck in diesem Mond mochte sich schneller als wichtig erweisen, als sie gedacht hatten.
Dean starrte noch für wenige Sekunden auf den erloschenen Bildschirm, der wiederum das Symbol der Helfer zeigte. »Ihr wisst, was das bedeutet.«
Ijarkor hatte leise gesprochen. Rosan nickte während Will Dean lediglich die Lippen zusammenpresste.
»Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Allianz der Vier. Mag sein, dass sie wirklich für den Frieden kämpfen. Ich misstraue besonders Jenmuhs. Wir könnten sehr schnell von einem Terror in den nächsten schlittern, nur, dass dieser ein demokratischer Terror wäre.«
Dean verstummte. Er wusste, dass sowohl Ijarkor als auch Rosan seiner Meinung waren und sehr genau wussten, was die nächsten Monate bringen würden.
Der Pteru nickte. Er trat einen Schritt näher. »Unter diesen Umständen bin ich zu einem Bündnis bereit. Wird der TLD und die USO sich auf unsere Seite stellen und uns gegebenenfalls beistehen, wenn die vereinigten Militärmächte der Vier sich gegen uns stellen werden?«
Dean nickte sofort. »Für den TLD kann ich diese Übereinkunft bestätigen. Sie ist in unserem Sinne.«
Dean war sich anscheinend jedoch nicht bewusst, dass der TLD ein Geheimdienst des Terrablocks war. Würde der Marquês tatsächlich die Helfer als Terrorgruppe einstufen, so hatte der TLD seine Agenten gegen sie einzusetzen. Seine einzige Chance bestand darin, den Marquês von der Friedfertigkeit der Helfer zu überzeugen.
Die USO hatte es da leichter, da sie staatenlos war.
Auch Rosan stimmte zu. »Ich kann allerdings nur für mich sprechen, alles Weitere muss ich mit Jan Scorbit klären. Für meinen Teil ist die Übereinkunft allerdings bindend.«
»Dann ist es also beschlossen. ESTARTU und die Terraner werden wieder einmal zusammenarbeiten, diesmal in einer vollkommen anderen Galaxis. Wenn das Julian Tifflor wüsste.«
Ein versonnenes Lächeln malte sich auf den verschrumpelten Lippen, dann hustete das Wesen. Dean bewunderte ihn für seine Zähigkeit. Einem kranken Pteru wie ihm konnte man nicht zumuten, ständig an der Front zu stehen. Was er auf sich nahm, war unglaublich genug. Und er kannte offensichtlich den Unsterblichen. Nun ja, den kannte schließlich jeder.
Ein Beweis war das jedenfalls nicht.
Sie verabschiedeten sich von dem Pteru und verließen den Mond Ijarkors. Nachdem auch die Terraner dem Bund beigetreten waren, sollten sie sich wieder zurück auf ihre Welten begeben. Es war in jedem Fall wichtig, Präsenz zu zeigen. Und eventuell gegen Pläne vorzugehen, die denen der Helfer und ihrer neuen Allianz zuwiderliefen.
*
Tödliches Risiko
Währenddessen lief bereits die Kriegsmaschinerie der vier beteiligten Völker an. Sie rüsteten für militärische Aktionen gegen die verdächtigen Völker und leiteten parallel dazu Geheimdienstoperationen ein. Viele der angesprochenen Völker suchten nach Allianzen, die in der sich zunehmend verschlechternden Stimmung allerdings nur schwer zu finden waren. Gleichzeitig liefen aber auch im Verborgenen Operationen des TLD und der Helfer Ijarkors an. Der neue Bund, den die Helfer mit der Neuen USO und dem TLD geschmiedet hatten, recherchierte. Vieles war nicht so, wie es schien. Und die nächsten Monate zeigten, was wirklich dahintersteckte.
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
*
Wie ein Feuerwerk wirkte es. Geradezu unglaublich schön, und doch so schrecklich. Er stand vor den Sichtschirmen und musterte die Bilder, die die Kameras von der Oberfläche der Welt übermittelten. Oktan da Progeron war ein Vasall des arkonidischen Herrschers Uwahn Jenmuhs und von dem Arkoniden persönlich in Vertretung des Imperators von einem Einsonnenträger vorläufig in das Amt eines Zweisonnenträgers befördert worden. Dies war einzig und allein zu dem Zweck geschehen, einen gehorsamen, ihm zu ewiger Treue und Gefolgschaft verpflichteten Vertreter zu erschaffen, auf den Jenmuhs sich in jeder Situation fest verlassen konnte.
Als die ersten Bomben die Oberfläche der Hauptwelt der Pterus erreichten, schloss der Arkonide für einen Moment die Augen, dann richtete er seine Blicke wieder auf die Bildschirme. Diese zweite Welle der Bomben bestand nicht aus Warnschüssen, sie explodierten nicht in dreißig Kilometern Entfernung von der Oberfläche, in den obersten Schichten der Atmosphäre dieser Welt, diese verursachten nicht nur ein Feuerwerk, sie brachten Tod und Vernichtung.
Diese unwürdigen Pterus waren selbst schuld. Sie hätten sich nicht gegen die Ordnung in dieser Galaxis stellen dürfen, was nun passierte, das hatten sie sich selbst zuzuschreiben. Mit dem Gegner, mit Terroristen, paktierte man nicht ungestraft.
Oktan glaubte wirklich, was er da dachte, und deshalb ließ er auch weiterhin feuern. Sie waren im Augenblick das einzige Schiff, das in der Nähe war, die anderen Schiffe waren in einem erbarmungslosen Kampf verstrickt. Niemand schien sich so richtig darüber im Klaren, von welchem Schiff der Angreifer die Bomben ausgingen. Aber das war nicht verwunderlich. Das Abfeuern von Transformwaffen war eine Angelegenheit, die innerhalb eines Schiffes erfolgte und es gab keine Strahlenbahnen, die man zurückverfolgen konnte. Wenn genügend Schiffe beliebige Ziele beschossen und damit von vielen Schiffen die charakteristischen Ausstrahlungen einer abgefeuerten Transformwaffe anzumessen waren, dann war es fast nicht möglich, festzustellen, welches Schiff wohin feuerte. Im Feuerschutz der anderen beschossen sie die Welt der Pterus.
Die Kameras zeigten deutlichere Bilder, als sich der Arkonide wünschte. Er konnte einige Kinder erkennen, die von dem Glutorkan hinweggefegt wurden. Aber sie gehörten genauso bestraft, wie die Erwachsenen. In den Augen des Arkoniden glühte es fanatisch auf. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, während ihm Tränen der Erregung über die Wangen flossen.
Andere Mitglieder der Zentralbesatzung gingen zwar ihren Aufgaben nach, registrierten aber sehr wohl, was passierte. Sie schauten entsetzt in seine Richtung, als sie feststellten, dass die Zivilbevölkerung nicht verschont wurde. Oktan da Progeron machte keine Anstalten, das Feuer einstellen zu lassen. Er beobachtete regungslos weiter und sagte nichts.
Erste Transformbomben explodierten neben dem Schiff und vertrieben es aus seiner Position. Die letzten Schüsse lagen nicht direkt im Ziel.
Wäre es in der Halle leise genug gewesen, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Aber der Lärm der überlasteten Aggregate, vor allem der Schutzschirmaggregate, überlagerte alles Gemurmel, das wenige Augenblicke nach dem Befehl einsetzte. Das war gut für die Soldaten in der Zentrale. Eine solche Disziplinlosigkeit hätte Oktan sicher nicht durchgehen lassen.
Befriedigt beobachtete er, wie die letzten Bomben – darunter eine Arkonbombe – in der Hauptstadt des Planeten einschlugen, dann gab er Befehl, abzudrehen.
Er verließ die Zentrale und überließ das Kommando seinem Stellvertreter. Nun mussten sie nur noch abfliegen. Die Pterus dieser Kolonialwelt würden nie wieder mit irgendwelchen Terroristen sympathisieren. Dazu wurden sie zu hart bestraft. Der Atombrand der Arkonbombe würde den ganzen Planeten auslöschen.
