Band 50

Osiris-Zyklus

 

Osiris

Ein Gott erwacht

 

Nils Hirseland

 

Was bisher geschah

Wir schreiben November des Jahres 1298 NGZ. Die Archäologin Denise Joorn forscht seit sieben Jahren in der Milchstraße und Dorgon nach Verbindungen zwischen der altägyptischen, terranischen Kultur in der Antike und Mythologien in M100 sowie Artefakten auf den Welten Mashratan und Seshur.

Während ihrer Forschungen wird sie von dem geheimnisvollen Ägyptologen Kawai Muhalla und dem skrupellosen Grabjäger Johannes van Kehm angegriffen. Auf Seshur entdeckt Joorn das Grab der Nephtys, die Jahrtausende in Stasis lag und in Joorns Armen quasi zerfiel, da ihr offenbar ein Zellaktivator abgenommen wurde.

Joorn vermutet, dass die Götter aus der pharaonischen Zeit real sind und einer unbekannten Kultur angehören, von denen nicht einmal Atlan etwas wusste. Sie kehrt nach Terra zurück und entdeckt eine unterirdische Anlage unter dem Gizeh-Plateau in Ägypten. Dort wird sie Zeuge der Auferstehung von OSIRIS …

Hauptpersonen

Osiris – Der Gott der altägyptischen Unterwelt.

Denise Joorn – Die Archäologin macht eine sensationelle Entdeckung.

Imhotep – Baumeister der Stufenpyramide von Saqqara.

Neferti – Ein Gelehrter am Hofe des Pharaos Chufu.

Djoser, Snofru, Ach-et-Aton und Chufu – Pharaonen aus dem alten Ägypten.

Nofretete – Die Schöne aus dem fremden Land.

Perry Rhodan – Der Terranische Resident muss einer neuen Gefahr trotzen.

 

 

 

 

 

Der Fluch der Pharaonen

Allah ist der große Gott. Er ist der einzige Gott und Mohammed ist sein Prophet. Ich, Abd-Allah al-Mamun, Kalif des großen arabischen Reiches und Nachfolger des großen Mohammeds, der vor zweihundert Jahren das Wort Allahs verbreitete, schreibe diese Zeilen, weil ich die Nachwelt warnen will. Warnen vor dem geheimnisvollen Ägypten. Dort lauert der Tod. Flüche der alten Ahnen liegen über uns.

Vor wenigen Tagen geschah es, als ich mit ein paar meiner Gefolgsleute die größte Pyramide von den drei Bauten in Gizeh untersuchte. Viel war uns über sie nicht bekannt. Waren es Zeugnisse aus einer Zeit vor der Sintflut oder stammten sie von den großen Erbauern Hennoch oder Saurid ab?

Das ägyptische Volk besaß keine Antwort auf unsere Fragen. Die spitzen Häuser standen eben dort schon seit Generationen. Es kursierten Geschichten über geheimnisvolle Untote – den Mumien. Andere berichteten von großen Schätzen aus Gold. Ich wollte herausfinden, was der Wahrheit entsprach und was nicht.

An jenem Tag – es war heiß und die Luft trocken – begannen wir mit den Arbeiten. Viele warnten uns vor dem Fluch der Ahnen der Ägypter. Ich ignorierte diesen Aberglauben, denn Allah war mit uns. In seiner Obhut konnte uns nichts geschehen.

Einen direkten Eingang fanden wir nicht. So schafften wir uns in mühevoller Arbeit einen eigenen Eintritt.

Wir gruben uns durch die Pyramide. Viele Tage dauerte es, bis wir endlich auf einen Hohlraum gestoßen waren. Der Geruch von alter, fauliger Luft, seit Jahrtausenden nicht mehr aus diesen Räumen gedrungen, trat uns entgegen. Mit Fackeln machten wir Licht. Der Tod lag in der schimmligen Luft. Jede Sekunde sprachen wir Gebete an Allah und Mohammed, die uns vor dem Teufel beschützen sollten.

Nach einigen Metern, die wir in die Tiefe gingen, teilte sich der schmale Gang. Wir entschlossen uns, zuerst weiter nach unten zu gehen. Dort unten, tief im Bauch der steinernen Pyramide, entdeckten wir eine kahle Kammer, in deren Zentrum ein ausgetrockneter Brunnen stand.

Ich beschloss, wieder höher zu gehen und meine Leute machten kehrt. So nahmen wir den anderen Weg.

Wir betraten einen großen und hohen Raum. Dort war nichts. Wir erreichten andere Kammern. Grabräuber mussten hier gewütet haben. Wir entdeckten jede Menge willkürlicher Schächte, die sicherlich erst nachträglich geschaffen wurden.

Dann gelangten meine Gefolgsleute und ich in eine große Kammer. Nur zwei Dinge standen dort: Ein Sarkophag und eine Statue aus grünem Stein, einer Art Malachit.

Der Sarkophag war verschlossen. Wir öffneten ihn. Vor uns lag ein goldener Sarg. Die Bilderschrift vermochte keiner von uns zu entziffern, doch das Gold sprach für sich. Die Totenmaske war einzigartig. Welch Künstler mussten die Erschaffer gewesen sein? Es war dieselbe Schrift, wie in den unzähligen Tempelanlagen aus der Vorzeit. Die Pyramiden schienen also auch aus dieser Zeit zu stammen.

Zwischen der Statue und dem Sarkophag stand ein steinernes Gefäß, das mit einem goldenen Deckel verschlossen war.

Als wir diesen entfernten, entdeckten wir eine Art geruchloses, eingetrocknetes Pech und ein goldenes Kästchen; in diesem fand ich beim Öffnen frisches Blut, das aber, als es von der Luft getroffen wurde, wie Blut zu gerinnen pflegte und eintrocknete.

Es schien ein böser Zauber gewesen zu sein. Woher stammte das Blut? Einige meiner Krieger forderten mich auf, umzukehren. Doch die Neugier war stärker als die Vernunft.

Nach Beseitigung des goldenen Sargdeckels erblickten wir einen schlafenden Mann, der auf seinem Hinterkopf lag.

Er war vollkommen wohlerhalten und trocken, seine Leibesbeschaffenheit war deutlich zu erkennen und sein Haar noch wohl sichtbar. An seiner Seite ruhte ein Weib, das den gleichen Anblick bot.

Einer meiner Männer suchte die Wände ab und berührte dabei die Hand der Statue – sie war ein Hebel!

Ich schrie, er solle ihn nicht ziehen, doch es war zu spät. Ruckartig verschob sich der Sarkophag nach vorne und öffnete einen geheimen Schacht.

Wir stiegen hinab, viele Meter tief, bis wir an einer Mauer standen. Sollte dies das Ende des Weges sein? Wir schlugen die Mauer ein und gelangten in eine weitere Kammer. Sie war ganz anders als die anderen. Sie war voller prächtiger Schätze. Die Halle war etwa fünfzehn Meter mal fünfzehn Meter groß. In der Mitte befand sich eine vier Meter durchmessende Insel, um sie herum ein Graben mit Wasser.

Ich sah mir die Kostbarkeiten an. Tausende von Gefäßen aus Ton und Gold. Statuen von fremden Göttern. Viele von ihnen jedoch kannten wir von den alten Tempeln aus der Vorzeit. Tempel und Götter, die in Vergessenheit geraten waren.

Statuen eines schakalköpfigen Wesens, eines Mannes mit Falkenkopf, einer Frau mit breiten Schwingen und vieler anderer Götzen standen vor uns. Allein ihre Existenz war ein Verbrechen gegen Allah. Sie mussten eingeschmolzen werden!

Ich musterte die kleine Insel. Vier Säulen standen auf ihrem Boden und schienen einen zweiten Sarg zu beschützen.

Wir sprangen über das Wasser und näherten uns dem zweiten Sarkophag. Ein König, der auf einer Insel ruhte. Er wurde bewacht von zwei sehr lebensecht wirkenden Schakalmenschen.

Ich wusste nicht, worauf ich zuerst bei den vielen Schätzen achten sollte. Doch ich wollte dem König ins Auge blicken, der dort begraben lag.

Wir brachen die Halterungen entzwei. Mit vier Männern schoben wir den Sargdeckel aus purem Gold weg. Mit lautem Getöse fiel er zu Boden. Vor uns lag ein mumifiziertes Etwas mit einer goldenen Totenmaske. Wir nahmen die Maske ab. Der König, der von uns lag, war vollständig einbandagiert. Noch nie hatten wir so etwas gesehen. Die Männer hinter mir beteten zu Allah, denn sie hatten große Angst.

Er ähnelte jedoch auf den zweiten Blick den Leichen in dem Granitsarkophag. Die Leinen an seinem Körper waren jedoch besser erhalten.

Ich sprach meinen Männern Mut zu, als sich plötzlich der Tote regte. Er riss eine Hand los und packte den Offizier neben mir am Hals. Wir schrien in Panik auf.

»Der Fluch der Pharaonen!«, brüllte einer meiner Leute und lief davon.

Plötzlich begannen sich die Schakalmenschen neben dem Sarkophag zu bewegen. Sie hatten Waffen. Seltsame Waffen. Sie spuckten Blitze und töteten vier meiner Männer. Der Offizier war verloren. Der tote König hatte ihn erwürgt. Wir rannten so schnell es ging hinaus, eilten in die obere Kammer und schoben den Granitsarkophag über den Eingang.

Wenige Stunden später kamen etwa hundert Männer. Wir schütteten den gesamten Gang zu dem Inselgrab mit Stein und Sand zu. Wir vernichteten den Mechanismus, der den Granitsarkophag zur Seite schob und meine Getreuen Männer töteten die Arbeiter, damit das Geheimnis niemals an die Außenwelt dringen würde.

Die Malachitstatue wurde vernichtet, ebenso wie die beiden Toten in dem Granitsarkophag und das Gefäß mit dem Blut.

Wir waren Zeuge der Macht eines fremden Gottes geworden. Eines Gottes oder Teufels, der die Toten auferstehen ließ und Schakalmenschen mit Blitzen auf uns hetzte. Ich fürchtete um die Macht Allahs, denn wir besaßen solche Machtmittel nicht.

Deshalb soll dieses Geheimnis nie gelüftet werden. Nach meinem Tode soll mein Nachfolger sicher gehen, dass das Geheimnis gehütet wird. Dann seine Kinder, deren Kinder und Kindeskinder.

Dort unten, tief im Inneren der großen Pyramide lauerte der Tod. Möge er niemals von dort entkommen …

Kalif Abd-Allah al-Mamun, 820 n. Chr.

 

Osiris

Osiris spannte seine Muskeln an. Sein stahlharter Körper zuckte. Während des relativen Tiefschlafs war dieser vollständig konserviert worden. Er fuhr sich mit der Hand über seinen Nacken. Es fühlte sich gut an, wieder seinen Körper zu spüren. Normalerweise hätte auch seinem Bewusstsein die Zeit verschwindend gering vorkommen müssen. Wie nach einem langen, tiefen und festen Schlaf.

Doch es war anders gekommen.

19.000 Jahre des relativen Tiefschlafs, den sein Bewusstsein jedoch sehr wohl durch die geistige Verbindung mit dem Zentralcomputer in der Station unter Ro-Setau miterlebt hatte. Er hatte die Geschichte der Kemeten, wie er die Erdlinge nannte, bis zu ihrem Untergang unter der letzten Pharaonin Kleopatra mitverfolgt.

Nach seinem Volk hatte er die Kemeten benannt, seine Sprache und Schrift gelehrt. Was war davon nun übrig? Hatten sie sich endlich weiterentwickelt? Waren sie zu einem Volk von Raumfahrern geworden und hatten ihre naiven Bürgerkriege beendet?

Ein Shak’Arit-Wächter kam auf Osiris zu und brachte ihm seine Rüstung und die normale Kleidung. Alles war nach 19.000 Jahren noch genauso erhalten, wie er es in Erinnerung hatte. Die Roboter hatten sich auf seine Rückkehr gut vorbereitet.

»Schlafen meine Gefährten noch?«, erkundigte sich der hochgewachsene Humanoide bei dem Schakal ähnlichen Kunstwesen, welches ihm mit einem knappen »Ja« antwortete.

Er legte sich eine schwarze Weste um den nackten, muskulösen Oberkörper. Dann zog er eine ebenfalls schwarze Hose und hohe Stiefel über. Den Gürtel mit allerlei technischen Raffinessen schnallte er sich um die Hüfte. Nun war der »Gott« perfekt eingekleidet.

Ein Signal machte ihn auf das Terminal des Zentralrechners aufmerksam. Osiris zog seine rechte Augenbraue hoch und wartete auf die Meldung der künstlichen Intelligenz von Ro-Setau.

»Oh, edler Osiris. Es sind 4916 Jahre seit eurem letzten Kontakt mit den Menschen vergangen«, berichtete die Recheneinheit. »Sie bezeichnen sich jetzt als Terraner. Ich habe drei Gefangene gemacht.«

»Gefangene?«, fragte Osiris ungläubig. »Sind sie uns feindlich gesonnen?«

»Nun, die Terraner gehen vielen Motivationen nach. Diese hier jedenfalls sind widerrechtlich in unsere Station eingedrungen und haben gegen unsere Roboter gekämpft. Sie haben ebenfalls auf Seshur für Unheil gesorgt.«

Osiris hob die Hand und gebot dem Rechner zu schweigen. Er klatschte zweimal in die Hände. Sofort wurden die drei Terraner zu ihm gebracht. Unsanft schleifte man sie auf der Erde entlang und warf sie zu Boden.

Osiris verengte die Augen und musterte alle drei sehr genau. Er wanderte mit gesenktem Kopf auf und ab. Der 1,92 Meter große Körper des »Gottes der Unterwelt« war mit jeder Muskelfaser durchtrainiert. Die bronzefarbene Haut schimmerte im fahlen Licht des Raumes, wie er feststellte.

»Wer seid ihr, Terraner?«, wollte er wissen. Er sprach dabei kemetisch. Alle drei beherrschten zu seiner Verwunderung die altägyptische Sprache.

Sie stellten sich vor: Kawai Muhalla, Johannes van Kehm und Denise Joorn waren ihre seltsamen Namen.

Kawai Muhalla stand auf und warf sich vor Osiris hin. Er flehte um sein Leben. »Edler Osiris, ich bin dein Diener. Seit Jahrtausenden bewahren wir dein Andenken und wollten auf den Tag deiner Rückkehr warten. Doch diese beiden da …« – Er deutete auf Denise Joorn und Johannes van Kehm. – »… sind Ketzer. Sie haben deine Station entweiht und sind in den Tempel deiner Schwester Nephtys eingedrungen. Sie haben sie getötet!«

Nephtys tot? Nein! Das war unmöglich! Seine kleine, geliebte Schwester tot? Trauer und Wut beherrschten seine Gedanken. Erinnerungen an Nephtys, an ihr Lächeln. Niemals würde er es wiedersehen. Osiris war geschockt. Sein Gesicht zuckte vor Aufregung. Finster blickte er Denise Joorn und Johannes van Kehm an.

»Das ist eine Lüge!«, wehrte sich Denise. Sie hatte in diesem Moment offenbar große Angst. »Alles erscheint wie in einem Traum. Ich stehe vor einer Legende der terranischen Geschichte und habe so viele Fragen an dich. Und nun werde ich des Mordes angeklagt?«

»Sprich, Weib. Lebt denn Nephtys noch?«, wollte Osiris wissen.

Denise Joorn öffnete den Mund. Es dauerte eine Weile, bis die erste Silbe ihren Mund verließ.

»Nein«, gestand sie mit gesenktem Kopf.

Osiris schrie die Verzweiflung hinaus. Er rannte zu van Kehm und riss ihn hoch. Mit seinem rechten Arm umklammerte er den Wissenschaftler und warf ihn unsanft zu Boden. Van Kehm stöhnte vor Schmerzen auf.

Osiris nahm einen Dolch, doch Denise Joorn warf sich dazwischen.

»Nein, tötet ihn nicht!«, bat sie.

»Du stehst selbst vor dem Tod. Warum, so frage ich dich, setzt du dich für diesen Menschen ein? Ist er eines reinen Gewissens?«

Die Terranerin wirkte überrascht. Sie schaute van Kehm an und blickte dann wieder zu Osiris. In ihren Augen erkannte er Unsicherheit.

»Nein … Er ist ein Verbrecher und hat mir nach dem Leben getrachtet. Das einzige, was für ihn zählt, ist sein Ruhm. Doch er ist ein Lebewesen. Wir haben nicht das Recht, ihn zu töten.«

Osiris dachte über die Worte der Terranerin nach und senkte den Dolch. »Weise Worte. Denkt jeder in deinem Volk so?«

Denise Joorn stand auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. »Nein, aber die Meisten. Wir Terraner ehren und schützen das Leben. Galaxisweit.«

Denise blickte auf van Kehm. Dann erzählte sie, was sich im Tempel von Nephtys zugetragen hatte. Im Grunde genommen war es ihre Schuld gewesen, erklärte sie und sie nahm damit die volle Verantwortung dafür auf sich.

Osiris drehte sich um. Niemand sollte sehen, dass er den Tod seiner Schwester beweinte.

Seine kleine Schwester Nephtys …

Die Trauer wich dem Zorn. Mit rot unterlaufenden Augen sah er Joorn und van Kehm an.

»Es mag ein Unfall gewesen sein, doch meine Wut ist grenzenlos. Ich nehme an, dass euch Osiris etwas sagt?«

»Ja, der Gott der Unterwelt im alten Ägypten. Einer Zeit, die mehr als 5000 Jahre vergangen ist. Sie müssen ein Raumfahrer sein, nehme ich an. Wir können sicherlich …«

Osiris hob die Hand und befahl Joorn zu schweigen.

Der andere Terraner warf seinen Rucksack zu Boden, griff nach einer dort versteckten Waffe und wollte auf Osiris zielen. Osiris reagierte sofort und warf seinen Dolch in den Hals des Menschen. Van Kehm ließ die Waffe fallen, fiel rückwärts zu Boden und war tot. Osiris hatte kein Mitleid mit diesem Mann.

Angewidert wandte sich Joorn ab.

»Schafft ihn weg!«, befahl Osiris. »Ich hätte ihn nicht getötet, doch er hat es herausgefordert«, erklärte er ohne Bedauern.

Osiris lief durch den Raum und setzte sich auf einen Thron. Nephtys war tot. Wie würde wohl Seth auf das Ableben seiner Frau reagieren?

Seth, Osiris Bruder, war scheinbar nichts heilig gewesen. So oft hatte er sich reumütig gezeigt und ebenso oft hatte er gelogen und neue Schandtaten begangen. Doch Osiris hatte wie immer Mitleid mit seinem fehlgeleiteten Bruder. Vielleicht war er nicht Herr seiner Sinne, denn schon als kleines Kind war er von der Superintelligenz APEP-SUATEK beeinflusst worden.

APEP-SUATEK. Vor Jahrhunderttausenden war sie die Erzgegnerin der Kemeten gewesen. Die Entität, die in der Sprache der Sieben Mächtigen SETH-APOPHIS hieß, bekämpfte das Volk der Kemeten seit Äonen. Nur mit dem Ziel vor Augen, endlich Herrin über UDJAT zu werden.

Seit ihrer Flucht aus Chepri wussten Osiris und seine Gefährten nicht, ob es Seth-Apophis gelungen war oder nicht.

Seine Gedanken schweiften zu sehr ab, wie er fand. Er ermahnte sich, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Vor ihm lag der Leichnam des Terraners Johannes van Kehm. Denise Joorn blickte die Gottheit fragend an.

Sie war ein wunderschönes Exemplar der terranischen Gattung, wie er bemerkte. Ihr Teint war blasser als jener der alten Kemeten. Sie musste aus einer Region mit einem kälteren Klima stammen. Die Terranerin strahlte Schönheit aber auch Stolz aus. Ihre Haltung verriet das.

Er wollte sie nicht töten. Doch er wollte sie auch nicht laufen lassen. Zuerst musste er mehr über die Terraner in der heutigen Zeit herausfinden.

»Kawai Muhalla!«, rief Osiris.

Der Ägypter lief geduckt zu dem lebenden Mythos. Er sank auf die Knie und sprach ein paar Huldigungen in altägyptisch.

»Höre mit diesen Floskeln auf! Berichte mir! Wie ist es dem Volk der Ägypter ergangen? Haben die Römer aus meinen Worten gelernt?«

»Die Ägypter sind in die Bedeutungslosigkeit verfallen, oh Herr. Das römische Reich existiert schon lange nicht mehr. Staaten haben keine Bedeutung mehr. Wir alle sind ein Volk. Wir sind Terraner.«

Mit Genugtuung registrierte Osiris, dass die Terraner geeint waren und die kleinlichen Bruderkriege beendet hatten.

»Habt ihr Gutes getan?«

Muhalla überlegte kurz. Er blickte hasserfüllt zu Denise Joorn. Die Archäologin erwiderte seinen Blick mit Unbehagen. Osiris war sich nicht sicher, ob Kawai Muhalla wirklich ein so loyaler Diener war, wie er vorgab. Osiris spürte, dass Denise Joorn ein aufrichtigeres Herz besaß.

»Nun, wir werden seit Jahrtausenden von einem Mann regiert – Perry Rhodan«, sagte Muhalla. »Er reißt immer wieder die Macht an sich, mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts angehen und opfert mit seinen Eroberungsfeldzügen in fremden Galaxien Millionen Leben.«

»Das ist nicht wahr!«, mischte sich Joorn laut ein.

»Schweig!«, gebot ihr Osiris. »Ich werde mir selbst ein Bild von den Terranern machen. Sollte einer von euch gelogen haben, wird er sterben.«

Bevor Muhalla noch etwas sagen konnte, befahl der Gott der Unterwelt den Anubis-Soldaten, die beiden wieder in den Kerker zu bringen.

Denise Joorn musterte Muhalla mit einem feinen Lächeln. Muhalla wirkte auf Osiris enttäuscht, gar verängstigt. Offenbar hatte er nicht die Wahrheit gesagt und fürchtete seinen Zorn. Nachdem die Shak'Arit Roboter die beiden Terraner aus seinen Augen brachten, gab sich Osiris seiner tiefen Trauer über Nephtys hin.

*

Denise Joorn kauerte in ihrer ebenso düsteren wie kargen Zelle. Fragen über Fragen geisterten durch ihren Kopf. Sie war dem leibhaftigen Osiris begegnet – Osiris, der sogar auch Kontakt zu den Römern gehabt hatte!

Sie verstand gar nichts mehr. Warum hatte Atlan in all den Jahrhunderten die Präsenz dieses Gottes nicht bemerkt? Welche Götter existierten neben Osiris noch wirklich?

Sie überlegte fieberhaft, wie sie entkommen konnte.

Ein Anubis-Soldat betrat ihren Raum und deaktivierte die Energiebarriere. Er brachte Nahrung – ein Krug Wasser und eine Schale mit Obst und Brot. Joorn nahm es als Anlass, eine Diät zu beginnen.

»Es ist kalt hier. Kannst du nicht die Heizung etwas aufdrehen?«, fragte Denise den Anubis-Krieger.

»Es gibt in diesem Raum keine Temperaturregelung.«

»Aha. Deshalb also die Kälte …«

Der Krieger wollte gehen, doch Joorn trat an ihn heran.

»Entschuldige, aber ich muss mal.«

Der Anubis-Cyborg deutete auf eine Ecke in dem Raum. Joorn verdrehte die Augen.

»Ich bin eine Dame. Habt ihr denn keine Manieren?«, meckerte sie. »Selbst im alten Ägypten gab es so was wie Schamgefühl, Intimsphäre und auch sicherlich Hygiene.«

Ihr Gegenüber überlegte kurz.

»Folge mir!«, sagte er knapp.

Joorn triumphierte innerlich. Jetzt stiegen ihre Chancen für eine erfolgreiche Flucht. Der Anubis-Roboter geleitete sie in einen anderen Raum.

»Hier waren einst die Örtlichkeiten der Isis«, erklärte er monoton.

Denise betrat den Raum und erschrak. Überall waren Spinnweben und zentimeterdicke Staubschichten. Alles war vergammelt.

»Wann war denn Isis das letzte Mal auf dem Pott?«, wollte sie wissen und rümpfte die Nase.

»Vor genau 6096 Jahren eurer Zeitrechnung.«

Joorns Augen weiteten sich. »Seitdem wurde die Toilette wohl auch nicht mehr gereinigt, oder?«

»Wir sahen keine Notwendigkeit darin, die Hygienebereiche zu reinigen, da sie niemand benutzte. Ein Reinigungsroboter wird sich der Sache annehmen«, gab der Anubis-Wächter zurück.

»Und wo soll ich jetzt?«

Hätte der Anubis-Wächter so etwas wie eine Geduld gehabt, hätte er sie wohl spätestens jetzt verloren.

»Entweder dort oder in der Zelle.«

»Na toll. Entweder auf ein Klo gehen, welches seit 7000 Jahren nicht mehr sauber gemacht wurde oder vor aller Augen in die Ecke einer Zelle …«

Denise Joorn ging pikiert in den Raum. Hinter ihr schloss sich die Tür. Zuerst überprüfte sie, ob eine Kanalisation vorhanden war. Doch zu ihrem Bedauern landeten die Ausscheidungen in einem Konverter.

An der Wand bemerkte sie einen defekten Stromkreis. Ein Kabel ragte aus der Wand. Joorn kam auf eine Idee. Sie ließ Wasser in das große Bad ein und versteckte sich hinter einer Säule.

Dann rief sie den Wächter. Das über zwei Meter große Wesen trat ein und suchte Joorn. Langsam stapfte es zu dem großen Bad. Nun trat Joorn aus ihrem Versteck hervor und rannte auf den Anubis-Soldaten zu. So gut es ging, schubste sie ihn in das Becken. Dann lief sie zur Wand, nahm das defekte Kabel und hielt es ins Wasser.

Der Anubis-Wächter zuckte und brach nach einigen Stromschlägen zusammen.

Denise jubelte nicht lange, sondern rannte sofort weg. Sie suchte den Weg, den sie gekommen war. Viel stand ihr außer ihrem Gedächtnis dabei nicht zur Verfügung. Sämtliche Geräte und auch die Karte hatte man ihr abgenommen.

Sie hoffte den Ausgang zu finden, bevor die anderen Anubis-Wächter aufmerksam wurden.

Doch da schrillte schon der Alarm auf …

 

Osiris in Ägypten

Der Gott der Unterwelt, wie seine frühere Bezeichnung gewesen war, wanderte durch die Straßen Kairos. Ein seltsamer Anblick bot sich dem Kemeten – auf der einen Seite primitive Baracken, die kaum fortschrittlicher als die Häuser der pharaonischen Ägypter waren, auf der anderen Seite riesige Bauten, vollgepackt mit moderner Technik.

Anscheinend spiegelte Kairo alle Epochen Ägyptens wieder. Unzählige fremde Wesen wanderten durch die Straßen der Millionenmetropole. Einige von ihnen trugen seltsame bunte Hemden und Kameras mit sich. Die Wesen selbst waren blau und besaßen Tellerköpfe mit vier Augen.

Ein Reptilienwesen lief an ihm vorbei. Es trug eine Mütze mit der Totenmaske des Tut-Anch-Amun.

Osiris sprach die Kreatur an.

»Bist du ein Hohepriester des Amun?«

»Was willst du, du Penner?«, schnaubte das Wesen. »Du bekommst keine Almosen. Ihr dekadenten Terraner habt schon genug Galax! Glaubt wohl, ihr könnt euch an topsidischen Touristen bereichern? Aber nicht mit mir!«

Osiris packte ihn wütend am Hals. Die Echse war sehr erschrocken und versuchte sich vergeblich aus dem starken Griff des Osiris zu befreien.

»Ich fragte, ob du ein Hohepriester des Amun bist! Antworte gefälligst!«

»Wer in Topsids Namen ist Amun?«

Osiris blickte ihn verächtlich an. Dann ließ er den Topsider los. Erschöpft sank dieser zu Boden.

»Du trägst die Totenmaske einer seiner Inkarnationen«, erklärte Osiris. »Die des Tut-Anch-Amun.«

Irritiert blickte das Reptil nach oben, nahm das Cappy ab und drückte es Osiris in die Hand. »Du kannst es behalten, Mann. Das habe ich von da drüben aus dem Souvenirladen. Ihr Terraner seid doch alle bekloppt. Ich verklage den Reiseführer!«

Der Topsider lief fluchend weg und verschwand sehr schnell in der Menge. Osiris blickte verwundert auf die Mütze. Achselzuckend versuchte er noch, den Besitzer der Mütze ausfindig zu machen. Vergeblich. Dann setzte er sie sich selbst auf. Sie passte ganz und gar nicht zu seiner Kombination.

Osiris blickte in die Richtung, in die der Topsider gezeigt hatte. Dort machte er ein Geschäft aus. Die Sprache und Schrift der Terraner hatte er inzwischen durch den Zentralcomputer gelernt. Daher konnte er die Überschrift an der Ladentür als »Goppels Pharaonenecke« entziffern.

Eine schrille Klingel ertönte beim Betreten des kleinen Raumes, der ein heilloses Durcheinander bot.

Überall lagen Souvenirs, Bücher, Kleidungsstücke und dergleichen mit altägyptischen Motiven herum. Osiris kannte sie alle.

Der Besitzer kam auf ihn zu. Es war ein kleinwüchsiger Einheimischer ohne Haare.

»Was wollen Sie kaufen, Sir? Hier! Ich habe zu einem Sonderpreis von nur drei Galax eine Isis-Kaffeetasse.«

Der Ägypter drückte Osiris eine Kaffeetasse in die Hand, an der eine kleine Skulptur der sitzenden Isis mit ausgebreiteten Schwingen haftete.

Osiris betrachtete missmutig die Tasse. »Nicht sehr gut getroffen«, stellte er nüchtern fest.

Sein Gegenüber wusste mit dieser Bemerkung offenbar nichts anzufangen »Wie wäre es mit diesem Ankh-Symbol? Es ist aus echtem Katzengold. Nur fünf Galax!«

»Ich habe Tausende aus purem Gold«, erwiderte Osiris gelangweilt.

Der Verkäufer betrachtete den Gott der Unterwelt, als wäre dieser nicht richtig im Kopf.

»Ja, sicherlich. Sie sind Ramses, der Große!«, rief er schließlich zynisch.

»Nein, aber ich kannte ihn«, gab Osiris grinsend zurück. Er hatte längst erfasst, dass der Verkäufer ihm kein Wort glaubte. Schlagartig wurde er jedoch wieder ernst. »Wo finde ich mehr Informationen über Ihre Kultur?«

»Sie wollen nichts kaufen?«

»Nein!«

»Dann sage ich Ihnen auch nicht, wo Sie das Kairo-Museum finden.«

Osiris lächelte zufrieden. »Diese Information reicht mir. Danke, Ägypter!«

Der »Gott« verließ den kleinen Laden und überhörte das laute Schimpfen des enttäuschten Händlers.

Osiris begab sich an eine Informationssäule und fand die Adresse des Museums heraus. Dort wollte er sein Wissen über die Terraner auffrischen.

*

Das Museum war prachtvoll. Osiris Herz schlug höher, als er die etwa 30 Meter hohe Pyramide erblickte. Gewaltige Amun-Säulen schmückten den Eingang, an dem ein reger Verkehr herrschte.

Er fühlte sich an alte Zeiten vor Tausenden von Jahren erinnert. Der Zentralcomputer der Ro-Setau-Station hatte ihm damals die Bilder des Baus der drei großen Pyramiden übermittelt. Diese Pyramide wirkte erbärmlich klein im Vergleich zu Chufus, doch sie weckte einen Hauch Nostalgie bei dem unsterblichen Kemeten.

Für einen kurzen Moment spürte er einen Impuls in seiner Brust. Sein Zellaktivator meldete sich bei ihm und setzte Lebensenergie frei. Nach 19.000 Jahren der körperlichen Gefangenschaft lebte er wieder. Dennoch waren diese paar Jahrtausende nur ein kleines Intermezzo in seinem langen Leben gewesen.

Bedächtig betrat er das Museum.

Ein grimmiger Terraner in einem schwarzen Anzug trat an ihn heran. »Karte?«

»Welche Karte?«, wollte Osiris wissen.

»Die Eintrittskarte, du Komiker«, brummte der Mann.

Osiris warf einen flüchtigen Blick auf den Empfang. Dort stand ein großes Schild mit der Aufschrift: »10 Galax eine Tageskarte«.

Osiris hatte kein Geld bei sich. Schweigend verließ er das Gebäude und suchte den Händler auf. Er tauschte eine goldene Kette mit ägyptischen Insignien für 500 Galax um. Der Händler wusste nicht, welch gutes Geschäft er gemacht hatte. Osiris war es egal. Geld bedeutete ihm nichts.

Endlich konnte er seine Eintrittskarte lösen. Gespannt ging er durch die Hallen. Er ersparte sich eine Führung. Osiris wollte sich alleine über die Terraner informieren. Doch viele Informationen gab es nicht, die er nicht schon kannte. Statuen, Papyri, Bildnisse und Hieroglyphenwände präsentierten sich ihm. Zeugnisse aus einer Zeit, die er einst gegründet hatte.

Osiris erkannte viele Gegenstände. Sie befanden sich alle in seinen Erinnerungen. Von Menes-Narmer bis Kleopatra waren Artefakte in diesem gigantischen Museum. Selbst die SÄULEN DER EWIGKEIT befanden sich dort.

Atlan, dachte Osiris. Er überlegte, was aus dem Arkoniden wohl geworden war, der ihnen ungewollt so oft geholfen hatte, indem er die junge kemetische Zivilisation kultiviert hatte.

