Band 49

Osiris-Zyklus

 

Das Grab der Nephtys

Unter den Pyramiden schlummert ein kosmisches Geheimnis

 

Aki Nofftz und Tobias Schäfer

 

Was bisher geschah

Das Jahr 1298 NGZ ist ereignisreich für Carwheel. Die Unabhängigkeit von den Heimatgalaxien wurde erreicht. Gleich darauf wütete ein jülziischer Supermutant auf Paxus, der von Gucky gestoppt wurde. Der Marquês erhielt einen Zellaktivator und verkaufte seine Seele an MODROR. Eine neue Allianz bildet sich – der Bund der Vier. Sie wollen aus Cartwheel ein Imperium in den Diensten der finsteren Entität MODROR machen.

In der Milchstraße hingegen buddelt eine Archäologin namens Denise Joorn seit Jahren vergeblich nach Artefakten. Sie sucht nach einer Verbindung zwischen dem alten pharaonischen Zeitalter, den Dorgonen und der Milchstraße. Doch sieben Jahre nach den spektakulären Funden auf Mashratan und Seshur und trotz einer Studienreise nach M100 Dorgon, steht Denise Joorn mit leeren Händen da. Doch sie gibt nicht auf und kehrt nach Seshur zurück und findet
DAS GRAB DER NEPHTYS …

Hauptpersonen

Denise Joorn – Sie steht vor einer großen Entdeckung.

Kawai Muhalla – Der Ägyptologe zeigt sein wahres Gesicht.

Johannes van Kehm – Er will den Ruhm um jeden Preis.

Nephtys – Die Tochter von Nut und Geb.

Stewart Landry – Ein Geheimagent in seiner Freizeit.

Osiris – Der Gott der Unterwelt.

 

 

 

1. Die Ruhestätte der Nephtys

Hier ruht Nephtys, Gemahlin des Seth, Mutter des Anubis und Schwester der Isis und des Osiris. Hier ruht die göttliche Herrin Seshurs in Erwartung auf ihre Wiedererweckung. Spreche die heiligen Worte und bringe Nephtys in das Leben zurück.

Tue dies, wenn du erleuchtet bist und ihr das ewige Leben bringst. Wenn sie dank dir wieder auf Amun-Rés Erde wandeln wird, in Jugend und Blüte, gefeit gegen das Gift und den Tod des Alterns, dann wirst du in die Pyramide des Ptah aufgehen und ein Teil des großen Kemet werden.

Unterlasse es aber, wenn du ein Grabschänder bist, denn dann wirst du den Zorn des Seth zu spüren bekommen! Anubis wird sich an dir rächen und dein Herz heraus reißen. Der Fluch des Osiris wird auf dir lasten und dich und deine Nächsten heimsuchen!

*

Denise Joorn stand vor dem Sarg der Nephtys. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass dieser Sarkophag und damit die ägyptische Göttin wirklich existierte.

Das merkwürdige Schutzfeld, dass den Sarg umgeben hatte, war erloschen, doch wie konnte sie das Tonnen schwere Gebilde anheben?

Ihre Finger fuhren über die Hieroglyphen, die den Sarkophag bedeckten und auf die hier bestattete Nephtys hinwiesen. Wollte sie es wirklich wissen, ob hier – tausende von Lichtjahren entfernt – eine altägyptische Gottheit lag?

Doch! Dieses Rätsel musste gelöst werden!

Entschlossen packte sie zu.

»Halt!«, rief in diesem Moment eine Stimme in die Grabkammer.

Denise zuckte erschrocken zurück und wirbelte herum. Tatsächlich, im Eingang stand der Mann, den sie hier am allerwenigsten sehen wollte.

»Johannes van Kehm!«, zischte sie abfällig.

Der Angesprochene grinste und winkte sie mit der auf sie gerichteten Waffe zur Seite. Widerwillig ergab sich Joorn in ihr Schicksal und ließ sich von Kehms Schergen fesseln.

»Damit wirst du nicht durchkommen!«, rief sie ihrem einstigen Mentor zu.

»Wer sollte mich daran hindern?«, fragte der Ägyptologe abwesend, während er bereits mit der Entzifferung der Sarginschriften beschäftigt war. Erstaunt fuhr er hoch und blickte sich zu seinen Helfern um. »Hier liegt Nephtys!«

Denise Joorn kaute nervös auf ihrer Unterlippe, als er einige seiner Männer herbei rief, um den Sargdeckel abzuheben. Sah er denn nicht, dass dies kein Grab wie alle anderen war? Sie musterte den Raum, in dem dieser Sarkophag lag. Auch die Anubis-Kampfroboter, die sie gejagt hatten, kamen ihr wieder in den Sinn.

Da! Eine Bewegung an der Tür! Gab es noch mehr dieser unheimlichen Maschinen?

Denise atmete unwillkürlich auf, als sie Kawai Muhalla erkannte. Doch wer waren seine Begleiter? Muhalla war mit schwer bewaffneten Männern gekommen, die sie nie zuvor gesehen hatte.

Unterdessen hatte van Kehm einen Griff entdeckt, ließ ihn aber sofort wieder los, als er Muhalla entdeckte.

»Das Grab der Nephtys …«, sprach er andächtig, an Muhalla gewandt.

»… wird nicht geöffnet werden!«, beendete dieser unbeeindruckt den Satz.

Nach einem kurzen Kopfnicken stürmten seine Kämpfer vorbei und entwaffneten van Kehm und seine völlig überraschten Helfer.

»Was soll das?«, fragte Johannes van Kehm empört. »Wir stehen hier vor einer der größten archäologischen Entdeckungen, und Ihr habt nicht besseres als solche Spielchen zu tun!«

Denise Joorn konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, allerdings verging es ihr nach Kawai Muhallas ersten Sätzen wieder.

»Johannes van Kehm und Denise Joorn, ihr seid Ketzer! Ihr entweiht die Gräber unserer Götter und entwürdigt sie damit aufs Schlimmste. Wir werden diesen heiligen Ort sofort verlassen, dann werdet ihr für eure furchtbaren Taten büßen!«

Joorn blickte ihn verständnislos an. War dieser Fanatiker derselbe Mann, den sie als Leiter der terranischen Wissenschafts- und Archäologiegruppe kannte?

»Pass doch auf!«, fauchte sie den Kerl an, der sie unsanft vom Boden hochriss.

Sie erreichte aber nur, dass die Pranke noch fester zupackte. Sie stieß ein Zischen aus, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, als sie mit den anderen aus der Grabanlage getrieben wurde.

Erst im Ausgrabungslager wurde sie wieder los gelassen. Am liebsten hätte sie sich den schmerzenden Oberarm massiert, aber ihre Hände waren immer noch auf den Rücken gefesselt. Nun setzten Muhallas Mitstreiter Kehms Werk fort – ihre Beine wurden ebenfalls gefesselt und sie wurde an ein Zeltgestänge gebunden. Mit Johannes van Kehm verfuhr man an der Nachbarstange ebenso.

Kawai Muhalla baute sie vor ihnen auf. »Es gibt Dinge, die müssen ruhen bleiben. Das Grabmal der Nephtys gehört dazu!«

»Aber es ist von größtem archäologischen Wert!«, riefen Denise Joorn und Johannes van Kehm gleichzeitig.

Muhalla brachte sie mit einer herrischen Geste zum Schweigen. »Ihr seid in die heiligen Hallen von Amun eingedrungen und habt an Dingen gekratzt, über die ihr nichts wissen dürft. Ihr werdet morgen den Planeten verlassen und über nichts reden, was ihr in dieser Pyramide erlebt habt.«

»Niemals!«, Joorn starrte Muhalla Zorn entbrannt an. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen. »In diesem Bauwerk liegen Dinge, die die gesamte ägyptische Geschichte in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Ich werde nicht ruhen, bis ich sie ergründet habe.«

Kawais Gesicht zeigte Bedauern. Er wandte sich an van Kehm. »Ist das auch deine Meinung?«

»Natürlich«, versicherte er und schaute zu Denise herüber. »Allerdings sollten wir sie hier weg schaffen, bevor noch irgendetwas passiert …«

»Es wird etwas passieren«, meinte Muhalla. »Ich verstehe ja, dass die Neugier in euch groß ist und ihr dieses Geheimnis aufklären wollt. Doch lasst euch gesagt sein, dass man einige Dinge einfach nicht wissen sollte. Die Dinge im Alten Ägypten waren nicht so einfach, wie es ihr Ägyptologen immer darstellt. Im achten Nachchristlichen Jahrhundert stieß der Kalif Abd Allah en Madun auf einige Dinge, die lieber für ewig ruhen sollten.«

Er sah in die fragenden Gesichter seiner Gefangenen. »Ja, genau. Das ist der Kalif, der als erstes die Pyramide von Chufu betrat. Er begründete den Orden der Wächter der Pharaonen, der seit dieser Zeit dafür sorgt, dass einige Geheimnisse der alten Ägypter auch Geheimnisse bleiben. Seit dieser Zeit existiert der Orden, nur unterbrochen durch die Entvölkerung der Erde nach dem Eindringen in dem Schlund, und hat bis heute seine Aufgaben erfüllt, weil wir keine Kompromisse eingehen.«

Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit. »Morgen werdet ihr sterben. Das verlangt meine Pflicht als Wächter der Pharaonen von mir. Tut mir leid!«

Er drehte sich um und ging davon. Denise verfolgte ihn mit ihrem Blick, bis er um eine Zelt Ecke verschwand. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie genau in Johannes' Richtung blickte. Brüskiert wandte sie sich ab.

Einige Sekunden schwiegen beide, dann fuhren sie gleichzeitig herum und riefen: »Das ist alles deine Schuld!«

Anstatt sich über diesen Zufall zu amüsieren, starrten sich beide wütend in die Augen. Einige Minuten dauerte das stille Duell, bis van Kehm schließlich weg blickte. Innerlich triumphierend nahm nun auch die Archäologin wieder eine bequemere Position ein, soweit es die Fesseln zuließen.

»Wieso haben Sie Ihren Tod vorgetäuscht?«, fragte Denise schließlich.

Es brannte ihr seit Wochen auf der Seele. Seitdem sie herausgefunden hatte, dass ihr ehemaliger Mentor noch am Leben war, hatte sie sich gefragt, wieso er untergetaucht war.

»Als Wissenschaftler und nebenberuflicher Grabräuber hat man seine Feinde. Es war besser für mich, als diese glaubten, ich wäre tot.«

»Auch ich? Ich war trotz unseres Streits damals verzweifelt.«

»Ich bitte Sie, Kindchen. Mir war klar, dass sich unsere Wege ohnehin trennen würden. Sie waren einfach zu naiv, als sie glaubten, wir würden nur im Namen der Forschung arbeiten. Davon wird man nicht reich. Ihre Prinzipien standen uns im Weg. Deshalb ließ ich auch Sie im Glauben, ich sei tot.«

Denise verstand. Und im Grunde genommen hatte van Kehm ja recht. Sie hätten sich nicht mehr miteinander verstanden. Nun waren sie sogar Feinde und er hatte ihr nach dem Leben getrachtet. Und doch waren sie beide Forscher. Trotz aller Geldgier des Holländers, so wollte auch er das Grab der Nephtys öffnen, um das Geheimnis zu lösen.

Erst jetzt machte sie sich um ihre Situation Gedanken. Was hatte Kawai Muhalla da gesagt? Das verlangt meine Pflicht als Wächter der Pharaonen von mir …

Denise grübelte. Was hatte es mit diesen Wächtern auf sich? Waren sie irgendeine Art von Geheimbund?

Innerlich lachte sie auf. Ein Geheimbund im 13. Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung – absolut lächerlich.

Und doch beschlich sie ein ungutes Gefühl. Wollte er sie etwa den ägyptischen Göttern opfern, an die er offensichtlich glaube?

Denise schauderte angesichts ihres drohenden Schicksals. Verzweifelt blickte sie sich um. Irgendwie musste sie hier weg, bevor Muhalla seine wie auch immer gearteten Pläne in die Tat umsetzen konnte.

Sie entdeckte einen Stein, der unweit von ihr im Sand lag. Der Stein hatte eine scharfe Kante, was ihr vielleicht gegen die Fesseln helfen konnte. Sie versuchte, den Stein mit ihren zusammengebundenen Beinen zu erreichen, doch vergeblich – er lag zu weit entfernt. Denise fluchte.

»Ruhe!«, sagte Johannes von Kehm neben ihr. »Ich will schlafen.«

»Ja ja«, ereiferte sie sich, obwohl sie sich im Klaren war, dass dies nur provozierend gemeint war. »Morgen sollen wir hingerichtet werden und der werte Herr will schlafen!«

Denise erstarrte. Ihr Blick blieb an Kehms Beinen hängen, dann blickte sie wieder nachdenklich den Stein an. Um hier heraus zu kommen, würden sie zusammen arbeiten müssen. In ihr verkrampfte sich bei diesem Gedanken alles. Ja, früher waren sie wirklich ein gutes Team gewesen, hatten viele alte Geheimnisse ergründet. Wenn sie es streng sah, dann hatte van Kehm erst richtig ihr Interesse an der Archäologie geweckt und sie darin ermutigt, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen.

Bis sie herausgefunden hatte, dass er ein stattliches Sümmchen mit den entdeckten Artefakten verdiente. Statt sie den hiesigen Museen der Planeten zu übergeben, verkaufte sie van Kehm an reiche Privatleute. Als Denise das herausgefunden hatte, war es zu einem großen Streit gekommen. Am Ende waren sie getrennte Wege gegangen und ehe sie sich hatten aussprechen können, war van Kehm vermeintlich gestorben. Nun wusste sie, dass es ohnehin nichts gebracht hätte.

Und jetzt saß sie in einer ausweglosen Situation neben exakt dieser Person und musste mit ihr zusammenarbeiten. Van Kehm war etwa zwei Zentimeter größer als sie, aber in dieser Situation konnten diese Zentimeter die Rettung bedeuten.

»Johannes«, flüsterte sie, nachdem sie allen Mut zusammen genommen hatte.

»Was?« Der Ägyptologie versuchte, möglichst abweisend zu klingen.

»Der Stein.« Denise wies mit ihren Füßen darauf. »Ich komme nicht heran, aber du müsstest ihn zu mir herüber schieben können.«

Kehms Blick folgte der Richtung ihrer Beine. Kurze Zeit später hatte er den Stein entdeckt. Gehässig lachte er auf.

»Sicher, Kindchen!«, meinte er dann. »Und Sie – oder wenn wir schon uns so gut kennen – du haust dann ab und lässt mich bei diesem Irren.«

Doch dann begann er, mit dem Fuß nach dem Stein zu hacken. Er versuchte jedoch, diesen zu sich herüber zu ziehen, doch er konnte ihn nicht richtig erreichen. Anstatt ihn näher zu sich zu ziehen, drückte er ihn eher noch weiter von sich weg.

Entsetzt beobachtete Denise den Vorgang. »So funktioniert das nicht!«

Als van Kehm nicht aufhörte, hieb sie ihm ihre Beine auf seine. Er stieß einen dumpfen Laut aus und stieß ihre Beine zurück. Joorn durchzuckte ein ziehender Schmerz und sie wollte sofort zurücktreten, als sie den Stein bemerkte. Er war durch den Stoß etwas in ihre Richtung gerollt!

Triumphierend klemmte sie sich ihn zwischen die Füße und zog ihn an sich heran, während Johannes van Kehm sie mit Flüchen eindeckte.

Als sie den Stein in die Nähe ihrer Oberschenkel bugsiert hatte, fiel ihr auf, dass es keineswegs ein Wüstenfindling, sondern ein Trümmerstück einer Statue war. Einige Hieroglyphen bedeckten eine Seite. Sie entdeckte das Symbol für Seth, jedoch konnte Denise Joorn keinen Zusammenhang aus diesem kleinen Fragment heraus lesen.

»Nun mach schon«, drängelte Johannes van Kehm.

Sie verdrängte die wissenschaftliche Neugier aus ihren Gedanken und schaffte es, den Stein mittels einiger unbequemen Verrenkungen in ihren Rücken zu bringen. Dann fummelte sie ihn in eine passende Position und rieb sie ihre Fesseln so lange an der scharfen Kante, bis sie sie auseinander reißen konnte. Danach war das Lösen der Fußfesseln nur noch eine Kleinigkeit.

Johannes von Kehm sah sie nun fast flehend an. Denise konnte sich ein geringschätziges Lächeln nicht verkneifen, wurde aber schnell wieder ernst. Wie gerne würde sie ihren ehemaligen Ausbilder und Chef hier zurück lassen, doch das könnte sie niemals tun. Nicht, wenn sicher war, dass Kawai Muhalla seine Opferung wirklich durchführen würde.

Seufzend bückte sie sich und löste van Kehms Fesseln.

Dieser grinste über beide Ohren. »Das ist ja wie in frühen Zeiten«, freute er sich.

Denise warf provokant die Haare über die Schulter und wandte sich um. »Bilde dir gar nichts darauf ein. Die Zeiten unserer Zusammenarbeit sind vorbei. Leb' wohl!«

Sie flüchtete aus dem Scheinwerferkreis der Zelte in eine dunkle Ecke. Sie war sich sicher, dass Muhalla irgendwo Spionsonden oder ähnliches positioniert hatte, die ihre Flucht sehr schnell weiter melden würden.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, vernahm sie auch schon den Ruf eines von Muhallas Männern aus der Richtung, wo sie nur wenige Augenblicke zuvor noch angebunden gewesen war.

Ein Keuchen verriet, dass van Kehm ihr gefolgt war. Sie ignorierte ihn und lehnte sich vorsichtig um die Ecke. Niemand war auf der anderen Seite zu sehen. Katzengleich huschte sie herum und verschwand im Zelt. Einige Sekunden später hatte sie das Innere gemustert und war sich sicher, hier das Gesuchte nicht finden zu können. Sie wirbelte zurück und wollte durch den Durchgang nach draußen, als sie mit jemanden zusammen stieß. Reflexartig wich sie zurück und verpasste ihrem Verfolger einen Schlag gegen die Brust, der ihn zu Boden gehen ließ. Erst jetzt bemerkte sie, dass es sich um Johannes van Kehm handelte.

»Geschieht dir recht!«, zischte sie und eilte an dem zu Boden gesunkenen Wissenschaftler wieder nach draußen.

Ihr gelang es, noch unentdeckt einige Zelte zu untersuchen, bis sie schließlich das fand, wonach sie gesucht hatte. Sie packte sich einen Rucksack, stopfte einige Flaschen mit Trinkwasser, Nahrungskonzentrate und eine Lampe hinein und eile dann schließlich aus dem Lager. Nicht ganz 15 Minuten waren seit ihrer Flucht vergangen.

 

Johannes van Kehm

Stöhnend stand Johannes van Kehm auf und rieb sich den schmerzenden Bauch. Er schmiedete einige Mordpläne gegen Denise Joorn, dann besann er sich der heiklen Lage und schleppte sich hinter einen Vorhang.

Tatsächlich vernahm er nur wenige Augenblicke später viele draußen am Zelteingang vorbei laufende Personen. Van Kehm war ratlos, in so eine Situation war er noch nie geraten. Normalerweise zog er immer mit einem großen Assistentenstab und Soldaten los, um jegliches Risiko auszuschließen. Er hielt sich nicht lange mit Kleinigkeiten auf, sondern suchte zielstrebig nach den großen Schätzen – sollten andere doch nach den Kleinigkeiten suchen.

Er überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Irgendwie musste er aus diesem Lager entkommen; er wusste nur nicht, wie. Er zupfte sich den Ärmel seines Hemdes etwas über die Hand und wischte sich den Schweiß auf Stirn und Glatze ab. Er war keineswegs so wendig und sportlich wie seine ehemalige Angestellte und würde so kaum zwischen den Wachen durchschleichen können.

Der Vorgang vor dem Eingang wurde zur Seite gerissen. Van Kehm hielt vor lauter Angst den Atem an und drückte sich, soweit es ging, in die Ecke hinein. Er konnte beobachten, wie einer von Muhallas Männern seinen Kopf in das Zelt steckte und sich flüchtig umsah. Dann verließ er das Zelt wieder und zog den Vorhang wieder zu, ohne Johannes van Kehm zu bemerken.

Johannes atmete auf, doch die Sorge wich nicht. Früher oder später würden sie ihn entdecken und zur Rechenschaft ziehen. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen.

Er grübelte noch eine Weile, dann fasste er schließlich allen Mut zusammen und trat entschlossen aus dem Zelt. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte man ihn entdeckt und richtete Waffen auf ihn.

»Bringt mich zu eurem Anführer!«, fauchte er die Männer an.

Einer von Muhallas Leuten schwenkte seinen Paralysator um eine Zeltdecke, und van Kehm machte sich sofort in die angewiesene Richtung auf.

Wenige Minuten später stand er vor Kawai Muhalla, der ihm mit hochrotem Kopf entgegen trat. Er war sichtlich bemüht, passende Worte zu finden.

»Ich wollte nicht fliehen«, fuhr van Kehm ihn dazwischen, bevor er irgendetwas sagen konnte. »Denise Joorn wollte mich als Geisel mitschleppen, genau, wie sie es im Grab versucht hat.«

Kawai starrte ihn ungläubig an. »Aber …«

»Das in Nephtys Grabmal war nie so, wie es den Anschein hatte«, unterbrach van Kehm in abermals. »Wir konnten Joorn gerade noch überrumpeln, als sie das Grab der Göttin entweihen wollte. Wir haben sie natürlich sofort gefesselt. Danach habe ich dann mit meinen Leuten den Sarkophag überprüft, ob nicht schon irgendwelche Schäden entstanden waren.«

Das war natürlich gelogen, und Muhalla schien es ihm auch nicht zu glauben, wie man aus seinen Gesichtsausdruck schließen konnte.