Oktan fuhr herum, als ihn eine Gestalt in ein Besprechungszimmer neben der Zentrale schob. Er wollte aufbrausen, sagte dann aber nichts, als er den entschlossenen Gesichtsausdruck des Arkoniden sah, der ihm eine Waffe unter die Nase hielt.
»Was hat das zu bedeuten?« Seine Stimme strahlte Ruhe aus, obwohl er ganz und gar nicht ruhig war. Er richtete sich hoch auf. »Wenn du mein Leben nehmen willst, dann tue es. Aber tue es gleich, denn sonst werde ich dich vernichten, im Namen Arkons, im Namen des Imperators.«
Furchtlos blickte er in die flimmernde Abstrahlmündung, dann erschrocken auf das flirrende Symbol, das direkt neben der Waffe erschien, wie aus dem Nichts, als der Träger das Etui aufschnappen ließ. Dieses Siegel kannte er, es war gefürchtet im gesamten bekannten Universum. Nur die Tu'Ra'Cel benutzte es.
»Es ist nicht im Sinne des Stellvertreters des Imperators in Cartwheel, wenn bereits in diesem frühen Stadium ganze Welten vernichtet werden. Ich habe mir deshalb erlaubt, die Arkonbombe durch eine normale Bombe ersetzen zu lassen. Es ist nichts gegen Zerstörungen und viele Tote einzuwenden, aber ausglühende Schlackebrocken wollen wir noch keine zurücklassen. Seine Erhabenheit Jenmuhs verfolgt ein Ziel damit und lässt dir ausrichten, dass du dich danach richten sollst.«
Oktan nickte. »Warum hat er mir das nicht selbst gesagt?«
»Weil deine Dummheit noch größer ist, als deine Loyalität.« Oktan zuckte zusammen. Der Agent betonte jedes Wort genüsslich. »Er hat dir genug eigenes Urteilsvermögen zugetraut. Wie auch immer, du hast gute Arbeit geleistet. Betrachte mich einfach als eine Art Versicherung, die verhindern soll, dass du Fehler machst. Gemeinsam werden wir es weit bringen. Ab jetzt bleibe ich immer in deiner Nähe und wenn es etwas zu sagen gibt, dann wirst du es erfahren.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Arkonide auf dem Absatz um und ließ den Kommandanten allein in dem Raum zurück. Seinen Gedanken überlassen, verließ Oktan den Raum und begab sich in seine Kabine. Er musste vorsichtig sein. In diesen unruhigen Zeiten rollten Köpfe schneller, als ihm lieb sein konnte.
*
Der Pteru rannte durch die Straßen der Stadt und duckte sich, als er die Einschläge mehr spürte als hörte. Die Druckwelle riss ihn von den Beinen und fegte ihn über den rauen Boden. Er rollte sich ab, so gut es ging, wurde gegen eine Mauer geschleudert und von der Druckwelle an ihr nach oben gepresst. Die Mauer war drei Meter hoch, als er die Krone erreicht hatte, klammerte er sich verzweifelt daran fest und versuchte, hinter den Schutz zu kommen. Als der Druck nachließ, gelang es ihm. Er krachte schwer zu Boden und hatte für einen Augenblick das Gefühl, als würden alle Knochen in seinem Körper wie Streichhölzer geknickt werden.
Aber Pterus waren wesentlich zäher, als sie aussahen. Stöhnend lehnte er gegen die Wand und drückte sich mit den Beinen ab. Langsam kam er hoch, betastete sich und überzeugte sich davon, dass noch alle Knochen heil waren. Eigentlich war es fast ein Wunder, aber es war ihm nichts weiter passiert.
»Nicht jetzt«, bettelte er in Gedanken. »Lasst es nicht passieren. Ich habe noch eine Aufgabe.«
Es würde ihm nichts helfen, das spürte er, während die Granaten in immer größerer Nähe zu ihm einschlugen. Die Mauer half eine Weile, dann aber bröckelte die Krone ab und von dem einstmals drei Meter hohen Schutz blieben gerade dreißig Zentimeter übrig. Der Schutt, der sich durch die ständigen Explosionen bildete, bedeckte ihn und dämpfte so die härtesten Einschläge von weiterem Schutt, der durch die Luft geschleudert in seiner Nähe in die Erde schlug.
Zitternd legte er die Hände über den Kopf und stöhnte als spitzes, hartes Gestein seinen Arm zerschmetterte. Er blickte auf die abgeknickte Extremität und registrierte die Tatsache, dass etwas Schreckliches passiert war. Der Schock paralysierte ihn, nahm ihm jeglichen Schmerz und lies ihn ruhig unter den Trümmern verharren. Er wusste, dass man solche Verletzungen leicht heilen konnte. Fast alle Teile des Körpers konnte man züchten, nachwachsen lassen, so dass der zerstörte Arm nicht wirklich ein Verlust war. Aber die zertrümmerten Knochen, das Fleisch und das Blut zu sehen, das war nicht leicht. Er versuchte, nicht mehr hinzusehen.
Verwundert hob er den Kopf, als er merkte, dass der Beschuss nachgelassen hatte. Er lag auf dem Rücken und bewegte sich nur noch sehr sparsam. Er spürte, dass er viel Blut verloren hatte. Ein Blick in dem Himmel zeigte glühende Strahlbahnen, die trotz der Helligkeit deutlich zu erkennen waren. Ein Schiff raste durch die Atmosphäre und brachte die Luft in starke Bewegung, aber auch dieser Orkan legte sich schnell wieder, als es in den Weltraum abdrehte. Es war ein eigenes Schiff gewesen. Anscheinend gelang es, die Arkoniden langsam abzudrängen.
Warum taten sie das? Die Pterus hatten nichts getan, sich als treue Verbündete der Terraner erwiesen und damit konnten sie eigentlich auch erwarten, von den neuen Verbündeten, den Arkoniden und den Bestien, aber auch den Überschweren, wie Verbündete behandelt zu werden. Anscheinend nutzte der Bund die Chance, gefährliche Gegner loszuwerden. Nur zu verständlich, angesichts der Erkenntnisse, die der Pteru gewonnen hatte. Orankor war ein Agent der Helfer und er hatte die Absicht, bald wieder auf den Mond zurückzukehren, auf dem sich ihr Idol aufhielt.
Er musste es einfach schaffen. Zu ungeheuerlich waren die Informationen, die er mitbrachte.
*
Jan Scorbit und Rosan Orbanashol-Nordment nickten sich zu. Sie waren sich offensichtlich einig, was Henner Herker maßlos ärgerte.
»Es hat keinen Sinn, wenn wir unsere Neutralität aufgeben und Stellung beziehen. Die Grundsätze der alten und der neuen USO sind in dieser Hinsicht eindeutig. Was derzeit passiert, ist nicht mit dem vereinbar, was in der Charta steht. Auch wenn die USO streng genommen außerhalb der Legalität einer Gesetzgebung operiert, gibt es doch moralische Grundsätze, denen wir verpflichtet sind.«
Es hörte sich nicht auswendig gelernt an, sondern sehr überzeugt.
Rosan nickte. »Das sehe ich genauso.«
Jan Scorbit konnte ganz anders sein, wenn er mal nicht einen Vurguzz nach dem anderen in sich rein schüttete. Vielleicht waren die Ereignisse auf der Hochzeit eine Lehre für ihn gewesen und er nahm nun seinen Job ernster. Jedenfalls tat es der USO gut und Rosan gefiel Scorbit so gleich viel besser.
Henner Herker hingegen lief rot an und schlug auf den Tisch. »Wir können doch nicht zusehen, wie Verbündete kämpfen, und sie nicht unterstützen!« Er brüllte, aber beruhigte sich schnell wieder, als er die sanfte Hand von Rosan auf dem Arm spürte.
Es kostete der Halbarkonidin viel Überwindung, Henner überhaupt anzufassen. Sie fand den Terraner eklig und widerlich. Es passte ihr ganz und gar nicht, dass Jan so viel auf ihn hörte.
»Hier kämpfen Verbündete gegeneinander. Das solltest du nicht vergessen. Wir sollten uns aus allem heraus halten. Und im Hintergrund darüber wachen, dass nicht etwas passiert, was wir alle bedauern werden. Die Bombardements sind schon jetzt fraglich genug. Wir führen keinen Krieg gegen die Völker, sondern gegen bestimmte Terroristen.«
»Wir werden bedauern, wenn man hinterher sagen wird, dass die neue USO nur eine Bande von verdammten Feiglingen ist.« Henners Stimme war merklich leiser geworden, aber er war immer noch offenkundig wütend.
»Wie auch immer. Solange die Arkoniden auch die Pterus und Dscherro in ihre Angriffe mit einbeziehen, werden wir uns zurückhalten.«
Damit war alles gesprochen, Jan nickte Henner zu. »Beobachte weiterhin, was passiert, und halte uns auf dem Laufenden. Keine Eigenmächtigkeiten!«
Damit entließ er ihn aus der Zentrale.
»Er ist ein Hitzkopf.« Rosan wiegte bedenklich das Haupt.
»Er wird sich beherrschen. Gehorsamsverweigerung steht ihm irgendwie nicht.«
*
Kampf gegen den Terror
Trotz der Weigerung der USO konnte man Einheiten der Terraner auch bei Angriffen beobachten. Sie hielten sich zwar insgesamt auffallend zurück, aber die AIRBLADE mit Remus Scorbit und Jonathan Andrews spielten immer wieder eine Rolle, wenn es darum ging, umkämpfte Welten abzusichern. Terra und Arkon auf derselben Seite, aber mit unterschiedlichen Rollen. Während die Terraner mehr zusahen, was passierte, waren die Arkoniden sehr aktiv darin, gegen Dscherro und Pterus vorzugehen. Nur die Hauri waren vorerst kaum von den Angriffen betroffen. Dafür litten sie verstärkt unter wirtschaftlichen Sanktionen.
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
*
Will Dean verstand die Welt nicht mehr. Warum glaubte er ihm nicht? War es so abwegig an das Gute in einem Lebewesen zu glauben?
»Das sind keine bösen Krokodile, sondern unsere Freunde«, gab er zu bedenken. Sein Gegenüber schaukelte im antiken Sessel hin und her und grübelte über die Worte. Sein Berater Cauthon Despair starrte aus dem Fenster.
»Die Helfer Ijarkor sind undurchsichtig«, sprach der Silberne Ritter ruhig. »Uns ihnen anzuvertrauen wäre ein Fehler. Wir sollten sie weder bekämpfen noch mit ihnen zusammenarbeiten, solange wir nicht wissen, auf welcher Seite sie stehen.«
Der Marquês blickte Dean auffordernd an. Der Afroterraner ließ auch nicht lange mit einer Antwort auf sich warten.
»Verehrter Terramarschall. Ich glaube, Sie verkennen die Lage. Ijarkor …«
»Ist tot! Ein wahnsinniger, alter Mann imitiert ihn und führt nicht nur seine eigenen Leute, sondern auch Sie an der Nase herum. Es mag sein, dass dieser Ijarkor uns gegen die Dorgonen half. Doch dies schreibe ich mehr Ihnen und Sam zu.
Es sind seit dieser Zeit einige Jahre vergangen. Wer sagt uns, dass dieser Ijarkor-Imitator noch bei vollem Verstand ist?«
Dean musste zugeben, dass Despairs Gedanken nicht falsch waren. Doch er hatte einfach das Vertrauen in Ijarkor.
»Marquês, was sagen Sie, Senior?«
»Señor heißt das«, korrigierte ihn der Spanier. »Wir setzen unsere Agenten auf die Helfer an. Solange sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, werden wir auch nichts gegen sie unternehmen. Hilfe im Kampf gegen den Terror ist uns jederzeit willkommen!«
Dean atmete erleichtert auf. Er warf einen höhnischen Blick auf Cauthon Despair, der unbeeindruckt auf Dean zuschritt und erklärte: »Sollten sie sich jedoch als Terroristen entpuppen, werden wir sie vernichten!«
*
Der schwer verletzte Pteru spürte seinen Körper fast nicht mehr. Vor seinen Augen verschwamm alles und er erinnerte sich kaum noch daran, was passiert war. Vor drei Tagen war er auf der Hauptwelt der Hauri auf einen Hinweis gestoßen. Dieser Hinweis hatte ihn in das Haus eines Springers geführt, der mit den Hauri Geschäfte machte. Er erinnerte sich vage an das Gespräch. Danach hatte er schnell fliehen müssen, weil die Gegner langsam näher rückten. Von der Hauri-Welt zu flüchten, war ein gefährliches Unternehmen gewesen. Schon dabei hätte er eigentlich sterben müssen. Aber er hatte es überstanden. Er kicherte, während Bilder an die Oberfläche seines Bewusstseins drangen.
Attok schlug ihm kräftig auf die Schulter und schenkte noch einen Vurguzz ein. »Ihr Pterus seid einfach nichts gewöhnt. Ein Wunder, dass euch die ESTARTU zu Ewigen Kriegern gemacht hat, so zerbrechlich, wie ihr seid.«
Orankor rieb sich die Schulter und griff mit der freien Hand nach dem Glas. Er prostete dem Springer zu und ließ das scharfe Getränk durch seine Kehle rinnen. Es brannte, aber es schmeckte nicht schlecht, obwohl es nicht aus Originalbeeren gebraut, sondern deutlich ein Surrogat war.
»Nun lass uns endlich zum Geschäft kommen. Du hast gesagt, dass du eine Geschichte für mich hast, dann lass endlich hören. Sonst siehst du keinen müden Galax.«
Der rotbärtige Springer nickte, dann ließ er sich gegenüber dem Pteru an dem Tisch nieder.
»Es ist eine schlimme Sache.« Seine Stimme war ernst geworden. »Aber das weißt du ja. Die Hauri haben wieder einen Propheten, der die Lehre der sechs Tage aufleben lassen will und Herrn Heptamer verehrt. Er würde alles dafür tun, den Wesen in Cartwheel zu schaden und bisher hat er das ja auch umgesetzt.«
Orankor nickte. Das war ihm bereits bekannt, aber er ließ den Informanten plappern. Vielleicht würde er ja doch noch etwas Neues erfahren.
»Das wirklich erschreckende ist, dass ich vor drei Tagen mit einigen Arkoniden gesprochen habe. Es war in einer Hafenkneipe und die drei hatten so viel getrunken, dass man es fast nicht glauben konnte, dass sie überhaupt noch stehen konnten. Aber sie konnten nicht nur stehen, sie tranken weiter. Und sie redeten.«
Der Springer machte eine bedeutungsvolle Pause. Orankor wartete gespannt.
»Sie redeten über einen Auftrag, der sie zu einer Welt geführt hat, auf der Hauris auf sie warteten und sie redeten davon, dass der Anführer ein komischer Kerl namens Afu-At-Tarkan war. Sie mussten im Auftrag ihrer Vorgesetzten Waffen und Material dorthin liefern. Ich habe das nicht alles verstanden, aber wenn ich das richtig sehe, dann unterstützen sie die Terroristen. Und jetzt frage ich dich, wie kommen Arkoniden dazu, sich mit dem Gegner, mit einer Geißel in unserer schönen neuen Welt, zu verbrüdern?«
Orankor brauchte sich das nicht zu fragen, es war ihm klar. Offensichtlich unterstützten die Arkoniden die Terroristen. Und wenn es Soldaten waren, dann waren sie in offiziellem Auftrag unterwegs. Blieb nur noch zu klären, ob Jenmuhs selbst dafür die Befehle gab, oder ob es ganz andere Hintermänner gab, denen sogar der Arkonide nicht gewachsen war.
Er erhob sich. »Willst du schon gehen? Ich sagte doch, dass ihr Pterus nichts vertragt.«
Orankor wehrte ab, als der Springer nachschenken wollte. »Ich muss weiter. Tut mir leid, aber ich danke dir für deine Informationen.«
Er ließ einen Kredstab auf den Tisch fallen. Die Summe, die angezeigt wurde, würde dem Springer für ein ganzes Jahr reichen, selbst wenn er sich schwer anstrengen würde, um alles auszugeben. Aber diese Information war es wert. Die Arkoniden! Das musste unbedingt zur Zentrale gebracht werden. Er musste auf den Raumhafen und zur Welt der Pterus fliegen. Von dort aus würde er dann sicher eine Passage nach Ijarkor finden.
Wieder leistete ihm der Kredstab gute Dienste, ein anderer diesmal, der aber nicht weniger gut gefüllt war.
Auf dem Raumhafen von Hauron angekommen, musste er nicht lange suchen. Passagen gab es genug, aber viele waren gefährlich und da er lediglich ein Helfer Ijarkors war, nicht aber ein Agent eines der großen Geheimdienste, war es für ihn ungleich schwerer, eine sichere Passage zu finden.
Er suchte deshalb das Hafenviertel auf und ging dort in eine Lokalität, die jeden anderen abgeschreckt hätte. Die Wesen aus allen Teilen Cartwheels machten ihm aber keine Angst. Er würde sich seiner Haut zu wehren wissen und viele dieser Wesen waren letztendlich Feiglinge.
Er setzte sich an die Bar und blickte sich um, bestellte dann bei dem robotischen Barkeeper einen Vurguzz. Zunächst beschränkte er sich darauf, die Wesen nur zu beobachten und ein Gefühl dafür zu kriegen, wer von ihnen gut, wer vielleicht sogar vertrauenswürdig war. Letzteres erwies sich jedoch als unendlich schwierig und so beschränkte er sich auf gut. Er würde an Bord eines Schiffes sehr vorsichtig sein müssen, andernfalls wäre es sein Ende.
Schließlich traf er seine Entscheidung und wandte sich an einen Hauri, der sich bereits mehrfach damit gebrüstet hatte mit seinem altersschwachen Schiff überall hin zu kommen. Er bestellte einen Vurguzz bei dem Barkeeper und ließ ihn dem Hauri bringen, der sich mit einem erstaunten Nicken bedankte. Nach dem ersten Schluck erhob er sich und kam zu dem Pteru.
»Ich danke dir, Fremder. In dieser Gegend tut niemand so etwas aus Freundlichkeit. Was kann ich für dich tun?«
Allein die Frage bestätigte Orankor, dass er sich nicht den Falschen ausgesucht hatte. Er nickte und schilderte ihm sein Problem. »Ich glaube nicht, dass dein Schiff es bis Upanishad schaffen wird. Aber wir könnten es probieren. Du hättest für diesen Flug nur eine Ware, nämlich mich. Du bekommst die Hälfte der Heuer sofort, die andere Hälfte, wenn wir sicher auf Upanishad angekommen sind.«
Der Hauri nickte. Als er einen Blick auf die Anzeige des Kredstabes geworfen hatte, bekamen seine Augen ein gieriges Funkeln. Er leckte sich über die Lippen. Orankor war sich darüber im Klaren, dass er an Bord dieses Schiffes nicht wirklich sicher sein würde. Es würde ein Abenteuer werden.
»Ich zahle, sobald ich an Bord bin.«
»In drei Stunden, an Bord der HEXAMERONS FREUDE.«
Der Pteru bestätigte mit einem knappen Nicken und verabschiedete sich von dem Hauri. Dann verließ er das Gebäude.
Er vertrieb sich die Zeit damit, dass er durch die Straßen wanderte und die Wesen beobachtete. Letzteres war eine Notwendigkeit, ständig musterte er jeden, der ihm entgegenkam, blickte sich auch immer wieder unauffällig um und musterte Passanten, die sich in den Fensterscheiben der Auslagen spiegelten. Niemand, den er schon öfter gesehen hatte, würde ihm entgehen. Entweder, sie waren so viele, dass sie sich abwechseln konnten, oder er stand noch nicht unter Beobachtung. Er tippte auf letzteres, aber sicher konnte er da nicht sein. Immerhin lebte der Informant noch und man konnte nie wissen, wem er sich noch anvertrauen würde. Vielleicht nicht einmal freiwillig. Solange er Ijarkor nicht erreicht hatte, würde er nicht sicher sein.
Ohne Vorwarnung traf ihn ein harter Schlag in den Rücken. Er folgte dem Impuls, ließ sich nach vorne fallen und rollte sich ab. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam er wieder auf die Beine, blickte sich gehetzt um und sah die Gestalt, die einen Stock schwang und ihn hob, um erneut zuzuschlagen. Der Stock hatte die Dicke eines Unterarms und konnte bei richtiger Anwendung durchaus seinen Schädel zertrümmern. Und der Hauri, der ihn führte, wirkte, als wisse er genau, wie ein solcher einzusetzen war. Also wussten sie bereits jetzt mehr, als sie sollten. Das war nicht gut.
Er griff nach einer Eisenstange, die eigentlich dazu diente, eine Tischplatte abzustützen. Der Verkaufsstand kippte um, der Händler fluchte wütend, verstummte aber, als er die beiden Gestalten sah, die sich vor seinen Augen verbissen bekämpften. Der Pteru machte keinen allzu stabilen Eindruck, der Hauri allerdings auch nicht. Trotzdem bewegten sich beide sehr schnell und geschmeidig. Orankor konnte fast nicht folgen, als der Hauri sich abstieß, die Beine kurz spreizte und ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen einen Überschlag produzierte. Elegant landete er wieder auf dem Boden. Bevor er ihn erreichte, zuckte aber seine Fußspitze auf den Pteru zu, der gerade noch die Eisenstange nach oben brachte und den Tritt so abwehrte. Der Hauri zeigte keine Reaktion.
Orankor wirbelte nun seinerseits, ließ die Eisenstange mehrfach auf das Holz des Gegners prallen, das stabil genug war, nicht zu zerbrechen. Sie tauschten eine Reihe solcher Schlagkombinationen aus, während sich Orankor immer wieder ablenken ließ, um zu überprüfen, ob dem Hauri andere zu Hilfe kamen. Offenbar war dem nicht so und so wehrte er sich verbissen und konzentriert gegen den Hauri, bis er mehrfach durch die Deckung drang, auf den ungeschützten Schädel einschlug und den Gegner so ernsthaft verletzte. Ohne Verzögerung ließ er die Stange fallen und verschwand wie ein Schatten zwischen den Hauri und anderen Wesen. Er begab sich geradewegs zum Raumhafen und schaffte es, das Schiff in letzter Minute zu erreichen. Er hoffte, dass er wenigstens im All in Sicherheit sein würde.
Als er die Zentrale des Schiffes erreichte, gab der Händler gerade die letzten Kommandos. Das Schiff löste sich von Hauron und verschwand im All. Orankor beschloss, sich keine Sorgen zu machen, auch wenn das Schiff irgendwie nicht vertrauenerweckend wirkte. Aber das hatte er schon erwartet.
»Du kommst spät.«
Orankor nickte nur und buchte dann den vereinbarten Betrag auf den Kredstab des Händlers. Wieder bemerkte er das gierige Funkeln im Blick des Mannes. Allerdings würde er gute Chancen haben. Außer dem Händler waren nur noch drei weitere Besatzungsmitglieder an Bord: ein Pilot, ein Techniker und eine Navigatorin. Was auch immer passieren würde, mit vier Gegnern würde er fertig werden. Er blieb in der Zentrale und beobachtete genau, was die vier taten. Er stellte so sicher, dass sie auch wirklich nach Upanishad flogen.
*
Stunden verbrachten sie so, sich gegenseitig belauernd. Der Händler wurde unruhig, konnte aber nicht verhindern, dass sie Upanishad schließlich erreichten.
Er verabschiedete sich von dem Pteru, der ohne ein Gefühl des Triumphes den restlichen Geldbetrag überwies und sich schnell aus dem Schiff entfernte. Bisher war alles gut gegangen. Aber dann war der Angriff der Arkoniden gekommen.
Und nun lag er auf dem Rücken, blickte in den Himmel, in dem die letzten Explosionen ungefährlich verglühten und fragte sich, wie er es jetzt noch schaffen sollte, nach Ijarkor zu kommen. Aber er musste es schaffen. Er richtete sich ächzend auf, bemerkte erst jetzt, dass er seinen zertrümmerten Arm nicht unter einem Gesteinsbrocken hervor ziehen konnte und zog seine Waffe. Er biss die Zähne zusammen und amputierte sich selbst den Arm. Er knirschte mit den Zähnen, beherrschte sich aber. Die Hitze der Waffe hatte die Wunde verschweißt und würde ihm so wenigstens das Verbluten ersparen. Er brauchte dringend einen Arzt. Aber er würde keinen bekommen, jedenfalls nicht so schnell. Er taumelte auf die Straße und lehnte sich gegen einen Laternenpfahl. Verschwommen erkannte er einen Gleiter vor sich, der unbesetzt war.
»Ein … ein Notfall«, stammelte er, als er das Gefährt erreicht hatte. »Zum Raumhafen, sofort.«
Seufzend sank er in das Polster.
»Wäre ein Arzt nicht eher angemessen?« Der Rechner der Einheit war offensichtlich nicht ganz einverstanden mit dem Ziel.
»Ich muss erst eine Botschaft überbringen, davon hängt für die Insel alles ab. Bring mich zu einem Raumschiff! Es heißt METEOR.«
Der Gleiter hob ab und brachte den Passagier zu dem gewünschten Ziel. Orankor brach in die Knie, als er den Gleiter verließ. Wie ein Gebirge schien die Rampe vor ihm aufzuragen, dabei gehörte die METEOR zu den kleineren Einheiten. Er kroch auf die Rampe zu und hoffte, dass sie ihn bemerken würden. Als er schon fast aufgegeben hatte, erschienen ein Ophaler und ein Elfahder und packten ihn. Gemeinsam zogen sie ihn in das Schiff.
Er gab sich zu erkennen. »Bringt mich zu Ijarkor, ich habe eine wichtige Botschaft für ihn.«
Sie nickten ihm zu und holten Starterlaubnis ein. Schnell hob das Schiff von dem Raumhafen ab und nahm Kurs auf den Mond, der in einem entfernten Sonnensystem lag. Den Kreuzer, der ihnen folgte, bemerkten sie nicht.
*
»Dranbleiben.« Der Zweisonnenträger lächelte, ignorierte den Tu'Ra'Cel-Mann und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
Diesmal würde ihn der Agent nicht bremsen, das schwor er sich. Wenn sie erst einmal in der Lage waren, einen Erfolg über die Helfer Ijarkors zu erringen und damit einen gefährlichen Gegner in dieser Galaxis schwer zu schädigen, dann würden sie ihre Stellung in der Milchstraße deutlich stärken können. Und dieses Schiff würde sie direkt dorthin führen.
Oktan da Progeron sah einem großartigen Triumph entgegen. Er setzte einen Funkspruch ab und übermittelte die ungefähren Daten. Dann folgte er dem kleinen Schiff in den Hyperraum.
Er schlief, doch während sein Körper ruhte, arbeitete sein Geist. Er wachte auf. Die Sonne schien auf sein Gesicht. Er strich über die Nase, um ein lästiges Kribbeln loszuwerden. Zu seiner Verwunderung spürte er gar keine Narben. Er richtete sich auf und bemerkte erst jetzt den warmen Körper an seiner Seite.
Sie war wunderschön. Ihr Körper war in die Decke und Kissen eingekuschelt. Nur die nackte Schulter und ihr zerzaustes, langes, braunes Haar waren zu erkennen. Er legte sich wieder hin, um ihr Gesicht zu erkennen. Sein Herz schlug schneller und schneller.
Er streichelte über ihr Haar, als er sie erkannte. Dann begann sie sich zu bewegen und blinzelte ihn aus smaragdgrünen Augen an.
»Hey«, sagte sie zärtlich und schenkte ihm ein Lächeln.
Langsam glaubte er in einem Traum zu sein. Er war gesund und mit der Frau zusammen, die er liebte. Was war geschehen?
Das schrille Summen riss ihn aus der Surrealität. Cauthon Despair erhob sich aus seinem Schlaf und setzte sich den Helm auf, um sein vernarbtes Gesicht zu verbergen. Der Summer ertönte laut, dann ließ Despair den Besucher herein.
Es war ein Nachrichtendienstoffizier des TLD, der Despair loyal untergeben war. Nicht Will Dean! Der Terraner im mittleren Alter hieß Ronald Kreupen. Ein kleiner, gedrungener Mann mit runder Brille. Loyal bis in den Tod, intelligent und verschlagen.
»Sir, wir haben Informationen, dass die Helfer von Ijarkor von der Kooperation der Arkoniden mit Afu-At-Tarkan erfahren haben«, meldete Kreupen. »Es scheint als waren die Arkoniden zu unvorsichtig.«
»Dilettanten. Die Arkoniden sind noch weit davon entfernt, die größte Macht zu werden, solange ihnen solche Fehler unterlaufen.«
Kreupen nickte fanatisch. »Einige Arkonidenraumer verfolgen die Ijarkor-Agenten.«
Despair verschränkte die Arme hinter dem Rücken und lief nachdenklich durch den Raum.
»Die Helfer dürfen ihre Informationen nicht preisgeben. Ich vertraue den Arkoniden jedoch nicht. Sie gehen mir zu plump vor. Ist noch jemand in der Nähe des Einsatzortes?«
»Ja, Sir. Nor'Citels Flotte«, bestätigte Kreupen.
»Gut, informieren Sie den Corun über die Situation. Er soll den Konflikt lösen. Und nun gehen Sie!«
Kreupen entfernte sich. Despair blieb alleine zurück und dachte über seinen seltsamen Traum mit Sanna Breen nach. Wunschgedanken, die ihn nicht losließen. Träume von einem geordneten, wunderschönen Leben, welches er nie haben würde.
Und wenn es kein Traum war, Cauthon?
Despair erschreckte. Da war sie wieder! Was wollte Sanna Breen von ihm? Er beschloss, zu meditieren und Sanna zu vergessen.
Doch so einfach war es nicht. Im tiefsten Inneren seines Herzens liebte er diese Frau mehr als MODROR. Doch dies durfte die Entität oder einer seiner Söhne des Chaos niemals erfahren.
Als die Grigoroff-Schicht erlosch und das Schiff wieder in die physikalischen Gegebenheiten des Einsteinraumes zurückkehrte, atmete Orankor auf. Nur noch wenige Stunden, und sie würden Ijarkors Mond betreten. Auch wenn niemand dieses Versteck kannte, war es doch wichtig, so vorsichtig wie möglich zu sein. Hundertprozentige Sicherheit gab es aber nie. Sie konnten nur hoffen, dass alles gut gegangen war. Die Ortungen schwiegen jedenfalls, sonst wäre das Schiff sofort aus dem System verschwunden. Vermutlich hätte das auch nichts mehr geändert, denn ein gegnerisches Schiff hätte dann schon eine Spur gehabt. Aber bisher war es auf der Insel auch gar nicht so gefährlich gewesen. Erst jetzt kristallisierte sich langsam heraus, dass zu viele der Verbündeten doch ihr eigenes Süppchen kochten.
In drei Stunden würden sie auf dem Mond landen.
*
Oktan da Progeron ließ den Funkspruch wiederholen. Es würde nicht lange dauern, und die Schiffe würden in diesem Sonnensystem erscheinen. Er blickte auf die Projektion der Sternenkarten dieses Sektors. Es war nichts hier, was von Bedeutung war. Ein geradezu ideales Versteck für die Rebellen.
Erste Funksprüche, gerafft und codiert, trafen ein. Nor'Citel war mit den Überschweren bereits auf dem Weg und würde nur wenige Minuten brauchen, um einzutreffen. Auch die Terraner kamen. Und auch Torsor sicherte sein Erscheinen zu.
Die Oberfläche des Mondes war nur noch wenige Meter von ihnen entfernt, als die Ortungen plötzlich verrücktspielten.
»Was ist los?« Orankor stieß die Worte hervor, sie waren fast nicht verständlich. Er richtete sich etwas auf in dem Sessel, den sie in eine Liege umfunktioniert hatten. Der Elfahder blickte nur kurz über die Schultern.
»Es sind etwa viertausend Schiffe aus dem Überraum gekommen und nehmen Kurs auf den Mond. Ijarkor gibt soeben Befehl, den Mond zu evakuieren. Das wird nur nicht so schnell gehen. Und bis unsere Flotten ankommen, wird es auch eine Weile dauern.«
»Dann ist alles aus. Wir hätten doch einen Funkspruch absetzen sollen.«
»Das können wir immer noch tun. An wen sollen wir uns wenden?«
»Die USO«, hustete der Pteru. »Sag ihnen, dass die Arkoniden mit dem Terroristen Afu-At-Tarkan zusammenarbeiten. Sie unterstützen ihn nicht nur gegen uns, sondern auch gegen die anderen Völker in Cartwheel. Sie sind eine Bedrohung für uns alle.«
Der Elfahder nickte ernst und trat an die Kontrollen. Er sprach in ein Mikrophon, speicherte den Funkspruch und codierte ihn, dann raffte er ihn auf die Kürze eines Sekundenbruchteils. Sein Finger schwebte über den Tasten, als der erste Schuss das kleine Schiff traf. Weitere folgten. Der Elfahder verlor den Halt, versuchte noch einmal, an den Knopf zum Absenden zu kommen, aber er schaffte es nicht mehr. Das Schiff explodierte zusammen mit drei anderen, die noch auf dieser Welt standen.
Gleichzeitig verließ ein Funkspruch eine andere Antenne. Ijarkor rief nach seinen Helfern und diesmal brauchte er Hilfe. Schiffe, die über die ganze Galaxis verteilt waren, machten sich auf den Weg zu ihrem wichtigsten Stützpunkt. Wesen aus allen Teilen der Mächtigkeitsballung ESTARTUs machten sich auf den Weg.
Sie würden zu spät kommen. Oktan da Progeron rieb sich die Hände. Er hatte den Funkspruch registriert, aber bevor die anderen Schiffe erscheinen würden, würden sie diesen Mond bereits erobert haben. Er hatte nicht die Absicht, ihn zu sprengen, obwohl das einfach gewesen wäre. Aber es war besser, wenn sie die Helfer erst einmal gefangen nehmen und dann effektvoll hinrichten würden, als Abschreckung für andere Terroristen in dieser Galaxis.
»Landen«, befahl er. »Und dann hebt diesen Stützpunkt aus.«
Er verfolgte, wie Schiffe auf die Oberfläche niedersanken, die nach dem Beschuss und den Explosionen wie glasiert wirkte. Von den anderen Schiffen waren nur noch wenige Trümmer übrig. Oktan bemerkte, dass ein Schiff der Überschweren als erstes auf dem Mond landete. Die Überschweren verließen das Schiff, angeführt von Nor'Citel persönlich. Der musste verrückt geworden sein. Aber bei seinem Volk war es durchaus üblich, selbst aktiv zu werden. Diese Wesen kämpften viel zu gerne, um nicht in den Einsatz gehen zu wollen.
Erste Ergebnisse der Messungen zeigten ihnen, wo die Hohlräume zu finden waren. Sie gaben den Bodentruppen Anweisungen und beobachteten, wie Nor'Citel einfach die Wand sprengte, ohne Rücksicht auf die Atmosphäre in dem Stützpunkt der Helfer zu nehmen. Aber offensichtlich hatten die Helfer vorgesorgt, es wurde nur wenig Sauerstoff festgestellt, der kurz hinter der Explosionsstelle bereits gefroren zu Boden sank. Zu wenig, um einen größeren Stützpunkt gefüllt zu haben.
Leticron packte die Waffe mit beiden Händen und schoss wahllos in den Hangar, der sich hinter dem Durchbruch öffnete. Er traf in den meisten Fällen nicht, aber das machte ihm nichts aus. Brüllend drang er in den atmosphärelosen Hangar ein. Es schreckte ihn nicht ab, dass ihn in dem Vakuum niemand hören konnte, außer den eigenen Truppen, die mit ihren Funkgeräten auf derselben Wellenlänge waren, wie er selbst.
Sie folgten ihm, von dem Geschrei unbeeindruckt.
Leticron feuerte noch einmal, dann warf er die leer geschossene Waffe zur Seite. Er packte eine Eisenstange, die in der Wand verankert war, und brach sie mit bloßen Händen heraus, dann warf er sich in die Schleuse, die im Hintergrund des Hangars zu erkennen war. Redundante Sicherheit, registrierte er. Wenn die Schleuse am Hangar ausfallen sollte oder gesprengt werden würde, war so zu verhindern, dass der ganze Stützpunkt an Sauerstoff verlor. Der Überschwere hatte keinerlei Interesse daran, die Station ohne Sauerstoff anzutreffen. Wenn sie keine Raumanzüge trugen, würde es viel mehr Spaß machen. Auf der anderen Seite brachte er sich so um das Vergnügen, zu beobachten, wie die Gesichter im Vakuum ohne den Druck einer Atmosphäre aufgebläht werden würden und in explosiver Dekompression wunderbar ästhetisch explodieren würden. Dafür konnte er ihnen viel besser persönlich den Hals umdrehen. Er rieb sich befriedigt die Hände und konnte kaum erwarten, dass sich die Schleusen schlossen.
Dann öffnete er die Innenschleuse und verließ zusammen mit den ersten sieben Mitgliedern seines Kommandos die enge Kammer. Andere Überschwere und Arkoniden hatten andere Schleusen benutzt und weitere Kämpfer drangen nach. Es würde eine Blutorgie werden. Aber das war etwas, was er gerne persönlich erledigen würde. Er orientierte sich, folgte dem Korridor nach links, der sanft gekrümmt war, vermutlich ringförmig angelegt. An der ersten Kreuzung bog er nach rechts ab, in der Hoffnung, so auf das Zentrum der Anlage zu treffen. Das gelang ihm auch. Er schwang die Eisenstange, erwischte einen Pteru, der ihm im Weg stand, von hinten in der Körpermitte, brach ihm so das Rückgrat. Mit einem Griff schnappte er sich den Strahler, versenkte die Eisenstange aber in seinem Gürtel. Noch wollte er diese praktische Waffe nicht wegwerfen. Ein Strahler war seiner Meinung nach viel zu schmerzlos für dieses Gesindel.
Er brüllte wütend auf, als er einen brennenden Schmerz an seiner linken Hand verspürte. Er öffnete die Faust, die Eisenstange steckte aber bereits im Gürtel. Blitzschnell wirbelte er herum und riss die erbeutete Waffe hoch, löste sie aus und schwenkte die Strahlbahn ins Ziel. Das Exoskelett des Elfahders zerplatzte, der weiche Körper floss ins Freie, wurde aber verdampft. Schreie zeugten von der Qual des Wesens, Leticron suhlte sich in seinem Schmerz.
Langsam drehte er sich um, verzog das Gesicht zu einem drohenden Grinsen. Dann schoss er auf die geschlossene Tür der Zentrale und zerschmolz das Schloss. Mit den Händen stieß er die beiden Hälften zu den Seiten. Brüllend rannte er in die Zentrale, schüchterte die Besatzung dort zunächst ein, sie hatten sich aber schnell gefangen. Hinter ihm strömten weitere Mitglieder der Angreifenden in die Zentrale.
Der Mond war inzwischen von einer großen Flotte eingeschlossen. Keiner der Helfer würde da noch durchkommen, auch wenn inzwischen die ersten Schiffe der Helfer eingetroffen waren. Mit dem Mut der Verzweiflung attackierten sie die Flotte, wurden aber schnell aufgerieben. Weitere Schiffe der Helfer trafen ein, die Schlacht ging weiter. Die Terraner hielten sich aus den Gefechten weitgehend heraus. Die Arkoniden und Überschweren kannten aber solche Rücksichten nicht.
Leticron schoss sofort und erwischte drei Pterus mit seinem Schuss. Er griff nach einer zweiten Waffe und schoss mit ihnen auf die rennenden Wesen in der Zentrale, die sich in alle Deckungen warfen, die überhaupt möglich waren, und ansonsten nur verzweifelt versuchten, den Saal zu verlassen. Einigen gelang es, aber dann liefen sie direkt in die Arme der nachdrängenden Angreifer.
Nur einer fehlte. Ijarkor, dieser verräterische Hund, war nirgends zu erkennen. Die Oberlippe des Überschweren zog sich nach oben, entblößte die Zähne zu einem grimmigen Knurren. Er drehte sich um, rannte aus der Zentrale und griff sich einen der Fliehenden. Der Ophaler hing an seinem Hals in der Faust des Überschweren. Er konnte nicht einmal wimmern. Wenige Zentimeter nur schwebte er über dem Boden, aber das genügte bereits.
»Wo ist Ijarkor?« Das Wesen sagte auch dann nichts, als Leticron seinen Hals losließ, um ihm Gelegenheit zum Sprechen zu geben. Nur wenige Sekunden hatte Leticron Geduld, dann drückte er ihm den Hals zu. Ungerührt sah er zu, wie das Wesen starb.
Der Anführer dieser Banditen konnte nicht weit sein. Leticron rannte über den Ring um die Zentrale herum und probierte mehrere der Türen, die den Eingängen zur Zentrale gegenüber lagen. Hinter einer davon wurde er fündig.
Hoch aufgerichtet, soweit er das überhaupt noch schaffte, stand Ijarkor, auf seinen Stock gestützt, inmitten seiner Kammer. Er blickte furchtlos in die Augen des eintretenden Überschweren.
»Ich habe dich schon erwartet.« Seine Stimme klang rau, er machte nicht den Eindruck, als würde er sich von dem Auftritt des Überschweren einschüchtern lassen.
Aber Leticron konnte sich denken, warum das so war. Zwar hatte er die meisten Jahre seines Lebens in Träumen in einem Block aus PEW-Metall verbracht, aber auch er blickte auf eine lange Lebensdauer zurück. So konnte er durchaus nachempfinden, wie sich ein altes Wesen wie Ijarkor fühlen musste. Furcht vor dem Tod kannte er vermutlich nicht, denn er wartete seit langer Zeit auf ihn, seit dem Tag, an dem ihm die Zelldusche verweigert wurde.
Wie er es geschafft hatte, so lange Zeit zu überleben, war ihm ein Rätsel, selbst mit dieser Stasekammer. Er war eine Mumie, dazu verurteilt, sobald die Kammer nicht mehr sein Schutz war, zu sterben. Und das konnte von einem Augenblick zum anderen passieren. Entweder, weil sie einfach ausfiel, was vermutlich nicht passierte, weil er von Helfern umgeben war, die für ein zuverlässiges Funktionieren sorgen würden. Oder aber, weil ein Feind sie einfach abschaltete oder zerstörte und ihn damit desgleichen.
Er lächelte, als ihm klar wurde, dass er den Schlüssel zum Tod dieses Wesens quasi in seinen Händen hielt. Wenn er die Kammer abschaltete, dann würde er zuschauen können, wie Ijarkor langsam dahinscheiden würde. Und genau das würde er tun.
Ijarkor bemerkte, dass sich Leticron entschlossen hatte. Er schloss die Augen, atmete ein letztes Mal tief durch. Gleich würden die Schmerzen enden. Dann würde es nicht mehr wichtig sein, ob sie an ihn glaubten oder nicht. Dann würde er gestorben sein, vernichtet in einem sinnlosen Krieg, in den ihn DORGON geschickt hatte. Vermutlich hätte er nicht darauf eingehen dürfen, aber letzten Endes würde sich nun ohnehin nur sein Schicksal erfüllen, vor dem er schon seit so langer Zeit auf der Flucht war. Ob er wirklich Ijarkor war oder nicht, war dabei gar nicht so wichtig. Wichtig war nur, dass sie an ihn geglaubt hatten. Und dass sie noch etwas länger an ihn glauben würden. Er drückte mit seinem rechten Fuß gegen eine winzige Erhebung, ein Funksignal wurde dadurch ausgelöst, das für wenige Sekunden alles im System überlagerte.
Der Kampf wurde unterbrochen, die Schiffe stellten schlagartig das Feuer ein. Mittlerweile war eine große Flotte von Schiffen aus Estartu dabei, die Belagerer zu beschießen, und hatte auch schon mehrere Abschüsse geschafft. Aber insgesamt konnten sie deutlich sehen, dass sie verlieren würden.
Als das Signal eintraf, beschleunigten die Schiffe plötzlich, die das noch schafften, und verschwanden aus dem System. In alle Richtungen flogen sie davon. Nur noch die Trümmer explodierter Schiffe trieben durch den Raum, ab und zu glühten einige auf, wenn sie mit den Schirmen von anderen Schiffen in Kontakt kamen. Nichts bewegte sich mehr, alles blickte gespannt auf den Mond.
»Ich werde vergehen, aber der Kampf wird weitergehen. Mit mir oder ohne mich, ihr könnt nicht gewinnen.«
Die Stimme strahlte eine geradezu übernatürliche Ruhe aus. Mehrere Personen, die hinter Leticron standen, erstarrten geradezu, wichen mehrere Schritte zurück. Aber Leticron ließ sich davon nicht beeindrucken. Er grinste, zog die Eisenstange aus dem Gürtel und schlug dann mit einer beiläufigen Bewegung gegen die Steuerung der Anlage, die ihren Dienst schon seit Jahrhunderten verrichten mochte. In diesem Augenblick stellte sie ihre Tätigkeit ein.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte Ijarkor wieder etwas von dem normalen Leben, das die Kammer für ihn eingefroren hatte. Er spürte, dass sein Körper kaum noch in der Lage war, ohne die Stütze, die ihm diese Kammer gab, zu überleben. Nur noch wenige Augenblicke, und sein Leben würde zu Ende sein. Er brach in die Knie, der Stock prallte auf den Boden. Als er mit der Stirn aufschlug, spürte er schon nichts mehr. Erleichtert merkte er, dass der Tod nach dieser langen Zeit für ihn sehr unspektakulär war. Dann merkte er nichts mehr.
Der Körper lag in der Kammer und rührte sich nicht mehr. Ein letztes Zucken, das ihn auf den Rücken drehte, konnte Leticron noch ausmachen, dann lag er endgültig still. Die Augen des Pteru waren weit aufgerissen. Es schien, als wäre er tot.
Leticron wartete, aber nichts weiter geschah, deshalb hob er die Waffe und feuerte auf den Körper, verdampfte ihn, bis nichts mehr von ihm übrig war. Was auch immer geschah, einen Ijarkor würde es jedenfalls nicht mehr geben. Diesmal konnte er dem Tod nicht entkommen. Wenn er es überhaupt gewesen war.
Leticron wandte sich ab und verließ schweigend die Station auf dem Mond, der wie der ehemalige Ewige Krieger hieß. Irgendwie war es passend, dass das Grab des Ijarkor auf Ijarkor liegen sollte. Die Flotte entfernte sich von dem Mond, der nach all den Kämpfen wieder in der Bedeutungslosigkeit versank, die ihm zuvor schon wohl vertraut war.
*
Jonathan Andrews verzog angewidert das Gesicht. Er schüttelte den Kopf, als die Aufforderung aus dem Lautsprecher kam, sich an der Operation zu beteiligen. Er würde keine Helfer Ijarkors töten. Sie waren keine Gegner, das spürte er und das wusste er spätestens, seit sie Will Dean in Estartu gerettet hatten und ihnen in Dorgon im letzten Augenblick mit ihrer Flotte zu Hilfe gekommen waren.
Er löste die AIRBLADE aus dem Verband der angreifenden Schiffe und zusammen mit anderen terranischen Einheiten hielten sie sich aus den Geschehnissen heraus. Erst danach erkannten sie, wie ihre Operation bei den Völkern in Cartwheel ankam.
Viele von ihnen ließen sich von den Berichten beeinflussen, die die Helfer Ijarkors als Verbündete der Terroristen abtaten. Kaum ein Volk in der Galaxis erhob Einwände gegen die harte Gangart der Arkoniden, Überschweren und Bestien. Allenfalls gab es noch Stimmen, die sich gegen die Terraner aussprachen, da sie sich teilweise aus den Kämpfen herausgehalten hatten. Nicht nur Jonathan, sondern auch Remus, Will Dean und Rosan beobachteten das Geschehen mit Sorge. In Cartwheel gingen langsam die Lichter aus, wenn nun schon treue Verbündete ihrer Sache auf diese Weise vernichtet wurden.
Das Experiment von DORGON war an einem Punkt angekommen, wo es fast nicht mehr schlimmer werden konnte.
Die Feuer loderten auf dem vernichteten Mond. Trümmer trieben um Ijarkors Welt, stumme Zeugen der letzten Ereignisse. Ein einsames Schiff landete auf dieser Welt. Ein einzelnes Wesen ging in die vernichtete Anlage. Nach kurzer Zeit kehrte es zurück, bestieg das Schiff und verschwand im All. Es berichtete seinen Freunden von den Bildern, die es gesehen hatte und davon, dass es die Leiche des Ewigen Kriegers nicht gefunden hatte. Dann zerstreuten sich die Schiffe in Cartwheel. Die Helfer Ijarkors gab es nicht mehr. Nur noch vereinzelte Überlebende, Versprengte, die versuchen würden, sich wieder irgendwie zu vereinigen. Sie mussten einen Nachfolger für Ijarkor finden, dann konnte es vielleicht weitergehen.
Aber bis auf weiteres waren sie nicht mehr von Bedeutung.
ENDE
Der Terror in Cartwheel tobt weiter. Die Helfer Ijarkors sind als Organisation wohl zerschlagen. Das alles spielt dem »Bund der Vier« in die Karten. Im nächsten Roman wechselt die Handlung zurück in die Milchstraße. Osiris will seine Gefährten erwecken. Björn Habben schreibt Band 57 »DIE MACHT DER GÖTTER«.
Geheimdienste
Gib den Geheimdiensten der Welt die Macht zu entscheiden und sie werden die Welt zugrunde richten. (Ok, ok … der Spruch geht zwar ein klein wenig anders, aber ich finde, er passt trotzdem.)
Da verkündet der eine Geheimdienst (der arkonidische) öffentlich, dass sie nicht mit Afu-At-Tarkan zusammenarbeiten. Wahrscheinlich machen sie sogar noch Jagd nach ihm. Unter dem Deckmantel aber, da wird der Hauri unterstützt. Hmm … irgendwie kommt das einem bekannt vor, oder nicht? Osama bin Laden und die CIA lassen grüßen.
An dieser Stelle möchte ich gerne ein wenig zurückschauen und auch vorausblicken. Es gab in der Perry-Rhodan-Serie mal eine Zeit, in der fremdartige Lebewesen zu einem einheitlichen Feindbild verschmolzen worden sind. Ich rede natürlich von der Topsider-Kartanin-Krise während der 1500er Bände. Um einen Zusammenhalt und eine Zusammenarbeit der drei zerstrittenen Topsidervölker zu erreichen, wurde einfach ein neues Feindbild geschaffen. Man entschied sich zu dieser Zeit für die neuen Völker der galaktischen Völkerfamillie. Kartanin, Hauri, Nakken, also alles was erst durch den Hangay-Transfer in das Bewusstsein der galaktischen Völker getreten ist.
Und dasselbe versucht jetzt auch der »Bund der Vier«. Der Marquês, Jenmuhs, Torsor und Leticron sagen, dass sie den Terrorismus und die Gewalt bekämpfen wollen. Und dennoch … es ist nur eine faschistische Maßnahme, bei der es darum geht, anders Denkende zu beseitigen.
Es werden wohl noch düstere Zeiten und Momente auf Cartwheel zukommen. Und das, obwohl es jetzt schon ziemlich dunkel ist.
Björn P. Habben
Geboren: 1201 NGZ
Geburtsort: Hangay
Größe: 1,81 Meter
Gewicht: 58 kg
Augenfarbe: grau
Haarfarbe: keine
Bemerkungen: fanatischer Anhänger des Hexameron
Afu-At-Tarkan gehört einer alten Sekte an, die den Herrn Heptamer verehrt. Er ist Schüler von Abd-e-Metul gewesen und ein glühender Verehrer von dessen Ideologie. At-Tarkan hat in Cartwheel eine Terrororganisation gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Untergang des Universums zu beschleunigen, um somit der Lehre der Sechs Tage gerecht zu werden. Er ist fanatisch und blind in seinem Hass gegen anders Denkende und zu allem bereit.
Alter: 35 Jahre
Geburtsort: Terrania-City
Gewicht: 90 kg
Augenfarbe: blau
Haarfarbe: rot
Beschreibung: Groß und kräftig, kurze rote Haare, wirkt finster und bedrohlich. Trägt ausschließlich schwarze Sachen und hat die raue Stimme seiner Mutter geerbt. Ist intelligent, gefährlich und entschlossen, jeden aus dem Weg zu räumen, der ihm im Weg steht. Liebt nur sich selbst und seinen jüngeren Bruder Charly.
Ian Gheddy wurde als Sohn von Dorys und Paul Gheddy in Terrania-City geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern bleibt er mit seinem jüngeren Bruder Charly bei seiner Mutter. Da Dorys vorwiegend mit sich selbst beschäftigt ist, bleiben die Jungen sich selbst überlassen und entwickeln gewalttätige und kriminelle Neigungen. Sie terrorisieren Mitschüler und pressen ihnen »Schutzgeld« ab. Da sie dabei sehr geschickt vorgehen, kann ihnen nur selten etwas nachgewiesen werden. Als Ian jedoch in unbeherrschter Wut einen Lehrer zusammenschlägt, weil dieser ihn gedemütigt hatte, muss er sich einer psychologischen Therapie unterziehen. Nachdem er diese – zum Schein – erfolgreich absolviert hat, kann er die Schule erfolgreich abschließen und absolviert eine Ausbildung als Bürokommunikant, was ihn wenig zufriedenstellt.
Ian träumt davon, reich zu werden, dazu ist ihm jedes Mittel recht. Zusammen mit Charly betreibt er diverse dubiose Geschäfte. Als Dorys zur Insel aufbricht, folgen ihr Ian und Charly in der Absicht, sich etwas von dem Kuchen abzuschneiden.
Geboren: 1251 NGZ
Geburtsort: Hangay
Größe: 1,89 Meter
Gewicht: 68 kg
Augenfarbe: grau
Haarfarbe: keine
Bemerkungen: fanatischer Anhänger des Hexameron, strategisches Hirn der Terrororganisation
Raufu-Er-Heron ist die skrupellose rechte Hand von Afu-At-Tarkan. Er ist ebenfalls ein Anhänger des Hexameronkultes und zu allem bereit. Heron ist der Vollstrecker und Planer der Terrorgruppe.
Er stirbt während des Attentatsversuches auf Siniestro.
Das Hexameron war eine wichtige Organisation im Universum Tarkan. Der Name ist eine Lehnübersetzung aus dem Haurischen und bedeutet so viel wie »Sechs-Tage-Ding«.
Anmerkung: Der Begriff setzt sich aus drei griechischen Elementen zusammen – hexa »sechs«, hemera »Tag« und die sächliche Endung -on. Der Name als Ganzes ist eine Anspielung auf das Decameron.
Struktur
Angeführt wurde das Hexameron von dem Ahoani Sirixim, dem früheren Herrscher der Galaxie Shera Naar, einer Nachbargalaxie von Hangay in der Mächtigkeitsballung Aysel. Er trat als der Herr Heptamer oder der Herr des Siebten Tages auf. Die Hauri bezeichneten den Herrn Heptamer als Herrscher des Galaxienhaufens Eshraa Maghaasu (Zwanzigstätten).
Die Organisation selbst bestand aus jeweils drei Fürsten der Stärke und drei Fürsten des Glaubens.
Mehr in der Perrypedia: www.perrypedia.proc.org/wiki/Hexameron
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e.V. — Copyright © 1999-2016
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e.V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 56, veröffentlicht am 14.02.2016 —
Titelillustration: Klaus G. Schimanski • Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen Seel • Digitale Formate: Jürgen Seel