Plötzlich stockte Osiris. Fassungslos starrte er auf die Glasvitrinen, die vor ihm standen. Auf einmal begann er zu zittern. Langsam trat er näher an sie heran und glaubte nicht, was er sah.

Dort lagen Mumien! Ramses, Sethos, Tut-Anch-Amun und viele andere waren in Glasvitrinen zur Schau gestellt!

Osiris wurde schlecht von dem Anblick. Er kannte diese Leute teilweise persönlich. Er hatte ihr Leben und ihr Sterben beobachtet. Diese Respektlosigkeit war ihm zuwider. Wie konnte man ihre letzte Ruhe stören, ihre Gräber schänden und sie dann ausstellen, um noch Geld zu kassieren?

Ein Mitarbeiter des Museums bemerkte offenbar Osiris Anspannung, denn er ging auf den hochgewachsenen Kemeten zu.

»Sir, ist Ihnen nicht gut?«, erkundigte er sich höflich. Osiris gab nichts auf die Höflichkeit dieses Leichenfledderers!

»Hat ein Pharao wie Ramses nicht mehr Ehren verdient, als dass sein Leichnam in einem Glasschrank zur Schau gestellt wird?« Bitterkeit lag in Osiris Worten.

»Ich verstehe nicht, Sir?«

Ein paar kleine Kinder rannten zu der Vitrine. Mit ihren Patschhändchen klebten sie förmlich an dem Glas.

»Guck mal Mami, das ist eine verknöcherte Mumie!«, meinte eines der Kinder. »Ist das aufregend!«

In Osiris brodelte es. »Ramses hat den ersten schriftlichen Friedensvertrag eurer noch primitiven Kultur aufgesetzt!«, brüllte er mit sich überschlagener Stimme. »Er hat dieses Land mit herrlichen Bauwerken geschmückt! Ihm wurde ein prachtvolles Grab errichtet! Zu welchem Zweck? Damit ihr Barbaren es schändet und seine Mumie sabbernden Kindern als Attraktion bietet?«

Der Mitarbeiter wirkte teilnahmslos. Er musste sich wohl etwas überlegen, um den wütenden Touristen, der Osiris sicherlich in seinen Augen war, zu beruhigen.

»Sir, das geschieht doch alles im Namen der Wissenschaft. Herr Ramses wird sich nicht beschweren.«

»So?«

Osiris hätte diesen arroganten Terraner am liebsten umgebracht, doch er beherrschte sich.

Stattdessen nahm er eine Schatulle aus seinem Gürtel und berührte einen darauf angebrachten Sensorpunkt. Die Schatulle verschwand aus seinen Händen und rematerialisierte in der Glasvitrine der Mumie des Ramses. Dort löste sie sich auf.

»Höre mich, Ramses. Mein Herz ist dein Herz. Es soll schlagen und deinen alten Körper mit Leben erfüllen. Bei Amun, kehre aus Ptah zurück und finde dich in deinen alten Wirt ein.«

Der Mitarbeiter starrte ihn ungläubig an. Er rief den Sicherheitsdienst. Zwei große Männer mit breiten Schultern eilten herbei.

»Erstehe auf, Ramses!«, sprach der Gott der Unterwelt mit donnernder Stimme. »Zeig diesen unwürdigen Kreaturen deine Macht! Ich, Osiris, rufe dich! Erstehe auf! Erhebe dich!«

Einige Besucher kommentierten seine Sprüche mit Schmunzeln, das erstarb, als plötzlich die Mumie von Ramses hochschnellte. Muskeln bildeten sich plötzlich aus dem dehydrierten Gewebe. Die Faust zerschlug die Vitrine. Der Alarm ertönte.

Die beiden Kinder fielen schreiend auf den Boden und fingen an zu weinen. Der Mitarbeiter rannte schreiend aus dem Raum. Die Mumie des Ramses II. kletterte aus dem Glassarkophag und ging ein paar Schritte. Für einen kurzen Moment herrschte Ruhe. Die toten Augen der Mumie blickten in die verängstigten Gesichter der Menschen und Extraterrestrier.

Osiris lächelte zufrieden.

»Gebt mir endlich meine Ruhe, ihr Narren!«, sprach Ramses in altägyptisch. Kein Mensch in dem Raum verstand es. Nur Osiris. Ramses erkannte den Gott der Unterwelt und verneigte sich.

Die beiden Sicherheitsbeamten zogen ihre Waffen.

»Stehen bleiben. Alle beide …«, stotterte der eine.

»Man wird dir deine Ruhe gewähren, Sohn des Sethos«, versicherte Osiris. »Ich werde die Herrschaft der Erde antreten und dir ein prachtvolles Grab für deinen Leichnam errichten. Kehre nun zu Amun zurück.«

Der zweite Sicherheitsmann verlor die Nerven. Er schoss auf die Mumie. Die Schüsse durchsiebten den wiedererweckten Körper. Doch Ramses schien keine Schmerzen zu fühlen. Er drehte sich um und kletterte in die Vitrine zurück. Dort blieb er regungslos liegen.

Nun wandte sich der Sicherheitsbeamte an Osiris. Ohne Vorwarnung schoss er, doch die Energiesalven wurden durch den Individualschutzschirm des Kemeten mühelos reflektiert. Anschließend aktivierte er den Fiktivtransmitter am Gürtel und verschwand aus dem Museum.

*

Osiris materialisierte zirka zweihundert Meter außerhalb des Museums. Polizei- und Feuerwehrgleiter brausten an ihm vorbei und bahnten sich ihren Weg zum pyramidenförmigen Gebäude.

Kreischende Menschen rannten in Panik aus dem Eingang. Osiris lächelte zufrieden. Doch dieses kleine Intermezzo konnte seine Verachtung gegenüber den Schandtaten der Terraner nicht lindern.

Sie hatten Gräber entweiht und aus der ägyptischen Kultur eine Zirkusattraktion gemacht. Diese Kultur der Pharaonen hatte er zusammen mit seinen Söhnen Horus und Anubis, seinem Weib Isis und seinen Gefährten Hathor und Thot geformt. Vieles spiegelte die Kultur seines eigenen Volkes, den Kemeten, wieder.

Wo war der Respekt für die einstigen Regenten dieses Reiches? Hatten sie es nicht verdient, in Ruhe und Frieden in ihrer Grabstätte gelassen zu werden? Doch die Terraner gönnten ihnen diese letzte Ruhe nicht. Schon als sie am Hapi wohnten und unter Einfluss von Osiris standen, hatte es Grabräuber gegeben. Doch die modernen Grabräuber schienen öffentlich zu agieren. Sie stellten ihre »Eroberungen« für Geld aus.

Sie hatten nicht einmal Respekt vor ihren eigenen Urahnen. Die Gier nach Geld war stärker. Anscheinend hatte sich nicht viel geändert, fand Osiris. Wütend stampfte er durch die Straßen, schob sich unsanft an den Massen vorbei und überlegte verzweifelt, wie er seine Rache stillen konnte.

Plötzlich blieb er stehen und starrte auf diese Frau. Sie verharrte ebenso ruckartig in ihren Bewegungen.

»Joorn!«, fletschte Osiris.

Die junge Frau machte kehrt und rannte sofort weg. Osiris beschleunigte ebenfalls, stieß die Leute zur Seite und zog eine Energiewaffe. Voller Wut benutzte er sie auch.

Denise Joorn sollte sterben!

*

Die Archäologin warf sich geistesgegenwärtig zu Boden. Der Strahl ging nur knapp an ihr vorbei und schlug in einer Wand ein, die in tausend Einzelteile zerbarst. Sie schluckte. Hätte dieser Strahl getroffen, wäre nicht mehr viel von ihr übrig gewesen.

Panik brach auf der Straße aus. Die Menschen rannten in alle Richtungen. Space-Copter beobachteten vom Himmel aus den Tumult. Schnell erreichten Polizeigleiter und Ordnungsroboter die Passage.

Sie lokalisierten Osiris sofort als Ursache der Panik, denn der Kemete zerstörte gleich drei Roboter auf einmal.

Osiris war abgelenkt. Das nutzte Joorn aus und rannte so schnell sie konnte. Ihr Ziel war das Büro des Terranischen Liga-Dienstes in Kairo. Dort hoffte sie auf Stewart Landry zu treffen, sollte er überlebt haben.

Plötzlich verstummten die Schüsse. War Osiris tot?

»Nein!«, rief sie ungewollt laut.

Sofort rannte sie zurück. Diese lebende Legende durfte nicht so einfach getötet werden. Die Archäologin quetschte sich durch die Menschentraube. Dutzende aufgeregter Terraner, Topsider, Arkoniden und Blues standen vor einem Trümmerhaufen von Robotern und ratlos wirkenden Polizisten.

Osiris war nicht unter ihnen. Er lebte noch. Doch gleichzeitig stellte er auch eine Gefahr für den gesamten Planeten dar.

Joorn musste sofort zu Stewart Landry.

*

Osiris erreichte wieder die Ro-Setau-Station. Den Weg von Kairo zur Station hatte er in Nullzeit zurückgelegt. Die komplizierte und umfangreiche Technik seines Gürtels ermöglichte ihm das.

Energisch eilte er zum Zentralcomputer. »Ist irgendetwas vorgefallen? Ist vielleicht Denise Joorn entkommen?«

»Ja, mein Herr …«

Osiris zog seine rechte Augenbraue hoch. Er blickte sich in dem großen, leeren Saal um. »Wie viele Shak’Arit-Soldaten sind hier stationiert?«

»Es sind noch 27 Wächter in der Station, Herr!«

Osiris wanderte durch die Räume. Vieles lag im Dunkeln oder wurde von hohen Staubschichten verdeckt. Die Reinigungskolonnen hatten sich doch nicht genügend auf die Rückkehr Osiris vorbereitet, wie er nun feststellte.

Der Gott der Unterwelt und Fruchtbarkeit schritt an einer Galerie altägyptischer Gottkönige vorbei. Sein Freund und Mitstreiter Thot hatte die kunstvollen Gemälde der Könige des Alten Reiches angefertigt.

Er war ein begnadeter Zeichner. Osiris erinnerte sich, wie Thot versuchte, die irdischen Kemeten in seine Zeichenkünste einzuweihen. Ein besonders guter Künstler unter den irdischen Kemeten war Hor-Sen Papen-br-Hotep gewesen. Das war nun über 6000 Jahre her …

Osiris musterte die einzelnen Bilder. Vor Menes-Narmer blieb er zuerst stehen. Menes war der Reichseiniger gewesen. Osiris erinnerte sich gut an den jungen Kemeten. Auch konnte er sich an Ré-Anhetes-Atlan gut erinnern. Dieser Atlan war ihnen im Laufe der Jahrhunderte des Öfteren begegnet. Osiris fühlte sich in diesem Moment mit ihm verbunden.

Atlan war ebenso wie sie auf der Erde gefangen gewesen. Umringt von primitiven Wesen und ohne die Möglichkeit zur Heimat zurückzukehren. Atlan und Osiris waren sich niemals begegnet. Auch den anderen war Atlan nicht begegnet, denn es hatte Anweisungen gegeben, keinen Kontakt mit ihm aufzunehmen. Dennoch waren sie brüderlich im Geiste.

Osiris ging weiter und blieb vor Djoser stehen. Djoser war ein starker Herrscher gewesen. Sein genialer Baumeister Imhotep hatte die Stufenpyramide von Saqqara gebaut.

Osiris warf einen kurzen Blick auf Chufu, dem König der großen Pyramide über dieser Station. Sein Grab blieb bis heute unentdeckt. Nur ein einziges Mal waren Wesen darauf gestoßen. Im 8. Jahrhundert nach der Geburt des Jesus Christus entdeckte der arabische Kalif Abd Allah al-Mamun einen Zugang in der Chufu-Pyramide. Doch wie der Zentralcomputer berichtete, wurde Abd-Allah vertrieben.

Chufus Körper ruhte noch in Frieden, während der von Ramses und all den anderen zur Schau gestellt wurde.

Osiris musste sich zusammenreißen. Er durfte sich nicht in Sentimentalität und Hass ergeben, sondern einen brauchbaren Plan entwickeln. Denise Joorn war entkommen und mit Sicherheit informierte sie bereits einflussreiche Behörden. Vielleicht sogar diesen Perry Rhodan. Osiris war in der Ro-Setau-Station nicht mehr sicher.

»Zentralcomputer, aktiviere die Stationen in Menefru-Mirê, Luxor und Theben! Zehn Shak’Arit-Cyborgs sollen mich begleiten. Du wartest hier. Sollte eine feindliche Übernahme stattfinden, vernichte dich selbst.«

Osiris fiel dieser Befehl sehr schwer, denn er war 19.000 Jahre lang geistig mit diesem Computer verbunden gewesen. Doch kein Stück ihrer Technik durfte den Terranern in die Hände fallen.

»Was wird aus dem zweiten Gefangenen?«, erkundigte sich der Zentralrechner bei seinem Herrn.

Der Kemete schaute auf den Boden und dachte eine Weile über das Schicksal von Kawai Muhalla nach.

»Er soll freigelassen werden und versuchen, Denise Joorn unschädlich zu machen.«

Osiris brach mit den Shak’Arits nach Menefru-Mirê auf. In der heutigen Zeit war diese Region als Memphis bekannt. Unterhalb der wenigen Ruinen der Hauptstadt des Alten Pharaonenreiches wollte er vorerst seine Zelte aufschlagen. Von dort aus wollte er die Erweckung seiner Gefährten einleiten.

 

Auf den Spuren der Pharaonen

Denise Joorn hatte das TLD-Büro in Kairo erreicht und Stewart Landry, der sehr erleichtert wirkte, dass Denise noch lebte, über Osiris informiert. Landrys Wunde war verheilt. Er war aus Gizeh vor Muhallas Leuten entkommen und hatte sich zu den Sicherheitsbeamten des Terranischen Liga Dienstes durchgeschlagen, die in umgehend versorgt hatten. Denise hingegen war tiefer in den Ro-Setau Komplex eingedrungen, bis sie Osiris gefunden hatte.

Landry zögerte keine Sekunde und stellte eine Geheimverbindung zur Solaren Residenz her. Auf diesem Kanal erreichte er Perry Rhodan persönlich. Nur wenige Agenten hatten die Möglichkeit, den Terranischen Residenten selbst zu kontaktieren. Landry gehörte zu diesem auserlesenen Kreis, wusste Denise.

Das Hologramm von Perry Rhodan erschien dreißig Zentimeter hoch auf dem Tisch. Fragend blickte er Landry und Joorn an.

»Sir, wir haben ein Problem in Ägypten …«, meldete Landry.

Denise schob ihn sanft beiseite und erklärte Rhodan selbst, was vorgefallen war. In kurzen und knappen Worten schilderte sie ihre Erlebnisse mit Osiris.

»Ich komme sofort. Ordnen Sie eine Razzia in Kawai Muhallas Büro an!«, sprach Rhodan ernst. »Wenn er und seine Vorgänger seit Jahrhunderten etwas vertuschen, finden wir dort vielleicht brauchbare Informationen.«

Danach erlosch die Verbindung. Denise blickte Stewart an und wartete auf seine Entscheidung, die er innerlich wahrscheinlich längst gefällt hatte.

Sofort brachen sie mit einer Gruppe zum Gebäude der Terranischen Altertumsforschung auf.

*

Kawai Muhalla war gerade wieder in seinem Büro angekommen. Er ließ sich auf den Sessel fallen und schaute zum ersten Mal seit langer Zeit auf sein Chronometer. Man schrieb den 6. November 1298 NGZ. Die letzten Tage waren aufregend für den Terraner gewesen.

Immerhin war er mit dem Leben davongekommen. Doch er musste schnell reagieren. Viele seiner Leute waren tot. Seine und van Kehms Leute hatten sich gegenseitig umgebracht.

All das war eingetreten, wovor sich schon einst Kalif Abd Allah al-Mamun gefürchtet hatte. Der böse Geist war auferstanden. Denise Joorn wusste gar nicht, welch große Gefahr sie geweckt hatte.

Die Furcht vor Osiris war groß. Muhalla wusste nicht genau, was er tun sollte. Ihm waren die Hände gebunden. Er überlegte, ob er sich absetzen sollte. Irgendwo in die Westside. Genügend Geld hatte er.

Da öffnete sich plötzlich die Tür und drei uniformierte Terraner stürmten mit gezogener Waffe hinein. Bevor Muhalla reagieren konnte, hatten sie ihn schon gepackt und auf den Boden gedrückt. Dann traten Denise Joorn und Stewart Landry herein.

»Lassen Sie mich los!«, brüllte Muhalla. »Sie haben kein Recht mich festzuhalten!«

Stewart nahm diese Beschwerde lässig entgegen. »Mister Muhalla, wir haben so viele Beweise für ihre kriminellen Machenschaften, dass wir Sie die nächsten eintausend Jahre festhalten könnten. Es wäre besser, wenn Sie mit uns kooperieren.«

Landry gab den Leuten einen Wink. Sie ließen Muhalla los. Der Leiter der terranischen Altertumsforschung fasste sich an seine schmerzenden Handgelenke.

»Was wollen Sie wissen?«

»Was Sie über Osiris in Erfahrung gebracht haben«, erwiderte Joorn. »Anscheinend wussten Sie sehr gut, was passieren würde.«

Muhalla nickte schwach. Er ging zu seinem Tresor und drückte ein paar Tasten an der Konsole. Eine geheime Tür öffnete sich. In dieser Kammer hatten Denise Joorn und Stewart Landry die uralten Papyrusrollen entdeckt, die Kawai Muhalla jetzt herausholte.

Er legte sie auf den Tisch. Es waren insgesamt fünf Rollen und eine lose Ansammlung von Blättern.

»Unsere Informationen beruhen auf diesen Schriftrollen«, erklärte der Ägypter mit belegter Stimme. »Die älteste ist aus der Zeit des Imhotep, etwa 2650 vor Christus. Die jüngste Rolle stammt von dem Kalifen Abd Allah al-Mamun und wurde etwa 820 nach Christus verfasst.«

Denise Joorn blickte auf die fünf Rollen aus Papier, als würde dort Gold und Silber liegen. Für die Menschheit waren diese Schilderungen weitaus mehr wert als alles Geld. Für Muhalla war es zur Lebensaufgabe geworden, diese Schätze zu behüten. Doch nun war alles vorbei. Er hatte versagt. Er hatte Allah enttäuscht und all seine Vorfahren, die das Geheimnis erfolgreich vor der Außenwelt verborgen hatten.

»Was steht dort drin?«, wollte Joorn wissen.

»Lesen Sie es selbst!«, gab Muhalla patzig zurück. »Nur so viel, Miss Joorn: Unser Orden wurde im Jahre 822 nach Christus gegründet. Wie Sie als Archäologin sicher wissen, hatte zu dieser Zeit der Kalif Abd Allah al-Mamun einen Zugang zur Chufu-Pyramide entdeckt. Die offiziellen Berichte sprachen von einer Kammer ohne Schätze, einem Steinsarkophag und etwas Ominösem, welches nicht genauer beschrieben wurde.«

Muhalla nahm die lose Blattsammlung und berichtete, was der arabische Kalif wirklich dort gefunden hatte.

»In Wirklichkeit hatte Abd Allah al-Mamun eine geheime Kammer unter dem Granitsarkophag gefunden, die sie über 100 Meter in die Tiefe geführt hatte. Dort fanden sie kostbare Schätze und das wirkliche Grab des Chnom Chufu, welches der Legende nach ja auf einer unterirdischen Insel liegen sollte. Doch Chufu erwachte zum Leben und tötete einige. Anubis-Krieger tauchten auf und der Kalif entkam nur knapp.

Aus Angst ließ er den gesamten Stollen zuschütten und tötete alle, die davon wussten. Nur er selbst schrieb darüber und gab dieses Geheimnis von Generation zu Generation weiter.

Die Angst, dass dort unten eine Gefahr lauerte, welche die gesamte Menschheit vernichten könnte und vor der sie selbst Allah nicht schützen konnte, zwang ihn zu diesem Schritt.«

Muhalla legte eine Pause ein. Joorn las die Erzählungen des Kalifen, die die Worte Muhallas bestätigten.

»Wir gründeten die Organisation, die Wächter der Pharaonen. Seit 822 nach Christus hüteten wir das Geheimnis unter den drei großen Pyramiden von Gizeh. Zu Zeiten der großen Ägyptologie war es schwer gewesen, doch es gelang uns immer wieder das Geheimnis zu bewahren.

Unsere Mittel wechselten vom Schwert zur Politik und Bestechung. Bis die Erde in den Mahlstrom verschwand, blieb es auch dabei. Danach geriet unser Orden in Vergessenheit und es grenzte an ein Wunder, dass bei den Ausgrabungen des Auges des Laire die Station von Osiris nicht entdeckt wurde.

Doch dann stießen gläubige Muslime wieder auf die Aufzeichnungen und beschlossen, den Willen des Kalifen fortzuführen. Bis zur heutigen Zeit. Doch ich habe versagt. Ich habe meinen Gott enttäuscht und die große Gefahr läuft nun wie ein Löwe umher.

Begreifen Sie jetzt, Miss Joorn, was Sie falsch gemacht haben?«

»Immer noch kein Grund, Menschen zu töten. Sie hätten Rhodan informieren sollen«, warf ihm Landry vor.

Er gab seinen Leuten ein Zeichen und sie führten den Ägyptologen ab, der keinen Widerstand mehr leistete. Er wusste, dass er verloren hatte.

*

»Mein Leben ist zu Ende. Doch ich bin bereit vor Allah zu treten. Sind Sie es auch?«, rief Kawai Muhalla hinterher.

Joorn blickte ihm beunruhigt hinterher.

Anschließend nahm sie die Papyri an sich. Landry bekam einen Anruf, der ihn über den Vorfall im Museum unterrichtete. Ein anderer Offizier meldete die Ankunft Perry Rhodans.

Der Terranische Resident trug wieder den blauen Raumanzug, der ein Geschenk der Galornen war.

Er begrüßte Landry und Joorn knapp, dann forderte er: »Ich möchte bitte genauestens über die Ereignisse informiert werden. In den Medien laufen unentwegt Berichte über die lebendig gewordene Mumie von Pharao Ramses II. Was ist passiert?«

Denise berichtete erneut, was vorgefallen war. Zu den Ereignissen in dem Museum konnte sie nichts sagen. Doch die Person in den visuellen Aufzeichnungen identifizierte sie eindeutig als Osiris.

Rhodan setzte sich auf Muhallas weichen Sessel und lauschte gespannt dem Bericht der attraktiven Archäologin. Einige Male blickte Rhodan sie ungläubig an. Zu phantastisch schienen ihm einige Passagen zu sein.

»Zu dumm, dass Atlan nicht hier ist. Er könnte uns bestimmt weiterhelfen …«, murmelte Perry.

»Landry, hat das Wissenschaftlerteam die Mumie von Ramses II. untersucht?«, wollte der Unsterbliche jetzt wissen.

»Ja, Sir. Hier sind die Unterlagen.«

Rhodan übergab Denise die Unterlagen. Sie setzte sich auf den gegenüber stehenden Stuhl und las sich den dreiseitigen Bericht eines Biologen in Kairos durch.

»Erstaunlich«, flüsterte sie mehr zu sich selbst.

»Dürfen wir an Ihren Erkenntnissen teilhaben, Denise?«

Rhodan lächelte freundlich. Er bat Landry das Fenster zu öffnen, da es ziemlich heiß hier war. Aus Rücksicht auf die Tierwelt gab es in Afrika keine extremen Wetterbeeinflussungen durch NATHAN. Hitze war normal auf diesem Kontinent. Allerdings ließ NATHAN öfters Regenwolken bilden und regulierte extremes Wetter.

»Ja, Sir …«, murmelte Denise und las weiter.

Einige Minuten herrschte Stille. Rhodan gab ihr die Zeit, den ganzen wissenschaftlichen Kram zu verstehen.

»Zuerst müssen Sie wissen, wie die Mumien konserviert wurden«, erklärte Joorn und fing an zu berichten: »Man entnahm der Leiche das Gehirn und die Eingeweide, und anschließend füllte man die Körperhöhlen mit einer Mischung aus Heilkräutern und anderen Substanzen. Die Ägypter legten die Leiche in Natriumcarbonat, spritzten konservierende Flüssigkeiten in die Blutgefäße, füllten die Hohlräume mit teerartigen und aromatischen Stoffen sowie mit Salz und wickelten den Körper in Stoffbahnen, die mit ähnlichen Lösungen getränkt waren.

Der Leichnam wurde nun auf ein schräges Einbalsamierungsbrett gelegt, das am Fußende eine Rinne hat.

Die inneren Organe wurden sortiert und in vier götterähnliche Behälter getan. Der bei der Einbalsamierung entstandene Schnitt wurde mit einer goldenen Eisenplatte bedeckt, die das schützende Horusauge zeigte.

Nach vierzig bis siebzig Tagen wurden die Natronpäckchen wieder entnommen. Der Körper war nun ausgetrocknet. Er enthielt keinen Tropfen Wasser mehr. Der Leichnam wurde jetzt geschmückt. Danach wurde eine Zeremonie duchgeführt, um die Mumie entweder zu verfluchen oder zu vergöttern.«

Landry kämpfte, während Joorn erzählte, mit zwei lästigen Fliegen. Rhodan schwieg und wartete, bis Denise eine Brücke zu den heutigen Ereignissen geschlagen hatte.

»Die Biologen haben heute in der Mumie von Ramses einige Fremdkörper gefunden. Es handelt sich dabei um kleine, künstliche Mikroorganismen. Sie wurden anscheinend mit Hilfe eines Fiktivtransmitters in die Vitrine abgestrahlt.«

Gleichzeitig startete Joorn eine Holoaufzeichnungen von den Sicherheitskameras des Museums. Es war deutlich zu sehen, wie Osiris einen Behälter von seinem Gürtel nahm, auf einen Knopf auf der Oberseite des Behälters drückte und dieser in der Glasvitrine rematerialisierte. Danach löste er sich förmlich auf.

»Ich vermute, dass dieser gesamte Behälter aus den Mikroorganismen besteht, sie sich nach der Transmission aufgeteilt haben und somit nicht mehr sichtbar gewesen sind«, erklärte Joorn. »Sie legen sich im alten Gewebe fest und übernehmen kurzzeitig sämtliche Körperfunktionen, beschleunigen die eigene Zellteilung, so dass ein künstliches Wachstum von Muskeln und Gewebe an dem toten Körper stattfindet.«

Rhodan beobachtete, wie die Mumie aus dem Glasschrank stieg und die altägyptischen Wörter sprach. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Selten hatte er so etwas Unheimliches gesehen. Er erzählte, dass er sich an alte Horrorfilme aus seiner Jugendzeit im 20. Jahrhundert erinnert fühlte. Das Thema von auferstandenen Mumien war immer ein beliebter Stoff für Horror-Romane und Grusel-Filme gewesen. Hier allerdings wurde es zur Realität.

»Aber warum konnte die Mumie sprechen?«, warf Rhodan ein. »Es kommt mir fast so vor, als hätte Ramses persönlich gesprochen.«

Denise zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Auf diesem Gebiet wissen wir zu wenig. Fakt ist, dass sich die Mumie mit Hilfe dieser Mikroorganismen bewegt hat. Doch warum sie sprach, kann ich nicht beantworten. Die Mumie müsste zu diesem Zeitpunkt eine Seele gehabt haben.«

Rhodan wollte den Gedanken gar nicht weiterspinnen. Wenn dieser Osiris in der Lage war, uralte Leichen wieder zum Bewegen zu bringen und sogar ihre Seelen zurückkehren ließ, dann war er ein übermächtiger Gegner.

»Unsere Wissenschaftler sollen diese Mikroorganismen genau untersuchen«, erklärte Rhodan. »Vielleicht können sie etwas über die Technik herausfinden. Mir wird das langsam unheimlich.«

»Es gab schon oft seltsame Zwischenfälle, die auf Flüche von Pharaonen zurückgeführt wurden«, meinte Denise und berichtete vom Fluch des Echnaton. »Im Jahre 1899 traf sich die High Society von Luxor, um als neutrale Zuschauer einem Mysterien-Spiel beizuwohnen. Das Schauspiel sollte den Fluch der Priester über den Pharao Echnaton, der alle Götter abschaffte und nur einen Gott, Aton, anbetete, brechen. Echnaton war verflucht, nie seine Totenruhe zu finden.

Als sie sich alle in der Wüste versammelt hatten, sollte das Schauspiel beginnen. Es war der Tag, an dem sich die Prophezeiung von Echnatons Auferstehung erfüllen sollte.

Alle schauten gespannt auf den Darsteller des Gottes Horus. Flehend bat er die anderen Götter um Vergebung des in Lumpen gekleideten Echnatons. Genau in dem Moment, als nun der Darsteller Echnatons zum Sprechen anhob, schlug völlig überraschend ein Blitz ein. Ein kräftiger Wind übertönte die Stimme Echnatons und peitschte den Sand der Wüste in die Gesichter der Zuschauer. Als sich der Sturm gelegt hatte, setzten die Darsteller das Schauspiel fort. Der Darsteller Echnatons fing an, eine Hymne an den Sonnengott zu sprechen. Genau an dieser Stelle prasselte plötzlich ein heftiger Regen auf alle nieder, der sich bald in einen Hagelsturm verwandelte. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, die Aufführung zu vollenden.

Am nächsten Morgen berichteten zwei Mitglieder unabhängig voneinander denselben Alptraum: Beiden war die lebendig gewordene Statue Ramses II. im Traum erschienen und hatte sie mit einer Königsinsignie, der Geißel, berührt. Innerhalb 48 Stunden erkrankten alle Darsteller und Zuschauer. Das Stück wurde nie wieder aufgeführt.«

»Hm«, machte Rhodan nur.

»Ob es da eine Verbindung mit Osiris gibt?«, überlegte Stewart Landry. »Dieses Wesen scheint seit Jahrtausenden unter Gizeh zu wohnen. Was, wenn er die Zuschauer manipulierte. Mit Technik ist alles möglich …«

»Es gab noch andere Flüche. Diese schienen allerdings mehr auf natürlichen Krankheiten zu beruhen«, führte Denise weiter aus. »Der Fluch des Tut-Anch-Amun zum Beispiel. Sehr viele starben, die das Grab entweiht hatten. Damals ging man von einem Fluch aus. Heute weiß man, dass die stickige und schimmelige Luft im ungeöffneten Grab für Krankheiten sorgte und viele dahinraffte.«

Rhodan stand auf und lief zum Fenster. Die Sonne ging langsam unter und färbte sich rot.

»Wir werden diese Gizehstation aufsuchen. Landry, trommeln Sie ein paar Männer zusammen. Wir müssen Osiris finden und mit ihm sprechen. Denise, Sie bleiben vorerst hier und studieren diese Papyrusrollen. Ich will wissen, was dort drin steht.«

*

Die beiden hatten Perry Rhodans Instruktionen verstanden. Energisch verließ Rhodan diesen Raum. Ihm war nicht sonderlich wohl zumute. Alles entwickelte sich sehr schnell. Urplötzlich wurden Jahrtausende alte wissenschaftliche Fakten über den Haufen geworfen und ein Gott wanderte plötzlich durch die Straßen Ägyptens und erweckte Mumien mit einer fremdartigen Technik zum Leben.

Ein neues Geheimnis der antiken Erde wurde scheinbar gelüftet. Welche Richtung diese Wendung nehmen würde, wusste Rhodan noch nicht. Er dachte über Osiris nach.

Der Legende nach zählte er zu den bedeutendsten Gottheiten des alten Ägypten. Seine einstige Rolle als Fruchtbarkeitsgott zeigte sich in der Symbolik des ihm zugeordneten Getreidekorns mit seinem natürlichen Wachstumskreislauf: die Saatkörner wurden in die Erde gegeben – Begräbnis –, ruhten einige Zeit im Dunkeln – Unterwelt – und keimten dann zu einer neuen Saat auf – Auferstehung.

Nachdem sich der Osiris-Kult immer weiter ausbreitete, nahm Osiris das Wesen anderer Gottheiten an, die er schließlich ganz verdrängte. Osiris hatte einen starken Bezug zum Königtum und wurde daher gewöhnlich mit den Königsinsignien Geißel und Krummstab dargestellt. Er war der Sohn der Himmelsgöttin Nut und des Erdgottes Geb und der erste König Ägyptens.

Als Osiris von seinem missgünstigen Bruder Seth ermordet wurde, erweckte seine Gattin Isis ihn wieder zum Leben. Sie zeugten den Sohn Horus, der später seine Herrschaft antreten sollte. Die Zauberkräfte der Isis bewahrten den Leichnam des Osiris vor der Verwesung, so dass der Gott in der Unterwelt zu neuem Leben auferstehen konnte.

Er herrschte über das Reich der Toten, bewachte den Zutritt der Verstorbenen in die Unterwelt und verkörperte die Sonne in ihrer nächtlichen Form. Als Symbol der Wiederauferstehung wurde Osiris von zahlreichen Anhängern seines Kults verehrt.

Demnach war er ein guter Gott gewesen. Doch was war Mythos und was Realität? Die Aktionen im Museum und auf der Straße Kairos ließen eher auf einen aggressiven Osiris schließen.

Bald würden sie Näheres erfahren. Landry fuhr mit einem Panzergleiter vor. Drei weitere Gleiter mit einer Besatzung von je sechs Mann folgten ihm. Rhodan stieg ein und warf einen letzten Blick auf das Hochhaus der Terranischen Altertumsforschung.

Denise Joorn stand am Fenster und blickte auf die Gleiter herab. Rhodan spürte, dass sie gerne dabei gewesen wäre. Doch sie mussten schnellstens an die Informationen aus den Papyrusrollen kommen. Und dafür war die Archäologin bestens prädestiniert.