»Mir liegt nichts an einer langweiligen Mumie«, fuhr er daher schnell fort. »Du kennst meine bisherige Arbeit. Ich war immer bemüht, Kunstschätze zu bergen und nicht irgendwelche Toten zu entweihen. Gut, in den Sarkophagen gibt es auch kostbare Totenmasken oder ähnliches, aber insgesamt scheint es ja in diesem Tempel nichts mehr zu geben. Da er offensichtlich ausgeräumt wurde, ist mein Interesse mittlerweile erlahmt.«

Das war zwar extrem positiv ausgedrückt, entsprach aber in etwa der Wahrheit. Jetzt schien Kawai Muhalla ihm zu glauben.

»Demnach ist Joorn die wahre Schuldige«, zog er seinen Schluss.

Johannes van Kehm lachte innerlich auf. »Genau. Wir sollten zusammenarbeiten, um sie rechtzeitig zu stoppen. Ich bin mir sicher, dass sie wieder auf den Weg in die Grabanlage ist.«

Muhalla verlor keine Sekunde. Mit abgehackten Kommandos setzte er seine Leute in Gang. Nur wenige Minuten später war das Groß bereit zum Aufbruch. Er bedeutete van Kehm, sich ihm anzuschließen, was diesem jedoch nicht in den Kram passte.

»Ich würde lieber alleine auf die Suche gehen«, sagte er daher. »Mit wenigen Leuten kann ich mich besser auf Joorns Fersen heften.«

Muhalla nickte. »Gut, wir sehen uns dann später.«

Er war im Begriff, aufzubrechen, doch Johannes hielt ihn zurück. »Was ist mit meinen Leuten?«

Kawai grinste. »Die bleiben natürlich erst einmal hier. Solange nicht hundertprozentig sicher gestellt ist, dass ich dir vertrauen kann, dienen sie mir als kleine Rückversicherung. Einverstanden?«

Zähne knirschend stimmte Johannes van Kehm zu. Nicht, dass ihm irgendetwas an seinen nur für diese Expedition eingestellten Mitarbeiten gelegen hätte, aber das hätte schlechte Pressereaktionen hervorgerufen und spätere Expeditionen erschwert.

Er nahm sich eine Waffe und einen dieser altertümlichen Wagen, die auf Seshur im Einsatz waren. Dann fuhr er hinter den bereits aufgebrochenen Kawai Muhalla hinterher. Zuerst musste er Denise Joorn los werden, danach konnte er sich um ihn kümmern …

 

Denise Joorn

Denise Joorn hetzte durch die Wüste. Leider hatte sie kein Auto erbeuten können, denn das wäre zu auffällig gewesen. So konnte sie sich nur auf ihre eigenen Beine verlassen und die Kilometer zum Grabmal auf ihren eigenen Füßen zurück legen, was im Wüstensand und über die Dünen ausgesprochen anstrengend war.

Um ihre Spuren zu verwischen, war sie erst einmal einige hundert Meter den ausgetretenen Pfad aus dem Ausgrabungslager in Richtung der Stadt gefolgt. Dann hatte sie eine Senke genutzt und war vom Weg abgewichen, wobei sie ihre Spuren verwischt hatte. Als sie sicher gewesen war, dass ihre Spuren von der Straße aus nicht einsehbar waren, war sie los gerannt, so schnell es die Wüste zuließ.

Etwa eine halbe Stunde später musste sie eine Pause einlegen. Normalerweise waren lange Läufe kein Problem für die sportliche 35-Jährige, doch der tiefe Sand und das auf und ab über die Dünen forderte seinen Tribut.

Sie machte einige Dehnungsübungen, nahm einen langen Zug aus der Flasche und setzte sich auf die Spitze einer Düne, um einen Moment Luft zu schnappen und den fremden Sternenhimmel auf sich wirken zu lassen.

Sie war gerade im Begriff gewesen, sich wieder auf den Weg zu machen, da entdeckte sie einige Lichter in einiger Entfernung, die schnell näher kamen.

Kawai Muhalla!, schloss sie schnell. Der alte Wüstenfuchs hat schnell seine Rückschlüsse gezogen und ist auf dem Weg zum Grab.

Sie wirbelte herum und versuchte abzuschätzen, wie weit es noch bis zu den Felsen war, in denen sich der Eingang zu dem Grab befand. Undeutlich hoben sie sich als schwarze Kulisse gegenüber den halbdunklen Sternenhimmel ab. Denise stellte sehr schnell fest, dass sie es zu Fuß niemals schaffen würde, vor Muhalla die Grabanlage der Nephtys zu erreichen.

Das verschlechterte ihre Position enorm, denn sie hatte nicht einmal eine Waffe, sodass sie sich gegenüber etwaigen Wächtern kaum durchsetzen konnte.

Sicherheitshalber rutschte sie von der Oberkante der Düne und verbarg sich tief im Sand, bis sie sicher war, dass die Autos vorbei gefahren waren, dann erst stand sie auf und setzte ihren Weg fort.

Gut eine Stunde später hatte sie das Grabmal erneut erreicht. Diesmal näherte sie sich dem Eingang jedoch sehr vorsichtig. Sie nutzte die Deckung einiger Felsbrocken, um möglichst nicht gesehen zu werden. Als sie nahe genug heran gekommen war und vorsichtig um die Ecke des Felsens schaute, erblickte sie tatsächlich zwei Männer, die mit Waffen in den Händen in die Dunkelheit starrten.

Sie überlegte, wie sie an den Wächtern vorbei kommen könnte. Doch fast völlig ohne Ausrüstung hatte sie kaum eine Chance. Sie suchte etwas die Umgebung des Eingangs ab. Bei ihren Erkundungen fand sie ein paar leere Trinkflaschen, einige Tonscherben und Steine, die man offenbar für wertlos gehalten hatte.

Denise überlegte, was sie damit anfangen könnte, bis ihr eine Idee kam. Sie richtete ihre immer noch ausgeschaltete Taschenlampe im Schutze ihres dunklen Verstecks direkt auf die beiden Wächter, dann fixierte sie sie mit einigen Steinen und legte einen etwas größeren Stein daneben. Anschließend legte sie ein längliches Stück über diesen Stein und den Einschalter der Lampe, sodass eine Wippe entstand. Sie drückte das andere Ende der Wippe nach unten und überprüfte, ob sie beim Nachlassen des Drucks wirklich auf den Knopf schlug. Jetzt füllte sie die Flaschen mit Sand und legte sie so auf das niedergehaltene Ende, dass der Sand ausfließen konnte.

Sie überschlug, dass sie etwa zehn bis zwanzig Minuten hatte, bis die Wippe zurück schlagen und die Lampe einschalten würde. Damit hatte sie genug Zeit, sich eine gute Ausgangsposition zu suchen. Diese fand sie schließlich schräg oberhalb des Eingangs. Sie robbte soweit an die Kante heran, wie sie es riskieren konnte, ohne ein Geräusch zu verursachen.

Nun hieß es warten. Denise bemerkte nun sehr deutlich, dass sie der Kälte der seshurischen Wüstennacht unterschätzt hatte – und das, obwohl sie sich schon seit Monaten auf diesem Planeten aufhielt. Das von der Sonne aufgeheizte Gestein wärmte sie zwar etwas, aber über ihren Rücken pfiff der kalte Wind und kühlte sie immer mehr aus.

Als sie schon fürchtete, dass ihre Apparatur versagt hatte, flammte plötzlich ein gleißender Schein zwischen den Steinen am Rand der Wüste auf.

Die beiden Wächter wurden unruhig. Einer hob seine Waffe und zielte auf das Licht.

»Sofort herauskommen!«, rief er.

»Wir wissen, dass du es bist, Denise Joorn«, sagte der andere.

Die Angesprochene sah nun den rechten Moment gekommen. Sie sprang von der drei Meter hohen Klippe und landete genau auf dem rechten der Wächter, der sofort bewusstlos nieder sank. Der Andere war durch diese Attacke aus einer unerwarteten Richtung so überrascht, dass er eine Sekunde zögerte. Eine Sekunde zu lange – nach einem gut gezielten Tritt lag auch er am Boden.

Denise hob die Waffen auf und verpasste beiden sicherheitshalber noch eine Ladung mit dem Paralysator, dann holte sie ihre Lampe und betrat das Grabmal.

Den direkten Weg zum Raum der Nephtys kannte sie, Muhalla und seine Leute allerdings auch. Also musste sie sich einen neuen Weg suchen – nur wo lang?

Sie dämpfte das Licht, soweit es möglich war und befestigte die Lampe an ihrem Gürtel, dann nahm sie die beiden erbeuteten Waffen in die rechte und linke Hand. So konnte sie in beide Richtungen sichern, als sie die Gänge betrat.

Sie untersuchte sehr genau die Seitenwände, und tatsächlich, sie würde fündig. Triumphierend näherte sie sich der Wand und klopfte sie ab. Das hohle Geräusch, der Griff und die unübersehbare Fuge – alles deutete auf einen Durchgang hin.

Schieben oder ziehen war jetzt die Frage. Durch den Griff ermutigt, entschied sie sich für letzteres. Sie steckte die Waffen in die Hosentaschen und griff beherzt zu. Die Seshuren, die diese Anlage errichtet hatten, mussten sehr klein gewesen sein, denn Denise musste extrem in die Hocke gehen, um den Griff gut erreichen zu können.

Mit aller Kraft stemmte sie sich zurück, doch nichts tat sich. Mit den Füßen suchte sie sich einen festeren Halt und zog mit Stöhnen weiter an dem Griff, dann endlich kam der Block in Gang.

Als sie ihn endlich komplett aus der Wand gezogen hatte, staunte sie nicht schlecht über ihre Tat. Der Block war absolut kubisch, mit einer Seitenlänge von etwa anderthalb Metern.

Den habe ich bewegt?, staunte sie nicht schlecht und wischte sich den Schweiß ab. Na ja, er ist ja schließlich hohl. Aber hätte es ein flacherer Stein nicht auch getan?

Kopfschüttelnd setzte sie ihren Weg fort.

 

Johannes van Kehm

Als Johannes van Kehm den Eingang von Nephtys Grabanlage erreichte, hatte sich seine Wut über Denise Joorn, Kawai Muhalla und die Welt überhaupt mittlerweile in ungeahnte Höhen geschraubt.

So bemerkte er die beiden am Boden liegenden Wächter erst, als er fast über sie gestolpert wäre.

»Was für ein Pack!«, schimpfte er. »Liegen hier einfach faul herum und schlafen, anstatt diese Kuh aus dem Grab heraus zu holen.«

Er stieß einen mit dem Fuß an. »Hey, aufwachen!«

Als dieser nicht darauf reagierte, stutzte er. Er ging in die Hocke und fühlte den Puls. Sie lebten also noch, aber warum rührten sie sich nicht. Er untersuchte den Mann flüchtig und entdeckte einige blaue Flecken auf dem Bauch. Unwillkürlich griff er sich an den eigenen, als er sich dem Angriff Joorns in dem Zelt erinnerte.

Demnach war die Archäologin also schon hier gewesen. Hatte sie ihm gar eine Falle gestellt?

Erschreckt fuhr er auf und griff nach seiner Waffe, doch Denise war nirgends zu sehen. Anschließend lief er zum Auto zurück und schnappte sich das Funkgerät. Er wollte gerade zu sprechen anfangen, da stockte er.

Warum soll ich Muhalla warnen?, fragte er sich. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Sollen sich doch Joorn und Muhalla die Schädel einhauen, dann ist der Triumph mein!

Mit einem gehässigen Lachen betrat er den Gang, doch im Halbdunkel kehrte die Angst zurück. Nervös zuckte sein Arm mit dem Kombistrahler hin und her. Hinter jeder Ecke, in jedem Schatten, den seine Lampe warf, meinte er, seine Gegnerin erkennen zu können.

Schließlich stieß er auf einen großen kubischen Block, der mitten im einem weit gestreckten Raum stand. Die Schleifspuren und das exakt genau so große Loch in der Wand waren eindeutig. Van Kehm beschloss, diesen Gang zu nehmen und nicht dem Weg zum Grab zu folgen.

Der Gang hatte genau die Ausmaße des Blocks und war damit sehr niedrig, sodass Johannes gebückt gehen musste.

»Das hier sieht aus, als wäre alles aus kubischen Elementen zusammen gesetzt worden«, schimpfte er leise im Selbstgespräch. »Entweder sind die Blöcke da, oder es ist ein Gang – aber immer exakt in denselben Dimensionen. Wer konnte sich bloß so etwas hirnverbranntes ausdenken?«

Als der Schein seiner Lampe auf eine glitzernde Oberfläche fiel, verstummte er. Wasser? Hier?

Van Kehm fiel der unterirdische See auf der anderen Seite des Eingangs ein. Anscheinend durchzog er die ganze Tempelanlage.

Vorsichtig tauchte er einen Finger in das Nass. Es war eisig kalt. Van Kehm zog seinen Finger zurück.

»Nein, da gehe ich nicht rein!«, sagte er zu sich selbst.

Er tauchte einen Fuß herein. Seine Bekleidung war zwar Feuchtigkeit abweisend, aber gegen Untertauchen half auch das nicht viel.

»Nein, nicht mit mir!«, schimpfte er.

Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, wie er diesem Ungemach entgehen konnte. Er entdeckte, dass ein kleiner Grat an der Wand entlang führte. Sofort betrat er ihn und balancierte an der Wand entlang. Der Sims war nur wenige Zentimeter breit, sodass er es mit der Angst zu tun bekam. Als wäre das noch nicht genug, bemerkte er, dass er immer schmaler wurde. Er leuchtete etwas mit seiner Lampe voraus und stellte fest, dass er nach wenigen Schritten ganz verschwand.

»Joorn, das ist alles nur deine Schuld!«, schrie er seine Wut heraus, dann verschwand er mit lautem Klatschen in den Fluten.

 

Denise Joorn

Prustend tauchte Denise aus dem Wasser auf. Sie zog sich an Land und schlotterte. So kalt hatte sie sich das kurze Bad nicht vorgestellt. Sie zog ihre Kleidung aus und wrang alles aus. Doch auch danach klebte noch alles nass an ihrem Leib. Sie zitterte vor Kälte.

Ihr Blick fiel auf eine kleine Drachen-Figur, die am Ufer des unterirdischen Sees stand. Sofort war die Kälte vergessen und die wissenschaftliche Neugier erwachte.

Sie näherte sich und musterte das Objekt. Es bestand aus einem unbekannten Material, das Grün bemalt war. Äußerst filigran war der Drache – eine bessere Bezeichnung fiel Denise nicht ein – gearbeitet worden.

Vorsichtig wollte sie die Statuette aufheben, doch als sie das Objekt berührte, löste es sich in Luft auf. Sie meinte, eine Glocke irgendwo in der Ferne schlagen zu hören. Kopfschüttelnd stand sie auf.

»Diese Anlage steckt voller Geheimnisse«, murmelte sie zu sich selbst und beschloss, die nächsten Meter joggend zurückzulegen, um wieder warm zu werden.

Ihr Weg führte sie durch Gänge, die über und über mit Hieroglyphen und den typischen ägyptischen Reliefzeichnungen bedeckt waren. Hätte Denise Joorn nicht genau gewusst, dass sie sich viele tausend Lichtjahre entfernt von Terra aufhielt, hätte sie direkt außerhalb dieser Anlage den Nil vermutet.

Dennoch blieb die Angst, dass wieder einige dieser Kampfroboter auftauchen konnten. Vielleicht hatte auch Kawai Muhalla diesen Gang entdeckt und einen Hinterhalt gelegt. So hob sie ihren Dauerlauf schon nach wenigen hundert Metern wieder auf, um besser die Umgebung beobachten zu können.

Flüchtig las sie einige Phrasen an den Wänden. Meist war von Amun, Horus, Anubis und natürlich Nepthys die Rede. Außerdem tauchte erstaunlich oft der Name Seth auf. Denise fragte sich, woher wohl dieses Interesse für den Wüstengott kam. Ihrem Wissen nach, waren zwar Seth und Nephtys verheiratet gewesen, trotzdem hätte sie nicht mit dieser Masse an Zeichnungen gerechnet. Ihr erschien es fast, als wäre Seth mehr als die anderen Götter verehrt worden. Dagegen schien der Totengott Osiris komplett zu fehlen, und das, obwohl sie hier in einem Grabmal stand.

Eine eindeutige Abweichung von der Erde, zog sie den Schluss. Offenbar lief hier doch alles nicht so parallel, wie sie dachte.

Seth war ein vielseitiger Gott. Vereinzelt war er verehrt worden, galt als Beschützer der Oasen. Bekannte Pharaonen wie Sethos oder Sethnacht hatten seinen Namen geführt. Seth war auch ein Schutzgott. Doch die meisten Altägypter hatten ihn mehr gefürchtet. Seth galt als Gott der Wüste, der Stürme. Er war der arglistige Verräter und Mörder seines Bruders. Einige assoziierten Seth sogar als Chaos. Das war schon immer ein interessanter Aspekt gewesen, denn seit knapp 900 Jahren wusste die Menschheit von der negativen Superintelligenz SETH-APOPHIS. Als Ägyptologe hatte Denise sich oft gefragt, wieso diese Entität einen Doppelnamen besaß, der auch in der ägyptischen Mythologie zu finden war. Neben Seth war auch Apophis ein eher finsterer Gott.

War es nur eine Namensähnlichkeit, ein Übersetzungsfehler eines Translators?

Für Seth gab es viele Namen. Sutech, Setech, Set oder Wedja um nur einige zu nennen. SETH-APOPHIS hieß in der Sprache der Parsynnen »Unfall Nummer Drei« oder »Die, die alle Schwierigkeiten überwinden kann«. Die Parsynnen aus der Galaxie Uxförd waren für die Entstehung der Superintelligenz verantwortlich gewesen. Ob die unbekannte Zivilisation, nach denen Denise suchte, Kontakt zu SETH-APOPHIS gehabt hatte?

Es gab noch weitere Namensähnlichkeiten zu außerirdischen Wesen. So als Bespiel Iruna von Bass-Thet. Der Klang des Nachnamens der Akonin war ähnlich dem der ägyptischen Katzengöttin Bastet. Bisher hatte man vermutet, dass das sehr alte Adelsgeschlecht derer von Bass-Thet vielleicht ebenfalls während der pharaonischen Zeit auf Terra gewirkt hatte.

Die wohl bekannteste Namensähnlichkeit waren die Hathor. Sie beherrschten einst vor 2,5 Millionen Jahren die Galaxie Andromeda, welche Hathorjan genannt wurde. In der ägyptischen Mythologie war Hathor eine wichtige Göttin, die Göttin der Liebe, der Schönheit, des Friedens und der Kultur.

Etwaige Besuche von Hathor aus Andromeda während der pharaonischen Zeit waren Denise Joorn nicht bekannt.

Als sie weiter lief, bemerkte sie, wie einige Rohre aus der Wand liefen und im Boden verschwanden. Sie schienen eindeutig aus Metall zu bestehen und passten überhaupt nicht in das restliche Bild der altägyptischen Grabanlage. Die Zeichnungen, die die Rohre einrahmten, und einige Hieroglyphen, die die Rohre selbst bedeckten, bewiesen jedoch, dass die Rohre zuerst da gewesen waren.

Die gesamte unterirdische Anlage war eine Mischung aus einem altägyptischen Tempel und einer modernen Station. Denise erinnerte sich an die Halle, in der sie eine sehr detaillierte Sternenkarte entdeckt hatte. Diese Halle lag quasi auf der anderen Seite des Tempels. Dort war sie zuerst in die unterirdischen Katakomben eingedrungen.

Mittlerweile war sie dem im Zickzack zwischen den Rohren und einigen Säulen hindurch führenden Gang so weit gefolgt, dass sie ihn langsam verlassen musste, um Nephtys Grab zu erreichen. Sie hatte keine Ortungswerkzeuge oder Positionsgeräte, aber sie verließ sich auf ihren guten Orientierungssinn und hielt nun gesondert nach einem Raum oder Durchgang Ausschau, der sie in die gewünschte Richtung führen würde.

Als sie einen Durchgang entdeckte, der viel versprechend schien, betrat sie den dahinter liegenden Raum und blieb verblüfft stehen. Dieser Raum war komplett leer und die Wände waren kahl, was im krassen Gegensatz zu dem Korridor stand. So zogen die meiste Aufmerksamkeit einige Gegenstände auf sich, die in einem Kreis angeordnet in der Mitte des Raums lagen.

Neugierig trat Denise in den Kreis, um sich die Gegenstände genauer ansehen zu können. Da erhoben sie sich wie auf ein geheimes Kommando und begannen, sie schwebend in Augenhöhe zu umkreisen. Denise sah ein Notizheft aus Papier, ein altertümliches Gewehr, einige Fackeln und ein goldenes Amulett, dann begann der Zyklus von neuen.

Sie entschied sich für das goldene Amulett und griff zu, als es vorbei schwebte. Sofort lösten sich alle anderen Objekte auf.

Joorn war mittlerweile über den Punkt hinaus, wo sie sich noch über irgendetwas in dieser Anlage wunderte, und untersuchte lieber das Amulett. Es hatte die Form eines Ankh, war etwa 5 Zentimeter groß und ähnelte in jeglicher Hinsicht dem Lebenssymbol, das vor sieben Jahren von der Crew der IVANHOE auf Seshur gefunden wurde. Laut Aussage von Mathew Wallace hatte er es von einem Einheimischen erhalten.

Wenn sie sich nicht völlig täuschte, sollte sie mittlerweile in der Nähe des Grabs sein. So suchte sie einen Gang, der in die gewünschte Richtung führte. Dieser Gang war wieder recht niedrig, also würde sie abermals geduckt gehen müssen. Sie wollte ihn gerade betreten, als sie ein Knacken hörte.

 

Johannes van Kehm

Johannes van Kehm ließ sich einige Meter orientierungslos durch das Wasser treiben. Die Hände hatte er eng an den Oberkörper gepresst, da das Wasser sehr kalt war. Er schätzte es auf unter 20 °C.

Als er an eine Stelle kam, an der die Decke so niedrig wurde, dass er tauchen musste, fluchte er hemmungslos. Er wollte wieder umkehren, doch der Hass auf Denise Joorn, die offensichtlich hier entlang gekommen war, stachelte ihn auf.

Johannes van Kehm konnte nicht schwimmen. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, es zu lernen. Wozu auch? Schließlich gab es Boote und Gravo-Paks!

So holte er tief Luft und stemmte sich von der Decke aus unter Wasser und krabbelte dann kopfüber weiter. Mehr und mehr wurde ihm die Luft knapp und die Panik stieg. Wie hatte Denise es geschafft, hier durch zu kommen?

Natürlich kann sie schwimmen!, dachte er ärgerlich. Sie kann ja alles perfekt. Und ich saufe hier ab.

Seine Verzweiflung stieg und er krabbelte schneller und schneller. Immer weiter rutschte er von der Decke ab und schürfte sich die Haut von den Knien und Händen ab, aber in seiner Todesangst fühlte er keinen Schmerz. Dann, als er schon mit dem Leben abschließen wollte, griffen seine Hände plötzlich ins Leere und er kam an die Wasseroberfläche.

So schnell es ging, stieß er sich mit den Füßen von dem Boden des Bassins ab und zog frische Luft in seine Lungen, er atmete, atmete und atmete.

Keuchend paddelte er zum Rand des Beckens und zog sich total erschöpft ans Ufer. Während er da lag und wieder zu Atem zu kommen versuchte, entdeckte er einige Pfützen, die unmöglich von alleine dorthin gekommen sein konnten. Er selbst hatte sie auch nicht produziert, also konnten sie nur von einer Person stammen.

»Denise Joorn!«, grollte er. Jetzt hatte er den endgültigen Beweis, dass sie hier war. Immer war sie schneller als er. Wo er hart für arbeiten musste, fiel es Denise einfach so zu.

Zunächst hatte er versucht, ihr unglaubliches Talent zu seinen Gunsten zu nutzen, als er die jugendliche Ausreißerin auf Olymp entdeckt hatte. Doch als ihr Interesse an der Archäologie erst geweckt worden war, hatte sie ihn in den zwei Jahren überflügelt. Sie war talentierter im Umgang mit Waffen, sie war körperlich athletischer, hatte eine bessere Kondition und den Enthusiasmus der Jugend mitgebracht. Zuerst hatte es van Kehm gefallen, doch Joorns naive Prinzipien hatten letztlich alles ruiniert. So war er ganz froh gewesen, dass sie geglaubt hatte, er wäre tot.

Beide waren Schatzjäger, Forscher, Archäologen und Grabräuber. Denise Joorn tat es für die Wissenschaft und für den eigenen Kick. Van Kehm tat es für das Geld und dann für die Wissenschaft. Abenteuer wie diese – davon wollte er eigentlich nichts wissen.

Schlagartig traf van Kehm die Kälte, die er bis jetzt in seinem Wutrausch nicht bemerkt hatte. Er begann, am ganzen Körper zu schlottern und mit den Zähnen zu klappern. Eilig zog er sich aus und wrang das Wasser aus seiner Kleidung. Er hoffe, dass Denise Joorn jetzt nicht vorbei kam, denn so entblößt wollte er ihr keineswegs entgegentreten. Früher hätte er es sicherlich gewollt, vielleicht hatte er sich auch ein wenig in die attraktive Schönheit verliebt gehabt, aber diese Gefühle waren schon lange gewichen.

Schweigend zog er die immer noch nasse Kleidung wieder an. Er störte sich wenig daran, denn der teure Spezialstoff würde sich schon in wenigen Minuten selbsttätig wieder getrocknet haben. Zusätzlich aktivierte er die in seine Unterwäsche eingebaute Heizung, schnell breitete sich wohlige Wärme auf seiner Haut aus.

Er griff nach Waffe und Lampe und folgte wieder der Archäologin.

Er ging gerade durch einen langen mit merkwürdigen Rohren versehenen Gang, da drang plötzlich ein Piepsen aus seiner Kleidung. Nach einer Schrecksekunde fiel ihm ein, was das Geräusch verursachte. Er flüchtete in einen Seitengang und hoffte, dass Denise ihn nicht gehört hatte, dann erst nahm er den Anruf auf dem Interkom entgegen.

»Hallo, Chef!«, erklang die Stimme seines ersten Assistenten.

»Barlibus?« Johannes war erstaunt. »Lassen sie euch jetzt funken?«

»Nein«, gab Barlibus zu. »Kawai Muhalla hat mit fast allen seinen Leuten das Lager verlassen. Mit dem Rest hatten wir ein leichtes Spiel. Wir konnten uns befreien und aus dem Lager flüchten. Wo bist du?«

»Na, wo wohl?«, erwiderte er wütend. »Ich kämpfe mich hier durch dieses verdammte Grabmal und versuche, unsere lästige Hathorkuh zu finden!«

»Denise Joorn?«

»Ich will diesen Namen nicht hören!«, bellte er und verstummte dann erschrocken. Hoffentlich hatte sie ihn nicht gehört. »Könnt ihr herkommen?«

»Natürlich, Chef!«

»Ich vermute, dass Kawai Muhalla das Grab bewacht. Räuchert ihn aus. Mir ist nur recht, wenn wir ihn beseitigen können.«

Barlibus schluckte. »Aber …«

»Kein Aber! Wenn es keine Zeugen gibt, haben wir Ruhe. Muhalla wollte uns hinrichten lassen und hat seine Pläne bestimmt nicht aufgegeben. Wenn wir also in Ruhe leben wollen, muss er und seine verrücken Wächter der Pharaonen beseitigt werden. Ende!«

Er schaltete den Interkom ab und trat wieder auf den Gang. Hoffentlich hatte Joorn ihn nicht gehört, denn dann würde sie ihm mit Sicherheit einen Hinterhalt stellen. Er malte sich blumig aus, wie er wohl mit ihr verfahren würde, wenn er sie erst in die Hände bekam.

Aber war das wirklich die beste Vorgehensweise? Van Kehm kamen immer mehr Zweifel, je länger er darüber nachdachte. Eigentlich konnte ihm nicht viel passieren. Muhalla wähnte ihn auf seiner Seite und würde ihn sicherlich in Ruhe lassen, wenn er in der Nähe des Grabs auftauchte. Und Joorn hatte ihn immerhin befreit. Sicherlich würde sie ihn nicht gleich niederschießen, wenn sie ihn entdeckte. Sollte er sich mit ihr zusammentun?

Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm dieser Plan. Würden seine Männer rechtzeitig eintreffen und Muhalla besiegen, konnte er Denise ebenfalls beseitigen und den Ruhm über die Entdeckung von Nephtys Mumie alleine beanspruchen, außerdem war er die nervende Göre ein für alle Mal los. Erwies sich Muhalla als schwieriger als erwartet, konnte er sie ausliefern und bei ihm punkten. Er hatte Muhallas Wunsch erfüllt und würde gehen dürfen. Zwar hatte er dann nicht das Grab geöffnet, doch das lief ihm nicht weg. Auf Lepso oder der BASIS würden sich sicherlich Helfer finden lassen, die auch dieses Problem beseitigen würden …

Mit einem zufriedenen Lächeln ging er weiter und schaute beiläufig in einen Durchgang zu einem Raum, in dem Denise Joorn stand.

Er war schon einige Schritte weiter gegangen, als ihn der Schreck traf. Instinktiv ergriff er den Kombistrahler und wollte zurückeilen, als ihm sein Plan wieder einfiel. Böse grinsend steckte er die Waffe wieder weg. Er schlich an den Rand des Durchgangs und beobachtete die Frau.

Denise Joorn stand in einem völlig kahlen Raum. Um ihren Kopf schwebten einige mysteriöse Gegenstände, die ihren Kopf wie ein Zentralgestirn umkreisten. Ungläubig rieb van Kehm sich die Augen, doch die Gegenstände blieben. Jetzt griff sie nach einem Objekt und alles löste sich in Luft auf.

Hologramme in einem ägyptischen Grabmal?, wunderte er sich. Er dachte gar nicht mehr daran, dass er momentan gar nicht in Ägypten, sondern auf den Planeten Seshur war.

Er sah, dass Denise eines der Objekte, einen Ankh, in der Hand hielt und untersuchte.

Doch kein Hologramm, schloss er. Aber was dann? Formenergie? Fiktivtransmitter?

Aber das konnte doch nicht sein!

Nun steckte Denise Joorn das goldene Ankh-Symbol ein und wandte sich einen kleinen Durchgang zu, der aus dem Raum führte.

Johannes van Kehm sah eine günstige Gelegenheit gekommen. Er betrat den Raum und wollte sie gerade auf sich aufmerksam machen, da gab die Bodenplatte, durch sein zusätzliches Gewicht belastet, nach. Sie zerbarst in kleine Stücke. Denise und Johannes wurden nach unten gerissen. Während sich erstere noch am Rand in den Gang festhalten konnte, fiel van Kehm komplett zu Boden.

Als er sich aufrappelte, schien eine Hand aus kaltem Eis nach seinem Herz zu greifen, denn rechts und links ragten angespitzte Baumstämme empor.

Eine Falle!, dachte er zitternd. Nur eine Handbreit weiter nach links oder rechts, und ich wäre aufgespießt worden.

Schaudernd suchte er nach einem Ausweg und fand schließlich einen keinen Tunnel, in den er sich zwängte. Denise Joorn hatte er vor lauter Schreck völlig vergessen.

 

Denise Joorn

Denise Joorn reagierte augenblicklich, als der Boden nachgab. Geistesgegenwärtig warf sie sich nach vorne und bekam die Abbruchkante zu dem Gang zu fassen, in den sie eigentlich gehen wollte. Sie zog sich elegant empor und da der Raum bis zu dem Gang es zuließ, ließ sie sich über einen gleitenden Handstand auf die Füße sinken. Als sie gerade den Kopf zwischen den Armen hatte und zurück blicken konnte, sah sie eine bekannte Gestalt zwischen den Speeren der Todesfalle hindurch huschen.

Verwundert kehrte sie zur Kante zurück und beobachtete, wie Johannes van Kehm aus der Grube verschwand.

Johannes van Kehm?, wunderte sie sich. Was will der denn hier?

Sie fragte sich, ob es van Kehm wohl doch gelungen war, aus Muhallas Lager zu entkommen, verneinte das aber recht schnell.

Sicherlich hat dieser Sack Kawai Muhalla irgendwie davon überzeugen können, ihn frei zu lassen, kombinierte sie und zuckte mit den Schultern. Na soll er doch, solange er mich nicht wieder am Grab stört …

Sie kehrte der Fallgrube den Rücken zu und betrat den Gang, in dem sie schnell eine gebückte Haltung einnehmen musste, um weiter zu kommen. Die Decke wurde niedriger und niedriger, schließlich musste sie kriechen, um überhaupt noch vorwärts zu kommen.

Sie rechnete schon damit, stecken zu bleiben, da öffnete sich plötzlich unter ihr ein Loch von etwa vierzig mal vierzig Zentimetern Größe. Sie erblickte unter sich eine weite Halle, in der sie schnell den unmittelbaren Vorraum des Grabs wiedererkannte. Innerlich beglückwünschte sie sich zu ihrer guten Orientierungsleistung, doch dann entdeckte sie Kawai Muhalla. Der Vorsitzende der Terranischen Altertumsforschung hatte persönlich die Aufgabe übernommen, das Grab der Nephtys zu bewachen.

Sie überlegte, was sie tun konnte. Sicherlich würde sie ihn problemlos mit ihrem Paralysator erwischen können, aber sie war sich sicher, dass noch weitere Wächter in der Nähe waren. Sie würde schon alle gleichzeitig erwischen müssen, um durch zu kommen. Doch das schloss sie aus. Sie entschied sich dafür, erst einmal abzuwarten, ob Johannes van Kehm nicht irgendwo erneut auftauchte.

Sie brauchte nicht lange auszuharren. Nur wenige Minuten später erklang ein Schaben und ein großer Brocken löste sich aus der Wand. Kawai Muhalla und zwei von Joorn bis jetzt unentdeckte Wächter rannten sofort zu der Stelle. Sie wollte die Gelegenheit nutzen und aus ihrem Deckenversteck klettern, doch dann besann sie sich doch noch einmal anders. Sie wollte erst wissen, woran sie war.

Als Kawai Muhalla Johannes van Kehm entdeckte, senkte er seine Waffe. Jetzt war sich Denise Joorn sicher, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Sie konnte von ihrer Position aus gut das Gespräch belauschen, das sich nun entwickelte.

»Johannes van Kehm!« Kawai Muhalla lachte. »Kommen Sie sonst auch aus der Wand gekrochen?«

»Äußerst witzig.« Van Kehm klopfte sich einigen Staub aus der Kleidung. »Ich habe Joorn entdeckt, jedoch ist sie mir entkommen.«

»Bedauerlich«, meinte Muhalla und spielte mit dem Auslöser seiner Waffe. »Äußerst bedauerlich.«

Er blickte gelangweilt durch den Raum. Sein Blick streifte dabei das Loch in der Decke. Denise Joorn ging sofort in Deckung, war sich jedoch nicht sicher, ob er sie nicht doch gesehen hatte.

»Sie wird bestimmt bald hier auftauchen«, sagte van Kehm.

»Mit Sicherheit«, antwortete Muhalla.

Denise schob ihren Kopf vorsichtig wieder nach vorne. Sie sah, dass der Wächter der Pharaonen immer noch das Loch fixiert hatte und zog ihren Kopf gedankenschnell wieder zurück.

»Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern«, sagte Kawai so bedrohlich leise, dass Denise Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen.

Sie fluchte lautlos. Er hatte sie eindeutig entdeckt. Bestimmt hatte er bereits einen seiner Lakaien losgeschickt, um sie von hinten zu überraschen. Sie saß in der Falle.

Plötzlich vernahm sie Lärm von unten. Das Fauchen von Nadlerstrahlern war zu hören. Schreie. Gepolter. Muhalla brüllte einige Befehle.

Jetzt hielt sie es vor Neugier nicht mehr aus, so langsam wie möglich schob sie sich vorwärts und starrte wieder nach unten, wo sich ein Kampf entwickelte. Sie entdeckte Leute von Muhalla und van Kehm, die sich unten ein Gefecht lieferten.

Es war eindeutig zu gefährlich hier nach unten zu springen und zwischen die Fronten zu geraten. Sie robbte rückwärts, bis der Gang so groß wurde, dass sie sich umdrehen und gebückt laufen konnte.

Sie hatte ihre Lampe schon lange ausgeschaltet, so konnte sie den Lichtschein, der ihr entgegen kam, schon von weitem sehen. In aller Gemütsruhe zog sie eine der beiden Waffen, zielte ausgiebig und schoss. Ein dumpfer Laut erklang. Mit einem gespielten Gähnen eilte sie weiter den Tunnel entlang und entdeckte den bewusstlosen Kämpfer Muhallas wenig später.

»Selbst schuld, Süßer«, spendete sie ihm Trost und drückte seine Augen zu, damit sie durch die Paralyse nicht austrockneten.

Kurz danach erreichte sie wieder die Bruchkante. Vorsichtig ließ sie sich daran herab sinken und nutzte dabei einen abgebrochenen Schaft, den ihr vermeintlicher Gegner offenbar auch zum Hochklettern genutzt hatte.

Danach zwängte sie sich in den schmalen Tunnel und krabbelte in die Halle, in der der Kampf immer noch im vollen Gange war. Als sie den von Johannes van Kehm herausgeschobenen Kubus erreichte, beobachtete sie vorsichtig das Geschehen, bemerkte jedoch schnell, dass ihr keine Gefahr drohte. Alle achteten nur auf ihre Gegner und hatten gar keinen Zeit, die Umgebung zu beobachten.

Die Luft schien also rein zu sein. Denise Joorn schlich sich am Rand der Halle entlang. Sie freute sich gerade darüber, völlig unbemerkt geblieben zu sein und wollte in dem Durchgang verschwinden, da bemerkte sie, dass Muhalla diesen bewachte.

Dieser alte Fuchs!, schimpfte sie gedanklich. Gibt der sich denn nie geschlagen?

Sie packte wieder beide Waffen und stürzte sich um die Ecke. Muhalla reagierte augenblicklich, sodass Joorns Schüsse ins Leere gingen. Jetzt schoss er, doch Denise war zu Boden geglitten und rollte sich unter den Schüssen hindurch und wischte seine Beine weg. Mit einem erstickten Schrei sank Kawai zu Boden. Denise stürzte sich sofort auf ihn. Mit ihren Knien drückte sie seine Arme zu Boden, dann verpasste sie ihm rechts und links eine, sodass er benommen zurück sank.

Denise suchte ihre Waffen. Sie waren ihr bei der Rolle aus der Hand geglitten. Ein Schuss rauschte über sie hinweg. Sie warf sich zur Seite und rollte hinter die Mauer in Deckung. Johannes van Kehm hatte geschossen. Sie ballte die waffenlosen Hände zu Fäusten und stand neben dem Durchgang auf.

Als eine Hand mit einer Waffe auftauchte, schlug sie zu. Ein Schrei erklang. Sie wollte nachsetzen, da rief van Kehm:

»Warte! Wir wollen beide nur eines – den Sarg öffnen. Lass uns zusammen arbeiten, bevor Muhalla zu sich kommt und seine Männer ruft.«

Denise Joorn überlegte nur den Bruchteil einer Sekunde. »Einverstanden!«

Gemeinsam rannten sie los. Van Kehm packte rechts zu, Joorn links. Mit aller Kraft hievten sie den steinernen Sarkophag-Deckel hoch, stellten jedoch fest, dass das Material ungewöhnlich leicht war – und immer leichter wurde. Dann entglitt der Deckel völlig ihren Händen und schwebte zur Decke. Ein Brummen erklang.

»Nein!«, schrie Kawai Muhalla, rappelte sich auf und rannte heran. »Was habt ihr getan!«

Der Kampflärm erstarb von einem Augenblick auf den anderen. Verwundert blickten die drei Menschen in die Vorhalle und entdeckten, dass ein bläuliches Flimmern den Durchgang verschloss.

»Ein Schutzschirm!«, staunte Denise Joorn und blickte in den Sarg.

In dem Sarkophag befanden sich nicht etwa, wie für ägyptische Gräber üblich, ein Metall- und darin ein Holzsarg, sondern die Mumie lag direkt in dem Steingebilde – oder auch nicht, denn was äußerlich wie Stein aussah, entpuppte sich als mit fremdartiger Technik gespicktes Behältnis. Die Mumie, die auf Kissen lag, war jedoch nicht völlig in Leinen gewickelt. An vielen Stellen war alte, eingetrocknete Haut zu erkennen. Sie sah zwar mumifiziert aus, aber auf irgendeine Weise wirkte sie viel zu wenig eingefallen.

Dann bemerkte Denise das leichte Flimmern, das den Körper umschloss. »Ein Stasisfeld?«, fragte sie van Kehm, was ihr gerade in den Sinn kam.

Dieser zuckte aber nur mit den Schultern und wirkte auf nicht näher bestimmbare Weise enttäuscht. Denise vermutete, dass er wohl Schätze in der Art von Tuchanchamuns Goldmaske erwartet hatte. Mit etwas Fantasie konnte sie durchaus die Galax-Symbole in seinen Augen schimmern sehen.

In diesem Moment bewegte sich die Mumie!

Denise schien das Herz stehen zu bleiben und auch van Kehm wurde aschfahl. Muhalla hingegen sank auf die Knie vor Ehrfurcht. Denise bemerkte, dass das Flimmern verschwunden war, da setzte sich Nephtys auch schon auf.

Sie entdeckte die drei anwesenden Terraner und begann mit krächzender Stimme zu sprechen. Denise brauche einige Sekunden, bis sie die Sprache erkannte.

Das ist Altägyptisch wie es zu Zeiten des Alten Reiches gesprochen wurde!, dachte sie fassungslos. Mein Gott! Sie muss über sechstausend Jahre hier gelegen haben!

»… seid ihr? Seid ihr Bewohner von Seshur?«

Denise überwand den Schreck als erstes. »I – Ich bin Denise Joorn. Das ist Johannes van Kehm und er ist Kawai Muhalla. Wir haben … Wir wollten …«

Hilflos ruderte sie mit den Armen. Warum sagten die anderen nichts?

Nephtys Stimme wurde langsam fester. »Bringt ihr mir das Leben zurück?«

Denise war verwirrt, doch die Bedeutung der Wörter war eindeutig.

»Wir haben deinen Sarg geöffnet und dich dadurch geweckt«, gestand sie schließlich hilflos.

Nephtys schaute sich im Raum um. Der Großteil ihres Gesichtes war zwar von den Leinen bedeckt, aber Denise war sich dennoch sicher, dass Nephtys hochgradig verwirrt war.

Kein Wunder, überlegte sie. Nicht einmal Atlan hat so lange geschlafen. Vermutlich hat sie geistige Schäden durch die lange Stase erlitten.

»Wo ist Seth?«

Denise zuckte zusammen. Seth? In der ägyptischen Mythologie war Seth der Gemahl der Nephtys und ebenfalls ein Gott. Hieß das, dass Seth ebenfalls real existierte? Die anderen Götter – Amun-Ré, Osiris, Horus, Anubis, Chepre und wie sie alle hießen – etwa auch? Ihr wurde angesichts dieser Aussichten schwindelig.

Nephtys hatte sich derweil mühsam aus ihrem Sarg gekämpft. Wackelig stand sie auf ihren Beinen und schlürfte schwankend zu einer Wand, wo sie einen verborgenen Kontakt berührte. Ein Teil der Wand löste sich auf, als wäre er nie da gewesen.

Denise Joorn, Johannes van Kehm und Kawai Muhalla waren unfähig, irgendetwas zu tun. Zu groß waren die in diesen Augenblicken zu verarbeitenden Ereignisse, als das sie darauf reagieren konnten.

Als der Kampflärm wieder einsetzte, bekam Denise vor Schreck beinahe einen Herzinfarkt. Nephtys musste durch ihre Tätigkeiten den Paratron deaktiviert haben. Einige Schüsse fauchten in den Raum und brannten schwarze Flecken in die prächtige Wandmalerei.

Denise rannte sofort zu der Göttin, die in ihrer Geistesabwesenheit nichts zu bemerken schien. Die Kammer, die Nephtys betreten hatte, war vollgestopft mit fremdartiger Technik, die Denise nie zuvor gesehen hatte – wie vieles in den vergangenen Tagen, wie sie grimmig feststellen musste.

Nephtys wanderte mühsam durch den Raum und aktivierte dabei einige Apparate. Plötzlich erschien eine Gestalt in dem Raum. Denise hielt den Atem an. Sie musste sich erst selbst einhämmern, dass dies nur ein Hologramm war. Der Mann war südländischen Typs, hatte mittellange schwarze Haare, ein ausdrucksvolles Gesicht und einen stählernen Körperbau.

Denise traf die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Osiris! Dies musste Osiris sein!

Als ihr das klar geworden war, verschwand der Mann auch schon wieder. Er wurde von einem Wesen abgelöst, welches Halb Mensch, halb Falke war. Es öffnete seinen Schnabel und begann zu sprechen: »Hallo, liebe Tante Nephtys!«

Denise glaube, sich verhört zu haben. Tante? Wer hat denn eine leibhaftige Göttin als Tante?

Ein anderer Gott, schloss sie sehr schnell den Schluss und ging im Geiste die Ahnentafel der ägyptischen Götter durch.

Sie brauchte nicht lange nachzudenken, um sicher zu sein, dass der Falkenmensch nur Horus sein konnte. Der Gott galt als Sohn von Osiris und Isis und war von den alten Ägyptern immer als Falke oder als Mensch mit Falkenkopf dargestellt worden.

Offenbar absolut passend, musste Denise zugeben. Sie hatte inzwischen bemerkt, dass Horus' Rede nur eine Aufzeichnung war, denn der Gott blickte nicht Nephtys an, sondern hatte seinen Blick auf einen imaginären Punkt gerichtet.

»Du musst in einer Stase warten«, erklärte Horus gerade seiner Tante, »bis wir einen neuen Zellaktivator gefunden haben. Leider bleibt uns keine andere Wahl, als auf Larsaf III zu bleiben und die Strafe von AMUN abzuwarten. Aber du weißt ja, Osiris ist immer bei uns – auf seine Art …«

Denise war sich inzwischen sicher, in einem Traum zu sein. Nicht nur, dass sie eine lebende ägyptische Göttin entdeckt und geweckt hatten, jetzt stellte sich auch noch heraus, dass diese Götter Zellaktivator-Träger waren und den arkonidischen Namen für Terra kannten! Waren die ägyptischen Götter vielleicht Arkoniden gewesen?

Denise versuchte sich an die Chronik von Cyr Aescunnar zu erinnern, in der der Archäologe Atlans Erzählungen aus seiner Vergangenheit aufgezeichnet hatte. Denise kannte die Kapitel über das alte Ägypten beinahe auswendig. Sie wusste, dass Atlan selbst und auch einige Akonen in Kemet, wie die Ägypter ihr Land genannt hatten, gewesen war. Aber es war nie die Rede davon gewesen, dass alle Götter Außerirdische gewesen waren!

Nein, diesen Wesen waren mit Sicherheit keine Arkoniden. Sie tippte immer noch, dass es vielleicht Wesen aus der Galaxie M100 Dorgon waren. Doch mit Sicherheit konnte dies nur Nephtys beantworten.

Zellaktivator!

Denise brauchte immer noch, um diese Nachricht zu verarbeiten. Denn das bedeutete, dass vielleicht mehr von diesen Wesen Zellaktivatoren besaßen. Osiris, Horus, Seth? Und sie schienen auf Terra gelebt zu haben. Eine Strafe von Amun. Was mochten sie damit meinen? Amun, Atum, Re oder Ra – je nach Dynastie und Sprache – war der Sonnengott. Im Grunde genommen stellte die Sonne die höchste Gottheit dar. Existierte Amun also auch wirklich? Oder hatte er existiert?

Es gab noch eine weitere Frage, die Denise jedoch überaus beunruhigte. Wenn Nephtys keinen Zellaktivator mehr besaß und sie nun aus der konservierenden Stase erweckt worden war – wie lange hatte sie noch bis zum Zellverfall?

Nephtys drehte sich langsam um, als Horus' Abbild verblasste. Denise blickte in teilweise gebrochene, tief eingefallene Augen. Die Leinen hatten teilweise das Gesicht freigegeben und Denise konnte graue, auf merkwürdige Weise bröckelige Haut erkennen. Sie erschauerte, denn die Göttin musste unglaubliche Schmerzen haben.

Vermutlich hatte der Zellverfall schon längst begonnen. Vielleicht schon bevor sie in die Stasiskammer gelegt worden war.

»Mein Zellaktivator!« Nunmehr war Nephtys Stimme nur noch ein Hauchen. »Habt ihr meinen Zellaktivator mitgebracht?«

Mit einem kurzen Seitenblick stellte Denise Joorn fest, dass Muhalla vor Ehrfurcht völlig zu Boden gesunken war und sich nicht traute, seine Augen auf eine leibhaftige Göttin zu erheben. Johannes van Kehm hingegen murmelte unentwegt vor sich hin, also blieb es an Denise, mit Nephtys zu sprechen.

»Wir haben keinen Zellaktivator für dich«, musste sie traurig zugeben. »Aber du hast 60 Stunden Zeit, Ersatz zu finden, sicherlich …«

Nephtys schüttelte in einer unendlich langsamen Bewegung den Kopf. »Osiris …«

»Es sind sechs Jahrtausende vergangen«, versuchte Denise es erneut. »Osiris ist mit Sicherheit nicht mehr auf der Erde. Wir Terraner haben aber selbst Zellaktivatorträger. Perry Rhodan ist einer davon und befindet sich auf Terra … Larsaf III… Sicherlich kann er dir helfen!«

»Rhodan? Ich kenne keinen Rhodan. Ich brauche einen Zellaktivator. Gib mir einen Zellaktivator! Seth, was hast du mir angetan?«

Die Göttin brach zusammen. Denise Joorn stieß einen erstickten Schrei aus und eilte zu der uralten Frau. Vorsichtig versuchte sie, sie anzuheben. Dabei brach ein Arm der lebenden Mumie ab. Denise erschrak, aber die Göttin schien nichts zu spüren. Stattdessen versuchte sie, etwas aus der Tasche von Denise zu ziehen.

Denise bemerkte, dass es der kleine Ankh war. Sie zog ihn aus ihrer Tasche und legte ihn Nephtys in der Hand.

Ein Lächeln umspielte die spröden Lippen der vermeintlichen Göttin. »Der Zellaktivator … Du hast mir einen Zellaktivator gebracht. Bitte, setze ihn mir ein.«

Denise Joorn runzelte die Stirn. Nein, das kleine Amulett war auf keinen Fall ein Zellaktivator, das wäre ihr nicht entgangen. Jeder kannte die Geschichten von den belebenden Impulsen, die die Lebensspender ausstrahlten. Außerdem waren die Geräte der Unsterblichen eiförmig oder jetzt chipförmig gewesen, jedoch niemals in Form eines Ankh!

Sie hörte, wie hinter ihr einige Männer in die Grabkammer liefen.

»Chef, wir haben gewonnen. Muhallas Leute sind besiegt!«, berichtete Barlibus.

Denise Joorn hörte gar nicht richtig zu. Sie hob Nephtys auf, die leicht wie eine Feder war. Immer größere Brocken lösten sich aus ihrem Körper und fielen zu Boden, wo sie zu grauem Staub wurden.

»Wir werden dich retten«, rief Denise verzweifelt. »Wir legen dich wieder in Stase und suchen Osiris und einen Zellaktivator. Halte aus!«

Sie legte Nephtys wieder in den Sarkophag zurück. Dabei kam sie etwas unsanft auf, worauf auch der andere Arm und ein Bein abbrachen. Denise brach es fast das Herz, den rapiden Verfall sehen zu müssen. Sie fing an zu schluchzen.

Nephtys, die Denise schon für tot gehalten hatte, öffnete noch einmal die Augen. Sie blickte Denise Joorn an, die die Tränen nicht mehr halten konnte.

»Ich habe AMUN enttäuscht«, flüsterte Nephtys. Durch das Atmen löste sich die Haut von ihrem Brustkorb. Die Rippen wurden sichtbar und ihre Stimme immer leiser. »Wurde der Auftrag erfüllt?«

Nephtys erstarrte. Die unsterbliche ägyptische Göttin war tot!

Jetzt setzte der Verfall in noch viel rapideren Maße ein. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Denise nur noch Staub in den Händen hielt. Sie weinte hemmungslos und hörte erst damit auf, als sie den Lauf einer Waffe an ihrer Wange spürte.

Sie schluckte und drehte sich langsam um, nur, um dann in Johannes van Kehms Gesicht zu blicken, in der sich eine abfällige Verachtung ihr gegenüber zeigte.

»Du … du hast eine Göttin getötet! Du hast Billiarden Galax zu Staub zerfallen lassen, du dusselige Kuh«, schrie der Archäologe aufgebracht. »Schon allein dafür solltest du ihr folgen und dein Herz mit einer Feder aufwiegen lassen.«

Van Kehm spielte damit auf den Weg in die Unterwelt an. Nach dem Tode eines Ägypters hatte dieser sein Herz mit einer Feder vor den Toren zur Unterwelt aufwiegen müssen. Wer reinen Herzens war, der passierte Anubis und kam zu Osiris, doch wer voll Sünde war …

»Ihr beide habt sie auf dem Gewissen!«, fuhr eine Stimme dazwischen. Sie gehörte Kawai Muhalla.

»Wer wagt es …?« Johannes fuchtelte nervös mit seiner Waffe und blickte sich gehetzt um.

Denise Joorn nutzte die Gelegenheit. Sie schlug van Kehm die Waffe aus der Hand und warf ihn mit einem Tritt zu Boden. Diese Tat löste ein erneutes Gefecht aus. Van Kehms Leute und die wenigen von Muhallas Kämpfern griffen einander erneut an. Denise flüchtete hinter einige der Apparate, mit denen Nephtys hantiert hatte. Als der Kampf im vollen Gange war, schellte sie hoch und rannte, so schnell sie konnte, aus dem Grabmal.

*

Denise Joorn erreichte die Stadt. Ohne Umwege eilte sie zum Raumhafen und buchte eine Passage nach Terrania City. Sie hatte den ganzen langen Weg aus der Wüste Gossis über die Ereignisse nachgedacht.

Sie hatte einer lebenden Göttin gegenüber gestanden. Gut, Denise glaubte jetzt nicht genau daran, dass dieses zerfallende Wesen ein Gott gewesen war, doch sie war Vertreterin einer hoch entwickelten, alten Kultur gewesen. Eines Volkes, dessen Vertreter Zellaktivatoren trugen. Oder getragen hatten. Das sprach dafür, dass sie das Zwiebelschalenmodell gekannt hatten und somit auch Superintelligenzen oder gar Kosmokraten und Chaotarchen.

Wer waren sie? Wer war dieses Volk, welches vor 15.000 Jahren offenbar auf Seshur, Mashratan als auch Terra gelebt hatte?

Wie standen sie in Verbindung zu M100 Dorgon, wo ihre Namen bereits 100.000 Jahre früher genannt und verehrt worden waren? Waren sie vielleicht so alt? Das wäre durchaus möglich, wenn sie Zellaktivatorträger waren.

Und das bedeutete, dass sie vielleicht noch lebten. Osiris und Horus schienen auf Terra gelebt zu haben. Während Joorn sich in einem Ruheraum auf dem Raumhafen säuberte, kreisten ihre Gedanken um Osiris und Horus.

Osiris war der Gott der Unterwelt, er war der Vater von Horus und ein zentraler Bestandteil der altägyptischen Theologie gewesen. Horus war sein Nachfolger, nachdem Osiris von Seth verraten und ermordet worden war. Symbolisch repräsentierte der Pharao übrigens Horus und somit den Stellvertreter oder auch Nachfolger des Osiris.

Sie blickte auf einen kleinen Kugelraumer mit dreckiger Außenhülle. Ihr Weg zurück nach Terra. Auf Seshur wurde sie von van Kehm und Muhalla gejagt, doch wenn Osiris und Horus tatsächlich auf Terra gewesen waren, dann musste sie Ägypten auf den Kopf stellen.

Irgendwo musste es Beweise geben!

 

Kawai Muhalla

Der Anführer der Wächter der Pharaonen war außer sich vor Wut. Nicht nur, dass die beiden Ketzer alle seine Mahnungen und Drohungen missachtet hatten, nun hatten sie auch noch eine leibhaftige Göttin auf dem Gewissen!

Oft hatte er an seinem Glauben gezweifelt und alles hinschmeißen wollen, denn welchen Sinn hatte noch eine Organisation, die kurz nach Mohammeds Zeiten gegründet worden war und seit undenklichen Generationen ihrer mysteriösen Aufgabe nachkam. Sicherlich, er kannte die Legenden von dem, was Abd Allah en Mamun wirklich entdeckt hatte, aber die Gebote des Ordens hatten seitdem jeden daran gehindert, sich wirklich von der Existenz zu überzeugen. So blieben nur schriftliche Aufzeichnungen Mamuns und seiner Nachfolger als Beweis, dass das ägyptische Pantheon die einzig wahren Götter beherbergte.

Und die geheimen Aufzeichnungen, die sie unter dem Sphinx gefunden hatten …

Und nun hatte er einer dieser Götter gegenüber gestanden! Sie hatte gelebt! Gesprochen!

Muhalla konnte es immer noch nicht fassen, dass es wirklich passiert war. Ebenso wenig, wie er fassen konnte, dass sie von ihm gegangen war, woran nicht zuletzt die beiden Ungläubigen Schuld waren. Er war sich darüber klar, dass es nur auf einem dummen Zufall beruhte, aber dennoch hatten Denise Joorn und Johannes van Kehm eine unglaublich schwere Schuld auf sich geladen. Es war nicht zuletzt ihre maßlose Neugier gewesen, die sie den Sarg, in dem Nephtys sicher geruht hatte, öffnen ließ.

Gegen den religiösen Eifer von Muhalla und seinen Kriegern kamen die Leute um van Kehm nicht an. Schnell besiegten sie die vermeintliche Überzahl und setzten die Menschen fest.

»Sprengt diesen Tempel!«, wies er seine Leute an. »Hier darf nichts übrig bleiben und auf etwas hindeuten, was nicht hier sein dürfte. Die unübersehbaren Hinweise auf ägyptische Zeugnisse sind schon viel genug, aber das hier …«

Er deutete auf die technischen Geräte und schüttelte den Kopf. Seine Leute nickten und holten Sprengstoff, den sie in der Halle verteilten. Kawai Muhalla als Archäologen tat es weh, diese unglaublichen Kunstschätze einer vergangenen Epoche vernichten zu müssen, aber der Seelenschmerz war viel größer und konnte durch nichts wieder gut gemacht werden.

In seiner tiefen Trauer bemerkte er nicht, dass Joorn gar nicht mehr anwesend war, sondern streifte nur den paralysierten van Kehm mit einem abfälligen Blick. Dann verließ er die Grabanlage, die nun zu einem echten Grab werden würde.

Eine Stunde später kündigten ein Donner und eine Staubwolke an, dass das Grab der Nephtys nicht länger existierte.

Kawai Muhalla kehrte zur Erde zurück; er würde nach Ägypten reisen und in Luxor um Vergebung bitten, um seinen Seelenfrieden wieder zu erlangen.

 

Johannes van Kehm

Aus dem Schutt, den die Explosion zurück gelassen hatte, kämpfte sich eine Gestalt. Johannes van Kehm konnte es kaum glauben, dass er die Zerstörung der Anlage überlebt hatte. Muhallas Männer hatten ihn an eines der Aggregate gebunden. Voller Todesangst war er ins Innere der Maschine geklettert, als er entdeckt hatte, dass dies im Rahmen seiner Fesseln möglich gewesen war.

Wie durch ein Wunder hatte ihn diese Maschine geschützt. Die Ägypter, Seshuren, Götter oder wie auch immer er sie nennen sollte, schienen ausgesprochen zähe Maschinen gebaut zu haben. Van Kehm kannte sich in der Materie wenig aus, vermutete jedoch, dass es Ynkelonium, SAC oder ein ähnliches Metall war. Je länger er darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihn das, denn die Maschinen waren schließlich sprichwörtlich für die Ewigkeit konzipiert worden, und da brauchte es stabilere Materialien als nur Arkonstahl.

Dennoch war es fast unmöglich gewesen, sich aus der Falle zu befreien. Er sah, dass die Wände ebenfalls aus diesem unbekannten Metall bestanden und nur recht dünn von Stein bedeckt worden waren. Er staunte und fragte sich, ob vielleicht auch einige Gräber im Tal der Könige etwas anderes zu sein vorgaben, als wie wirklich sind.

Doch dann kehrte mit aller Gewalt die Wut zurück. Im Gegensatz zu Kawai Muhalla hatte er sehr wohl die Flucht von Denise Joorn bemerkt, und er wusste auch, wohin sie sich aufgemacht hatte.

Diesmal wirst du keinen Triumph erringen!, schwor er sich. Diesmal werde ich der erste sein, der das Geheimnis von Osiris lüftet!

 

2. Auf der Suche

»Fahr bitte rechts ran und steig aus!«

Ich gönnte mir ein kurzes Grinsen, beachtete die anderen jedoch nicht weiter. Rechts ran fahren! Wenn mir der Schreihals gesagt hätte, welches Sandkorn ich als Anhaltspunkt nehmen sollte, hätte ich vielleicht reagiert. Die beiden Chaoten in ihrem Dienstgleiter waren äußerst zivilisationsverdorben, wenn sie mir hier, mitten in der Wüste, mit ihren Floskeln aus dem innerstädtischen Verkehr kamen. Oder hatte die Sonne ihnen nur das Gehirn verdorrt? Immerhin hatten wir jetzt im November noch 30°C im Schatten!

»Ich möchte darauf hinweisen, dass du dich durch den Besitz eines Führerscheins verpflichtest, den Anordnungen der Verkehrswacht zu folgen«, lamentierte der Grünschnabel weiter. »Besitzt du allerdings keinen Führerschein, so muss ich dich aus dem Verkehr beseitigen. Bitte befolge meine Anweisungen und fahr rechts ran!«

Ich resignierte seufzend. In einem Punkt hatte er Recht: Wenn er wollte, konnte er mich aus dem Verkehr beseitigen, wie er es nannte. Also aktivierte ich meinen Sender.

»Entschuldige bitte, dass ich deiner Aufforderung nicht nachkommen kann! Ich wüsste nicht, woran ich rechts fahren sollte. Außerdem führt mich mein Weg nicht rechts ran, sondern geradeaus, siehst du?«

»Dann machst du eben einen Umweg!«

Ich hörte wohl den drohenden Unterton in seiner Stimme, konnte aber nichts damit anfangen. Wollte er mich festnehmen? Gleichwohl, ich drosselte ergeben die Geschwindigkeit und ließ den Gleiter langsam zu Boden sinken. Diese beiden Dreikäsehoch handelten in Muhallas Auftrag, das war mir klar. Der alte Fanatiker wusste seinen Einfluss präzise dosiert auszunutzen und solange sich nur kleine Verwaltungsbeamte mit diesen Angelegenheiten befassten war nicht mit einer Änderung der Lage zu rechnen. Wie sollte ich so einem kleinkartierten Typen klarmachen, dass der angesehene und respektierte Wissenschaftler Kawai Muhalla, der terranische Archäologiebevollmächtigte erstens der Menschheit wichtige, geradezu revolutionäre kulturelle Daten vorenthielt und zweitens Anführer einer fanatischen religiösen Gruppe war, die sich Wächter der Pharaonen nannte und ihren Ursprung auf den Kalifen Al-Mamun zurückführte? Welche Mühsal der Menschheit auf dem Weg zu den Sternen erspart geblieben wäre, hätte diese Organisation rechtzeitig den Mund aufgemacht und die Entwicklung gefördert, konnte man heute nur noch spekulieren.

Sollte ich zulassen, dass dieser rückgratlose Narr jetzt, in der Zeit der kosmischen Umorientierung der Menschheit und aller galaktischen Völker wichtige Erkenntnisse verhinderte? Ich erinnerte mich noch mit Grauen an den Tod der Nephtys. Zu Staub zerfallen nach Jahrtausenden in Stase. Sie hatte auf einen Zellaktivator gewartet! Die Verbindung zu den Hohen Mächten war offensichtlich. Und nun kam dieser Muhalla daher und fälschte alle produktiven Forschungsergebnisse, die mit Sicherheit für Männer wie Perry Rhodan oder Atlan von größtem Interesse wären.

Ich wollte das nicht akzeptieren. Deshalb war ich hier und wartete auf den jungen Typen, den Muhalla geschickt hatte, mich aufzuhalten. Ich war hier, um Beweise zu finden. Eindeutige Beweise, die kein noch so einflussreicher Kawai Muhalla fälschen konnte – und die mir kein noch so gewissenloser Johannes van Kehm abjagen würde!

»Steig bitte kurz aus«, rief der junge Streifenpolizist über Interkom. »Und vergiss' deine Papiere nicht!«

Die hatte ich längst in der Tasche. Beglaubigt in Terrania City. Makellos und fälschungssicher. Seufzend ließ ich das voll transparente Dach zurückfahren und kletterte aus der Sitzschale. Eine heiße Staub Böe fegte über mich hinweg und drang mit ihren feinen Partikel in alle Winkel des Fahrzeugs. Grimmig blickte ich den Männern entgegen.

»Genau das wollte ich vermeiden! Hätten wir das nicht positronisch regeln können?« Wütend klatschte ich ihm die Tasche mit den Papieren vor die Brust und rannte zurück zum Gleiter, um ihn gegen weitere Sandattacken zu schützen. Meine gute Laune war verflogen.

»Los, beeilt euch mit der Kontrolle!«, fuhr ich den Mann an. »Und richtet Muhalla aus, dass ich nichts Illegales vorhabe. Ich beende meine Forschungen so schnell wie möglich, schließlich warten auf anderen Welten interessantere Objekte. Kann ich jetzt weiter?«

Über die verdutzten Gesichter musste ich schon wieder grinsen. Noch ein auffordernder Blick von mir, dann schauten sie die Papiere routiniert und oberflächlich durch. Und dazu der ganze Aufwand?

»Gute Heimreise! Und grüßt Kawai Muhalla von mir!«

»Ähm, Miss Joorn. Auf ein Wort noch, bitte.«

Ich hatte den Gleiter schon fast erreicht. Ungehalten drehte ich mich um.

»Ja?«

»Du weißt, dass du keine Genehmigung zu tiefer gehenden Forschungen hast?« Nervös fuchtelte er mit den Armen. Er kam wirklich von Muhalla! »Wir werden bei Gelegenheit mal wieder bei deinem Lager vorbeischauen. Oder einige andere Leute. Ich hoffe, das geht in Ordnung.«

»Auf Wiedersehen!«

Hätte ich den alten seshurischen Wagen hier gehabt, ich hätte die Tür zugeknallt. Jetzt konnte ich nur voller Inbrunst auf den Verschlussknopf für das Dach drücken. Mit überstarkem Antigrav Einsatz fuhr ich los und hoffte, dass ich die beiden noch in eine dicke Staubwolke hüllen konnte. Liebend gern hätte ich die beiden Sandmänner zusammen mit Muhalla zum Teufel gejagt. Doch noch konnte ich nicht gegen den alten Sektierer vorgehen. Noch besaß er das Vertrauen der Regierung und hatte alle Fäden in der Hand, ich dagegen hatte keinen einzigen Beweis. Noch ein Grund, unbedingt vorsichtig zu Werke zu gehen, denn wenn ich mir die kleinste Blöße gab, würde er mich meiner Forschungserlaubnis berauben und kaltstellen.

Ich hatte einen großen Fehler begangen. Muhalla hatte nicht gewusst, dass ich aus dem unterirdischen Tempel auf Seshur entkommen war. Und ich Naivling hatte mich bei meiner Rückkehr zur Erde sofort an die Regierung gewandt und wollte von den unglaublichen Erlebnissen berichten. Der Beamte hatte mich nicht zu Wort kommen lassen und mir treuherzig mitgeteilt, dass Muhalla bereits zerknirscht vom Fehlschlag des Unternehmens berichtet hatte. Ich konnte nur noch das Beste daraus machen und Muhalla täuschen, indem ich mich deprimiert gab und mit keinem Menschen sprach, so dass er glauben musste, ich hätte die Suche aufgegeben. Bisher hatte er sich auch auf gelegentliche Überprüfungen beschränkt und hatte nicht mehr energisch meine Kaltstellung verfolgt. Hier auf Terra gab es eben doch ein sicheres System, das allzu offensichtliche Willkür verhinderte.

Konnte ich also hoffen, in den Gräbern der Wüste echte Informationen vom Kaliber der Vernichteten von Seshur zu finden? Allzu viele Fragen waren offen geblieben und der Oberwächter der Pharaonen verhinderte ihre Beantwortung.

Ich dachte an Nephtys' letzte Worte: »Ich habe AMUN enttäuscht. Wurde der Auftrag erfüllt?« Welchen Auftrag konnte die Göttin gemeint haben? Auf der Erde sollten sich Horus und andere Götter aufhalten, in gewisser Weise auch Osiris! Lagen sie vielleicht gleich ihrer Verwandten Nephtys in Stase?

Vor Erregung verpasste ich fast mein altes Lager, in einer Senke, ein wenig vor den ewigen Staubwinden geschützt. Ich würde die Antworten nur finden, wenn ich mich von Muhallas Vormundschaft lösen konnte. Der Kerl würde sofort die Pyramiden sprengen lassen, um seinem Dienst als Wächter der Pharaonen zu folgen. Wie er damit seiner Aufgabe entgegen wirkte, kam ihm nicht in den Sinn.

 

Streiflichter

»Meines Erachtens nach müsste es möglich sein, in diese Sache einzusteigen und sie zum Vorteil seiner alles sehenden Erhabenheit zu nutzen! Meine Herren, ihr wurdet ausgebildet, Ihm zu dienen! Ihr lebt, um Arkons Ruhm zu wahren; ihr handelt, wenn Er es befiehlt!

Hier haben wir die Informationen, die wir benötigen um den Hebel anzusetzen, der Rhodan umwerfen soll. Terranische Geschichte liegt ihm sehr am Herzen – etwa, weil er aus ihr seine Energie schöpft? Sechsdimensional funkelndes Juwel wird Terra genannt, und niemand kennt den Ursprung dieser Kräfte.

Unsterbliche Wesen warten dort auf ihre Zeit, so lauteten die Worte unseres neuen Verbündeten. Sie besitzen unglaubliche Macht, sagte er weiter, größere Macht, als die gesamte Milchstraße in sich vereine. Noch sind sie unentdeckt, noch ruhen sie, doch ist bereits eine Agentin Rhodans unterwegs, die Rätsel zu lösen und Rhodans Sphäre zuzuführen. Sie wird die Mächte wecken, und dann werden alle Mühen vergeblich sein, sie jemals für unseren Imperator zu gewinnen! Ihr werdet euch ins terranische Ägypten begeben und erkämpfen, was diese Terranerin sucht!

Mein Leben für Arkon!«

 

Kairo

Ich warf mich keuchend in einen Hauseingang und presste meine Stirn gegen das kalte Gestein, zitternd vor Anstrengung.

Schlucken und tief einatmen, dachte ich und versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen, denn schon hörte ich wieder das energische Trampeln der festen Soldatenschuhe nahen. Eilig raffte ich meine Tasche aus dem bleichen Licht des Mondes und zog mich so tief wie möglich in den Schatten zurück.

Ich hörte das harte Knirschen der Schuhe im rauen Sand, das Schleifen der Tarnkombis und das leise Klicken, wenn Teile der Ausrüstung gegeneinander schlugen. Dann fiel der erste Schatten auf mein Versteck – und war vorbei. Ich konnte nur dunkle Schemen erkennen, die eilig ihrem Anführer folgten, doch erinnerte ich mich noch gut an die harten Gesichter mit den stechenden Augen. Zehn Männer mochten es sein, die an mir vorüber schlichen, und der letzte von ihnen blickte direkt hinein in die Nische.

Ich wagte nicht zu atmen. Bewegungslos saß ich dort im Schatten und starrte den Mann an, der seinen Lauf unterbrochen hatte und – ich erschauerte – mir direkt in die Augen zu blicken schien. Einen endlosen Augenblick stand er da und versuchte, das Dunkel zu durchdringen. Von vorn hörte ich einen zischenden Laut. Der Mann wandte den Kopf und folgte seinen Kameraden, denen er bereits ein gutes Stück hinterher war.

Tief einatmen, aufspringen und los rennen war eine Aktion. Vor meinen Augen standen farbige Ringe, mein Herz schlug rasend und doch musste ich sofort weiter. Ich rannte den Weg zurück, den die unheimlichen Männer gekommen waren und bog nach ungefähr dreißig Schritten in eine Gasse. Unversehens rannte ich eine dunkle Gestalt um. Der Zusammenprall riss uns beide von den Beinen. Schleunigst rappelte ich mich auf und setzte zum Sprung an, da hörte ich das Summen eines aktivierten Strahlers und eine tiefe Stimme:

»Wer hat es denn da so eilig?«

»Kein Grund zur Sorge, Mister Landry!« Ich verstummte abrupt. Jetzt kam mir erst zu Bewusstsein, was ich da gesagt hatte. Der erstaunte Ausruf meines Gegenübers gab mir Recht.

»Denise? Bist du das?«

Der Mann kramte ungeduldig in seiner Tasche, dann wurde mein Gesicht in einen Lichtkegel getaucht.

»Denise Joorn, was für ein unglaubliches Zusammentreffen!«

»Und was für ein Glückliches dazu!«, rief ich erleichtert. »Stewart Landry!«

Er packte mich an den Schultern und umarmte mich herzlich. Dann zog er mich tiefer in die Gasse hinein und fragte flüsternd: »Bist du in Gefahr?«

Natürlich wohnte er hier in der Nähe. Er hatte ja nur einen Nachtspaziergang machen wollen, als er die eiligen Schritte vernommen hatte! Als Agent des TLD erfasste er die Lage sofort und führte mich eilig in das kleine Hotel, das er bewohnte. Seine Gehirnwellenmuster öffneten uns die Türen und ich fiel erschöpft in einen Sessel.

Was für ein Zufall! Wenn es so etwas gab, schränkte ich in Gedanken ein. Da saß er mir gegenüber, der Mann, mit dem ich – ebenfalls zufällig – im Jahre 1291 NGZ auf Plophos zusammengetroffen war und die Machenschaften des Mordred-Agenten Marius Dorn aufgedeckt hatte. Ein später Nachkomme des legendären Ron Landry, der ein Agent der ebenfalls legendären Abteilung drei der Solaren Abwehr unter Nike Quinto gewesen war. Sportlicher Typ, 189 Zentimeter groß, dunkelblondes Haar und blaue Augen – er hatte sich nicht verändert. Ein Schwarm der Frauen, das war mir klar. Aber zwischen uns hatte sich nichts abgespielt, und das würde so bleiben. Geboren im Jahre 1254 NGZ; ich rechnete nach: Er musste jetzt 44 Jahre alt sein.

Landry tastete mir über den Hotelservice einen Drink. »Was treibst du hier in Kairo? Man hört, du forschst in den Wüsten Ägyptens nach Hinterlassenschaften. Das wissenschaftliche Konsulat scheint darüber nicht sehr begeistert zu sein …«

Er zwinkerte mir zu. Was wusste er alles? Ich beschloss, ihm einen Teil meiner Geschichte zu erzählen. Vielleicht konnte er mir behilflich sein.

»Ich bin an einem Punkt meiner Forschungen angelangt, der für alle Beteiligten nicht ganz ungefährlich ist. Es handelt sich aber um großartige Erkenntnisse, die Perry Rhodan und der Menschheit nicht verwehrt bleiben dürfen! Deshalb habe ich mein Lager verlassen und Kairo aufgesucht, denn hier hoffe ich die Mittel zu finden, die für ein weiteres Vorgehen nötig sind.«

An dem Ausdruck seiner Augen erkannte ich, dass ich ihm noch eine Erklärung schuldig war. Seufzend nickte ich.

»Du willst wissen, was es mit der Hetze in der Dunkelheit auf sich hatte. Wie du vorhin schon bemerkt hast, sind nicht alle eingeweihten Stellen mit meinen Forschungen einverstanden. Und es gibt Gruppen, die sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigen, mir dabei aber feindlich gesinnt sind. Warum auch immer. Schon bei meinen letzten Forschungen auf Seshur bin ich mehrmals nur knapp dem Tod entronnen! Das war allerdings in den Katakomben von Hascherut, einer Ruinenstadt auf jenem Planeten. Ich glaubte bisher nicht daran, dass jene Gruppen auch auf Terra, sogar in der Großstadt Kairo nicht vor Angriffen zurückschrecken würden.«

Ich erzählte ihm von meinen Erlebnissen in den Katakomben, von Torkan, dem Kopfgeldjäger mit den ausgefallenen Waffen und von den Schergen Muhallas. Doch sagte ich ihm nicht alles.

»Was hast du dort gefunden, das es wert ist, dein Leben gegen solche Gegner zu riskieren?«

Er war auf der richtigen Spur.

Ich schüttelte nur den Kopf. »Es ist noch nicht soweit.«

*

Früh am nächsten Morgen verließ ich das Hotel. Ich hatte Skrupel, meinen Freund in diese Sache zu ziehen, obwohl ich mir sagte, dass er als ausgebildeter TLD-Agent eine sehr gute Hilfe darstellen würde. Aber er hatte mir am gestrigen Abend erzählt, dass er auf einer Urlaubsreise kleineren Umfangs sei, den ihm seine Dienststelle kurzfristig gewährt hatte. Ich wusste, was ein Agent für ein Leben führte. Durfte ich ihm da seine knappe Freizeit nehmen? Für das Wohl der Menschheit, hätte ich mich beruhigen können. Doch ich hatte einen Plan gefasst, den ich ohne Hilfe auszuführen gedachte.

Unauffällig schlendernd mischte ich mich in das Treiben der Touristen und Bewohner Kairos. Über einige Hochstraßen gelangte ich schließlich in den Bereich mit den gigantischen Bürohäusern. Hier hatte auch Kawai Muhalla seine Zentrale, von der aus er seine Angelegenheiten als Archäologischer Konsul regelte.

Ich lehnte mich an eine Brüstung und betrachtete die Umgebung. Ein kleiner Park diente den Angestellten als Entspannungsfläche, zu jeder Tageszeit war er von Spaziergängern gefüllt. Angenehm frisch schimmerte das Grün der Rasenflächen, ein leichter Luftzug wehte den herbstlichen Duft der Bäume zu mir herauf. Der Park war von einem dünnen Wasserlauf auf der einen und einem großen Platz auf der anderen Seite eingefasst. Dort hielt auch die auf Prallfeldern gleitende Straßenbahn, die sich dicht über den Erdboden durch die Häuserschluchten schlängelte. Weiter oben durchzogen die Luft mehrere Hochbahnen, energetische Wege für Fußgänger und Radfahrer. Leuchtende Markierungen regelten den Gleiterverkehr, solange er manueller Steuerung unterlag. Die vielen positronischen Leitsysteme waren dem Auge verborgen.

Ein ständiger Strom an Wesen aller Art fluktuierte die Bürohäuser, da bildete auch jenes mit Muhallas Bereich keine Ausnahme. Ich sah Terraner, Ferronen, Blues, Terborer in ihren Tanks und Aras, Akonen, Arkoniden. Ich stutzte. Arkoniden waren auf Terra momentan eine Seltenheit. Schließlich standen wir zu Bostichs Politik nicht unvoreingenommen, um es vorsichtig auszudrücken. Und – ich konnte meine Erlebnisse der letzten Tage nicht vergessen. Gehörten die Arkoniden zu Muhalla?

Aufmerksam geworden beobachtete ich den Eingang zu Muhallas Gebäude genauer.

Richtig! Dort im Foyer standen zwei unauffällig gekleidete Arkoniden mit ausdruckslosen Gesichtern! Meine Gedanken flogen. Das könnte meinen Plan über den Haufen werfen.

Ich wartete noch eine halbe Stunde, doch die beiden machten keine Anstalten sich zu entfernen.

Und wenn schon!, dachte ich. Das macht die Sache doch erst spannend.

Noch konnte ich mir ja nicht sicher sein, ob sie auch nachts dort wachten. Es kam auf einen Versuch an.

Ich wandte mich um und verließ die Hochstraße. Noch einmal schlenderte ich durch den Park, auf der anderen Seite des Flüsschens wartete ein Gleitertaxi auf mich. Ich war noch dreißig Meter davon entfernt, als ein normal gekleideter Mann wie zufällig die Straße überquerte und auf mein Taxi zuhielt. Mein Schritt stockte, als ich ihm ins Gesicht blickte. Es war ein Arkonide! Mit unbewegter Miene lehnte er sich an das Geländer der Brücke und betrachtete angelegentlich den Park. Sofort wandte ich mich ab und eilte auf die Straßenbahnhaltestelle zu. Im Gedränge der Menschen fühlte ich mich jetzt sicherer, auch wenn der Schweißgeruch der Massen ziemlich unangenehm war. Hinter mich stellte sich ein Mann, dem die Enge ganz und gar nichts ausmachte. Er schien sie zu genießen …

*

Hoch gewachsene, kräftige Gestalten mit harten Gesichtern und Muskeln. Weißblond sind ihre Haare, rötlich funkeln ihre Augen. Sie sind hochspezialisiert – Kampf. Bei ihnen gewann der traditionelle Ausruf »Mein Leben für Arkon!« einen ausgeprägten Sinn. Sie sind nicht dumm, sondern hoch intelligent. Jetzt haben sie eine Aufgabe, die ihnen äußerst trivial erschien. Denn noch kennen sie nicht die Gefahren, die auf sie warten.

 

Die Agenten

Der Mond war von Wolken verdeckt, kein Stern durchdrang die tief liegende, grauschwarze Decke. Nicht mehr lange, dann würde es regnen. Ich als Archäologin wusste noch, wie selten der Regen in alten Zeiten diese Gegend erfreut hatte. Doch Terra hatte sich gewandelt. Es gab seit einigen Jahrtausenden ein steuerndes Gehirn, das beliebige Wetterbedingungen schuf und seinen Sitz auf dem Mond hatte. NATHAN schien auf meiner Seite zu sein, das Wetter war perfekt.

Selbst in einer Metropole wie Kairo gab es des Nachts mehrere Stunden, in denen die Büros vollständig verlassen waren und in der Stadt Totenstille herrschte. Ich überquerte den Ramses-Platz, vorbei an der antiken monumentalen Statue von Ramses, dem II und sah schon von weitem das Gebäude der Terranischen Altertumsforschung Abteilung Ägypten.

Ich drängte mich vorbei an Händlern, Nachtschwärmer, Betrunkenen und sich Anbietenden, fest das Zentrum der Terranischen Altertumsforschung von Ägypten im Blick.

Zielstrebig rannte ich auf das Eingangsportal zu. Ich wusste von früheren Besuchen, dass es im Eingangsbereich abgesehen von der verschlossenen Tür nur eine normale Überwachungsoptik gab, die sich mit einem einfachen Deflektorfeld umgehen ließ. Ich hatte so ein Gerät bei mir, sogar schon aktiviert. Sorgen bereitete mir nur die Tür. Es gab nirgends ein elektronisches, positronisches oder syntronisches Schloss, welches man hätte manipulieren können. Enttäuscht stand ich vor dem Ende meines Ausflugs und runzelte nachdenklich die Stirn. Gab es noch andere Wege hinauf? Ein Gravopak wäre jetzt optimal, aber daran hatte ich natürlich nicht gedacht.

So ein Mist!, dachte ich und schaltete das Deflektorfeld aus.

Als ich mich umwandte und zur Straße trat, hörte ich ein schleifendes Geräusch hinter mir. Ich ließ mich zu Boden fallen und warf mich herum. Sekundenlang rührte ich mich nicht, denn was ich sah, verschlug mir den Atem. Die Tür war offen! Ich rappelte mich auf und betrachtete die Öffnung misstrauisch, erwartete jeden Augenblick das Zuschnappen der Falle. Doch das einzige, das zuschnappte, war die Tür, und zwar mit dem gleichen schleifenden Geräusch, das mich vorhin so erschreckt hatte.

So einfach also!, dachte ich und ging langsam auf die Tür zu. Als ich noch zwei Meter entfernt war ging sie auf. Schnell aktivierte ich den Deflektor und sprang in das Foyer, ehe sich hinter mir der Eingang wieder verschloss.

Im Hintergrund der Halle entdeckte ich den Antigravschacht. Bedauernd schüttelte ich den Kopf und schlug den anstrengenden Weg über die Treppe ein.

Das Büro Kawai Muhallas lag im 15. Stock. Es war nicht ganz oben, aber dafür war ich jetzt dankbar. Eine Pause konnte ich mir nicht gönnen, die Zeit begann knapp zu werden. Das Büro war elektronisch gesichert, das stellte für mich kein Problem dar: schnell zwei Kabel überbrückt, schon öffnete sich das Reich des Schurken.

Gegen das Fenster prasselte der Regen; im Schein meiner kleinen Lampe verschaffte ich mir einen ersten Überblick. Wenige Grünpflanzen zierten den Raum, überall standen und lagen kleine, wertvolle Relikte herum, darunter natürlich die Miniausgabe der Sphinx, einige Schmuckstücke aus Pharaonengräbern und links in der Ecke eine chinesische Vase. Verständnislos schüttelte ich den Kopf und wandte mich dem Schreibtisch zu. Ein Hologramm des Anubis zierte die Platte … Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Immer locker! In den Schubladen steckten beschriftete Kristallspeicher, der Terminal flimmerte im Standby-Modus, als warte er darauf, mit den wichtigen Daten gefüttert zu werden. Bisher hatte ich nichts Aufregendes entdeckt und richtete mich enttäuscht auf.

Ein heftiger Fluch kam mir über die Lippen, als ich die flirrende Mündung im Eingang erblickte. Verzweifelt warf ich mich seitwärts auf den Boden, hörte noch das Zischen des tödlichen Impulses und rollte mich hinter ein Regal.

Warum jetzt?, fragte ich mich resignierend, da splitterte über mir das Regal und Trümmer regneten auf mich herab. Ich krabbelte schnell zur Seite, der nächste Feuerstoß riss eine glühende Furche durch den Boden, dort, wo ich eben gelegen hatte.

»Aufhören!«, schrie ich, mit den Händen mein Gesicht schützend. Bisher hatte ich den Angreifer noch nicht gesehen.

»Ah, Miss Joorn.« Die eiskalte Stimme ließ mich erstarren. »Du hast genau jetzt die Möglichkeit, dem Tod zu entgehen. Steh' auf!«

Ich stand auf. Blitzend entlud sich neben mir der stählerne Regalträger, der Boden glühte noch an zwei Stellen nach. Ein schwarzes ausgebranntes Loch zierte die Wand hinter dem Schreibtisch, die Sprinkleranlage hatte den gesamten Raum durchnässt. Das Wasser troff mir aus Haaren und Kleidung, als ich mich der Tür zuwandte.

Es waren zwei. Weißblondes Haar, stechende, rote Augen und harte Gesichter. Die Arkoniden, die ich am Vormittag gesehen hatte. Ausdruckslos starrten sie mich an, der eine winkte mit dem Strahler.

»Nach dir.«

Mir blieb nichts anderes übrig. Ich zuckte mit den Achseln und ging an ihm vorbei. Da konnte mich auch nicht mehr schocken, dass im Gang zwei weitere Arkoniden gewartet hatten, die jetzt vor mir her gingen. Es gab ein paar Fragen, die mir auf der Zunge brannten: Was wollt ihr von mir und wer hat euch geschickt? Warum nehmt ihr meinen Tod in Kauf, wenn ihr mich offensichtlich lebend haben wollt?

»Kommt ihr von Muhalla?«

Sie antworteten nicht.

Im Erdgeschoss traten wir aus dem Antigravschacht. Die Arkoniden ließen nicht in ihrer Aufmerksamkeit nach, ständig hatte einer seine Waffe auf mich gerichtet. Die geringste verdächtige Bewegung, und …

Ich gewahrte einen Schatten im Freien, da zersplitterte die Eingangsfront unter einem Energiestoß, der die beiden vorderen Arkoniden von den Beinen riss. Ich reagierte sofort und sprang hinter das Informationspult in der Mitte des Foyers. Ein heißer Schmerz am Rücken riss mich von den Beinen, der Arkonide hinter mir hatte genauso schnell reagiert und beim ersten Anzeichen der Gefahr kaltblütig abgedrückt. Nur weil ich gerade noch den Schatten gesehen hatte und sofort sprang, war ich noch am Leben. Die beiden harten Kämpfer sackten gerade mit verschmorten Brandlöchern im Oberkörper zu Boden; ich ergriff einen der verlorenen Strahler und sicherte den Eingang.

»Denise!«, erklang Stewart Landrys Stimme von draußen.

Erleichterung machte sich in mir breit, doch dann sprang ich auf und winkte ihn herein. »Schnell, mir ist nichts passiert. Aber viel Zeit haben wir nicht mehr, schätze ich. Das hier werden nicht die einzigen gewesen sein!«

Er musterte mich mit prüfenden Blicken ehe er nickte. »Wenn wir hier raus sind, verlange ich bedingungslose Offenheit!«

»Zu dem Entschluss bin ich auch gerade gekommen. Aber ich bin hier noch nicht fertig. Die kurze Zeit müssen wir noch nutzen!«

Entschlossen rannte ich zum Schacht und sprang in das abwärts gepolte Feld. Ich war mir sicher, dass Stewart Landry mir folgen würde.

»Eine kurze Erklärung vorweg: Ich suche nach Beweisen für Muhallas illegale und schädigende Tätigkeiten. Einzelheiten erkläre ich dir später!«

Wir kamen am Grund des Schachts an und liefen einen schmalen Gang entlang. Rechts und links zweigten verschiedene Türen zu Lagerräumen ab, die mich aber nicht interessierten. Ich kannte Muhallas Vorliebe für das Mysteriöse. Und tatsächlich endete der Gang vor einer steinernen Wand, die mit Hieroglyphen bedeckt war.

»Sehr geheim, sein Versteck!«, spöttelte ich.

Ich bemerkte Landrys erstaunte Blicke, als ich mit den Fingern einige Linien nachzog und sich die massive Steinwand um ihre Längsachse zu drehen begann.

»Alte ägyptische Spielerei«, sagte ich lässig. »Komm!«

Wir betraten eine Kammer, die wie ein normales Lager eingerichtet war. Überall zogen sich Regale entlang, die den Raum unterteilten. Und in den Regalen lagerten die wertvollsten ägyptischen Artefakte, die ich jemals gesehen hatte. Jetzt war es an mir zu staunen. Landry besaß ja nicht die Fachkenntnisse, um zu verstehen, was hier für Schätze lagen. Doch dann rief er mich her.

»Denise, komm mal hier rüber!« Er klang sehr aufgeregt, also eilte ich, ihn zu erreichen.

Er deutete wortlos auf zwei metergroße Statuen, die an der Rückwand standen. Ich war nicht überrascht. Das waren Beweise, die ich brauchen konnte. Die Statuen zeigten Götzenbilder von Horus und Anubis, was allein ihrer Größe wegen nicht sehr aufregend war. Doch schienen sie gehüllt in fremdartige Raumanzüge! Ich erinnerte mich sofort an die kleine Statue, die ich auf Seshur gefunden hatte. Dort war sie der Schlüssel zu Nephtys Grab gewesen. Was bedeuteten die beiden Figuren hier?

Dicht daneben stapelten sich fremdartige technische Teile, die ich noch nie gesehen hatte.

Stewart Landry betrachtete sie eingehend. »Ich kenne diese Technik nicht. Und das will was heißen bei einem ausgebildeten TLD-Agenten! Wir beschäftigen uns beruflich mit allen bekannten Technologien. Aber das hier verstehe ich überhaupt nicht.«

Ich hörte nicht hin, denn damit war zu rechnen. Stattdessen hatte der Bereich zwischen den Statuen meine Aufmerksamkeit gefangen.

»Stewart, hilf mir mal! Ich vermute eine Tür in dieser Wand. Du bist doch der Spezialist. Das hier ist eine normale in stählernen Wandungen getarnte Tür, durch verschiedene Fallen gesichert.«

Er nickte verstehend und richtete ein kleines Gerät auf die Wand.

»Du hast Recht, dahinter liegt ein Raum, nicht größer als drei Quadratmeter. Die Sperren sind relativ einfach. Lass mich mal ran!«

Zur Seite getreten blickte ich ihm über die Schulter, konnte aber nichts erkennen. Der Typ tastete irgendetwas in sein Gerät, dann fuhr die Wand lautlos zur Seite.

»Voilà, nach Ihnen!«

Bis auf ein Kästchen in der Mitte war der kleine Raum leer. Und in dem Kästchen lagen – ich hatte fast damit gerechnet – Papyrus-Schriftrollen!

Es waren insgesamt fünf Rollen und zwei lose Schriftstücke. Ich hob zuerst die Lose-Blatt-Sammlungen auf. Eine Karte und fünf gebundene Blatt Papier in arabischer Schrift.

»Viel Mühe hat er sich aber nicht mit der Absicherung gegeben!«, sagte ich abfällig.

»Und? Was steht drauf?« Landry beugte sich interessiert vor.

Ich konzentrierte mich.

»Achtung!«, schrie der Agent.

Da krachte und splitterte es schon um uns herum. Heiße Energiestrahlen fauchten gegen die Einfassung der kleinen Kammer und brachten den Stahl zum Aufglühen. Landry warf sich hinter das nächste Regal und feuerte auf den Eingang des Kellers. Ich hörte das Scheppern, steckte die Karte ein und sprang mit einem Fluch aus dem kleinen Raum. Am Anfang der Lagerhalle sah ich einen Arkoniden schwer in ein Regal stürzen. Von der anderen Seite schlugen Energieimpulse zu unserer Deckung herüber und zerschmolzen die Regale, so dass wir schnell die Stellung wechseln mussten. Zerknirscht dachte ich an die Papyrusrollen, die ich nicht retten konnte. Ich hatte nur ein gefaltetes Blatt erwischt, als ich aus der Falle entkommen musste, die der kleine Raum darstellte.

»Es sind noch fünf!«, schrie mir Landry ins Ohr.

Mit den vier oben in der Halle und jenem, den Landry ins Regal geschossen hatte waren es zehn. Zehn arkonidische Kämpfer! Warum verfolgten sie mich mit dieser Vehemenz?

Es sah schlecht um uns aus. Unbeeindruckt von dem Gestank und der Hitze nahmen die Männer unsere Stellung unter Feuer und nötigten uns immer wieder zur Flucht. Ich hatte es nur Landry zu verdanken, dass sie uns nicht schon längst mit ihren Strahlen erfasst hatten. Er lag neben mir und feuerte Schuss um Schuss auf die Deckung der Gegner, Schweiß stand ihm im verzerrten Gesicht. Lange konnten wir nicht mehr aushalten, das war gewiss. Und als er vor Schmerz aufschrie und die Waffe fallen ließ, stand mir der Untergang deutlich vor Augen. Es war nur ein Streifschuss, der ihm den rechten Oberarm verbrannte, doch der Schock war so hart, dass er erst einmal handlungsunfähig sein würde.

Ich konzentrierte mich wieder auf die Umgebung. Da lag Stewarts Strahler neben dem Gerüst, leider im Schussfeld der Arkoniden. Ich musste es wagen, um meinen verzweifelten Plan auszuführen. Kurz vorbeugen, ein schneller Griff, dann hatte ich die Waffe in Sicherheit. Heiße Stahlspritzer zischten an mir vorbei, dort, wo eben noch der Strahler lag, glühte der Boden in hellem Weiß. Ich zögerte nicht länger. Mit einer kräftigen Bewegung schleuderte ich den Strahler gegen die Deckung des Feindes, der auch extrem schnell und präzise reagierte – er schoss auf den Strahler! Ich grinste triumphierend und verbarg mich so gut wie möglich hinter dem Regal, denn drüben zerriss eine heftige Explosion den Speicher der Waffe und die Stellung der Arkoniden. Noch drei!

Im Schutz des Qualmes zerrte ich Landry in Richtung Ausgang. Von dort waren plötzlich Schreie zu hören und ein wilder Hagel Energieblitze zuckte in die Halle. Fünfzehn Schemen stürmten herein, einige fielen im Abwehrfeuer der Arkoniden. Verwirrt hielt ich inne, dann packte ich Landry fester und taumelte durch den Ausgang.

Vor mir tauchte eine kleine Gestalt auf.

»Habt ihr sie?«, rief eine mir wohl bekannte Stimme.

Ich ließ Landry los und setzte zu einer Attacke an, die den Mann ins Reich der Träume befördern sollte. Muhallas Augen weiteten sich vor Entsetzten und mit der Erkenntnis, wer ihm gegenübertrat, sackte er zusammen und musste nun den Rest des Kampfes verschlafen.

Mein nächster Griff galt Landry, doch der wehrte ab.

»Danke, geht schon.«

Wir rannten den schmalen Gang zurück und sprangen in den Antigravschacht. Draußen brach bereits die Morgendämmerung an, ich wandte mich zum Park, wo die Taxistände schnelle Sicherheit versprachen, doch Landry zog mich zurück.

»Warte, ich hab hier was Besseres.«

Er drückte einen Knopf an seinem Gürtel, da erschien direkt vor uns ein Gleiter.

»Denkst du ich gehe den ganzen Weg zu Fuß? Und dann auch noch Nachts?«, fragte er grinsend.

Ich fiel in sein Lachen ein und wir sprangen in das Fahrzeug. Niemand achtete auf uns, auch Muhallas Leute hatten uns nicht bemerkt. Sie mochten mittlerweile die Arkoniden bezwungen haben.

*

Der arkonidische General Traban da Vloss war sich seiner imposanten Erscheinung bewusst. Seine weiße Flottenuniform saß makellos und betonte die schlanke Figur des Mannes, der sich in diesem Moment anschickte, zehn seiner besten Männer in den Tod zu schicken. Er war sich der Richtigkeit seiner Maßnahmen sicher, selbst wenn er über ihr Scheitern informiert gewesen wäre, hätte es ihn nicht gekümmert, denn sie alle schlugen sich die Faust an die Brust und riefen: »Mein Leben für Arkon!«

Traban da Vloss verhielt in seiner nachdenklichen Wanderung und wandte sich den Männern zu.

 

An der Pforte

Das Papyrusblatt, das ich aus der Kammer Muhallas hatte mitgehen lassen, zeigte die Karte einer unterirdischen Anlage, gelegen unter dem Plateau von Gizeh. Die Karte bezeichnete es noch als Plateau von Ro-Setau, also in der altägyptischen Originalform.

Die Rohfassung schien arabischer Natur, ich nahm an auch aus der Zeit des Kalifen Mamun. Doch einige Notizen waren in Englisch geschrieben. Die Vermutung lag nahe, dass sie vielleicht in der Zeit des Ägyptologiebooms geschrieben wurden.

Die Skizze zeichnete die große Pyramide des Chufu, jenem Pharao, der die große Pyramide bauen ließ. Das war etwa um 2620 bis 2580 vor Christus gewesen. Die große Pyramide war somit über 7400 Jahre alt.

Chufu war ein Sohn des Snofru und der Hetep-Heres I. Er war verheiratet mit seiner Schwester Merit-Ites und der Henutsen.

Chufu galt als Vater von Djedefré, Kawab, Bafré, Meresanch II., Chufukaf und Chafre. Er war der Erbauer der bekannten Chufupyramide von Gizeh, die als größte Pyramide aus der pharaonischen Zeit zu den Sieben Weltwundern zählte. Ihre Maße betrugen 230 m × 230 m im Quadrat, sie war ursprünglich 147 m hoch. Die Pyramide wurde aus Granit und Kalkstein erbaut. 2,3 Millionen Kalksteinquader wurden für den Bau heran geschafft.

Im Inneren entdeckte man drei Sargkammern – die erste unter der Pyramide im Erdboden, die zweite, als Königinnenkammer bezeichnet, etwas höher im Kernmauerwerk, die dritte mit Sarkophag oberhalb der »Großen Galerie«. Der Granitsarkophag hatte die Maße von 2,30 Meter mal 1 Meter mal 89 Zentimetern. Er war leer gewesen, als man ihn gefunden hatte.

Im Jahre 1972 entdeckte man 20 Meter oberhalb der Sargkammer eine weitere Kammer. Viel später wurde unterhalb der Königinnenkammer ein weiterer Schacht entdeckt, der zu einer kleinen Kammer führte. In dieser Kammer lag das Auge des Laire, welches Boyt Margor einst aus der Kammer gestohlen hatte. Die Loower hatten viele Jahrtausende zuvor das Auge dort versteckt und unter seltsamen Umständen erhielt Chufu eine Eingebung, die ihn anwies, das Auge unter der Chufupyramide zu verstecken.

Im Süden der Pyramide vorgelagert befanden sich drei Nebenpyramiden für die Ehefrauen des Chufu, die südlichste gilt als Pyramide der »Großen Gemahlin«, Königin Henutsen.

Auf dieser Skizze nun, führte ein Weg noch weiter nach unten. Von der Königskammer wurde ein Gang gezeigt, der quer durch die Pyramide bis über siebzig, achtzig Meter in den Erdboden reichte, wo eine weitere Kammer sich befinden sollte.

Hatte dies der Kalif Abū l-ʿAbbās ʿAbdallāh al-Maʾmūn ibn Hārūn ar-Raschīd im Jahre 820 nach Christus gefunden? Nach dem Ende der pharaonischen Epoche mit dem Tod von Königin Kleopatra war Ägypten an das Römische Reich gefallen. Nach dessen Zerfall ging langsam die Fähigkeit verloren, die altägyptische Sprache zu beherrschen. So war auch das Wissen um die Pyramiden verloren gegangen. Erst 820 hatte der Kalif Al-Mamun die Pyramide untersuchen lassen und dazu einen neuen Gang gelegt. Im Laufe der Jahrhunderte hatte es einige Wissenschaftler gegeben, die dem Ursprung der Pyramiden auf den Grund gehen wollten. Doch erst durch die Expedition Napoleons im 18. Jahrhundert war das Interesse an Ägyptologie richtig geweckt worden. Im 19. Jahrhundert war ein regelrechter Ägyptologieboom ausgebrochen, der den Schleier der Vergessenheit endlich gelöst hatte.

Zurück zum Kalifen. Die alten Aufzeichnungen widersprachen sich häufig. Es hieß, dass er irgendetwas fand, was es jedoch war, wurde nie genau klar.

Die einen sprachen von einer grünen Statue, die anderen von einer oder mehreren Mumie. Es wurde nie genau geklärt.

Ich war fest davon überzeugt, dass Muhalla wusste, was Mamun gefunden hatte.

Wir hatten uns sofort auf den Weg gemacht, nachdem ich Landry versprochen hatte, ihn in die Geschichte einzuweihen. Ich hatte selbst in meiner Eigenschaft als Ägyptologin noch nicht gewusst, dass es unter Gizeh eine regelrechte Station gab. Sofort assoziierte ich das mit dem Ausspruch Muhallas, als er van Kehm und mich zum Tode verurteilte: Die Dinge im Alten Ägypten waren nicht so einfach, wie ihr Ägyptologen es immer darstellt. Im achten Nachchristlichen Jahrhundert stieß der Kalif Abd Allah en Mamun auf einige Dinge, die lieber für Ewig ruhen sollten.

Und das Stasefeld der Nephtys regte meine Fantasie an. Hier auf der Erde musste es Hinweise geben! Eine unbekannte unterirdische Anlage war der erste Schritt in die richtige Richtung.

Während ich die Karte studierte, berichtete Landry kurz, was ihn getrieben hatte.

»Ich musste nicht lange überlegen, um zu wissen was du tun wolltest. Man kennt den Ägyptologen Muhalla, und du erzähltest, dass er dir nicht wohlgesinnt ist. Mich plagte die Befürchtung, dass du etwas Unüberlegtes tun würdest.« Dabei sah er mich vorwurfsvoll an. »Wo ich ja wohl Recht hatte. Im Schutze des Deflektors wartete ich in meinem Gleiter, was wohl passieren würde. Dann sah ich die Blitze im fünfzehnten Stock. Du kannst mir glauben, ich kenne Handfeuerwaffen und ihre Wirkung. Also verließ ich den Gleiter, um dir zu helfen und kam gerade recht, euch aus dem Schacht treten zu sehen. Den Rest kennst du. Obwohl es mir nicht leicht fiel, zu schießen während du direkt bedroht wurdest! Aber ich kannte deine Reaktionen und hoffte für dich.«

Ich runzelte die Stirn und warf ihm einen strafenden Blick zu. Er lachte.

»Was stand übrigens auf den fünf Papyrusrollen?«, fragte er unvermittelt.

Ich erschrak. Die hab ich ja ganz vergessen!

»Das weiß ich nicht. Viel konnte ich nicht erkennen.« Ich seufzte. »Aber selbst das Wenige ist äußerst interessant. Ich konnte die Namen der Schreiber entziffern. Imhotep, Neferti, Meriré, Tjija und Octavian! Die Lose-Blatt-Sammlung war in Arabisch geschrieben. Ich vermute, dass es vielleicht Aufzeichnungen des Kalifen waren, da die Wächter der Pharaonen von ihm gegründet wurden.«

Ich sah ihm direkt an, dass er damit nichts anfangen konnte. Also holte ich Luft und fasste zusammen.

»Es scheinen Aufzeichnungen durch die ganze ägyptische Geschichte zu sein, von fünf wichtigen Zeitgeistern festgehalten. Imhotep lebte in der Dritten Dynastie, ein fortschrittlicher Wissenschaftler. Er war Baumeister der ersten Pyramide und selbst Atlan soll ihm ein Begriff gewesen sein. Neferti war bekannt als Magier und Hellseher in der Vierten Dynastie zu Zeiten der großen Könige Snofru, Chufu, Chafre und Menkaure, von denen die größten Pyramiden stammen. Meriré war oberster Hohepriester des Aton unter dem bekannt gewordenen Sonnenkönig Ach-et-Aton. Ich nehme an, dass Ramses II. dir ein Begriff ist? Dessen Berater war Tjija. Und Octavian? Ich will nicht viel dazu sagen, das dürfte klar sein. Er war ein römischer Kaiser, nannte sich Caesar Augustus. Interessant ist die Tatsache, dass er ein fürchterlicher Eroberer war, nach seinen Feldzügen in Ägypten aber die Expansionspolitik einstellte und dem Volk diente. Ich wusste nichts von seinen schriftstellerischen Tätigkeiten.«

Ich konzentrierte mich wieder auf die Karte. Verblüfft stellte ich fest, dass es nur einen Eingang gab, und zwar über die Pyramide des Chufu. Dann entdeckte ich eine Aktualisierung, die neueren Ursprungs war. Nach dem verwendeten Maßstab war in 32 Metern direkt unter der Pyramide eine Kammer skizziert, mit einer Bemerkung: Laires Auge. Über diese Kammer war die Station ebenfalls zu erreichen, jedoch konnte man das nicht als zweiten Eingang bezeichnen, da der primäre Zugang tatsächlich über die Pyramide lief.

70 Meter unterhalb von Ro-Setau (also Gizeh) begann die Station. Sie maß 1700 mal 1700 Meter in ihrer Ausdehnung, der eigentliche Kern allerdings nur 300 Meter im Durchmesser. Verschiedene Kammern waren eingezeichnet, zum Großteil eben in jenem Kern. Die Beschriftung war allerdings kaum zu entziffern, so sehr ich mich auch anstrengte. Die einzigen bekannten Zeichen sprachen von … ewig ruhen … Weg über die Wolken … Damit konnte ich nichts anfangen. Auch die englischen Notizen, es waren nur wenige, waren kaum mehr leserlich. Dann war noch eine Stelle am Fuß der Pyramide markiert, mit einem Vermerk in Interkosmo: Neu. Verwirrt starrte ich noch eine Weile auf die Karte, dann faltete ich sie wieder zusammen und steckte sie in die Tasche.

*

Am Abend saßen Stewart und ich in der Nähe der Pyramide in einer Senke und ruhten. Der nächste Morgen versprach aufregend zu werden. Wir entzündeten ein kleines Feuer, nur um der Stimmung des Augenblicks zu entsprechen. Bald züngelten die Flammen, das Holz knackte und verbreitete einen angenehmen Geruch. Die Sterne standen hell am Himmel, über uns wachte der Mond. Ich lächelte. Schon wieder das perfekte Wetter.

»Du bist mir noch eine Erklärung schuldig«, unterbrach Landry alsbald das Schweigen.

Ich nickte und stocherte in der Glut. Dann begann ich meine Geschichte.

Ich erzählte ihm alles von Anfang an, versuchte allerdings nur auf das Wesentliche einzugehen. Der erste Besuch auf Seshur, der so hoffnungsvoll begonnen hatte und dessen Resultate endlich doch von Muhalla oder seinen Leuten gefälscht und vernichtet worden waren. Meine Auseinandersetzungen mit Johannes van Kehm, Kawai Muhalla und ihren Schergen, dem Profikiller, und schließlich mein unerlaubtes Eindringen in die Katakomben von Hascherut kannte er schon. Doch der Hintergrund dieser Handlungen, meine Vermutungen, dass die Ereignisse für Rhodan und Atlan und andere Zellaktivatorträger von immenser Wichtigkeit waren, war ihm neu. Das Erstaunen in Landrys Gesicht nahm linear steigend zu, bis es sich bei der Beschreibung der Anubis- Roboter in einem Ausruf Luft machte. Die Erweckung und den Tod der Nephtys musste ich mehrmals schildern, bis er alles verstanden hatte. Nachdenklich senkte er den Kopf, so dass ich nicht wusste, ob er mir noch zuhörte. Die Offenbarung Muhallas als Wächter der Pharaonen erstaunte ihn da nicht mehr.

»Unter diesen Umständen konnte ich nicht auf offizielle Genehmigung zur Forschung auf Terra warten«, führte ich den Bericht zu Ende. »Unter dem Vorwand, meine früheren Arbeiten zu Ende bringen zu wollen kam ich zurück. Leider verriet ich Muhalla indirekt meine Anwesenheit, so dass er mir mit ständigen Kontrollen das Leben schwer machte. Dann tauchten plötzlich vermummte Gestalten auf, die mein Lager verwüsteten. Ich befand mich zu dem Zeitpunkt zum Glück gerade in den Ruinen, so dass sie mich nicht antrafen. Von dem Lärm angelockt näherte ich mich dem Lager: zehn Männer zählte ich, kann aber nicht sagen, woher sie kamen und zu wem sie gehörten. Die Typen erblickten mich natürlich und feuerten sofort. Ich entkam glücklich mit meinem Gleiter, musste ihn jedoch kurz vor Kairo aufgeben. Ich glaube, er hat noch eine Salve abbekommen. So kamen mir die Fremden wieder auf die Fersen. Und in Kairo hätten sie mich bald erwischt, wenn ich dich nicht zufällig umgerannt hätte.«

Er nickte abwesend. »Zehn Männer, sagst du?«

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Arkoniden!

»Da gibt es noch was, das ich nicht verstehe. Sie gehörten nicht zu Muhalla, das muss nach dem Gefecht in seinem Keller klar sein. Wer mag dahinter gesteckt haben?«

»Denkst du nicht mehr an mich?«, fragte eine höhnische Stimme.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, dann fuhr ich herum. Landry brachte seine Waffe in Anschlag, fand aber kein Ziel.

Ein leises Lachen ertönte.

»Nimm lieber die Waffe runter, mein Freund.« Aus dem Dunkel trat eine hagere Gestalt in grauem Anzug.

»Johannes van Kehm!«, rief ich verwirrt.

»Warum soll ich den nicht wegpusten?«, fragte Stewart provozierend.

Der Euroterraner grinste verschlagen und hob die Hand. Nun wurden noch zwanzig weitere Gestalten sichtbar, die uns eingekreist hatten. Die rot glimmenden Abstrahlfelder der Strahler wiesen eindringlich auf den Ernst der Lage hin. Es waren Arkoniden! Sie trugen ihre Einsatzanzüge, an einem konnte man die Abzeichen eines Generals erkennen!

Landry nickte und senkte die Waffe. Er machte keinen überraschten Eindruck.

»Wie ihr seht, habe ich mich abgesichert. Natürlich hättet ihr mit euren lächerlichen Handwaffen keine Chance gegen meinen Paratron gehabt.

Oh, Denise, warum starrst du mich so an?« Wieder fing er widerlich zu grinsen an. »Ist es ein Schock für dich, nicht mehr um mich trauern zu müssen? Komm an mein Herz, Liebes!«

Als ich nicht reagierte fing er an, seine Überlegenheit auszukosten.

»Nun, ich will dir nicht vorenthalten, dass ich mich in den Katakomben tatsächlich in einer schweren Notlage befand.« Wild gestikulierend ging er auf und ab. »Fast wäre ich für immer unter den Trümmern begraben worden, aber meine konzentrierte Reaktion rettete mir das Leben. Ich fand Schutz zwischen der widerstandsfähigen, fremden Technik, bis sich die Lage beruhigt hatte, dann konnte ich mich befreien. Ich sehe dir deine Begeisterung an, und auch ich bin hoch erfreut, dich hier anzutreffen. Du bist ja weit gekommen!«

Sein Sarkasmus prallte an mir ab, aber ich konnte mir eine Bemerkung doch nicht verkneifen.

»Wären deine Häscher nicht solche Stümper, könntest du jetzt schon mit Muhalla um den Schatz ringen. Aber da musst du dich noch ein wenig gedulden …«

Van Kehm packte mich am Kragen und fauchte: »Du denkst wohl, dass du hier noch raus kommst, was? Aber ich versichere dir, meine neuen Männer sind nicht zimperlich. General!« Er stieß mich weg. »Übernehmen Sie, ich schau mich ein bisschen um.« Dann warf er mir noch einen hasserfüllten Blick zu. »Ich habe lange genug gewartet!«

*

In einem Raumschiff am Rande des Solsystems saßen sich zwei Männer gegenüber. Der eine schlank, fast hager, klein, mit spiegelnder Glatze und in einem grauen Anzug, der andere hochgewachsen, trainiert, in weißer arkonidischer Flottenuniform.

»Die Sache beginnt zu laufen, General.« Zufrieden lehnte sich der Glatzköpfige zurück. »Wenn Ihre Männer mit Denise fertig sind, übernehme ich die Truppe.«

»Werden Sie Erfolg haben, Terraner?«, fragte der General zweifelnd. »Ich werde Sie persönlich begleiten, eine Verstärkung von zwanzig Mann kann dem Unternehmen nicht schaden!«

»Sie haben die Lage erfasst. Da ist ja auch noch Muhalla mit seinen Männern …«

»Von diesen fanatischen Kriminellen werden wir uns nicht aufhalten lassen! Meine Männer sind bestens ausgebildet, was ich von den Wächtern nicht erwarte.«

»Unterschätzen Sie sie nicht! Ich habe mich von ihrer Qualität überzeugen können.«

»Wir werden siegreich sein! Das Geheimnis Osiris' soll dem Begam offenbart werden! Vielleicht lässt es sich als Waffe gegen Rhodan verwenden?«

 

Die Entscheidung

Landry, der vor mir ging, legte eine Hand auf den Rücken und begann mit den Fingern abwärts zu zählen. Bei Null ließ ich mich fallen und trat meinem Hintermann dabei den Strahler aus der Hand. Sein erschrockener Schmerzenslaut fiel mit dem unseres zweiten Bewachers zusammen, dem Landry mit einem Handkantenschlag den Arm gelähmt hatte. Ich wirbelte auf der Seite herum und traf meinen Gegner in der Kniekehle, so dass er einknickte und auf dem Rücken landete. Mit der beinrückführenden Bewegung setzte ich ihm meine Ferse kurz unterhalb des Brustbeins auf den K.O.-Punkt und sprang seitwärts in die Büsche. Neben mir landete keuchend der TLD-Agent, der seinen Gegner ebenso präzise ausgeschaltet hatte.

Ich versuchte mich zu orientieren, was in der Dunkelheit gar nicht so einfach war. Zwanzig Meter weiter entdeckte ich das Schemen der Chufu-Pyramide, an deren Fuß ich einen neuen Eingang zu der gesuchten Anlage vermutete.

»Darf ich einen Wunsch äußern?«, flüsterte Landry.

»Nur zu«, entgegnete ich ebenso leise. »Wir sind ja kaum in Gefahr und haben es eigentlich gar nicht eilig!«

Ich sah sein grinsendes Gesicht, dann meinte er: »Ich würde gern dort hinüber zu dem großen Gleiter! Dort müssten sie meine Waffen haben.«

Dagegen konnte ich nichts einwenden, zumal wir unbewaffnet keine Chance hatten. Noch hatte niemand unsere Flucht bemerkt, aber als wir uns davonschlichen, erscholl ein schriller Schrei von einem der niedergeschlagenen Wächter. Nun stürmten wir los, ständig bestrebt, die Schatten der Geröllwüste zu nutzen. Im Lager entstand großartiger Tumult. Keuchend blieb ich stehen. Das konnte nicht allein von unserem Verschwinden herrühren!

Plötzlich zuckten grelle Blitze durch die Nacht, Schutzfelder flammten auf, wenn die Strahlen kaskadenförmig an ihnen zerstäubten. Mindestens fünfzig Gestalten griffen die Arkoniden mit fanatischer Gewalt an; ich sah bereits im ersten Anlauf fünf von ihnen in einer Glutlohe vergehen. Ein fürchterlicher Kampf entbrannte, den beide Seiten mit entschlossener Verbissenheit führten. Ich hörte eine donnernde Stimme, die schnell Ordnung in das Chaos der überraschten Arkoniden brachte. Der General hatte die Lage offensichtlich sofort erfasst und organisierte mit Überblick und Sicherheit die Abwehr. Schon war der Angriff der Fremden zum Stehen gekommen, jetzt trieben sich beide Parteien durch das Geröll.

Landry warf sich neben mich zu Boden. »Hier, nimm diesen Gürtel! Deflektor, Prallfeld und Waffe sind vorhanden!« Jetzt beschränkte er sich auf das Wesentliche. »Was ist hier los?«

Ich hatte einen Verdacht, kam aber nicht zum Sprechen, weil eine grelle Stichflamme uns in Deckung zwang. Der Kampf nahm immer gewaltigere Ausmaße an. Jetzt feuerten die Angreifer sogar mit Granaten nach den Arkoniden!

»Wenn hier nicht bald terranische Spezialeinheiten auftauchen, glaub ich nicht mehr an die Technik!«, schrie mir der Agent ins ohnehin malträtierte Ohr. »Ziehen wir uns zurück, sonst geraten wir zwischen die Fronten!«

Im Schutz der Deflektoren suchten wir uns einen Weg aus dem Kampfgebiet. Mich durchzuckte das Bild eines Stollens.

»Hier herüber!« Jetzt schrie ich auch nur noch. Eine Granate schlug knapp hinter uns ein und überschüttete uns mit Gesteinssplittern. Ich warf mich hinter einen Felsbrocken, dann stürmten wir weiter auf die Pyramide zu. Neben mir stöhnte Landry und taumelte. Erschrocken gewahrte ich die tiefe Schramme an seiner Stirn. Er grinste verwegen und winkte ab. Wir mussten weiter.

Die Luft war plötzlich von einem Pfeifen erfüllt, dann tauchten riesige Scheinwerfer das Gelände in grelles Licht. Ich erkannte, dass die Arkoniden die Stellung der Gegner umrundet hatten und nun aus dem Rücken angriffen. An der Spitze stürmte der General, wild auf den Gegner feuernd. Im konzentrierten Feuer aus fünf Impulswaffen brach auch sein Schirm zusammen, außer einem Aschehaufen würde wohl nichts von ihm zurückbleiben. Entsetzt starrte ich auf die Szene, die das Ende der Arkoniden bedeutete. Nach dem Tod des Generals stürzten sich die drei letzten todesverachtend auf die Stellungen der Gegner, die ihrerseits mit allen Mitteln feuerten.

Den Einsatz der terranischen Kräfte bekamen wir nicht mehr mit. Ich zerrte Landry fort, weg von diesem furchtbaren Geschehen. Vor meinen Augen wuchs die Pyramide in den Himmel und an einer Seite musste ein Zugang zu besagter Anlage existieren. Dorthin mussten wir, ehe die Terraner das ganze Unternehmen sinnlos machten.

»Wer war das?«, keuchte Landry neben mir.

»Die Wächter der Pharaonen! Muhallas Leute. Sie wachen angeblich über Osiris.«

Landry blieb stumm. Er musste mit so etwas gerechnet haben, aber jetzt schüttelte ihn wahrscheinlich ebenfalls das Entsetzen über die Brutalität der Fanatiker.

»Ob van Kehm entkommen konnte?«

Ich zuckte mit den Achseln. Es lohnte sich nicht, darüber zu grübeln, denn wir würden es früh genug erfahren. Unvermittelt standen wir am Fuß der Pyramide. An der linken Seite machte ich eine Senke aus, die bis an die Wand des Bauwerks reichte. Dorthin rannten wir geduckt, und tatsächlich entdeckte ich im Gemäuer die groben Öffnungen einer nachträglich errichteten Tür.

»Los, Stewart, aufbrechen!«

Wir hatten keine Zeit zu verlieren, die Gefechte ließen schon nach. Trotzdem hoffte ich, dass unsere kurzen Impulsstöße gegen die Tür im allgemeinen Energiechaos untergingen. Dann drangen wir ein. Ich eilte voraus, da ich im Besitz der Karte war. Landry sollte die Rückendeckung übernehmen.

In meinem Aggregatgürtel fand sich auch eine schwache Lampe, die leidlich den Boden vor mir ausleuchtete. Wir hasteten den Gang entlang, an mehreren Kreuzungen vorbei und schließlich nach links. Dabei senkte sich der Stollen stetig nach unten.

»Aufgepasst, jetzt müssten einige Energiefallen kommen!« Die Symbole hatte ich der Karte entnommen.

Landry konzentrierte sich und wankte an mir vorbei. Ich konnte ihn jetzt nicht schonen, das war nun einmal sein Metier. Blieb nur zu hoffen, dass er die Strapazen noch eine Weile ertrug. Auf seiner Stirnwunde bildete sich eine schmierige Schicht.

Ich hielt ihn zurück und riss einen Fetzen von meinem Hemd. Ich verkniff mir das Schmunzeln, als ich Landrys Blicke auf meinen entblößten Bauch bemerkte.

»Lass mich die Wunde wenigstens umwickeln!«, forderte ich streng. Mit diesem Kopfverband sah er einem Einzelkämpfer schon viel ähnlicher.

Zehn Minuten mussten wir den Kombifallen widmen, doch das war in unserem Zustand schon eine Meisterleistung. Woher Landry allerdings die ganzen Mikrogeräte zauberte konnte ich nur spekulieren. Endlich zeigte eines seiner Messgeräte Grünwerte an.

Landry nickte kraftlos. »Fallen sind deaktiviert.«

Ich sah ihn besorgt an. »Willst du nicht lieber umkehren und dich den Terranern stellen? Schließlich bist du TLD-Agent und hast nichts zu befürchten.«

»Und was machst du, wenn dir dieser van Kehm folgt und dir irgendwo auflauert? Und vergiss den Oberwächter nicht! Der kann hier auch noch irgendwo herumgeistern!«

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. »Du hältst dich nicht mehr lange auf den Beinen! Es wird dein Tod sein!«

»Nein. Ich habe schon mehr ausgehalten. Los, geh schon voraus!«

Ich konnte ihn ja nicht zwingen! Also drehte ich mich um und setzte den Weg fort. Langsamer jetzt als vorher, damit Stewart mithalten konnte und nicht zusammenklappte.

Irgendwann, als wir schon ziemlich tief in dem Labyrinth steckten, hielt ich an. »Das hat so keinen Zweck! Wir legen eine Pause ein.«

Er wollte protestieren, gab aber schließlich doch nach. Draußen musste es bereits wieder hell sein; ich verspürte einen brennenden Durst. Stewart lächelte matt und löste eine Feldflasche von seinem Gürtel. Wir erfrischten uns, ich fragte gar nicht erst nach der Herkunft der Flasche. Der Agent steckte immer voller Überraschungen.

*

Ein zweistündiger Schlaf hatte uns kaum gestärkt. Landrys Wunde zehrte an seinen Kräften; mittlerweile hatte sie zu eitern begonnen. Harmlos, wenn man die normale Behandlung erhielt, aber im Einsatz immer eine Gefahr. Ich hatte ihn zurückgelassen und ihm bedeutet, auf mich zu warten. Die Anlage war nicht mehr fern, und ewig würde ich auch nicht bleiben. Ich lieh mir nur ein Messgerät von ihm, denn ich war neugierig, wann man wenigstens die Hohlräume orten konnte.

So folgte ich den Gängen bis zu dem Punkt, der nach dem Ortungsgerät zu schließen das Ende der unterirdischen Anlage bedeuten musste. Eine rohe Felswand schien den Gang zu verschließen, doch ich schritt darauf zu – und hindurch, ohne Probleme.

Eine Projektion!, fuhr es mir durch den Geist. Ich musterte die Wände und versuchte, Analysen des Materials vorzunehmen. Das erwies sich als unmöglich, die tastenden Impulse fanden keinen Halt an der fremden Legierung. Sie verhinderte jegliche Ortung, schimmerte aber in einem rötlichen Hauch, der mich an die gebräuchlichen Ynkelonium-Terkonit-Legierungen erinnerte.

Die Gänge waren mit einem hellen, indirekten Licht beleuchtet und waren in ihrer Architektur der terranischen gar nicht unähnlich. Verzierungen an Wänden, Decke oder Boden konnte ich keine erkennen, alles wirkte peinlich sauber, fast steril. Nur an den Kreuzungen und den wenigen sichtbaren Schottöffnungen deuteten ägyptoide Symbole auf die Herkunft und Sinn der Station hin. Entziffern konnte ich nichts, die Gravuren erschienen mir irgendwie fortschrittlicher und präziser als die bekannten ägyptischen Hieroglyphen. Ich nahm allerdings an, dass es sich um Weghinweise oder Raumbezeichnungen handelte.

Technische Einrichtungen suchte ich vergebens. Einen auf der Karte verzeichneten Gang, jenen, der zu der mit »… Weg über die Wolken …« bezeichneten Kammer führte, konnte ich trotz intensiver Suche nicht finden. Dafür schien mir die Kammer »… ewig ruhen …« regelrecht aufgezwungen zu werden, von allen Seiten konnte man sie erreichen. Sie schien so etwas wie eine zentrale Einrichtung zu sein. Ich zögerte nur kurz, dann nahm ich das letzte Ziel in Angriff.

*

Johannes van Kehm fluchte. Man sagte, er sei ein emotionsloser Mensch, doch wenn er fluchte, widerlegte er jedes Vorurteil nachhaltig.

Erst hatte er sich zu seinem Entschluss beglückwünscht, sich in der Umgebung der Pyramide noch einmal umzusehen. So war er dem Tod, mindestens aber den terranischen Einheiten und damit ungemütlichen Fragen entkommen. Das Glück war ihm auch weiterhin hold gewesen, als ihn der Schrei von Joorns unbekannten, aber sehr zähen und tollkühnen Begleiter auf die Spur der beiden brachte. Vier Blitze zeigten ihm die Stelle, wo Joorn in den Untergrund eingedrungen war. Der Mann aus dem europäischen Staat Niederlande beeilte sich, ihnen zu folgen, doch bremste die Dunkelheit in den Katakomben seine Eile. Und jetzt hatte er sie ganz verloren.

Er musste irgendwo eine Abzweigung verpasst haben. Nur wusste er nicht, wie lange das her war. Es konnte Ewigkeiten dauern, bis er einen alternativen Weg fand. Hier war sowieso erst einmal Schluss. Er stand direkt in einer Sackgasse.

Eine letzte Verwünschung auf Joorn kam über seine Lippen, dann presste er sie zusammen und tastete sich an der Wand entlang den Weg zurück. An jeder Kreuzung ging er einige Schritte in den abzweigenden Gang und prüfte gefühlsmäßig die Steigung. So arbeitete er sich langsam vor, bis er dem ersten Gang abwärts folgte. Es war ein glücklicher Umstand, dass es gerade dieser Gang war, den Joorn und Landry vor guten zwei Stunden beschritten hatten.

Dann hielt er inne. Vor ihm glomm ein schwaches Licht in der Dunkelheit. Van Kehm hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgeatmet, er beherrschte sich aber. Leise schlich er näher. Der Gang mündete in eine kleine Halle, von der aus verschiedene Gänge in alle Richtungen führten. Dort, im Schein seiner winzigen Lampe, lag der Begleiter Joorns auf einem Tuchfetzen. Um seinen Kopf war ein weiteres Tuch gewickelt, im vorderen Teil mit Blut getränkt.

Kehm grinste. Der hatte also was abgekriegt. Nun wollte er ihm den Garaus machen, aber er durfte Joorn nicht verlieren, die ihren Begleiter offensichtlich hier zurückgelassen hatte, um ihn zu schonen. Der Mann starrte in einen der Gänge hinein, als erwarte er sehnsüchtig das Auftauchen der Gegangenen. Danke!, dachte Kehm.

Gerade wollte er seinen Strahler aktivieren, da blitze es auf der anderen Seite der Halle auf und ein grünlicher Strahl brannte sich in die ungeschützte Netzhaut des Wissenschaftlers. Er unterdrückte ein Stöhnen und kniff die Augen zusammen. Es dauerte eine Weile, bis er wieder sehen konnte. Dann erkannte er – Kawai Muhalla und seine Wächter, die gerade in die Halle liefen und sich um den paralysierten Begleiter Joorns sammelten.

»Bringt ihn hinaus, damit ihn die Terraner finden!«, befahl er zwei seiner Männer.

Nein, unmenschlich ist dieser Fanatiker gewiss nicht!, dachte van Kehm verächtlich. Und wieder machte er die Erfahrung, dass Glück gar keine so schlechte Erfindung war: Es gab offensichtlich mehrere Wege an die Oberfläche, denn die Männer kamen nicht in seine Nähe …

»So, jetzt die Joorn …«

Van Kehm folgte den Wächtern vorsichtig. In einem der folgenden Gänge sah er sie durch eine feste Gesteinswand gehen! Zögernd schlich er sich heran und betastete die Wand. Als er ein Kribbeln verspürte, erkannte er die Sache und folgte den Männern. Er hörte noch ihre Schritte, an denen er sich orientieren wollte, da packte eine eisige Hand nach seinem Arm und hielt ihn zurück …

*

Vor mir glitt das Schott zur Seite. Vorsichtig, wieder in das Deflektorfeld gehüllt, betrat ich den Raum, den ich als Zentrale interpretierte: … ewig ruhen …

Ich erkannte plötzlich, was es damit auf sich hatte: Die Frontwand war die Verkleidung eines großen Rechengehirns, das auf einen Aktivierungsimpuls zu warten schien. In der Mitte des Raumes stand ein mächtiger Sarkophag, flankiert von zwei doppelmetergroßen Anubisstatuen. Ich fühlte mich plötzlich nach Seshur versetzt, an den Ort der Stasis von der »Göttin« Nephtys. Die Einrichtungen ähnelten einander frappant, ich erwartete jeden Augenblick das Erwachen der riesigen Anubis-Wachen.

Ehrfürchtig stand ich im Eingang, der sich hinter mir wieder geschlossen hatte, und wartete. Worauf, das wusste ich nicht, aber ich fühlte, dass etwas geschehen würde. Das rötliche Licht schien plötzlich lebendige Schatten in die Gesichter der Robotwächter zu werfen. Nervös zog ich mich in eine Ecke des Raumes zurück.

Mir schien es als steigere sich die Intensität der Beleuchtung, die Schatten in den Gesichtern wichen zurück, bis sie schließlich vollständig verschwunden waren und der gesamte Saal ausgeleuchtet war. Ein weiß-gelbes Licht schmerzte fast meine Augen nach der langen Düsternis.

Und dann öffnete sich der Sarkophag. Langsam, geräuschlos, wie in einem Thriller, schob sich die Abdeckplatte zurück. Ich zitterte vor Spannung, konnte es kaum erwarten zu erfahren, was für ein Wesen dort erscheinen würde. Deshalb zuckte ich auch umso stärker zusammen, als sich die beiden Robotwachen bewegten und an den Rand des Sarges traten, aus dem jetzt ein helles Licht strahlte. Die Hundeköpfe wurden in einen hellen Glanz gehüllt, der eine unwirkliche Mischung aus Tod und Leben in ihren Mienen erzeugte. Beide Wachen senkten ihre Hände in den Sarg. Was sie dort machten, konnte ich nicht sehen, aber ich nahm an, dass sie die Lebenswerte überprüften. Einige Minuten vergingen in unheimlicher Stille.

Dann hob sich langsam eine Gestalt aus dem Sarg, schwebte hinaus und wurde vor der Computerwand in einen formenergetischen Sessel gesetzt. Es war ein stattlicher Mann, groß gewachsen mit der gebräunten Haut und dem dunklen Haar der alten Ägypter. Auch in sitzender Haltung strahlt er eine ungeheure Autorität und Würde aus, eine Weisheit, die mich erschauern ließ. Er war unbekleidet, doch kam ich gar nicht auf den Gedanken, seine Männlichkeit zu beachten, sein Fluidum erfasste mich sofort. Noch waren seine Augen geschlossen. Ich starrte ihn an, bis er gedreht wurde und mit dem Gesicht zur Rechnerwand saß.

»Mächtiger!« Plötzlich war auch das Rechengehirn aktiv. Mit sonorer Stimme sprach es den Erweckten auf Altägyptisch an. »Die Zeit ist gekommen.«

Ich lauschte aufmerksam. Noch hatte mir keiner der Anwesenden Beachtung geschenkt.

»Es war die Falle Seths, die Euch täuschte«, fuhr der Computer fort. »Sie ist bereits deaktiviert, die Frist durch AMUN ist lange abgelaufen! Doch wir weckten Euch erst jetzt, da es zu Komplikationen kam.«

Ich starrte auf den Hinterkopf des Wesens, das mir den Rücken zukehrte. Tausend Fragen schossen mir durch den Sinn, doch war ich keiner Reaktion fähig.

»Trotz der Komplikationen hast du meine Erwartungen erfüllt.« Er neigte zufrieden den Kopf. Seine volle Stimme bannte mich mehrere Augenblicke, ehe ich die weiteren Ereignisse wahrnahm. Ich stand noch völlig unter dem Bann der Erweckung, nun wurde es langsam Zeit, mich davon loszureißen.

Von draußen ertönte ein lautes Krachen, dann die Entladungen mehrerer Strahlwaffen. Der Mann, noch zu geschwächt für komplexe Bewegungen, zuckte zusammen.

»Was war das?«, fragte er, sichtlich verwirrt.

»Die Komplikationen von denen ich sprach. Eine Gruppe von Eindringlingen, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem geweihten Volk haben«, erwiderte der Rechner. »Ich habe sie vernichtet, der Anführer und ein weiteres Individuum sind in meiner Gewalt.«

Von bösen Ahnungen geplagt wandte ich mich um. In der Tür erschienen drei weitere Anubisrobots, von denen einer sofort meine Arme erfasste, so dass ich bewegungsunfähig war. Die beiden anderen hielten Kawai Muhalla und Johannes van Kehm. Die plötzliche Leere in meinem Kopf lähmte mich zusätzlich. Stewart fehlte!

 

Ein Gott erwacht

In dem Raum tief unter der Erde befanden sich vier lebende Wesen. Es herrschte dunkles Schweigen. Die drei Gefangenen mussten den Schock der Erlebnisse überwinden; der Erweckte schöpfte Kraft, denn sein Geist arbeitete erst wieder seit wenigen Minuten als reale Existenz und der Körper würde noch länger brauchen, um sich zu regenerieren.

Schweigend, aber unnachgiebig drückten die Anubis-Roboter ihre Gefangenen auf den Boden und zwangen sie in die Knie.

Dann hob einer der Wächter den Kopf und sprach:

»Verneigt Euch vor Osiris. Die Kreaturen dieses Planeten nannten ihn den Gott der Unterwelt. Er ist Herr über Leben und Tod auf dieser Welt, und ist zurückgekehrt. Er ist der rechtmäßige Herrscher! Blicket auf, da ihr die Stunde der Rückkehr erlebet! Es mag nun weltliche Mächte geben, dort oben, wo die Sonne das Ro-Setau bescheint. Sie werden weichen, denn er duldet keine Gegenwehr! Der Ruf des Glücks wird erschallen, auf seinen Schwingen wird seine Stimme in das Land getragen, denn er ist OSIRIS!«

ENDE

 

 

Denise Joorn ist Zeugin der Auferstehung eines uralten Wesens geworden, welches einst auf der Erde als Gott verehrt worden war. Mehr darüber schreibt Nils Hirseland in Band 50 »Osiris«.

 

 

 

DORGON-Kommentar

Unsterbliche Götter

Ein Sarkophag wird gefunden. Als er geöffnet wird, entdecken die Forscher eine Frau. Sie ist 177 Zentimeter groß, ihr Gewicht beträgt 58 Kilogramm und sie hat schwarze Haare. Aber es gibt zwei Sachen, die an dieser Frau besonders faszinierend sind: Ihre violetten Augen und ihr Name. Es ist Nephtys!

Aus der ägyptischen Mythologie wissen wir, das Nephtys die Tochter von Geb und Nut, Schwester von Isis, Osiris, Schwester-Gemahlin von Seth und Mutter von Anubis war.

Es heißt, dass die Verbindung von Seth und Nephtys kinderlos blieb. Deswegen schlüpfte sie in die Gestalt ihrer Schwester Isis und zeugte mit Osiris ihren Sohn Anubis. Aus Furcht vor dem Zorn Seths versteckte sie ihn und Isis half ihr dabei, Anubis groß zu ziehen. Nach der Ermordung von Osiris durch ihren Gemahl Seth, half Nephtys ihrer Schwester die Körperteile des Osiris zu suchen und ihren Sohn Horus vor Seth zu schützen.

Doch zurück in die Gegenwart. Als erstes fragt sie nach Osiris und ob jemand einen Zellaktivator für sie mitgebracht hat. Natürlich hat das keiner und so zerfällt sie nach kurzer Zeit zu Staub.

So verrückt es sich auch anhören mag: Aber anscheinend gab es vor vielen Jahrtausenden fremde Besucher auf der Erde, die sich als Götter ausgaben und die entweder im Dienst einer Superintelligenz oder den Hohen Mächten des Universums standen und vielleicht auch noch stehen.

Und was ist mit Osiris?

Ein weiterer Gott aus dem alten Ägypten, der wohl auch noch in der Jetztzeit existiert – warum heißt der Zyklus denn wohl »Osiris«?

Wir dürfen wohl sehr auf die erste Begegnung der beiden Unsterblichen gespannt sein: Auf der einen Seite Perry Rhodan. Beinahe 3000 Jahre alt, Ritter der Tiefe und der 6. Bote von Thoregon. Auf der anderen Seite Osiris. Beinahe 100 mal so alt wie Perry Rhodan Und dazu ist er auch noch ein Gott. Wie gesagt: Wir dürfen gespannt sein.

Björn Habben

 

 

 

GLOSSAR

Osiris Mythos

Vor Tausenden von Jahren wurde Osiris König über ganz Ägypten und zeigte den Menschen den Ackerbau und kultivierte sie. Seth aber war eifersüchtig auf seinen Bruder und stellte ihm eine List. Er maß heimlich den Körper des Osiris aus und fertigte eine reich verzierte Lade nach seinen Körpermaßen her.

Auf einem Fest versprach er denjenigen, der in die Lade passte, ihm diese zu schenken. Als Osiris sich in sie hineinlegte, klappte Seth den Deckel zu und warf die Lade in den Nil.

Isis, Gemahlin und Schwester des Osiris, machte sich verzweifelt auf die Suche nach ihren Geliebten und erfuhr schließlich, dass die Lade in einem bewucherten Baum steckte. Der König von Byblos aber kam ihr zuvor und ließ den Stamm, aus Bewunderung an seiner Größe, als Pfeiler seines Palastes verwenden.

Isis hörte davon und machte sich auf nach Byblos. Der König war sehr angetan von ihr, und machte sie zu der Amme seines Kindes. Isis ernährte das Kind, indem sie ihre Finger in seinem Mund steckte. Nachts aber verbrannte sie das Sterbliche seines Körpers und flog als Schwalbe klagend um den Pfeiler. Die Königin sah erschrocken, wie ihr Kind brannte und gab Isis nun den Pfeiler.

Sie befreite den Sarg aus dem Stamm und zeugte mit der Leiche einen Sohn – Horus.

Seth entdeckte den Sarg und zerriss wütend den Körper Osiris und zerstreute seine Einzelteile über ganz Ägypten. Isis sammelte seine Körperteile ein und setzte sie wieder zusammen.

Die Geschichte geht weiter: "Der Streit zwischen Horus und Seth" nach dem griechischen Schriftsteller Plutarch (46-120 n. Chr.).

(die Verbrennung des Kindes ist griechischen Ursprungs)

Horus / Seth Konflikt

Der Mythos schließt sich eigentlich direkt an den "Osiris-Mythos" an und ist uns in zahlreichen Varianten und Geschichten erhalten geblieben. Hier wird eine gekürzte Fassung von einem Text aus der Zeit Ramses V. (etwa 1160 v.Chr.) erzählt. Die Überschriften sind willkürlich gewählt, um den Mythos ein wenig zu unterteilen.

Das Tribunal

Als Horus erwachsen geworden war, beschloss er Anspruch auf den ägyptischen Thron zu erheben, denn immerhin war er der legitime Sohn vom früheren Herrscher Osiris, der nur durch Seths Machthunger getötet wurde. Aber da hieß es erst mal, seinen Onkel Seth vom Thron zu stoßen und so wandte er sich an ein Tribunal, dem die wichtigsten Götter unter dem Vorsitz des Sonnengottes Re angehörten. Horus' Großvater Schu und der Weisheitsgott Thot unterstützten ihn in seinem Vorhaben. Isis glaubte ihren Sohn schon sicher auf dem Thron Ägyptens zu sehen und schickte den Nordwind in die Unterwelt, um Osiris die gute Nachricht zu überbringen.

Aber Re war sich nicht sicher, ob Horus der richtige Herrscher wäre. Er ist zwar der Nachfolger seines Vaters Osiris, aber Seths Herrschaft ist immerhin durch seine Macht und Stärke berechtigt.

Seth schlug vor, den Streit außerhalb des Gerichtssaales bei einer Kraftprobe zu entscheiden. Thot stellte aber schnell die Ordnung wieder her und nun geschah die nächsten 80 Jahre gar nichts. Als die Geduld des Gerichtes zu Ende war, fragte man die Göttin Neith um Rat. Sie stellte sich mit der Begründung der Erbfolge auf Horus' Seite, schlug aber gleichzeitig vor, Seth durch die beiden Töchter des Re Anat und Astarte zu entschädigen.

Das Gericht war einverstanden aber Re war da ganz anderer Meinung. Er nannte Horus einen Schwächling, der keine Autorität zum König hätte. Daraufhin machte ein unbedeutender Gott sich lustig über Re, so dass er beleidigt abzog. Seiner Tochter Hathor gelang es aber ihn zurückzuholen, indem sie sich vor ihm auszog und seine Freude über ihre Schönheit weckte.

Nun brachten Seth und Horus noch mal ihre Thronansprüche vor. Seth war der Meinung, dass er genau der Richtige wäre, weil er so stark und mächtig ist, die große Apophisschlange jeden Tag zu besiegen und somit das Chaos zu verhindern. Horus unterstrich noch mal seine Legitimität als rechtmäßiger Nachfolger seines Vaters Osiris. Isis schaltete sich zu Gunsten ihres Sohnes Horus ein, was Seth so sehr erzürnte, dass er drohte jeden Tag einen Gott zu töten und kein Gericht anzuerkennen, dem Isis beigehörte. Deswegen verlegte Re den Gerichtshof auf eine abgelegene Insel und befahl den Fährmann Nemty niemanden, der Isis auch nur ein wenig ähnelte auf die Insel zu lassen.

Isis' List

Isis wollte unbedingt auf die Insel und verwandelte sich in eine alte Frau, steckte einen goldenen Ring um den Finger und nahm eine Schüssel Mehl unter dem Arm. So bestückt machte sie sich auf zur Fähre und bat Nemty sie auf die Insel zu bringen, der sich aber strikt weigerte. Isis flehte ihn an und sagte, sie müsse dringend einem jungen Hirten etwas zu essen bringen. Letztendlich ließ sich Nemty doch überzeugen und forderte als Gegenleistung den goldenen Ring.

Auf der Insel angekommen wartete Isis bis die Götter bei ihren Verhandlungen eine Pause einlegten, verwandelte sich in eine schöne Frau und näherte sich in ihrer neuen Gestalt Seth, der auch sofort Gefallen an ihr fand. Isis gab sich als Witwe aus, deren Sohn von einem Fremden bedroht wird, der ihm die väterliche Herde wegnehmen und ihm aus dem väterlichen Haus vertreiben will. Seth war empört über das Verhalten des Fremden und stellte sich auf die Seite des Sohnes. In diesem Moment verwandelte sich Isis in ein Sperberweibchen und flog zum nächsten Baum, wo sie Seth vorwarf sein eigenes Verhalten gegenüber Horus und Osiris verurteilt zu haben. Unter Tränen berichtete Seth Re was vorgefallen war. Der Sonnengott empfand aber kein großes Mitleid mit ihm. Dem Fährmann Nemty wurden zur Strafe die vorderen Glieder seiner Beine abgerissen und er schwor sich nie wieder vom Gold verleiten zu lassen.

Der Wettkampf

Das Gericht wurde in die westliche Wüste verlegt, wo die Götter Horus als rechtmäßigen Thronfolger bestätigten. Seth erhob Einspruch gegen das Urteil und forderte Horus auf in einem Wettkampf seine Kraft zu beweisen.

Seth schlug vor, dass sich beide in Nilpferde verwandeln und drei Monate unter Wasser aushalten sollen. Wer eher auftaucht, verliert den Thronanspruch. Horus war einverstanden. Nach einer Weile sorgte sich Isis so sehr um ihren Sohn, dass sie eine Harpune anfertigte. Unglücklicherweise wurde Horus aber mit der ersten Harpune getroffen, die sie aber sofort durch Zauberkraft entfernte. Der zweite Wurf traf dann endlich Seth, der Isis darum bat ihn zu verschonen. Immerhin sind die beiden Bruder und Schwester. Isis empfand Mitleid mit Seth und entfernte die Harpune. Das erzürnte Horus so sehr, dass er aus dem Nil auftauchte und ihr den Kopf abschlug, den er mit in die Berge nahm. Isis Leichnam verwandelte sich in eine Statue aus Feuerstein. Als Re von dieser Tat erfuhr, schwor er, dass er Horus finden und ihn für seine Tat bestrafen würde.

Das Auge des Horus

Eines Tages entdeckte Seth den schlafenden Horus in einer Oase, riss ihm die Augen aus und begrub sie in den Bergen, wo sie sich in Lotosblüten verwandelten. Seth hielt ihn für tot und verschwieg Re bei seiner Rückkehr Horus gefunden zu haben. Währenddessen fand die Göttin Hathor den weinenden Horus in den Bergen. Sie benetzte seine Augen mit Gazellenmilch und gab ihm durch Zauberkraft sein Augenlicht wieder. (In einer anderen Version stahl Seth das linke Auge des Horus, das den Mond verkörperte. Auch hier wurde das Auge wieder geheilt. In beiden Varianten wird das Auge nur in Einzahl erwähnt. Durch die Heilung gewann es an Stärke und war deswegen als "Auge des Horus" oder "Udjat-Auge" als Schutzamulett sehr populär.)

Isis kehrte bald darauf wieder ins Leben zurück.

Der Streit zwischen Re und Osiris

Thot überredete eines Tages Re, einen schmeichelnden Brief an Osiris in die Unterwelt zu schicken, um ihn um seinen Rat zu fragen. Osiris war entsetzt, dass man seinem Sohn so übel mitspielte. Ist er, Osiris, nicht derjenige, der die Götter mit Weizen und Gerste ernährt? Hat deswegen nicht sein Sohn Anspruch auf den Thron? Re aber behauptete, es gäbe auch Gerste und Weizen ohne ihn. Osiris wiederum unterstrich seine Macht dadurch, dass alle früher oder später in sein Totenreich einkehren müssen. Die Götter stimmten Osiris zu und dann waren sich alle einig, dass Horus der rechtmäßige Nachfolger seines Vaters ist. Seth wurde von Isis gefesselt vor Gericht gebracht und er gab aufgrund der misslichen Lage zu, dass der Thron Horus gehört. Seth erhielt als Entschädigung von Re einen Platz im Himmel, wo er sich als Donnergott am Gewitter erfreuen konnte. (In einer anderen Version wurde Seth in die Wüste verbannt, wodurch der Gegensatz zwischen Osiris als Fruchtbarkeitsgott und Seth als Sinnbild des Vertrocknens und Zerstörung deutlich wurde.)

Horus

Der Sohn des Osiris. Horus ist ein Gott der altägyptischen, pharaonischen Mythologie Terras. Als Sohn des Osiris und dessen Stellvertreter auf Erden wird er oft mit dem Pharao assoziiert.

In Bildnissen wird Horus stets als Mannfalke dargestellt. Er hat den Körper eines Menschen auf dem der Kopf eines Falken ruht.

Horus gehört zu den wichtigsten Gottheiten der pharaonischen Mythologie.

Horus ist ein sehr vielschichtiger Gott. Bereits um seine Geburt ranken sich verschiedenen Mythen. Der eine erzählt, dass seine Mutter Isis ihn auf magische Weise empfangen habe, als sie ihren ermordeten und zerstückelten Gatten Osiris wieder zusammenfügte. In einem anderen heißt es, Osiris und Isis hätten Horus bereits im Leib ihrer Mutter Nut gezeugt.

Die Göttin Hathor galt als Gefährtin von Horus. Durch ihre Verschmelzung mit Isis fällt die Abgrenzung zwischen den beiden Göttinnen nicht immer leicht.

Horus als Sonnengott wurde dargestellt als Falke mit der Krone von Ober- und Unterägypten oder als Mensch mit Falkenkopf. Die Sonnengötter Re und Horus verschmolzen früh miteinander, so dass nicht immer mit Sicherheit abgeleitet werden kann, welche Eigenschaften, Symbole etc. ursprünglich zu welchem Gott gehörten. In Edfu wurde Horus als geflügelte Sonne dargestellt, die ursprünglich ein Attribut des Gottes Behedti war.

Horus war der erste Staatsgott Ägyptens. Der Pharao galt als Personifizierung des Horus. Das wirkte sich u.a. so aus, dass jeder Pharao einen "Horusnamen" erhielt.

Seth

Sohn von Geb und Nut, Bruder von Osiris, Isis, Brudergemahl von Nephtys. Seth wird dargestellt mit menschlichem Körper und einen Tierkopf der nicht näher bezeichnet wird und gewisse Ähnlichkeit mit einem Esel aufweist, manchmal auch in Form eines Nilpferdes oder eines Schweins.

Seth gilt gemäß diversen Mythen als Mörder seines Bruders Osiris. Er kämpfte nach dessen Tod lange Zeit mit Horus um die Macht im Lande. Seth ist der Gegenpol zu Osiris: Osiris als Gott der Fruchtbarkeit, geliebt von seiner Gattin Isis, Vater des Horus (und des Anubis, Sohn der Nephtys) – Seth als Gott der Wüste, unfähig Kinder zu zeugen (was mit der Unfruchtbarkeit der Wüste übereinstimmt), verheiratet mit Nephtys, die ihn nicht liebte. Die beiden Götter können überdies als die zwei Seiten des Landes (Wüste und Niltal) betrachtet werden, Fruchtbarkeit und Lebensfeindlichkeit.

Seth ist der Nachwelt überliefert worden als Bösewicht. Nur selten liest man auch über seine positiven Seiten. Er galt z.B. lange Zeit als Wohltäter von Oberägypten. Er schützte die Sonnenbarke von Re während seiner allabendlichen Reise durch die Unterwelt vor der Schlange Apophis, weil er über die größte Kraft unter den Göttern verfügte und nur er mit der Schlange fertig wurde.

Im Buch »Altägyptische Märchen« findet sich folgende Textstelle: "Gegen das Maßlose, das Zuchtlose, gegen das aus Trieb launig Handelnde... hilft nur eins: Machtspruch und Gewalt. Der rechte Kämpfer gegen das Meer ist Seth, ihn rufen die Götter herbei, wo es einen Kampf mit Gewalt auszutragen gibt." Seth ist im übertragenen Sinn die dunkle Seite, die man gerne übersehen möchte, aber ohne sie kann auch die helle nicht existieren.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e.V.  —  Copyright © 1999-2015

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e.V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 49, veröffentlicht am 04.12.2015 —

Titelillustration: Lothar BauerLektorat: Jürgen Freier und Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel