Band 54
Osiris-Zyklus
Ein Separatist Dorgons
Ralf König
Was bisher geschah Es ist Herbst 1298 NGZ. Während in Cartwheel der Marquês de la Siniestro einen Zellaktivator erhielt und den Bund der Vier gegründet hat, ist auf Terra der Gott Osiris erwacht. Den Terranern wurde ein uraltes Geheimnis ihrer eigenen Geschichte offenbart. Abseits davon ist die IVANHOE nach einem Exkurs in Andromeda wieder zurück in Cartwheel, um Cauthon Despair und Henry »Flak« Portland aufzunehmen. Zusammen mit dem Marschall des Terrablocks und dem Kommodore der Terrablock Raumflotte soll die IVANHOE in diplomatischer Mission Hof am Palast des Kaisers Uleman halten. Doch in Dorgon sorgt ein Anhänger der thesasianischen Dynastie für Ärger. Es ist CARILLA, DER SCHLÄCHTER… |
Hauptpersonen Uleman – Der weise Kaiser Dorgons. Carilla – Ein gefährlicher Separatist. Torrinos – Ein Agent sickert in die Untergrundbewegung ein. Commanus – Ulemans baldiger Schwiegersohn und designierter Kaiser. Arimad, Saraah, Vesus und Decrusian – Ulemans Vertraute. Cauthon Despair, Mathew Wallace, Lorif, Irwan Dove, Xavier Jeamour und Henry »Flak« Portland – Besucher aus Cartwheel. |
Uleman wartete geduldig in einem seiner Arbeitszimmer im Pons Domus auf die Meldung der Weltraumortung. Die Ankunft der IVANHOE in Dorgon war schon lange angekündigt, denn bereits bei Austritt aus dem Portal DORGONs, welches im Sektor Harrisch lag, wurde eine Eilnachricht an den Kaiser Uleman geschickt. Nun schien es endlich wahr zu werden.
Alte Freunde kehrten nach einigen Jahren der Abwesenheit in das Kaiserreich zurück, Vertreter jener Rasse, denen die Dorgonen Unabhängigkeit und die Befreiung von einem despotischen Herrscher verdankten.
Vieles hatte sich verändert im neuen Dorgon und seiner Hauptstadt Dom.
Die berüchtigte Sportstätte und Arena Madisonus Squarus existierte nicht mehr. Sie war einem Gedenkplatz gewichen. In Memoriam an die vielen Opfer.
Auch wenn der damalige Kampf nur eine Fußnote in der Geschichte darstellte, so war er für die Befreiung Dorgons doch von herausragender Bedeutung gewesen. Viele der Historiker, die sich um die Aufzeichnung dieses Kapitels verdient gemacht hatten, glaubten sogar, dass dieser Augenblick der Auftakt zur eigentlichen Revolution gewesen war.
Aurec, der Kanzler der Saggittonen, war auch heute noch ein Begriff in Dorgon. Er bedeutete den Dorgonen eine ganze Menge, auch wenn er nicht demselben Volk angehörte. Seine Liebe zu Ulesia war im Volk nicht vergessen und es war ein offenes Geheimnis, dass das bedeutendste Buch der dorgonischen Literatur in der letzten Zeit, eine Liebesgeschichte namens Aurios und Uriana, den beiden gewidmet war. Außerdem gab es vor dem Palast ein neues Denkmal, das Aurec zeigte, wie er die sterbende Ulesia in den Armen hielt. Dass das damals in der Kanalisation geschehen war, war allerdings eine Randnotiz, die kaum jemand kannte. Auch in der Ballade und in den historischen Aufzeichnungen fand dieser Umstand keine Beachtung.
Der Kaiser seufzte, als er an seine älteste Tochter dachte. Aurec wäre ein guter Schwiegersohn geworden, wenn er das denn jemals gewollt hätte. Vielleicht war es letztendlich besser gewesen, wie es gekommen war, denn einen Schwiegersohn, der sich nach einigen Jahren wieder aus dem Staub gemacht hätte, wäre auch nicht das Wahre gewesen. Diese Erkenntnis schmerzte den weisen Kaiser der Dorgonen, aber er konnte sich ihr auch nicht verschließen.
Trotzdem vermisste er natürlich sein Kind und hatte in der Vergangenheit all seine Liebe auf seine andere Tochter übertragen.
Ironie des Schicksals, nun drohte er auch noch seine zweite Tochter zu verlieren. Diesmal allerdings an einen heiratswilligen Mann – Commanus, der mittlerweile zu seinen Vertrauten gehörte. Tatsächlich wurde er schon als sein Nachfolger gehandelt. Eine zweischneidige Sache in einer Welt, in der ein neuer Regierungschef nur durch das Ableben des alten inthronisiert werden konnte. Das bedeutete, wenn Commanus seine Tochter Arimad heiraten und er sterben würde, dann wäre Commanus sein Nachfolger. Es bedeutete aber auch, dass er sicher war, so lange seine Tochter und Commanus nicht heiraten würden.
Nicht dass er dem neuen Schwiegersohn misstrauen würde. Er hatte ihm keinen Grund dazu gegeben. Und seine Tochter hatte schließlich auch einen Instinkt. Solange sie sich mit Commanus so gut verstand, war sicher nichts Schlechtes von ihm zu erwarten.
Der Kaiser warf einen Blick auf die Nachrichten, die allerdings immer noch nicht meldeten, dass die IVANHOE Dorgons Hauptwelt erreicht hatte.
Bisher hatte sich Ulemans Form der Regierung für beide Seiten als fruchtbar erwiesen und Dorgon hatte sich zu einer blühenden Galaxie entwickelt.
Die vier Protektorate waren in Sektoren umbenannt worden. Alle Völker genossen die gleichen Rechte und Pflichten. Ob nun Jerrer, Goner, Dorgonen, Harriden, Ponas, Kowas oder Elevus – sie alle waren nun vor dem Gesetz gleich und hatten ihren Sitz im Forum Preconsus. Die Sklaverei war abgeschafft worden. Freilich, das hatte zu Problemen geführt. Die Wirtschaft hatte rebelliert. Im Senat – dem Forum Preconsus – hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Rechte der Lebewesen zu beschneiden. Der Verlust der Sklaverei war ein großer Einschnitt in die dorgonische Gesellschaft gewesen. Fast jeder reinrassige Dorgone hatte Sklaven besessen. Wer sollte nun die Arbeit erledigen? Die Produktion von Robotern war erhöht worden. Und die neuen, freien Wesen waren nicht immer besser gestellt gewesen. Sie hatten sich eine Existenz aufbauen müssen, einen Beruf finden müssen – all das war nicht einfach gewesen. Doch Uleman glaubte, dass es der einzige und richtige Weg war.
Trotzdem durfte man nicht verkennen, dass auch heute, mehrere Jahre nach dem Umsturz, immer noch dunkle Schatten über Dorgon lagen. Sie lagen da eigentlich schon seit Jahren, aber er hatte es nicht geschafft, sie zu vertreiben. Eine Widerstandsbewegung war auch heute immer noch Teil ihres Reiches, diesmal allerdings angeführt von radikalen Monarchisten, die der Meinung waren, dass Uleman einen viel zu liberalen Kurs steuerte.
Unglücklicherweise war auch Commanus ein treuer Anhänger der Monarchie. Aber er war wenigstens kein Radikaler und Uleman konnte von sich wohl ebenfalls behaupten, ein Monarchist zu sein. Sonst hätte er sich sicher nicht für einen solchen Posten wie den des Kaisers von Dorgon bereitgefunden.
Am heutigen 19. November 1298 NGZ jedenfalls würden die Besatzungsmitglieder der IVANHOE einen Freundschaftsbesuch abstatten, ihn über die neuesten Entwicklungen in Cartwheel auf dem Laufenden halten und über die Autonomie der dorgonischen Vertretung in Cartwheel mit ihm reden wollen. Das war eine Angelegenheit, die Uleman sicher unterstützen würde. Er war sich aber darüber im Klaren, dass einige Senatsmitglieder diesen Standpunkt nicht teilen würden.
Nun ja, wo gab es schon immer Einigkeit. Ohne eine Opposition, die auf Dorgon heute immerhin nicht aus dem Verborgenen heraus operieren musste, war das Leben als Kaiser nur halb so spannend. Der Kaiser seufzte.
Laute Schreie vor der Tür lenkten ihn ab. Das feine Zischen eines Strahlenschusses machte ihm sehr schnell klar, dass etwas nicht stimmen konnte. Er trennte sich von seinem Terminal, das ihn mit den neuesten News versorgte, und griff nach einer Waffe, die in seinem Schreibtisch griffbereit lag. Es war ungewöhnlich, dass Kämpfe innerhalb des Palastes losbrachen. Allerdings war dies in der Geschichte dieses Volkes nichts Besonderes. In den letzten Jahren war so etwas jedoch nicht mehr passiert.
Was auch immer dahinter steckte, es war mit einiger Sicherheit der weiteren Entwicklung von Dorgon eher abträglich.
Uleman war klar, dass schlimme Zeiten auf ihn zukamen.
Er blieb in seinen Gemächern, in der Hoffnung, dass seine Leibwache mit dem Problem fertig werden würde.
*
Torrinos duckte sich unter den Strahlenschüssen, die über seinen Kopf hinweg strichen. Er war sich nicht ganz darüber im Klaren, von wo die Schüsse kamen. Der erste der Schüsse hatte ihn geblendet, nicht getroffen glücklicherweise, aber die Helligkeit der Entladung hatte seine Augen beeinträchtigt. Er war halb blind, konnte nur noch Schemen erkennen und sah rote, tanzende Feuerräder vor seinen Augen flimmern.
Er hechtete hinter einen reich verzierten Tisch und kippte ihn in der gleichen Bewegung um. Der Tisch bildete einen Schild, der allerdings lediglich vor Zufallstreffern schützte. Torrinos hoffte, dass ihn der Attentäter nicht gesehen hatte. Er blickte sich um und kniff die Augen zusammen. Sehr viel mehr sah er damit nicht, aber er konnte an den Farben auf jeden Fall erkennen, dass die Mehrheit der Anwesenden immer noch die Uniformen der Leibwache des Kaisers trug.
Einen Attentäter konnte er allerdings beim besten Willen nicht erkennen.
Dafür hörte er einige Schreie, die Probleme verhießen. Wütend gebrüllte Befehle, die davon kündeten, dass Menschen ihre Waffen fallen lassen sollten, ließen ihn vermuten, dass die Leibwache die Angelegenheit noch nicht unter Kontrolle hatte. Etwas war nicht so, wie man es erwarten konnte. Einerseits sollte eigentlich keiner in der Lage sein, die Sicherungen so einfach zu überwinden. Auf der anderen Seite sollte man doch irgendetwas von den Eindringlingen erkennen können. Nichts war von eingedrungenen Menschen zu sehen oder zu hören. Nur von Schüssen, die diese Menschen zu treffen versuchten.
Torrinos konzentrierte sich. Er versuchte, alle störenden Geräusche auszublenden. Seine Nerven gingen fast mit ihm durch, aber er schaffte es. Unter dem Geräuschniveau dieser Strahlschüsse konnte er etwas hören, ein Rascheln, wie von Stoff, der an einem Körper rieb. Ein lautloses Huschen, das einem Unsichtbaren zu gehören schien, denn als er in die entsprechende Richtung blickte, konnte er nicht einmal einen Schemen erkennen. Da seine Augen sich langsam erholten, hätte er aber einen sichtbaren Eindringling erkennen können. Nichts davon war jedoch zu sehen. Deshalb ging der Wachtposten davon aus, dass der Eindringling von einem Feld umgeben war, das ihn unsichtbar machte.
Die notwenige Technologie dafür gab es nicht im Supermarkt an der Ecke, jedenfalls nicht für jeden. Der Eindringling musste also über die entsprechenden Geldmittel verfügen oder einer Organisation angehören. Andererseits spielte das derzeit keine Rolle.
Torrinos zog die Waffe und richtete sie aus. Er war sich darüber im Klaren, dass er mit seiner leichten Sehbehinderung derzeit nicht zu den besten Schützen zählen würde. Andererseits war er mittels bestimmter Konzentrationstechniken in der Lage, auch auf einen Gegner zu schießen, den er nicht sah, und dabei keine weitere Person zu treffen. Er konzentrierte sich noch stärker und schaffte es so, die Geräuschkulisse in dem Raum kaum noch wahrzunehmen. Nur ein leises Rauschen blieb, das aber von anderen Geräuschen mühelos übertönt wurde.
Von Schritten zum Beispiel, die sich dem Eingang zu Ulemans Zimmer näherten. Der Wächter richtete sich auf und zielte in die Richtung, in der die Schritte hörbar waren. Er hörte, wie sich eine Tür öffnete und sah die Helligkeit natürlichen Lichtes durch den Spalt schimmern. In dieser Richtung lag Ulemans Zimmer. Er konnte einen Körper erkennen, der sich in dem Zimmer eine Deckung suchte und er konnte hören, wie langsam ein Arm gehoben wurde. Der Stoff der Anzugjacke rieb aneinander und verursachte ein in dem Lärm kaum wahrnehmbares Geräusch. Torrinos hörte es trotzdem. Er hörte auch, wie eine letzte Sicherung entfernt wurde und fragte sich, wann jemand reagieren würde. Alles ging rasend schnell, außer ihm würde wohl niemand reagieren. Er schoss auf den Eingang, genau auf den Bereich, aus dem er die Geräusche hören konnte.
Er dachte noch, wenn da niemand sein würde, dann würde sein Herr in Schwierigkeiten kommen. Und er hoffte, dass er nicht seinen Herrn treffen würde und dass sein Kaiser rechtzeitig eine Deckung finden würde, die ihn auch vor seinem Angriff schützte.
Er verfolgte wie in Zeitlupe, wie der Strahl auf den geöffneten Türrahmen zuraste. Mitten in der Luft schien er hängen zu bleiben, als er einen unsichtbaren Schirm traf. Der Angreifer hatte also auch noch einen Schutzschirm aktiviert, aber das war zu erwarten gewesen, wie sonst sollte er wohl einen solchen Feuersturm durchschreiten können?
Ein Lichtermeer spritzte wie eine Kaskade von einer Stelle in der Luft weg. Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass sich der Kaiser in Sicherheit brachte. Der Attentäter drang nicht in den Raum ein, er blieb stehen, als wäre er durch den Schuss in irgendeiner Weise gebannt worden. Die anderen Wachtposten erkannten, was sich abspielte und taten das einzig Richtige. Sie eröffneten jegliches Feuer aus allen verfügbaren Waffen auf den Eindringling, von dessen Schutzschirm nun mehrere Feuerkaskaden wegspritzten. Inmitten eines unglaublichen Energiesturmes stand der Eindringling und der Wachtposten hatte nur noch Angst um den Kaiser, der im Inneren des Raumes vermutlich ungeschützt war und von diesem Feuersturm durchaus etwas ab bekommen konnte. Hoffentlich hatte er einen sicheren Platz gefunden.
Schreie wurden hörbar. Der Attentäter erkannte wohl, dass die Belastung seiner Schirme langsam in einen kritischen Bereich kam, blieb aber trotzdem wie gebannt stehen und fügte sich in sein Schicksal.
Der Unsichtbarkeitsschirm war zuerst überlastet. Mit einem kleinen Lichtblitz gab die Konstruktion ihre Funktionsfähigkeit auf und zeigte den Mann, den niemand erkannte. Er war auf jeden Fall Dorgone. Erschrecken zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Offensichtlich erkannte er die Tragweite seines Vorstoßes und eines eventuellen Scheiterns erst jetzt.
Der Schutzschirm gab mit einem neuerlichen Lichtblitz nun ebenfalls seinen Geist auf. Die kleineren Explosionen hatten dem Mann nicht sehr geschadet, er stand jedenfalls immer noch aufrecht, obwohl aus den Aggregaten Rauch aufstieg und sein Hemd an dieser Stelle verschmort war. Vielleicht sorgte auch der Schock dafür, dass er nichts spürte.
Immer noch erlebte Torrinos den Vorgang wie in Zeitlupe. Er sah, wie der Schutzschirm wie eine Seifenblase zerplatzte und sich der Mann durch die Explosion leicht verletzte. Als der Schutzschirm verschwunden war, sah er noch für einen Augenblick das Gesicht und die Gestalt des Mannes und er konnte in den schreckgeweiteten Augen Reue für dessen Vorstoß erkennen.
Dann verglühte der Mensch. Ein Energiesturm fegte über ihn hinweg und löschte ihn aus. Nur noch ein Aschehäuflein blieb übrig.
*
»Feuer einstellen!«, brüllte Torrinos.
Er rannte auf die Tür zu und schüttelte kurz den Kopf. Er sah mittlerweile wieder etwas besser, so erkannte er mit einem Blick, dass der Raum hinter der Türe leer war. Verblüffung malte sich auf seinem Gesicht. Wohin war der Kaiser verschwunden?
Er spürte die schwere Hand auf seiner Schulter und drehte sich langsam um. Durch einen nur noch leichten Schleier erkannte er die vertrauten Gesichtszüge des Kaisers von Dorgon. Uleman stand mit einem erleichterten Lächeln direkt hinter ihm.
»Ich freue mich, dass es in meiner Leibwache so gut ausgebildete Dorgonen gibt. Ich danke dir.«
Mehr sagte er nicht, aber eigentlich musste er sich auch nicht bedanken. Torrinos hatte nur seine Arbeit getan und stammelte auch etwas, das in etwa so klang.
Uleman nickte ihm noch einmal freundlich zu, dann ordnete er an, den Palast aufzuräumen und wieder in einen repräsentativen Zustand zu versetzen. Wenn die Gäste aus Cartwheel eintreffen, sollte nichts mehr an den Anschlag erinnern.
Dann betrat er wieder seinen Arbeitsraum. Die Tür blieb offen, verzogen durch die Hitze war sie im Rahmen festgeklemmt.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch, der einen Teil der Hitze abbekommen hatte.
Daran konnte der Kaiser schon erkennen, was mit ihm passiert wäre, wenn er im Raum geblieben wäre. Zum Glück kannte er einige geheime Verbindungsgänge, die er in den Unterlagen des kaiserlichen Archivs gefunden hatte. Es gab da Bereiche, zu denen nur der Kaiser selbst Zutritt hatte und dort waren Aufzeichnungen dieser Art zu finden. Eingerichtet hatte man ein solches spezielles Archiv, weil es durchaus passieren konnte, dass ein Kaiser nicht mehr in der Lage war, seinen Nachfolger entsprechend einzuweisen. Zum Beispiel, weil der Nachfolger ihn ermordet hatte.
Einige der Geräte auf dem Schreibtisch waren nicht mehr zu gebrauchen, der Tisch selbst war auch in einem jämmerlichen Zustand. Immerhin hatte er noch ein funktionierendes Armband, in das eine Bildfunkverbindung integriert war.
Über diese erfuhr er, dass die IVANHOE soeben um Einflugerlaubnis in das System gebeten hatte.
Das Raumschiff aus Cartwheel senkte sich auf den kaiserlichen Raumhafen der Stadt nieder. Dieser lag nördlich vom Pons Domus – dem Kaiserpalast – gelegen und grenzte direkt an den Regierungssitz an. Für jene, die 1292 und 1293 NGZ in M100 gewesen waren, bot das Areal aus Pons Domus auf dem großen Hügel, dem angrenzenden Jusilus-Platz und der langgezogenen Jusilus-Allee ein bekanntes Bild, welches sie dennoch mit gemischten Gefühlen betrachteten. Trotz der Schönheit der Stadt Dom, war hier doch viel Blut vergossen worden.
Die Luftverdrängung des 1.000 Meter durchmessenden Schiffes war enorm, allerdings nicht so deutlich zu spüren, da es auf den Antigravfeldern, die der Raumhafen zur Verfügung stellte, sanft wie eine Feder zu Boden schwebte. Ein leichter Luftzug ließ sich allerdings nicht vermeiden, höchstens durch einen Schutz, hinter dem sich aber außer dem Kaiser und seine engsten Vertrauten niemand verbarg – oder besser verbergen durfte.
Normalerweise war der Kaiser nicht am Raumhafen zugegen, wenn ein Schiff dort landete. Eine Ausnahme bildeten Staatsbesuche. Für Staatsmänner fremder Völker musste sich der Kaiser Zeit nehmen. Und auch wenn in diesem Fall eigentlich kein Staatsmann zu Besuch kam, so nahm sich der Kaiser für die Besucher, die an Bord der IVANHOE einschwebten, trotzdem sehr gerne Zeit. Schließlich waren sie die ursächlich Verantwortlichen für seine neue Position. Insofern war eine Ausnahme in diesem Fall durchaus angebracht. Und auch ein Kaiser sollte sich zwischendurch das Recht gönnen, einfach den Besuch von Freunden in seinen Terminkalender aufnehmen und diese dann auch am Raumhafen abholen zu können.
Von dem Anschlag, der auf den Kaiser verübt worden war, war Uleman nichts mehr anzumerken. Einige Mitglieder seiner Leibgarde hingegen wirkten noch etwas angegriffen. Keiner der Anwesenden war in einer angesengten Uniform aufgetaucht. Sie hatten sich alle Ersatz geholt. Nur in den Gesichtern konnte man noch Spuren der Kämpfe erkennen. Einige wirkten doch etwas mitgenommen. Sie waren aber nicht weniger aufmerksam.
Die Landestützen des Raumschiffes berührten den Boden. Landeteller pressten sich auf den Belag des Raumhafens, die allerdings eine wesentlich geringere Auflagefläche hatten, als man das bei einem Schiff dieser Größe vermuten sollte. Unterstützt wurden die schwachen Stützen durch den Einsatz von Antigravitation, die das Gewicht des Schiffes reduzierte.
Eine Rampe schob sich aus der südlichen Polschleuse. Sie berührte sanft den Boden des Raumhafens. Ruhe kehrte ein, nichts bewegte sich mehr, nachdem das Schiff mit einmaligem Nachfedern zum Stillstand gekommen war.
Uleman übte sich in Geduld. Die Besucher ließen ihn nicht sehr lange warten. Einige bekannte Gesichter tauchten auf, allen voran Matthew Wallace, den Uleman noch als den Kämpfer aus der Arena kannte. Tapfer hatte er gekämpft, einen rauschenden Sieg in der Arena hatte er errungen.
Uleman wusste, dass die ehemalige Sklavin Saraah den Terraner im Stich gelassen hatte. Sie hatte ihn verlassen, nicht umgekehrt. Er war gespannt, was sich zwischen den beiden in den nächsten Tagen entwickeln würde.
Hinter Wallace betrat der Oxtorner Irwan Dove die Rampe. Lorif, der Posbi, stolperte fast, als er aus dem Schiffsinneren auf die Rampe trat. Xavier Jeamour als Kommandant des Schiffes kam hinter dem Posbi und Henry »Flak« Portland folgte dem Kommandanten.
Uleman zuckte zusammen, als er eine silberne Rüstung schimmern sah. Es war Cauthon Despair, der Mann mit der Rüstung, der einstige Vertraute des Nersonos. Oder jemand, der nur so getan hatte.
Uleman dachte sich nicht viel dabei, er hatte den Riesen in der Rüstung vorwiegend als positive Figur kennen gelernt und über die Stationen, die das Leben des Mannes zwischenzeitlich genommen hatte, wenig erfahren. Immerhin hatte sich Cauthon Despair für Arimad eingesetzt und sie ein aufs andere Mal vor Nersonos Zugriffen geschützt.
Die Menschen aus Cartwheel kamen in einer Reihe über die Rampe, eine bestimmte Rangordnung schienen sie allerdings nicht einzuhalten. Der Kaiser konnte keine Reihenfolge erkennen. Wenn schon der Kommandant nicht der erste in der Reihe war, dann war das eigentlich schon merkwürdig. Der letzte war er auch nicht, dann hätte man ihn eventuell als vorsichtig beschreiben können. So wirkte die Reihenfolge der Ankommenden eher willkürlich und der Kaiser war sich fast sicher, dass das beabsichtigt war.
Über einen Teppich gelangten die Ankömmlinge zu den Schutzfeldern, die für den Kaiser und sein Gefolge errichtet worden waren. Die Schutzfelder erloschen, um die Ankömmlinge durchzulassen.
Der Oxtorner Irwan Dove nickte dem Kaiser zu und drückte damit seine Sympathie und seinen Respekt aus. Eine sparsame Geste, die aber zu dem eher schweigsamen Oxtorner passte. Uleman wusste sie einzuordnen und erwiderte sie, streckte dann die Hand in einer typisch menschlichen Geste aus und schüttelte die des Oxtorners. Der Oxtorner kam ihm entgegen, indem er nicht zu fest zudrückte.
Der Kommandant des Schiffes tat es dem Oxtorner gleich.
Die Gruppe verließ den Raumhafen und bestieg einen geräumigen Gleiter, in dem sich alle ohne Platzprobleme aufhalten konnten. Das Ziel war der Palast von Dorgon. Unterwegs erzählte der Kaiser von dem Anschlag, allerdings wusste er noch nicht, wer sich dahinter verbarg. Die Mitglieder der Delegation reagierten betroffen auf die Nachrichten und wollten wissen, ob es denn Widerstand gegen ihn gäbe.
»Keinen offenen. Aber es gibt natürlich Oppositionelle, die mit meiner Politik nicht einverstanden sind. Das allein kann aber hier nicht das Problem sein.«
»Nein«, bestätigte Irwan Dove. »Da muss mehr dahinterstecken.«
Er rieb grüblerisch sein Kinn und blickte in Lorifs Richtung, der sich prompt angesprochen fühlte.
»Offensichtlich hat sich eine Gruppe im Untergrund formiert. Vermutlich kannst du am besten etwas erfahren, wenn du jemanden in diese Gruppe einschleust.«
Der Kaiser nickte bestätigend. »Das ist bereits passiert. Einer meiner Mitarbeiter, ein Mitglied der Leibwache, der sich durch meine persönliche Rettung hervorgetan hat, ist derzeit in geheimer Mission unterwegs. Er versucht, mit der Untergrundbewegung in Kontakt zu kommen. Er hält sich seit einiger Zeit in einem Viertel unserer Hauptstadt auf, in dem sich bekannte Oppositionelle befinden. Sie sind gegen mich als Kaiser und für einen starken Monarchen. Als Mitglied der Prettosgarde ist er besonders willkommen bei den Separatisten, denn sie versuchen seit geraumer Zeit unsere Prettosgarde zu unterwandern. Er hält sich in den bekannten Treffpunkten auf und verkündet immer wieder entsprechende Parolen. Dazu kommt, dass wir ihm einen entsprechenden Hintergrund verpasst haben. Selbst wenn sie ihn überprüfen, wird er ihnen wie einer von ihnen vorkommen. Ich hoffe, dass er auf diese Weise in die Gruppe hineinkommt.«
»Ein gefährliches Spiel, das dein Agent treibt. Was, wenn man herausfindet, dass er dir loyal in der Prettosgarde dient?«, warf Dove ein.
Uleman lächelte gezwungen.
»Bei DORGON wollen wir das nicht hoffen. Die ganze Aktion steht auf wackligen Beinen, doch wir haben keine andere Wahl.«
Dove nickte. Genauso hätte er es auch gemacht. Nur dass er mit seiner physischen Konstitution vermutlich unangenehm aufgefallen wäre. Ein Dorgone war für diesen Job wie geschaffen.
Henry Portland war erst vor einigen Monaten in Dorgon gewesen, um die Zustimmung Ulemans zur Unabhängigkeit Cartwheels zu erhalten. Der Kommodore war damals mit einem Beiboot der IVANHOE hingeflogen. Glücklicherweise war die Distanz zwischen dem Sternenportal im Sektor Harrisch und der Hauptwelt Dorgon nicht so groß, wie das in der Lokalen Gruppe.
Viele Lichtjahre von Dorgon entfernt befand sich auf dem Planeten Mesoph, einer der ersten Welten, die die Terraner damals in Dorgon besucht hatten, im Protektorat Harrisch gelegen, der Dorgone Carilla. Er war ein kräftiger, aber dennoch schlanker, groß gewachsener Mann. Seine schwarzen Augen passten gut zu den braunen Haaren. Er kleidete sich, wie es sich für einen Dorgonen gehörte, mit einer Uniform. Als ehemaliges Mitglied der Prettosgarde stand ihm das auch zu. Er war sogar zum Praefektus Fabrum unter Nersonos geworden. Doch nach dessen Ende war er bei Uleman in Ungnade gefallen.
Carilla war ein Monarchist. Er machte aus seiner Einstellung keinen Hehl, erzählte jedem, der es hören wollte, wie wenig er von den Machenschaften des Kaisers hielt. Viele dieser Menschen teilten seine Ansicht nicht. Sie nahmen ihn nicht allzu ernst, hielten ihn für ein Relikt aus den Zeiten der alten, dekadenten Kaiser. Nun änderte sich ein Volk aber auch nicht so schnell. Ein Kern von Anhängern alter Ideen blieb immer erhalten. Diesen Umstand hatte sich Carilla zunutze gemacht. Er war nicht nur ein Schwätzer, er hatte still und heimlich eine Bewegung auf die Beine gestellt, die nun aus dem Verborgenen heraus gegen den Kaiser arbeitete.
Aus dem Verborgenen heraus allerdings nur in dem Sinne, dass er sich in den Bergen von Mesoph versteckte und dort seine Widerstandsbewegung aufbaute.
Öffentlich kritisierte er den Kaiser auch und ließ keinen Augenblick ungenutzt verstreichen, indem er seine schlechte Meinung von dieser verweichlichten Regierung äußerte, die auf den seiner Meinung nach ganz besonders starken Nersonos gefolgt war.
An diesem Morgen erhielt er bereits sehr früh eine Nachricht, als er auf das noch kalte Hochplateau hinaustrat. Reif bedeckte noch den Boden, Nebelschwaden zogen über das Plateau und trotz der bereits aufgegangenen Sonne herrschte eine klirrende Kälte.
Carilla trat mit freiem Oberkörper in die kalte Morgenluft und bewegte sich auf einen Gebirgsbach zu, der direkt neben seinem Zelt verlief. Er wusch sich in dem eiskalten Wasser, ohne mit der Wimper zu zucken, und beobachtete dabei, wie sich einer seiner Getreuen langsam, zögerlich näherte.
»Trau dich endlich her zu mir!«, donnerte er den jungen Mann schließlich an, als der gar nicht näher kommen wollte.
Zitternd machte der die letzten Schritte und nahm Haltung an. Er zitterte nicht wegen der Kälte.
Der muskulös gebaute Carilla richtete sich langsam auf und drehte seinen Kopf in Richtung des Ankömmlings. Er nahm ein Handtuch, das ihm ein eilig herbeieilender Adjutant zureichte, und frottierte seinen Oberkörper.
Der Ankömmling sagte kein Wort. Er wartete darauf, dass der ehemalige Offizier der Prettosgarde das Wort an ihn richtete.
»Rede.«
Mehr sagte Carilla nicht.
Obwohl er das Wort ruhig, fast freundlich, ausgesprochen hatte, zuckte der Ankömmling zusammen. Er stammelte seinen Namen und machte dann Meldung. Er meldete den Tod des Attentäters, der am Nachmittag in den Palast des Kaisers eingedrungen war.
Carilla nahm die Meldung äußerlich ungerührt entgegen. Er war dafür bekannt, dass er nicht eben freundlich reagierte, wenn jemand schlechte Nachrichten überbrachte. Aber diesmal war er viel zu sehr in Gedanken versunken und beachtete den Boten gar nicht mehr, als er sich abwandte und auf sein Zelt zuging.
Der Adjutant des Schlächters, wie Carilla von seinen Anhängern auch genannt wurde, gab dem Boten einen Wink, der sich erleichtert davon machte. Schweigend näherte sich der Adjutant dem Anführer der Separatisten und betrat einen Schritt hinter ihm das Zelt. Noch immer hatte der Mann kein Wort gesagt. Er ließ sich in einen Stuhl fallen und stierte vor sich hin.
Seinen Beinamen hatte Carilla erhalten, als er noch in der Armee und Prettosgarde aktiv gewesen war. Er hatte mit aufständischen und tributsäumigen Harriden stets kurzen Prozess gemacht.
Der Adjutant sagte nichts. Er wusste, dass er den Anführer nicht stören durfte. Carilla verstand sich als der einzig wahre Kaiser, denn außer ihm konnte er derzeit keine starken Alternativen in den Reihen der Dorgonen erkennen. Ob er es schaffen würde, den Kaiserthron jemals zu besteigen, war eher zweifelhaft. Nicht allerdings für den Adjutanten und schon gar nicht für Carilla selbst.
Nachdem Uleman mit der Hilfe dieser verweichlichten Terraner den Kampf um den Thron gewonnen hatte, hatte sich Carilla zunächst einmal in den Untergrund zurückziehen müssen. Am Anfang hatten sie sich nicht nach ihm umgesehen, aber auf Grund seiner Taten war man sehr bald, nachdem sich die Lage beruhigt hatte, auf ihn aufmerksam geworden. Er war nach Mesoph geflüchtet und hatte sein Versteck in den Bergen bezogen. Dort ließ man ihn nun schon seit Jahren in Ruhe, was eigentlich erstaunlich war. Sicher wäre es möglich gewesen, ihn zu finden, wenn man denn nach ihm gesucht hätte. Der Adjutant hatte den Verdacht, dass Uleman Carilla aus Berechnung in Freiheit ließ. So hatte er einen Gegner, einen Mann, dem er alles Schlechte zuschieben konnte. Eine Figur, die viele Dorgonen fürchteten. So lange ein Mann wie Carilla in Freiheit war, würde man einem Uleman wohl alles verzeihen.
Wie lange dies aber noch gut gehen mochte, konnte der Adjutant nicht sagen. Irgendwann wollte auch die Bevölkerung in Freiheit und ohne Angst leben. Wenn das nicht gelingen sollte, wäre auch ein Uleman in der Bevölkerung nicht mehr sonderlich angesehen.
Der Schlächter hob langsam den Blick. Seine Augen waren blutunterlaufen, er hatte seit einiger Zeit schon nicht mehr geschlafen. Sein Adjutant blieb ruhig stehen und erwiderte den Blick.
»Schiefgegangen. Nun, letztendlich war zu erwarten, dass wir nicht schon beim ersten Versuch einen Erfolg erzielen werden. Vermutlich werden wir noch einige Versuche unternehmen müssen, bevor Uleman endlich getötet werden kann. Das Volk wird froh und glücklich sein, diesen schwachen Dummkopf loszuwerden.«
Hass sprach aus seiner Stimme. Er war sich darüber im Klaren, dass kaum einer aus der Bevölkerung spontan seinen Namen rufen würde, wenn es um die Besetzung des Kaiserthrons gehen würde. Trotzdem redete er es sich ein und mittlerweile war er soweit, dass er es selbst fast glaubte. Wenn einem jeder ständig erzählte, dass man der einzig wahre Kaiser sei, dann war das wohl eine normale Folge.
»Wir müssen das nächste Kommando losschicken. Diesmal werden wir ihn außerhalb des Palastes angreifen.«
Der Adjutant nickte. Er drehte sich wortlos um und verließ den Raum.
Carilla legte den Kopf in die Hände. Er war so müde. Er beschloss, sich etwas hinzulegen.
Der Garten des Palastes Pons Domus hatte sein Aussehen kaum verändert. Er war immer noch einer der wichtigsten Erholungsbereiche des Kaisers und seiner Verwandten. Zu diesem Zweck war er umfangreich gesichert und mit unsichtbaren Schutzschirmen gegen einen direkten Zugang geschützt, erlaubte aber auch einem zufällig vorbeikommenden Passanten, den Kaiser zu sehen, wenn er sich gerade im Garten aufhielt.
In diesem Garten hatte sich vor langer Zeit Matthew Wallace mit Saraah getroffen. Damals war sie noch Sklavin gewesen, kurze Zeit später hatten sie sich ihre Liebe eingestanden und waren, wie Wallace mittlerweile erfahren hatte, dadurch und vor allem durch ihren Auftritt in der Arena noch immer sehr populär in der Bevölkerung von Dorgon.
Saraah war nach ihrer Rückkehr zu einer sehr bekannten Persönlichkeit geworden. Sklaverei war abgeschafft. Und so hatte es passieren können, dass Saraah, die von Wallace gelernt hatte, für ihre Überzeugungen einzutreten, zur Senatorin ihrer Heimatwelt gewählt worden war.
Wallace schlenderte schmunzelnd durch die Parkanlagen, die ausgedehnt genug waren, um einige Stunden darin spazieren gehen zu können. Man konnte aber auch mittels einiger Transportbänder die Entfernungen schnell überbrücken, wenn es denn nötig werden sollte.
Er näherte sich einem kleinen Platz, auf dem ein Springbrunnen leise vor sich hin plätscherte. Der Springbrunnen lag leicht erhöht. Rings um ihn waren mehrere Parkbänke zu finden, die allerdings in den umgebenden Rosenbüschen versteckt waren. Wobei die Pflanzen nur am Rande an Rosen erinnerten, sie sahen eher wie Orchideen aus. Farbenprächtig und im Sonnenlicht glänzend reckten sich die Blütenkelche in den Himmel.
An einer ähnlichen Stelle hatte Matthew ihr damals seine Liebe gestanden. Er ließ sich auf einer der Bänke nieder und blinzelte in die Sonne. Er lehnte sich zurück und genoss diesen Augenblick der Ruhe. Viel zu selten waren solche Momente in der letzten Zeit gewesen.
Ein Schatten verdeckte die Sonne. Wallace blinzelte, konnte aber nur die Umrisse erkennen. So war zumindest klar, dass es sich um eine Frau handelte. Er richtete sich etwas auf und konnte nun ihr Gesicht etwas klarer sehen. Er brauchte nur einen Augenblick, um sie zu identifizieren.
»Saraah«, seufzte er. Bei den ersten Begrüßungen war er ihr noch weitgehend aus dem Weg gegangen, er hatte das Ende ihrer Beziehung noch nicht so gut verkraftet. Obwohl es schon länger her war, hatte er doch immer wieder an sie denken müssen und auch andere Frauen hatten ihm darüber nicht hinweg helfen können.
Diesmal konnte er nicht ausweichen und er war sich auch nicht sicher, ob er wollte.
Sie setzte sich wortlos neben ihn. Sie hatte sich kaum verändert, abgesehen davon, dass sie wesentlich selbstbewusster war, als er sie in Erinnerung hatte. Das war allerdings, wenn man ihre Position bedachte, auch kein großes Wunder. Als Senatorin war sie praktisch eine öffentliche Person und lernte so sicher sehr schnell, entsprechend aufzutreten.
Sie lächelte. Immerhin hatte sie ihn offensichtlich nicht vergessen.
»Ja, Matthew. Es ist schon einige Zeit her«, meinte sie entspannt. Damit war sie in jedem Fall lockerer als Matthew, dessen Eingeweide sich plötzlich merkwürdigerweise wie Gummi anfühlten.
»In der Tat«, meinte er hilflos. Er konnte sich auf der einen Seite kaum von ihrem Anblick losreisen, auf der anderen Seite allerdings wollte er sich mit ihr über alles unterhalten. Er tat es nicht.
»Und, wie geht es dir in deiner neuen Position? Offensichtlich nicht schlecht, wie man sieht?«
Sie lächelte. »Danke«, meinte sie einfach. »Es hat sich viel verändert. Ich stehe so sehr in der Öffentlichkeit, dass ich kaum einmal entwischen kann. Diesmal habe ich einen Termin abgesagt und einen weiteren einfach sausen lassen, um dich zu besuchen. Ich wollte dich auf jeden Fall sehen. Ich bin froh, dass es dir gut geht.«
An dieser Stelle hätte er wohl einhaken können. Aber Matthew tat es nicht. Er nickte bloß und bot ihr dann an, einen Spaziergang in der Sonne zu machen. Sie stimmte zu. Für einen Moment hatte er den Eindruck, dass sie enttäuscht reagierte.
Seite an Seite schlenderten sie durch den Park.
*
Der Kaiser wies auf einen anwesenden Dorgonen und stellte ihn den Galaktikern vor.
»Das ist Commanus. So, wie die Dinge liegen, wird er wohl bald mein Schwiegersohn werden und damit ist er auch als mein Nachfolger zu betrachten.«
Der Dorgone senkte leicht das Haupt. Er legte seinen Arm auf den Rücken der jungen Frau, die neben ihm stand. Arimad war den Galaktikern bereits bekannt und sie begrüßten sie herzlich. Auch den Namen Commanus kannten sie schon. Er war bereits kurz vor dem Fall des Nersonos übergelaufen und hatte sich auf die Seite von Uleman gestellt. In den darauffolgenden Jahren waren sich Arimad und Commanus offensichtlich näher gekommen.
Dove schätzte den Dorgonen als guten Nachfolger für den Kaiser ein. Auch wenn er damit natürlich ein Motiv bekommen würde, sich gegen seinen Schwiegervater zu stellen, so schien der Dorgone doch nicht der Typ für eine solche hinterhältige Aktion zu sein. Und vor allem waren sie noch nicht verheiratet. Wenn sein Schwiegervater vor der Zeit sterben würde, dann würde es für die Zukunft des Dorgonen zunächst eher schlecht aussehen. Wenn es dann doch noch zu einer Heirat kommen sollte, würde sich die Position des Dorgonen wieder verbessern. Allerdings war das doch eher zweifelhaft. Arimad wüsste sicher besseres, als den Mörder ihres Vaters zu heiraten.
Auf jeden Fall konnte Dove aus seinen eigenen Gedanken entnehmen, dass sich nicht sehr viel geändert hatte. Auf Dorgon waren Intrigen immer noch an der Tagesordnung und Vorsicht durchaus auch angebracht. Aber Freiheit musste man sich eben auch erst verdienen. Uleman arbeitete jedenfalls daran, dass die Zukunft der Dorgonen eine positive sein würde. Und er machte seine Sache nicht schlecht.
Dove strich den Dorgonen von seiner Liste der Verdächtigen. Er steckte ganz sicher nicht hinter den Anschlägen.
»Und das ist Decrusian.« Uleman stellte einen weiteren jungen Dorgonen vor, der fast im Alter von Commanus war.
Wie er erklärte, entstammte auch Decrusian einem reichen Elternhaus, wie fast alle Adligen des Planeten. Er hatte allerdings in seiner Kindheit seine Eltern verloren. Deshalb war er im Hause des Uleman aufgewachsen und erzogen worden. Und auch heute noch stand er an der Seite des Kaisers und seiner Familie, gehörte quasi dazu. Er war wie ein Bruder von Arimad aufgewachsen.
Bevor jemand etwas sagen konnte, trat einer aus der Leibgarde des Uleman an sie heran. Er flüsterte dem Kaiser etwas ins Ohr, der sich sofort an seine Freunde aus Cartwheel wandte. Er winkte die Freunde sowie seine Familie zu sich heran.
Er ging hinter seinen Schreibtisch und nahm einige Schaltungen vor. An einer Wand öffnete sich die Verblendung und legte einen Bildschirm frei, der sich bereits aktiviert hatte. Bilder waren darauf zu erkennen, die dem laufenden Trivid-Programm entnommen schienen. Die Bilder wurden durch ein Standbild abgelöst, auf dem eine Transmission angekündigt wurde.
»Es wird gleich eine Nachricht hereinkommen. Eine Transmission wurde angekündigt, die mit dem Anschlag auf mich zu tun hat«, erläuterte der Kaiser.
Gebanntes Schweigen breitete sich im Raum aus, alle starrten auf den Bildschirm und erwarteten die Nachricht, die angekündigt war.
Ein Bild stabilisierte sich schließlich und ein Vermummter kündigte an, dass sogleich der Wahre Kaiser sprechen würde. Uleman verzog verächtlich die Mundwinkel.
Ein Mann in der Uniform der Prettosgarde trat in den Erfassungsbereich der Kameras. Er schaute auf die Versammelten mit einem angewiderten, arroganten Blick hernieder und blieb für einige Augenblicke stehen. Er versuchte, nur mit seiner Präsenz zu wirken und Dove musste zugeben, dass ihm das durchaus auch gelang.
»Carilla, der Schlächter, entbietet dir seine Grüße, oh Kaiser.« Er grinste ironisch. Auch seine Betonung legte nahe, dass er diese ehrerbietigen Worte wohl nicht allzu ernst meinte. »Von diesem Augenblick an wirst du deines Lebens nicht mehr sicher sein. Bei allem, was du tust, wo auch immer du bist, was auch immer gerade um dich herum passiert, sei gewiss, dass meine Männer dich immer beobachten. In einem Augenblick, den ich für den richtigen halte, werde ich deinem Leben ein Ende setzen. Vielleicht werde ich es persönlich tun, vielleicht lasse ich es einen meiner Lakaien erledigen. Du wirst in keinem Falle wissen, wann es geschieht.«
Die Gestalt verstummte. Einen Abschiedsgruß ersparte der ehemalige Prettosgardist sich. Er ließ den Bildschirm einfach dunkel werden.
»Carilla. Es war zu erwarten, dass er irgendwann wieder auftauchen würde.« Der Kaiser erklärte den Besuchern, um wen es sich dabei handelte. Er erklärte auch, dass er derzeit über seinen Aufenthalt nicht Bescheid wisse, weil er Anhänger habe, die ihn schützten. In jedem Fall war er über Jahre, seit dem Tod des Nersonos, nicht in Erscheinung getreten. Und plötzlich war er wieder da. Offenkundig als Kopf einer Organisation, die es auf das Leben des Kaisers abgesehen hatte.
Schweigen breitete sich aus.
In die Stille hinein, äußerte sich Dove: »Wir werden zu verhindern wissen, dass er dir etwas tut.«
Der Kaiser nickte ihm dankbar zu. »Hoffentlich wird euch das gelingen. Keiner weiß, über welche Unterstützung er verfügt.«
»Vielleicht weiß es bald dein Spion.«
»Hoffentlich. Wir brauchen einen Erfolg gegen diesen Mann, sonst wird das meine Position sehr erschüttern.«
Dove grinste. Es war kein fröhliches Grinsen. »Erschüttern ist gut. Ich fürchte, du wirst dann keine Position mehr haben. Wir müssen gewinnen.«
Diesmal war das Schweigen eisig. Niemand unterbrach es für längere Zeit.
*
Die Mitglieder der Cartwheel'schen Delegation bestiegen einen der Gleiter. In einem weiteren nahm der Kaiser mit seinem Gefolge Platz. Seine Familie, bestehend aus Arimad, Decrusian und Commanus, verteilten sich auf die Gleiter der Terraner, damit nicht alle Mitglieder der kaiserlichen Familie in einem Gleiter sitzen würden. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, falls es doch jemandem gelingen sollte, den Kaiser zu töten... Umgeben waren die Gleiter von Einheiten der Leibwache, die besonders intensiv auf den Kaiser achten sollten.
Sorge hatte nicht nur die kaiserliche Familie ergriffen, sondern auch die Terraner. Cauthon Despair war an Bord der IVANHOE zurückgekehrt und leitete von dort aus die Operationen der Terraner, die dem Kaiser ihre Unterstützung zugesichert hatten. Außerdem koordinierte er sämtliche Aktivitäten mit den Sicherheitsexperten des kaiserlichen Hofes. Insgesamt eine interessante und sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die der Mann in der Rüstung erhalten hatte.
Meldungen von Torrinos besagten, dass er mittlerweile Kontakt mit den Rebellen aufgenommen hatte. Er befand sich immer noch auf Dorgon, in der Hauptstadt des Planeten, war aber mehrmals in Verstecken auf dem Planeten gewesen, wo sich einige Kaiser-Gegner, die zugleich Anhänger von Carilla waren, sammelten. So hatte er erste Spuren gefunden, die zu den Drahtziehern der Attentate führten. Die Basis befand sich nicht auf Dorgon, das hatte er mittlerweile schon herausgefunden. Er würde weitermachen, bis er die Heimatwelt der Separatisten entdeckt hatte.
Despair sichtete alle Informationen, die ihm vorlagen, und zog Vergleiche. Alles in allem vermutete er, dass der Kaiser bei diesem Ausflug in Schwierigkeiten kommen würde. Deshalb waren auch die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Den Wachring aus Gleitern, der den Kaiser umgab, sollte niemand durchbrechen können. Darauf würde sich aber der Mann in der Rüstung nicht verlassen. Er befand sich in ständiger Bereitschaft und überwachte alles, was er überwachen konnte. Letztendlich würde es darauf ankommen, Informationen zu synchronisieren.
Torrinos bewegte sich zusammen mit einigen Mitgliedern der Separatistengruppe durch die Katakomben des Planeten. Immer noch war dieses Labyrinth eine unübersichtliche Angelegenheit und damit ein ausgezeichnetes Versteck für eine Gruppe wie die Separatisten, die gegen die Interessen der Regierung arbeitete. In den Katakomben von Dom waren einige der Verstecke der Separatisten untergebracht, aber auch außerhalb der zentralen Großstadt, in der fast alle Einwohner Dorgons beheimatet waren.
Die Gruppe bewegte sich vorsichtig durch die Gänge, die Waffen gezückt und in ständiger Bereitschaft. Zwar war wohl kaum zu erwarten, dass es in diesen Gängen zu Problemen kommen würde, aber der Zufall war schon oft ein negativer Faktor in einer Rechnung gewesen und diesen Zufall wollten die Separatisten mit ihrer Wachsamkeit ausgleichen. Außerdem waren Widerstandskämpfer von Natur aus misstrauisch.
Torrinos hatte sich langsam in der Hierarchie der Separatisten etwas nach oben gearbeitet. Er durfte bei einigen kleineren Aktionen mitmachen und hatte einige wenig schmeichelhafte Dinge getan, für die er sich allerdings niemals würde verantworten müssen. Er hatte niemanden getötet. Und er war so weit gekommen, dass die Separatistengruppe auf Dorgon schon kurz davor war, ihn auf die Hauptwelt des Widerstands zur Ausbildung zu schicken. Auf dieser Hauptwelt würde er allerdings nur mit einer starken Kampfflotte jemals ankommen, stark genug jedenfalls, um die Widerstandsnester auszuheben.
Dazu musste er aber erst einmal herausfinden, wo sich diese Welt befand.
Er war fest entschlossen, bei den Aktionen, die noch bevorstanden, mitzumachen und sich so das Flugticket zu verdienen.
Sie kamen um eine Ecke und bewegten sich auf einen Aufgang zu, der aus dem Labyrinth herausführen würde. Der Separatist, der vorne ging, hielt an und hob eine Hand. Die anderen gehorchten der Aufforderung und blieben stehen.
Sie warteten. Nach einiger Zeit gingen sie weiter und näherten sich dem Aufgang. Direkt unter der Ausgangsöffnung, die noch verschlossen war, blieben sie stehen. Der Anführer gab Zeichen, sich nieder zu kauern und zu warten. Alle ließen sich auf dem kalten Boden nieder und warteten darauf, dass etwas passieren würde. Der Einsatz würde bald beginnen. Noch wusste keiner von ihnen, worum es ging. Bald würden sie es erfahren. Mit gemischten Gefühlen betrachtete der Agent seine Waffe. Würde es diesmal zu einem Mord kommen? Würde er töten müssen? Und würde er es überhaupt tun?
*
Die Gruppe in den Gleitern näherte sich langsam dem Regierungssitz, dem Forum Preconsus.
Uleman hatte darauf bestanden, die Reise zu machen. Er wollte zum einen Portland und Despair die Chancen bieten, vor den Senatoren und Konsuln zu sprechen und selbst über die Bedrohung Carilla diskutieren.
Weit war es nicht und die Sicherheitsvorkehrungen waren so sicher, wie sie sein konnten. Wenn er sich an seinen Palast ketten ließ, dann würde er verrückt werden. Außerdem hatte der Palast ihn auch nicht geschützt, sondern weit eher die Geistesgegenwart eines seiner Mitarbeiter.
Er saß entspannt bei den Mitgliedern seiner Delegation, die vor allem aus seinen persönlichen Beratern bestand. Er hatte keine Angst, fühlte nur leichte Besorgnis.
Ein Donnern zeigte, dass diese Besorgnis nicht unberechtigt war. Ein Wachtposten begann, sich mit den anderen Wachen zu verständigen und wandte sich dann an den Kaiser.
»Eine Rakete, die gerade auf den Gleiter abgefeuert wurde. Sie hat ihn nicht erreicht, wurde vorher abgeschossen. Alles so weit in Ordnung. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es noch mal passiert.«
»Wir haben Schutzschirme und wir verfügen über genügend Gleiter mit Abwehrwaffen. Es wird nichts weiter passieren.« Der Kaiser klang zuversichtlicher, als er sich fühlte.
Eine neuerliche Explosion erklang.
»Wieder eine Rakete, aus einem anderen Teil der Stadt abgeschossen.« Der Wachtposten hörte sich etwas nervös an.
Der Kaiser lächelte. »Bald wird ihnen die Munition ausgehen. Sie können nicht über so viele Raketen verfügen. Geschweige denn Personal in der ganzen Stadt verteilen.«
Wie um seine Worte Lügen zu strafen, explodierten zwei weitere Raketen in den abgefeuerten Abwehrkanonen der Begleitflugzeuge. Einige Mitglieder seines Gefolges zeigten ihre Angst offen, ließen sich aber von dem immer noch Ruhe ausstrahlenden Kaiser anstecken.
Plötzlich schlug etwas in die Schirme des kaiserlichen Gleiters ein. Flackernd erloschen die äußersten beiden Hüllen des mehrfach gestaffelten Schutzfeldes, das den Gleiter spätestens seit der ersten Explosion umgab. Der Pilot des Flugzeuges zwang den Gleiter in eine enge Kurve und versuchte so, dem Schützen auszuweichen.
Es wurde turbulent in dem Gleiter. Schreiende Menschen kippten aus den Sitzen, klammerten sich an anderen Menschen fest und versuchten, einen festen Halt zu finden. Der Kaiser saß unerschütterlich inmitten des Chaos und stellte erleichtert fest, dass es doch eine gute Idee gewesen war, sich mittels eines Prallfeldes im Sessel fixieren zu lassen. Er legte die Hand auf die Gürtelkontrollen seines Schutzanzuges, den er auf Anraten seiner Sicherheitsexperten angelegt hatte. Wenn dem Gleiter etwas passieren sollte, dann würde der Kaiser, in seine persönliche Schutzsphäre gehüllt, sich in Sicherheit bringen. In der Hoffnung, dass eine unmittelbare Bedrohung durch einen Gegner aus dem Dunkeln dann nicht bestand.
Neuerliches Feuer schlug in den Schirm und brachte einen weiteren der gestaffelten Schirme zum Erlöschen. Nun bestanden nur noch zwei der kugelförmigen Sphären. Wenn auch diese erlöschen würden, dann würde der Gleiter des Kaisers schutzlos jedem weiteren Beschuss ausgesetzt sein.
Der Pilot flog einige weitere Kurven und manövrierte zwischen den Begleitflugzeugen hin und her. Er versuchte, keinen der anderen zu treffen, sie andererseits aber auch zwischen sich und den noch unbekannten Schützen zu bringen. Ein Funkspruch erreichte seinen Kopiloten, der ihn darüber informierte, dass der Beschuss offensichtlich von einem der begleitenden Gleiter ausging. Fassungslos registrierte der Kaiser, dass offensichtlich auch seine Leibwache bereits infiltriert war. Angesichts der Tatsache, dass der Schlächter ehemaliges Mitglied der Prettosgarde war, konnte man schon annehmen, dass er auch noch über Kontakte verfügte. Aber zwischen einer Annahme und der Bestätigung derselben gab es doch gewisse Unterschiede, wie der Kaiser feststellen musste. Es schmerzte ihn doch sehr.
Er registrierte, dass weitere Schüsse in den Schirm einschlugen. Wieso brachten sie den Gleiter nicht endlich zum Absturz? Vermutlich war er ähnlich geschützt, wie der des Kaisers. Und da er beschossen wurde und damit dasselbe Problem hatte wie der eigene Gleiter, kamen auch die Schüsse nicht auf regelmäßiger Basis. Trotzdem kamen sie regelmäßig genug, um sie in Schwierigkeiten zu bringen.
Wiederum trafen mehrere Strahlen, dazu kam noch eine Explosion. Eine weitere Rakete, die es diesmal bis zu ihnen geschafft hatte. Die letzten beiden Schirme erloschen, der Gleiter mit dem kaiserlichen Emblem war weiteren Angriffen damit schutzlos ausgeliefert.
Der Kaiser war sich darüber im Klaren, dass das, trotz seines Schutzanzuges, das Todesurteil bedeuten konnte. Er aktivierte den Schutzschirm, der seinen Körper im Abstand von einem Zentimeter nahtlos umhüllte. Er hoffte, dass das ausreichen würde, wenn der Gleiter zur Explosion gebracht werden sollte.
*
Despair hatte die ersten Explosionen mitbekommen. Er schickte eine der Space-Jets los, um unterstützend einzugreifen. Hoffentlich würde die Jet rechtzeitig vor Ort sein. Schnell genug war sie ja, aber die Besatzung musste erst einmal aus ihren Quartieren in die Jet gebracht und diese dann ausgeschleust werden. Außerdem brauchte er noch eine Erlaubnis, um mit der Jet auf Dorgon operieren zu können.
Er stellte eine Verbindung mit der Zentrale des Raumhafens und den Verantwortlichen des Geheimdienstes her und brachte sein Anliegen vor. Der Geheimdienst befürwortete den Antrag sofort und auch die Raumhafenverwaltung sperrte sich nicht dagegen. Eine Jet war mittlerweile bereit, die Besatzung hatte das Schiff gestartet und schwebte nun über dem Boden des Hangars. Die Schleuse öffnete sich und das Schiff legte sich auf die Seite. Nun sah sie mehr wie ein stehender Teller aus.
Das Haupttriebwerk war unten an der Jet angebracht. Es katapultierte das kleine Schiff aus der Hangarschleuse. Die Besatzung erhielt Kontakt mit Mitgliedern der Raumhafenverwaltung. Koordinaten wurden übermittelt und Henry »Flak« Portland, der nicht mit den anderen in den Gleiter gestiegen war, bestätigte den Erhalt derselben.
Ein Pilot flog die Jet zu den angegebenen Koordinaten.
Schon von weitem konnten sie den Luftkampf beobachten. Irwan Dove und Matthew Wallace hatten die Gleiter übernommen, in denen sie saßen, und lieferten einem weiteren Gleiter einen Luftkampf, der seinesgleichen suchte. Mit gewagten Manövern gingen sie den bewaffneten Gleiter an, und das, obwohl sie selbst nicht über bewaffnete Gleiter verfügten. Von den Gleitern der Leibwache, die besser bewaffnet waren, waren drei bereits abgeschossen. Einer gehörte offensichtlich zu den Gegnern und nur noch zwei waren im Einsatz. Dazu kam noch der Gleiter des Kaisers.
Henry Portland hatte sich schnell einen Überblick verschafft und brüllte seine Anweisungen. Er setzte sich selbst an die Kontrollen der Bordwaffen und feuerte auf den Gleiter, dessen eher schwache Schutzschirme dem Beschuss aus schweren Bordwaffen kaum standhalten konnten. Er feuerte weiter und schaffte es so, die Schutzschirme zu überlasten. Mittlerweile war der Gleiter des Kaisers schutzlos dem Beschuss ausgeliefert. Noch bevor es Portland gelingen konnte, den Gleiter des Attentäters abzuschießen, explodierte das Flugzeug mit dem kaiserlichen Emblem.
Fassungslos blickte Portland auf den Gleiter, der in einer Feuerwolke verging. Trümmerteile flogen in alle Richtungen, prallten teilweise gegen die Kanzel der Jet. Dove verlor keine Zeit. Er meldete sich bei Portland ab und landete sein Gefährt, das bisher dem Luftkampf eher tatenlos beigewohnt hatte, in der Nähe der Stelle, an der die meisten der Trümmer zu Boden gehen würden. Inmitten eines Parks der großen Stadt, der zwischen den kaiserlichen Parkanlagen und dem Senatsgebäude gelegen war, landete er.
Gemeinsam durchsuchten sie die Trümmer des vernichteten Flugzeugs, während Portland die Absicherung in der Luft übernahm.
Dove hatte ein tragbares Ortungsgerät in der Hand und suchte damit nach den stärksten Emissionen. Er wusste, dass der Kaiser über einen Schutzanzug verfügte und hoffte sehr, dass er durch die Schutzschirme die Explosion überstanden hatte. Wenn dem so war, dann sollten die Anlagen einiges an Energie produzieren, die trotz der glühenden Trümmerstücke zu bemerken war. Verzweifelt bewegte er sich in dem Trümmerfeld und suchte nach der Anzeige, die Rettung bedeuten würde.
Weitere Gleiter landeten, die Mitglieder der kaiserlichen Familie an Bord hatten. Arimad stürzte aus dem Gleiter und sah das Trümmerfeld. Sie wandte sich um und warf sich in die Arme ihres Verlobten, wo sie bitterlich zu weinen begann.
Dove bog einige Zweige zur Seite und kam auf einen kleinen, freien Platz, auf dem die meisten der Trümmer zu liegen schienen. Eine Anzeige ließ ihn stutzen. Sie war nur sehr schwach, entsprach aber in ihren Angaben genau der eines organischen Lebewesens. Davon hatte er schon mehrere bekommen, aber die gehörten zu Opfern, die bei der Explosion des Gleiters ums Leben gekommen waren. Die Berater des Kaisers hatten den Absturz auf keinen Fall überlebt.
Diese Ortungsangaben bescheinigten aber, dass der Mensch, um den es ging, noch am Leben sein könnte. Jedenfalls lag er noch in einem Stück da.
Dove schob ein Trümmerstück zur Seite, das nicht glühte, sondern bereits abgekühlt war. Das war auch gut so, denn darunter kam ein Mensch zum Vorschein, der unverletzt wirkte. Er war aber bewusstlos. Dove drehte ihn herum und blickte in das Gesicht des Kaisers.
»Hier drüben!«, brüllte er.
Sofort gesellten sich Mitglieder der kaiserlichen Leibwache zu ihm, die recht betreten aussahen. Offensichtlich waren sie ihrer Aufgabe in diesem Fall nicht gewachsen gewesen und Torrinos, der das letzte Mal dafür gesorgt hatte, dass die Prettosgarde gut dagestanden hatte, war diesmal nicht mit dabei gewesen.
Sie kümmerten sich um den Kaiser, der glücklicherweise unverletzt war. Offensichtlich hatten die Schirme die Explosion ausgehalten und der Absturz des Gleiters war ebenfalls durch den Schutzanzug abgemildert worden. Ein Prallfeld um den Kaiser war noch aktiv, das die Trümmerstücke von seinem Körper ferngehalten hatte und auch den Aufprall abgemildert hatte. Der Kaiser hatte Glück im Unglück gehabt, er hatte den Anschlag überlebt.
Es dauerte nicht lange, bis er das Bewusstsein wiedererlangte. Als er die besorgten Gesichter sah, die über ihn gebeugt waren, lächelte er demonstrativ.
»Ich habe doch gesagt, es wird nicht viel passieren«, meinte er trocken.
Dove half ihm auf die Beine. Sie waren wohl etwas leichtsinnig gewesen, und das trotz aller Vorbereitung. Das würde in keinem Fall noch mal passieren.
»Wir fliegen zurück und wir nehmen dazu die Space-Jet. Die wird keiner angreifen und selbst wenn, werden die Separatisten wohl kaum die Mittel haben, um sie in ernste Bedrängnis zu bringen.«
Der Kaiser schüttelte den Kopf. »Wir fliegen nicht zurück. Unsere Reise hat schließlich einen Grund. Wir werden auf jeden Fall das Forum Preconsus besuchen.«
»Aber...« Der Oxtorner wollte protestieren, hielt aber inne, als der Kaiser herrisch die Hand hob. Er konnte sich jegliches weitere Wort ersparen. Der Kaiser würde seine Meinung nicht gelten lassen. Er seufzte. »Also gut. Aber diesmal werden wir den Schutz übernehmen.«
Hier widersprach der Kaiser nicht. Die Prettosgarde wandte sich beschämt ab. Einer aus ihrer Mitte war zum Verräter geworden und hatte einen der Gleiter zum Angriff auf den Kaiser verwendet. Kein Wunder, dass der Kaiser für den Transport lieber auf andere vertraute. Er würde trotzdem keinen Grund mehr zur Klage haben. Wenn er den Senatssaal betrat, würde die Leibwache nicht von seiner Seite weichen.
Ob Uleman dieser Gedanke beruhigen sollte, wusste er noch nicht. Aber er beschloss, den Überresten seiner Leibwache zu vertrauen. Dass einer davon zum Verräter werden konnte, das war schon schlimm genug. Aber die Auswahl dieser Männer geschah nach bestimmten Kriterien, die im Normalfall dafür sorgten, dass Verrat ausgeschlossen werden konnte. Öfter als einmal würden die für die Einstellung Verantwortlichen sicher nicht irren. Wenn er sich darauf nicht verlassen konnte, dann konnte er sich auf nichts mehr verlassen.
Aus diesem Grund beschloss der Kaiser, den Männern zu vertrauen.
*
Im Forum Preconsus hatten die Senatoren bereits von den Anschlägen gehört. Besorgnis hatte sich ausgebreitet, leises Murmeln war zu hören. Die Atmosphäre war angespannt. Auf einem Bildschirm waren Aufnahmen von den Ereignissen zu sehen, sowohl von dem Luftkampf, als auch von dem Absturz der kaiserlichen Maschine. Als diese Aufnahmen gezeigt wurden, breitete sich für einen Augenblick Schweigen im Raum aus. Wohl keiner rechnete damit, vom Kaiser jemals wieder etwas zu hören. Und Saraah war sich fast sicher, dass nicht jeder das bedauerte. Zu viele Gegner hatte der Kaiser Uleman unter den Mitgliedern des Senats gehabt.
Sie schüttelte diesen Gedanken ab und gab sich für einen Augenblick vollständig ihrer Trauer um den Kaiser hin, bis die Meldung in den Raum übermittelt wurde, dass der Kaiser den Anschlag überlebt hatte. Nicht nur das, er würde auch in den Senat kommen und vor seinen Mitgliedern sprechen, wie er es angekündigt hatte. Jubel brandete in dem Saal auf. Für wenige Sekunden verspürte die Senatorin von Jerrat ein Gefühl der Verbundenheit sowohl mit dem Kaiser des Reiches als auch mit allen anderen, die im Saal anwesend waren. Ein Gefühl, dass sie eben doch alle Dorgonen waren. Daran konnten auch Separatisten nichts ändern. Und selbst wenn einige der politischen Gegner des Kaisers eine Veränderung befürwortet hätten, so wäre ein Ableben des Kaisers als Folge eines Anschlages doch ein so ungeheuerliches Ereignis gewesen, dass keiner der anwesenden Menschen es wünschte oder fördern würde. Da war sich Saraah sicher.
Gebannt verfolgten die Senatoren, wie sich der Kaiser in die Jet der Besucher aus Cartwheel begab und dabei den Kameras kurz zuwinkte. Er hatte eine Verletzung an der Stirn, aus der etwas Blut sickerte. Aber er lächelte in die Kameras und wirkte trotz all der Ereignisse sehr zuversichtlich. Diese Bild hatte eine symbolische Kraft, die Saraah fast die Luft nahm. Ein starker Kaiser, der einen solchen Anschlag und beinahe sein Ende auf eine solche Weise wegsteckte, war ein wahrer Dorgone und zeigte so, dass er es wert war, der Kaiser dieses Volkes zu sein.
Letztendlich artete der Anschlag zu einer Demonstration aus. Einer Demonstration für die Stärke der Monarchie und für den amtierenden Kaiser.
Saraah war sich fast sicher, dass Uleman im Senat heute alles durchsetzen konnte. Keiner der Senatoren würde auch nur daran denken, ihm zu widersprechen. Insofern war dieser Anschlag sehr passend gekommen.
Der Kaiser erreichte den Senat und betrat ihn festen Schrittes. Als er in den Senatssaal kam, erlosch die Übertragung. Dafür widmeten die Senatoren ihre volle Aufmerksamkeit dem Kaiser, dessen Stirnwunde mittlerweile mit Wundspray versorgt worden war. Sie blutete nicht mehr und das Heilplasma hatte auch schon dafür gesorgt, dass sie sich schloss und keine Narbe zurückbleiben würde. Mehr war dem Kaiser nicht passiert, außer einigen kleineren Prellungen, die er sich bei dem Aufprall auf die Erde zugezogen hatte.
Jubel brandete auf und die Senatoren erhoben sich geschlossen von ihren Bänken, ohne vom Sprecher dazu aufgefordert worden zu sein. Einen Augenblick lang wurde dem Kaiser Beifall gespendet, dann beruhigten sich die Senatoren wieder. Sie folgten den Gesten des Kaisers und ließen sich auf ihren Sitzen nieder.
Der Kaiser stellte Henry »Flak« Portland und Xavier Jeamour vor. Portland hielt eine kurze Rede über die aktuelle Lage in Cartwheel. Der steif wirkende Terraner blickte zu den Senatoren und Senatorinnen.
»Hochverehrte Senatsmitglieder«, begann er und räusperte sich, da er vor lauter Aufregung einen Frosch im Hals hatte.
Portland war kein Diplomat, sondern ein Soldat. Doch die Rolle des Botschafters wurde ihm mehr und mehr von Joak Cascal aufgezwungen, weil dieser viel von Portland hielt. Doch am liebsten wäre er Kommandant eines Kriegsschiffes, wie in den alten Zeiten.
»MODROR hat uns Frieden angeboten. Wie wertvoll dieser Frieden sein wird, ist fraglich. Trotz unserer Unabhängigkeit gibt es Konflikte, wie der jüngste Zwischenfall im Lingussystem zeigt. Dennoch denke ich, dass wir auf gutem Wege sind. Ich soll euch Grüße von dem Consus Jusilus übermitteln.«
Verhaltener Applaus gemischt mit Gemurmel begleitete Portland auf dem Weg zu seinem Sessel. Neben ihn saßen Jeamour und Despair. Keiner der beiden sagte ein Wort. Nur Jeamour nickte Portland aufmunternd zu. Nun war es für den Kaiser an der Zeit zu reden.
*
Torrinos hatte die Explosionen gehört und dabei die Fäuste geballt. Er war sich nicht sicher, was da auf der Oberfläche von Dorgon passierte, aber er ahnte, dass seine Dienste als Leibwächter seiner kaiserlichen Hoheit durchaus angebracht gewesen wären. Nun war er aber leider in diesen Katakomben gefangen und konnte nichts weiter tun als hilflos auf das Ende der Explosionen warten und hoffen, dass dem Kaiser nichts passieren würde.
Nach einiger Zeit wurde es draußen ruhiger und dann passierte eine Weile lang gar nichts. Der Anführer der Aktion winkte die Mitglieder der separatistischen Bewegung mit sich und näherte sich dem Aufgang.
Torrinos sah, dass sie in der Nähe des Senatsgebäudes waren. Noch bevor sie vollkommen im Freien angekommen waren, verkündete ihr Anführer, was ihre Aufgabe sein würde. Sie sollten sich in den Senat begeben, sich den Weg freikämpfen und den Kaiser töten. Auf diese Weise würde der Triumph des Kaisers zu einer Niederlage werden.
Torrinos packte den Griff seiner Waffe fester und überlegte, ob er sofort das Feuer eröffnen sollte. Auf diese Weise wollte er sein Ticket auf den Heimat- und Ausbildungsplaneten der separatistischen Bewegung nicht erringen. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als sich zu beherrschen. Wenn er es nicht tun würde, dann wäre ihm der Tod gewiss. In den Wirren der Angriffe auf den Senat von Dorgon würde er es mit Sicherheit schaffen, einen Unterschied zu machen. Und seinen Job als Beschützer des Kaisers erfüllen können. Hoffte er zumindest.
Sie drangen wieder in den Untergrund vor und nutzten einen Aufgang, der direkt unter dem Senat in einem Keller herauskam. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum Saal, in dem sich nicht nur die Senatoren, sondern auch der Kaiser aufhielt.
Trotzdem waren noch einige Probleme zu lösen. Der Aufgang war auch den Sicherheitskräften des Senats nicht unbekannt. Deshalb war er gesichert. Als die Separatisten aus dem Aufgang rannten, warteten die Sicherheitskräfte bereits. Auch wenn sie keine Prettosgardisten waren, so waren sie doch sehr schnell. Sie eröffneten das Feuer. Einer nach dem anderen starb im Feuer der Separatisten, aber sie erwischten auch zwei der Angreifer. Torrinos, der sich etwas zurückgehalten hatte, um keine Sicherheitskräfte töten zu müssen, stellte fest, dass sie damit nur noch zu acht waren. Das konnte aber durchaus ausreichend sein.
Der Anführer wies auf eine Treppe, die aus den Kellerräumen nach oben führte. Alarmsirenen kündigten an, dass das Feuergefecht nicht unbemerkt geblieben war. Nun, das war auch nicht zu erwarten gewesen.
Torrinos traf eine Entscheidung. Er trennte sich von seiner Gruppe und verschwand hinter einer Gangbiegung, bevor ihn einer der anderen aufhalten konnte. Sie kümmerten sich auch gar nicht weiter um ihn. Sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Weitere Sicherheitskräfte stellten sich ihnen in den Weg. Wütend kämpften sie sich den Weg frei.
Torrinos stand hinter einer Gangbiegung und bewegte sich nicht. Die Schritte der anderen entfernten sich, er hörte Schreie und vereinzelte Schüsse. Lautlos bewegte er sich von dem Ort der Schüsse weg und suchte ein Magazin auf, dessen Lage ihm als Prettosgardist bekannt war. Sonst kannte fast keiner, außer seinen Kollegen, dieses Magazin.
Er warf die Waffe der Separatisten weg und rüstete sich aus. In dem Magazin gab es auch Ersatzuniformen der Gardisten. Er griff nach einer davon und kleidete sich ein.
Er steckte Waffen ein. Außer einem Strahler griff er auch noch nach einer Vibratorklinge. Ein Schutzschirmaggregat vervollständigte die Ausrüstung. Mehr benötigte er nicht.
Konzentriert versenkte er sich in Trance. Er verließ den Raum und zog das Vibratormesser. Lautlos huschte er durch die Gänge und erreichte die Gruppe der Separatisten, die eine weitere Gruppe von Sicherheitskräften getötet hatte.
Er näherte sich der Gruppe, hatte aber keine Chance auf einen Zugriff. Er schaffte es aber trotzdem, ein Mitglied der verbleibenden sieben Separatisten zu erreichen, bevor sie um eine Biegung verschwunden waren. Er griff nach dem Mann und setzte die Klinge an. Fast lautlos schaffte er es, den Getöteten in einen Raum zu ziehen und dort abzulegen. Nur ein Gurgeln war durch den Schnitt zu vernehmen, der seine Kehle spaltete. Es war das letzte Gurgeln im Leben des Separatisten.
Kaum dass die Sirenen erklangen, stürzten sich die Gardisten auf den Kaiser. Diesmal wollten sie keinen Fehler machen und umgaben Uleman wie eine Mauer. Aktivierte Schutzschirme, die sich an den Rändern überlappten, umgaben den Kaiser wie eine Kugel. Niemand würde so einfach an ihn herankommen.
Die Abwehr wurde unterstützt durch Waffen, die die Gardisten plötzlich in den Händen hielten.
Dove hielt sich zurück. Diesmal war die Prettosgarde an der Reihe.
Torrinos hatte einen weiteren der Attentäter erreicht, die nun schon deutlich nervöser waren. Sie hatten bemerkt, dass zwei weitere Mitglieder der Gruppe buchstäblich verschwunden waren und erkannten, dass da noch mehr Gegner im Dunkeln lauerten. Das hinderte sie aber nicht daran, weiter vorzurücken. Sie erreichten den Saal der Senatoren und eröffneten sofort das Feuer. Todesopfer wurden nur durch Schutzschirmaggregate verhindert, hinter deren Schirmen sich die Senatoren versteckten.
Die anwesenden Sicherheitskräfte konzentrierten sich auf den Schutz der Senatoren und überließen den Kaiser den Gardisten.
Die sechs Attentäter stürmten auf das Podium und ließen sich auf Kämpfe mit den Prettosgardisten ein. Der Kaiser stand hilflos da und sah dem Kampf zu. Einige seiner Männer wurden überwältigt, was ihm zeigte, dass die Angreifer sehr gut trainiert waren. Die meisten blieben bewusstlos liegen, nur einer überlebte die Attacke des Separatisten nicht. Die vermummten Gestalten waren hervorragende Kämpfer, wie der Kaiser erkannte.
Er warf einen hilfesuchenden Blick in Doves Richtung, aber der Oxtorner würde zu spät kommen. Obwohl er sich in diesem Moment in Bewegung setzte, hatte ihn der erste der Angreifer fast erreicht.
Ein Schatten schien von der Decke zu fallen. Aus einer Empore, die wenige Meter über dem Kaiser verlief und eigentlich gesperrt war, solange der Herrscher von Dorgon anwesend war, ließ sich ein in der Uniform der Garde gekleideter Mann fallen und landete federnd direkt vor dem Kaiser. Er blockte den Fausthieb eines Angreifers mühelos ab und setzte einen Konter an, der dem Gegner die Luft aus den Lungen trieb. Trotzdem schaffte der es, ihm die Beine unter dem Leib wegzutreten. Mit einer schnellen Bewegung, die für das menschliche Auge fast nicht zu erfassen war, erhob sich der Angreifer und trat in Richtung des Kopfes des Gardisten. Torrinos erwischte den Fuß des Mannes und verdrehte ihn. Er wurde ausgehebelt und landete auf der Nase. Der Vibratordolch zerschnitt Muskeln und Sehnen und fand seinen Weg in das Herz des Gegners.
Dove war heran und kümmerte sich um einen zweiten Angreifer, während Flak Portland mit wütenden Fausthieben dabei war, einen weiteren Gegner auszuschalten. Er brach ihm das Genick mit einem wuchtigen Ellbogenstoß.
Torrinos griff nach dem Anführer der Attentäter, der sich mit einem Aufschrei auf den Kaiser werfen wollte. Er erreichte ihn nicht und stieß sich sofort aus dem Stand ab. Im Flug traf er den Mann von der Seite, gemeinsam kugelten sie vom Podium. Während Dove gerade den drittletzten Angreifer tötete und Portland mit dem vorletzten rang, schaffte Torrinos es, den Anführer der Separatisten mit einem Würgegriff auszuschalten. Der Mann sank bewusstlos zu Boden, was gut war. So konnte man ihn vielleicht noch befragen und ihm einige Informationen entlocken, beispielsweise wo sich die Heimatwelt der Separatisten befand.
*
Keuchend trat Portland neben Dove, der gerade den letzten Angreifer leblos zu Boden sinken ließ. So, wie es aussah, war nur einer übrig geblieben und um den kümmerte sich der Gardist. Er sorgte dafür, dass der Mann in Gewahrsam genommen wurde, dann trat er vor seinen Kaiser, der lächelte.
»Ich habe es mir fast gedacht, als ich dich kämpfen sah. Dove, ich möchte dir Torrinos vorstellen. Er hat mir schon einmal das Leben gerettet und ist ohne Zweifel der beste Gardist, den ich derzeit habe. Ein Mann, der dir sicher gefallen wird.«
Der Oxtorner nickte dem Mann freundlich zu und ergriff dessen Hand. Der Händedruck war fest, der Blick aus den Augen des Mannes zeugte von Selbstbewusstsein. Dass er in Hochform war, hatten sie gerade eben gesehen.
»Wir sollten uns um den Gefangenen kümmern.« Der Gardist blieb gelassen. Unter den betretenen Blicken der Senatoren, die nicht einmal mehr jubeln konnten, verließen sie den Raum. Sie würden schon herausfinden, wo der Schlächter sich versteckte. Dann würden sie ihn holen. Die IVANHOE stand zum Start bereit.
Cauthon Despair beugte sich über den Gefangenen, den man an Bord der IVANHOE gebracht hatte. Neben ihm stand Torrinos, der das Verhör überwachte. Man hatte den Gefangenen nicht eben sanft behandelt, aber letztendlich konnte er sich nicht beklagen. Er war immerhin nicht gefoltert worden und angesichts dessen, was er zusammen mit anderen Separatisten getan hatte, war es wohl kaum verwunderlich, dass man nicht sehr freundlich mit ihm umging.
Torrinos war sicher, dass der Mann über Dinge Bescheid wusste, die über das Wissen der anderen Teilnehmer an dem Anschlag hinausgingen. Wie viele terroristische Organisationen, waren auch die Separatisten in Zellen organisiert. Ein Anführer wusste über mehrere Untergebene Bescheid, die wiederum über mehrere andere Untergebene Bescheid wussten. So baute man ein Netzwerk auf, das insofern relativ sicher war, als man durchaus einzelne Mitglieder desselben verlieren konnte und das Netz insgesamt weiter operieren konnte. Auch der Verlust von Führungskräften machte nicht so viel aus, weil auch andere Wege Querverbindungen unter den einzelnen Zellen erlaubten und so ein solcher Verlust schnell ersetzt werden konnte.
Trotzdem war es für eine solche Organisation natürlich schädlich, wenn eines der Mitglieder einfach verschwand. Zwar verfügten die einzelnen Mitglieder immer nur über einen Teil des Wissens, aber wenn doch einmal einer mehr wusste, und das war bei einem Anführer der Fall, konnte die Gefangennahme schaden. Dass der Gefangene überhaupt an diesem Angriff teilgenommen hatte, mochte zwar verwundern. Vermutlich hatte die Organisation aber nicht mit einer Niederlage gerechnet. Carilla war also sicher nicht sehr begeistert, zu erfahren, dass alle seine Angriffe abgewehrt worden waren.
Despair und Torrinos kümmerten sich um den Gefangenen, indem sie ihm die richtigen Fragen stellten. Der Delinquent verzichtete weitgehend darauf, die richtigen Antworten zu liefern, aber das war zu erwarten gewesen. Deshalb verwendeten die beiden Verhörenden einen Katalysator, der korrekte Antworten auf die Fragen liefern würde. Der Gefangene wurde mit einem Serum behandelt, das ihm die Wahrheit entlocken würde. Und das sogar ohne Schädigungen für ihn, denn heutige Seren waren so gemixt, dass der Verhörte seinen Verstand behalten durfte.
Er würde aber ein schlechtes Gewissen haben, wenn er wieder über seine Erinnerungen verfügte. Er würde sich darüber im Klaren sein, dass er zu einem Verräter geworden, war wenn auch nicht freiwillig. Letztendlich würde ihn das fast in den Wahnsinn treiben und eine Therapie für den Behandelten war somit unausweichlich.
Das war aber zumeist nicht mehr das Problem der Verhörenden. Sowohl Torrinos als auch Cauthon Despair hatten kein Problem damit, den Gefangenen solcherart in Schwierigkeiten zu stürzen. Deshalb verabreichten sie ihm das Serum schließlich und entlockten ihm all die Antworten, die der Gefangene zuvor schuldig geblieben war.
Darunter auch die Koordinaten einer Welt, die sich als nicht so unbekannt erwies. Die IVANHOE war bereits im All, als die Antworten endlich vorlagen und die Koordinaten in den Computer eingegeben wurden. Die Welt Mesoph hatten sie bei ihrem damaligen ersten Einflug nach M 100 schon einmal besucht. Matthew hatte Saraah dort kennen gelernt. Die Lager des Carilla waren auf ebendieser Welt zu finden.
Die IVANHOE beschleunigte sofort und flog voraus. Außerdem übermittelte sie die Koordinaten an die Heimatflotte Dorgons, deren Dux Superior Vesus auch schon bereit stand, um die Adlerschiffe der Dorgonen in Marsch zu setzen.
Im System der Sonne Mesoph würde man sich dann treffen.
Despair und Torrinos arbeiteten einen Plan aus, der sich je nach Gegebenheiten auch noch entsprechend ändern konnte. Das Herz des Planes war eigentlich ganz einfach: Sie wollten Carilla gefangen nehmen. Dazu wollten sie ein Kommandounternehmen durchführen, an dem außer ihnen beiden auf jeden Fall noch Flak Portland und Irwan Dove teilnehmen sollten. Der Oxtorner war in jedem Fall eine wertvolle Unterstützung. Dazu kam auch noch, dass er ohnehin eher zu den führenden Personen der Expedition gehörte. Insofern konnte man ihn auch schlecht übergehen, wenn er dabei sein wollte. Dies hatten die beiden Strategen damit schon einmal ausgeschlossen.
Henry Portland mitzunehmen, lag durchaus nahe. Immerhin gehörte er zu denjenigen, die durchaus eine Waffe zu handhaben wussten.
Torrinos mitzunehmen, war selbstverständlich. Er hatte seine grundsätzliche Eignung in den letzten Tagen unter Beweis gestellt. Und Cauthon Despair hatte nach den Seitenwechselspielen der letzten Zeit eine Menge wieder gut zu machen. Deshalb wollte man ihn schon an vorderster Front sehen. Der Mann in der Rüstung hatte auch wenig dagegen einzuwenden. So manche Rechnung musste ohnehin noch beglichen werden. Insofern war es schon wichtig, dass auch Perry Rhodans ehemaliges Mündel sich in dieser Angelegenheit engagieren würde.
Sie würden außerdem noch Lorif mitnehmen, der durchaus zartbesaitet und bei einem solchen Einsatz eigentlich fehl am Platze war. Er würde in der Space-Jet als Rückendeckung bleiben und auf die Rückkehr der Einsatzgruppe warten. Fliegen würde die Space-Jet niemand geringerer als Matthew Wallace, der zwar schon so manche Jet im Boden so mancher Welt vergraben hatte, aber auf jeden Fall ein Pilot erster Güte war. Die Abstürze waren lediglich eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen und hatten seiner Karriere nicht im Wege gestanden.
Somit war das Sondereinsatzkommando Carilla zusammengestellt und die betreffenden Personen waren auch bereits informiert. Zusammen würden sie auf der Welt Mesoph ein kleines Kommando platzieren, um sich Carillas zu versichern. Die herbeieilende Flotte unter dem Kommando von Vesus würde möglicherweise zu spät eintreffen. Man wollte in jedem Fall verhindern, dass der Anführer entkommen würde. Wenn Vesus eingetroffen war, würde er noch genug zu tun bekommen. Der Gefangene kannte die Welt Mesoph und auch das Lager des Carilla. Detaillierte Beschreibungen waren bereits bei Vesus angekommen.
In jedem Fall ging es lediglich um einige wenige Stunden, die zwischen der Ankunft der IVANHOE und der Flotte Dorgons vergehen würden. Wenig Zeit, um sie mit Warten zu verbringen. Aber die Besatzung der IVANHOE wollte diesen Einsatz. Und sie würden sich den Anführer der Separatisten holen, da war sich Despair sicher.
*
Despair erhob sich und suchte die JAYJAY auf, die, immer noch nach Matthews verflossener Liebe benannt, auch weiterhin sein bevorzugtes Flaggschiff war. Nur kurz dachte der Mann in der Rüstung mit einem Anflug Humor darüber nach, warum Matthew das Schiff noch nicht in Saraah umbenannt hatte.
Er bestieg das Raumschiff und erwartete die anderen, die noch nicht eingetroffen waren.
Langsam füllte sich die Zentrale der Jet. Wallace saß bereits in seinem Pilotensessel und hatte sich nur kurz gewundert, dass der Feuerleitstand bereits durch Despair belegt war. Henry Portland hatte enttäuscht reagiert, als er seinen Lieblingsplatz bereits besetzt gesehen hatte. Aber dann war ihm eingefallen, dass es sich bei dem Einsatz um ein Kommandounternehmen handelte. Im Idealfall würden die Geschütze also schweigen und nur Handfeuerwaffen gebraucht werden. Er setzte sich an die Ortungen.
Dove und Lorif betraten das Schiff gemeinsam. Der Posbi gesellte sich zu den Ortungsanzeigen und leistete damit Portland Gesellschaft. An diesem Platz würde er nach der Landung die meiste Zeit verbringen, um sicherzustellen, dass sich niemand näherte und die Jet entdeckte. Man konnte eine solche Jet auch automatisch sichern. Aber diesmal hatten sie in Form des Posbi eine Sicherung, die ihnen im Notfall auch noch zu Hilfe eilen konnte.
Dove ließ sich in einen Besuchersessel sinken und machte es sich bequem. Zuletzt traf der Dorgone Torrinos ein und setzte sich neben Dove. Gemeinsam erwarteten sie die Starterlaubnis, die unmittelbar nach der Ankunft erteilt werden würde. Die IVANHOE selbst würde nach dem Ausschleusen weiterfliegen und bei der Sonne des Systems auf ihre Rückkehr warten.
Dann ging alles sehr schnell. Aus der Zentrale wurde angekündigt, dass der Austritt des Schiffes unmittelbar bevor stand. Das Schiff würde die Jet nur kurz aus dem Hangar lassen und sich dann in den Schutz der Sonne begeben. Dort wollte man auf die Rückkehr des Schiffes und die Ankunft der dorgonischen Flotte warten. Während des Anflugs würde die Jet sich entsprechend orientieren.
Wallace aktivierte den Antigrav und ließ die Jet von seinem Sockel aufsteigen. Er beschleunigte nur ganz schwach, stieß das schwerelose Schiff nur so weit an, wie es nötig war, um die Trägheit der Masse zu überwinden, und ließ das Schiff auf das Hangartor zugleiten.
Als das Schiff den Halbraum verließ, öffneten sich die Tore und Wallace schob die Beschleunigungsschalter ganz nach vorne. Das Schiff schoss aus dem Hangar der IVANHOE, die sofort weiterflog, während die Jet in rechtem Winkel von ihrem Kurs abwich. Sie flogen auf den Planeten zu und gingen in eine Umlaufbahn. Anfragen vom Planeten ignorierten sie. Darum würde sich die dorgonische Flotte dann später kümmern.
Die Space Jet ging langsam tiefer. Lorif scannte mit den Ortern den Planeten. Er spürte das Camp der Separatisten in den Bergen auf. Die von dem unfreiwilligen Verräter gelieferten Koordinaten stimmten genau. Matthew Wallace lenkte das Schiff in die Atmosphäre. Es senkte sich immer tiefer und erreichte schließlich den Boden. Nicht direkt bei dem Lager, sondern in einiger Entfernung davon machten sie halt und tarnten die Jet so, dass sie nicht gefunden werden konnte.
Das Einsatzkommando machte sich bereit.
Palastgarten, Dom, Dorgon-Zentralwelt
Der Nachrichtensprecher wirkte nicht sonderlich groß im Display der Anzeige, als Arimad ihren Empfänger aktivierte. Mit einem knappen Befehl erreichte sie, dass das Bild als Hologramm projiziert wurde und der Nachrichtensprecher nun deutlich zu sehen war. Sie setzte sich auf eine Bank ganz in der Nähe, genoss den Sonnenschein, der den Tag zu einem besonderen Ereignis machte und lauschte den Worten des Dorgonen, der sich über ihre bevorstehende Hochzeit mit Commanus äußerte.
»...ein ganz besonderes Ereignis also, das unserer harrt«, meinte der Sprecher. »Arimad, die Tochter des amtierenden Kaisers, wird Commanus zu ihrem Gemahl nehmen und damit für einen neuen Thronfolger sorgen. Natürlich werden wir dieses Ereignis live auf unserem Kanal ausstrahlen. Dieses Ereignis wird so bedeutend sein, dass es sogar auf allen dorgonischen Kanälen zur gleichen Zeit zu sehen sein wird. Arimad und Commanus, ein Paar, das in seiner Bedeutung allerhöchstens noch mit Matthew Wallace und Saraah, der ehemaligen Sklavin und jetzigen Senatorin, zu vergleichen sein wird. Insgesamt also ein besonderer Tag, der bald in dieser Stadt zu erwarten ist. Wir schalten nun zu einem Portrait über das Paar und danach live in den Garten der kaiserlichen Anlagen, wo die Prinzessin derzeit spazieren geht.«
Arimad blickte sich um, konnte aber keine Kameras entdecken. Das war nicht weiter verwunderlich, denn die Kameras waren mit Sicherheit sehr gut versteckt. In diesen Zeiten konnten Kameras überall sein, allerdings waren sie normalerweise nicht in den Gärten des Kaisers zu finden. Es gab einige Ausnahmen, Bilder, die vom kaiserlichen Trivid kontrolliert nach draußen geschickt wurden. Wenn sie sich heute also selbst im Trivid bewundern konnte, dann war das mit einiger Sicherheit genehmigt worden.
Sie seufzte. Es war nicht leicht, als Prinzessin ständig im Rampenlicht zu stehen.
Andererseits war es erheblich leichter geworden, seit der damalige Gewaltherrscher von seinem Thron vertrieben worden war. Mit Schaudern dachte sie an all die schlimmen Zeiten zurück, als sie noch das Spielzeug des verrückten Nersonos gewesen war.
Es war vorbei, wie vieles anderes in dieser schlimmen Zeit. Trotzdem konnte sie nicht behaupten, dass sie das alles schon vergessen hatte. Etwa zu der Zeit, als die Niederlage des alten Kaiser offensichtlich wurde, wechselten eine Menge Anhänger des amtierenden Kaisers, die mehr oder weniger zwangsläufig in dieser Rolle waren, auf die Seite von Uleman. Unter ihnen war auch Commanus. Er war einer der ersten gewesen und hatte es auf diese Art geschafft, sich auch in das Herz der jungen angehenden Prinzessin zu stehlen. Sie hatte sich nicht lange geziert sondern war sehr schnell in seinen Armen gelandet. Und sie bereute es nicht, denn er hatte ihr eine Welt gezeigt, die ihr der widerliche Kaiser niemals hatte zeigen können. Er hatte sie aus einer Welt der Agonie und der Verzweiflung herausgeholt und sie in eine neue Epoche geführt, ein Jahrzehnt der Liebe. Er hatte ihr überhaupt erst gezeigt, was Liebe bedeutete, hatte sie in eine Welt entführt, die sie so zuvor nicht kennen gelernt hatte, jedenfalls nicht während ihrer Zeit in der Gewalt des Kaisers. Mittlerweile sah das anders aus. Vieles hatte sich verändert und viele Dinge, die auch vor den Zeiten in der Gewalt des Kaisers gewesen waren, wie zum Beispiel eine durchaus glückliche Kindheit, drängten an die Oberfläche ihres Bewusstseins.
Commanus hatte daran schon einen besonderen Anteil. Er hatte ihre Liebe verdient, da war sie ganz sicher. Und er war auch ein adretter Bursche, schlank, hoch gewachsen und trotz einer eher kräftigen, sportlichen Erscheinung von einer unnachahmlichen Eleganz. Er hatte sie am Anfang mit großer Zurückhaltung und Respekt behandelt und vor allem, als klar geworden war, dass ihr Vater der neue Kaiser werden würde, mit einer beeindruckenden Liebenswürdigkeit behandelt. Das hatte ihr schon gefallen. Schnell war daraus mehr geworden, war ein zartes Pflänzlein erblüht, das sich bis zum heutigen Tag gehalten hatte und zu einem Entschluss geführt hatte. Als er sie gefragt hatte, hatte sie nicht nein gesagt. Sie war sofort bereit gewesen, seine Frau zu werden.
Nur manchmal zweifelte sie ein kleines bisschen. Wenn er von der Monarchie schwärmte, dann bekam der designierte Nachfolger des Kaisers und ihr Bräutigam immer so einen glänzenden Blick. Zwar zeigte er niemals offen, ob er sich auf den Kaiserthron freute, aber er stellte immer wieder klar, dass er die Monarchie für wichtig hielt. Und damit war er das genaue Gegenteil ihres Bruders Decrusian. Der junge Mann war zwar nicht ihr richtiger Bruder, sondern adoptiert und auf Kosten des damaligen Senators Uleman erzogen und ausgebildet worden, aber sie fühlte ihm gegenüber trotzdem wie für einen Bruder.
Sie mochte ihn sehr und bewunderte ihn wegen seiner Ansichten. Im Gegensatz zu Commanus war er eher liberal eingestellt und so gar nicht monarchistisch geprägt. Er sah sich eher in der Rolle eines Verfechters einer echten Demokratie und hätte es viel lieber gesehen, wenn das Volk die Entscheidung über den neuen Herrscher fällen würde.
Arimad war sich nicht sicher, aber manchmal vermeinte sie, dass ihr Vater die Ansichten des angenommenen Sohnes teilte. Vielleicht wäre es wirklich das Richtige gewesen. Aber Arimad war sich sicher, dass es nicht im Sinne ihres zukünftigen Gemahls war.
Als die Anschläge des Schlächters auf ihren Vater begonnen hatten, da hatte sie Angst um ihn gehabt. Aber Commanus schien so manches Mal sehr unbekümmert gegenüber den Anschlägen gewesen zu sein. Natürlich würde ein baldiges Ableben des Kaiser seinen Plänen durchaus nicht schaden, denn ein Nachteil einer solchen Form der Erbmonarchie war nun einmal, dass der Amtsvorgänger erst einmal sterben musste, bevor ein Nachfolger in seine Fußstapfen treten konnte. Und Commanus ließ es deshalb in letzter Zeit so manches Mal an Sensibilität gegenüber einer solchen Angelegenheit vermissen. Das machte ihr Sorgen, aber nicht genug, um gegen eine Hochzeit zu sein. Letztendlich musste sie sich bei jedem Mann, den sie heiraten würde, fragen, ob er nur auf den Thron ihres Vaters spekulierte. Und Commanus musste man immerhin zugutehalten, dass er lange Zeit schon an ihrer Seite geduldig als ihr Verlobter ausharrte und bislang noch keine Ambitionen auf den Thron geltend gemacht hatte.
Vielleicht war ja alles in Ordnung. Sie hoffte es jedenfalls sehr. Sie liebte ihn doch, sicher würde er ihr nicht wehtun.
Die Space-Jet blieb hinter dem Einsatzkommando zurück. Keiner der Teilnehmer warf auch nur einen Blick in Richtung des Fluggeräts, das – gut getarnt und unter der Obhut des Posbi Lorif stehend – zurückbleiben und auf sie warten würde. Sie konzentrierten sich alle auf die Umgebung, die ihnen teilweise auch schon vertraut war. Ganz zu Anfang ihres Abenteuers in Dorgon waren sie schon einmal auf dieser Welt, es war genau genommen die erste Welt gewesen, die unmittelbar zum Reich Dorgon gehörte, die sie betreten hatten. Mesoph hatte sich seither nicht sehr verändert.
Matthew hatte Saraah damals auf dieser Welt kennen gelernt, damals war sie noch eine Sklavin gewesen. Heute hatte sie sich von diesem Leben sehr weit entfernt, konnte sich wohl kaum noch daran erinnern, einmal in einer solchen Rolle gewesen zu sein. Obwohl sie sicher oftmals nachts aus finsteren Träumen schreckte und mit Schaudern an diese Zeit zurückdachte, aber das ließ sich wohl niemals ganz verdrängen.
Außerdem musste Matthew an einige Mitglieder der Besatzung seiner damaligen Space-Jet, die auch den Namen JAYJAY getragen hatte, denken. Sie waren auf Mesoph in Gefangenschaft geraten. Sie hatten diese Gefangenschaft nicht überlebt. Er schüttelte diese finsteren Gedanken ab. Die dunklen Hintermänner dieses Verbrechens hatten dafür längst gebüßt. Er wollte nicht mehr daran denken.
Lieber konzentrierte er sich auf die Aufgabe, die ihnen nun bevorstand. Erst einmal würden sie in das Lager des Rebellen Carilla eindringen, das sie schon aus dem Orbit geortet hatten. Das hatte sich als schwierig erwiesen, denn Energie gab es in dem Lager so gut wie keine. Offenkundig lebten die Rebellen, um sich gegen Ortung vom Planeten oder aus dem All zu schützen, in einem Lager, das weitgehend abgeschirmt war, oder sie verzichteten ganz auf jegliche Energie erzeugenden Geräte, setzten sie nur dann ein, wenn sie sich in die Zivilisation begaben, wo so etwas kaum auffallen würde. Das würden sie sicher herausfinden, wenn sie erst in dem Lager angekommen waren.
Auf jeden Fall würde dieser Tag nicht zu Ende gehen, ohne dass sie sich den Schlächter holen würden. Oder er würde mit ihrem Tod enden.
Aber daran glaubte Matthew nicht. Sie hatten ein gutes Team um sich versammelt. Neben ihm selbst war Torrinos mit dabei, der schon auf Dorgon bewiesen hatte, welch exzellenter Kämpfer er war. Er hatte dem Kaiser mehr als einmal das Leben gerettet und außerdem eine Spur zu den Rebellen entdeckt. Ihm war es zu verdanken, dass sie nun hier waren.
Er war intelligent, schnell, kräftig, sehr gut ausgebildet und verstand es, eine Situation in seinem Sinne auszunutzen. Er verfügte über überragende Fähigkeiten, konnte Menschen bis zu einem gewissen Grad in seinem Sinne manipulieren und hatte dies schon auf Dorgon, in der Hauptstadt Dom, eingesetzt, um sich in die Gruppe der Rebellen einzuschleichen. Als er erfahren hatte, wer dahinter steckte, hatte er einige alte Kontakte ausgenutzt, mit denen er sich in die Gruppe der Rebellen eingeschlichen und sich einen Platz in einer der Zellen gesichert hatte. Bei einem der Angriffe hatte er sich mit in der Gruppe befunden und so einen Anschlag auf das Leben des Kaiser vereitelt. Und er hatte dafür gesorgt, dass einer der Anführer gefangen gesetzt werden konnte.
Dank des Zellensystems würde eine Säuberung der Heimatwelt noch eine Weile dauern. Aber immerhin hatte er es geschafft, einen Rebellen gefangen zu setzen, der über die Koordinaten der Hauptwelt des Rebellen Bescheid wusste und sie ihnen mit einigem zureden und einigen Drogen, die man ihm gegeben hatte, letztendlich verriet.
Ohne ihn wären sie nicht hier.
Und natürlich waren auch einige alte Bekannte mit dabei. Henry »Flak« Portland, der alte Kämpfer, fast ein Anachronismus in einer hochtechnischen Welt wie der ihren, der immer noch lieber mit Fäusten agierte, als mit einem Strahler. Doch der Haudegen war ein hervorragender Stratege und fähiger Kommandant. Joak Cascal sah in ihm auch den Botschafter und Diplomaten. Eine Rolle, die Portland widerspruchslos ausführte, doch nicht sonderlich mochte. Er war lieber der Kämpfer.
Dazu noch der Oxtorner Irwan Dove, dessen pure physische Kraft schon ein wichtiges Kapital bedeutete. Und dazu noch Cauthon Despair, der Mann mit der Rüstung, dessen physische Kräfte noch von der Rüstung verstärkt ebenfalls einen wichtigen Faktor darstellten. Er selbst konnte mit seinen ohne Zweifel vorhandenen kämpferischen Fähigkeiten mit einiger Sicherheit auch etwas bewirken. In jedem Fall würden sich die Rebellen warm anziehen müssen.
Langsam näherten sie sich dem Lager der Rebellen. Langsam wurde es ernst.
Carilla, der Schlächter, erhob sich langsam und verließ sein karges Nachtlager. Er bewegte sich auf die Tür zu, die für ihn fast zu niedrig war, und schlug die einfache Holzkonstruktion zur Seite. Sein Oberkörper war nackt, aber das machte ihm nichts aus. Er verließ die Hütte und bewegte sich in Richtung des klaren Gebirgsbaches, der eiskaltes Wasser aus dem Inneren des Berges herausströmen ließ, auf dem sie sich vor den Häschern des Kaisers versteckten.
Der Schlächter wusch sich nachdenklich in dem klaren Wasser. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, erste Schimmer am nächtlichen Himmel verrieten, dass es in Bälde soweit sein würde. Carilla achtete kaum darauf. Er war in Gedanken versunken, lähmende Gedanken, die ihn seit langer Zeit schon plagten.
Seit sehr langer Zeit schon. Damals, als er noch nicht in der Prettosgarde des Kaisers gewesen war, sondern noch als Kommandant eines Raumschiffes fungierte. Als ihn noch gefährliche Aufträge durch die gesamte Galaxis geführt hatten. Als sein Schiff fast explodiert war, nur weil einer seiner Untergebenen einen Fehler gemacht hatte.
Die damalige Ingenieurin des Schiffes hatte sich dazu entschlossen, Reparaturen durchzuführen. Das war sehr löblich und gehörte zu ihren Aufgaben. Nicht dazu gehörte aber, ein Ventil geschlossen zu lassen und dafür zu sorgen, dass sich durch das geschlossene Ventil der Druck im Reaktor erhöhte. Durch den erhöhten Druck wurde die träge Masse sehr reaktiv, eine Zündung war nur noch eine Frage der Zeit. Die Routinekontrollen versagten und Carilla war sich bis zum heutigen Tag nicht sicher, ob bei dieser Explosion nicht Sabotage im Spiel gewesen war.
Vielleicht aber auch nicht, denn eigentlich hatte die vermeintliche Saboteurin alles getan, um die Menschen an Bord zu retten. Sie hatte einen Löscher genommen und war in den bereits verseuchten Raum gestürzt, hatte alles versucht, um das Leck zu stopfen, aus dem die Strahlung ausgetreten war. Sie hatte es aber nicht geschafft, die Strahlung war stärker gewesen.
Der Kommandant hatte bis zu diesem Tag noch niemals ein Mitglied seiner Besatzung verloren und konnte mit der Situation zunächst wenig anfangen. Er erkannte aber, dass das Schiff verloren war und befahl die Evakuierung. Seine oberste Maschinistin aber wollte das Schiff nicht verlassen und deshalb begab er sich in den Bereich des Maschinenleitstandes, in dem sie sich aufhielt, unweit von den gleißenden Höllengluten, die mit ihrer tödlichen Strahlung großes Unheil über die Dorgonen an Bord brachten. Nur wenige waren bisher gestorben, ein verantwortlicher Techniker lag neben der durch einen Strahlenschutzanzug geschützten Ingenieurin, die verzweifelt versuchte, das Feuer zu löschen und die Strahlung einzudämmen. Es gelang ihr nicht und Carilla erkannte die Tränen, die über ihre Wangen rannen, Tränen der Erregung, Tränen der Trauer, Tränen der Erschöpfung und auch der Verzweiflung erkannte er darin. Er packte sie an der Schulter und riss sie herum. Als ihm diese Bilder durch den Geist schossen, erstarrte er in der kalten Morgenluft und blieb für wenige Momente regungslos und mit weit aufgerissenen Augen in der Kälte stehen. Wenn ihn jetzt einer gesehen hätte, dann hätte er den Schlächter nicht wieder erkannt.
Der Schlächter atmete tief durch und versank in den sonnenhellen Bildern in seinem Geist. Das Mädchen zitterte in seinen Armen, hielt den Löscher immer noch auf das Feuer gerichtet, obwohl nichts von der Masse mehr aus dem Löscher ausströmte. Er war leer. Er zog sie langsam zurück und erkannte erst jetzt, dass sie keinen besonderen Schutzanzug trug. Ihr Körper nahm die radioaktive Strahlung durch den einfachen Raumanzug fast ungeschützt auf. Sie zitterte wohl mehr wegen der Strahlung, als wegen dem, was sie getan hatte. Und sie weinte leise vor sich hin.
Entschlossen packte er die Frau und trug sie zum letzten noch verfügbaren Rettungsboot, einer einfachen Raumkapsel, in die er sich mit der jungen Frau flüchtete. Er löste die Sprengung aus, die die Dockverbindungen lösten. Gemeinsam trieben sie von dem Schiff weg. Durch eine Sichtluke konnte er den Feuerball erkennen, als das Schiff explodierte.
»Ich habe sie alle herausgebracht«, stammelte er.
Dann fiel sein Blick auf die Ingenieurin und er erinnerte sich an die verkohlte Leiche, die neben ihr in dem Schiff gelegen hatte. Vermutlich hatte er es nicht geschafft. Wie viele verloren waren, konnte er nicht einmal ahnen.
Er schlug die Hände vor sein Gesicht und schob die Finger dann gerade so weit auseinander, dass er die Ingenieurin erkennen konnte. Er erkannte die tiefen Furchen, die ihre junge Haut aufgerissen hatten. Aus den Furchen sickerte Blut, die übrige Haut wirkte verkohlt. Sie sah nicht mehr sehr gut aus, er hatte sie als wunderschöne Frau in Erinnerung. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, lag auf einem der Kontursessel und regte sich kaum noch. Sie blickte in seine Richtung. Voller Schuldgefühle, aber auch irgendwie dankbar.
Sie sagte kein Wort; ihre Augen wirkten bei genauem Hinsehen nicht sehr lebendig. Vermutlich waren sie von der Strahlung ebenfalls verbrannt, die Ingenieurin bereits erblindet.
Sie tastete nach seiner Hand, legte ihre geschrumpelten, leicht angesengten Finger auf den Handschuh seines Schutzanzuges. Er war unangenehm berührt, wollte der Sterbenden aber nicht den letzten Halt rauben, den sie in diesem Leben hatte, also blieb er sitzen.
Sie drückte nur kurz zu, dann erschlaffte ihre Hand. Es wirkte, als wäre sie dankbar, dass er sie nicht in dieser Strahlenhölle zurückgelassen hatte, ihr ermöglicht hatte, im All zu sterben, nicht in dieser Hölle, die ihre letzten Augenblicke begleitet hatte. Sie heftete ihren Blick auf die Sichtschirme und sog den Anblick einen letzten, langen Moment lang ein. Ein letzter Rest ihres Augenlichts erlaubte ihr, die Nebel zu sehen, die funkelnden Sterne, die hell erleuchteten Gase, die dieses Weltall so unglaublich schön machten. Sie lehnte sich zurück, dann regte sie sich nicht mehr.
Carilla regte sich ebenfalls um keinen Millimeter. Er blickte auf das zerstörte Gesicht, prägte sich jeden einzelnen Gesichtszug der Frau, die er gerettet hatte, in seinem Gehirn ein. Und in jenem Augenblick auf der morgendlichen, sehr kühlen Gebirgswiese, sah er das Gesicht wieder vor sich, dieses einstmals so schöne, jetzt jedoch schon lange zerstörte Antlitz, das er so viele Stunden anstarren musste.
Es hatte ihn sehr verändert, neben diesem Leichnam ausharren zu müssen. Er krampfte die Hände zusammen, die Nägel schnitten in seine Handflächen, hinterließen kleine, halbmondförmige Einschnitte, aus denen ein einzelner Blutstropfen quoll. Er starrte in das zerstörte Gesicht und machte sich klar, dass das der eigentliche Grund für seinen Wahnsinn gewesen war. Als sie ihn endlich aus der Rettungskapsel holten, war er in einer Art katatonischem Zustand gefangen, eingerollt wie ein Embryo. Sie hatten ihn aus dem Schiff getragen und eine lange Zeit gebraucht, bis sie seinen Geist wieder zum Leben erweckt hatten, ihn selbst aus seinem Abgrund herausgeholt hatten. Aber sie hatten ihn nie wirklich geheilt, in seinem Zustand war er für die kaiserlichen Prettosgarden sehr wertvoll gewesen.
Genau so hatten sie ihn haben wollen. Ein Wahnsinniger, der die Feinde des Imperiums einfach an Ort und Stelle tötete. Kein Wunder, dass er nach dem Ende des selbst wahnsinnigen Kaisers Nersonos ein Auslaufmodell gewesen war. Er hatte sich abgesetzt, bevor sie sich mit ihm und seinem irren Geist näher hatten beschäftigen können. Tief in seinem Inneren aber zweifelte er, ob es richtig gewesen war.
Vielleicht sollte er sich stellen, sollte sich endlich behandeln lassen.
Aber das wollte er nicht. Er wollte selbst Kaiser werden, dann könnte er sich mit diesem Problem immer noch beschäftigen. Aber das war noch weit entfernt. Und die Nachrichten, die ihn von der Heimatwelt erreichten, waren alles andere als erfreulich. Seine Attentate waren schief gegangen. Jetzt hatte er nur noch zwei Chancen, dann würde er sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
Sein Antlitz richtete sich auf die beiden Monde, die die Welt umgaben und in dem Licht des heraufziehenden Morgens langsam blasser wurden. In einem der Monde meinte er, das zerstörte Antlitz seiner ehemaligen Ingenieurin zu erkennen. Oder war es das des wahnsinnigen Nersonos? Er war sich nicht sicher. Er kicherte leise. Nur sein engster Vertrauter konnte den irren Laut hören. Und der dachte sich nichts dabei. Unauffällig stand er hinter seinem Herrn und legte ihm wortlos den Morgenmantel um die nackten Schultern. Der Schlächter fröstelte nicht einmal. Trotzdem zog er den Morgenmantel um seine Schultern zusammen.
Dann ging er zurück in die Hütte, die zu seiner Unterkunft geworden war. Er hasste Technik. Aber hier fühlte er sich wohl.
Dom, Dorgon-Zentralwelt
Der Kaiser lehnte sich zurück und entspannte sich. Die Entspannung war sehr erzwungen, wirklich wohl fühlte er sich derzeit eigentlich nicht. Er schaute aus einem der Fenster des Palastes und genoss den Anblick des prächtigen Parks, der den Palastgarten darstellte.
Seit einiger Zeit konnte er immer mal wieder seine Tochter entweder allein oder zusammen mit Commanus in diesem Garten spazieren gehen sehen. Sie schien nervös zu sein, was er allerdings auch verstehen konnte. Manchmal wirkte sie sehr nachdenklich, wenn sie durch den Garten wanderte und der Kaiser fragte sich immer wieder, ob das nur an der bevorstehenden Hochzeit lag, oder ob sie sich nicht sicher war, das Richtige zu tun. Immerhin bedeutete gerade auf einer Welt wie dieser die Hochzeit einer Thronfolgerin immer auch ein Risiko, denn automatisch wurde der Mann zum potentiellen Thronfolger und damit zu einer Bedrohung für den amtierenden Kaiser. Und in den Kopf eines solchen Menschen konnte man eben nicht hinein schauen. Und wenn einer ein sehr guter Schauspieler war, dann konnte so eine Hochzeit früher oder später tödlich für den Kaiser enden. Außerdem änderten sich Menschen, vor allem wenn sie Macht schmecken und lieben gelernt hatten, konnten Menschen sich sehr zu ihrem Nachteil wandeln.
Uleman spürte diese Nachdenklichkeit, diese Gedanken, die sowohl in seiner Tochter, als auch in ihm schlummerten. Und es würde sicher noch schlimmer werden, wenn Commanus von seinen Plänen erfuhr. Oder besser. Zumindest hoffte der Kaiser das.
Diesmal beschloss der Kaiser, selbst nach draußen zu gehen und den schönen Tag zu genießen. Zwar schwebte noch immer die Bedrohung über ihm, die die Existenz eines Carilla mit sich brachte, aber er war wild entschlossen, sich nicht davon in seinen vier Wänden einsperren zu lassen. Obwohl sein bester Bewacher, Torrinos, zusammen mit den Freunden aus der Milchstraße unterwegs war, konnte er sich einer gewissen Überwachung seiner Person doch sicher sein, so schlecht waren die Prettosgarden nicht. Und die Hoffnung, dass außer einem kein weiterer Verräter durch die Maschen der Überwachung geschlüpft war, hielt den Kaiser aufrecht. Er vertraute deshalb auch seinen Beschützern.
Entschlossen erhob er sich und verließ den Raum. Er ließ sich von seinen Bewachern in den Park geleiten. Umgeben von seiner Elitetruppe schaffte er es, sich im Garten zu entspannen und die letzten wärmenden Strahlen der Sonne zu genießen.
Uleman saß auf einer der Parkbänke, als die Sonne sich gerade hinter den Hügeln des Gebirges verabschiedete, das in einiger Entfernung am Horizont aufragte. Dorgon war eine Welt, die sehr gegensätzlich war. Sehr viele Menschen lebten in der Hauptstadt Dom, sehr wenige auf dem Land. Deshalb war die Stadt Dom auch eine gigantische Flächenstadt, in der es einzelne kleinere Gebiete mit hohen Gebäuden gab und sehr ausgedehnte Gebiete mit niedriger Bebauung. Der Palast war in einem Bereich gelegen, der von eher niedrigeren Gebäuden umgeben war, aber das war normal, da er auf einem Hügel stand, dem Pons Domus.
Er döste vor sich hin, als die Sonne hinter dem Horizont versank. Das tat er bewusst, denn er wusste, dass anstrengende Tage auf ihn zukommen würden. Und selbst der heutige Abend würde noch anstrengend werden. Als Herrscher hatte man eben nicht einfach so Feierabend. Deshalb musste er jeden Moment nutzen, den er zur Entspannung hatte. Diese Momente waren einfach sehr wertvoll.
Deshalb entspannte er sich immer mal wieder und verbrachte auch eine gewisse Zeit mit dösen. Danach würde er geistig wieder fit genug sein, um seinen Aufgaben nachzugehen. Beschützt wurde er in dieser Zeit der Hilflosigkeit von seinen Bewachern und seinem Schutzanzug. Und das war auch in diesem Fall gut so.
Lautlos hatte sich jemand dem Kaiser genähert, den weder der Herrscher noch die Wachen so ohne weiteres bemerken konnten. In der jüngsten Vergangenheit war es schon mehrfach vorgekommen, dass Dorgonen versucht hatten, ihren Herrscher zu töten. Ausgeschickt waren sie von Carilla, der noch immer in Freiheit war. Der Herrscher wartete auf eine Nachricht von Mesoph, dass sich die Situation geändert hatte. Noch war sie nicht eingetroffen. Vermutlich kämpften sie in diesen Augenblicken noch gegen Carilla und seine Horden.
Aber sicher hatte der Kaiser nicht damit gerechnet, dass in diesen Momenten noch mehr Angreifer nach ihm suchen würden und versuchen würden, ihn zu töten. Immerhin waren eine ganze Reihe von Attentätern in der letzten Zeit getötet worden.
Der Schatten glitt wie ein Phantom durch die Parkanlagen des kaiserlichen Gartens und näherte sich der Position des Herrschers immer mehr.
Das Phantom, das unsichtbar in den Garten gelangt war und dazu eine Schwachstelle in der lückenlosen Überwachung ausgenutzt hatte, sondierte die Lage. Kameras kamen immerhin auch in den Park, wenn sie dazu auch eine Erlaubnis benötigten. Aber wenn Kameras in den Park kamen, dann wurden dazu Lücken in den Schutzanlagen erzeugt. Und eine dieser Lücken war groß genug gewesen für den Schatten, den niemand sehen konnte. Jetzt lag der Schatten in einem Strauch nicht fern von dem Kaiser und seiner Leibwache und beobachtete die Prettosgarde und den dösenden Herrscher. Ein Ausdruck von Hass wäre auf seinem unsichtbaren Gesicht erkennbar, wenn er das Deflektorfeld abgeschaltet hätte. Er hatte keinen Blick für die lustigen Wasserfontänen, die in dem Brunnen vor dem Herrscher herum sprudelten, auch nicht für die Rosenbögen aus einheimischen Gewächsen, die um den kleinen, freien Platz herum zu erkennen waren und die Besucher der Anlagen immer so sehr liebten. Er hatte nur Augen für den Kaiser.
Er musste noch etwas näher heran, dann würde er es mit einer Explosion wohl schaffen, den Kaiser und einen Teil seiner Bewacher zu töten.
Fast lautlos kroch der Schatten unter dem Strauch hervor und näherte sich dem Kaiser. Die Überwachungsanlagen hätten ihn schon längst erfassen müssen, aber sie hatten es nicht getan. Offenbar gab es immer noch einen Verräter in den Reihen der Mitarbeiter des Überwachungspersonals, aber wohl nicht unter den Gardisten. Eher ein einfacher Soldat, der die Überwachungsanlagen des Palastes unter sich hatte.
Jedenfalls gelangte der Attentäter in die unmittelbare Nähe des Herrschers. Direkt neben den Wachen blieb er stehen und deaktivierte seinen Schutzschirm.
»Für Dorgon und den unsterblichen Kaiser Carilla!«, brüllte er.
Die Gardisten brachten die Waffen in Anschlag, erkannten aber schnell, dass das nichts nützen würde. Sie sahen die Explosivstoffe, die am Körper des Eindringlings befestigt waren und reagierten auf die einzige Weise, die ihnen noch verblieb. Mit aktivierten eigenen Schirmen umgaben sie den Kaiser, der seinen Schutzschirm ebenfalls aktiviert hatte, so dicht wie möglich und versuchten damit, das stärkste, mögliche Schutzfeld zu erzeugen. Und dann konnten sie nur noch auf die Explosion warten.
Diese ließ nicht lange auf sich warten. Uleman beobachtete entsetzt, wie die Gestalt des Dorgonen in eine Feuerlohe eingehüllt wurde. Nur einen Moment lang konnte er den Körper des Attentäters noch erkennen. Dann war da nichts mehr von einem Wesen zu sehen, nur noch ein Feuerball, der sich schnell ausbreitete und sonnenhell war. Die Bombe dieses Attentäters war eine gewaltige, das konnte man erkennen.
Uleman schloss die Augen. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen.
Die Druckwelle erfasste die Gardisten und schleuderte sie davon. Sie landeten in den Büschen, die den Platz umgaben und von den Feuerlohen versengt wurden, regelrecht hinweggefegt. Noch hielten die Schutzschirme.
Der Kaiser selbst wurde von der Druckwelle erfasst und in einen Teich geschleudert, dessen Wasser um ihn herum verdampfte, als die Feuerlohe es erfasste.
Über den Körper des Kaisers hinweg, der immer noch in dem Schutzschirm eingehüllt war und außer Feuer nichts mehr erkennen konnte, setzte sich die Ausdehnung des Feuerballs noch für einen Augenblick fort, dann fiel er in sich zusammen und das Grollen der Explosion verebbte. Jenes konnte der Kaiser aber kaum hören, denn der Lärm hatte ihn schon fast taub gemacht.
Er drehte sich um und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, eine hilflose Geste, die ihm normalerweise nichts genützt hätte. Aber er hatte Glück, die Gluten waren vom Wasser abgeschwächt worden und auch der Rand des Beckens hielt noch einiges ab. Den Rest konnte der Schutzschirm verkraften. Uleman gratulierte sich im Stillen dazu, dass er den Schutzanzug seit dem Attentat im Senatsgebäude nicht mehr ablegte. Er kauerte sich in die dürftige Deckung des Beckenrandes und hoffte ansonsten auf seinen Schutzschirm.
Und er hatte Glück. Er überlebte den Angriff des Attentäters, wenn auch nicht als einziger. Fast alle Mitglieder seiner Garde waren weit genug weg geschleudert worden, um den unmittelbaren Energien entgehen zu können. Nur drei Gardisten waren die Opfer des Anschlages, immer noch drei zu viel, aber weniger schlimm, als es hätte werden können, wenn der Anschlag sie unvorbereitet getroffen hätte.
Uleman ließ daraufhin den Palast hermetisch abriegeln. Zumindest für die nächsten Stunden sollte niemand mehr, nicht einmal mehr kleinste Kameras, auf das Gelände des Palastes kommen können. Sicherheitsvorkehrungen wurden überall noch weiter verschärft, Zugangskontrollen für den Palast galten inzwischen auch für Gardisten und Uleman ließ einige Besatzungsmitglieder des terranischen Raumschiffes, die auf Dorgon zurückgeblieben waren und denen er fast als einzige noch zu trauen wagte, in den Palast und integrierte sie in seine Wachmannschaften.
Er hoffte, dass er damit das Optimum für sich und seine Familie getan hatte. Jetzt mussten sie schon ein Raumschiff auf seinen Palast werfen, um ihm noch schaden zu können.
Noch ahnte er nicht, wie weit diese Kerle noch gehen würden.
Fast unmerklich hatte sich das Einsatzkommando dem Camp des Schlächters angenähert. Fast deshalb, weil sie einer Patrouille begegnet waren, die offenkundig die Umgebung des Camps sichern sollte. Den Terranern war es aber gelungen, diesen Separatisten zuvorzukommen. Noch bevor sie entdeckt werden konnten, war es gelungen, die Hälfte der sechs Köpfe zählenden Patrouille zu lähmen. Die restlichen drei wurden vor allem von dem Oxtorner ausgeschaltet, der nur einmal mit beiden Armen zuschlug und mit jeder Faust einen der Revolutionäre erwischte. Der übrig gebliebene Separatist wurde von Flak Portland erwischt, der sich einen Zweikampf mit dem Mann lieferte, ihn bereits aber nach wenigen Augenblicken niederringen konnte. Ein gezielter Faustschlag schaltete den Mann aus.
Jetzt lagen die Mitglieder des Stoßtrupps in einem Versteck etwas oberhalb des Camps und blickten verwundert auf das Geschehen, das sich vor ihren Augen abspielte. Das Camp war weitaus größer, als sie vermutet hatten. Aber es waren trotzdem nicht sehr viele Menschen darin. Vermutlich waren die weitaus meisten derzeit auf den Welten des dorgonischen Reiches im Einsatz. Deshalb standen viele der Hütten und Zelte, die sie erkennen konnten, leer. Das war daran zu erkennen, dass bei den Zelten die Plane um den mittleren Pfosten gewickelt war und somit nicht unbedingt eine Funktion als Zelt erfüllte. Bei den Hütten waren Türen und Fenster geöffnet und zeigten so auch an, dass niemand darin wohnte. Bei der Kälte, die hier oben in den Bergen herrschte, wäre es den Bewohnern wohl eher schwer gefallen, in den Hütten leben zu können, solange die Türen geöffnet waren.
Verwunderlich war nur, dass sie wenig Technisches entdecken konnten. Natürlich konnte man vermuten, dass das daran lag, dass man die Anmessung des Camps erschweren wollte. Aber das wäre töricht gewesen, denn so viele Menschen hinterließen sehr deutliche Spuren auf den Schirmen einer Infrarotüberwachung. Das Camp war also mit Sicherheit zu finden, wenn man wusste, dass man auf dieser Welt danach suchen musste. Die Abwesenheit von Technik musste also einen anderen Grund haben. Noch war ihnen nicht bewusst, dass ausgerechnet Carilla eine Abneigung gegen Technik hatte. Hintergründe würden sie aber mit Sicherheit noch herausfinden.
Wenigstens war nicht schwer zu erraten, wo sie den obersten Revolutionär finden würden. Das Camp war auf einer Wiese gelegen, die ringsum von steilen Felsen umgeben waren. Die Wiese war selbst sehr abschüssig und so war eine Hierarchie einfach herzustellen. Der Herrscher wollte und musste natürlich ganz nach oben. Also war die oberste Hütte gleichzeitig die des Schlächters. Das war wohl klar.
Nur war es nicht einfach, das in einen Plan umzusetzen. Denn die Hütte des Schlächters war dadurch sehr gut geschützt. Sie lag inmitten all der anderen Behausungen, die es im Umfeld dieser Hütte gab. An sie heran zu kommen, war also nicht gerade einfach.
Wenn man durch das Camp hindurch spazierte.
Irwan Dove musterte einen Augenblick lang die steile Felswand, die hinter der Hütte des Schlächters aufragte und nickte. Flak wusste sogleich, dass das nichts wirklich gutes heißen konnte und schaute argwöhnisch in die Richtung des Oxtorners, der den Blick bemerkte und mit einer Geste auf die Felswand deutete.
»Wir fliegen in die Wand hinein und nähern uns von oben.«
»Da können wir doch gleich direkt zur Hütte von dem Kerl fliegen«, wandte Portland durchaus zu Recht ein. Er konnte sich sichtlich nicht für eine abendliche Kletterpartie erwärmen.
»Könnten wir«, räumte der Oxtorner ein. Dann verstummte er und beobachtete wieder das Camp.
Portland wartete ungeduldig.
»Aber wir können nicht ausschließen, dass uns doch einer ortet«, äußerte sich plötzlich der Riese in der Rüstung. Despair blickte nun ebenfalls an der Felswand nach oben. »Wir sollten uns da oben auf einem Felsvorsprung verstecken können und uns dann einfach abseilen. Das wird verhindern, dass uns jemand ortet, weil wir keine Energie einsetzen. Nur zum Flug in die Felswand. Denn mit Sicherheit können wir nicht ausschließen, dass das Camp ohne Energie und Technik auskommt, um Eindringlinge, die sich technischer Hilfsmittel bedienen, leichter orten zu können.«
»Dann sollten wir aber auch auf den Flug verzichten«, wandte nun Matthew Wallace ein. »Und natürlich auch auf energetische Handwaffen, denn die könnte man ebenfalls orten«.
»Richtig. Deshalb werden wir auf diesem Pfad um das Camp herumgehen, das dürfte hoch genug über dem Camp sein, um nicht gesehen zu werden. Auf dem Felsvorsprung direkt über der Hütte des Schlächters werden wir verschnaufen und uns dann über Seile zu der Hütte hinablassen. Wenn wir den Kerl erst mal haben, dann haben wir auch ein Druckmittel in der Hand. Es wird dann wohl keiner mehr wagen, uns anzugreifen. Wir werden dann einfach mit dem Schlächter in der Mitte nach Hause fliegen.«
Flak hatte zugehört und suchte die Felswand mit den Augen ab. »Pfad?«, fragte er verwirrt. »Welcher Pfad denn?«
Dove wies wortlos auf die Felswand und machte mit seinem Fingerzeig eine dünne Linie erkennbar. Der Pfad war höchstens 30 Zentimeter breit, an manchen Stellen noch weniger. Er umrundete den Bereich des Camps und war so mindestens vierhundert Meter lang. Der Vorsprung über der Hütte des Schlächters war wesentlich breiter, etwa fünf Meter, aber bis dahin mussten sie es erst einmal geschafft haben.
»Es wird nicht so schlimm werden«, meinte der Oxtorner. »Immerhin haben wir ja noch die Flugaggregate der Anzüge, selbst wenn wir herunterfallen, wird uns nicht viel passieren. Dann wäre unsere Deckung zwar gefährdet, aber immerhin können wir uns damit retten. Das sollte eine wertvolle psychische Absicherung für diejenigen sein, die mit der Höhe nicht so klar kommen.« Die letzten Worte hatte er mit leicht zynischen Unterton ausgesprochen.
Nicht nach unten sehen!, dachte er. Er richtete die Blicke krampfhaft vor sich auf den schmalen Pfad, die meiste Zeit stand er mit dem Rücken zu den Felsen und schob sich daran entlang. Dove behielt die Hütten im Auge und versuchte, zu erkennen, ob irgendjemand in ihre Richtung schaute. Hier oben, ungefähr hundert Meter über dem Camp, würden sie die warnenden Rufe vermutlich gar nicht mehr hören. Sie waren also darauf angewiesen, etwas zu sehen .Vor allem Despair mit seinem Helm konnte auf optische Hilfsmittel zurückgreifen, die ohne Energie Gegenstände näher heranholen konnten und er beobachtete deswegen die Hütten besonders genau.
Flak schluckte und fügte sich dann in sein Schicksal. Gemeinsam gingen sie immer am Rand des Camps entlang und erkletterten dann den schmalen Grat, auf dem sie entlang wanderten. Am Anfang war das noch leicht, aber als sie sich dann aus der Deckung der letzten Bäume nach draußen schoben und ohne weiteren Schutz über dem Abgrund entlang wanderten, da wurden einige der Eindringlinge doch etwas blass um die Nase. Vor allem Portland konnte die Höhe nicht so richtig vertragen. Er wäre lieber woanders gewesen. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.
*
Sie brauchten eine Stunde, um auf den Felsvorsprung zu kommen. Es war inzwischen dunkel geworden auf Mesoph. Sie waren über der Hütte des Schlächters angelangt.
Sie verschnauften kurz, dann bereiteten sie den Abstieg vor. Lange würde es nicht mehr dauern, und sie würden in der Hütte des Schlächters ankommen.
Gemeinsam befestigten sie die Seile an in den Berg verankerten Klauen. Sie legten die Seile fachmännisch um ihre Körper und griffen sie fest. Dann gingen sie an den Rand des Vorsprungs. Im Schutze der Dunkelheit nickten sie sich kurz zu, dann stießen sie sich ab und glitten entlang der Felswand nach unten. Wie Phantome, wie Schatten, in der Dunkelheit fast vollständig unsichtbar, kamen sie dem Boden immer näher. Die Seile reichten dafür gerade aus.
Nebeneinander kamen sie auf dem Boden an, sie hatten keine Ausfälle gehabt. Sie klinkten die Seile aus und drehten sich um.
Und blickten genau in die Mündungen von mehreren Waffen.
Carilla der Schlächter stand neben seinen Männern und grinste. Er hatte sie schon einige Zeit beobachtet und wartete nur darauf, dass sie sich auf den Boden der Hochebene abseilen würden. Wenn sie das nicht getan hätten, dann hätte er den Felsvorsprung einfach schmelzen lassen, aber sie waren ihm entgegen gekommen.
Der Oxtorner blickte sich um. Er zählte zwanzig bewaffnete Menschen, zu viele, um mit ihnen fertig zu werden. Er schüttelte den Kopf, als Matthew an seinen Gürtel griff.
»Wir werden uns ergeben«, flüsterte er gepresst und hob langsam die Hände.
Lautlos glitt ein Schatten zwischen sie und ließ sich sofort zu Boden fallen. Ein Lichtblitz zuckte auf, der nur Dove und Flak Portland nicht blendete. Der Oxtorner hatte nicht so empfindliche Augen und Portland ließ sich rechtzeitig fallen. Er drehte sich dabei, zog seine Waffe und schoss aus dieser Position sofort auf einige der Rebellen.
Zwei der Rebellen stürzten sofort zu Boden und regten sich nicht mehr.
Dove fegte einen dritten mit der bloßen Faust hinweg, schleuderte ihn gegen einen weiteren der Angreifer. Beide wälzten sich über den Boden und versuchten, ihre Gliedmaßen zu sortieren. Einer entfernte sich humpelnd. Er hielt seinen Arm, der in einem merkwürdigen Winkel vom Körper ab stand. Offensichtlich war er bei dem Sturz gebrochen.
»Schluss jetzt!«, donnerte der Schlächter. Er kicherte, legte an und zielte auf die Eindringlinge. Ehe er schießen konnte, hatte der oben wartende Cauthon Despair ihn mit dem Strahler erwischt. Die rechte Hand des Schlächters verdampfte.
Flak aktivierte sein Flugaggregat und ließ sich von ihm in Richtung der Angreifer beschleunigen. An seiner Seite war Torrinos, der bereits drei der Gegner erschossen hatte. Fast zeitgleich waren sie auf die gleiche Idee gekommen. Sie krachten in die Gruppe hinein und sorgte dafür, dass die meisten zu Boden stürzten. Wie beim Kegeln gelang es ihnen, einen Teil der Gruppe abzuräumen. Viele blieben aber stehen. Sie behinderten sich gegenseitig, als sie versuchten, auf die Eindringlinge zu schießen. Zwei weitere der Rebellen fielen, die in die Schussbahnen aus den Waffen ihrer eigenen Leute geraten waren.
Die Reihen der Verteidiger lichteten sich, ehrlicherweise musste sich der Oxtorner aber eingestehen, dass sie das weniger einem geplanten Vorgehen zu verdanken hatten, wie es ihre eigentliche Absicht gewesen war. Eher hatten sie es den Fehlern ihrer Gegner zu verdanken, die keine Gelegenheit verstreichen ließen, sich gegenseitig zu behindern und sich teilweise gegenseitig auszuschalten. Dazu kam aber noch, dass sie selbst nicht ganz unerfahren im Kampf waren. Sie schadeten den Gegnern sehr.
Wieder legte sich einer der Rebellen schlafen, als er ihn mit einem Fausthieb erwischte. Er war nun bei dem verletzten Schlächter angekommen, der ungläubig auf den verbliebenen Armstumpf starrte. Wenn sie in einer anderen Umgebung waren, würden sie es sicher schaffen, ihm aus körpereigenem Gewebe eine neue Hand wachsen zu lassen. Aber im Augenblick war er sehr beeinträchtigt.
Er packte zu und zog den Schlächter am Hals vom Boden hoch, sehr nahe zu sich heran. Er legte die Arme um den Nacken des Mannes und drückte sanft zu. Trotzdem sorgte seine überwältigende Kraft dafür, dass die Nackenwirbel des Mannes knackten.
»Hört sofort zu feuern auf, oder er ist tot.«
Er riss ihn herum, so dass alle sehen konnten, dass er keine Witze machte. Der Schlächter kicherte irre und nickte den Männern zu. »Macht keine Dummheiten, der bringt mich wirklich um«, keuchte er. Er hatte sichtlich Angst, wehrte sich nicht gegen den Griff des kräftemäßig weit überlegenen Mannes. Er hing fast schlaff in den Armen seines Gegners.
Einer nach dem anderen ließ die Waffen fallen. Portland und Wallace entwaffneten die Männer und kassierte die Waffen.
»Wo sind die anderen aus diesem Lager?«
»Viele sind in Dom und versuchen, mir zu meinem rechtmäßigen Platz auf dem Thron zu verhelfen.« Für einen Augenblick klang er überheblich. Dann sackte er wieder unter dem erbarmungslosen Griff zusammen. »Andere sind wieder auf dem Weg hierher. Wir haben die Absicht, sie in den nächsten Tagen und Wochen auszubilden. Wieder andere sind gerade in der Hauptstadt von Mesoph und kommen bald mit neuen Vorräten zurück. Wie du sicher bemerkt hast, ist Technik bei uns nicht sehr weit verbreitet. Wir brauchen deshalb sehr viele Vorräte für sehr viele Menschen.«
Freimütig gab der Rebell Auskunft. Offensichtlich erkannte er, wenn er verloren hatte.
»Damit haben wir wohl das gesamte Camp alleine erobert?« Sogar Portland konnte es fast nicht glauben.
»Erobert ist wohl kaum das richtige Wort.« Die Stimme des Oxtorners klang leicht ironisch. »Wir hätten uns mit dieser Aktion fast selber um Kopf und Kragen gebracht. Das nächste Mal sollten wir wieder etwas geplanter vorgehen, meine Herren. Sonst wird der nächste Einsatz unser letzter sein.«
Beschämt senkte Portland den Kopf. Bei genauer Betrachtung verschwiegen sie wohl besser, wie sie zu diesem Erfolg gekommen waren. Mit Ruhm hatten sie sich jedenfalls nicht gerade bekleckert.
Er packte mit an, als sie die Gefangenen in einer der Hütten einsperrten. Sie wiesen sie an, einfach dort zu warten, bis sie abgeholt werden würden. Angesichts der Tatsache, dass die Hütte verschlossen war und in der Umgebung ein Überleben kaum garantiert werden konnte, würden sie vermutlich sogar gehorchen. Es war aber nicht so wichtig, was mit den zwanzig Rebellen geschehen würde, die sie gefangen hatten. Viel wichtiger war der Schlächter selbst. Er musste so schnell wie möglich in sicheren Gewahrsam genommen werden. Am sichersten wäre er wohl in der Hauptstadt Dom selbst.
Torrinos trat an Portland heran und versenkte seinen Blick in dem des Schlächters. »Du musst verrückt sein, dich mit der Macht unseres Herrschers messen zu wollen.«
»Ich kenne dich!«, keuchte der Schlächter. »Du warst schon damals einer der besten. Hast du es nun in die Prettosgarde geschafft?«
Torrinos wirkte nicht geschmeichelt. Er nahm einfach hin, dass er erkannt wurde. »Ich habe deine Pläne bereits zweimal durchkreuzt. Ich glaube nicht, dass du noch mehr zu bieten hast.«
»Sei dir nicht zu sicher. Der Kaiser ist in Dom, du bist nicht bei ihm. Hoffe, dass deine Freunde ihn schützen können. Es sind jedenfalls noch immer Attentäter unterwegs. Und sie werden ihn erwischen, da bin ich sicher. Sie werden ihn töten und wenn wir wieder in Dom sind, dann werdet ihr mir huldigen.«
»Schluss jetzt!« Dove zerrte den Gefangenen mit sich. Gemeinsam verließen sie das Plateau. »Wir kehren zurück zum Schiff. Wir fliegen zum Beiboot und dann zusammen mit Lorif an Bord der IVANHOE. Wir werden das System verlassen und zurück nach Dom fliegen, so schnell, wie möglich. Vielleicht können wir schlimmeres noch verhindern.«
Carilla lachte, aber er leistete keinen Widerstand mehr. Er ließ sich abführen und folgte ihnen zu ihrem Beiboot.
Dom, Dorgon-Zentralwelt
Als sie in Dom angekommen waren, konnten sie schon beim Landeanflug auf ihren Schirmen den Palastgarten des Kaisers erkennen. Der Krater inmitten des Gartens war nicht zu übersehen, auch wenn er im Vergleich zum gesamten Areal des kaiserlichen Hofes eher klein war. Etwas war passiert und Torrinos wurde sehr blass, als er das sah. Er blickte sich zu seinem Gefangenen um, dessen Gesicht ein befriedigtes Grinsen zeigte. Mittlerweile hatte er auch wieder seine rechte Hand, wenn auch in Form einer Prothese, die fast gleichwertigen Ersatz bot.
»Du solltest hoffen, dass ihm nichts geschehen ist. Denn wenn etwas passiert ist, was das Leben des Kaisers kostete, dann werde ich dein Leben nehmen. Ich werde dich mit meinen eigenen Händen töten!«
Er trat auf den Schlächter zu und öffnete und schloss die Fäuste einige Mal.
Dove vertrat ihm den Weg und hielt ihn zurück. »Beruhige dich; noch wissen wir nichts genaues! Es kann ja sein, dass nichts passiert ist. Oder zumindest nicht das, was wir befürchten«, korrigierte er sich mit einem Seitenblick auf den Monitor, der einige Roboter zeigte, die damit beschäftigt waren, die verkohlte und verbrannte Erde abzutragen, mit frischer Blumenerde aufzufüllen, Wege und Springbrunnen zu erneuern und damit die Narbe vergessen zu lassen, die eine Explosion in den Garten des kaiserlichen Palastes gerissen hatte. »Nichts« war jedenfalls ganz sicher nicht passiert.
Unruhig warteten sie die Zeit bis zur Landung ab und verließen das Schiff mit einem Gleiter. Sie machten sich klar, dass man sie sicher schon informiert hätte, wenn das Undenkbare geschehen wäre und so waren sie auch nicht sehr überrascht, als sie den Kaiser unverletzt im Palast antrafen. Unverletzt, aber sehr geschockt. Er hatte sich nur einige leichte Verstauchungen geholt, als er in das Becken des Brunnens gestürzt war. Er war zutiefst geschockt über den Tod einiger seiner Mitarbeiter und berichtete ihnen alles über das Attentat, das ihn fast das Leben gekostet hätte. Ein Glück, es war nicht geschehen.
Erleichtert setzten sich die Terraner und halfen dem Kaiser dabei, die Bewachung der kaiserlichen Familie zu organisieren. Vor allem die Hochzeit betreffend mussten sie alles Erdenkliche tun, um einen Anschlag von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen. Das war nicht leicht, aber durch die Analyse der bisherigen Attentate war es auf jeden Fall leichter geworden, denn bis zu einem gewissen Grad konnten sie nun vorhersagen, was der Gegner tun würde.
Torrinos und Dove organisierten zusammen alle Sicherheitsmaßnahmen für den Kaiser und die beteiligten aus der Familie. Damit waren sie ab jetzt für das Leben des Kaisers verantwortlich.
Despair hielt sich in der Nähe des Palastes auf und war damit im gleichen Garten, in dem sich das Brautpaar genauso wie der Kaiser gerne aufhielten. Er erinnerte sich noch an Gelegenheiten, zu denen er sich in diesem Palastgarten aufgehalten hatte, damals, als sie in diese Galaxis gekommen waren. Damals, als er einer der Berater des verrückten Nersonos geworden war, damals, als Sanna Breen und dieser Valerus sich hier, genau an diesem Platz heimlich getroffen hatten und die Terranerin ihm das Herz gebrochen hatte.
»Cauthon!«
Der Silberne Ritter verharrte in einer Statue ähnlichen Pose und lauschte dem Ruf einer feinen, sanften Stimme. Sie gehörte einer Frau. Aber da war niemand. War es eine Halluzination? Despair ging weiter.
»Cauthon, hier bin ich.«
Wieder diese Stimme! Misstrauisch aber ebenso neugierig lief er weiter und folgte den Rufen. Dann endlich wurde er fündig. Er erstarrte fast, als er die schlanke Gestalt erkannte, die sich langsam seinem Standort näherte.
Sanna Breen war es, die langsam, mit wiegenden Schritten und sehr erotischem Hüftschwung, wie ein Model auf dem Laufsteg, in seine Nähe kam.
»Ich grüße dich, Ritter in der silbernen Rüstung.«
Wie konnte das sein? Sanna war tot! Er selbst hatte ihr Leben beendet. Es war ein Unfall gewesen, als sie versuchte, diesen elenden Valerus zu retten und dabei in Despairs Schwert rannte. Das war mehr als sechs Jahre her. Wie konnte sie plötzlich im Palast stehen? Despair musste sich immer wieder diese Frage stellen, doch irgendetwas zwang ihn dazu, ihr nicht diese Frage zu stellen und auf Sanna Breen einzugehen.
Er schaute ihr entgegen, studierte ihre schönen Gesichtszüge, ließ ihren schlanken Körper auf sich wirken und erkannte sehr schnell, dass sie sich über ihre Wirkung durchaus im Klaren war. Sie spielte mit ihm, versuchte, Gefühle in ihm zu erzeugen, die ihn ihr ausliefern würden. Sie wollte etwas von ihm. Despair war für einen Augenblick dankbar über die Rüstung, die seine Gesichtszüge vor ihr verbargen. So konnte sie in seinem Gesicht nicht ablesen, was er fühlte. Abgesehen davon, dass sie da ohnehin nicht viel erkannt hätte, so zerstört, wie sein Gesicht war. Aber wenn er keine Rüstung gehabt hätte, hätte sie vermutlich in seinem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen können.
»Hallo, Cauthon.«
Sie sprach normal, ihre Stimme verriet nichts von den Dingen, die er argwöhnte.
Noch sagte er nichts, er nickte ihr lediglich zu. Seite an Seite gingen sie in den sonnigen Garten. Von der allgegenwärtigen Überwachung war nicht sehr viel zu spüren, hin und wieder waren robotische Wachhunde zu erkennen, die in dem Garten patrouillierten
Es war alles so unreal. Sie war tot!
»Ein wunderbarer Tag, wenn man bedenkt, wozu er noch dienen soll, findest du nicht?« Breen verschränkte die Hände im Schoß, zog die Schultern hoch und blinzelte lächelnd in die Sonne. Dann drehte sie den Kopf und blickte in das verspiegelte Visier.
Undurchsichtig war er, ließ nicht erkennen, was er dachte. Er sagte auch nichts.
Sie blinzelte noch einmal in die Sonne und spürte einige kühle Wassertropfen auf der Haut, als sie an einem der vielen Springbrunnen vorbei kamen und der Wind einige Tropfen des fein zerstäubten Wassernebels in ihre Richtung wehte. Eine verspielte, kleine Holzbrücke führte über ein Bächlein, das den gewundenen Weg verlegte. Sie blieben direkt darauf stehen und blickten auf die blitzende Wasseroberfläche eines kleinen Teiches voller Seerosen, das die Sonnenstrahlen zurückwarf.
»Was ist los mit dir, mein Freund?«
Despair zuckte zusammen. Er wollte sich nicht so mit ihr unterhalten, wollte sich ihr nicht öffnen, aber wenn sie so freundlich war, dann konnte er fast nicht anders.
»Lass mich in Ruhe. Du bist tot.«
Noch klang seine Stimme ruhig und angenehm. Aber er wirkte etwas ungeduldig, wie sie durchaus bemerkte.
»Eigentlich hatte ich gehofft, mich mit dir über MODROR unterhalten zu können.«
Sie blickte auf die Wasserfläche, nicht in seine Richtung. »Du scheinst ihn ja näher zu kennen, vielleicht erzählst du mir etwas über ihn und dein Verhältnis zu ihm? Was haben wir Terraner von ihm zu erwarten?«
Jetzt blickte sie genau auf das verspiegelte Visier seines Helms. Er hatte den Eindruck, als würde ihr Blick einfach diesen schützenden Spiegel durchdringen, sich inmitten seines Herzens bohren und alles sehen, was er dort vor den anderen verborgen zu halten versuchte. Er vermeinte, sie hätte ihn durchschaut und machte sich doch im selben Augenblick klar, dass es da nichts zu durchschauen gab. Doch er hatte einen Auftrag und war bereit diesen zu erfüllen. Seine Entscheidung hatte er schon längst getroffen. Deshalb musste er ihrem inquisitorischen Blick nicht ausweichen und er fixierte sie.
»Ich werde dir deine Fragen nicht beantworten, weil ich es nicht kann. Ich habe mich für die Terraner entschieden, für die Insel, für die Galaktiker.«
Er verstummte und wandte sein Gesicht ab. Er versuchte, sie zu vergessen, aber das war schwer, solange sie an seiner Seite blieb.
Sie legte eine Hand auf seinen Arm und zwang ihn so fast, in ihre Richtung zu blicken. »Ich habe dich nie vergessen, auch in der Zeit nicht, als mir Valerus wichtiger war als du. Unserer Freundschaft sollte das niemals einen Abbruch tun. Ich habe dich als aufrichtigen Freund geliebt und auch mehr für dich empfunden. Valerus strahlte aber den Idealismus und die Menschlichkeit aus, die du später verloren hattest.«
Schweigend hatte die Gestalt in der Rüstung zugehört. Unter der Maske verzerrte sich sein Gesicht zu einem freudlosen Grinsen. Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste von nichts. Und sie suchte Antworten. Nun, sollte sie welche bekommen.
»Valerus, dieser Emporkömmling, der nur im Schatten seines berühmten Vaters zu einem Offizier werden konnte. In Wahrheit war er doch nur ein Versager, genauso wie sein Vater, der beim Angriff auf die Rebellenarmee gefallen war. Was für eine lächerliche Familie.«
Er klang verbittert und er konnte erkennen, dass er die Frau an seiner Seite damit verletzte. Sie schaute verunsichert in seine Richtung, hatte jegliche Selbstsicherheit verloren.
»Das ist nicht dein Ernst.« Sie flüsterte nur noch, machte damit klar, dass ihre Gefühlswelt bei weitem nicht so intakt war, wie sie getan hatte.
Despair erkannte, dass er sie in einem Bereich getroffen hatte, in dem sie nicht sehr souverän war. Aber das war auch nicht sein Gebiet. Beziehungen waren einfach zu kompliziert. Er holte zum letzten Schlag aus.
»Valerus ist tot, da hast du recht. Aber du weißt nicht, wie es geschehen ist.« Er schilderte in dürren Worten, was sich damals zugetragen hatte, den Moment, in dem er ihn getötet hatte. Er schmückte seine Geschichte nicht aus, beschönigte nichts, schilderte lediglich die Tatsachen.
Sie erbleichte, Tränen traten in ihre Augen und sie hieb auf die Brust seiner Rüstung. Er hinderte sie nicht daran. Kein Ausdruck des Bedauerns war ihm anzumerken. Er wollte sich dafür nicht schämen, denn Valerus war ein Narr in seinen Augen gewesen. Er war es in Despairs Augen einfach nicht wert. Er ließ den hilflosen Angriff der Terranerin an sich abprallen und drehte ihr schließlich den Rücken zu.
»Wenn du der Meinung bist, dass ich deiner nicht würdig bin, wenn du immer noch an diesem Emporkömmling hängst, dann sollten wir das Gespräch an dieser Stelle beenden.«
Er entfernte sich von ihr, froh, dass er letztendlich seine Überlegenheit gefunden und bewiesen hatte. Er war nicht glücklich über die Gefühle, die sie nun haben musste. Aber er war sicher, dass es nötig gewesen war. Sanna hatte schon recht, Valerus hatte zwischen ihnen gestanden. Jetzt war es auf jeden Fall überwunden, ein für alle Mal. Sie musste sich über ihre Gefühle klar werden und wenn sie an ihren Gefühlen dem Nersonos treu ergebenen Valerus gegenüber festhielt, dann war das nicht seine Schuld. Er blickte nicht zurück. Er hoffte insgeheim, dass es doch noch eine Zukunft für gemeinsame Gefühle gab. Sie war einfach wunderbar. Und er hatte sie zutiefst verletzt. Wahrscheinlich würde sie ihn niemals wieder beachten. Wenigstens würde er dann seine Ruhe haben.
Despair stieß einen Schrei aus, der unter seinem Helm sehr dumpf klang. Niemand war im Raum, deshalb konnte ihn keiner hören. Keuchend fuhr er aus seiner liegenden Position hoch und sprang regelrecht aus seinem Bett. Sein Herz schlug wie ein Presslufthammer. Er hatte noch immer das Bild vor Augen, als Sanna Breen ihn so unglücklich angeschaut hatte, gleich nachdem er ihr eröffnet hatte, dass in Wahrheit er der Mörder von Valerus war. Aber das konnte nicht sein. Sanna war tot. Es war nur ein Traum gewesen.
Despair ging zum Fenster und blickte in die Nacht von Dorgon. Was hatte dieser Traum zu bedeuten? War er ein Zeichen? Sanna Breen wäre nicht die erste, die wiederkommen würde. Nadine Schneider hatte das schon vor ihr getan. Aber das wäre zu viel gewesen. Oder war die Superintelligenz wirklich dabei, noch einen Menschen wieder zurückkehren zu lassen?
Despair starrte in den nächtlichen Himmel, als wäre die Antwort dort niedergeschrieben. Aber sie war es nicht. Nach einiger Zeit wandte er sich ab und ging zurück ins Bett. Sein Herz schlug wieder regelmäßiger. Wenn es nicht um sie ging, dann vielleicht um ihn. Wollte der Traum ihm etwas sagen? Er dachte noch einmal darüber nach, aber da war nichts. Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte.
Nach einer Weile beschloss er, es auf sich beruhen zu lassen. Wenn es etwas bedeutete, dann würde er es merken.
Er legte sich wieder hin. Diesmal schlief er ruhiger, der Traum kehrte nicht wieder.
Es war bei weitem nicht der angenehmste Ort, das war dem Mann in der Kleidung der Gefangenen in den letzten drei Tagen klar geworden. Aber es war ein Ort, an dem ein Dorgone seines Charakters sich schnell sicher fühlen konnte. Am Anfang hatten die anderen Gefangenen noch einiges versucht, aber er hatte sie schnell in ihre Schranken verwiesen. Jetzt waren eher die Wärter sein Problem. Er hatte sich in der Hierarchie des Gefängnisses schnell nach oben gedient und obwohl er am ersten Tag isoliert worden war, hatte er doch bereits an diesem Tag erste Zusammenstöße mit anderen erlebt.
Einer der Häftlinge, der sich wie der Kaiser des Gefängnisses aufgespielt hatte, war ihm in die Quere gekommen. Ohne nachzudenken, hatte er dem Gefangenen mit einem Schlag den Unterkiefer gebrochen. Seine Kunsthand hatte das bewirkt. Seither waren sie ihm aus dem Weg gegangen und die Wärter hatten ihn dafür nicht einmal bestraft. In einem Gefängnis auf Dorgon gab es eine Hackordnung unter den Häftlingen. Dabei gab es eine Trennung zwischen politischen Gefangenen und wirklichen Kriminellen. Zu Zeiten des Nersonos hatte es diese Unterscheidung unter den Häftlingen noch gegeben, heute gab es sie natürlich nicht mehr. Politische Gefangene waren in Gefängnissen auf Dorgon nicht mehr zu finden.
Carilla war bereits mit gehörigen Vorschusslorbeeren in das Gefängnis gekommen, die Geschichten seiner Grausamkeit, als er noch in der Prettosgarde war, waren im Gefängnis bekannt. Und die Geschichte der Anschläge desgleichen. Natürlich hatte gleich der Platzhirsch im Gefängnis Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn herausgefordert, um gleich klarzustellen, wer hier der Herr im Gefängnis war. Die Wachen hatten das toleriert, weil stabile Verhältnisse es auch ihnen leichter machten. Und so war es gekommen, dass der neue Platzhirsch bereits seit dem ersten Tag seines Eintritts Carilla war.
Er hatte auch schon einige Kontakte geknüpft, so dass er die Ereignisse außerhalb des Gefängnisses mitbekam.
Letztendlich war er mit der Entwicklung zufrieden. Offenkundig hatten sie das letzte Kommando noch nicht gefasst, es war also noch auf dem Weg zum Kaiser. Wenn die Männer schlau waren dann würden sie den Angriff auf die Hochzeit verlegen und versuchen, außer dem Kaiser gleich auch noch den Thronfolger und seine Gemahlin zu töten, dann wäre der Weg für ihn endlich frei.
Abgesehen von dem Terroranschlag gab es dann nur noch ein Problem. Aus dem Gefängnis herauszukommen. Aber das würde vielleicht einfacher sein, als gedacht. Eine Möglichkeit gab es da schon. Vielleicht wäre er bald wieder in Freiheit. Und eine Stadt wie Dom bot viele Möglichkeiten, sich zu verstecken. Erst einmal musste er aber aus dem Gefängnis entkommen. Und da setzte er seine Hoffnung auf einige Anhänger, die unabhängig vom letzten Terrorkommando noch in Dom waren. Sie würden ihn herausholen, da war er ganz sicher. Vielleicht schon bald.
Kameras waren überall im Prunksaal des Palastes verteilt. Die Hochzeitszeremonie der Dorgonen war kaum mit derjenigen der Terraner zu vergleichen, jedenfalls nicht, was die Bekleidung der Gäste betraf und auch nicht, was den Ablauf anbelangte. Die Zeremonie war eigentlich ganz einfach. Der Bräutigam würde an einem Ende des Raumes warten, die Braut würde an der Hand ihres Vaters von der anderen Seite hereingeführt werden. Wenn sie dann auf der Seite des Bräutigams angekommen waren, dann würde der Vater die Hand seiner Tochter in die Hand seines zukünftigen Schwiegersohnes legen. So wurde das überall in Dorgon gehandhabt, was bedeutete, der Vater übergab die Tochter an den Schwiegersohn und besiegelte somit den Bund. Weitere Personen waren an der Zeremonie im Prinzip nicht beteiligt, sie dienten lediglich dazu, den Bund anschließend zu feiern und bezeugen zu können, dass es den Bund gegeben hatte. Und natürlich war da immer noch ein Beamter, der in sein Protokoll aufnahm, dass es diese Feier gegeben hatte und so auch für einen offiziellen Eintrag sorgte, der bei der Gründlichkeit der Beamten mit einiger Sicherheit noch in Jahrmillionen aufzufinden sein würde.
Sollte der Vater nicht mehr am Leben sein, dann gab es immer noch die Alternative, dass ein Bruder, die Mutter, eine Schwester oder ein Onkel die Übergabe vornahm.
Die Zeremonie stand unmittelbar bevor und in diesem Augenblick trat der Bräutigam durch eine Tür in den Raum. Er ging an seinen Platz und wartete hinter dem Tisch darauf, dass seine Braut in den Raum geleitet wurde. Unvertraute Musik erfüllte den Raum, fremd, einzigartig in ihrer bedeutungsschwangeren, atmosphärisch dichten Ausprägung. Ein Schauer überlief die anwesenden Terraner.
Als er seine Position eingenommen hatte und der Tradition folgend auf seine Braut wartete, ertönte ein Gong, der andeutete, dass die Braut gleich erscheinen würde. Der Gong wurde dreimal geschlagen, dann öffnete sich die Tür und Uleman kam an der Seite seiner Tochter in den Saal .Wallace und Portland verschlug es die Sprache beim Anblick der Prinzessin. Sie konnten ihre Blicke kaum von der jungen Frau lösen, aber sie hatten wenigstens den Anstand, sich nicht gegenseitig mit den Ellbogen zu stupsen und ordinär hinter der zukünftigen Kaiserin her zu pfeifen.
Dove bemerkte nichts von der eigentlichen Feier. Er beobachtete die Schirme der Überwachungsanlage und hatte dabei die Gesellschaft von Torrinos, der die Auswertung des Rechners überwachte. Gemeinsam hofften sie so, nichts zu übersehen. Unterstützt wurden sie von einer Vielzahl robotischer Überwachungseinheiten, die um den Palast patrouillierten und mit Hilfe ihrer Infrarotkameras auch im Dunkeln sehr gut sehen konnten.
Letztendlich wurden sie aber von den Ereignissen doch fast überrascht. Als einige der Einheiten Defekte meldeten, schauten sich Torrinos und Dove kurz an, dann gaben sie Alarm für alle Terraner im Palast. Auch Portland und Wallace erhielten Nachricht über ihr Armbandgerät, überließen die Zeremonie den Beteiligten und verließen den Raum. Zusammen mit Dove und Torrinos drangen sie in die Tiefen des Palastes vor und betraten durch einen Zugang die Katakomben dieser Welt, in denen sie sich schon aus anderen Gründen zum Zeitpunkt der damaligen Revolution aufgehalten hatten. Die ausgefallenen Roboter waren alle in den Katakomben im Einsatz gewesen, deshalb lag es nahe, dort nach den Eindringlingen zu suchen.
Dove ging als erster in die Katakomben und winkte dann den anderen. Torrinos ließ sich einfach durch die Luke fallen und landete geschmeidig wie eine Katze umgeben von einem Lichtschein, der aus der Luke auf den steinigen Boden fiel. Er verschwand mit einer fließenden Bewegung in der Dunkelheit. Die drei Terraner konnten fast nicht so schnell folgen.
Lautlos glitt der Dorgone durch das Dunkel vor ihnen. Sie konnten ihn nur sehen, weil sie Infrarotbrillen trugen. Direkt hinter ihm drangen sie in das Dunkel vor.
Plötzlich wurden sie durch einen sonnenhellen Lichtstrahl geblendet. Vor allem die drei Terraner wurden davon in Mitleidenschaft gezogen, denn die Infrarotbrillen verstärkten die Wirkung der Lichtstrahlen.
Sie ließen sich einfach fallen und krochen mit geblendeten Augen auf eine Nische in der Wand zu. Doves Augen erholten sich als erstes. Er suchte vergeblich nach Torrinos. Direkt neben dem Weg, den sie genommen hatten, war das Wasser eines Kanals zu sehen. Dove konnte nicht sagen, wo der Dorgone abgeblieben war. Er hoffte nur, dass er nicht getötet worden war.
Er hatte seine Waffe gezogen und strengte seine Augen an, vor denen immer noch Feuerräder kreisten. Er wagte es, die Infrarotbrille noch einmal zu aktivieren. Sie zeigte ihm die Umgebung mit einem leicht grünlichen Schimmer, was die Verstärkung des verbliebenen Lichtes bewirkte. Ein Schemen schlich einige Meter weiter über den Weg, allerdings auf der anderen Seite des Kanals. War es Torrinos? Der Oxtorner wusste es nicht.
Er zielte mit seiner Waffe auf den Schemen, lauschte in die Dunkelheit und schwenkte die Waffe dann herum. Er schoss und sah in dem kurz aufblitzenden Energielicht drei Gestalten, die ihn schon fast erreicht hatten und jetzt in einer Deckung verschwinden wollten. Sie erreichten sie allerdings nicht mehr, denn ein Schuss aus der Dunkelheit erwischte sie und tötete sie augenblicklich. Dove hörte Geräusche, wie sie Ratten verursachen könnten. Er war sich fast sicher, dass das ein Zeichen des Dorgonen war.
»Noch sieben«, hörte er aus der Dunkelheit. Er nickte. Stöhnend richtete sich nun auch Wallace auf, der sich schüttelte und langsam auch wieder etwas erkennen konnte. Er half Henry Portland auf die Beine.
»Verschwindet, sichert den Einstieg. Hier unten könnt ihr uns nicht helfen.«
Wallace blickte in die Dunkelheit. Er konnte die sanft geschwungenen Bögen der Deckenkonstruktion ganz in ihrer Nähe erkennen, wusste aber, dass es da noch mehr gab. Sie konnten ohne die Brillen kaum einen Bereich überblicken, waren deshalb nicht als Unterstützung zu gebrauchen.
»Ich werde Kampfroboter schicken«, flüsterte der Schotte.
Dove nickte, erkannte aber, dass die beiden das nicht sehen würden, und antwortete daher. »Gute Idee. Aber jetzt verschwindet.«
Sie verschwanden, kletterten über die Leiter nach oben, als Dove einige Feuerstöße in die Dunkelheit abgab um den Gegner abzulenken und verschwanden im Palast. Sie suchten nach Kampfrobotern und schickten sie nach unten. Dann warteten sie vor der Luke auf die beiden Freunde. Erst als der Lärm aufhörte, öffneten sie den Deckel und aktivierten einen Scheinwerfer.
Torrinos war mittlerweile einiges tiefer in die Katakomben vorgedrungen. Die Steine, die den Rand des Kanals markierten, waren brüchig und er wandelte über einen schmalen Grat dahin wie ein Seiltänzer. Niemand beobachtete, wie geschickt der Dorgone sich bewegte. Er konzentrierte sich auf die Geräusche in der Dunkelheit, sein Gehirn verwertete Informationen und versuchte daraus, ein Bild der Umgebung zu zaubern. Echos halfen ihm dabei, Wände zu erkennen, Distanzen einzuschätzen und nicht über seine Gegner zu stolpern. Nur durch die fast lautlosen Schritte der anderen hatte er erkannt, wie viele es waren. Als Dove geschossen hatte, hatte er sie gesehen und drei davon erwischt. Als er nun wieder feuerte, war Torrinos eine Sekunde lang zu sehen. Einer der Gegner schoss auf ihn, aber er duckte sich und verschwand in einem Loch in der Wand. Er kam aber sofort wieder daraus hervor und schoss auf einen anderen der Eindringlinge. Er erwischte zwei davon. Noch fünf waren aktiv.
Die Schüsse des Oxtorners hörten auf, als das Licht aus der Luke verschwand. Sie warteten auf die Roboter. Plötzlich war da wieder Licht, nur kurz, metallisches Platschen im Wasser des Kanals, als einer der Roboter in der Schwärze des Wassers verschwunden war. Torrinos fühlte sich nicht wohl in der Dunkelheit, er fühlte eine Beklemmung, die er nicht kannte. Normalerweise hatte er keine Angst, etwas stimmte nicht. Ein flüchtiges Aufblitzen eines Schusses reichte normalerweise niemandem, ihn zu sehen. Trotzdem hatte einer der Gegner auf ihn geschlossen. Er musste aufpassen, offenkundig gab es unter den Eindringlingen mindestens einen, der ihm gefährlich werden konnte.
Er glitt über den Rand des Weges und ins Wasser. Nur ein leises plätschern war zu hören, trotzdem war da wieder ein Schuss, ein Feuerstrahl, der Wasser direkt neben ihm verdampfte. Er tauchte unter, kam in der Nähe der Eindringlinge wieder heraus und griff über den Rand auf den Weg. Er erwischte einen Fuß und riss einen der Männer von den Beinen. Aufschreiend landete der im Wasser. Dove hörte den Schrei und schoss in die Richtung. Der Lichtblitz zauberte eine geisterhafte Momentaufnahme aus dem Dunkeln, in dem drei Männer zu erkennen waren, von denen einer sich an die Brust fasste. Dove hatte getroffen. Drei? Außer dem einen, den Torrinos ins Wasser befördert hatte, fehlte noch einer. Wo war der abgeblieben?
Eine Hand packte seinen Hals und er verstand. Im Schutz des Lärms hatte sich der Gegner, den er wohl als einzigen zu fürchten hatte, ins Wasser begeben und ihn unter Wasser gesucht. Jetzt hatte er ihn am Hals, im wahrsten Sinne des Wortes, und ein Unterwasserkampf entbrannte.
Torrinos stieß seinen Ellbogen nach hinten, erwischte aber niemanden. Der Gegner reagierte schnell im Dunkeln und er reagierte tödlich. Langsam wurde die Luft knapp, der Druck auf seinen Kehlkopf wurde unerträglich.
Seine Hände packte die Hände des Würgers, versuchten, die Finger auseinander zu zwingen. Aber es gelang nicht. Er war versucht, den Mund zu öffnen, nach Luft zu röcheln, aber unter Wasser wäre das sein Tod gewesen. Verzweifelt strampelte er, versuchte, freizukommen. Er schaffte es nicht. Plötzlich ließen die Hände von ihm ab. Hatte der nahende Tod ihm diese Kraft verliehen, seinen Gegner abzuschütteln? Nein, er hatte sich kaum noch wehren können, war beinahe schon Tod gewesen. Etwas anderes hatte ihn gerettet.
Plötzlich überflutete Licht die Szenerie und er sah im Lichtkegel eines Scheinwerfers, den Wallace in der Faust hielt um die Szenerie zu erleuchten, dass die drei verbliebenen Angreifer von den Kampfrobotern überwältigt worden waren. Er drehte sich um, tastete nach Grund in dem Kanal, fand ihn und blickte in die Augen des Oxtorners, der den Angreifer im Arm hielt, der fast Torrinos Schicksal besiegelt hätte. Der Kopf des Dorgonen pendelte haltlos hin und her. Er hatte ihm das Genick gebrochen. Dove ließ los. Der Dorgone landete im Wasser und trieb mit dem Gesicht nach unten im Kanal, bis er von einem der Roboter aus dem Wasser gefischt wurde, die mit den Aufräumungsarbeiten begannen.
Es war vorbei.
Torrinos schwamm ans Ufer und ließ sich von Dove aus dem Wasser ziehen, der behände wie eine Katze auf den schmalen Weg gesprungen war. Er klopfte dem oxtornischen Freund auf die Schulter.
»Ich werde es bereuen, wenn du uns verlassen wirst. Du bist ein wahrer Freund der Dorgonen und ein tödlicher Kämpfer.«
Dove grinste. »Komm doch einfach mit, was meinst du?«
»Meinen Kaiser im Stich lassen? Das kann ich nicht...«
»Die Gegner sind besiegt, es wird sicher für lange Zeit keine Anschläge mehr auf den Kaiser geben. Nichts jedenfalls, mit dem die Prettosgarde nicht auch ohne dich klarkommen würde.«
»Vielleicht hast du recht. Ich werde es mir überlegen.«
Seite an Seite verließen sie die Katakomben. Sie zogen sich um, bevor sie der Zeremonie beitraten und Arimad und Commanus zu ihrer Hochzeit gratulierten. Vor allem Wallace genoss es sichtlich, die junge Frau kurz zu umarmen. Aber er löste sich schnell wieder von ihr, als er die eifersüchtigen Blicke von Saraah sah. Sie lächelte, als er sie flüchtig in den Arm nahm. Alles war klar. Nichts würde sie wieder zusammen bringen können. Sie mussten damit umgehen können.
Erschreckend war noch eine Nachricht, die sie kurz vor dem Ende der Feierlichkeiten erreichte. Auf das Gefängnis war zeitgleich ebenfalls ein Anschlag verübt worden. Offensichtlich hatte es nur ein Opfer gegeben, den Schlächter Carilla. Niemand trauerte so richtig um den Schlächter. Sein Körper konnte zwar nicht gefunden werden. Die Explosion war aber so heftig gewesen, dass noch drei Zellen links und rechts daneben vollständig zerstört worden waren. Zum Glück waren sie unbesetzt gewesen.
Der Schlächter hatte sich mit einem Paukenschlag von dieser Welt verabschiedet.
Torrinos wurde aufgrund seiner herausragenden Leistungen zum Oberbefehlshaber der Prettosgarde ernannt. Der junge Dorgone war im höchsten Maße geehrt und wurde somit zu einem der engsten Vertrauten der kaiserlichen Familie.
Die Hochzeit war gefeiert, würde bald vollzogen werden. Carilla war tot. Die Anschläge waren wohl zu einem Ende gekommen. Alles war also so, wie es sein sollte. Die Terraner verabschiedeten sich von ihren dorgonischen Freunden und beschlossen, am nächsten Tag die Heimreise anzutreten.
Alles war gut. Alles?
Ein kräftig gebauter Mann tauchte aus den Tiefen des Kanals direkt unter dem Gefängnis auf. Er ließ sich von einem Helfer aus den Fluten helfen und schüttelte sich wie ein Hund, als er das Wasser verließ.
Er legte dem Dorgonen die Hand auf die Schulter. »Jarus, mein Stellvertreter. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Demütig nickte der Dorgone und verbeugte sich knapp vor seinem Herrn. »Immer zu Diensten. Eure treuen Diener erwarten Eure Befehle. Was gedenkt Ihr nun zu tun, Carilla?«
Der Schlächter rieb versonnen über seinen Kinnbart, den er sich in der Zeit seiner Gefangenschaft hatte wachsen lassen. »Ich bin sicher, dass uns da etwas einfallen wird. Da ist immer noch ein Kaiserthron, den ein nichtswürdiger Emporkömmling unter sich hat.«
Er schaute in die Augen seines treuen Helfers. »Ich denke, wir werden Uleman einen Besuch abstatten.«
Er hörte das Donnern der Triebwerke nicht, als sich die IVANHOE vom Raumhafen erhob. Aber er würde es bald erfahren. Die Gefahr war noch nicht gebannt. Die Zeit war noch nicht reif. Er würde es merken, wenn sie reif war. Und Uleman würde merken, dass es noch nicht vorbei war.
ENDE
Im nächsten Roman wechseln wir nach Cartwheel zurück. Dort hofft man nach der Linguskrise durchatmen zu können, doch schon gibt es den nächsten Brennpunkt. Jens Hirseland und Michael Berg schreiben in Band 55 über den »Bestienalarm«.
Bei dem Kommandoeinsatz auf Mesoph täuschte Cauthon Despair nach einer Wanderung auf einem Felsvorsprung Höhenangst vor. Doch was ist das eigentlich – Höhenangst?
Höhenangst (Bathophobie genannt, engl. Acrophobia) bedeutet, dass der Betroffene sich beim Blick in die Tiefe fürchtet. Der Betroffene versucht, die gefürchtete Situation zu vermeiden, obwohl die Höhenangst unbegründet ist. Der Betroffene hat Kenntnis von der Irrationalität seiner Angst, jedoch überwiegt seine Vorstellung, dass eine Katastrophe passieren, er z.B. in die Tiefe stürzen könnte.
Behandlungsmethoden sind u.a. eine Desensibilisierung – der Betroffene wird mit der Höhenangst konfrontiert. In einer terranischen Studie wurden Patienten mit Hilfe von Computersimulationen (Virtual Reality) solchen Situationen ausgesetzt. Es konnten Behandlungserfolge verzeichnet werden.
Daneben gibt es noch den Höhenschwindel. Höhenschwindel ist ein Normalphänomen. Wenn man sich in größerer Höhe befindet, tritt eine subjektive Instabilität der Körperhaltung auf, dazu gehört auch die Angst hinunter zu fallen. Höhenschwindel hat eine nachvollziehbare biologische Grundlage. Es handelt sich um einen Entfernungsschwindel. Dieser entsteht durch eine Destabilisierung der Körperhaltung wenn die Entfernung zwischen den Augen und dem nächsten sichtbaren festen Objekt zu groß wird. Um das Objekt scharf mit beiden Augen sehen zu können, muss der Kopf schwanken. Dies tut er dann auch automatisch. Auch für die normale Aufrechterhaltung des Gleichgewichts schwanken wir etwas. Dies muss bei fehlenden festen Objekten in der nahen Umgebung gesteigert werden. Über Lagereflexe schwankt der Körper dann auch etwas mit. Die Stabilisierung der Lage erfolgt über die Peripherie der Netzhaut des Auges. Also nicht über die zentrale Netzhaut, mit der Gegenstände erkannt oder verfolgt werden.
Höhenschwindel stellt auch eine normale Warnfunktion des Körpers dar. Durch das physiologische Schwanken besteht tatsächlich eine etwas erhöhte Sturzgefahr. Überwiegend kann diese durch kompensatorische Mechanismen (des Gleichgewichtorgans, und der propriozeptorischen Nerven) ausgeglichen werden. Wenn schlechtes Schuhwerk getragen wird, eine Schädigung peripherer Nerven durch eine Polyneuropathie vorliegt, oder andere Schädigungen des Gleichgewichtsinnes bekannt sind, sollte man deshalb in solche Situationen vorsichtig sein und die Warnung des Körpers auch ernst nehmen.
Normaler Höhenschwindel muss von eigentlicher Höhenangst unterschieden werden. Höhenangst entsteht aus normalem Höhenschwindel. Die Angst vor einem Kontrollverlust spielt dabei eine wesentliche Rolle. Kurze Gedanken wie »Ich könnte fallen!«, aber auch »Ich könnte die Kontrolle über mich verlieren und hinunter springen!« sind noch ein Normalphänomen, solange sie nach einem kurzen Schritt zurück, korrigiert werden können. Erst wenn sie einen übertriebenen Stellenwert bekommen und wirkliche Angst vor einem Kontrollverlust mit dazugehöriger Angst vor der Angst dazu kommen, sollte man von Höhenangst sprechen.
Und so was täuscht Cauthon Despair vor, um menschlicher zu wirken? Ich weiß nicht recht...
Björn Habben
Carilla ist im Jahre 1292 NGZ Preafektus Fabrum von Cermium, der Hauptwelt der Provinz Harridon, zugehörig zum Protektorat Harrisch.
Sein Beiname ist "Der Schlächter". Das geht auf das rigorose Vorgehen gehen tributsäumige Harriden im gesamten Protektorat vor. Diverse Massaker an der harridischen Bevölkerung gehen auf sein Konto. Eine Anekdote über ihn besagt, dass er die toten Harriden zerstückeln ließ und ihre Gebeine über Dörfer und Siedlungen der Harriden abwerfen ließ, damit diese unmissverständlich wussten, was ihnen blühen würde, sollten sie ihren Tribut nicht bezahlen.
Zu seinen eifrigsten Schülern gehörte der ehrgeizige Dekurio Carcus.
1293 NGZ: Carilla wird während der Regentschaft des Nersonos befördert und leitet die Kämpfe gegen die Rebellen im Protektorat Mesaphan. Er geht brutal auf Hesophia vor.
Nach dem Fall von Nersonos kann sich Carilla nicht mit der weichen Regierung abfinden, zumal ihm aufgrund seines brutalen Vorgehens eine Anklage droht. Er flieht. Es zieht ihn ins Gebirge von Mesoph, wo er einige Jahre verbringt und eine Armee von Rebellen um sich aufgebaut.
Im Jahre 1298 NGZ schlägt er zu und versucht Kaiser Uleman zu töten. Sein Putsch schlägt fehlt, nicht zuletzt durch die tatkräftige Unterstützung der Besatzung der IVANHOE und eines Prettosgardisten namens Torrinos.
Steckbrief
Geboren: 1251 NGZ
Geburtsort: Dorgon, M100
Größe: 1,93 Meter
Gewicht: 98 Kilogramm
Augenfarbe: braun
Haarfarbe: schwarz
Bemerkungen: Haare sehr kurz geschoren, Muskulös, sportlich, Anhänger des Imperiums, gegen alle Reformen, setzt mit Gewalt seinen Willen durch.
Dorgone, ab 1298 NGZ Ehemann der Arimad, Schwiegersohn des Kaisers Uleman.
Geboren: 1273 NGZ
Geburtsort: Dorgon, M100
Größe: 1,81 m
Gewicht: 74 kg
Augenfarbe: braun
Haarfarbe: schwarz
Bemerkungen: Sportlich, schwer für Außenstehende einzuschätzen, ein Befürworter der Monarchie, stellt sich mit Uleman sehr gut, ist aber nicht ganz aufrichtig.
Commanus ist der Sohn reicher Adliger. Er stellte sich beim Fall von Nersonos auf die Seite von Uleman und verstand sich auf Anhieb gut mit Arimad. Daraus entwickelte sich Liebe und beide feierten nach einigen Jahren ihre Verlobung. Sollten sie heiraten wird Commanus der designierte Nachfolger von Uleman und somit neuer Kaiser Dorgons sein. Commanus führt sich zu dieser Aufgabe berufen. Er glaubt, dem dorgonischen Volk das geben zu können, was es braucht. Er selbst ist ein Befürworter der Monarchie und glaubt, dass die Macht nur von wenigen bestimmt werden sollte.
Commanus fühlt sich teilweise bereits als neuer Kaiser und sieht die Ernennung nach Ulemans Tod nur noch als Formsache an. Er macht allerdings ein großes Geheimnis aus seiner Familie, da besonders sein Bruder Elgalar sehr seltsam und exzentrisch ist, dennoch liebt er ihn.
Dorgone, ein Tribun der Prettosgarde im Jahre 1298 NGZ. Der Dorgone ist etwa 1,91 Meter groß, durchtrainiert, hat dunkelblondes, kurzes, griffiges Haar und blaugrüne Augen.
Torrinos hat eine exzellente Ausbildung genossen und beherrscht diverse Kampftechniken. Er ist ein loyaler Offizier und Leibwächter des Kaisers, da sich Torrinos mit dessen Ideologie identifiziert.
Kaiserpalast. Der Pons Domus liegt auf einem Hügel. An ihn grenzten der Jusilus-Platz und die gewaltige Hauptstraße im Süden. Im Osten erstreckten sich große Parkanlagen und ein künstlicher See. Im Süden befand sich der Sport- und Kampfkomplex Madisonus Squarus. Eine gewaltige Sportanlage mit Stadien und Arenen. Im Norden lag der kaiserliche Raumhafen.
Während der Jusilus-Platz vor allem eine breite Fläche bot und von einer rot leuchtenden Mauer umgeben war, an deren Spitzen tausende Fahnen, Statuen und Hologramme dorgonische Symbole prangerten, führte am Ende des Platzes eine Treppe mit einhundert Stufen hinauf zum eigentlichen Pons Domus, der sich etwa dreihundert Meter über den Jusilus-Platz erhob. Die einhundert Stufen führten etwa 20 Meter hinauf zum Podium des Kaisers selbst. Dahinter erstreckte sich der Palastkomplex auf den Hügeln, die bis zu 300 Meter hoch gingen. Dutzende Paläste, Gärten, Tempel und Statuen erstrahlten in einem spiegelnden, weißen Marmor. Das Spitzdach des gewaltigen Hauptgebäudes, welches sich im Zentrum des Pons Domus befand, war mit einem rotgoldenen Edelmetall verziert.
Der Pons Domus, welcher sich bis zu 300 Meter über den Jusilus-Platz erhob war einst mit der Unterstadt von Dom verbunden. Diese oft geheimen Gänge und Katakomben wurden jedoch versiegelt.
Kaiserpalast
Am Eingang des Palastes thronten vier große Statuen der wichtigsten Kaiser Domulus, Decrusian, Jusilus und Sulvetius. Die gleichen Statuen standen vor dem Thronsaal. Dieser war pompös.
Die dunklen Wände wirkten eher wie Gestein aus einer Höhle. Eingesetzte Lampen, die eher wie tausende kleiner Diamanten wirkten, spendeten in dem gesamten Saal Licht. Doch auch die Decke spendete Licht, denn sie projizierte den Sternenhimmel über Dorgon wider. Die Sonne Dorgonia war überproportional dargestellt und die größte Lichtquelle im Raum. Der Boden bestand aus einem roten, weichen Teppich. Links und rechts neben ihnen befanden sich Sitzgelegenheiten und schwebende, kleine Tische auf denen die Nahrung abgestellt wurde.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e.V. — Copyright © 1999-2016
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e.V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 54, veröffentlicht am 08.01.2016 —
Titelillustration: Klaus G. Schimanski • Innenillustration: Klaus G. Schimanski
Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen Seel • Digitale Formate: Jürgen Seel