Rhodan verspürte allerdings auch einen archäologischen Drang. Die Neugier war groß. Nach Jahrtausenden – als vierter Mensch überhaupt – würde er die Station des Osiris betreten.

»Beeilen Sie sich, Landry. Wir haben eine Verabredung mit einem Gott. Und Götter lässt man nicht warten.

 

Das Grab des Chufu

Die Sonne spendete nur noch wenig Licht. Die Temperaturen sanken und ein kühler Luftzug wehte über den Sand Gizehs hinweg. Die vier Gleiter kamen in der Nähe der Sphinx zum Stoppen.

Rhodan und Landry stiegen als erste aus.

»Ist das Gebiet geräumt?«, erkundigte sich Rhodan.

»Ja, Sir. Wir haben die Fremdenführer angewiesen, die Besichtigungen nur bis 20:00 Uhr Ortszeit durchzuführen. Wir haben das Gelände weiträumig abgesperrt.«

Rhodan nickte unmerklich und ging langsam auf die Pyramide des Chufu zu. Er hörte das Gekreische eines Falken von irgendwo her. Das war, neben dem Pfeifen des Windes, das einzige Geräusch, das ihn begleitete.

Nach wenigen Minuten hatte er den Eingang der Pyramide erreicht. Schon oft hatte er vor dem gewaltigen Bau gestanden. Dieses Mal erschien ihm die Pyramide noch geheimnisvoller als je zuvor.

»Laut diesem Kalifen befindet sich der Schacht zu Chufus Grab direkt unter dem Granitsarkophag. Bewaffnen Sie sich mit Desintegratoren, meine Herren! Ich will diesen Gang freilegen.«

Landry berichtete von Protesten seitens des Leiters des Gizeh-Plateaus Iwaz Ssawah, doch Rhodan interessierte das herzlich wenig. Er hatte genug von Ägyptologen, die alles vertuschten und jeglichen Forschungsdrang untergraben wollten.

Bedächtig schritten sie durch die Gänge der Chufu-Pyramide und erreichten die Kammer mit dem Granitsarkophag.

Landry aktivierte seinen Antigravstrahler und verschob den Granitblock. Rhodan selbst schoss mit dem Desintegrator ein Loch in den Boden. Nun begann eine stundenlange Arbeit.

*

Nach zwei Stunden waren sie fertig. Sie hatten eine Mauer erreicht. Rhodan stellte fest, dass sie nur provisorisch errichtet worden war. Die Hieroglyphen waren teilweise zerstört.

»Das muss die Mauer sein, die der Kalif eingeschlagen hat«, erklärte Rhodan. »Demnach befindet sich dahinter Chufus Grabkammer. Setzen Sie bitte Atemmasken auf! Die Luft dürfte nicht die beste sein.«

Sie desintegrierten die Wand und aktivierten ein paar Lampen. Die Schilderungen des Kalifen waren nicht übertrieben.

Endlose Kostbarkeiten reihten sich aneinander. Eine große Barke gefüllt mit Juwelen, etliche Statuen der Götter Anubis, Bastet, Hathor, Isis, Horus und von Chufu selbst.

Und schwarzfarbige Anubis-Wächter.

Rhodan mahnte die TLD-Agenten zur Vorsicht. Er befürchtete, dass jederzeit die Anubis-Wächter angreifen könnten.

Langsam näherte er sich Chufus Grab. Es ruhte auf der Plattform, die auf dem Wasser schwamm. Damit hatte die Sage von der unterirdischen Insel Recht behalten.

Rhodan fuhr mit der Hand über den Sargdeckel. Landry folgte ihm und ging auf die andere Seite. Rhodan gab ihm ein Zeichen und sie schoben den Deckel langsam zur Seite. Sie hätten einen Antigravstrahler benutzen können, doch die zwei wollten selbst anpacken. Der Forschungsdrang war stärker als die Vernunft der beiden Männer.

Die Mumie des Chufu musste von den Anubis-Wächtern wieder ins Grab gebettet worden sein. Jedenfalls sah sie aus, als hätte sie sich niemals bewegt. Die Totenmaske strahlte golden und in den bandagierten Händen hielt die Mumie Chufus die Insignien des pharaonischen Ägyptens, die Geißel und den Krummstab.

Rhodan nahm behutsam die Totenmaske ab.

»Was bezwecken Sie, Sir?«, wollte Landry wissen.

»Ihre Leute sollen erst einmal nach einem Eingang zu der Station suchen. Ich will sehen, ob Chufu wirklich lebt. Vielleicht können wir …«

In dem Moment packte ihn die mumifizierte Hand Chufus am Hals und drückte fest zu.

Landry versuchte sofort, die knöcherne Hand von Rhodan loszureißen. Etwas zu heftig, denn er brach sie ab. Die Klaue erschlaffte und fiel herab. Ein leises Krächzen drang aus der Kehle des Chufu. Rhodan wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Plötzlich bewegten sich die Anubis-Statuen und schossen auf die TLD-Agenten. Sofort erwiderten sie das Feuer. Sieben Anubis-Soldaten waren im Raum. Rhodan und Landry verschanzten sich hinter dem Sarkophag. Die anderen Agenten suchten auch irgendwo Schutz. Einer wurde getroffen und fiel verletzt zu Boden, doch die Übermacht der Soldaten brachte ihnen den Sieg. Schnell desintegrierten sie die Anubis-Soldaten.

»Das ging mir fast zu einfach«, bemerkte Rhodan. Die Mumie von Chufu regte sich etwas.

»König Chufu. Wir sind deine Nachfahren. Wir möchten dir nichts tun. Wir sind auch keine Grabräuber«, sprach Rhodan durch einen Translator, der das Interkosmo in Altägyptisch umwandelte.

Landry blickte Rhodan seltsam an und schüttelte nur den Kopf. Die Mumie hob einen Arm und die toten Augen begannen sich nach links zu drehen. Sie fixierten Perry Rhodan.

Rhodan verspürte durchaus ein großes Unbehagen. Nicht jeden Tag sprach er mit einem Geist.

»Rhodan … Rhodan …«, murmelte Chufu.

»Ich höre dich, Pharao Chufu.«

Die Hand der Mumie legte sich um Rhodans Nacken und drückte seinen Kopf langsam zum Mund Chufus.

»Warum störst du meine Ruhe? Warum hast du mich aus der Symbiose mit Amun gerissen? Er war dabei, mir so einzigartige, kosmische Wunder zu zeigen. Wunder, die kein menschliches Wesen von unserem Planeten gesehen hat.«

Die Stimme des Chufu war schwach und leise. Rhodan hatte Mühe das Flüstern zu verstehen. Doch der Translator hatte bessere »Ohren«.

»Ich suche Osiris. Ebenfalls möchten wir die Geheimnisse deiner … deiner Auferstehung lösen«, erklärte Rhodan.

»Taucht hinab. Geht unter die Insel. Dort werdet ihr Osiris finden. Ich spüre, dass der Sohn Amuns wieder auferstanden ist. Wenn ihr reinen Gewissens seid, wird euch nichts passieren. Seid ihr es nicht, werdet ihr sterben …«

Chufus Hand erschlaffte. Luft wich aus dem Mund, die Augen blieben starr stehen.

Landry scannte den Körper. »Wieder diese Mikroorganismen …«

»Doch der Mann, der zu mir sprach, war Chufu«, stellte Rhodan teils bitter, teils begeistert fest.

Was für einer überlegenden Kultur gehörte Osiris an? Sie mussten tatsächlich in der Lage gewesen sein, die Seele eines Wesens zu ergründen und sie in den toten Körper zurückkehren zu lassen.

Rhodan atmete tief durch. Chufu musste mit »unter der Insel« diese Plattform meinen.

»Durchsucht den Grund des Wassers!«, befahl er. »Vielleicht ist dort ein Eingang zur Station von Osiris.«

Er nahm die Totenmaske des Chufu und legte sie wieder auf dessen mumifiziertes Gesicht. Landry half ihm, den Sargdeckel wieder geradezuschieben.

»Chufu soll von niemandem mehr gestört werden«, beschloss der Terranische Resident.

Kurz darauf erhielt er eine Erfolgsmeldung eines Tauchers. Tatsächlich befand sich ein unterirdischer Weg zur Station. Rhodan schickte ein Team voraus, das einen kleinen Transmitter am Ende aufbauen sollte. Das gleiche taten die Leute in der Grabkammer des Chufu. Nach dreißig Minuten stand die Verbindung. Mit gezogenen Waffen stiegen die TLD-Agenten und Perry Rhodan durch den Transmitter direkt ins Ungewisse.

*

Sie kamen in einer kleinen Halle heraus. Sie war dunkel und wirkte uralt. Keinerlei Technik war vorhanden.

Einer der TLD-Agenten trat auf Rhodan zu. »Sir, wir haben hier einige Brandspuren entdeckt. Die Station wurde vor kurzem durch ein Feuer vernichtet. Nur noch Trümmer sind zu finden. Geschmolzenes Metall und Gold. Nichts Brauchbares.«

Rhodan senkte die Waffe enttäuscht. »Osiris hat die Station verlassen. Suchen Sie ganz Ägypten ab, Landry. Ich bin sicher, dass er sich noch irgendwo aufhält. Ein Team soll die Station untersuchen. Vielleicht finden sie noch etwas …«

Resigniert trat Rhodan den Weg zurück nach Kairo an. Osiris war ihnen entwischt und die ganze Sache wurde immer undurchsichtiger.

 

Stimmen aus dem alten Ägypten

Denise brütete über den Aufzeichnungen des Imhotep. Sie konnte seine Schrift gut lesen, doch eine positronisch-syntronische Recheneinheit führte gleichzeitig eine Übersetzung ins Interkosmo durch.

Sie hatte einen starken Kaffee gekocht. Inzwischen war es 23 Uhr. Was wohl Rhodan und Landry inzwischen herausgefunden hatten? Denise ermahnte sich, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.

Es fiel auch nicht weiter schwer, als sie die ersten Worte Imhoteps las. Denise Joorn tauchte in die Welt des alten Ägyptens ein …

*

Und sie kamen vor vielen Jahrtausenden in die Wüste um Ro-Setau. Sie wohnten auf dem Urhügel, dort wo sie das Chaos bezwangen und das Leben begann. Nomaden und Stämme zogen an ihnen vorbei, ohne dass sie jemand bemerkte. Dann siedelten sie sich an den Ufern des Hapi an. Viele Stämme!

Hunderte Jahre verstrichen, bis sie sich dem ersten von uns zu erkennen gaben.

Er war der Anführer einer wilden Horde. Sein Name wird noch heute in Ehrfurcht ausgesprochen – Skorpion.

Skorpion, weil er das Wappen des Tieres mit sich trug und gefährlicher war als der Stich eines Skorpions. Er unterwarf Siedlungen oberhalb des Hapi und da erschien ihm das Wesen. Seine Rüstung schimmerte golden, eine Aura voller Glanz umgab ihn. Gebaut wie der stärkste Kämpfer, mächtig und erhaben. Sein Gesicht des eines Falken. Sein Name war Horus, der Sohn des Osiris.

Und Horus sprach: »Skorpion, ich bin Horus, Sohn des Osiris, des Gottes der Unterwelt, Sohn der Isis und Diener des Sonnengottes Ré und dessen Herren Amun. Geschaffen von Shu und Tefnut, von Nut und Geb, den Herren des Himmels und der Erde.

Ich bin der rechtmäßige Herrscher über Kemet. Von nun an soll auch dein Land diesen Namen tragen. Es stammt aus unserer Sprache und bedeutet Schwarze Erde.

Von nun an sind die Völker um den Hapi Auserwählte und sollen den Göttern dienen, um zu einem prächtigen, fortgeschrittenen, gebildeten, gerechten und mächtigen Volk zu wachsen. Du wirst den Grundstein setzen, Skorpion. Mit der Macht des Horus und des Anubis befehle ich dir, die Völker von Ober- und Unterkemet zu vereinigen.«

Als Zeichen seiner Macht gewährte er Skorpion einen Einblick in die Welt der Götter. Skorpion war beeindruckt, musste jedoch den Eid leisten, niemals etwas zu verraten. So machte er sich bis zu seinem Tode daran, das Volk Kemets zu einen. Er machte den Anfang. Das Land Kemet wurde fruchtbar und die Stämme begannen mit der Vereinigung. Doch Skorpion erreichte sein Ziel nicht ganz.

Sein Geist wurde eins mit Osiris. Was dies bedeutete, würde ich, Imhotep, Hohepriester, Baumeister und Arzt der Inkarnation Horus auf Erden, des Gottkönigs Netjerichet Djoser, erst nach meinem irdischen Leben erfahren.

Die Jahre zogen ins Land und die Götter meldeten sich nicht mehr. Die Nachfolger des Skorpion kamen nur langsam voran. Doch der Kult der Götter breitete sich rasant aus. Zwar wurden viele Tatsachen durch die Einfältigkeit der Menschen verändert und viele Gerüchte und erfundene Mythen und Götter mischten sich dazu, doch der Glaube an Amun, Ré, Osiris und seine Götter wurde zur Staatsreligion.

Ohne dass unsere Vorfahren es wussten, wurden ihnen die Schrift und die Sprache der Kemet-Götter gelehrt. Ihre Götzenbilder erstrahlten in unzähligen Tempeln, die zu ihren Ehren gebaut wurden.

Unter dem Gottkönig Menes, dem Beherrscher von Oberkemet und der Hauptstadt Menefru-Mirê, wurde das Reich geeinigt.

Es war eine seltsame Zeit, so kamen Feinde der Götter von den Sternen. Sie trugen den Namen Akonen und rissen in Menefru-Mirê die Macht an sich. Sie infiltrierten die Priesterschaft des Anubis.

Anubis selbst soll voller Zorn gewesen sein, doch Hathor, die Göttin der Freude und der Liebe, besänftigte ihn, denn alles erledigte sich von selbst. Dank eines fremden Helden mit dem Namen Ré-Anhetes-Atlan wurden die Akonen vernichtet.

Einzig der Kult um die Löwengöttin Bastet blieb der Nachwelt von den fremden Aggressoren erhalten.

Den Göttern fiel dieser Atlan auf. Sie wussten, dass er keiner von uns war, jedoch ebenfalls von den Sternen kam und auf der Welt gefangen war. Doch sie beschlossen keinen Kontakt mit ihm aufzunehmen. Eine Entscheidung, die jedem schwer fiel, denn er war wie sie: Ein Unsterblicher. Doch sie hatten eine Abneigung gegenüber den Sternengöttern mit dem Namen Arkoniden und ein Verbot des obersten Gottes Amun. Jahrtausendalte Erfahrung sprach aus der Entscheidung unserer kemetischen Götter.

Statt dessen erschienen Anubis, Horus und Isis dem Gottkönig Menes und erklärten ihn zu einem Auserwählten. Er war der Reichseiniger, so offenbarten sie sich ihm, wie sie es einst vor Skorpion getan hatten.

Ihm wurde das gezeigt, was mir noch bevorstand. Wieder musste er einen Eid leisten, es niemandem zu sagen. Nicht einmal Atlan. Menes nahm den Namen Narmer an. Narmer war einst ein Held in der Geschichte der Götter. Er war auch ein Begründer gewesen. Deshalb sollte Menes fortan diesen Namen tragen.

Menes-Narmer litt unter dem Geheimnis der Götter. Warum durfte er seinem treuesten Freund Atlan nichts von seinem göttlichen Auftrag verraten, fragte er sich?

Oftmals zermarterte er seinen Schädel mit diesen Fragen. Als Atlan dann plötzlich das Volk der Kemeten verlassen hatte, wusste Narmer, dass sein Freund Anhetes-Atlan die beste Entscheidung für alle getroffen hatte. Auch wenn Narmers Schwester Nefer-Meryt nie über den Verlust Atlans hinweg kam und bald darauf erkrankte und ihr Leben verlor.

Als Narmer nun auch starb, begann das Reich sich unter seinem Sohn Aha zu formen.

Die Einflüsse der Kemet-Götter und des Arkoniden Atlan wirkten sich sehr positiv auf unser Land am Hapi aus. Die Priester des Anubis brachten neue Erkenntnisse, wie das Jahr und die Monate. Ob es Informationen der Götter waren oder sie selbst die Tatsachen erkannt hatten, dass unsere Weltkugel 365 Tage brauchte, um sich um die Sonne zu bewegen, wusste niemand. Wir nahmen die Hinweise der Götter ohne Zweifel und mit Dankbarkeit hin.

Auserwählte Herrscher durften in Osiris aufgehen. Sie wurden von Anubis und Isis in die Unterwelt begleitet.

*

Sie offenbarten sich nur ausgewählten Personen. Meist Gottkönige oder Hohepriester, die die Wünsche der Götter an das Volk trugen.

Dank den Göttern wurde unsere Technik im Mumifizieren verbessert und der Glaube an das Leben nach dem Tode wurde stark. Er wurde wichtig für uns und vieles richtete sich danach.

Nach Hor-Aha, dem Sohn des Narmer, folgten weitere legendäre Könige, die die Namen Djer, Djed, Semerchet, Chasechmui und mein König Djoser trugen.

Mehr als vier Jahrhunderte nun schon existierte das Reich Kemet, angeführt von den Gottkönigen, den Inkarnationen Horus auf Erden.

Dann kam der Tag als sie mich aufsuchten. Der Gott Thot war in Begleitung von Anubis. Ich kann mich genau an diese Begebenheit erinnern. Ich erstarrte vor Angst, als ich diese Wesen sah. Zwei Köpfe größer als ich, standen sie in prachtvollen Rüstungen vor mir. Thot mit dem Kopf eines Falken, Anubis mit dem eines Schakals.

Und Anubis sprach: »Imhotep, du bist ein fähiger Diener deines Gottkönigs. Du gehörst zu den Auserwählten, denen wir uns offenbaren. Du kennst uns, denn wir sind deine Götter. Wir haben im Namen des Ré und des Osiris einen Auftrag für dich. Beginne mit dem Bau eines Monumentes für deinen König.«

Und Thot stellte eine Figur aus Stein auf meinen Tisch. Es war eine Pyramide. Fassungslos starrte ich Thot und Anubis an.

»Wie soll ich so etwas bauen, oh Herren?«, fragte ich unterwürfig, doch mit merkbarem Zweifel.

»Das überlasse ich dir, Imhotep. Sie soll gewaltig sein und als Ruhestätte deines Herren dienen. Doch sie soll noch viel mehr sein. Sie symbolisiert unsere Kultur. Die Kultur unseres Volkes, welches hoch in den Sternen lebt. Von diesem Volk kommen wir und die Pyramide ist ein Symbol unserer Kultur.«

»Aber Herr, ich bin nur ein Mensch. Wie soll ich etwas schaffen, was nur Götter erbauen?«, wollte ich wissen.

Anubis lachte. Es war ein seltsames Lachen, doch es stand mir nicht zu, darüber zu urteilen.

»Du und dein Volk müssen lernen«, erklärte der Gott der Toten. »Durch Taten lernt man am besten. Eines Tages sollt ihr noch viel mehr erbauen, als dieses steinerne Monument. Ihr sollt fliegende Pyramiden erbauen, die zu den Sternen reisen. Bis dahin, sei dir dessen gewiss, werden Tausende von Jahre vergehen, doch es wird geschehen …«

Anubis war eine beeindruckende Gestalt. Ebenso sein Gefährte Thot, der schweigend neben ihm stand. Beide wirkten erhaben, und doch wiederum vertraut und väterlich.

Anubis legte seine Hand auf meine Schulter. Ich fühlte mich zutiefst geehrt von dieser Geste. Wer wurde schon von einem Gott berührt? Ich musste die Worte, die er mir sagte, erst einmal verarbeiten.

»Mache dich daran, diese Pyramide zu bauen. Setze den Grundstein für eure Wissenschaft und Forschung. Denke daran, zu was ihr eines Tages im Stande sein werdet.«

Mit diesen Worten verließen die beiden Götter meine bescheidene Arbeitsstätte und Wohnung. In den darauffolgenden Monaten begannen die Planungen der Pyramide. Mein Gottkönig Djoser wurde ebenfalls von den Göttern erleuchtet. Ihm waren Horus und seine Mutter Isis erschienen. Djoser sah den Bau der Pyramide als notwendig an und ich begann die Konstruktion seiner Grabanlage in der Region Sakkara.

Die Mastaba, Tempel und Gräber um die Pyramide herum stellten kein Problem für mich und meine Arbeiter dar, doch der Bau der eigentlichen Pyramide war sehr schwierig. Bereits bei der Konstruktion der Pläne betete ich zu Thot, dem Gott der Wissenschaft, er möge mir helfen.

Zuerst musste der Neigungswinkel berechnet werden. War er zu spitz oder zu stumpf, drohte die Pyramide einzustürzen.

Schließlich kam mir die Idee, eine Abstufung zu machen. Eine glatte Pyramide zu bauen, war mir mit den gegebenen Mitteln nicht möglich. Der Aufwand war zu hoch, um diesen Wunsch der Götter zu erfüllen. Ich verwendete das alte Prinzip der Mastabas und setzte sie einfach immer eine Etage höher.

Sehr hilfreich waren mir die Aufzeichnungen des Re-Anhetes-Atlan, jenem weisen Fremden an der Seite des Reichseinigers Narmer. Viele Fragen wurden dadurch beantwortet. Anhetes war in der Tat der größte Wissenschaftler in der Geschichte unseres Reiches gewesen. Auch wenn viele sicherlich mich später auf Grund der Pyramide als ein Genie betrachten werden, so war Anhetes mir weit überlegen.

Natürlich dauerte das Jahre. Die Jahre zogen ins Land und die gewaltige Pyramide wurde fertig gestellt.

Mein Leben war der Pyramide gewidmet. Viele Jahre meines Daseins hatte ich für meinen König und die Götter dieses Monument der Ewigkeit gebaut. Viele Tausende Arbeiter vergossen Schweiß und Blut, doch sie sahen den Bau als Ehre an.

Über 60 Meter hoch, mit einer Grundfläche von 109 mal 121 Metern und einer Länge der Basisseite von 71 Metern war die letzte Ruhestätte des Djoser vollkommen. Eine große Mauer umgab die Pyramide von Sakkara.

Einundzwanzig Jahre dauerte die Amtszeit des Djoser. Dann ging er zu den Göttern. Nun war es sein Schicksal, zu Osiris zu gehen und auf der Sonnenbarke des Ré zu fahren. Er hinterließ ein großes Reich, die Südgrenzen waren bis zum Ersten Katarakt gefestigt, und eine Pyramide, als Hort für seine Seele und Zeichen seiner Unsterblichkeit war errichtet.

Gemäß unserem Glauben wurde Djoser einbalsamiert und mumifiziert. Es geschah, wie mit allen Gottkönigen und noblen Vertretern unseres Volkes. Es war eine traditionelle Arbeit, die schon seit Skorpion I. unser Volk auszeichnete.

Fremde verstanden vielleicht unsere Bestattungsriten nicht. Ich versuche es der Nachwelt zu erklären.

Wenn in einem Hause in Ägypten ein Mensch – natürlich einer, der etwas gilt – stirbt, bestreichen sich alle Frauen im Haus den Kopf und auch das Gesicht mit Lehm; dann lassen sie den Toten im Haus liegen, sie selbst laufen durch die Stadt, hochgeschürzt, mit bloßen Brüsten, und schlagen sich und mit ihnen alle weiblichen Verwandten die Brust. Andererseits schlagen sich auch die Männer zum Zeichen der Trauer, und auch sie sind hochgeschürzt. Wenn das geschehen ist, bringen sie den Leichnam zur Einbalsamierung.

Dafür sind aber bestimmte Leute da, die sich auf diese Kunst verstehen. Wenn diesen die Leiche gebracht wird, zeigen sie den Anverwandten Muster von Leichnamen aus Holz und recht naturgetreu bemalt und nennen ihnen die beste Art der Einbalsamierung, deren Namen ich mich auszusprechen scheue; dann zeigen sie die zweite, wohlfeilere und mindere, und dann die dritte, die am billigsten ist. Dann fragen sie, nach welcher Art der Leichnam behandelt werden soll. Und die Angehörigen handeln mit ihnen den Preis aus und gehen dann fort; sie aber bleiben mit der Leiche in ihrem Haus zurück.

Und solchermaßen ist nun die sorgfältigste und teuerste Art der Einbalsamierung:

Sie entfernen zuerst mit einem krummen Eisen durch die Nasenlöcher das Gehirn, und zwar teils so, indem sie es herausziehen, teils indem sie Arzneien hineingießen, Dann öffnen sie mit einem scharfen äthiopischen Steinmesser die Bauchhöhle und nehmen die ganzen Eingeweide heraus; sie reinigen sie, spülen sie mit Palmwein aus und bestreuen sie mit zerriebener Myrrhe, mit Kassiablättern und anderem Räucherwerk, untermischt mit Weihrauch, und nähen die Leiche wieder zu. Dann legen sie die Leiche in Natron, 70 Tage lang; länger darf man sie nicht darin liegen lassen. Sind diese 70 Tage vorüber, dann waschen sie die Leiche und umwinden den ganzen Leib mit Binden aus feinem Byssosleinen und bestreichen sie mit Gummi, den die Ägypter vielfach statt Lehm verwenden. Dann übernehmen wieder die Angehörigen die Leiche und machen einen hölzernen Sarg in Menschengestalt, legen die Leiche hinein und bewahren sie in der Grabkammer auf, wo sie die Leiche an die Wand stellen.

So behandeln sie die Leichen, die um den höchsten Preis einbalsamiert werden. Wo aber die Verwandten die Mittelart wählen, weil sie die hohen Kosten scheuen, da geschieht mit der Leiche folgendes: Sie füllen Klistierspritzen mit Zedernöl und füllen damit den Unterleib des Toten, ohne ihn aufzuschneiden und den Magen und die Eingeweide herauszunehmen; sie spritzen es beim Gesäß hinein, aber so, dass das Klistier nicht wieder heraus fließt; dann lassen sie die Leiche die vorgesehenen Tage hindurch in Natron liegen; am letzten Tag aber nehmen sie das Zedernöl, das sie früher hinein getan haben, wieder heraus. Dieses hat eine solche Wirkung, dass es auch den Magen und die Eingeweide heraus nimmt. Das Fleisch aber wird von dem Natron so aufgelöst, dass von der Leiche nur die Haut und die Gebeine übrig bleiben. Dann geben sie die Leiche so den Verwandten wieder zurück und tun sonst nichts dazu.

Die Dritte Art der Einbalsamierung, welche die am wenigsten Bemittelten erstehen, ist folgende: Sie reinigen die Bauchhöhle mit Abführöl und salzen die Leiche 70 Tage ein; dann geben sie diese wieder zurück.

Meine Zeit war mit dem Tode von Djoser noch nicht abgelaufen. Erst unter der Zeit des Schemchet riefen die Götter nach mir.

Ich diente unter den vier Gottkönigen Chasemui, Nebka, Djoser und Schemchet – doch Djoser war mein wahrer Herr und mit seinem Tode war mein Leben sinnlos. Ich hatte mit dem Bau der Pyramide mein Lebensziel erreicht. Es gab nichts mehr, was ich noch erreichen konnte.

Djoser wurde feierlich beigesetzt. Ich hatte viele Stollen und Gänge in die Pyramide einbauen lassen und eine große Grabkammer. Dort wurde mein Gottkönig samt seiner Schätze beigesetzt, um vor Osiris zu stehen. Sein Herz würde mit einer Feder aufgewogen werden, Anubis, Isis und Horus würden ihn zu Osiris begleiten, mit dem er dann einst werden würde.

Um seine Habseligkeiten vor Räubern zu schützen, wurden alle getötet, die von der Lage der Grabkammer wussten. Ich versuchte so wenig Menschen wie möglich in dieses Geheimnis einzubeziehen, denn ich wollte nicht ihren Tod.

Sechemchet war nicht einmal einen Monat auf seinem Thron, da nahm ich mir das Leben. Es war ein sanfter Tod, mit dem Gift einer Schlange herbeigeführt. Ich schlief friedlich ein und tat Buße vor den Göttern.

Ich war bereit in Osiris aufzugehen uns sprach mein letztes Gebet, bevor ich den Weg auf meiner Barke in die Unterwelt begann …

*

Denise Joorn atmete tief durch. Die Geschichte Imhoteps, dem legendären Baumeister und Arzt des Gottkönigs Djoser in der III. Dynastie – also etwa 2645 v. Chr. –, offenbarte ihr viele Geheimnisse. Die Art und Weise, wie die Götter mit den Kemeten umgingen, war einmalig. Anscheinend nannte sich das Göttervolk selbst Kemeten und lieh den alten Ägyptern diesen Namen.

Denise Joorn glaubte, dass die Götter keineswegs schlecht waren, denn sie versuchten langsam das ägyptische Volk zu formen und zur Raumfahrt zu führen. Sie nutzten ihren Götterstatus anscheinend nicht aus, so wie es etwa die Akonen getan hatten.

Gespannt nahm Denise die Papyrusrolle des Neferti. Neferti war ein Schriftsteller, Hellseher und Gelehrter in der IV. Dynastie, 2520 Jahre vor Christi Geburt.

Joorn war gespannt, was er zu berichten hatte …

*

Ich, Neferti, liege im Sterben. Meine Zeit ist nach einem langen und erfüllten Leben vorbei. Bald schon werde ich vor den Toren zur Unterwelt stehen, mich vor den Richtern rechtfertigen müssen und von Anubis und Thot geprüft werden, um dann von Isis zu ihrem Mann Osiris geleitet zu werden.

Dann werde ich eins mit den Göttern werden. Ich blicke auf ein langes Leben zurück. Einhundertundvier stolze Jahre. Geboren unter König Snofru, gedient unter den Königen Chufu, Djedefré und Chafre. Mein Ende naht nun, im Jahr dreizehn des Menkaure.

Meine Geschichte will ich der Nachwelt hinterlassen, ich will das fortführen, was Imhotep, der Baumeister der Pyramide von Sakkara, begonnen hat. Die Geschichte unseres Volkes und unserer Götter niederschreiben. Denn ebenso wie Imhotep bin ich ein Erleuchteter, den die Götter aufgesucht haben.

Geboren wurde ich im Jahre vier des Gottkönigs Snofru, dem Begründer der IV. Dynastie. Mein Vater war Hohepriester und ein Vertrauter des Snofru, einem weisen und gütigen Regenten, der sich mit dem Bau seiner drei Pyramiden unsterblich machte.

Die erste Pyramide sollte die Stufenpyramide des Netjerichet Djoser übertreffen. Snofru wünschte eine glatte Pyramide zu bauen und mein Vater, Hor-Re-Antef versuchte diesen Wunsch nachzukommen. Doch es erwies sich als nicht so einfach. Ich war noch ein Knabe, da fiel ein Unglück über die Bauarbeiten herein. Während die zweite Pyramide gebaut wurde, stürzte die erste in sich zusammen und es blieb nur ein Turm übrig. Mein Vater war gezwungen den Neigungswinkel der zweiten Pyramide zu ändern, so dass sie einen »Knick« am oberen Ende bekam.

Snofru war nicht sonderlich zufrieden mit den ersten beiden Pyramiden. Ich war selbst mit anwesend, als er mit meinem Vater sprach und von ihm forderte, eine perfekte Pyramide zu bauen. Der Herrscher Kemets war ein untersetzter Mann mit grauen Schläfen. Goldener Schmuck, feinste Gewänder und die Doppelkrone des Königs zierten seinen Körper. Der Pharao wanderte durch seinen prunkvollen Thronsaal, geziert mit Statuen des Horus und Anubis aus purem Gold.

»Vierzehn Jahre nun regiere ich und ich weiß nicht, wie viele Jahre mir Ré noch schenken wird«, sprach er. »Ich habe in diesen vierzehn Jahren versucht, dem Volk ein gerechter Herrscher zu sein und meine wichtigsten Söhne Chufu, Rahotep und Nefer-Maat so erzogen, dass sie unserem Volk diesen Standard auch nach meinem Tode bieten.

Doch wie wird man sich an mich erinnern, wenn ich als der König eingehe, der es nicht geschafft hat, eine Pyramide zu bauen?«

Mein Vater gab mir mit einem Wink zu verstehen, dass ich gehen sollte. Ich täuschte vor, dies auch zu tun. Jedoch versteckte ich mich hinter der Anubisstatue.

Unterwürfig fiel mein Vater auf die Knie. »Oh, König von Ober- und Unterkemet, ich bitte euch mir meine Unfähigkeit zu verzeihen. Es waren meine Fehler, die das Ende der Pyramiden bewirkt haben.«

Snofru blickte sich um und wies auch seinen Wachen und Beratern an, den Raum zu verlassen. Sie waren nun beide allein. Nur ich blieb unbemerkt in dem Raum zurück.

»Steh auf, mein treuer Diener! Ich werde dir nichts tun. Die Pyramide mit dem Knick ist mit 101 Metern gewaltig, doch nicht gewaltig genug. Baue mir bei Dahschur noch eine Pyramide. Sie soll mein Grab sein und eine Huldigung an die Götter, die es ausdrücklichen wünschen, dass ich eine Pyramide zu ihren und meinen Ehren errichten lasse.«

Mein Vater sah ihn fassungslos an. »Ihr habt mit den Göttern gesprochen?«

»Ja, mein Freund. Horus persönlich war bei mir. Eine Ehre, die keinem König seit Djoser zuteil geworden ist.«

Mein Vater schwieg. Er verneigte sich und verließ den großen Saal.

Snofru selbst wanderte nachdenklich durch die Hallen. Da plötzlich stand mit einem leisen aber grellen Blitz der Gott Horus vor ihm. Ich erschrak mich beinahe zu Tode als ich die goldene Rüstung des Falkenwesens vor mir sah.

Snofru machte keinen überraschten Eindruck. »Ich zweifle, ob ich würdig sein werde, die Wünsche meiner Götter zu erfüllen«, sprach er voller Trauer.

Horus legte seine Hand auf die Schulter des Königs. »Sei dir gewiss, Hor-Re-Antef wird es schaffen. In Dahschur wird dir eine besondere Pyramide gebaut werden. Rate ihm, roten Sandstein zu benutzen. So wird sie erstrahlen wie die aufgehende Sonne unseres Gottes Ré.«

Die Stimme des Horus war jung und warm. Sie beruhigte nicht nur Snofru, sondern auch mich selbst.

»Und das ist alles, was du von mir verlangst, mein Gott?«, wollte Snofru wissen.

»Ja, Snofru. Du bist ein Teil eines großen kosmischen Plans meines Vaters Osiris und dessen Herren Amun. Das Volk der Kemeten auf dieser Welt ist dazu auserkoren, eines Tages das Universum anzuführen. Skorpion, Narmer und Djoser haben an diesem kosmischen Mosaik teilgehabt. Sie sind zu Osiris gegangen und teilen seine Weisheit. Auch dir wird dieses Schicksal bestimmt sein. Doch dazu erfülle den Wunsch des Osiris und baue eine dritte Pyramide.«

Snofru verneigte sich in Demut.

Horus wanderte durch den Raum, blieb stehen und blickte zur Statue des Anubis, hinter der ich mich versteckt hielt. Seine Adleraugen verengten sich. Mit einer Handbewegung schob er die Statue zur Seite. Erschrocken wich ich zurück und kauerte ängstlich an der Wand. Ich hatte mich an einen Gott versündigt.

Doch Horus schien amüsiert zu sein. »Der Knabe dort ist ziemlich neugierig …«

Snofru war wütend. »Es ist der Sohn meines Baumeisters. Ich werde ihn für dieses Vergehen töten lassen!«

Horus winkte ab. »Lass ihn leben. Er ist doch noch ein Kind. Güte ist eine der wichtigsten Tugenden. Güte vor dem Verbrechen und die Gabe Fehler zu verzeihen. Das muss die Menschheit erlernen, sonst werden sie es nie zu einer kosmischen Bedeutung schaffen.«

Dann wandte er sich mir zu. »Wie ist dein Name, Kleiner?«

»Neferti«, antwortete ich.

»Neferti. Du wirst mir versprechen, dass du weder deinem Vater, noch deiner Mutter oder irgendjemand anderem von diesem Gespräch berichtest. Nur auserwählte Könige und Hohepriester werden von uns aufgesucht.«

Ich nickte ängstlich. Horus legte seine Hand auf mein Haupt und streichelte meine Haare. Mein Herz pochte hörbar und ich hatte Furcht, dass es stehen blieb.

»Eines Tages sehen wir uns wieder, Neferti. Wenn es Zeit ist das fortzusetzen, was Imhotep begonnen hat. Lebe wohl bis dahin.«

Horus verabschiedete sich von Snofru und ließ uns beide alleine. Der Gottkönig starrte mich mit einer väterlichen Strenge an. Dann half er mir hoch und betonte die Worte des Horus. Ich sagte kein Wort, fühlte mich wie ein Verbrecher, dabei war der Gott zu mir so freundlich, gütig und warmherzig.

Von diesem Tage an war mein Glaube an die Götter gestärkt und ich dachte an die Prophezeiung des Horus.

Neun Jahre später – ich war ein Mann von neunzehn Jahren –, als mein Vater hatte die Rote Pyramide von Dahschur fast fertig gestellt hatte, wurde ich zum Hofe des Pharaos bestellt.

»Komm doch, Neferti, mein Freund, dass du mir einige schöne Reden sagst, ausgewählte Sprüche, die meine Majestät beim Anhören erfreuen.«

Mein Vater hatte mir berichtet, dass Snofru, den ich seit dem Ereignis mit Horus nicht mehr gesehen hatte, sich im Alter langweilte. Er war noch immer guten Herzens, doch sein Körper und Geist waren schwach und alt geworden.

Neben ihm stand sein Lieblingssohn und Nachfolger Chufu. Er war jung und stark. Ein unbändiger Wille funkelte in seinen Augen.

Ich selbst hatte mich weitergebildet. Die Worte des Horus hatte ich nicht vergessen. Ich tat alles daran, mit Wort und Schrift vertraut zu werden, die Geschichte unseres Volkes und die der anderen Völker zu kennen. Von dem wilden Hordenführer Skorpion, der mit der Reichseinigung begann, über den Reichseiniger Menes-Narmer und seinem Freund Ré-Anhetes-Atlan, Narmers Sohn Aha, dem Vollender, König Djoser und all die anderen.

Snofru sah mich fragend an.

Darauf sprach ich: »Etwas von dem, was schon geschehen ist, oder etwas von dem, was erst geschehen wird, oh König, mein Herr?«

Seine Majestät darauf: »Etwas von dem, was geschehen wird, denn das Heute ist ja im Nu zu Vergangenem geworden.«

Da streckte er seine Hand zum Schreibkasten aus, nahm sich eine Buchrolle und eine Binse heraus und hielt schriftlich fest, was ich sagen würde.

Ich dachte nach über das, was in der Welt geschah, ich beschwor den Zustand des Ostdeltas, wenn die Asiaten in ihrer Macht kamen, jene überfielen, die bei der Ernte waren, und ihnen die Gespanne vor dem Pflug raubten.

Ich sprach: »Rege dich, mein Herz, dass du dieses Land beweinst, aus dem du stammst, denn Schweigen wäre verwerflich. Es gab doch etwas, wovon man respektvoll sprach, doch der Beamte ist zu Boden geworfen im Land.

Das Land wird zugrunde gerichtet, und niemand kümmert sich darum oder spricht darüber oder vergießt deswegen Tränen. Denn wie ist dieses Land? Die Sonne ist verhüllt und leuchtet nicht, dass die Menschen sehen können; aber man kann nicht leben, wenn Wolken sie verhüllen, und jeder taub ist, wenn sie nicht da ist.

Ich will von dem sprechen, was mir vor Augen ist, ich sage nicht voraus, was nicht eintrifft.

Ausgetrocknet ist der Strom Kemets … man wird vergeblich Wasser suchen für das Schiff, damit es fährt, denn sein Weg ist zum Ufer geworden.

Dann gehen jene schönen Dinge zu Grunde, die Fischteiche mit den Fischreihern, überquellend von Fischen und Vögeln.«

Chufu machte einen eher gelangweilten Eindruck. Er wechselte den Blick mit seiner Gefährtin Henutsen, die er neben seiner Schwester Merit-Ites zur Frau genommen hatte. Nefer-Maat war ebenfalls anwesend. Er war einer der Söhne des Snofru, allerdings wohl kein Thronfolger, da Chufu die Tochter der Hauptfrau des Snofru geheiratet hatte und somit erstes Anrecht hatte nach dem frühen Tod von Rahotep.

Ich sah in dem designierten König einen starken Herrscher. Ob er seine Stärke wie Snofru zu guten oder zu schlechten Zwecken nutzen würde, wusste ich nicht.

Vielleicht sollte ich gerade deshalb so eine Geschichte erzählen.

Ich fuhr fort: »Aufruhr ist im Osten entstanden, die Asiaten sind nach Kemet hinabgestiegen. Dieses Land schwankt hin und her, unwissend, was für Prüfungen noch geschehen werden …

Ich zeige dir das Land in schwerer Krankheit, was nicht geschehen sollte, ist geschehen: Man wird Waffen des Krieges ergreifen, so dass das Land im Umsturz lebt. Man wird Pfeile aus Kupfer machen und Blut für Brot fordern.

Ich zeige dir den Sohn als Gegner, den Bruder als Feind, einen Mann, der seinen Vater tötet!

Jeder Mund ist voller Sehnsuchtsworte, denn alles Glück ist geschwunden; die Welt ging zugrunde, als ob es so bestimmt sei, Mängel sind in allem, was man tut, Verfall in allem, was man findet, Geschaffenes ist wie Ungeschaffenes.

Rede wirkt auf das Herz wie Feuer, was der Mund spricht, kann man nicht ertragen. Das Land ist gering, aber der Herrschenden viele, es ist verwüstet, aber seine Steuern sind hoch.

Die Sonne hat sich von den Menschen getrennt -- sie geht zwar noch auf zur richtigen Zeit, aber niemand weiß, wann es Mittag ist, denn man nimmt seinen Schatten nicht wahr. Kein Gesicht wird geblendet, das sie sieht, und kein Auge füllt sich mit Wasser, denn sie steht am Himmel wie der Mond, auch wenn sie ihrem vorgeschriebenen Laufe folgt und ihre Strahlen uns vor Augen sind, wie es immer war.

Ich zeige dir das Unterste zuoberst, was auf dem Rücken war, hat jetzt den Bauch unten. Man lebt, wo die Toten sind, der Bettler häuft Schätze auf, der Reiche bettelt, um zu leben.«

Meine Erzählungen wirkten. Snofru blickte bedrückt seinen Sohn Chufu an. Es war als wollte er ihm sagen, lasse dir das ein mahnendes Beispiel sein. Regiere weise und in Vernunft. Chufu schien dies auch zu verstehen.

Ich erzählte weiter: »Aber ein König des Südens wird kommen, Ameni mit Namen, Sohn einer Frau aus Nubien und ein Kind Oberkemets ist er.

Er wird die Weiße Krone nehmen und wird die Rote Krone tragen – so wird er die beiden Mächtigen vereinen und wird die beiden Herren zufriedenstellen nach ihrem Wunsch.

Man wird die Mauern des Herrschers bauen, um die Asiaten nicht nach Ägypten hinein zu lassen; demütig sollen sie um Wasser flehen, um ihre Herden zu tränken.

Die Gerechtigkeit wird an ihren Platz zurückkehren, das Unrecht ist hinausgeworfen. Freuen wird sich, wer es sieht, wer im Dienste des Königs sein wird!

Und wer weise ist, wird mir Wasser spenden, wenn er sieht, dass meine Prophezeiung sich erfüllt hat.«

Stille herrschte, als ich meine Geschichte beendet hatte. Snofru applaudierte dann. Nefer-Maat war ebenso beeindruckt von der Geschichte wie sein Vater. Nur Chufu schien sie zu langweilen. Zwar hatte er deutlich den Hintergrund der Geschichte verstanden, doch er wollte sich nicht von Weissagungen einschüchtern lassen.

Im Grunde genommen war es auch keine, auch wenn ich es so aufgebaut hatte. Aber wer weiß, die Geschichte könnte sehr leicht wahr werden.

Snofru erlaubte mir zu gehen. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Wenige Monate später starb er nach 24-jähriger Regentschaft.

Die Zeit des Chufu war angebrochen.

*

Wir schrieben das Jahr zwei des Chufu. Der Sohn des Snofru erwies sich als guter und weiser neuer Herrscher unseres Volkes.

In dieser Zeit dann passierte es, dass Horus mich aufsuchte. Wie er es einst versprochen hatte, kam er endlich.

Ich war überrascht, doch nicht mehr der ängstliche Junge, der ich einst war. Immerhin zwanzig Jahre alt war ich nun.

Horus wanderte durch mein Arbeitszimmer. Es war prächtig eingerichtet, denn mein Vater und König Snofru hatten sich als sehr großzügig erwiesen.

Mein Vater lebte nicht mehr. Die Fertigstellung seiner Pyramide in Dahschur, der Roten Pyramide und der endgültigen Grabstätte des Königs Snofru hatte er nicht mehr miterlebt. Ich war es, der sein Werk vollendet hatte, denn er starb wenige Wochen nach meinem letzten Besuch beim alten König.

»Nun, einst habe ich dir versprochen zurückzukehren. Hier bin ich. Deine Geschichte, ja, ich habe sie gehört, hat mich beeindruckt, denn du hast Chufu deutlich gemacht, wohin Habsucht und Gier führen.«

»Mein Gottkönig ist über jeden Zweifel erhaben«, antwortete ich demütig.

Horus lachte. »Niemand ist das. Nicht einmal wir Götter. Das wirst du noch erfahren, mein Freund. Eines Tages, wenn du zu Osiris stoßen und deine Ahnen kennen lernen wirst.«

Ich schwieg.

»Ich bin gekommen, um dir etwas zu sagen. Du sollst eine Chronik für dein Volk schreiben. Du sollst das fortführen, was Imhotep mit den Schilderungen von König Skorpion I. begonnen hat.«

Ich war zutiefst geehrt. Beinahe sprachlos. Ein Gott kam zu mir, um mir einen Auftrag zu geben. Horus persönlich. Es war wie in einem Traum. Ich wusste, dass nicht vielen Menschen diese Ehre zuteilwurde.

Doch mein Verstand war voller Neugierde. »Woher kommt ihr, oh Götter? Ich habe so viele Fragen an euch.«

Ich erschrak über meine Maßlosigkeit, doch Horus schien amüsiert. Er lachte. Da er einen Schnabel hatte, konnte er nicht lächeln, aber er gab mir zu verstehen, dass er keineswegs ungehalten war.

»Mein Freund Neferti, eines Tages wirst du alle Antworten kennen. Doch bis dahin musst du den Auftrag auf Erden zu Ende führen.«

Horus gab mir eine Papyrusrolle. Ich erkannte die Insignien des Imhotep darauf.

»Das sind die Erzählungen des Imhotep. Schließe nun daran an und schreibe über die Geschichte aus deiner Zeit.«

Mit diesen Worten verschwand Horus wieder. Ein Blitz umfasste ihn und plötzlich war er nicht mehr im Raum.

Ich machte mich daran und begann über mein Volk zu schreiben. Ich möchte auch mehr über unsere Kultur berichten. Für die Menschen in dieser Zeit war der familiäre Zusammenhalt so wichtig, dass sie sich immer um ihre verstorbenen Familienmitglieder kümmerten. Diese Tradition hatte seit Anbeginn unter Skorpion keinen Abbruch erhalten. Aber der Zusammenhalt war nicht nur für das Jenseits, sondern auch für das Diesseits wichtig. Das Familienleben war ein hohes Ideal für die Menschen und die Darstellungen unserer Künstler zeigten die Familien gerne in einer harmonischen Umgebung. Die Kinder wurden den Eltern gleichberechtigt dargestellt und auch die Soldaten – die oft unterwegs gewesen waren – schätzten eine intakte Familie. Kinder wurden in Kemet geliebt und die Kindheit war meist glücklich. Verbrechen an Kindern waren die schlimmsten, die sich die kemetischen Menschen vorstellen konnten, da Kinder ohne Sünden den Göttern nahe waren. Allerdings waren nur eheliche Kinder und Waisenkinder anerkannt, uneheliche Kinder dagegen wurden verachtet.

Die Liebe wurde schwärmerisch ausgedrückt, wie es in den vielen Liebesliedern zu lesen war. Die Lieder wurden entweder solo oder mit Harfenbegleitung vorgetragen. Die Gefühle wurden zart dargestellt und grobe Schilderungen vermieden.

Zu der Verliebtheit gehörte auch die Verbundenheit zur Natur und geheime Treffen fanden in den Papyrus-Sümpfen statt. Die Schönheit des Mädchens wurde gern mit der Schönheit und Zartheit eines Baumes verglichen. Das höchste Glück für einen Jüngling war, mit dem geliebten Mädchen in einem Papyrusboot durch die Wasserarme des Nils zu rudern. Streifte das Mädchen das Leinenkleid ab und sprang ins Wasser war der Jüngling am Ziel seiner Wünsche. Und so erging es auch mir im Alter von 20 Jahren, als ich die hübsche Njif-Aret-Anch hofierte und wir eines Tages auf dem Hapi in einem kleinen Boot saßen und ich ihr Liebesgedichte vortrug. Da tat sie es. Sie lächelte auffordernd, streifte ihr Kleid ab und sprang in den Hapi. Ich tat es ihr gleich und wurde zum glücklichsten Mann Kemets. Ich hatte geheiratet, eine wunderschöne Frau mit dem Namen Njif-Aret-Anch. Sie war die Pracht des Viertels. Sie war ein gutes Weib und versorgte den Haushalt gut.

Die Menschen am Hapi hatten unter Chufu eine große Wohnkultur entwickelt. Ziel jedes Kemeten war ein Haus mit einem Garten, in dem prächtige Pflanzen und ein Fischteich Platz fanden. Die vornehmen Häuser waren großzügig gebaut und besaßen große Innenhöfe. Nach außen wirkten diese Häuser sehr schlicht, waren jedoch im Inneren umso prächtiger ausgestattet. Auch hoch spezialisierte Arbeiter hatten wunderschöne Häuser. Die Häuser waren aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet und das Flachdach konnte an milden Sommerabenden auch als Terrasse genutzt werden. Des weiteren gab es separate Räume für Bad und Toilette mit einem Toilettenstuhl.

Bei sehr armen Leuten gab es kein Dach – die Außenmauern wurden zum Schutz gegen Sonne mit Lehm verschmierten Palmzweigen abgedeckt.

Die Häuser der Noblen besaßen ausgedehnte Gärten mit Brunnen, um die sich Bäume und Büsche gruppierten, und Pavillons. Die Möbel bestanden meist aus kleinen Tischen und Stühlen sowie Truhen, in denen die Kleider aufbewahrt wurden. Die Kemeten schliefen in Betten mit einem geflochtenen Boden. Kissen und Decken dienten der Bequemlichkeit. Es gab Öllämpchen zur Beleuchtung und im Winter wurden in den Wohnzimmern Kohlebecken aufgestellt.

Die Kleidung war nur wenigen Variationen unterworfen. Durch das sonnige Klima gab es leichte Leinenstoffe aber auch Wollstoffe für die kühleren Zeiten. Die Leinenstoffe konnten von den Webern durchscheinend gewebt werden und wurden anschließend sorgfältig plissiert. Die Mode der Männer war meist ein plissierter Schurz, der einem Wickelrock glich, der Oberkörper blieb meist unbedeckt. Die Mode der Damen war meist gleich, ein langes Hemd, das mit Trägern befestigt war. Über dem Kleid konnten Umhänge aus Leinen oder Perlen getragen werden.

Wichtig waren bei uns auch Sauberkeit und Wohlgeruch, diese Entwicklung war jedoch nur in der Oberschicht zu finden. Dort wurde auch das Haar kurz getragen und der Bart rasiert. Dies bedingte, dass die Oberschicht zum Schutz gegen die Sonne Kappen trug. Die reiche Haartracht bestand aus Perücken. Die einfache Bevölkerung trug meist wirres Haar und Bärte.

Körperpflege war für die Kemeten unabdingbar. Das tägliche Bad gehörte ebenso dazu wie intensives Schminken. Auch die Männer machten davon regen Gebrauch. Die Augen der Frauen wurde besonders betont. Am unteren Lid wurde ein grüner Strich gezogen, am oberen Lid und auch die Augenbrauen wurden mit kräftigen schwarzen Strichen aus Bleiglanz geschminkt. Für die Hautpflege gab es wohlriechende Salböle, die zum täglichen Leben gehörten.

Sportliche Vergnügen und Freizeit gehörten mit zum Alltag. Durch die staatliche Organisation und die Einteilung in Berufe verfügten wir über freie Zeit, da wir nicht ausschließlich mit der Sicherung unserer Existenz beschäftigt waren. Ein Arbeiter hatte nach einer Zehn-Tage-Woche einen freien Tag. Zum Familienvergnügen gehörte die Jagd. Es wurden Enten und auch andere kleine Vögel gejagt und dafür wurden Wurfhölzer verwendet. Fische wurden mit Speeren gejagt und auch vor den gefährlichen Krokodilen und Nilpferden wurde nicht Halt gemacht. Viele rühmten sich ihres Mutes bei diesen gefährlichen Jagden in den Nilsümpfen. Weitere gesellschaftliche Vergnügen waren Brett- und Würfelspiele, die besonders bei den Männern beliebt waren.

Es war ein Erlebnis den König zu sehen. Er wurde entweder in einer Sänfte – getragen von zwölf Soldaten – dem Volk als Gott präsentiert oder es wurde eine beeindruckende Ausfahrt mit dem Wagen inszeniert. Der Gottkönig musste sich dem Volk immer als strahlender Gott präsentieren.

Am Hofe des Pharao gab es auch viele Zeremonien und Rituale. Mitglieder des Hofstaats erwarben seine Gunst durch Beziehungen. Insgesamt ging es am Hof sehr pompös zu. Besonders beliebt war der Titel »Freund des Pharao«, da dieser auf die besondere Nähe zum Herrscher hinwies. Bei Gesprächen wurde der König selten direkt angesprochen, sondern es wurde monologartig von ihm gesprochen.

Über das Privatleben der Herrscher war uns nur wenig bekannt, da es dem gemeinen Volk nicht zugänglich ist. Doch ich weiß zu berichten, dass sie sich gerne Trinkgelagen hingaben oder sich mit anderen Frauen vergnügten. Allerdings waren viele der Herrscher auch ausgesprochene Familienmenschen, die ihre große Anzahl der Kinder genossen.

Die große königliche Gemahlin besaß die meiste Anerkennung, denn sie durfte ebenso wie der König auf Darstellungen die Uräusschlange tragen. Auch nach ihrem Tod behielt sie die Wertschätzung, da sie die Mutter des Thronfolgers und damit die Mutter eines Gottes war. Neben der großen königlichen Gemahlin gab es Nebenfrauen, die zum Teil aus politischen Gründen geheiratet wurden und mit den Kindern des Pharao in einem Harem lebten. Die Kinder wurden zusammen mit Kindern der Oberschicht unterrichtet und erhielten eine ausgesucht gute Erziehung und Schulbildung. Dadurch wurden bereits sehr früh wichtige Freundschaften geschlossen.

In der vornehmen Gesellschaft unseres Volkes wurden sehr gerne Festmähler genossen. Tänzerinnen, die lediglich mit einer Perücke, einem Schmuckkragen und einem Gürtel bekleidet waren, trugen zur Unterhaltung der Gäste bei. Die Gäste saßen auf kleinen Hockern und es wurden Berge von Essen aufgetragen und Wein in feinen Gefäßen serviert. Auf Wohlgerüche war man sehr bedacht und die Damen trugen Parfümkegel in den Perücken, die im Verlauf eines Abends schmolzen und Wohlgeruch hinterließen. Dienerinnen reichten Schalen mit Wasser zur Reinigung der Hände.

Die Familie war, wie ich bereits berichtete, in der Gesellschaft das Zentrum. In der Regel heirateten Frauen im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren. Die Männer waren etwas älter, da sie in der Lage sein mussten, die Familie zu versorgen. Meist besaßen sie zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits ein kleines Haus, in das die Frau als Herrin des Hauses einziehen konnte. Die Liebesheirat war am erstrebenswertesten, auch wenn meist die Eltern eine Ehe arrangierten. Die Ehefrauen waren den Männern gleichberechtigt und konnten über ein eigenes Vermögen oder auch über Ländereien verfügen und eigenen Geschäften nachgehen. Normalerweise wurde eine Einehe geführt. Die Vielehe war nur in den gehobenen Gesellschaftsschichten zu finden, da sie für den Normalbürger in der Regel unerschwinglich war. In jedem Fall war eine Vielzahl von Kindern erstrebenswert, da mein Volk zum einen sehr kinderlieb war und zum anderen durch die Kinder der Totenkult für die eigene Person gesichert war. Während der Schwangerschaft einer Frau musste diese vor bösen Geistern geschützt werden. Es gab auch einen Schwangerschaftstest, bei dem die Frau regelmäßig auf ein Säckchen mit Weizen und Gerste Urin geben musste. Keimten die Samen schneller als gewöhnlich, war die Frau schwanger.

Die Kinder gingen zur Schule, wobei der Unterricht für die Kinder der Oberschicht ein Muss darstellte. Dennoch konnten die Kinder aller Schichten zur Schule gehen. War ein Kind begabt, konnte es gefördert werden. In der Regel wurden nur die Knaben zur Schule geschickt und vermutlich konnten nur drei bis vier Prozent der Bevölkerung schreiben und lesen. Meist handelte es sich dabei um Angehörige der Oberschicht. Die Erziehung in den Schulen war sehr streng und auch Prügelstrafen wurden ausgeführt.

Durch die göttliche Herkunft der Gottkönige vereinigten sie in sich die Macht im Staate und waren die höchste Instanz. Der mächtigste Mann neben dem Pharao war der Wesir und bekleidete das höchste Amt im Staat. Meist erhielten nur engste Familienmitglieder dieses Amt, da es sich dabei um eine besondere Vertrauensstellung handelte. Der Wesir wurde durch eine besondere Schulung auf dieses Amt vorbereitet. Es wurde jedoch auch eine große Anzahl von Beamten mit einer großen Anzahl von Positionen beschäftigt. Es gab Hunderte unterschiedliche Ämter und Titel. Einfachen Schreibern standen Vorsteher vor und es gab noch Unter- und Nebenvorsteher. Die Beamten wurden mit Naturalien entlohnt und konnten diese auf den Märkten gegen andere Naturalien tauschen.

Bei besonderen Verdiensten gab es zusätzliche Entlohnungen in Gold. Damit konnten sich diese Beamten der Gunst des Herrschers sicher sein und ein finanziell abgesichertes Dasein führen. Das Beamtendasein hatte aber auch seine Nachteile, da durch die umfassende Ausbildung jederzeit ein Beamter versetzt werden konnte und sie umziehen mussten. Es existieren Aufzeichnungen, in denen ein Schreiber über einen langweiligen Alltag klagte, nachdem er aus Memphis in die Provinz versetzt wurde. Unter den Beamten gab es auch manchen neidischen Kollegen, der zugunsten seiner Karriere sofort bereit war, Fehler und Unzulänglichkeiten eines anderen an den Vorgesetzten zu melden. Verstöße gegen die Vorschriften konnten sogar dem König vorgelegt werden. Das Büro des Gottkönigs war befugt sich auf allen Ebenen in die Verwaltung einschalten und Überprüfungen vornehmen.

Die zentrale Verwaltungswirtschaft in Kemet funktionierte reibungslos. Die Arbeitsleistungen wurden von Beamten des Königs registriert und alle Fehlzeiten – auch Krankheiten – mussten nachgearbeitet werden. Auch wenn durch fleißige Arbeit ein gewisser Wohlstand erreicht werden konnte, war es doch unmöglich, die Grenzen des eigenen Standes zu überschreiten. Meist wurden die Berufe von den Vätern auf die Söhne vererbt. Der König war ein strenger Landesherr, hatte jedoch gegenüber der Bevölkerung auch die Verpflichtung für sie zu sorgen. Die Aufrechterhaltung des Staates war jedoch nur mit einem hohen Kostenaufwand möglich und von der Steuerlast war außer den Hohepriestern keiner befreit. Die Steuern wurden in Naturalien oder als Arbeitsleistung eingezogen. Für die Landwirtschaft wurden die Steuern nach dem Wasserstand des Hapi bemessen. An verschiedenen Stellen des Flusses wurde der Wasserstand gemessen, um aus allen Werten den durchschnittlichen Ernteertrag zu errechnen. Ein hoher Wasserstand bedeutete eine gute Ernte. Die Steuern wurden aus Bodenbeschaffenheit und Ernteertrag berechnet. Bei widerspenstigen Bauern wurden die Steuern von den Steuerbeamten mit dem Stock eingetrieben.

Es existierte keine Trennung von Staatsführung und Justiz. Der König war die Verkörperung aller Autorität und handelte nach dem Gesetz der Maat, die die Weltordnung verkörperte. Erster Richter im Staat – als direkter Vertreter des Pharao – war der Wesir, aber auch Priester waren Würdenträger mit Richterfunktion. Gegen Missstände innerhalb der Beamtenschaft wurden harte Strafen verhängt wie etwa Abschneiden der Nase, Schlagen von offenen Wunden oder auch Verbannung in Oasen am Rande der Wüste.

Mein Volk war eine recht prozessfreudige Gemeinschaft und hinterließ schon in den vier Dynastien eine Menge an straf- und zivilrechtlichen Prozessakten. Kleinere Streitfälle wurden vor Lokalgerichten vorgetragen und das Gericht, bestehend aus Würdenträgern, Vorarbeitern und Schreibern, versuchte aufgrund von Gewohnheitsrechten und Entscheidung des Pharaos ein Urteil zu fällen. Schwerwiegende Streitfälle wurden vor einem hohen Gerichtshof und Vorsitz des Wesirs vorgetragen. Leichtere Strafen waren Stockschläge, dann kamen körperliche Verstümmelungen. Auch Zwangsarbeit war ein Strafmaß sowie die Verbannung in die Wüste. Bei Mord, Grabraub oder manchmal auch bei Ehebruch wurde die Todesstrafe verhängt.

Schon seit Menes-Narmer gab es Polizeieinheiten, die vom Militär getrennt waren. Sie waren bei der Eintreibung von Steuern behilflich, hatten Gräber zu schützen und Verwaltungsvorgänge zu überwachen. Eine eigens dafür eingerichtete Flusspolizei hatte den Schmuggel mit Schiffen zu verhindern und in der Wüste sorgte eine Wüstenpolizei für den Schutz der Karawanen.

Alle Tempel in Kemet hatten eine große, beamtete Priesterschaft. Außerdem gab es noch weitere ehrenvolle Positionen, die mit dem Beruf desjenigen zu tun hatten. So waren Ärzte gleichzeitig Priester der löwenköpfigen Göttin Sechmet und Künstler Priester des Ptah. Desgleichen waren zahlreiche Priester ebenso Gelehrte. Sie arbeiteten außerhalb Ihrer Gebetshandlungen an wissenschaftlichen Dingen. Für jeden Tempel gab es einen Vorsteher der Priester, die gesamten Priesterschaften des Reiches wurden zusammengefasst und von einem Oberpriester geleitet, der in Theben residierte. Zwischen dem König und dem Priester entstand eine gewisse Konkurrenz und der thebanische Oberpriester nannte sich wiederholt Priesterkönig, da er neben seinen religiösen Tätigkeiten auch noch politische Aufgaben übernahm.

Kemet war Geschenk des Hapi. Er war die einzige Lebensader des Landes. Von seinen Überschwemmungen hing der Wohlstand der Bevölkerung ab. Gleichzeitig verstanden es die Menschen durch ein ausgeklügeltes Kanalsystem, welches wir Ré-Anhetes-Atlan verdankten, die Ackerflächen auszuweiten und besser zu nutzen. Es entstanden Rückhaltebecken, in denen das Wasser nach einer Nilüberschwemmung gespeichert wurde.

Hauptsächlich wurden Gerste und Emmerweizen angebaut. Flachs wurde zur Herstellung von Bekleidung angebaut und Zedernholz aus anderen Ländern importiert. Der Weinanbau erfolgte im Hapidelta. Es gab auch Viehzucht und es wurden Fleisch, Milch, Wolle und Felle verwendet. Tiere wurden sowohl als Arbeits- als auch als Haustiere gehalten. Der Fischfang bot des weiteren Nahrung genauso wie die Geflügelzucht. Der Staat legte auch Lebensmittelreserven an, um Hungersnöten vorzubeugen.

Mein Volk war von den Göttern beschenkt worden. Ich bete, dass sie dieses Geschenk nicht eines Tages leichtfertig verspielen würden.

*

Zwei Jahre später kehrte Chufu von einem siegreichen Feldzug zurück. Er war erst vier Jahre im Amt, doch von dem Wunsch beseelt, ein ebenso prächtiges Monument zu bauen, wie sein Vater Snofru. Unterstützt wurde er von dem Baumeister Ré-Korach. Sein mächtigster Wesir Hem-On sollte der Vollstrecker der Tat werden.

Ich bekam beiläufig mit, wie ein Fremder mit dem Namen Ré-Anchor hervorragende Berechnungen für ein kleines, pyramidenförmiges Grab lieferte. Die exakten mathematischen Berechnungen perfektionierten die Pyramiden des Snofru.

Ich wurde zu Chufu gebeten. An jenem Tag erschienen uns Isis und Horus. Isis war eine Frau wie eine von uns. Sie war wunderschön, mit Worten kaum zu beschreiben. Ihr prachtvolles, weißes Gewand wurde durch ihre Figur betont. Lange, schwarze Haare, volle Lippen. Ein Anblick zum dahinschmelzen. Ihre Augen waren dunkel und geheimnisvoll, doch sie strahlten ein Gefühl der Liebe zu uns aus. Die Liebe einer Mutter.

Ré-Korach und Hem-On waren ebenfalls anwesend. Ich bemerkte bei Chufu, dass er bereits zu den Erleuchteten gehörte, denn er zeigte keine Überraschung, im Gegensatz zu Hem-On und Ré-Korach.

Isis begrüßte uns freundlich.

Dann sprach ihr Sohn Horus: »Ich habe euch gebeten, euch hier zu versammeln, weil wir einen neuen Auftrag für euch haben.«

Wir lauschten gebannt den Worten des Horus: »Amun ist uns nach vielen Jahren erschienen und wies uns darauf hin, dass ein wichtiges Artefakt eines seiner Diener, Laire, im Sand der Zeit vergraben ist. Es befindet sich auf dem Plateau Ro-Setau. Dort wirst du, Chufu, deine Pyramide errichten lassen. Sie soll die gewaltigste von allen werden. Grabt das Artefakt aus und versteckt es tief im Inneren der Pyramide. Legt eine unbekannte Kammer an, viele Meter tiefer in den Boden als bei den Pyramiden deines Vorgängers. Dort soll das Artefakt ruhen und nicht in falsche Hände geraten. Solange, bis es an der Zeit ist, gefunden zu werden.«

Chufu, sonst so stark und mächtig, wirkte verlegen wie ein kleiner Schuljunge. Er bestätigte den Befehl.

»Dieses Monument soll zu deiner Ehre sein und der der Götter«, fügte Isis hinzu. »Es wird eine noch nie dagewesene Aufgabe sein, die Pyramide zu bauen. Wenn ihr es schafft, ist das Volk der Kemeten einen Schritt vorangekommen.«

»Wir werden die prächtigste Pyramide bauen«, schwang Ré-Korach pathetisch. »Sie soll zu Ehren Chufus, Laires und der Götter sein. Wir werden es überall preisen!«

»Tut das. Nur lasst Laire weg. Es soll ein Geheimnis bleiben«, erklärte Horus. Dann verschwanden die beiden. Ein Blitz hüllte sie wieder ein und sie waren weg.

In den folgenden Jahren begann der Bau der Pyramide. Wie Horus und Isis es vorhergesagt hatten, fanden wir das Artefakt.

Nur vier Menschen wussten von dessen wirklicher Bestimmung. Jeder dieser vier war den Göttern treu ergeben und würde niemals etwas verraten.

Ré-Anchor zog sich mehr und mehr aus dem Bau zurück, so dass Ré-Korach die Arbeit erledigte, die er aber ohne die Berechnung des seltsamen Ré-Anchor nie hätte durchführen können.

Ich rief mir bei Imhoteps Aufzeichnungen den Fremden Ré-Anhetes-Atlan ins Gedächtnis. Der weise Fremde beflügelte unsere Zivilisation zu Zeiten des Narmer. Ähnlich wie Ré-Anchor. Ob sie aus demselben fremden Lande stammten?

Die Jahre zogen ins Land und meine Frau schenkte mir vier Kinder. Die Pyramide des Chufu war vollendet. Die zwanzig Jahre des Baus waren schwierig. Anfangs war das Volk mit Begeisterung dabei. Die Pyramide schweißte uns zusammen. Doch nach zehn Jahren kam die Ernüchterung und der sonst so gütige Chufu musste seine Stärke ausspielen. Der Staat war beinahe geldlos und die Motivation der Arbeiter war am Boden.

Chufu schwang die Peitsche und ordnete sogar Hinrichtungen an, falls die Arbeit nicht klappte. Viele späteren Geschichtsschreiber werden diese Notwendigkeiten verurteilen, doch sie werden nicht wissen können, dass wir im Auftrag unserer Götter handelten und kein Preis dafür zu hoch war.

Chufu selbst lebte glücklich mit Henutsen zusammen, die ihm die Kinder Djedefré und Chafre schenkt. Merit-Ites war seit vier Jahren tot. Doch auch sie hinterließ Kinder. Sie hießen Meresanch, Bafré und Kawab.

Die große Pyramide war nun fertig gestellt. Nur das zählte. Zuletzt arbeiteten die Arbeiter wieder mit Freude daran, das Werk näherte sich dem Ende.

Ré-Korach war alt geworden und wirkte auf mich müde. Mit meinen 44 Jahren fühlte ich mich noch sehr vital. Ich wusste nicht, wie viele Jahre noch vor mir liegen würden.

Zwanzig Meter oberhalb der Sargkammer wurde noch eine weitere Kammer angelegt. Ré-Korach hatte viele versteckte Stollen eingebaut. Es geschah auf Anweisungen der Götter. Anubis war diesmal erschienen.

Was sie mit den Geheimkammern bezweckten wusste niemand. Der Weg zur 32 Meter tiefer liegenden Kammer mit dem Artefakt des Laire wurde mit Sand, Lehm und Stein zugeschüttet. Niemand sollte den Weg dahin finden. Zumindest in unserer Zeit nicht.

Dann starb unser Pharao nach langer Regentschaft. Sein Haus der Ewigkeit stand für seine Ruhe bereit. Henutsen folgte ihrem Mann freiwillig in den Tod und wurde in der Königinnenpyramide beigesetzt.

Djedefré, der Sohn von Chufus Nebenfrau, wurde der Nachfolger des Gottkönigs. Chafre war darüber erbost, denn er sah sich als rechtmäßigen Erben an. Er war der Sohn der Großen Gemahlin Henutsen, doch in den Augen von Chufus Freund und Wesir Hem-On war er noch nicht reif.

Djedefré begann mit dem Ausbau des Ro-Setau-Plateaus. Ein riesiger Sphinx und viele Tempelanlagen wurden erschaffen, deren Fertigstellung er nicht mehr erlebte. Zusammen mit Hem-On starb er auf seiner Reise nach Abydos. Sie gerieten in einen Hinterhalt von Staatsfeinden, wie es hieß. Es gab Beamte, die Chafre dahinter vermuteten, der zwei unliebsame Personen losgeworden war.

Hem-On und seine Gemahlin wurden im steinernen Sarkophag über dem geheimen Eingang zu Chufus Grab beigesetzt. Eine grüne Statue des Osiris wachte über das Grab.

Die Pyramide des Djedefré wurde nicht fertig gestellt. Trotzdem wurde er dort beigesetzt. Chafre erschienen die Götter, wie er mir mitteilte. Mein Ansehen wuchs, da ich schon unter seinem Großvater Snofru gedient hatte und mit meinen 53 Jahren bereits unter drei Gottkönigen lebte.

Meine Kinder wuchsen heran und Chafre setzte das Werk seines Vaters fort, auch wenn er ihm nie wirklich vergeben hatte. So versuchte er sogar das Andenken an Chufu zu löschen, indem er viele Tempel umbaute und Statuen durch die seinigen ersetzen ließ.

Der Sphinx wurde vollendet und trug sein Gesicht. Horus hatte ihm geraten die zweite große Pyramide zu bauen und Ré-Korach half ihm wieder dabei. Auch er hatte ein hohes Alter erreicht, schien aber ebenso agil zu sein, wie ich es war.

Die Daten für die Pyramide lieferte uns Horus. Exakt an diesem Platz wurde sie gebaut. 215 × 215 Meter Kantenlänge und eine Höhe von 143 Metern. Er hatte nicht die Größe seines Vaters erreicht, was ihm schwer zu schaffen machte.

Auch wuchs die Unzufriedenheit im Volke, da die ständigen Anstrengungen zum Bau der Pyramiden dem Volk zu schaffen machte. Doch Chafre verstand es, alles in Einklang zu bringen und die prächtige Fassade des mächtigen Kemets bröckelte nicht.

Zweiunddreißig Jahre lang regierte Chafre und die zweite große Pyramide wurde zu seinen Lebzeiten fertig gestellt. Inzwischen war ich fünfundachtzig Jahre alt und viele um mich waren tot. So auch Ré-Korach und meine geliebte Frau.

Meine Kinder wurden alt und ich begann mich nach dem Tode zu sehnen. Doch meine Aufgabe war noch nicht beendet.

Auf Chafre folgte Bicheris, der nur sechs Jahre lang regierte. Dann kam Menkaure an die Macht, ein Sohn des Chafre.

Auch er war von den Göttern erleuchtet und schilderte mir, dass er eine dritte Pyramide bauen sollte. Wieder wurden ihm exakte Daten gegeben. Als ich einundneunzig Jahre alt war, begann der Bau.

Nun, dreizehn Jahre später, im dreizehnten Regierungsjahr des Menkaure, neigt sich mein Leben dem Ende. Alle sind tot, die ich kannte. Ich habe die Gottkönige Snofru, Chufu, Djedefré, Chafre, Bicheris und Menkaure erlebt. Ich spüre, dass es zu Ende geht. Ich will den Weg bestreiten, den meine Frau und nun auch meine Kinder gegangen sind. Es ist nicht schön für einen Vater, seine Kinder zu überleben. Doch angetrieben von dem Auftrag des Horus habe ich solange gearbeitet, wie es nur ging.

Nun geht es nicht mehr. Mein Herz, meine Organe, mein Körper können nicht mehr. Es ist Zeit für einen alten Mann zu sterben.

Mein Ka wird durch die zwölf Pforten des Duat gehen, sich vor dem obersten Gericht verantworten und hoffentlich zu Osiris geleitetet werden und dann würde ich auf einer Barke mit Ré schwimmen.

»So wird es geschehen«, hörte ich eine Stimme.

Müde drehte ich mich um. Horus stand vor mir. Er war nicht gealtert, er war aber auch ein Gott.

»Deine Zeit ist gekommen, treuer Freund Neferti. Du hast vieles an Geschichte geschrieben und dazu beigetragen, ein fundiertes Werk zu verfassen. Gib mir deine Aufzeichnungen!«

Erschöpft raffte ich mich auf und lief zu einem Schrank. Dort hortete ich die unzähligen Papyrusrollen.

Dies – eine Zusammenfassung – ist die letzte, die ich schreiben werde. Horus erlaubte mir, sie auf dem Weg zum Jenseits noch weiterzuschreiben. Er war erfreut über meinen Eifer.

»Ich will dir nun etwas zeigen, was noch kein lebender Mensch vor dir gesehen hat. Sieh es als Lohn deiner Dienste an.«

Er nahm mich bei der Hand und ich sah, wie der Blitz uns umgab. Ich spürte, wie sich mein Körper auflöste und wieder zusammensetzte. Vor meinen Augen spielte sich Unfassbares ab. Ich stand in einer großen Halle aus purem Gold. Große Wachen standen in einer Reihe. Sie sahen aus wie Anubis, trugen jedoch nicht seine prächtige Rüstung. Die Lichter waren künstlich, ohne Flamme. Ré selbst musste sie erschaffen haben.

Eine wunderschöne Frau kam uns entgegen.

»Hathor, das ist Neferti, unser treuer Freund«, erklärte ihr Horus.

Ich war sprachlos. Ich war bereits im Jenseits, denn die Götter standen vor mir. Sie hielt ein kleines Ding aus Bronze oder einer ähnlichen Legierung in der Hand.

»Schon wieder dieser Rico«, erzählte sie und lächelte mir zu. »Die Sonde hat es weit geschafft. Ich werde sie umprogrammieren und wieder zurück schicken. Er und Atlan ermahnen uns immer wieder, unsere Bemühungen unentdeckt zu bleiben, zu verschärfen.«

»Nun, es ist Amuns Wunsch, dass wir keinen Kontakt zu nicht einheimischen Intelligenzen aufnehmen, egal ob Arkoniden, Akonen, Cynos oder diese Frau, die auf der Insel im mittleren Meer schläft«, meinte Horus. »Auch wenn Atlan uns sehr ähnlich ist und ich am liebsten mit ihm zusammenarbeiten würde, dürfen wir den Befehl Amuns nicht außer Acht lassen. Wir haben ihn schon oft genug enttäuscht.«

Ich stand schweigend daneben. Horus nahm mich bei der Hand und führte mich durch die Hallen. Überall waren Wesen aus einer Bronzelegierung, künstliche Lichter, die funkelten. Es überstieg meine kühnsten Erwartungen.

»Wo sind wir?«, fragte ich schließlich.

»Wir sind 100 Meter unterhalb des Ro-Setau-Plateaus, direkt unter den drei Pyramiden. Hier wohnen wir. Seit einigen Tausenden von Jahren.«

»Das ist also die Unterwelt …«

Horus lachte über meine Vermutung. »Mein Freund, ist dein Ka erst einmal in Osiris aufgegangen, wirst du die Zusammenhänge erfahren. Du wirst die Kas von Skorpion, Narmer, Djoser, Imhotep, Snofru, Chufu und Chafre wiedertreffen, sowie die einiger Hohepriester und auch das Ka deines Vaters. Nur die bedeutenden Bewusstseine sind mit Osiris eins geworden. Es ist eine hohe Ehre.«

Ich wusste, dass er recht hatte. Doch ich wollte mit meiner Familie wieder vereint sein. Ich gestand ihm voller Frevel und Missachtung zu seinem großzügigen Angebot meine Gefühle. Ich wollte eins mit meiner Frau und meinen Kindern werden.

»Sie sind nicht mit Osiris eins geworden«, sagte er leise. »Sie … sie sind den normalen Weg eines Kas gegangen.«

»Dann will ich ihn auch gehen.«

Horus sah mich stumm an. Hathor und Anubis musterten mich erstaunt.

»Meine Götter, ich habe euch nie um etwas gebeten, seit 94 Jahren diene ich euch ergeben. Aber nun bitte ich euch, lasst mein Ka zu denen meiner Frau und Kinder. Ich weiß, dass ich für diese Anmaßung verdient hätte, auf ewig verflucht zu sein …«

Horus legte seine Hand auf meine Schulter.

»Nein! Dein Wunsch ist menschlich und ich werde ihn dir erfüllen. Du hast uns lange gedient und es im Tod verdient, dein eigener Herr zu sein. Nimm diese Flüssigkeit und du wirst mit deinen Lieben eins werden.«

Horus gab mir einen Becher aus Gold. Ich trank davon und spürte die Wirkung des Giftes. Er half mir mich hinzusetzen. Ich war stolz auf mein Werk und voller Dankbarkeit. Die Götter haben mir ein ehrenvolles Leben geschenkt und schenken mir das Leben danach mit meiner Familie. Lang lebe Osiris, lang lebe Kemet …

 

Land der Pharaonen

Zeitlos leuchteten die Sterne am Firmament. Ein zeitloser Himmel in einem zeitlosen Land. Bauten aus längst vergangenen Tagen standen neben modernen Hochhäusern und Raumhäfen.

Ägypten war eines der traditionsreichsten Länder Terras, denn es symbolisierte so viele verschiedene Kulturen direkt nebeneinander.

Zwei alte Obelisken aus der Zeit des Pharaos Sethos I. standen vor dem Portal des Luxushotels in Kairo. Dort befand sich auch eine TLD-Abteilung, in der noch zu später Stunde gearbeitet wurde.

Denise Joorn hatte die Erzählungen von Imhotep und Neferti noch nicht verdaut. Diese Zeitzeugenberichte waren mehr wert gewesen als alle bisherigen Funde von Ägyptologen, sah man von den SÄULEN DER EWIGKEIT, der Entdeckung des Auges des Laire und den Berichten von Atlan einmal ab.

Doch diese Papyri bewiesen die Existenz der altägyptischen Götter, zumindest die von Anubis, Thot, Isis und Horus, die Imhotep und Neferti erleuchtet hatten.

Die Terranerin band sich ihre Haare zu einem Zopf zusammen und nahm ohne hinzusehen ihre Tasse Kaffee, doch das schwarze Getränk schmeckte ihr so kalt gar nicht mehr. Sie stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Dort goss sie die Tasse voll.

Ein flüchtiger Blick auf das Chronometer verriet ihr, dass sie vier Stunden über den Erzählungen von Imhotep und Neferti gesessen hatte.

Es war spät nachts, doch Denise war in keiner Weise müde. Perry Rhodan, Stewart Landry und der restliche Suchtrupp durchkämmten die Gegend um Gizeh in der Hoffnung, Osiris irgendwo dort zu finden.

Denise konnte ihnen dabei wenig helfen. Sie war zwar eine Forscherin, doch der Terranische Liga Dienst hatte weitaus mehr Möglichkeiten bei dieser Art von Forschung.

Voller Ehrfurcht betrachtete sie die Papyri. Das war der Lohn für ihre Nachforschungen seit 1296 NGZ. Über zwei Jahre hatte sie auf Seshur und der Erde gesucht, musste sich gegen Kawai Muhalla und Johannes van Kehm behaupten. Doch nun hatte sie die Wahrheit erfahren. Ein Geheimnis, das seit Jahrtausenden von Muhallas Vorgängern vertuscht worden war.

Sie konnte den Blick nicht von dem Papyri des Meriré lassen. Meriré war der oberste Hohepriester des Aton gewesen. Er lebte zu der Zeit des ketzerischen Sonnenpharaos Echnaton – jenem Pharao, der mit der berühmten Nofretete verheiratet war und die alten Götter abschaffen ließ. Seine Regentschaft war der Sonnenscheibe Aton gewidmet, doch nach dessen Tod wurden die alten Sitten wiederhergestellt.

Gebannt setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl und öffnete die Schriftrolle. Dann begann sie zu lesen und tauchte wieder in eine Welt ein, die mehr als 5.000 Jahre zurücklag …

 

Kemet im Jahre 1350 vor Christus

Q

Du erscheinst in der Vollkommenheit deiner Schönheit

Am Himmelshorizont,

Du lebendige Sonne,

Die Leben zuweist;

Du bist aufgegangen am östlichen Horizont,

Du hast jedes Land erfüllt mit deiner Schönheit.

Du bist schön, gewaltig und strahlend,

Du bist hoch über jedem Land,

Deine Strahlen umfassen die Länder

Bis ans Ende deiner ganzen Schöpfung.

Als das Sonnenprinzip

Regierst du die Länder bis an ihre Grenzen,

Du unterwirfst sie deinem geliebten Sohn.

Du bist fern,

Aber deine Strahlen sind auf Erden,

Du bist in unserem Angesicht,

Aber man kann deinen Gang nicht erkennen;

Gehst du unter in der westlichen Lichtregion,

Ist die Erde in Finsternis, in der Verfassung des Todes.

Die Menschen schlafen in ihren Kammern,

Verhüllt sind ihre Köpfe,

Niemand erkennt seinen Bruder.

Stiehlt man ihre Habe unter ihren Köpfen,

So merken sie es nicht.

Alle Löwen kommen aus ihren Höhlen,

Alles Gewürm sticht.

Die Erde liegt in Schweigen,

Die tiefere Finsternis herrscht,

Ihr Schöpfer ist untergegangen an seinem Horizont.

Du erhebst dich des Morgens am Horizont,

Du leuchtest als Sonne des Tages,

Du vertreibst die Finsternis,

Du verbreitest deine Strahlen.

Die zwei Länder feiern dir zu Ehren,

Die Menschen erwachen,

Sie stehen auf ihren Füßen,

Du hast sie aufgerichtet.

Sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an,

Ihre Arme sind erhoben in Lobgebärden bei deinem Erscheinen.

Das ganze Land tut seine Arbeit,

Alles Vieh sättigt sich an seinen Kräutern,

Bäume und Pflanzen wachsen,

Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern,

Ihre Flügel entbreitet in Lobgebärden für deine Lebenskraft,

Alles Wild tanzt auf seinen Füßen,

Alles, was auffliegt und sich niederlässt,

Sie leben wenn du für sie aufgehst.

Die Schiffe fahren stromab und stromauf in gleicher Weise.

Jeder Tag ist eröffnet durch dein Erscheinen.

Die Fische im Fluss hüpfen vor deinem Angesicht,

Deine Strahlen dringen ins Innere des Großen Grünen.

Du bewirkst, dass der Embryo bei den Frauen entsteht,

Du produzierst den Samen beim Mann,

Du erhältst den Sohn im Leib seiner Mutter am Leben,

Du beruhigst ihn,

Indem du seine Tränen stillst.

Du bist die Amme dessen,

Der sich noch im Schoß verbirgt,

Du spendest fortwährend den Hauch,

Der jeder Kreatur Leben schenkt.

Wenn sie herabkommt aus dem Leib,

Um zu atmen am Tag ihrer Geburt,

Öffnest du ihren Mund gänzlich

Uns sorgst für ihren Bedarf.

Wenn das Küken im Ei zwitschert in der Schale,

Dann gibst du ihm Luft darinnen,

Um es zu beleben.

Du hast für es befohlen

Eine strenge bemessene Zeit des Brütens,

In der es vollständig wird;

Es zerbricht seine Schale von innen,

Es schlüpft aus dem Ei, es spricht.

Zu festgelegtem Zeitpunkt

Schlüpft es heraus und läuft auf seinen Füßen.

Wie viel ist, was du geschaffen hast,

Indem es unseren Augen verborgen ist,

Du einziger Gott ohne Gleichen.

Du hast die Erde erschaffen nach deinem Herz-Bewusstsein,

der du allein warst.

Menschen, Herden, jegliches Wild,

Alles was auf Erden ist

Und auf seinen Füßen läuft,

Alles, was in der Luft ist

Und mit seinen Flügeln auffliegt,

Die Fremdländer von Syrien und Nubien,

Das Land von Ägypten,

Du stellst jedermann an seinen Platz

Und schaffst seinen Bedarf.

Die Zungen sind verschieden im Sprechen,

Ihre Eigenschaften desgleichen,

Ihre Hautfarbe ist unterschiedlich,

Denn du unterscheidest die Fremdländer.

Du machst einen Nil in der unteren Welt

Und bringst ihn herauf nach deinem Belieben,

Um die Menschen Ägyptens am Leben zu erhalten,

Wie du sie geschaffen hast.

Du bist ihrer aller Herr,

Der sich abmüht mit ihnen,

Du Herr eines jeden Landes,

Der aufgeht für sie.

Du Sonne des Tages, gewaltig an Hoheit,

Alle fernen Länder, du schaffst ihren Lebensunterhalt,

Du hast einen Nil an den Himmel gesetzt,

Dass er herabsteige zu ihnen,

Er gibt den Wasserläufen ihre Form,

Um ihre Äcker und ihre Orte trunken zu machen.

Wie wirkungsvoll sind seine Pläne,

Du Herr der unendlichen Zeit,

Der Nil am Himmel,

Du gibst ihn den Fremdvölkern

Und den Wildtieren der Wüste,

Die auf ihren Füßen laufen;

Für das Geliebte Land,

Kommt der Nil aus der unteren Welt.

Deine Strahlen säugen alle Felder,

Wenn du aufgehst,

Leben sie und wachsen um deinetwillen.

Du fügst die Jahreszeiten,

Damit sich entwickele,

Was alles du schaffst:

Den Winter, die Menschen zu kühlen,

Die Hitze, damit sie dich schätzen.

Du hast den Himmel in der Ferne geschaffen,

Um an ihm aufzugehen,

Um alles zu sehen, was du erschaffst,

Du bleibst in deiner Einheit.

Du bist aufgegangen

In deiner Verkörperung als lebende Sonne,

Du bist erschienen und strahlend,

Du bist fern und nah zugleich.

Du erschaffst in Ewigkeit

Millionen Verkörperungen aus dir,

Dem Einen.

Städte und Dörfer, Äcker, Wege und Flüsse,

Alle Augen sehen dich ihnen gegenüber,

Indem du als Sonne des Tages

Über der Erde bist.

Wenn du gegangen bist,

Ist kein Geschöpf mehr da,

Das du gezeugt hast,

Damit du nicht deinen Leib

Als einziges deiner Geschöpfe sehen müsstest.

Keiner, den du gezeugt hast, sieht dich,

Du wohnst in meinem Herzen.

Kein anderer kennt dich,

Außer deinem Sohn Echnaton,

Du lässt ihn kundig sein deiner Pläne

Und deiner Macht.

Die Erde entsteht auf deinen Wink,

Wie du sie erschaffen hast.

Du gehst auf für sie,

Sie lebt.

Du gehst unter,

Sie stirbt.

Du bist die Lebenszeit selbst,

Man lebt durch dich.

Die Augen ruhen auf deiner Vollkommenheit,

Bis du untergehst,

Alle Arbeit wird niedergelegt,

Wenn du untergehst im Westen.

Wenn du aufgehst,

Lässt du alles Seiende wachsen für den König;

Eile ist in jedem Fuß,

Seit du die Erde gegründet hast.

Du richtest sie auf für deinen Sohn,

Der aus deinem Leibe kam,

Den König von Ober- und Unterägypten,

Der von der universellen Harmonie lebt,

Den Herrn der Zwei Länder,

Den Sohn des Re,

Der von der universellen Harmonie lebt,

Den Herrn der Kronen,

Echnaton,

Möge seine Lebensdauer groß sein!

Möge seine Große Gemahlin, die er liebt,

Die Herrin der zwei Länder,

Nofretete,

Leben und sich verjüngen,

Für alle Zeit in Ewigkeit.

Sonnenhymnus des Aton – 18. Dynastie unter König Amenhotep IV. – Echnaton

*

Ich bin Meriré, Hohepriester des Pharaos Ach-et-Aton, dem Pharao über Kemet, der Inkarnation des einen und wahren Gottes Aton.

Dessen war ich damals überzeugt. Doch heute sehe ich alles anders. Aton ist nicht der Gott der Wirklichkeit. Aton ist nicht die allmächtige Sonnenscheibe. Aton war ein Hirngespinst des Pharaos Ach-et-Aton und seiner bezaubernden Frau, der wunderschönen Nefertiti.

In hohem Alter und nach dem Ende des Pharaos musste ich eingestehen, gefrevelt zu haben. Ich hatte mich an Amun, Ré, Osiris und Horus versündigt. Ich hatte den Glauben an sie verloren und sie bestraften mich. Sie hatten Echnaton und Nofretete für ihr ketzerisches Verhalten bestraft. Mit mir waren sie gnädig und trugen mir einen Auftrag zu. Ihre größte Bestrafung war, sich mir zu offenbaren und mir damit zu zeigen, dass alles falsch war, an was ich geglaubt hatte.

Aton war eines Tages nicht mehr existent. An jenem Tage stand Anubis vor mir und beauftragte mich, die Geschichte ihrer und unseres Volkes weiter zu schreiben. So höret, was ich zu verkünden habe …

*

Nach dem Tode Nefertis und Menkaures gab es keine lebende Person mehr, die mit den Göttern in Kontakt getreten war. So blieb es auch. In den folgenden zweihundert Jahren hielten sich die Götter aus den Geschicken unseres Volkes zurück. Wir sollten lernen die Früchte der IV. Dynastie zu ernten. Der Pyramidenbau ging weiter, doch keine konnte die Pyramiden des Chufu, Chafre und Menkaure übertreffen.

Gottkönig Unas war der erste, der in seiner Pyramide Inschriften setzen ließ. Damit begann er die Pyramide einem Tempel gleichzusetzen.

Doch die hohen Kosten, die vielen Entbehrungen und die verlorenen Leben hinterließen ihre Spuren im Alten Reich. In der VI. Dynastie steuerte das Reich in eine Krise. Die Pyramiden wurden nun wesentlich kleiner, doch die Unzufriedenheit im Volk wuchs und die Macht der korrupten Beamten stieg von Tag zu Tag.

Unter der schier endlos langen Regentschaft des Königs Pepi II. war der Untergang des Alten Reiches nicht mehr zu verhindern. Der Greis Pepi verlor die Macht und wurde von machthungrigen Wesiren und Gaufürsten beeinflusst. Sein Einfluss schwand und die Macht der Beamten stieg. Nach dem Tode Pepis bestiegen noch zwei Könige den Thron des Pharao. König Nikotris war der letzte der VI. Dynastie und nach ihm kam der endgültige Zusammenbruch des Alten Reiches.

Seit König Skorpion I. waren knapp tausend Jahre vergangen. Nun wurde die Tradition eines vereinten Kemet gebrochen. Menefru-Mirê verlor in der VII. Dynastie an Macht und die Städte Theben und das altehrwürdige Henensu gewannen an Einfluss.

Viele Dutzende von Königen regierten in dem zweigeteilten Land miteinander und kurz nacheinander. Mord und Tod waren ihre ständigen Begleiter im Machtkampf mit den Gaufürsten und reichen Adligen.

Über zweihundert Jahre dauerte das Chaos an und erst die thebanischen Regenten Antef I. und sein Bruder Antef II. begannen mit einer erneuten Reichseinigung. Doch sie hatten nur ihren thebanischen Gau unter Kontrolle und konnten die Macht nur langsam ausweiten, jedoch sie hatten das Fundament für eine erneute Wiedervereinigung des Reiches gesetzt.

In diesen Zeiten dachte jeder an die Prophezeiung des Neferti, die er einst König Snofru vorgetragen hatte. Alles war so eingetreten, wie er es vorausgesagt hatte. Doch wer war der Retter mit dem Namen Ameni? Wo blieb er?

Der Name des Retter war anders: Month ist zufrieden – Mentuhotep. In seiner fünfzigjährigen Regierungszeit festigte er das Reich erneut und brachte es zur alten Blüte. Zahlreiche Schlachten und Revolten schlug er nieder, doch das Blut war nicht umsonst geflossen, denn nun war unser Reich wieder vereint.

Mentuhotep I. war ein von den Göttern Erleuchteter, wie ich später herausfand. Horus und Isis sollen ihm erschienen sein und sprachen von der Verpflichtung, sein Land wieder zu dem zu machen, was es unter Narmer, Djoser und Chufu gewesen war.

Er nahm sich dies zu Herzen und machte es sich zur Aufgabe. Sein Name war fortan auf ewig unsterblich, denn er war eines Gottes gleich. Mentuhotep, der zweite Reichseiniger. Neb-hetep-re, der Re – unseren Herrn –, erfreut!

Mentuhotep I. baute später einen gewaltigen Tempel am Westufer Thebens, das zur Hauptstadt unseres Reiches wurde. Er forcierte den Kult um den Gott Amun und hinterließ ein gefestigtes Reich. Seine Nachfolger waren Mentuhotep II. und Mentuhotep III. Mit ihnen endete die XI. Dynastie und Amenemhet I. war Begründer der XII. Dynastie unseres Reiches.

Amenemhet I. unterwarf Nubien und führte eine glorreiche Außenpolitik Kemets. Bereits unter seinem Vater Mentuhotep III. war er Wesir unseres Reiches.

Seine rund dreißigjährige Regentschaft brachte eine Zeit der Stabilität mit sich, wie sie Kemet seit rund zweihundert Jahren nicht mehr erlebt hatte. Unmittelbar nachdem Amenemhet I. den Thron bestieg, entsandte er eine Hapiflotte um die widerspenstigen Nubier an der Südgrenze niederzuschlagen. Danach gründete er ein neues Machtzentrum etwa 32 Kilometer südlich der alten Hauptstadt Memphis, fern von Theben, und nannte es »Itj-taui«, was »Der die beiden Länder ergreift« bedeutete.

Ebenso führte er die Mitregentschaft ein, die als seine wichtigste Tat betrachtet wurde und die XII. Dynastie überdauerte. Er ernannte im 20. Regierungsjahr seinen Sohn Senwosret I. zum Mitregenten und teilte für ein Jahrzehnt den Thron mit ihm ehe er ermordet wurde.

Glaubte man den Geschichten, dann befand sich Senwosret auf einem Feldzug gegen die Libyer, als Amenemhet I. ermordet wurde. Er eilte sogleich in die Hauptstadt zurück, verhinderte die Ausbreitung einer Verschwörung und stellte die Ordnung wieder her. Unter seiner Herrschaft erlebten Literatur und Kunsthandwerk eine neue Blüte, wie die exquisiten Schmuckbeigaben von Königsfrauen der XII. Dynastie uns in der XVIII. Dynastie zeigten. Befestigungsanlagen sicherten das Gebiet Ägyptens bis zum zweiten Katarakt und im ganzen Land wurden Steinbrüche und Bergwerke angelegt um Gold abzubauen bzw. Grauwacke und Schiefer zu holen.

Zu seinem dreißigjährigen Sed-Fest ließ er zwei Obelisken aus Rosengranit errichten, jeder 20 Meter hoch und 121 Tonnen schwer. Drei Jahre vor seinem Tod setzte Senwosret I. seinen Sohn Amenemhet II. als Mitregenten ein. Senwosret war einer der letzten Pyramidenbauer in unserer Geschichte.

Amenemhet II. folgte Senwosret I. Unter ihm erlebte das Reich eine weitere friedliche Zeit. Eine Expedition in Punt war sehr geheimnisvoll. Ein Fremder mit dem Namen Imhutes half Amenhemet II. Viel berichtete der Gottkönig nicht darüber, doch in den Aufzeichnungen fiel mir etwas auf. Die Beschreibung des Imhutes ist genau die gleiche, wie die Beschreibung des Ré-Anhetes-Atlan, jenem Fremden Freund von Menes-Narmer, den ich aus den Schilderungen des Imhotep und aus uralten Aufzeichnungen von Hohepriestern des Narmer kennen gelernt hatte und dessen Name in den SÄULEN DER EWIGKEIT im Tempel von Memphis stand.

War Ré-Anhetes-Atlan-Imhutes ein Gott, der ähnlich wie Horus und Isis und Anubis in einem Abstand von vielen Jahrhunderten zu uns kam, um uns zu erleuchten? Welch auserwähltes Volk waren wir, wenn uns so viel göttliche Aufmerksamkeit zuteilwurde?

Aus den Aufzeichnungen des Nefertis, die kein menschliches Wesen seit Neferti selbst mehr gelesen hatte, erfuhr ich, dass die Götter den Fremden einfach nur Atlan und seinen Gefährten Rico nannten. Sie schätzen ihn, wollten aber keinen Kontakt mit ihm herstellen. Ich bin nur Hohepriester des Aton, ich konnte die Gedanken der Götter nicht nachvollziehen und maßte mir nicht an, sie zu interpretieren.

Das Mittlere Reich war in der XII. Dynastie von Frieden und klugen Regenten geprägt. Es gab nur ab und zu Kämpfe an der Südgrenze mit den Nubiern, doch wir konnten stets siegreich das Schlachtfeld verlassen.

Mit der XII. Dynastie kam jedoch wieder der Abschwung. Durch den Tod von Amenemhet IV. und das Ende der Regentschaft von Königin Sobeknofru ergaben sich Nachfolgeprobleme, die jedoch noch gelöst wurden.

Innenpolitisch bröckelte das Reich durch die schwachen neuen Herrscher. Als dann die Heka-Chasut aus Asien in unser Reich einfielen, war unsere Macht vorerst gebrochen. Es begann, was wir die Zweite Zwischenzeit nannten. Das Mittlere Reich war vorbei. Es hielt von Mentuhotep I. bis Sobeknofru über knapp dreihundert Jahre.

Nun brach die Regentschaft der Heka-Chasut an, einem Volke aus Retenu und den alten sumerischen Gebieten. Zuerst kam ihre Übernahme schleichend. Sie infiltrierten unser schwaches Reich in der XIII. und XIV. Dynastie, nahmen unsere Namen an, verehrten unsere Götter und so nahmen sie an unserer Gesellschaft teil und begannen sie zu beherrschen.

Doch die gottlosen Herrscher aus dem Fremden Land zeigten ihr wahres Gesicht. Sie beteten Seth und Apophis an. Sie plünderten Menefru-Mirê und stahlen die SÄULEN DER EWIGKEIT. Was nicht schon vor vielen Jahren oder Jahrhunderten von Grabräubern gestohlen worden war, das nahmen sie an sich. Sie schändeten unsere Gräber und selbst die Pyramiden in Ro-Setau wurden nicht verschont.

Über einige Jahrhunderte lebte unser Volk in Knechtschaft der Heka-Chasut und niemand wagte sich gegen sie aufzulehnen. Niemand!

Die Namen der Könige in der XVI. Dynastie sollen mit Schimpf und Schande bis in alle Ewigkeiten genannt werden! Nicht mehr Menefru-Mirê, Theben oder Abydos waren das Zentrum unseres Landes, sondern die Stadt Auaris.

Die Heka-Chasut fingen zwar an, unseren Glauben zu respektieren und brachten uns die Pferde ins Land, doch wir waren nicht frei.

Erst in der XVII. Dynastie, nach Jahrhundertelanger Unterdrückung, gelang es thebanischen Fürsten, den Kampf gegen die Heka-Chasut aufzunehmen. Während die Heka-Chasut im Norden des Landes regierten, kam in Theben ein neues Haus an die Macht, dessen frühere Oberhäupter die Herrschaft der Heka-Chasut nicht in Frage stellten.

Die Feindschaft zwischen den Thebanern und den Heka-Chasut kam unter Taa II. zum Ausbruch. Was Kamose und Seqenre begannen, vollendete Ahmose, Sohn des Seqenenre. Er nahm nicht nur an der Belagerung von Auaris teil, sondern verfolgte die Heka-Chasut bis nach Retenu und belagerte ihre Stadt Scharuhen. Schließlich wurden die Heka-Chasut nach harten Kämpfen vertrieben und Ahmose I. gründete die XVII. Dynastie und das Neue Reich. Fortan trugen die Könige den Namen Pharao, also großes Haus, der Titel ihres Palastes. Der Pharao war der Sohn des Amun und die Inkarnation des Horus, er war mächtig und gewaltig wie der große Palast und der Titel Pharao sollte seine Größe symbolisieren.

Pharao Ahmose I. festigte unsere neuen Reichsgrenzen durch Blitzkriege gegen die Nubier im Süden und gegen die Assyrer im Nordosten.

Die Glorie der Pharaonen der XVIII. Dynastie konnte man mit der VI. Dynastie vergleichen.

Nach Amose I. kam Pharao Amenhotep I. Er führte einige Feldzüge gegen das Land Kusch. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass er seinen Totentempel weit entfernt vom Ort seiner Bestattung errichtete.

Nach dessen Tod übernahm Pharao Thutmosis I. die Macht. Dieser war kein Sohn von Amenhotep I., sondern ein hochrangiger Offizier, der seinen Herrschaftsanspruch dadurch begründete, dass er Prinzessin Ahmose, Tochter von Amenhotep I., heiratete. Er errang einige glänzende Siege, von deren Erträgen die gesamte XVIII. Dynastie zehren sollte. Gleichzeitig wuchs unter seiner Herrschaft der Einfluss der Amun-Priester in Theben.

Thutmosis II. war der Sohn einer minder bedeutenden Nebenfrau und um seine Position zu stärken, wurde er mit seiner Halbschwester Hatschepsut verheiratet und sie regierten zusammen etwa 14 Jahre. Mit der Nebenfrau Isis hatte er einen Sohn, Thutmosis III., der noch ein kleines Kind war, als er an die Macht gelangte.

Hatschepsut war eine willensstarke Frau, was schon ihr Gemahl, Thutmosis II., früh erkannte. Aus diesem Grund bestimmte er seinen Sohn Thutmosis III. ausdrücklich zu seinem Nachfolger. Dieser war aber zum Zeitpunkt seiner Krönung zum Pharao noch ein kleines Kind.

Die Regentschaft übernahm deshalb seine Tante und Stiefmutter Hatschepsut. Während ihrer Regierungszeit mit Thutmosis II. und während des ersten Regierungsjahres Thutmosis III. begnügte sie sich mit ihrer Position als »große königliche Gemahlin« und war zufrieden, auf Reliefs hinter Thutmosis III. stehend dargestellt zu werden.

Sobald sie sich jedoch der Unterstützung hoher Beamter sicher war, begann sie die Position von Thutmosis III. zu untergraben. Sie legitimierte ihre Macht, indem sie verkündete, Amun persönlich sei ihr Vater, der ihre Mutter Ahmose besucht habe, um sie, Hatschepsut, zu zeugen. Dies zielte auf den Nachweis ab, dass sie von Amun mit der Absicht gezeugt wurde, um als Königin zu herrschen. Sie ließ sich mit allen Zeichen der Königswürde darstellen und nahm den Titel des weiblichen Horus Wosretkau an und nannte sich »König von Ober- und Unterkemet«. Schon bald begann sie mit dem Bau ihres Totentempels.

Unter der Aufsicht ihres Haushofmeisters und Architekten Senenmuts entstand der einzigartige Terrassentempel Hatschepsuts in unmittelbarer Nähe des Totentempels Mentuhoteps I.

Eine Besonderheit des Tempels war seine Ausrichtung nach Osten, die genau parallel zum mächtigen Amun-Tempel bei Karnak auf dem anderen Nilufer verlief. Senenmut war privilegierter Vertrauter Hatschepsuts, den die Königin in die allerhöchsten Staatsämter katapultierte. Gerüchte behaupteten, dass er seinen Aufstieg einer Liebesbeziehung zur Königin zu verdanken hätte. In jedem Fall war er unter anderem Vorsteher des Amuntempels sowie Verwalter der Kornspeicher, Felder, Herden, Gärten und Webstühle des Amun. Die Verwaltung des Landes lag ausschließlich in seinen Händen und nur der Hohepriester des Amun, Hapuseneb, konnte ihm in religiösen Dingen das Wasser reichen.

Während der Regierungszeit Hatschepsuts fanden zahlreiche Handelsexpeditionen statt, speziell die in das Land Punt.

Als Hatschepsut starb wurde vermutet, dass Thutmosis III. an ihrem Tod nicht ganz unschuldig gewesen war. In seinem Hass ließ er viele Denkmäler der Königin zerstören; zu lange musste er auf den Thron warten. Die größte Demütigung erfuhr Hatschepsut in dem Verschweigen ihres Namens in den Königslisten. Nun endlich konnte Thutmosis III. sein Erbe und damit die Macht über Ober- und Unterkemet antreten. Senenmut, der persönliche Vertraute Hatschepsuts, war bereits ein Jahr vorher verstorben und stand Thutmosis nicht länger im Wege.

Auch sein Herrschaftsanspruch war königlicher Herkunft, denn zu seiner königlichen Abstammung war er auch mit Prinzessin Neferure, der Tochter Hatschepsuts verheiratet. Kurz nach seiner Machtergreifung ließ er das Andenken an seine Stiefmutter von den meisten Denkmälern tilgen. Besonders in ihrem Totentempel ließ er Reliefs ausmeißeln und zahlreiche Statuen zerstören. Die von Hatschepsut errichteten Obelisken im Tempel von Karnak ließ er einmauern, um die Inschriften unzugänglich zu machen.

Nach dem Tod der großen königlichen Gemahlin, Neferure, nahm er Hatschepsut-Meritre zur Hauptfrau, die ihm den Thronfolger, Amenhotep II., gebar.

Thutmosis war ein ausgezeichneter Feldherr, was er bei seinen insgesamt 17 Feldzügen in den Vorderen Orient ausreichend unter Beweis stellte. Er hinterließ seinem Sohn – Amenhotep II. – ein mächtiges und wohl geordnetes Reich und dank der Beute seiner Feldzüge gelangte Ägypten zu Wohlstand. Als Thutmosis III. starb, überlebte ihn Hatschepsut-Meritre.

Amenhotep II. unternahm mehrere Feldzüge, um verschiedene Unruhen niederzuschlagen.

Um Thutmosis IV. rankte sich die Legende, dass er im Schatten der Sphinx einschlief und träumte, dass er die Königswürde erhielte, sobald der Sphinx von Sand gereinigt würde. Umgehend begann er mit den Reinigungsarbeiten und wurde tatsächlich später König. Unter seiner Regierung entstanden einige der schönsten und bekanntesten Privatgräber der thebanischen Nekropole.

Dann brach die Zeit des Amenhotep III. an. Er war der Vater meines Pharaos und unter seiner Herrschaft wurde ich geboren. Die Regierung Amenhoteps III. brachte eine Zeit der Stabilität und wirtschaftlichen Blüte mit sich, wie sie die ägyptische Geschichte selten sah. Es waren kaum militärische Unternehmungen notwendig, das Reich war gefestigt und die Grenzen sicher. Er besaß einen großen Harem, in dem sich auch Prinzessinnen aus fremden Ländern befanden, die aus Gründen der Staatsräson geheiratet wurden. Seine Hauptfrau, Teje, war jedoch nicht von königlichem Blut sondern war die Tochter eines Fürsten namens Juja und seiner Frau Tuja. Er heiratete sie bereits vor seiner Thronbesteigung und sie gebar ihm sechs Kinder.

Eines davon war Amenhotep IV., mein Pharao. Ich war zur Zeit des Amenhotep III. ein Hohepriester in seinem Tempel des Amun in Theben.

Amenhotep IV. war ein junger, stolzer und gut aussehender Königssohn. Auch wenn sein älterer Bruder die Thronnachfolge bestreiten würde, so sahen doch viele Amenhotep IV. als neuen Pharao an.

Dann, im vierunddreißigsten Regierungsjahr des Amenhotep III. – seit zehn Jahren stand ich in seinem Dienste – geschah das, was Amenhotep IV. veränderte.

*

»Meriré, komm mit, mein Freund. Wir gehen auf die Jagd für Amun!« Amenhotep stand vor mir – schlank, muskulös, ein Schwarm aller Frauen. Sein Lächeln war freundlich. Er legte seine Hand auf meine Schulter.

»Aber Herr, ich bin ein Hohepriester, kein Flusspferdjäger am Hapi«, erklärte ich und fuhr mit der Hand über meine Glatze, um den Schweiß abzuwischen.

»Eben, und ich brauche den Beistand des Amun. Wir fahren mit zwei Streitwagen den Hapi entlang bis Edfu und sehen, was uns dort so alles vor den Bogen kreucht und fleucht, Meriré!«

Ich wusste, dass Amenhotep nicht mit sich reden ließ. Seufzend begleitete ich ihn und wir fuhren weit hinaus in Richtung des ersten Katarakts. Begleitet wurden wir von einem Streitwagen mit drei Medjaj des Pharaos.

Wir ritten den ersten Tag und die erste Nacht durch. Der Weg nach Edfu war weit und Amenhotep wollte sich beeilen. Am nächsten Morgen ritten wir etwas gemütlicher. Amenhotep war ruhig. Ein Zeichen dafür, dass er über etwas nachdachte. Es dauerte nicht lange, da band er mich in seine Gedanken ein.

»Die Priesterschaft bereitet mir Sorgen, mein Freund.«

Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen, denn ich war Teil der Priesterschaft. Doch ich spürte, dass er nicht mich verurteilte, sondern Semanch-Amun, den obersten Wesir und Hohepriester. Er nutzte seine Macht aus und versuchte sie zu erweitern, wo es nur ging. Semanch-Amun hatte wenig mit dem Glauben zu tun. Er handelte nicht im Sinne Amuns, Osiris oder Isis – sondern in seinem eigenen.

»Edler Prinz, ich weiß, dass du über Semanch-Amun besorgt bist, doch er allein kann wenig bewirken. Amun wird es nicht zulassen.«

Amenhotep lachte bitter. »Amun! Horus, Osiris, Isis, Anubis. Wie viele Götter haben wir eigentlich? Unzählige! Es ist doch Torheit, all diese zu verehren.«

»Du sprichst mit der Zunge eines Ketzers«, ermahnte ich den jungen Thronfolger Amenhoteps des Dritten. Er warf mir einen strafenden Blick zu.

»Aton ist der einzige Gott, an den ich wirklich glaube. Du kennst die Erzählungen meines Vaters?«

Natürlich kannte ich sie. Pharao Amenhotep III. berichtete, der Gott Aton sei ihm erschienen. Dabei war Aton nur eine weitere, untergeordnete Form von dem Sonnengott Ré beziehungsweise Amun. Aton war die Sonnenscheibe, eine allgegenwärtige Macht, doch kein Gott im eigentlichen Sinn. Jeder am Hof, der die Geschichte des Pharaos kannte, bezweifelte sie zurecht.

Ich schwieg.

»Ist denn der Glaube an einen einzigen, allmächtigen Gott so abwegig? Ein Gott des Friedens und der Liebe?«, stellte Amenhotep fragend in den Raum.

Ich antwortete: »Sind Osiris, Horus und Isis keine Götter des Friedens und der Liebe? Steht nicht überall geschrieben, dass sie Toleranz, Frieden und Gerechtigkeit von uns fordern?«

»Es gibt keinen Beweis für ihre Existenz. Sollen sie mir doch erscheinen, dann glaube ich an sie. Doch mein Vater hat Aton gesehen!«

»Verlange nicht von mir als Priester des Amun dessen Existenz abzustreiten, edler Prinz«, schloss ich das Thema ab. »Das würde gegen meine Berufung verstoßen. Konzentrieren wir uns lieber auf die Jagd.«

Amenhotep lenkte ebenfalls ein. Wir ritten schweigend weiter, bis wir endlich Rast machten.

*

Es wurde Nacht und wieder Tag. Zwei Nächte und Tage ritten wir, bis wir Edfu erreichten. Dort rasteten wir von der Jagd. Amenhotep hatte einige Löwen getötet und war stolz auf seine Beute.

Der Hohepriester des Horus-Tempels in Edfu besuchte uns an diesem Abend, als wir bei Wein, Brot und Fleisch saßen. Er war sehr aufgeregt.

Er verneigte sich vor dem Prinzen Kemets. »Herr, oh, Herr! Wir haben etwas seltsames gesehen, unweit von hier. Jenseits des Ostufers des Hapi«, erklärter er unterwürfig. Der Hohepriester traute sich kaum ihn oder mich anzuschauen.

»Jenseits des Ostufers sagst du, Hameb-Ptah? Dort sind doch keine Siedlungen, soweit ich weiß.« Amenhoteps Augen funkelten seltsam. Es war sein unruhiger Blick, der viele nervös machten. Es war ein ständig forschender Blick. Wonach suchte mein Kronprinz?

Hameb-Ptah bestätigte seine Aussage. »Ein Gebilde steht dort. Es glüht wie die Sonne selbst und speit Feuer, wenn wir uns ihm nähern.«

Amenhotep blickte mich fragend an. Ich machte eine ratlose Geste – offiziell. Amenhotep wusste sie jedoch genau zu deuten. Ich wollte damit aussagen, dass ich die Wahrheit nicht wusste und man sie nur erfahren würde, wenn man sich jenseits des Ostufers begab.

»Also gut, Hameb-Ptah. Ich werde mit ein paar Männern noch heute aufbrechen. Ein Dutzend Soldaten soll mich begleiten.«

*

Und so geschah es, dass wir in kürzester Zeit aufbrachen. Die Reise über den Hapi verlief ohne Zwischenfälle. Mit einem kleinen Boot überquerten wir den heiligen Fluss. Von dort aus ritten wir zwei Stunden bis wir zur besagten Stelle kamen. Amenhotep wirkte angespannt. Seine Augen funkelten wieder so unruhig, je näher wir dem Ort des seltsamen Objektes kamen.

Und tatsächlich befand sich dort etwas, was ich nicht glauben würde, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Im Sand befand sich ein scheibenförmiges Etwas aus einer Bronze ähnlichen Legierung. Überall leuchtete es hell. Aber es spie kein Feuer.

Obwohl Hameb-Ptah voller Ehrfurcht stehen blieb, ritt Amenhotep mutig weiter. Dieser Ort schien ihn magisch anzuziehen.

»Prinz, sei vorsichtig!«, rief ich ihm voller Sorge zu.

Doch er hörte gar nicht auf mich. Er ritt direkt zu der seltsamen Erscheinung und erst kurz vor ihr stieg er von seinem Ross ab. Mit langsamen und bedächtigen Schritten lief er darauf zu. Plötzlich hörten wir eine laute Stimme. Sie dröhnte in unseren Ohren, war mächtig und gewaltig.

HÖRE, AMENHOTEP! ICH BIN ATON, DER EINZIG WAHRE GOTT IN KEMET. ICH SPRECHE ZU DIR, DENN DU BIST EIN AUSERWÄHLTER!

DU SOLLST MEINEN GLAUBEN PREISEN UND DEINEM VOLK MIT ALLEN MITTELN DAS WORT ATONS LEHREN. DIE LÜGEN DER PRIESTERSCHAFT MÜSSEN AUFHÖREN. ES DÜRFEN KEINE ANDEREN GÖTZEN NEBEN MIR ERRICHTET UND ANGEBETET WERDEN.

HÖRE MEINEN BEFEHL, DENN ICH BIN ATON, DEIN GOTT!

Wir alle waren wie gelähmt. Amenhotep hob die Arme und sank auf die Knie. Er verneigte sich vor seinem neuen Gott.

Ich ritt nun zu ihm und stieg hastig ab. Wütend, aber in festem Glaube, Amun würde bei mir sein, brüllte ich das Etwas an, welches sich Aton nannte: »Wie kannst du es wagen? Wer bist du, der es wagt, die Macht von Amun, Osiris und Anubis herauszufordern?«

Ein lautes, unangenehmes Lachen hallte durch die Wüste.

Plötzlich hob sich der Sand viele Meter hoch in die Luft, wirbelte herum und zog am Himmel umher. Dann fiel er zu Boden. Ich erschrak, doch das war nicht alles, was uns Aton bot. Aus ihm schossen Feuerpfeile, die in der Luft explodierten und die Nacht zum Tage werden ließen. Voller Demut fielen wir in den Staub und winselten um unser Leben.

ICH BIN ATON, DER SONNENGOTT. ICH KANN DIE NACHT ZUM TAGE WERDEN LASSEN.

AMENHOTEP, MEIN FREUND, VERKÜNDE MEINE WORTE! BETET NUR DEN EINEN, DEN WAHREN GOTT AN! ICH WERDE EUCH FRIEDEN UND LIEBE BRINGEN. ETWAS WOZU AMUN UND OSIRIS NICHT IM STANDEN WAREN, DENN EURE GESCHICHTE IST VOLLER TOD UND MORD.

ICH HÄTTE DEINE GEFOLGSLEUTE TÖTEN KÖNNEN, DOCH ICH BIN EIN GOTT DER GERECHTIGKEIT!

GEHT NUN! AMENHOTEP, REISE NACH ABYDOS. DORT WARTET EIN GESCHENK AUF DICH.

Amenhotep schien noch so viele Fragen zu haben, doch er schwieg. Mit glühender Verehrung betrachtete er Aton, der plötzlich im Erdboden versank und die karge Wüste zurück ließ. Der Prinz brauchte noch eine ganze Weile, bis er sich gefangen hatte. Verwundert starrte er mich an, als ich meine Hand auf seine Schulter legte.

»Aton hat sich uns offenbart. Noch vor wenigen Tagen haben wir darüber gesprochen. Nun ist es Wahrheit geworden. Das ist das Zeichen des Aton, des einzig wahren Gottes. Komm, wir reisen nach Abydos!«

Voller Tatendrang sprang Amenhotep auf, stieg auf sein Pferd und ritt los.

Ich und Hameb-Ptah wechselten einen Blick. Wir selbst konnten kaum glauben, was passiert war. Hatte Amenhotep tatsächlich Recht? War Aton der einzige Gott? Hameb-Ptah glaubte nicht daran. Er sah es als Trick von Seth oder Apophis an, die Amun und Osiris schmälern wollten. Natürlich kam das in Betracht.

Aber was immer da auch zu uns gesprochen hatte, es stammte nicht von dieser Welt …

*

Wenige Tage später waren wir in Abydos, der heiligen Stadt. Fast nirgendwo standen so viele Tempel wie in der altehrwürdigen Stadt. Wir hatten uns inzwischen von den Strapazen und dem ersten Schock erholt.

Nur Amenhotep war in seltsamer Laune. Er wirkte wie ein kleines Kind. Ungeduldig lief er durch die Tempelhallen und schien nach seinem »Geschenk« zu suchen. Er betrat den Tempel des Horus und plötzlich blieb er ruckartig stehen. »Aton spricht mit mir …«

Wir sahen uns fragend an.

Dann wandte sich Amenhotep an uns: »Lasst mich allein im Tempel. Geht! Sofort!«

Ohne Widerrede gingen alle. Nur ich sollte dort bleiben. Amenhotep sah mich als Freund und Vertrauten an. Anscheinend wollte er in dieser Stunde nicht alleine sein. Plötzlich hörten wir Schritte. Sie waren leise und ließen auf eine grazile Frau schließen und in der Tat kam aus den hinteren Räumen eine Frau auf uns zu.

Sie zu beschreiben, war für mich schwer, denn ihre Schönheit konnte man kaum in Worte fassen. Ihre Haut war weich und makellos. Die Farbe war wie Bronze. Ihre langen, glatten, schwarzen Haare waren mit goldenen Kettchen verflochten. Ihr schulterfreies, weißes Kleid aus feinstem Stoff betonte ihre perfekte Figur und ihre weiblichen Rundungen. Sie trug goldene Armreife, Ketten und Ringe. Ihre Finger- und Fußnägel waren golden bemalt. Selbst ihre Schuhe glänzten golden.

Der Kopf der schönen Fremden ruhte auf einen langen, schlanken Hals. Ihre großen Augen wurden durch die Schminke geprägt. Die dunklen Augen funkelten voller Lebensenergie und Stärke. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine zierliche Nase und sinnliche Lippen. Ihr Lächeln ließ selbst mein Herz höher schlagen. Ein Herz, das eigentlich nur Amun gewidmet war.

Amenhotep starrte sie entgeistert an. Er dachte anscheinend das gleiche wie ich. War sie ein Geschenk Atons? Nur ein Gott konnte diese Schönheit erschaffen.

»Wer … wer …?«, stammelte Amenhotep.

»Wer ich bin?« Die Stimme der Schönen, die gekommen war, klang ruhig und sanft. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und lächelte. »Mein Name ist Nofre Thet vom Volke der Akonen.«

»Es klingt wie Nefertiti, die Schöne ist gekommen«, sagte Amenhotep voller Begeisterung.

Er atmete hastig und war aufgeregt. Ich sah es ihm deutlich an. Aber auch Nefertiti bemerkte es. Mit einem sanften Lächeln beruhigte sie den Prinzen wieder.

»Aus welcher Region stammen die Akonen? Ich habe nie etwas von ihnen gehört«, sprach ich. Meine Höflichkeit gebot es, mich danach Nofre Thet vorzustellen.

»Meriré, wir kommen von sehr weit her. Weiter als du es dir vorstellen kannst. Wir sind ein erleuchtetes Volk von Aton, dem einzigen Gott.«

»Du kennst ihn?«, rief Amenhotep aufgeregt.

»Aber ja«, sagte sie warmherzig. »Er ist mein Herr und hat mich gesandt, um dir beizustehen. Um mit dir seinen Kult aufzubauen und … um dich zu lieben, zu ehren und dir Kinder zu gebären.«

Amenhotep glaubte sich verhört zu haben. Doch Nefertiti sank auf die Knie und bat um seine Gunst. Amenhotep musste sich in diesem Moment mächtig und bestätigt fühlen. Er ging langsam auf Nefertiti zu und strich ihr über ihr weiches Haar. Dann nahm er ihre Hand und sie stand auf.

»Wenn du mich lieben willst, dann erweise ich dir die Gunst. Tu nichts, was du nicht willst, Nofre Thet, oh du wundervolle Akonin. Aber wisse, dass du mich zum glücklichsten Mann machen würdest, wenn du meine große Gemahlin werden würdest.«

Nefertiti schmunzelte und ihre Lippen berührten die seinen. Ich kam mir etwas deplatziert vor. Anscheinend war es bei den beiden Liebe auf den ersten Blick.

»Amenhotep, zusammen werden wir Kemet verändern und zu neuem Ruhm führen. Wir werden Frieden und Liebe predigen und als weise Herrscher über dein Land regieren. Doch als Geschenk Atons darfst du mich deinem Vater nicht vorstellen«, erklärte sie und musste beim letzten Satz kichern.

Amenhotep blickte mich Hilfe suchend an. Ich ahnte, dass ich mir nun etwas für die Fremde Schönheit ausdenken musste. Zu seinem Glück fiel mir auch etwas ein. Die Adlige Tiji war vor langen Jahren verwitwet und nach Memphis mit ihren Töchtern gezogen. Nefertiti könnte als ihre Tochter vorgestellt werden. Ich war in der Lage, Tiji zu überzeugen und auch die unangenehmen Fragen zu verhindern.

Als ich Amenhotep den Vorschlag unterbreitete, war er zufrieden. Die Liebe schien ihn überglücklich, aber auch achtlos zu machen. Er nahm alles so hin, wie es urplötzlich gekommen war. Konnte er Nofre Thet wirklich trauen? War Aton wirklich der einzige Gott? Und predigte er wirklich von Liebe?

Ich wusste es nicht und bat innerlich, Amun würde mir erscheinen, doch meine Gebete wurden nicht erhört.

*

Wir kehrten nach Theben zurück. Der Palast des Amenhotep, dem göttlichen Pharao, war gewaltig. Riesige Säulen stützten das Große Haus und Statuen des Amun, Osiris und Horus bewachten den Pharao.

Amenhotep, inzwischen in seinem vierunddreißigsten Regierungsjahr, war über 50 Jahre alt. Man sah ihm das Alter an. Er war schwach und senil geworden. Die Regierungsgeschäfte erledigte zumeist die Große Gemahlin Teje, eine starke Frau und geschickt in Diplomatie und Korrespondenz mit unseren Nachbarvölkern.

Nefertiti wurde dem Pharao vorgestellt, der entzückt von der Schönheit der Auserwählten seines Sohnes war. Wie wir es vereinbart hatten, wurde Nefertiti als Tochter der Adligen Tiji vorgestellt, um ihre wahre Identität zu verschleiern. Auch Teje nahm ihre neue »Tochter« warmherzig auf. Und so wurden sie vermählt und Amenhotep bestieg ein Jahr später als Mitregent den Thron. Im Jahre 38 des Amenhoteps III. war es dann soweit. Der alte Pharao beschritt den Weg zu Osiris und Ré und Amenhotep IV. war der neue Regent von Ober- und Unterkemet.

Nefertiti wurde seine Große Königliche Gemahlin und wurde von Teje in die Kunst der Diplomatie unterwiesen. Alles hätte nicht besser sein können. Die Liebe zwischen Amenhotep und Nefertiti war gewachsen. Es bestand ein unzertrennliches Band zwischen dem Königspaar, so dass Amenhotep nicht einmal eine Nebenfrau erwählte. Das Pharaonenpärchen genoss die Gunst des Volkes.

Doch es gab zwei Dinge, die wie ein dunkler Schatten über dem Frieden Kemets lagen – die korrupte Priesterschaft des Amun, sowie Amenhoteps und Neferetitis Affinität zum Sonnengott Aton. In den letzten vier Jahren hatte sich der Glaube noch verstärkt und war zur Lebensaufgabe des Amenhotep geworden.

Mich beängstigte das, denn die Priesterschaft des Amun würde niemals freiwillig ihre Macht abgeben.

Voller Besorgnis wandte ich mich im ersten Regierungsmonat an Pharao Amenhotep und seine wunderschöne Frau Nefertiti.

»Oh, edler Sohn des Amun, gewährt mir eine Audienz«, begann ich demütig, als ich den Thronsaal betrat. Es waren noch einige Berater und Teje anwesend.

Amenhotep zeigte sich erfreut mich zu sehen. »Mein lieber Freund, Meriré, du musst nicht um eine Audienz fragen. Mein Ohr ist dir jederzeit offen.«

Ich machte eine Geste des Dankes und verneigte mich vor Nefertiti und Teje. Nefertiti gebot dem Gefolge den Raum zu verlassen. Sie schien deutlich zu spüren, dass mir etwas auf dem Herzen lag, wovon andere nichts wissen sollten.

»Was wünscht du von uns?«, wollte sie wissen.

Ihre Augen funkelten geheimnisvoll. Ihre Schönheit war wie am ersten Tage. Es benötigte nicht die Schminke und den goldenen Schmuck, um die Akonin Nofre Thet wie eine Göttin aussehen zu lassen. Doch diese Beigaben machten sie noch viel göttlicher.

»Meine Königin besitzt eine gute Intuition. Mein Anliegen ist äußerst prekär, denn es geht um eure Verehrung des Gottes Aton.«

Teje warf dem Königspaar einen vielsagenden Blick zu. Es war jedoch kein strafender Blick. Anscheinend gehörte auch sie zu den Verehrern des Aton.

»Was ist mit unserem Gott? Zweifelst du immer noch an ihm? Hast du vergessen, was vor vier Jahren geschehen ist?«, fragte Amenhotep fast zornig.

Ich hatte Angst! Auch wenn Amenhotep mein Freund war, so wusste ich, dass er sehr jähzornig und zu unüberlegten Taten jederzeit bereit war.

»Oh, Pharao, ich habe Furcht vor den Konsequenzen. Ich habe unsere Begegnung mit Aton nicht vergessen und welch unschätzbares Geschenk er uns gemacht hat.« Mein Blick fiel auf Nefertiti, die geschmeichelt schmunzelte.

Tejes Gesicht hingegen drückte Strenge aus. Königin Teje stammte aus bürgerlichen, aber wichtigen Kreisen und heiratete Amenhotep III. zu Beginn seiner Regierungszeit. Als Gattin Amenhotep III. gebar sie ihm insgesamt sechs Kinder, darunter natürlich auch unseren Pharao Amenhotep IV.

»Doch glaube ich«, führte ich weiter aus, »dass ich weiß, was du anstrebst. Du strebst eine monotheistische Verehrung des Atons an. Doch wie kannst du dich anmaßen, die alten Götter unter Aton zu stellen?«

Wütend sprang Amenhotep auf und warf seine königlichen Insignien zu Boden. »Wie kannst du es wagen, so anmaßend mit mir zu reden, Meriré? Ich bin dein Pharao. Ich bin die höchste Instanz hinter Aton! Er hat sich mir erleuchtet. Du warst dabei. Alle anderen Götter sind nur Lügen und Erfindungen geistesschwacher Narren gewesen!«

Reumütig warf ich mich auf den Boden und hoffte, er würde sich abreagieren. Nefertiti stand auf und legte ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls.

»Beruhige dich«, beschwor sie ihn. »Meriré hat recht. Das Volk würde eine abrupte Änderung ihrer Religion nicht verstehen. Wir müssen den Glauben Atons langsam an dein Volk heranführen.«

Amenhotep schien sich langsam zu beruhigen. Er half mir hoch und entschuldigte sich für sein Benehmen. Mir stand es eigentlich nicht zu, eine Entschuldigung anzunehmen, denn mein Pharao konnte sich benehmen, wie er wollte. Doch als Freund vergaß ich seinen Wutanfall sehr schnell.

»Mein Sohn, deine Frau spricht weise«, sprach Teje. »Wir verehren den Aton und ich würde mein Leben für ihn geben. Doch wir müssen bedacht sein. Wir können nicht von heute auf morgen mit Jahrtausende alter Tradition brechen.«

Ihr altes Gesicht wirkte verbittert seit dem Tod ihres Mannes, doch Teje konnte auch eine sehr liebevolle und warmherzige Frau sein, daher wurde sie oft mit den Göttinnen Hathor und Sachmet gleichgesetzt.

Amenhotep nickte schwach.

»Und was schlagt ihr vor?«, wollte er niedergeschlagen wissen.

Nefertiti spielte ihre Intelligenz aus. Sie war nicht nur atemberaubend schön, sondern auch klug. Sie schlug dem Pharao vor, allmählich den Atonkult zu verstärken, die Amun-Priesterschaft zu untergraben, nach einer Weile Aton als oberste Gottheit neben den anderen zu verehren und ein paar Jahre später ihn zum alleinigen Gott zu machen.

Amenhotep war damit einverstanden. Er wirkte erschöpft und lehnte sich an seine Gemahlin. Amenhotep schien mit der neuen Verantwortung noch nicht klar zu kommen.

*

Einige Monate später begann die Verbreitung von Atons Glauben. Er wurde mit Amun und Ré gleich gesetzt. Die Sonnenscheibe des Aton symbolisierte das Leben. Die Nacht war eine atonlose Zeit, in der weder Lebende noch Tote ihre Ruhe fanden und in ständiger Angst leben mussten.

Eingeleitet wurde der neue Atonkult mit dem Bau eines Tempels in Karnak. Weise schickte Amenhotep den Hohepriester Mai zu einer Expedition in die östliche Wüste. So hatte er genügend Zeit, ohne den Druck der Priesterschaft seinen Atontempel errichten zu lassen.

Das Volk verstand die neue Theologie noch nicht und betete weiter zu Amun, Isis und den Lokalgottheiten. Amenhotep regte das sehr auf. Doch auch die Amun-Priesterschaft regte der Glaube an Aton auf. Ich selbst bekam den Druck der obersten Wesire und Hohepriester zu spüren.

Mai, der Hohepriester des Amun, sah seine Macht gefährdet und versuchte Amenhotep von dessen Kurs abzubringen. Die Opfergelder wurden weniger für die Priesterschaft. Amenhotep sammelte viel Gold an. Natürlich gefiel das den Priestern nicht, denn vieles aus der Staatskasse wurde für den Bau von neuen Tempeln verwendet.

Im fünften Regierungsjahr kam es dann zu einer Wende im leisen Aton-Amun-Konflikt, als der Hohepriester Mai Amenhotep aufsuchte.

Mai, ein hochgewachsener Priester im mittleren Alter mit kahl geschorenem Kopf und einem Oberlippenbart betrat ohne Ehrfurcht den Thronsaal des Peer-aa.

Amenhotep und Nefertiti spielten mit ihrem knapp einjährigen Kind Merit-Aton. Neferetitis Schönheit und graziler Körperbau wurden durch die Geburt nicht getrübt. Merit-Aton, die kleine Tochter des Amenhotep hatte jedoch eine Besonderheit. Ihr Hinterkopf war länger als der von normalen Menschen. Nefertiti erklärte, dass das Kind auch eines des Atons sei und seine Gestalt annahm. Amenhotep war stolz, dass Aton der Mitvater des Kindes war und fragte sich nicht einmal, woher Nefertiti die Gestalt des Aton kannte. Mir fiel es damals schon auf, dass Nefertiti einen engeren Kontakt zu Aton haben musste als mein Pharao selbst.

Hohepriester Mai verzog die Mundwinkel, als er die liebende Familie sah. »Wie rührend. Doch weniger rührend ist die Stimmung des Volkes. Dein Gott Aton, Pharao, sorgt für Verunsicherung und Unverständnis. Seit dem Reichseiniger König Narmer verehren wir Amun, Ré, Osiris, Horus, Isis, Anubis und viele andere Götter, die uns beschützen und uns Halt geben. Ihr brecht mit dieser Tradition. Ich frage mich, warum?« Abscheu und Unverständnis lag in den Worten Mais.

Amenhotep war wütend über das Auftreten seines Hohepriesters. »Ich weiß, Mai, dass die Amun-Priester sehr mächtig sind, doch dein Auftreten ist voller Respektlosigkeit mir und meiner Familie gegenüber. Zügele dein Verhalten, denn du bist nicht unersetzbar.«

Mai verneigte sich. Es war eine unehrliche Geste, doch er hatte keine andere Wahl. Er musste sich entschuldigen.

»Ich bin besorgt, Pharao. Wir müssen etwas tun, um das Volk zu besänftigen und vor allem um Amun zu besänftigen«, erklärte er mit leiser Stimme. Ein kalter Unterton der Berechenbarkeit lag in ihr.

Nefertiti kam zu Amenhotep und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann wandte sie sich an den Hohepriester. »Du bist nicht um das Volk besorgt, sondern um dein eigenes Wohlergehen!«

»Ich verstehe nicht?«, heuchelte Mai.

Nofre Thet lachte bitter. »Oh doch, du verstehst gut. Dir geht es um deine Macht. Amenhotep III. konntet ihr vielleicht einigermaßen beeinflussen, doch mein Mann und ich werden uns nichts von euch sagen lassen. Amenhotep hat etwas zu verkünden. Du bist der erste, der es hören wird.«

Amenhotep blickte seine Frau ernst an. Er nahm seine königlichen Insignien und lief damit auf Mai zu.

Da Nefertiti etwas lauter geworden war, waren einige auf das Gespräch aufmerksam geworden. Berater, Soldaten und Priester beobachteten nun das Geschehen im Thronsaal. Auch Teje war nun anwesend. Ich lauschte gespannt den Worten meines Pharaos.

»Von heute an wird Aton der oberste Gott Kemets sein!«

Ein Raunen fuhr durch den Raum. Worte des Jubels, aber auch Rufe wie »Ketzer!« und »Das ist das Ende Kemets!« hallten durch die Menge.

»Was? Das ist nicht dein Ernst, Pharao!« Fassungslosigkeit lag in Mais Stimme. Er hatte offenbar vieles erwartet, doch nicht das!

»Es ist Atons Wille und mein Befehl. Auf halbem Wege zwischen Theben und Memphis soll am Ostufer des Hapi eine neue Reichshauptstadt gebaut werden. Sie soll den Namen Achit-Aton, Horizont des Aton, tragen. Der Bau hat unverzüglich zu beginnen und ist mit oberster Priorität zu behandeln.«

Mai blickte ratlos seine Mitpriester an. Auch sie wussten nicht, was sie machen sollten. Fast schon flehend wandte er sich erneut an Amenhotep.

Amenhotep lachte verächtlich, als Mai auf die Knie fiel und vor seinem Pharao flehte. Nefertiti blickte ihn kalt an und setzte sich gleichgültig auf ihren Thron.

Amenhotep ging zum Hohepriester und sprach: »Von nun an heiße ich nicht mehr Amenhotep. Ich bin Pharao Ach-et-Aton!«

Dann versetzte er Mai einen Tritt ins Gesicht. Kreischend fiel der Hohepriester auf den Rücken und jammerte vor Schmerzen.

Ach-et-Aton war damit jedoch noch nicht zufrieden. Er rief ein paar Wachen und ließ Mai wegen Hochverrat an Aton verhaften. In diesem Moment rief er mich zu ihm. Mir wurde die größte Ehre zuteil, denn ich sollte nun erster Hohepriester des Aton werden. Ich fügte mich meinem Schicksal, obwohl ich tief im Inneren nicht von Aton überzeugt war.

Einige Priester wollten gegen die Wachen vorgehen und Mai befreien. Es kam zu einem Handgemenge und zwei Priester wurden getötet. Nefertiti war darüber sehr erschrocken und eilte zu den sterbenden Priestern. Als noch mehr getötet werden sollten, warf sie sich dazwischen und gebot den Wachen Einhalt.

Ach-et-Aton verstand das nicht. Wütend packte er seine Frau. Es war das erste Mal, dass er sie so behandelte.

»Was fällt dir ein, Weib?«, brüllte er sie an.

Nefertiti riss sich los und ohrfeigte ihn. »Du weißt wohl nicht, wessen Geschenk ich bin? Ich komme von Aton! Und Aton will keine Toten. Merk dir das, geliebter Gemahl!«

Ach-et-Aton starrte sie fassungslos an. Für einen Moment fixierten sich seine ruhelosen Augen auf ihr Gesicht. Dann senkte er beschämt den Kopf und befahl den Wachen die Priester laufen zu lassen. Er hatte eingesehen, dass Nofre Thet im Recht war.

Nefertiti lief gekränkt zu ihrem Kind und nahm es Teje aus den Armen. »Soll dein Kind mit ansehen müssen, wie Menschen sterben? Ist es das, was du willst?«, schrie sie ihren Mann vor allen Priestern und Beratern an.

»Ist es denn mein Kind oder das Kind des Aton?«, rief er unsicher zurück. Seine Stimme zitterte und sein Körper bebte.

Ich wusste, dass Amenhotep oder Ach-et-Aton, wie er sich jetzt nannte, unter starker Anspannung stand.

Nefertiti wollte zuerst etwas sagen, doch dann schwieg sie für einen Moment. Ich glaubte in ihrem schönen Gesicht auch Unsicherheit zu erkennen.

»Ist das nicht das gleiche?«, sagte sie schließlich. »Du bist Atons Auserwählter. Handle nun auch danach.«

Mit diesen Worten verließ sie mit Merit-Aton den Thronsaal. Ach-et-Aton blickte wütend seine Berater an.

»Tutu, Ramose. Kommt her!«, rief der Pharao.

Tutu war ein Assyrer. Ein Ausländer, der jedoch fest an Aton glaubte und daher die Gunst des Pharaos erlangte. Er war Kammermeister und hatte ein sehr wichtiges Amt inne. Ramose war General und ebenso zuverlässig.

»Edler, Ach-et-Aton, was ist dein Begehren?«, wollte Tutu wissen.

Ich misstraute dem Assyrer. Für ihn zählte nur die Macht. Er würde sie um jeden Preis durchsetzen.

»Ich übertrage dir die Bewachung des Baus von Achit-Aton«, erklärte Ach-et-Aton. »Meriré soll sich um die Tempel des Aton kümmern und Ramose für die Sicherheit sorgen.«

Dann packte er Tutu und starrte ihn verwirrt an. Seine Lippen führte er an das Ohr des Assyrers. »Ich vertraue dir, Tutu. Sorge dafür, dass niemand den Bau von Achit-Aton gefährdet.«

Ach-et-Aton umklammerte die Schultern seines Getreuen.

»Ich vertraue dir, Tutu. Ich vertraue dir …«

Der Assyrer verneigte sich und machte sich sofort an die Arbeit. Ramose sorgte für die militärische Präsenz beim Bau von Achit-Aton. Ich selbst sollte mich um die religiösen Einrichtungen kümmern. Und als dann Achit-Aton fertig war, geschah das Wundersame …

*

Zwei Jahre hatte der Bau nur gebraucht. Seit sieben Jahren war Ach-et-Aton nun im Amt und hatte mit Nefertiti zwei weitere Töchter – Maket-Aton und Anches-en-pa-Aton – gezeugt. Auch sie wiesen den charakteristischen, länglichen Hinterkopf auf. Sie waren Kinder des Aton. Die Ehe zwischen Ach-et-Aton und Nefertiti war wieder gefestigt. Ihr Streit längst vergessen und der innigen Liebe gewichen. Nofre Thet wirkte immer noch jung und schön. Sie war um keinen Tag gealtert und zeigte auch nicht das typische Bild einer Mutter von drei Kindern. Jeder fragte sich, wie sie ihre Schönheit bewahrte.

In der Nacht besuchten wir, das hieß der Pharao Ach-et-Aton, Nefertiti, Ramose, Tutu und ich selbst, die fertige Stadt Achit-Aton. Der neue Tempel zu ehren Atons war einmalig. Ich hoffte, damit Aton und auch Ach-et-Aton zufriedengestellt zu haben.

Bedächtig wanderte Ach-et-Aton durch die Hallen des Tempels und war sichtlich beeindruckt von dem Monument.

»Wahrlich eines Gottes würdig«, sprach er mehr zu sich selbst als zu uns.

JA, ACH-ET-ATON! MIR GEFÄLLT DIESER TEMPEL WAHRLICH, hallte es durch den Tempel. Aton sprach zu uns.

»Werft euch auf den Boden!«, befahl der Pharao und alle bis auf Nofre Thet taten das. Sie trat näher an Ach-et-Aton heran, der sich ebenfalls verneigte.

ACH-ET-ATON, DU HAST GUTE ARBEIT GELEISTET. ICH BIN ZUFRIEDEN. MIT ACHIT-ATON HAST DU EINE GUTE RESIDENZ FÜR MICH GESCHAFFEN. FORTAN WERDE ICH IN DIESEM TEMPEL WOHNEN. ICH VERLANGE, DASS NUR NOCH DU MICH ANBETEST! ICH WILL KEINE DEKADENTE PRIESTERSCHAFT UM MICH VERSAMMELT WISSEN. NUR DU, NOFRE THET UND MERIRÈ SOLLEN DIREKT ZU MIR BETEN.

Ach-et-Aton war sehr erstaunt über diese Ehre. Doch wen sollte das Volk anbeten? Etwa noch die alten Götter? Das durfte nicht sein. Aton schien zu wissen, was seinen Schützling grämte.

DU WIRST DER MITTLER ZWISCHEN MIR UND DEINEM VOLKE SEIN. VON NUN AN SOLL NUR ICH ANGEBETET WERDEN. VERTILGT DIE GÖTZENBILDER DER ANDEREN GÖTTER AUS KEMET UND BETET ZU MIR. DAS VOLK WIRD DICH ANBETEN, ALS SOHN DES ATON. ES WIRD DEINE FAMILIE ANBETEN ALS GÖTTLICHE FAMILIE. UND DU WIRST IHRE GEBETE AN MICH WEITERGEBEN. BRINGT MIR OPFERGABEN IN FORM VON GOLD UND NAHRUNG! HULDIGT MIR BEI JEDEM SONNENAUFGANG, DENN ICH BIN ES, DER DAS LICHT ERSCHEINEN LÄSST.

Ach-et-Aton hob seine Arme und fiel auf den Boden. »So wird es geschehen, oh Aton! So wird es geschehen!«

*

Und so geschah es auch. Die alten Götter wurden abgeschafft und es wurde den Bürgern Kemets verboten, zu den alten Göttern zu beten. An ihre Stelle trat die königliche Familie. Sie sollten die Plätze von Osiris, Isis, Hathor, Horus und all den anderen einnehmen. Zu ihnen sollte man für Aton beten. Die königliche Familie würde diese Gebete dann an den Sonnengott weitergeben.

In den nächsten Monaten gab es heftige Auseinandersetzungen mit den Priestern des Amun. Natürlich weigerten sie sich den neuen Atonkult anzunehmen. Und diejenigen die es taten, hatten nicht viel davon, denn die Opfergaben wurden von Ach-et-Aton oder mir selbst verwaltet. Keiner konnte mehr etwas in die eigene Tasche wirtschaften und viele Priester wurden arbeitslos. Natürlich kam es deshalb zu großen Unruhen. Der inzwischen wieder freigelassene Mai zettelte einen Aufstand an, der jedoch blutig niedergeschlagen wurde. Ramose tötete Mai eigenhändig und die Amunpriesterschaft wurde aufgelöst.

Das, was ich befürchtet hatte, trat ein. Der Glauben an Aton wurde gewaltsam durchgesetzt. In den Köpfen der Bürger lebten die alten Götter weiter, doch Ach-et-Aton konnte und wollte das nicht respektieren. So begann er eine Gewaltherrschaft auszuüben.

Auch die Außenpolitik litt unter Ach-et-Atons Fanatismus. Nur dank Teje, die jedoch immer älter und kränker wurde, konnte der gute Kontakt zu den ausländischen Reichen gewahrt werden. Als sie im Jahre acht des Ach-et-Aton starb, war das ganze Volk in tiefer Trauer. Für diesen Moment waren wir wieder vereint. Vereint in Trauer und großer Huldigung einer großen Frau unserer Zeit.

Nefertiti übernahm in den folgenden Jahren die politischen Geschäfte, da Ach-et-Aton sich nur noch auf Aton konzentrierte. Sie schenkte ihm noch drei weitere Töchter. Doch ihr zweites Kind, Maket-Aton, starb in frühen Kindesjahren. Ich persönlich hatte den Eindruck, das Nefertiti nicht über den Tod ihres Kindes hinweg kam. Alle Töchter des Aton hatten den langen Hinterkopf. Es war ein Zeichen für ihre göttliche Herkunft, doch Ach-et-Aton sehnte sich nach einem Sohn! Einem Thronfolger!

So nahm er das Recht des Pharaos in Anspruch und erwählte Nebenfrauen. Kija hieß die rassige Schönheit aus Unterägypten. Ich werde nie die Szenen vergessen, die ich zufällig mitbekam, als Nefertiti Ach-et-Aton und Kija beim Liebesakt ertappte. Es war im Jahre zwölf seines Regierungsjahres.

*

Nefertiti kam gerade von ihren Töchtern. Merit-Aton war inzwischen elf Jahre alt und wuchs zu einer Frau heran. Die anderen Kinder waren noch jung und spielten oft bis in die Nacht hinein mit ihrer Mutter.

Nefertiti trug ein rotes Gewand, das eine Schulter frei ließ. Sie war die Schönheit wie vor fünfzehn Jahren. Keinen Tag älter war sie geworden. Ich wusste immer noch nicht das Geheimnis ihrer Schönheit.

Sie lächelte mir zu. Nefertiti war immer so freundlich zu uns allen. Sie war in den Jahren zu einer wahren Königin herangewachsen. Sie konnte das, was der Pharao oftmals falsch gemacht hatte, gerade wieder richtig stellen. Außenpolitisch führte sie das Geschick von Teje fort und auch beim Volk war sie beliebt, auch wenn der Schatten von Ach-et-Aton ihr viel Ruhm nahm, da er mit dem Atonfanatismus alles zunichtemachte. Doch letztlich war Nofre Thet, wie sich die Akonin früher nannte, selbst eine Anhängerin Atons, vielleicht sogar die Größte von allen. Doch sie war geschickter im Umgang mit dem Glauben als Ach-et-Aton.

Ich bekam mit, wie sie die Tür zum Schlafgemach öffnete und laut schrie. Entsetzt hastete ich in den Gang, um zu sehen, ob ihr etwas geschehen war. Körperlich ging es ihr gut, doch seelisch war sie verletzt. Ich hielt mich im Hintergrund, bekam aber alles mit.

Wütend rannte Nefertiti in das Zimmer, in dem sich Ach-et-Aton mit Kija vergnügte. Die Kemetin saß nackt auf dem ebenso nackten König. Ihr Körper war vom Schweiß völlig nass. Nofre Thet packte sie an den Haaren und zog sie schmerzhaft von ihrem Ehemann herunter.

»Was fällt dir ein, du primitive Schlampe?«, brüllte Nefertiti die zweite Gemahlin an.

Ach-et-Aton zog sich einen Mantel über und beobachtete zuerst das Geschehen.

Als Nefertiti jedoch auf Kija einschlug, griff er ein. Er packte Neferetitis Arm und warf sie auf das Bett.

»Was fällt dir ein, Weib? Ich bin der Pharao und es ist mein Recht mir so viele Nebenfrauen zu halten, wie es mir beliebt. Wenn du nicht in der Lage bist mir einen Sohn zu schenken, dann ist es Kija vielleicht!«

Kija stand auf und legte ihren Arm auf Ach-et-Aton. Sie stand immer noch nackt vor Nefertiti, die offenbar nicht glauben konnte, was sie da sah. Kija leckte mit ihrer Zunge den Schweiß von Ach-et-Atons Brust. Nefertiti fing an zu weinen, als sie bemerkte, dass es Ach-et-Aton gefiel. Sie lief aus dem Gemach. Aus Angst, dass sie sich das Leben nehmen wollte, folgte ich ihr unauffällig.

Ihr Weg führte mich zum Tempel des Aton. Ich nahm an, dass sie zu Aton beten würde, doch ich irrte mich gewaltig. Sie schritt zielstrebig hinter die große Sonnenscheibe in der Mitte des Raumes und aktivierte einen Knopf. Es öffnete sich eine Geheimtür, die nicht einmal ich kannte. Nefertiti lief hastig die Treppen hinunter. Ich folgte ihr, ohne dass sie es mitbekam. Dort unten spielten sich unglaubliche Dinge ab. Es muss der Sitz des Aton gewesen sein, denn ich erkannte die künstlichen Lichter an der Wand wieder. Ich fand unsere Goldschätze und Nahrungsgaben.

Langsam und bedächtig schritt ich voran. Ich war wie in Trance. Einerseits hatte ich große Furcht vor dem, was kam. Doch auf der anderen Seite war meine Neugier zu groß. Wohin führte mich der Weg von der geheimnisvollen Nofre Thet? Zu Aton? In diesem Moment war mein Glauben an Aton stark und gefestigt. Er war ein Gott. Aber es widerstrebte mir immer noch – tief in meinem Herzen – ihn als alleinigen Gott anzusehen.

Ich erreichte einen großen Saal. Überall standen seltsame Dinge mit künstlichen Lichtern, die blinkten und seltsame Geräusche von sich gaben. Am anderen Ende befand sich ein Wohnbereich. Auf einer Liege lag ein Mensch. Ich erschrak. Er hatte fast so einen länglichen Hinterkopf wie die Kinder Neferetitis! Nur sein Kopf ging mehr in die Höhe.

Er trug eine seltsame Kombination, deren Stoff ich nicht kannte. Seine Sandalen waren sehr hoch und geschlossen. Er lächelte, als er Nefertiti sah.

»Nofre, hast du Sehnsucht nach mir?«

Traurig setzte sich die Königin zu dem Fremden mit dem langen Kopf. Sie seufzte und vergrub ihr Gesicht zwischen ihre Hände.

»Er hat mich mit einer der Primitiven betrogen«, schluchzte sie.

Das Gesicht des Fremden zeigte keine Regung. Seine Augen waren rot, wie die untergehende Sonnenscheibe. Ich erkannte seine Stimme. Es war Aton. Es fiel mir schwer zu atmen, denn ich stand beinahe Angesicht zu Angesicht mit dem Sonnengott.

Und Aton antwortete Nefertiti: »Und wenn schon. Hauptsache er verehrt mich weiterhin als Aton und weitet unseren Kult aus. Bis jetzt lebt es sich ganz gut. Als Gott geht es mir ziemlich gut. Nicht so wie auf Aralon, wo ich als Doktor in einer drittklassigen Klinik arbeiten musste. Viele Überstunden, keine Anerkennung. Das ist hier anders. Hier bin ich Aton, der Gott der Sonne!«

Der Fremde lachte seltsam und stopfte sich mit Essen voll. Ich glaubte nicht, was ich da hörte. Ein Arzt war Aton? Was war Aralon? Ich verstand nichts mehr. Mein Kopf schwirrte und ich drohte meinen Verstand zu verlieren. Doch ich musste weiter mit anhören, was er zu sagen hatte. Ich musste es einfach!

Er streichelte Neferetitis Arm.

»Ich liebe ihn aber«, gestand sie.

»Du vergisst, dass die Kemeten nicht über unsere Moral verfügen. Sie kennen keine monotheistischen Ehen. Es ist keine Liebesentsagung, wenn er mit einer anderen Frau schläft. Es ist ihre Kultur. Du wirst dich auch damit abfinden müssen, dass er mit deinen Kindern schlafen wird, wenn sie reif sind.«

Nofre Thet wandte sich angewidert ab. »Ich werde mich nie an diese barbarische Kultur gewöhnen!«

Sie stand auf und lief durch den Raum. Ich versteckte mich noch weiter im vorderen Raum, damit sie mich nicht sah.

»Ich will wieder zurück nach Akon! Hätte ich dir bloß nicht vertraut, Tarol Venderu, du hervorragender Arawissenschaftler!« Spott und Hohn war aus ihrer Stimme zu erkennen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was sie da eigentlich redete. Aber wer war Tarol Venderu? Etwa Aton? Der Arzt aus Aralon? Ich verstand nichts mehr.

»Wieso?«, wunderte sich Aton. »Mein Ortungsschutzsystem hat einwandfrei funktioniert. Es ist Millionen wert und ihr Akonen wollt es bestimmt haben. Die Station der Arkoniden auf diesem Planeten hat uns nicht geortet. Auch diese seltsamen Ortungsgeräte bei den drei großen Pyramiden nicht. Es hat also einwandfrei funktioniert.«

»Nur hast du vergessen, dass dein Schiffssystem überlastet wurde und das zu irreparablen Schäden geführt hat und wir hier seit sechszehn Jahren festsitzen!«, konterte Nofre Thet.

Nun stand auch Aton auf. An seiner Stimme erkannte ich ihn erneut. Tarol Venderu war Aton. Oder umgekehrt? Doch ich wusste das alles nicht einzuordnen. Waren es nun Götter oder nicht? Die Art wie er sprach, deutete darauf hin, dass sie von den Sternen kamen. Das war doch nur Götter möglich. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Ara namens Tarol Venderu das kemetische Volk an der Nase herumführte. Und Nefertiti war seine Gehilfin.

Aton legte seine Hände auf Neferetitis Schultern und küsste sie.

»Bitte nicht«, flüsterte sie.

»Warum nicht? Ist es nicht Zeit für ein siebtes Kind? Ich finde es schon schade, dass ich als Vater nicht einmal meine sechs Kinder sehen kann. Immerhin sind es Halbaras.«

»Es sind nur noch fünf Kinder. Maket-Aton …«

»Ach die! Fünf sind ja auch genug. Vergiss nicht, dass sie uns helfen werden, eine neue Dynastie zu gründen. Und vergiss nicht, dass ich deinen geliebten Ach-et-Aton sofort töte, wenn du dich mir verweigerst!«

Ich konnte nicht fassen, was da vor sich ging. Aton redete gar nicht wie ein Gott, sondern wie ein gemeiner Verbrecher. Er erpresste Nefertiti, die ihr Kleid auszog und sich ihm hingab. Wie anstößig von mir, in diesem Moment ihren wunderschönen Körper zu bewundern. Sie war einmalig schön. Doch auch traurig und verzweifelt. Aton nahm sich den Körper Neferetitis, doch ihre Liebe galt Ach-et-Aton, der von diesem Möchtegerngott an der Nase herumgeführt wurde.

Ich hatte genug gesehen und verließ die unterirdische Kammer. Völlig entsetzt, ausgebrannt und leer setzte ich mich auf die Stufen des Altars und begann zu weinen. Mein gesamtes Weltbild war zerstört. Alles an was ich geglaubt hatte, war dahin. Aton war ein Schwindler von einem anderen Stern. Nofre Thet anscheinend seine mehr oder minder freiwillige Helferin und mein Pharao, der alles für Aton gab, sogar die Liebe seines Volkes, war hintergangen und verraten worden.

Nichts war mir geblieben. Zum ersten Mal seit vielen Jahren betete ich wieder zu Amun. Mein Gefühl damals hatte mich nicht getrübt. Aton war kein Gott der Liebe und des Friedens, sondern ein Gott des Hasses!

Ich sank auf die Knie, hob die Arme und huldigte Amun. Ich bat Osiris, Isis und Anubis um Vergebung für mein dummes Verhalten. Ich bat um Vergebung für mein gesamtes Volk!

»Du betest jetzt wieder zu den richtigen Göttern. Dir möge verziehen sein, Meriré!«

Ich erschrak. Ich fragte mich, wie viel Belastung mein Herz an diesem Tage noch ertrug? Als ich dann das Wesen vor mir sah, fing ich an zu schreien. Ich schrie meine Angst heraus. Dann fing ich an zu lachen und zu weinen. Beides gleichzeitig. Ich fiel auf den Boden und kroch demütig zu dem Wesen. Ich küsste die Füße des Wesens. Seine Hand packte mich und hob mich hoch. Dann stellte er mich wieder hin.

»Anubis!«, sprach ich voller Ehrfurcht.

Der schakalköpfige Gott stand in einer goldenen Rüstung vor mir und fletschte die Zähne. Er wirkte zornig.

»Ja, ich bin Anubis! Beweist das die Existenz von uns? Lange Jahrhunderte haben wir geruht. Seit dem Untergang des alten Reiches haben wir euch zumeist passiv beobachtet und nur wenigen Pharaonen offenbart. Wir hatten große Hoffnungen in euch gesetzt, als Ahmose das Reich erneut einte. Auch Thutmosis III. zeigte sich würdig, euer Volk richtig zu leiten. Doch nun? Wir erwachten, als wir hörten, dass ein fremdes Schiff Kemet erreicht hat. Und was stellten wir fest? Ach-et-Aton ist ein verweichlichter Versager und Sonnenfetischist!«

Die wütenden Worte des Anubis ließen mich erschaudern.

»Aton ist ein Betrüger. Ein drittklassiger Arzt und Wissenschaftler von der Welt Aralon. Nichts Besonderes. Nun gut, für euch vielleicht, aber nicht für eure Götter. Aton ist kein Gott! Meriré, du hast das rechtzeitig erkannt. Deshalb bist du ein Auserwählter.«

Er gab mir einige Papyrusrollen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Geschweige denn, was ich tun sollte. So viele Götter waren mir begegnet. Womit hatte ich das verdient? Diese Ehre, meinte ich.

Ich nahm die Papyrusrollen und las kurz darin. Es waren Aufzeichnungen des Imhotep und des Neferti.

»Schließe an diesen Aufzeichnungen an! Führe die Chronik deines Volkes weiter. Und zwar die Realität. Ich möchte keine Geschichte über die Schönheit des Landes, wo alle unschönen Szenen verschwiegen werden. Schreibe über die Wahrheit, Meriré!«

Ich verneigte mich. »Ja, Gott Anubis. Ich werde deinen Befehl ausführen.«

»Es ist eine Bitte, Meriré.«

Ich blickte Anubis in die rotgelben Augen. Er war wirklich ein Gott der Güte und der Gnade. Ich verneigte mich erneut.

»Zu keinem Menschen ein Wort. Niemand, vor allem nicht Ach-et-Aton und Nofre Thet dürfen etwas davon erfahren. Wir werden uns wiedersehen.«

Nun verschwand der Gott. Kurz darauf kam Nefertiti aus ihrem Versteck und erschrak als sie mich sah. Ich versteckte die alten Aufzeichnungen in einer Schatulle und blickte die Königin fragend an. Wir beide blickten uns fragend an.

»Warst du unten?«, flüsterte sie mit belegter Stimme.

Ich nickte nur.

Sie sank auf die Knie und fing an zu weinen. Ich konnte meine Königin nicht so sehen. Ich half ihr hoch und setzte sie auf die Stufen des Altars.

»Hast du alles mitbekommen, Meriré?«

»Alles, meine Königin.«

Sie trocknete ihre Tränen. Nefertiti zitterte am ganzen Leib. Sie begann mir zu erzählen, wer sie wirklich war. Zu dem Zeitpunkt begriff ich es nicht so ganz, doch ich gebe es wortgetreu wieder:

Nofre Thet war eine Offizierin vom Planeten Akon, der sich viele tausend Lichtjahre von der Erde entfernt befand. Da die Akonen in gewollter Isolation lebten, agierte sie verdeckt, als sie Kontakt mit dem Ara-Wissenschaftler Tarol Venderu aufnahm, der einen neuwertigen Ortungsschutz für Weltraumschiffe erfunden hatte. Sie begab sich mit ihm auf einen Testflug und sie erreichten dieses abgelegene System mit einer arkonidischen Unterwasserstation. Dort wollten sie ihren ersten Test durchführen, der auch erfolgreich war, doch das Schiffssystem war überlastet und brach zusammen. So musste das Weltraumschiff am Ostufer des Hapi notlanden. Die Schäden waren nicht mehr zu reparieren und Nofre Thet saß mit dem Ara auf der Welt fest.

Tarol hatte nun die Idee, das Beste daraus zu machen und das ansässige Volk auszunutzen. Da ihm unser starker religiöser Glaube auffiel, machte er sich das zu nutzen und wollte einen Kult um Aton aufbauen. Er bekam mit, wie Amenhotep III. die Sonnenscheibe Aton verehrte. Tarol erschien Amenhotep III. und damit begann der Sonnenkult, den Ach-et-Aton nun vollenden sollte.

Das Treffen in der Wüste mit seinem Raumschiff war geplant. Nofre Thet sollte als königliche Gemahlin dafür Sorge tragen, dass Ach-et-Aton im Namen Atons agierte und dem Ara ein schönes Leben machte. Dabei verliebte sich jedoch die einsame Akonin in Ach-et-Aton und wollte fortan mit ihm ein glückliches Leben führen.

Doch dabei gab es zwei Probleme: Ach-et-Aton selbst, der schon zu fanatisch war, und Aton, denn der Ara drohte Nofre Thet und auch ihre Familie zu töten, sollte sie sich gegen ihn wenden. Ihre Liebe zu ihrer Familie war zu stark und daher entschloss sie sich, Tarol Venderus Launen zu ertragen. Er ging sogar so weit, dass er sie körperlich begehrte, woraus die Kinder der Nefertiti entstanden. Er selbst wollte nicht, dass sie Kinder von Ach-et-Aton bekam. Deshalb verhütete sie beim Liebesakt. Sie verwendete jedoch keinen Krokodilkot, wie es bei uns üblich war, sondern etwas »Moderneres«, wie sie es bezeichnete.

Nofre Thet wollte lieber heute als morgen mit der Betrügerei aufhören, doch sie konnte es nicht, da es ihr Leben und das ihrer Familie kosten würde.

Für mich war diese Beichte wie ein Schock. Dieser ganze Abend war ein Schock! Ich selbst brauchte eine Weile, um das zu verstehen.

Nach diesem schicksalsträchtigen Abend entspannte sich das Verhältnis zwischen Ach-et-Aton und Nefertiti wieder. Der Pharao ließ sich von Kija scheiden und erwählte wieder Nefertiti als Hauptfrau. Ein paar Monate lief alles gut. Ich verrichtete meinen Dienst weiter für Aton, obwohl ich heimlich nun die Priesterschaft der alten Götter unterstützte.

Die Hethiter gewannen inzwischen an Macht und unsere Grenzen wurden vernachlässigt. Tutu und Ramose waren überfordert, da Ach-et-Aton nur noch Aton im Kopf hatte. Tag ein, Tag aus.

Nofre Thet verlor so oder so ihren Mann. Auch wenn in unzähligen Reliefs die liebende Familie dargestellt war, so war es seit einiger Zeit nur ein Trugbild.

Die Königin wusste, dass sie etwas unternehmen musste. Und das tat sie …

*

An jenem Abend verweilte ich im Atontempel. Ich musste wieder einmal den Ara füttern und ihn mit Gold beschenken. Welche Ironie, denn ich war der Oberste Hohepriester des Aton und glaubte gar nicht mehr an ihn.

Nefertiti kam zu mir. Ihr Gesicht war ernst.

»Meriré, es ist Zeit, dass Aton an Macht verliert«, sprach sie.

Überrascht blickte ich sie an.

»Ich verliere Amenhotep, denn Mann, den ich liebe. Er ist ein Fanatiker. Für ihn gibt es nur noch Aton und sonst nichts anderes. Tagsüber ist er wie ein Despot, weil er Aton mit sich glaubt. Nachts ist er wie ein ängstliches Kind, weil Aton nicht da ist. Er klammert sich an mich und bittet um Schutz. Er wird wahnsinnig, verliert den Verstand. Es kann so nicht weitergehen.«

Die letzten Worte hat sie mit gebrochener Stimme gesprochen. Sie wollte ihren Ehemann nicht verlieren. Sie wollte ihre Familie nicht verlieren. Sie unterdrückte die Tränen und sprach weiter.

»Meine Kinder drohen genauso zu werden wie er. Das Volk hasst uns und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie revoltieren. Wir müssen zu den alten Zeiten zurückkehren, bevor es zu spät ist.«

Sie zog ein seltsames Etwas aus ihrem Kleid hervor. Anscheinend war es eine Waffe. Ein länglicher Lauf mit einem Loch am Ende und ein Griff mit einem Abzug am anderen Ende. Ihre Augen schienen mich zu durchdringen. Diese funkelnde Lebensfreude war vergangen. Ihre Schönheit war nach sechszehn Jahren nicht gewichen, doch ihr Lebensmut.

Plötzlich zischte ein Blitz durch den Tempel. Er traf Nefertiti, die laut aufschrie. Ich wich voller Furcht zurück. Die Königin ließ ihre Waffe fallen und blickte mich mit starren Augen und geöffnetem Mund an. Dann sank sie auf die Knie und fiel zu Boden. Sie hielt mit beiden Händen eine große Wunde an der Hüfte.

Ich wollte zu ihr eilen, doch da stand Aton persönlich vor mir. Er hatte ein diabolisches Lächeln aufgesetzt. Er besaß die gleiche Waffe wie meine Königin und spie Feuer damit. Ein Blitz aus Feuer ging direkt vor meine Füße. Angsterfüllt warf ich mich auf den Boden und betete zu Amun, er möge mich beschützen.

»Amun wird dir auch nicht viel weiterhelfen, du dummer Eingeborener. Was verstehst du schon von Gottheiten? Ich bin ein Gott, weil ich dir technisch einige tausend Jahre voraus bin. Deshalb kriechst du im Staub vor mir!«

Aton ging zu Nefertiti. Sie rang nach Luft, war schweißgebadet und ihr Blick totenstarr. Doch noch lebte sie.

»Naives Kind. Nun wird Ach-et-Aton ohne dich regieren. Aber das macht nichts. Eine Mitwisserin weniger. Nur den Spaß mit dir werde ich vermissen. Aber es gibt ja noch deine Töchter.«

Aton lachte gehässig. Er lachte mit der Arroganz eines Gottes, dem alles und jeder gehörte.

Nefertiti wollte sich aufrappeln, um Aton am Hals zu packen, doch sie schaffte es nicht. Ihre blutige Hand glitt von seinem Hemd ab und erschlaffte auf dem Boden. Aton trat ihr in die Wunde. Sie schrie laut auf.

Oh, mein Gott! Warum konnte ich meiner Königin nicht helfen? Ich konnte nicht mit ansehen, sie so leiden zu sehen. Welch Scheusal war Aton! Sie starb und er ließ sie in der Gewissheit sterben, dass er ihre Familie ausnutzen würde.

Nefertiti hechelte nach Luft. Ihr Blick streifte den meinen. Ich fing an zu weinen. Ich fühlte mit meiner Königin, die ich so verehrte. Sie opferte sich für ihre Familie, die fehlgeleitet war. Doch niemand war in der Lage dieses Leid abwenden.

»So, und nun könnt ihr vor eure Götter treten«, sagte Aton und zielte auf mich.

Ich wusste, dass nun meine Zeit gekommen war. Bevor er seine Blitze auf mich schleuderte, hörte ich das Heulen eines Wolfes, das Knurren eines Schakals. Überrascht drehte sich Aton um und blickte Anubis an.

»Wer zum Teufel bist du?«

»Ich bin Anubis. Ich soll dir schöne Grüße von Amun und Osiris ausrichten, du dreckiger Ara!«

Aton schoss, doch Anubis verschwand und tauchte plötzlich hinter Aton auf. Anubis schlug ihm die Waffe aus der Hand und packte ihn am Hals. Er hob ihn hoch und drückte fest zu. Aton röchelte. Dann knackte sein Genick. Der zitternde Körper des »Gottes« erschlaffte. Aus Atons Lungen wich das Leben.

Er war tot!

Anubis warf ihn zu Boden. Dann ging er zu Nefertiti und streichelte der Sterbenden über ihr Haar. Er hob sie hoch und trug sie zu mir. Ich blickte in ihre starren Augen. Die Schöne war nun auf ewig gegangen …

»Ich werde sie bestatten. Sage Ach-et-Aton, dass sie zu ihrem Volk zurückgekehrt ist. Er wird den Kult um Aton weiter ausführen, doch mit Ach-et-Atons Tod und dem seiner Kinder wird Atons Glaube verschwinden. Meriré, führe weiter Buch über das Schicksal der Kemeten und greife nicht in ihr Schicksal ein.

Mit Atons Tod ist sein Bann gebrochen. Mit der Zeit wird Normalität in Kemet zurückkehren. Wir werden uns wiedersehen, mein Freund.«

Anubis löste sich mit Nefertiti und der Leiche des Aton auf. Ich blieb zurück und grübelte die ganze Nacht über das, was geschehen war, nach.

Dann kehrte ich zu Ach-et-Aton zurück und erklärte ihm, dass Nefertiti das Land verlassen hatte. Er brach weinend zusammen und verstand die Welt nicht mehr. Ich ließ ihn im Glauben, dass sie noch lebte, aber gehen musste, um das Leben von ihm und seinen Kindern zu schützen. Er glaubte das. Ich sagte nichts über Aton und Anubis. Ach-et-Aton hätte es nicht geglaubt. Sein Wahn war zu stark.

In den folgenden Jahren ging es mit ihm bergab. Er heiratete seine Tochter Merit-Aton und einige Nebenfrauen, die ihm auch einen Thronfolger schenkten, Tut-Anch-Aton. In den letzten Jahren seiner Regentschaft regierte Semenchkaré mit. Dieser heiratete Merit-Aton, damit seine Thronfolge legitim war.

Die Priesterschaft des Amun reformierten sich – unter meiner geheimen Anleitung – und revoltierte gegen Ach-et-Aton. Das Land drohte zu zerfallen und Ach-et-Aton zog daraus die Konsequenzen.

Ich fand ihn eines Abends blutend vor der Büste der Nefertiti, die vom Bildhauer Thutmosis angefertigt wurde. Ich beugte mich über ihn und legte seinen Kopf in meinen Schoß.

»Nun werde ich mit Aton eins werden«, sagte er schwach.

»Ja, mein Pharao und Freund. Das wirst du«, antwortete ich bitter. Es entsprach der Wahrheit, denn Aton war längst tot.

Ach-et-Atons Blick fixierte sich auf Nefertiti. »Sie ist so wunderschön. Ich werde sie immer lieben …«

»Und sie wird dich immer lieben, Amenhotep. Du wirst sie im Jenseits wiedersehen. Ich habe zu Amun gebetet und er wird dir alle Sünden vergeben. Osiris und Anubis sind gute Götter, sie verzeihen deinen Fehltritt.«

Ach-et-Aton begriff, dass ich nicht mehr an Aton glaubte. In seinen letzten Minuten erzählte ich ihm von jenen Nächten, als ich Aton und Anubis traf und wie Aton und Nefertiti ihr Leben verloren.

Eine Träne rann über sein Gesicht, denn er musste einsehen, dass all das, wofür er einstand, eine Lüge war. Er hatte sich getäuscht und alles verloren. Ach-et-Aton wollte noch etwas zu mir sagen, doch er griff nur meine Hand und drückte sie fest. Sein letzter Blick galt der Schönen, die gekommen war, bevor er einschlief.

*

Nach Ach-et-Atons Tod war der Kult um Aton noch nicht ganz gebrochen. Merit-Aton zeigte ähnlich viel Fanatismus, doch sie starb nicht einmal ein Jahr nach ihrem Vater. Sie wurde von den Amunpriestern ermordet. Semenchkaré erging es nicht besser und Tut-Anch-Aton bestieg den Thron. Er führte die alten Götter wieder ein und der Kreislauf hatte sich geschlossen. Anubis hatte Recht behalten. In allen Dingen.

Als ich im Sterben lag und die letzten Zeilen schrieb, erschien er mir und tröstete mich, dass ich im Jenseits eins werden würde mit Osiris.

Das war in der Tat genügend Trost für mich. Ich war Zeuge der ergreifenden Geschichte unseres Volkes. Der Träumer Ach-et-Aton hatte versucht, ein neues Kemet aufzubauen. Seine Liebe zu Aton hatte ihn blind gemacht. Erst in der Stunde seines Todes fand er heraus, wer ihn wirklich geliebt hatte.

Und diese Frau, unvergänglich soll ihre Schönheit sein, starb aus Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern. Ihretwegen gab sie ihr pompöses Leben auf und kämpfte gegen Aton. Sie hätte wie er sich als Gottheit verehren lassen können. Doch sie wollte nicht ihre eigene Familie belügen und sie verlieren.

Das Andenken an Nofre Thet, der Akonin, soll auf immer hochgehalten werden …

Meriré, Hohepriester des Aton, 1330 v.Chr.

 

Jagd auf Osiris

Menefru-Mirê, wie es Osiris aus seiner Zeit kannte, existierte nicht mehr. Es war nicht viel übrig geblieben von der alten Reichshauptstadt, die etwa 4000 Jahre gestanden hatte. Arabische Fürsten ließen sie einst abtragen, um die Grundsteine Kairos zu legen.

Das heutige Memphis war eine kleine, moderne Siedlung. Doch im Zentrum der Kleinstadt befand sich ein gewaltiges Freilichtmuseum mit den Zeugnissen von Menefru-Mirê.

Unter Memphis besaß Osiris eine weitere Station. Aus dieser Station wurde sehr oft im alten Reich heraus operiert. Sie lag direkt unter dem ehemaligen Palast des Menes-Narmer. Dort standen heute wieder die SÄULEN DER EWIGKEIT.

Osiris wanderte durch die kleine Stadt, begleitet von zwei Shak’Arit-Soldaten. Die restlichen befanden sich in der unterirdischen Station. Der Gott der Unterwelt und Fruchtbarkeit empfand das neue Memphis als eine schöne Stadt, doch dieses terranische Merchandising, wie sie es nannten, widerte ihn an. In seinen Augen schändeten die Terraner das Andenken seiner Schützlinge.

Über dem Museum schwebte ein Restaurant von der Firma SHORNE INDUSTRY. Es war zwanzig Meter hoch und hatte einen Durchmesser von achtzig Metern. Die scheibenförmige Gaststätte war in ein Nobelrestaurant, einem Imbiss und einer Bar unterteilt.

Osiris knurrte der Magen. Seit seiner Auferstehung hatte er nichts gegessen und selbst eine Gottheit verspürte so etwas wie Hunger. So ging er mit den beiden Shak’Arits in das schwebende Restaurant. Der Weg zum Nobelrestaurant wurde ihm auf Grund seiner Bekleidung verweigert. Man verwies ihn auf den Schnellimbiss. Osiris wunderte sich über gar nichts mehr. Die Terraner hatten schon immer einen Hang zum Kastendenken gehabt. Es schien sich nicht gebessert zu haben. Arme wurden ausgeschlossen und Reiche wurden verehrt.

Im Schnellimbiss saßen jede Menge illustre Wesen aus der Galaxis. Terraner, Blues, Ertruser, Unither und Topsider drängelten sich an die zwei Tresen, um etwas Essbares zu bestellen. Osiris hatte in den letzten Stunden mehr über den Planeten und die Milchstraße herausgefunden. Zumindest war er in der Lage, die Rassen den verschiedenen Wesen zuzuordnen.

Auf der Speisekarte standen terranische und galaktische Spezialitäten, aber auch altägyptische Gerichte. So versuchte man anscheinend den Wesen einen kulinarischen Eindruck des antiken Reiches zu vermitteln. Jedoch nicht, ohne Geld dafür zu verlangen.

Dreht sich hier alles nur um Geld?, fragte sich Osiris.

Geduldig wartete er, bis sich der Imbiss geleert hatte. Nun hatte er Zeit, sich etwas Nahrung zu bestellen.

Zwei Bedienungen standen hinter dem Tresen. Die eine war eine dicke Epsalerin, die andere eine schlanke Terranerin. Osiris entschied sich nach dem Äußeren und lief zur schwarzhaarigen Terranerin. Ihr volles Haar war lang. Sie erinnerte mit ihren dunklen Augen an eine Kemetin. Sie blickte Osiris mit ihren großen Augen an und lächelte. Es war ein schönes und herzliches Lächeln. Die erste nette Geste der neuen Terraner gegenüber Osiris.

Osiris hob seine Augenbraue und musterte sie von oben bis unten. Fast schon abfällig war sein Blick, obgleich die Bedienung einen hübschen Körper besaß. Aber ein schönes Äußeres machte aus ihr noch keine gute Frau. Dennoch wirkte sie freundlich.

»Was darf es sein?«, wollte sie wissen.

Osiris betrachtete die Karte. »Was kannst du mir empfehlen, Terranerin? Wie lautet dein Name?«

Verwundert blickte sie den Kemeten an. »Wenn du es unbedingt wissen möchtest? Ich heiße Alev.«

Osiris lächelte milde. Jedoch wurde er schnell wieder ernst. Er war nur hier um Nahrung aufzunehmen und wollte gar keinen Kontakt mit den Terranern, die ihn jagten.

»Was kannst du empfehlen?«

»Wir haben Okrillsteak mit Pommes im Angebot. Sehr lecker. Oder lieber was terranisches? Exotisch? Europäisch?«

Osiris nickte schwach.

»Was denn nun? Okrill mit Pommes oder?«

»Dieses Wesen mit dem anderen unbekannten Zeug«, antwortete Osiris.

Alev lachte. Normalerweise mochte es Osiris überhaupt nicht gerne, wenn jemand über ihn lachte. Es war jedoch wieder dieses liebevolle Lachen und dazu ihr putziges, niedliches Gesicht. Der konnte man einfach nicht böse sein.

»Aus welcher Galaxis kommst du denn? Okrill und Pommes kennt doch jeder in der Milchstraße.«

»Geboren bin ich in der Galaxis Chepri. Sie ist weit entfernt von der Milchstraße. Weiter als eure Triebwerke euch bringen können.«

»Aha«, machte Alev. Sie drehte sich um und informierte den Koch. Dann kümmerte sie sich um andere Kunden. Osiris blieb starr vor dem Tresen stehen und war tief in Gedanken versunken.

Nach fünf Minuten brachte ihm die Bedienung das Essen. Osiris reagierte nicht darauf.

»Hallo?«, machte die Frau

Nun endlich gab es eine Regung im stählernen Körper des Gottes. Er nahm das Essen und bedankte sich.

»Wollen deine Hunde auch etwas? Die sehen ziemlich ausgehungert aus. Vielleicht einen Knochen?«

»Nein«, sagte Osiris nur knapp und setzte sich an einen Tisch. »Jedoch wünsche ich noch etwas zu trinken. Wein wäre gut. Suche bitte selbst einen guten Jahrgang aus.« Alev brachte ihm wenige Minuten später einen wohlschmeckenden Weißwein.

Das Okrillsteak schmeckte ihm ganz gut. Immerhin hatten sich die Terraner zu guten Köchen entwickelt. Auch der Wein schmeckte hervorragend. Doch was wusste Osiris schon über die terranische Küche zu sagen? Vor 19.000 Jahren hatten die Nomaden noch rohes Fleisch jeden Tag gegrillt oder Wurzeln gekocht. Ab und zu wechselte er einen Blick mit Alev. Vielleicht sollte er sie einfach zu einigen Dingen befragen, um mehr über das Volk herauszufinden. Sie wirkte sehr aufgeschlossen.

Ein Geschäftsmann betrat den Imbiss. Er war in einem feinen, blauen Anzug gekleidet und bewegte sich sehr grazil. Fast schon zu grazil für einen Mann, wie Osiris fand.

»Guten Tag, ich möchte eine Currywurst mit Pommes Frites aus arkonidischen Kartoffeln. Das Curry sollte von Oxtorne stammen. Das Gewürz ist dort etwas feiner und wohlschmeckender, gute Frau.«

Osiris bemerkte, wie Alev den Kunden entgeistert anschaute. Sie lächelte freundlich, ging sprachlos zum Koch und fragte ihn, ob man arkonidische Kartoffeln vorrätig hatte. Die Antwort fiel negativ aus.

Der Geschäftsmann setzte sich an den Tresen, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an, die er mit angewinkeltem Arm nach oben hielt.

»Tut mir leid, aber wir haben nur Kartoffelexporte aus der Liga Freier Terraner«, erklärte die Terranerin mit einem freundlichen Lächeln.

»Wie unfähig Sie doch sind. Nun denn, dann servieren Sie mir einen arkonidischen Fisch mit einem Archezsalat. Und bitte zügig, Bedienung!«

Während Alev langsam ungehalten wurde, fand Osiris dieses Zwischenspiel sehr amüsant.

»Gut, in zwanzig Minuten. Der Salat muss erst zubereitet werden.«

»Warum sagen Sie nicht fünfzehn Minuten?«

Die Terranerin blickte ihn verständnislos an und zuckte mit den Schultern.

»Warum sagen Sie nicht zehn Minuten? Warum sagen Sie nicht fünf Minuten?«

Osiris empfand diesen Menschen als aufdringlich und abstoßend.

»Warum sagen Sie nicht sofort?«, stichelte der Geschäftsmann weiter.

»Weil du kapieren musst, dass das Gericht eine Weile dauert!«, meckerte Alev zurück.

Osiris freute sich innerlich über diese Antwort. Die Terranerin hatte Format. Sie war nur eine Dienerin, doch sie wagte es sich gegen einen Höheren aufzulehnen. Immerhin!

»Ich bin Jorst-Hentrik von Bloom und Vertriebsvorstand des Terranischen Herold, der größten Versicherungsfirma galaxisweit. Was fällt Ihnen impertinenter Person eigentlich ein? Ich sorge dafür, dass Sie Ihren Job verlieren und nach Cartwheel ziehen müssen, weil Sie hier niemand haben will. Mädchen, Sie haben einen schweren Fehler begangen. Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh sein.«

Osiris wurde übel bei dieser trivialen Einschüchterung. Bei der vielleicht naiven Alev mochte es wirken, doch in den Augen eines Unsterblichen wirkte der Geschäftsmann mit seiner aufgesetzten Boshaftigkeit einfach nur lächerlich. Osiris hatte sich in Jahrtausenden mit ganz anderen kosmischen Schurken geprügelt. Dieser Jorst-Hentrik von Bloom war nichts weiter als ein Staubkorn.

Dennoch behandelte er sie nicht richtig. Er war respektlos im Umgang mit der Terranerin und drohte ihr. Das gefiel dem Kemeten nicht. So stand er auf und ging zu Jorst-Hentrik von Bloom.

»Finden Sie Ihre Respektlosigkeit nicht anmaßend? Die Frau übt ihren Beruf sehr gut aus und ist sehr freundlich. Wenn das Essen seine Zeit braucht, um wohlschmeckend serviert zu werden, müssen Sie das akzeptieren.«

Von Bloom zog aufgeregt an seiner Zigarette und betrachtete Osiris sehr genau. In den Augen des Terraners stand Begehren und Verlangen. Offensichtlich erregte ihn Osiris . Der Kemete bemerkte dies durchaus. Er fühlte sich jedoch keineswegs geschmeichelt.

»Und wer sind Sie, guter Mann?«

»Das würden Sie doch nicht verstehen, Terraner. Ich bin Osiris, Gott der Unterwelt und des Lebens in einem. Führer des Volkes der Kemeten und Diener höherer Mächte.«

Von Bloom lächelte aufgesetzt. »Dieses kleine Dummchen ist doch so unwichtig wie der Dreck unter meinen Schuhen. Aber vielleicht sollten wir zwei uns näher unterhalten, Sir?«

Osiris verlor die Geduld. Dieser arrogante Mensch war charakterlich so eindimensional wie dumm. Osiris packte von Bloom am Kragen und warf ihn unsanft auf den Tresen.

»Solche widerlichen Intriganten regen mich auf. Du hast nichts erreicht, außer etwas Geld zu besitzen. Was macht dich besser als die anderen? Nichts!«

»Ich bin ein normaler Terraner. Viele sind so wie ich«, stammelte von Bloom voller Panik.

Osiris schleuderte den Geschäftsmann auf den Boden. »Und darum habt ihr es auch nicht verdient, in Freiheit zu leben.«

Wütend warf Osiris noch einen Blick auf Alev, die ihn mit einer Mischung aus Angst und Neugier ansah. Sie hatte sicherlich schon längst die Polizei informiert, denn sie sah bestimmt in beiden Männern eine Gefahr. Das las Osiris in ihren Augen.

»Terranerin … Alev, ich benötige mehr Informationen über die terranische Kultur. Sind denn alle so, wie der? Habt ihr die arrogante und dekadente Linie der Römer eingeschlagen?«

»Ich … ich … war nie so gut in Geschichte, aber wir haben viel Gutes getan«, stammelte sie aufgeregt. »Perry Rhodan ist doch ein Held …«

Bloom keuchte auf. Osiris versetzte ihm einen schmerzhaften Tritt in die Seite. Man hörte das Brechen einiger Rippen.

Nun plötzlich bewegten sich die beiden Shak’Arit-Roboter. Der rechte Androide wies Osiris darauf hin, dass sich einige bewaffnete Terraner dem Imbiss näherten. Sofort ließ Osiris von dem Geschäftsmann ab und starrte aufgebracht Alev an.

»Das habe ich vermutet. Doch du kannst nicht ahnen, dass deine Artgenossen weder mir noch meinen Androiden gewachsen sind.«

»Das wollen wir noch herausfinden!«, ertönte eine Stimme.

Osiris drehte sich um und sah Perry Rhodan am Eingang stehen, neben und hinter ihm ein halbes Dutzend TLD-Agenten.

»Perry Rhodan, nehme ich an! Wie habt ihr mich gefunden?«, wollte er wissen.

Stolz und furchtlos stellte er sich vor Rhodan und den TLD-Beamten, die mit gezogener Waffe sich im Raum verteilten.

»Wir suchen dich seit Tagen, Osiris«, sprach Rhodan eindringlich. »Jede Polizeimeldung läuft in unserem Sicherheitsnetz auf. Wir kommen nicht, um dich zu töten. Wir wollen reden!«

Osiris gab den Shak’Arits ein Zeichen, sofort stürzten sie sich auf die TLD-Agenten.

Rhodan fluchte hörbar über die Sturheit des Kemeten. Doch Osiris traute Rhodan nicht. Der Terraner gab zwei Oxtornern ein Zeichen. Sie sollten Osiris gefangen nehmen.

Osiris wurde von ihnen in die Mangel genommen. Sie packten ihn und warfen ihn über den Tresen. Dabei krachte er gegen ein Regal mit Geschirr und schnitt sich den linken Oberarm auf.

Neben sich bemerkte Osiris noch Alev, die sich hinter dem Tresen versteckt hielt und entsetzt aufschrie. Für einen kurzen Moment überlegte er, sie als Geisel zu nehmen. Doch das war unehrenhaft. Stattdessen zog er eine Paralysegaspatrone aus seinem Gürtel und warf sie in dem Raum.

Das Gift zeigte sofort seine Wirkung. Nur Perry Rhodans blauer Anzug reagierte offenbar auf seinen Befehl hin blitzschnell und spannte einen Helm um Rhodans Kopf. Alev brach hustend zusammen und schlief ein, wie auch die anderen TLD-Agenten.

»Osiris! Wir sind keine Feinde«, erklärte Rhodan. »Ich will doch nur reden.«

»Wir werden reden, wenn die Zeit gekommen ist, Perry Rhodan, Diktator von Terra!«, brüllte Osiris und strahlte sich via Fiktivtransmitter ab.

Erneut war Osiris den Terranern entkommen. Das zweite Mal bereits …

 

Denise Joorn

Denise stieß die Luft aus. Akonen, Aras und die fremden Götter Kemets im alten Ägypten. Nicht einmal Atlan wusste davon. Der Atonkult bekam eine völlig neue Bedeutung. Die Geschichte musste neu geschrieben werden. Wahrscheinlich wollte deshalb kein Ägyptologe seinen Irrtum zugeben.

Der Interkom summte auf. Wie in Trance aktivierte ihn Denise. Es war Stewart Landry. Perry Rhodan wollte eine Unterredung in seinem Büro. Denise bestätigte.

»Gut, wir erwarten dich dort.«

Landry beendete die Verbindung.

Eilig packte Denise ihre Sachen und verstaute die Papyrusrollen sehr sorgfältig. Am liebsten hätte sie die Aufzeichnungen von Tiji und Octavian sofort weitergelesen, doch erst musste sie mit Rhodan sprechen.

*

Osiris war leicht am Arm verwundet. Die Auseinandersetzung mit den Terranern hatte ihn mehr angestrengt als angenommen. Sie hatten sich zu guten Kämpfern entwickelt. Doch waren sie das nicht schon immer?

Seine Gedanken kreisten um seine Frau Isis und seine Kinder Horus und Anubis. In einer weiteren Station bei Theben schliefen sie und warteten auf das Verstreichen von Amuns Frist. Warteten auf sein Erwachen. Beides war nun abgelaufen.

Es war an der Zeit, dass die Kemeten wieder zurück ins Rampenlicht der kosmischen Geschehnisse traten. Osiris war unzufrieden, wie sich die Terraner entwickelt hatten. Er wollte den Kurs der Milchstraße ändern. Doch vorher mussten seine Gefährten erweckt werden.

ENDE

 

 

Osiris ist erwacht. Denise Joorn hat aus alten Aufzeichnungen unglaubliche Dinge über das Wirken der Kemeten im alten Ägypten erfahren. Nun will Osiris seine Gefährten aus ihrem Tiefschlaf erwecken.

Im nächsten Roman wechselt die Handlungsebene zu einer Expedition von drei Raumschiffen aus Cartwheel. Band 51 von Nils Hirseland und Ralf König trägt den Titel »Expedition Seshonaar«.

 

 

 

DORGON-Kommentar

Ein Gott aus dem alten Ägypten ist auf der Erde aufgetaucht – Osiris.

Nach den Überlieferungen aus dem alten Ägypten zählt er zu den bedeutendsten Gottheiten seiner Zeit. Seine einstige Rolle als Fruchtbarkeitsgott zeigt sich in der Symbolik des ihm zugeordneten Getreidekorns mit seinem natürlichen Wachstumskreislauf: die Saatkörner werden in die Erde gegeben (Begräbnis), ruhen einige Zeit im Dunkeln (Unterwelt) und keimen dann zu einer neuen Saat auf (Auferstehung). Nachdem sich der Osiris-Kult immer weiter ausbreitete, nahm Osiris das Wesen anderer Gottheiten an, die er schließlich ganz verdrängte. Osiris hatte einen starken Bezug zum Königtum und wurde daher gewöhnlich mit den Königsinsignien Geißel und Krummstab dargestellt. Er war der Sohn der Himmelsgöttin Nut und des Erdgottes Geb und der erste König Ägyptens. Als Osiris von seinem missgünstigen Bruder Seth ermordet wurde, erweckte seine Gattin Isis ihn wieder zum Leben. Sie zeugten den Sohn Horus, der später seine Herrschaft antreten sollte. Die Zauberkräfte der Isis bewahrten den Leichnam des Osiris vor der Verwesung, so dass der Gott in der Unterwelt zu neuem Leben auferstehen konnte. Er herrschte über das Reich der Toten, bewachte den Zutritt der Verstorbenen in die Unterwelt und verkörperte die Sonne in ihrer nächtlichen Form. Als Symbol der Wiederauferstehung wurde Osiris von zahlreichen Anhängern seines Kults verehrt.

Der Osiris, auf den die Terraner nun treffen, ist ca. 192 Zentimeter groß und hat schwarze Augen und schwarzes Haar.

Der interessanteste Punkt ist aber, dass Osiris unsterblich ist und das er und seine damaligen Mitstreiter versucht haben, über Jahrtausende hinweg die Entwicklung des Menschen voranzutreiben. Also dasselbe, was auch Atlan versucht hat. Wir wissen, dass Atlan gescheitert ist und auch die Götter des Land Kemet sind wohl gescheitert, weil es ja wohl sonst etwas anders auf der Welt aussehen würde. Woran sind sie gescheitert? Das wissen die Terraner noch nicht. Aber wahrscheinlich wird es sehr wichtig sein, das die Terraner es erfahren.

Björn Habben

 

 

GLOSSAR

Osiris

Kemete, geboren vor ca. 260.000 Jahren. 192 Zentimeter groß, muskelbepackt, schwarzes, langes Haar, kantiges Gesicht. Eindrucksvolle, charismatische Erscheinung.

In der terranischen Mythologie ist Osiris ein Gott der Unterwelt im alten, pharaonischen Ägypten.

Osiris stammt vom Volk der Kemeten.

Seit 8.000 v.Chr. lebt Osiris zwangsläufig auf Terra. Sein Körper wurde von seinem Bruder Seth in Stase versetzt. Die Kammer wurde mit einem unüberwindbaren Zeitschloss versehen, welches sich erst Ende 1298 NGZ öffnete.

Osiris, verbunden mit der Syntronik der kemetischen Station unterhalb des Gizeh-Plateaus, konnte nur gedanklich helfen und nicht physisch in Aktion treten, während seine kemetischen Artgenossen Anubis, Horus, Isis, Thot und Hathor halfen, die Altägypter zu zivilisieren. Es war Osiris Wunsch, dass man Atlan mied. Osiris Syntronik war ebenfalls ein Seelenspeicher, so war Osiris in der Tat der Gott der Unterwelt für viele Ägypter.

Isis

Isis ist eine Kemetin. Sie ist vermutlich so alt wie Osiris. Körperlich ist sie menschlich und unterscheidet sich kaum von den alten Ägyptern. In der terranischen Mythologie hat sie folgende Bedeutung:

Die Göttin Isis war die Tochter der Nut und des Geb und eine sehr mächtige und beliebte Gottheit. Sie war ihrem Bruder und Gemahl Osiris treu ergeben. Die Schriftzeichen ihres Namens bedeuten das Wort Thronsitz, dessen Verkörperung sie ursprünglich wohl gewesen war. Man identifizierte sie vor allem mit dem ägyptischen Thron, da sie und Osiris die ersten Herrscher in einem goldenen Zeitalter gewesen waren und Isis die Mutter des Horus und somit aller nachfolgenden Könige Ägyptens war. Als Osiris von Seth ermordet wurde, erweckte Isis ihren Gatten wieder zum Leben. Sie wird oft als Vogel dargestellt, der seine Flügel schützend über Osiris ausbreitet. Sie bewahrte ihren Sohn Horus so lange vor den Machenschaften des Seth, bis er sein Erbe als rechtmäßiger Thronfolger antreten konnte. Der Göttin Isis wurden magische Kräfte und eine große Beharrlichkeit zugeschrieben. Mit ihren Fähigkeiten half sie besonders erkrankten Kindern. Ihre Heilmittel wirkten vor allem bei Schlangenbissen und Skorpionstichen. Während des Neuen Reiches wurde das tit-Amulett mit dem Mythos der Isis verbunden. Diese speziell geknotete Gürtelschleife (tit-Knoten) steht vermutlich auch in einem Zusammenhang mit dem Lebenszeichen Anch. Wegen ihrer mütterlichen Eigenschaften wurde Isis manchmal auch in Gestalt einer Sau gezeigt. Außerdem zählte die Kuh zu einer ihrer Erscheinungsformen – eine Tatsache, die vielleicht ihre verschiedentlichen Verwechslungen mit der Göttin Hathor erklärt. Der Isis-Kult fand unter der Herrschaft der Römer auch über die Grenzen Ägyptens hinaus große Verbreitung.

Shak’Arit Roboter

Roboter kemetischen Ursprungs. Überaus widerstandsfähige künstliche Kämpfer, die nach dem Abbild des Volkes der Shak’Arit hergestellt wurden. Bekanntester Vertreter der Shak’Arit ist Anubis.

Die Roboter dienen den Kemeten als Soldaten, Raumschiffbesatzung, Techniker und Bauarbeiter.

Gizeh-Plateau

Das Gise-Plateau wird im altägyptischen Ro-Setau genannt. Es liegt unweit von Kairo und wurde in der 4. Dynastie von den alten Ägyptern als Baustelle für die großen Pyramiden des Chufu, Chafre und Menkaure verwendet. Chafre baute ebenfalls den legendären Sphinx dort. Ebenfalls befinden sich etliche Tempel und Kleinpyramiden (sog. Königinnenpyramiden) auf dem Plateau, welches früher noch von einer Mauer umgeben wurde.

Unterhalb von Ro-Setau ist die Station der Kemeten. Sie befindet sich in 70 Metern Tiefe und ist durch einen erstklassigen Ortungsschutz und einer Metalllegierung nicht zu orten. Die einzige Verbindung besteht zur Chufu-Pyramide und zur geheimen Kammer von Laires Auge, 32 Meter direkt unterhalb der Pyramide. Sonst kann man die Station nur mit einem Fiktivtransmitter verlassen.

Die Station selbst erstreckt sich über 1700 mal 1700 Metern. Der Kern der Station direkt unter der Chufupyramide ist 300 mal 300 Meter und beherbergt ausschließlich den Zentralcomputer, das Stasegrab des Osiris und den Energiegenerator. Danach kommen eine Kommandozentrale mit der Ortung und dem Fiktivtransmitter, die Quartiere der Kemeten und die Waffenlager bzw. Kasernen für die Shak'Arit Androiden.

Etliche Stollen führen quer durch Ro-Setau die an der Oberfläche in Ortungsposten enden. Allerdings sind das keine Ein- und Ausgänge.


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— Special-Edition Band 50, veröffentlicht am 11.12.2015 —

Titelillustration: Heiko PoppInnenillustrationen: Roland Wolf

Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel