Band 47
Cartwheel-Zyklus
Arkoniden greifen nach der Macht
Jens Hirseland
Was bisher geschah Wir schreiben November des Jahres 1298 NGZ. Es hat sich viel in diesem Jahr in Cartwheel zugetragen. Die Galaxis hat ihre friedliche Unabhängigkeit von ihren Heimatgalaxien bewirkt. Der Spanier Don Philippe de la Siniestro bekommt von MODROR einen Zellaktivator verliehen und überlistet damit den Tod. Doch der Preis ist hoch. Er ist nun ein Sohn des Chaos. Erst jetzt kristallisiert sich heraus, dass das Friedensangebot von MODROR eine Finte ist. Cauthon Despair ist ebenfalls ein Sohn des Chaos und eine unheilvolle Allianz hat sich gebildet. Zusammen mit dem Sohn des Chaos Leticron, hat der Marquês de la Siniestro mit dem Arkonblock unter Uwahn Jenmuhs und den Pelewon und Moogh mit Torsor als Repräsentant einen Bund der Vier gegründet, mit der Absicht aus Cartwheel ein Imperium zu formen. Der arkonidische Gos’Shekur greift bereits jetzt nach den Sternen und plant den Überfall auf die Welt Lingus. Er beschwört den KRISENFALL LINGUS … |
Hauptpersonen Jonathan Andrews und Remus Scorbit – Die beiden Offiziere der Terra-Flotte stehen erneut vor gewaltigen Problemen. Nataly Jargon – Die Halblinguidin und Nichte des Chronisten. Joak Cascal – Der Terramarschall ist bereit für den Gegenschlag. Uwahn Jenmuhs – Von ihm hängt der Frieden auf der Insel ab. Oberst Bernd Goss, Oberleutnant Alcanar Benington, Henry Portland, Mascant von Rohn, Terz von Eskor und Toran Ebur – Die führenden Militärs in der Lingus-Krise. Topar Jargon – Natalys Onkel und Bürgermeister einer Gemeinde. Lester Slone – Der Terranische Botschafter auf Lingus bekommt viel zu tun. |
Die Kunst des Krieges war der Titel des alten chinesischen Handbuchs von Sun Tzu, einem mächtigen asiatischen General. Er war davon überzeugt, dass Kriege gewonnen werden konnten, ohne eine einzige Schlacht schlagen zu müssen. Viele große Militärführer, einschließlich Napoleon, benutzten Sun Tzus Kriegsphilosophie, um ihre Gegner zu schlagen. Seine Lehrsätze sind auf die Geschäftswelt und die Politik ebenso anwendbar, wie auf die Kriegsführung.
Viele glorreiche Feldherren versuchten mit so wenigen Verlusten wie möglich eine Schlacht zu gewinnen. Das Retten von Leben stand für sie im Vordergrund, nicht das Töten von anderen Existenzen. Doch es gab ebenso viele Generäle, die ihre Soldaten in den Tod schickten. Die Sache musste gewonnen werden, egal wie viele Intelligenzwesen dabei starben.
Die Kriegsführung hing oft von der Gesellschaftsform einer Nation ab. War es eine Demokratie oder eine zivilisierte Monarchie, so versuchte man einen »humanen« Krieg zu führen. Bestand die Regierungsform aus einer Tyrannei oder einer heuchlerischen Demokratie, so achteten die Oberbefehlshaber nicht auf die eigenen Verluste.
Das Leben eines Einzelnen war im Krieg nichts wert. Es konnte jeden treffen, jeden! Dich selbst, deine Kameraden neben dir zu linken oder zur rechten Seite. Es gab keine Patentlösung für das Überleben.
Der Aggressor brachte den Stein ins Rollen. Motiviert von ideologischer Stärke oder voller Angst gezwungen marschierten Soldaten ins Schlachtfeld und begannen einen Krieg. Die Attackierten mussten sich wehren und entsandten ihre eigenen Armeen. Und so ging das sinnlose Morden los. Ein Krieg ist immer sinnlos, da er mit einer sinnlosen Aktion beginnt. In der terranischen Geschichte gibt es dafür unzählige Beispiele.
Warum musste Napoleon halb Europa erobern? Zum einen, weil die Weltmacht Großbritannien nicht Frieden mit dem Emporkömmling schließen wollte und er ihn sich erkämpfen musste. Doch spätestens mit seinem Feldzug nach Russland hatte Napoleon jegliches Maß verloren. Seine Motive waren teilweise durchaus edel, doch im Krieg nahm er auf ein Leben wenig Rücksicht.
Weitaus schlimmer war das 20. Jahrhundert. Zwei Weltkriege forderten Millionen Opfer. Es begann aus Borniertheit, nationalistischem Starrsinn. Frisch fröhlich gingen Deutschland, England, Österreich-Ungarn, Frankreich und Russland in einen vierjährigen, grausamen Krieg. Die Chance auf dauerhaften Frieden wurde vergeben, als die Gewinner dem gebrochenen Deutschland die Würde und Ehre nahmen. Auch dadurch war der Aufstieg des Diktators Adolf Hitler ermöglicht worden. Die Deutschen nahmen schwere Verbrechen auf sich und folgten einem Wahnsinnigen. Bedingungslos führten sie die Order des Führers aus, begannen Angehörige des Judentums auszurotten, eroberten die halbe Welt, ehe sie im Feuerhagel und unter Bomben selbst verloren. Rücksicht auf Leben nahm keine Kriegspartei. Die Deutschen nicht, die brutal die Sowjets dahin schlachteten und die Juden in Vernichtungslager schickten, die Amerikaner und Briten ebenfalls nicht, wenn sie ganze Städte im Bombenhagel in einen einzigen Feuersturm verwandelten. Die Russen erst recht nicht.
Und nach dem zweiten drohte der dritte Weltkrieg. Der Kalte Krieg schien im Ende der Welt zu münden, denn Ost und West besaßen die zerstörerische Kraft der Atombomben. Erst Perry Rhodan brachte der Menschheit ihre Einigung und damit zumindest einen Frieden untereinander.
Kriege gab es weiterhin.
Iratio Hondro war ein Fanatiker, auch wenn seine Mittel oft subtiler waren. Die Meister der Insel führten seit Jahrtausenden eine Schreckensherrschaft in Andromeda. Nur weil eine Handvoll machthungriger Lemurer ihre Gelüste nach absoluter Macht befriedigen wollten, mussten ganze Völker sterben.
Die Sinnlosigkeit des Krieges gegen die Erste Schwingungsmacht war beispiellos. Ihre Motive waren allerdings nicht die Macht, sondern die Angst vor den Konstrukteuren des Zentrums und der eigenen Zerstörung. Doch die Art der Kriegsführung war kompromisslos. Die »Bestien« wüteten im Solsystem und über zwei Milliarden Menschen starben bei den Angriffen.
Nach tausend Jahren bekämpfte sich der Mensch wieder selber. Bruder gegen Bruder hieß es, als Imperator Dabrifa gegen das Solare Imperium gekämpft hatte. Warum? Nur der Macht wegen. Nicht zum Wohle des Volkes, sondern nur wegen seines eigenen Größenwahns. So ging es endlos weiter. Die Laren, das Konzil der Sieben und Monos waren nur einige von ihnen.
Seit dem Jahre 1291 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, vielleicht sogar schon seit dem Jahre 1285 NGZ, jenem Jahr, als Rhodan und Aurec auf Rodrom getroffen waren, befand man sich im Krieg gegen die Söhne des Chaos und deren Entität MODROR. Vielleicht konnte man sogar das Jahr 1264 als Beginn datieren. Jenem Jahr, als Cauthon Despair auf Neles geboren wurde und Cau Thon das erste Mal in der Milchstraße in Erscheinung getreten war.
Die Motive dieses Wesens waren noch unklar. Doch man musste sich wehren. Wieder einen sinnlosen Krieg führen, um das eigene Leben zu retten. Das Leben von vielen, aber nicht von allen, denn Milliarden würden den Tod finden.
Zu diesem Zweck, zum Führen eines Krieges und zum Beschützen der Heimatgalaxien wurde Cartwheel von den Völkern besiedelt. Gemeinsam wollten die Intelligenzwesen der Insel sich eine neue Heimat aufbauen und, wenn es sein musste, in den Krieg gegen die Aggressoren MODRORs ziehen.
Doch all diese Ideen wurden an jenem 07. November 1298 NGZ zunichte gemacht, denn die alten Ideologien von der Erweiterung der eigenen Macht, von der Vergrößerung des Lebensraumes und von der arischen Herrenrasse lebten neu auf und leiteten das dunkle Kapitel in Cartwheel ein ...
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
Bostich, 06. November 1298, 3:30 Uhr Ortszeit
Das Licht eines Gleiters durchbrach die Dunkelheit, die über der Welt Bostich lag. Es war Nacht. Meist arbeiteten nur Roboter um diese Uhrzeit, die Arkoniden schliefen und ruhten sich für den nächsten ehrenvollen Tag der »Herrenrasse« aus.
In dem Gleiter jedoch war jeder der vier Passagiere hellwach. Ein Artan steuerte das Vehikel, neben ihm saß ein Orbton. Das Rangsymbol auf der linken Brust mit den zwei schwarzen Kreisen und zwei gelben Mondsicheln wiesen ihn als Len-Nos’ianta, einen Zweimondträger, aus.
Die beiden Männer auf der Rückbank blickten aus dem Fenster und schwiegen. Einer von ihnen war sehr kräftig gebaut. Seine Muskeln schienen seine Uniform sprengen zu wollen. Die langen, wallenden dunkelblonden Haare identifizierten ihn als Zaliter. Sein Rang war der eines Thek’Athor, eines Stabsadmirals und Dreisonnenträgers. Des Weiteren war er Gos’Kurii von Zalit auf der Insel Cartwheel. Politisch belegte er auch den Rang des Außenministers.
Toran Ebur blickte flüchtig zu seinem Vorgesetzten Mascant Terz da Eskor, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
»Zhdopanda, wir erreichen in einer Minute und siebzehn Sekunden den Raumhafen«, meldete der Zweimondträger.
Die beiden höchsten Militärs im Arkonblock registrierten ohne Kommentar diese Nachricht. In der Tat erreichten sie auch wenige Augenblicke später den militärischen Raumhafen von Bostich. Er lag weit von FAMUG-City entfernt auf dem Nachbarkontinent. Dieser Kontinent war für das Militär reserviert.
Tausende an gigantischen Schlachtschiffen waren bereits aus einer Entfernung von mehreren Kilometern zu erkennen. Uwahn Jenmuhs, der Gos’Shekur – Kristallkönig – des Arkonblocks hatte die letzten zwei Jahre genutzt, um militärisch aufzurüsten. Die Rüstung stand an oberster Stelle. Jenmuhs hatte den Vorteil gehabt, dass die Arkoniden von Anfang an diese Planung hatten, da es auch DORGONs Ziel gewesen war, eine starke Festung Cartwheel zu errichten.
Jeder der rekrutierten Arkoniden, Zaliter, Mehandor, Aras oder Baalol wusste, dass er vieles entbehren musste, um der großen Sache zu dienen.
Die Ausbeutung der neuen Rohstoffe brachten Jenmuhs die nötigen finanziellen Mittel für die Bewerkstelligung seines Plans.
So hatte es Arkon geschafft, innerhalb von zwei Jahren eine beeindruckende Flotte auf der Insel zu schaffen. Die Arkonflotte bestand aus acht 2500-Meter-Schlachtschiffen, fünfhundert 1000-Meter-Raumschiffen, fünftausend 800-Meter-Raumern, fünfzehntausend 500-Meter-Schiffen, zwanzigtausend 200-Meter-Kreuzern und weiteren zwanzigtausend 100-Meter-Kreuzern. Somit kam man auf eine Gesamtzahl von 50.508 Kriegsraumschiffen.
Für die kurze Zeit war das eine beträchtliche Anzahl. Hinzu kamen noch etwa zwanzigtausend Schlachtschiffe der Springer, Aras, Antis und Topsider. Der Arkonblock verfügte also über mehr als siebzigtausend einsatzbereite Schlachtschiffe.
Der Terrablock konnte 30.000 Raumschiffe aufweisen. Doch die Terraner waren mit den Saggittonen, die eindeutig die stärkste Fraktion auf der Insel waren, alliiert. Ebenfalls standen hinter ihnen die Thoregonvölker und estartischen Völker. Ein direkter Angriff auf den Terrablock war also undenkbar gewesen.
Die Anzahl der Soldaten des Arkonblocks war astronomisch. Allein die Besatzung für die siebzigtausend Raumschiffe entsprach im Durchschnitt mit Brückenoffizieren, Wartungsarbeitern, Ordonnanzen, Jägerpiloten, Bodentruppen ungefähr 2000 Mann pro Schiff. Multiplizierte man das mit siebzigtausend, hatte man eine Zahl von 140 Millionen Soldaten allein auf den Raumschiffen. Die tatsächliche Zahl lag weit höher. Viele Trägerschiffe hatten Platz für Hunderttausende Bodentruppen, Flugpanzer, Raumeingreifjäger, Sondereinheiten und vieles mehr. Allein die Anzahl dieser Soldaten überstieg die Zahl von 500 Millionen. Die gesamte Größe des arkonidischen Militärs wurde auf etwa eine Milliarde Wesen geschätzt.
Ein gleißendes Licht blendete die Insassen des Gleiters. Ein 500-Meter-Kugelraumer machte einen letzten Kontrollflug. Die Lichter am unteren Pol, die als Signalgeber für die Landung gedacht waren, ließen die Nacht zum Tage werden.
Das Gefährt hielt am Kontrolleingang.
Zwei Einmondträger musterten die Passagiere. Sie salutierten erschrocken, als sie erkannten, wer sich darin befand.
»Weiterfahren«, forderte der Mascant da Eskor.
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, fuhr der Arbtan das Vehikel weiter. Ihr Weg verlief etwa zehn Kilometer an stählernen Kugeln vorbei, einhundert bis zweitausendfünfhundert Meter hohe Giganten aus Arkonstahl.
Mascant da Eskor und Thek’Athor Ebur beobachteten erfreut den Aufmarsch der Schlachtschiffe und die letzten Übungen der Soldaten. Jeder bereitete sich auf die OPERATION GÖTTERDÄMMERUNG vor. Weder Toran Ebur noch Terz da Eskor waren ganz von der Durchführung der Operation überzeugt. Sie fürchteten die Folgen, doch Uwahn Jenmuhs hatte entschieden. Seine Berater, die beiden Admiräle des Stabes Jodur Ta’Len Weron und Keitar Ma’Tiga Leson, hatten Jenmuhs bei seinem Vorhaben unterstützt.
Elende Speichellecker, verfluchte Toran Ebur sie.
Endlich waren sie angekommen. Zwei Orbtons stürmten aus dem großen Bunker und öffneten die Tür des Gleiters. Eine unnötige, aber ehrerbietige Geste.
Der Gos’Kurii und der Mascant würdigten die Ordonnanz keines Blickes. Zielstrebig gingen sie auf den Eingang zu.
Ebur bemerkte, wie kalt es doch schon geworden war. Die Temperaturen mussten fast am Gefrierpunkt liegen. Allerdings war das nichts Ungewöhnliches für Bostich in dieser Jahreszeit.
Zwei Arbtans salutierten vor dem Eingang. Ebur und Eskor erwiderten die Ehrenbezeugung. Zu ihrer persönlichen Begrüßung kam ihnen der Has’Athor Mandor da Rohn entgegen. Er war ein einfacher Admiral, ein Einsonnenträger, der früher Kommandant von kleinen Verbänden gewesen war. Auf Grund seiner strategischen Qualifikationen jedoch ließ man ihn in den Stab von Jenmuhs berufen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis er zu einem Zweisonnenträger befördert werden würde.
Mandor da Rohn war ein Arkonide mit kurzen, weißen Haaren und einer hohen Stirn. Sein Gesicht war voller Falten und ein kleiner Kugelbauch hing über seinem Gürtel. Er war in eine schwarzrote Uniform gekleidet und begrüßte die beiden Admiräle mit den Worten: »Dashe Tussan Gosner.« Es bedeutete so viel wie: »Alle Sonnen des Imperiums grüßen dich.«
Auch der Gos’Kurii und der Gos’Mascant begrüßten da Rohn freundlich. Er war einer der wenigen gewesen, die Jenmuhs widersprochen hatten und ihn auf die Gefahr von OPERATION GÖTTERDÄMMERUNG hingewiesen hatten.
Doch Jenmuhs hatte natürlich nicht auf ihn gehört. Seine Entscheidung war gefallen und das Wort des Gos’Shekur war Gesetz!
Has’Athor da Rohn führte Ebur und da Eskor in den Besprechungsraum. Alles war sehr schlicht und praktisch eingerichtet. Überall standen Rechner, Holoprojektoren und große Tische für strategische Planungen.
Im Besprechungszimmer befanden sich die beiden Stabsoberbefehlshaber Jodur Ta’Len Weron und Keitar Ma’Tiga Leson, der Oberbefehlshaber der Arkonsystemflotte De’Keon’Athor Lexur da Luganor sowie drei weitere Keon’Athors und ein Thantan, der Oberbefehlshaber aller Bodentruppen.
»Meine Herren, wir stehen an einem schicksalsträchtigem Tag«, begann der Mascant. Er war der einzige Mascant in Cartwheel, wobei viele damit rechneten, dass Toran Ebur, der ein Günstling von Uwahn Jenmuhs war, auch bald diese Ehre zuteilwerden würde.
»Mit der OPERATION GÖTTERDÄMMERUNG stehen wir vor einem schweren Schritt. Ein Schritt, der vielleicht das Ende des Arkonblocks zur Folge haben kann«, räumte Terz von Eskor ein.
»Ich bitte Sie, Mascant. Was Sie von sich geben, dürfen Sie nicht einmal denken«, warf Thek’Athor Keitar Ma’Tiga Leson ein. »Das ist Volksverrat. Der Gos’Shekur ist sich über alles im Klaren. Er hat die Operation gut durchdacht. Seine Entscheidung ist gefallen. Wir sind hier, um sie durchzuführen.«
»Ich stimme meinem Kollegen zu«, mischte sich noch Jodur Ta’Len Weron unnötigerweise ein. Für die beiden war selbst ein Laut von Jenmuhs ein göttlicher Befehl. Sie waren blinde Fanatiker und sahen in dem Gos’Shekur den Nachfolger von Imperator Bostich.
»Nun gut«, sagte der Mascant trocken. »Dann werden wir den Befehl des göttlichen Gos’Shekur ausführen. Militärisch wird dieses Unternehmen von Leichtigkeit sein.«
Aber die Folgen ..., dachte Has’Athor da Rohn bitter. Er war ein treuer Anhänger des Kristallimperiums und würde jeden Befehl ausführen, doch innerlich zweifelte an der Richtigkeit dieses Vorhabens.
»Um Punkt 4:30 Uhr Ortszeit des Planeten Bostich werden unter der Führung unseres Flaggschiffes BOSTICH insgesamt zehntausend Schlachtschiffe den Planeten verlassen. Wir werden mit einhundert 1000-Meter-Raumern, zweihundert 800-Meter-Schlachtschiffen, zweihundert 500-Meter-Raumschiffen, je zweihundertfünfzig 200- und 100-Meter-Kreuzern und über zwanzigtausend Bombern und Jägern den Planeten verlassen. Vier Millionen Bodentruppen, zwanzigtausend Flugpanzer, verteilt auf die großen Trägerschiffe, werden die Operation beginnen. Unser Ziel dürfte jedem bekannt sein: Lingus!«
Jedem war das Ziel der Operation klar. Lingus sollte dem Arkonblock einverleibt werden. Jenmuhs wollte nun in die nächste Phase übergehen. Gestärkt von dem Bündnis mit MODROR sah er sich dazu in der Lage, buchstäblich nach den Sternen zu greifen.
Mascant Terz da Eskor und Thek’Athor Toran Ebur sollten die Operation leiten. An Bord der BOSTICH, dem 2500 Meter großen Flaggschiff der arkonidischen Flotte, würden sie den Befehl für den Angriff geben.
Die Besprechung war schnell zu Ende. Die Keon’Athors, die die Oberkommandeure der verschiedenen Flotten waren, wurden über ihre Aufgaben informiert und der Befehl zum Anlauf der OPERATION GÖTTERDÄMMERUNG wurde gegeben.
Einige Zeit später, um 4:30 Uhr starteten zehntausend Schiffe mit mehreren Millionen Arkoniden, Zalitern und Kolonisten an Bord und verließen Bostich. Ihr Weg führte sie in den ersten großen militärischen Konflikt von Cartwheel, ließ man die terroristischen Aktivitäten des Pterus Saron außer Acht. Saron hatte nicht das Militär von Arkon.
Zehntausend Schiffe und über zehn Millionen Arkoniden waren bereit, Lingus für das Kristallimperium in Cartwheel zu erobern.
Während die Schiffe den Orbit von Bostich verließen, hallte immer wieder dieselbe Parole durch die II. Flotte Arkons, deren Kommandant der Keon’Athor Stevan Agh’Istin war. Er kommandierte die MINDROS und begleitete die Flotte.
Und diese Parole war: FAMUG! Für Arkons Macht und Glorie!
Lingus, 06. November 1298 NGZ, 05:15 Uhr Ortszeit
»Auf, auf! Marsch, Marsch!«, brüllte ein Sergeant und schlug mit einem Stock auf eine Holzkiste.
Müde und völlig lustlos krochen die Kadetten aus ihren Betten und begaben sich in die Nasszellen.
»Was seid ihr denn für ein Sauhaufen? Das könnte ja Tipa Riordan, nachdem man ihr den Zellaktivator weggenommen hat, noch besser! Aufwachen, ihr müden Säcke!«, brüllte der Sergeant mit einer gewissen Genugtuung.
Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Im Grunde genommen wollte er das Beste für seine Jungs und packte sie deshalb hart an, ohne es wirklich böse zu meinen oder ihnen ernsthaft schaden zu wollen. Es gab immer noch mehr als genügend schwarze Schafe in der Armee, die ihre Untergebenen drillten, nur um sich selbst mächtig zu fühlen.
Sergeant Petrou verabscheute solche Leute. Harry Petrou war ein Soldat durch und durch. Der Waliser entsprang einer Familie voller Soldaten. Natürlich war es dann auch Ehrensache, dass er die Linie fortführte.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte einer der Soldaten. An seinen Abzeichen erkannte der Sarge, dass es sich auch um einen Offizier handelte.
»Leutnant Scorbit, danke Ihnen, Sir! Gut, dass Sie schon fertig sind. Die Duschen, fürchte ich, sind jetzt etwas überfüllt«, meinte Harry Petrou amüsiert.
Scorbit nickte lächelnd. Er gehörte zu den notgedrungenen Frühaufstehern. Wobei es ihm eigentlich egal sein konnte, denn er und Jonathan Andrews teilten sich eine Kabine mit allem Komfort. Doch die beiden Leutnants wollten mit gutem Beispiel vorangehen. Ihre Ausbildungszeit dauerte nicht mehr lange. Knapp drei Monate mussten sie noch über sich ergehen lassen, dann waren sie als Leutnants auch bevollmächtigt, selbst Führung zu übernehmen. Obwohl der Sergeant mehrere Ränge unter ihnen war, so war dieser während ihrer Ausbildungszeit ihr Vorgesetzter, da er über mehr Erfahrung verfügte und für Soldaten ohne Offiziersausbildung dieser Rang recht hoch war.
Nach der Ausbildung wollten Remus Scorbit und Jonathan Andrews unbedingt mehrere Einheiten der sogenannten Space-Copters befehligen. Beiden lag die Arbeit mit den Flugpanzern sehr, da diese technischen Wunderwerke einfach jeden Piloten begeisterten und im Einsatz eine große Hilfe waren.
Jonathan kam auch endlich aus seiner Kabine. Er brauchte etwas länger, um morgens fit zu werden, als sein Partner Remus.
»Morgen. Kaffee?«, murmelte er müde.
Remus gab ihm einen vollen Becher, den Andrews zur Hälfte leer trank. Danach fühlte er sich besser.
Andrews schielte zum Eingang des Hangars. Dort stand eine Gerätschaft, die ihn sehr beeindruckte. Der AIRBLADE, eine neue Version des Space-Copters, war eine ausgesprochen beeindruckende Version des Raum-Copters, der mit der besten Terkonitlegierung gestählt wurde, einen zweifach gestaffelten Energieschirm, einen dreifach gestaffelten HÜ-Schirm und einen einfach gestaffelten Paratronschirm besaß. Die Bewaffnung war ebenfalls nicht zu verachten; Intervall-, Desintegrator-, Projektil- und sogar Transformwaffen waren eingebaut.
Seine Beschleunigung von 0 auf 1000 km/h in der Stunde betrug 8,76 Sekunden. Seine Spitzengeschwindigkeit auf einem Planeten erreichte bis zu 9000 Stundenkilometer.
Der Space-Copter AIRBLADE verfügte zudem über ein Lineartriebwerk mit einer Reichweite von 1000 Lichtjahren. Seine Spitzengeschwindigkeit im Unterlichtflug waren beeindruckende 670 Kilometer in der Sekunde.
Andrews war vom ersten Moment an von dem AIRBLADE begeistert. Insgesamt vier Mann dienten als Besatzung. Neben Andrews und Scorbit als leitende Offiziere wurden noch Sergeant Dan Bela und Korporal Suk-Ho eingesetzt.
»Ich kann es kaum mehr erwarten, bis wir unser Baby fliegen können.«
Remus lachte leise.
»Geht mir genauso. Wird Zeit, dass wir mal eine Spritztour über Lingus machen«, stimmte er zu.
»Warum nicht gleich durch das ganze System?«, schlug Andrews vor.
Sergeant Petrou räusperte sich.
»Ich glaube nicht, dass Major Benington oder Oberst Goss da mitspielen würden, meine Herren«, erklärte der Sarge mit den grauschwarzen Haaren. »Besonders bei Benington müssen Sie aufpassen. Er ist wieder in seiner besonders schlimmen Phase und besonders kokett, nachdem ihn Peter de la Siniestro gestern zum Major befördert hat.«
Andrews verdrehte die Augen und leerte seine Tasse. Er verzog das Gesicht, denn der Kaffee war ganz schön stark gewesen. Als er sich an den Geschmack gewöhnt hatte, fragte er: »Ich möchte nur mal wissen, warum dieser Benington so ist. Warum ist er so hasserfüllt?«
Der Sarge drehte sich eine Zigarette und zündete sie an. Genüsslich zog er den Rauch in seine Lungen. Er bestand darauf, noch normalen Tabak zu benutzen. Die meisten Tabaksorten waren mit Nikotin-Ersatzstoffen behandelt worden, so dass die Gefährdung einer Krebserkrankung und dauerhafte Lungenschäden neutralisiert wurden. Diese Tabaksorten gab es schon seit Jahrhunderten, doch es gab immer wieder Menschen, die eine Nuance des Geschmacks verändert sahen und lieber auf die biologischen Tabakpflanzen für ihre Zigaretten zurückgriffen.
»Benington wuchs als armer Bauernsohn auf«, begann der Sarge zu erzählen. »Eigentlich war er der Sohn eines reichen Politikers, so munkelte man, doch nichts wurde bewiesen. So fristete er sein Leben auf einer Farm und litt sehr unter der strengen Hand seines Bauernvaters.«
Remus und Jonathan hörten gespannt zu. Sie tranken jeder noch eine Tasse Kaffee.
»Eines Tages verließ er dann die Farm und ging zum Militär. Doch den Knacks aus der Jugendzeit hatte er immer noch. Er litt unter einem permanenten Konflikt zwischen Minderwertigkeitskomplexen und dem Drang, sich selbst zu verwirklichen.
Er will sich beweisen, dass er der Größte ist und kein dummer Nichtsnutz auf einem Bauernhof. Dazu kommt noch ein ungesunder Größenwahn bei dem Major.«
»Verstehe«, sagte Andrews. Viel half ihm das jedoch auch nicht weiter. Benington gehörte in ärztliche Behandlung und nicht auf das Schlachtfeld, fand der ehemalige Ritter-der-Tiefe-Orbiter.
»Wenn man vom Teufel spricht«, meinte Scorbit und deutete zum Eingang. Major Benington betrat mit strenger Mine den Raum. Für sein junges Alter hatte er es schon sehr weit gebracht. Menschlich gesehen jedoch lagen die Dinge ganz anders.
»Sirs, ich darf Sie darüber informieren, dass unser Einsatz am 07. November um 4:45 Uhr linguidischer Zeit beginnt. Ich erwarte alle Soldaten um Punkt 4:00 Uhr in der LU-TANG. Im Namen von Oberst Goss darf ich Ihnen mitteilen, dass Sie bis morgen früh um 4:00 Uhr Landurlaub haben. Es versteht sich, nüchtern, ausgeschlafen und einsatzbereit um 04:00 auf dem Raumschiff zu sein.«
Jubel und Freude herrschte für einen kurzen Moment in dem Raum. Alle Kadetten rannten zu ihren Schränken, holten sich das Nötigste und begaben sich via Transmitter zur Gegenstation zur Hauptstadt der Welt Lingus, Lingorstadt, die mit etwa 24.000 Linguiden die größte Ansiedlung auf der grünen Welt war.
»Wollen wir uns auch einmal hier umsehen?«, fragte Andrews mit funkelnden Augen.
»Aber nicht mit dem AIRBLADE«, stellte Oberst Goss fest, der mit einem Schmunzeln plötzlich neben den beiden stand und ihre Gedanken zu erraten schien.
Andrews seufzte.
»Na gut, schauen wir uns alles vom Boden aus an!«
Die beiden schlossen sich den anderen Kadetten an, die sie nach Lingorstadt brachten.
Lingus war ein Planet mit reichlich viel Vegetation. Von den vier Kontinenten waren alle mit prächtigen Gebirgen, Seen und Wäldern überzogen. Dieser Planet schien geradezu gemacht zu sein für die schlicht und einfach lebenden Linguiden.
Insgesamt lebten nur 71.000 Linguiden auf der Welt. Drei Kontinente waren unbewohnt. Nur die Natur lebte dort mit ihrer großen Flora und Fauna. Der vierte Kontinent wurde von den 71.000 Linguiden bevölkert. Die meisten Siedlungen kamen nur auf wenige hundert Einwohner. Lingorstadt war keine Stadt im eigentlichen Sinne. Es war eine Kleinstadt, eine Siedlung, in der sich die Linguiden trafen, handelten und wo sich der einzige Raumhafen und die zentrale Regierung befanden.
Zentrale Regierung war zu viel gesagt. Ein Triumvirat bildete die Regierung, die sich hauptsächlich um die Außenpolitik kümmerte und im Paxus-Parlament die Rechte der Linguiden vertrat.
Der einundvierzigjährige Vilmon Atzkari war der Vorsitzende des Triumvirats. Der alte und weise Linguide hatte die letzten dreieinhalb Jahre wenig zu tun gehabt. Auf Lingus selbst regierte sich das Volk allein. Alle lebten friedlich miteinander. Es gab keine Gewalt oder Kriminalität.
Wenn, dann kam sie von außerhalb. Oft trieben sich zwielichtige Gestalten auf Lingus herum. Kopfgeldjäger, die nach entflohenen Sträflingen suchten. Eben diese Verbrecher, die sich vor dem Gesetz versteckten oder skrupellose Geschäftsmänner, die Ressourcen von Lingus abbauten und die Natur angriffen.
Lingus selbst hatte nur 170 Raumschiffe. Davon waren 100 private oder staatliche Raumer. Nur 70 von ihnen waren Schlachtschiffe. Die Delphinschiffe, wie sie von jedermann in der Galaxis aufgrund ihrer unverkennbaren Fischform genannt wurden, waren bis zu 700 Meter lang. Jedoch gab es nur vier von diesen großen Schiffen. Die anderen 68 waren zwischen 50 und 250 Meter lang.
Die Linguiden hatten eine Armee von etwa 5000 Soldaten. Dazu kamen noch 1000 Polizisten und sonstige Ordnungshüter. Viele Aufgaben wurden von Robotern erledigt. Auf das Anheuern von Söldnern hatte das Volk verzichtet, da man sich noch sehr gut an die unrühmliche Zeit erinnerte, in der die relativ unsterblichen Friedensstifter die Überschweren als Söldner anheuerten.
Nein, die Linguiden in Cartwheel wollten friedlich und ohne unnötige Gewalt leben. Wenn sie mit galaktischen Verbrechern nicht zurechtkamen, so baten sie die Neue USO um Hilfe, die das Problem immer zur Zufriedenheit löste.
Vor zwei Jahren waren sie nur knapp zehntausend Linguiden gewesen. Doch in den letzten beiden Jahren kamen immer mehr Artgenossen aus der Milchstraße hinzu. Sie sehnten sich nach einem abgeschiedenen Leben und einem neuen Anfang, um ihre alte Vergangenheit vergessen zu können, die zwar schon mehr als zwei Generationen hinter ihnen lag, doch noch immer wie ein schwerer Stein auf ihren Herzen lastete.
Lingorstadt war natürlich nicht mit Terrania City oder Paxus zu vergleichen. Es war eine kleine, ländliche Siedlung mit vielen kunstvollen, aber einfachen Häusern. Es erinnerte die Besucher etwas an eine längst vergangene Zeit.
Keineswegs wirkte die Stadt armselig und rückständig, nein eher rustikal, gewollt altmodisch und naturverbunden.
Die Transmitterstation wurde nur einseitig genutzt. Sie war nur für Besucher, denn die Linguiden konnten sich keiner Transition oder einer Teleportation aussetzen. Schon immer hatten sie damit Probleme, denn damit verloren sie das, was sie Kima – ihre Seele – nannten. In der Tat waren solche Transitionen schädlich für Linguiden und die meisten verloren ihren Verstand dabei.
Die Linguiden waren ein sehr geheimnisvolles Volk. Andrews wusste nicht sonderlich viel über sie, nur dass sie in Verbindung mit Terranern überaus attraktive Kinder produzieren konnten. Natürlich dachte er dabei an Nataly Jargon, die er vor wenigen Tagen auf der Verlobungsfeier des Marquês von Siniestro kennen gelernt hatte. Schon lange hatte er nicht mehr bei einer Frau solche Gefühle gespürt. Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch klug und besaß eine Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen konnte. Sie war sehr natürlich, wie es die Linguiden anscheinend immer waren. Zum Glück besaß sie aber nicht nur linguidische Wurzeln. Selbst ihr Onkel war nicht mehr Volllinguide, sondern mehr Terraner und Arkonide. Nataly war eigentlich eine Terranerin und – sehr zu Andrews Erleichterung – nicht so beharrt, wie ein normaler Linguide.
Er und Remus Scorbit verließen die große Transmitterhalle und liefen über den Marktplatz. Die Linguiden beachteten die Besucher kaum. Ab und zu begegnete man auch einem Blue, einem Dorgonen oder einem Kartanin. Manchmal hatte es Andrews auch schwer, die Katzenwesen von den behaarten Linguiden auseinanderzuhalten.
Einige von den Einheimischen waren so zugewachsen, dass man nicht mal mehr ihr Geschlecht identifizieren konnte. Andere wiederum schienen sich täglich zu rasieren. Remus führte dies auf religiöse Sitten zurück. Je gläubiger ein Linguide, desto größer der Haarwuchs, vermutete er.
»So, dann wollen mir mal sehen, ob wir hier etwas Gutes zu Essen finden«, meinte Andrews und sah sich auf dem Marktplatz um.
Remus bekam eine Nachricht über sein Interkomgerät, welches in sein Armbandchronometer eingebaut war.
»Der Oberst möchte mit uns essen. Er meint, er hätte großen Hunger«, erklärte Scorbit.
»Hm, vielleicht sollten wir den Händler da drüben fragen, ob er uns ein ganzes Schwein verkauft«, unkte Jonathan.
»Es gibt hier keine Schweine im eigentlichen Sinne. Die linguidischen Schweine heißen Rikzary und sind grün statt rosa«, erklärte jemand hinter ihnen.
Die angenehme, weibliche Stimme kannte Andrews. Verwundert drehte er sich um.
»Nataly?!«
Nataly Jargon lächelte Jonathan warmherzig an.
»Ja, die bin ich. Überrascht, mich zu sehen?«
»Und wie! Wie ...?«
»Ich führe auf Lingus eine Reportage für die Chronik durch. Ich möchte mit den Linguiden über ihre Meinung zur Unabhängigkeit sprechen. Außerdem nutze ich diesen Besuch, um mich wieder etwas um mein zweites Volk zu kümmern und Verwandte zu besuchen.«
»Aha«, machte Andrews. Für einen kurzen Moment war er in ihren tiefen, blauen Augen versunken. Ein Räuspern von Remus ließ ihn sich besinnen.
»Möchtest du mit uns essen?«, fragte er nun hastig.
»Ja, gerne. Ich kenne hier ganz in der Nähe ein gutes Restaurant. Es werden linguidische Spezialitäten serviert«, erklärte sie.
»Grüne Schweine?«, wollte Andrews wissen.
Nataly lachte herzlich.
»Nur die Haut ist grün. Probiert es einfach. Es wird euch sicherlich schmecken. Kommt mit!« Nataly nahm Andrews bei der Hand. Der Terraner hatte dagegen nichts einzuwenden. Remus schüttelte schmunzelnd den Kopf und informierte Oberst Goss, wo man sich zum Essen treffen würde.
Nach dem Essen gingen Nataly Jargon und Jonathan Andrews noch etwas spazieren, während Goss und Remus Scorbit wieder zur LU-TANG zurückkehrten. Die Halblinguidin, die zur anderen Hälfte Terranerin war, und der Offizier der terranischen Armee schlenderten durch einen Park.
Nataly beobachtete einige spielende Kinder. Sie hatte sehr selten Kontakt zu ihren linguidischen Verwandten in der Vergangenheit gepflegt. Viel zu selten war sie in der Milchstraße auf dem Ursprungsplaneten der Linguiden, Lingora, gewesen. Dort, wo vor etwa 10.000 Jahren arkonidische und tefrodische Raumfahrer den Grundstein für die linguidische Zivilisation gelegt hatten.
»Du siehst so nachdenklich aus.«
Andrews war es nicht entgangen. Er verfügte über eine gute Beobachtungsgabe, fand Nataly Jargon.
»Ich grüble über mein zweites Volk. Sie sind hier sehr friedlich, doch irgendwie sind die Linguiden ein verlorenes Volk ...«
Die letzten Worte klangen traurig.
»Wieso sagst du das?«
»Du kennst anscheinend nicht die Geschichte der Linguiden. Sagen dir die Friedensstifter nichts?«
Andrews machte eine nachdenkliche Pose. Irgendetwas hatte er schon einmal im Geschichtsunterricht über die Friedensstifter gehört, jedoch wusste er es nicht so recht einzuordnen im Moment.
Nataly bemerkte das und fing an zu erzählen, während sie durch den Park liefen.
»Du musst vorher etwas wissen. Die Linguiden sind Genies der Sprache und des Wortes. Sie erlernen jede Sprache innerhalb kürzester Zeit und sprechen sie akzentfrei. Diese besondere Begabung ist jedoch damit noch nicht erschöpft. Die Fähigkeit, andere Wesen durch die Kraft des Wortes zu überzeugen, hat die Linguiden bzw. die talentiertesten von ihnen zu sogenannten Friedensstiftern gemacht. Sie können auf andere, aggressive Wesen einreden, bis diese ihre Kämpfe aufgeben und mit dem bisherigen Todfeind Frieden schließen. Friedensstifter entwickeln in der Regel schon als Kind die Gabe, das gesprochene Wort in Symbole umzusetzen, diese Symbole neu zu formieren und sie wieder in Worte mit besonderer Überzeugungskraft zu übersetzen. Diese Begabung der Linguiden hat allerdings überhaupt nichts mit Psi-Fähigkeiten zu tun.«
Andrews hörte gespannt zu. Er dachte darüber nach, ob Nataly auch diese Fähigkeiten besaß, allerdings glaubte er nicht so recht daran, da er eigentlich noch nie einen linguidischen Friedensstifter gesehen hatte.
»Wir schreiben es unserem Kima zu, unserer Seele. Jeder Linguide besitzt ein Kima. Die Ausnahmen sind Artgenossen, die durch Unfälle ihr Kima verloren haben. Meistens durch Teleportations- und Transitionssprünge. Linguiden verlieren dabei den Verstand, was religiöse Linguiden mit dem Verlust des Kimas verbinden.
In den Zeiten, wo wir noch nicht wussten, dass wir Abkömmlinge von gestrandeten Arkoniden und Tefrodern waren, drehte sich alles um das Kima. Es wurde sogar ein Kimabäumchen gepflanzt, welches eine Art Lebenspartner war. Verwelkte es, war dein Tod nahe.«
»Hm, da sollte man keine Eintagspflanze kaufen«, kommentierte Andrews die Erklärung amüsiert.
Nataly warf ihm einen bösen Blick zu. Dann fuhr sie fort: »Linguiden mit einem besonderen Kima wurden die Friedensstifter. Sie konnten nur mit dem Wort Konflikte lösen. Ihre Popularität erreichte ihren Höhepunkt vor knapp 120 Jahren.
Im Jahr 1171 NGZ bewahrheitete sich, was sich für viele bereits andeutete. Die Superintelligenz ES vergab vierzehn der von den Terranern zurückgeforderten Zellaktivatoren an vierzehn Friedensstifter. ES erklärte gleichzeitig, dass die Linguiden für ihn das neue favorisierte Volk seiner Mächtigkeitsballung seien, denn die Terraner hätten versagt.
Die Friedensstifter erwiesen sich jedoch als unfähig, die Bürde der Unsterblichkeit zu tragen. Sie begannen größenwahnsinnig zu werden, paktierten mit den Überschweren und wurden machthungrig. Sie verloren die Kontrolle über sich und ihre Aufgabe. Nachdem ES seine geistige Umnachtung überwunden hatte und den Linguiden die Zellaktivatoren wieder abgenommen worden waren, verlieh ES neuartige Zellaktivatorchips an die alten Unsterblichen sowie einige neue.«
Andrews schwieg. Als er merkte, dass Nataly mit ihren Erzählungen wohl vorerst am Ende war, ergriff er das Wort: »Und was ist jetzt mit den Friedensstiftern? Ich habe nie einen Diplomaten hier gesehen.«
Nataly lächelte gezwungen.
»Im Laufe der letzten Generationen hat sich das Volk der Linguiden sehr verändert. Sie sind in zwei Lager gespalten. Einmal die alten religiösen Anhänger, die weiterhin für das Kima und die Friedensstifter predigen und dann die rationellen Linguiden, die den Terranern nacheifern und mit dem Kima nichts zu tun haben wollen«, erklärte sie. Bevor Andrews etwas sagen konnte, fuhr sie schon fort: »Doch die Zahl der Friedensstifter nimmt immer mehr ab. Anscheinend verlernen wir diese Fähigkeit, weil uns der Glauben an das Kima zwischenzeitlich fehlt. Diejenigen, die es noch können, weigern sich allerdings, da sie sich von ES betrogen fühlen. So ist aus einem herausragenden Volk eine Nation der Mittelmäßigkeit geworden.«
»Der Ruhm war ihnen zu Kopf gestiegen«, schloss Andrews aus den Erzählungen. Nataly nickte schwach. Am liebsten hätte er sie jetzt in den Arm genommen, weil sie so traurig wirkte.
»Und nun wissen die Linguiden eigentlich gar nicht, welche Richtung sie einschlagen sollen. Das Volk ist zerstritten. Die Fraktion der Kima-Anhänger gegen die Befürworter einer modernen Welt der Linguiden«, erklärte sie weiter.
»Und zu welcher Fraktion gehören die hier?«, wollte Andrews wissen.
»Du wirst es nicht glauben, aber sie gehören zu achtzig Prozent zu den Kima-Anhängern. Sie sind auf die weite Reise nach Cartwheel gegangen, um hier ein neuen Anfang zu machen und dem Streit in der Heimat aus dem Weg zu gehen.«
Andrews starrte Nataly ungläubig an. Irgendwie verstand er nicht, warum friedliche Linguiden zur Insel zogen, die ja bekanntlich als Festung ausgebaut werden sollte. Natürlich fragte er auch Nataly danach.
»Der Friedensstifter Marlach Herson hat sich zum Ziel gesetzt, die Linguiden wieder als wichtiges galaktisches Volk aufzubauen. Er will selbst als Botschafter des Friedens vermitteln und Gutes in Cartwheel tun.«
Andrews schüttelte den Kopf.
»Wieso hat er dann nichts während des Aufstands der Pterus oder bei Rijon getan?«
»Wünsche und Realitäten sind oft weit voneinander entfernt«, gestand Nataly leise.
Die beiden gingen noch ein ganzes Stück weiter. Der Park war wunderschön und wirkte so natürlich. Es war so, als hätte man die Parkeinrichtungen der Umwelt angepasst und nicht wie sonst üblich umgekehrt.
»Jonathan, hättest du Lust mich zu meinem Onkel zu begleiten?«, wollte Nataly Jargon plötzlich wissen.
Andrews vergewisserte sich auf seinem Chronometer, dass er noch genügend Zeit hatte bis zum Beginn der Übung. Gerne stimmte er zu. Die beiden kehrten zurück zur Stadt und flogen mit Natalys Gleiter zu einer 500 Kilometer entfernten Ansiedlung.
Die Siedlung war sehr klein, nur ein paar rustikale Häuser, Scheunen, Restaurants und Geschäfte. Alles in allem ein »Nest«, wie man auf Terra sagen würde. Die Leute starrten die beiden Fremden seltsam an, wie Andrews fand.
Nataly und er stiegen aus dem Gleiter aus und gingen mit einem freundlichen Lächeln auf eine kleine Gruppe zu.
Einer von ihnen kam ihnen entgegen. Er war sehr stark beharrt und erinnerte Jonathan Andrews an die Comicfigur eines Erzählers aus einer Kinderserie, die im 20. Jahrhundert ihren Ursprung genommen hatte und den Kindern auf Animationsart die Geschichte der Erde beibrachte.
Der lange, graue Bart hing bis zum Boden herunter.
»Onkel Topar?«, fragte Nataly vorsichtig.
Plötzlich zauberte sich ein Lächeln auf die Lippen des Linguiden. »Friede sei mit dir, Nataly!«, begrüßte er sie überschwänglich. Er umarmte sie und drückte ihr ein paar dicke Schmatzer auf die Wangen.
Nataly stellte ihren Begleiter vor.
Hoffentlich begrüßt er mich nicht auch so, hoffte Andrews.
Zu seinem Leidwesen musste er allerdings die gleiche Begrüßung über sich ergehen lassen. Topar Jargon bat die beiden mit zu kommen.
Der jüngere Bruder von Jaaron war auch bereits 97 Jahre alt, was ein stolzes Alter für die Linguiden war. Die Lebenserwartung lag heutzutage bei etwa 55 bis 60 Jahren. Da die Jargons aber ein buntes genetisch Gemisch aus Arkoniden, Terranern und Linguiden waren, besaßen sie auch eine höhere Lebenserwartung.
Topar war ein einfacher Bauer, der früh geheiratet hatte und viele Kinder aufzog. Nun lebte er hier in der Siedlung mit seinen Verwandten und Freunden zusammen. Er war auch der Siedlungssprecher, da er der älteste und weiseste weit und breit war.
»Was führt euch zu mir? Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, warst du noch ganz klein«, meinte Topar.
Nataly musste lachen.
»Netter Versuch, Onkel. Aber du weißt, dass wir uns erst vor sieben Monaten gesehen haben«, konterte Nataly.
Topar grinste.
»Sieben Monate sind auch eine lange Zeit, Kleines. Ich habe aber mit deinem Besuch gerechnet, denn Jaaron hat mir eine Nachricht geschickt.«
Nataly erklärte, dass sie Berichte für die Chronik Cartwheels schreiben wollte und sich dieses Mal mit den Linguiden befassen wollte.
»Jaaron nimmt den Auftrag von DORGON sehr ernst und es liegt ihm viel daran, eine umfassende Chronik zu schreiben.«
»Ich werde euch gerne helfen. Wie wäre es, wenn ihr über eine Hochzeit schreibt? Wir haben zufällig morgen eine. Mein neunundzwanzigster Sohn wird vermählt.«
Neunundzwanzig, dachte Jonathan erstaunt.
»Gerne kommen wir«, antwortete Nataly.
»Leider habe ich morgen den ganzen Tag eine militärische Übung«, erklärte Andrews.
»Militär auf Lingus?«, fragte Topar Jargon verdutzt.
»Ja, Sir. Die LU-TANG, ein terranisches Schulungsschiff befindet sich auf diesem Planeten. Es wurde im Paxus-Parlament abgesegnet. Der Terrablock darf hier offiziell einige Übungen durchführen.«
Topar sah ihn ernst an.
»Und wofür, junger Mann? Warum müssen Sie auf unserem schönen Planeten Krieg spielen? Sie müssen keine Bewohner des Planeten töten!«
Andrews erschrak etwas über dem bissigen Tonfall des Linguiden.
»Hier stirbt niemand«, wehrte er sich.
»Doch! Die Natur. Sie töten viele Tiere, Insekten und andere Kleinstlebewesen. Wie viel Pflanzen werden zertreten oder von ihren Kriegsmaschinen platt gewalzt? Womöglich zerstören Sie noch einen Kimabaum ...«
Andrews verstand nun langsam, dass Topar zu den religiösen Linguiden gehörte. Er war ein absoluter Waffengegner.
»Ich respektiere Ihre pazifistische Einstellung, doch wer soll Sie denn beschützen, wenn es einmal zum Krieg mit MODROR kommt? Ihre Kimabäumchen bestimmt nicht!«
Nataly merkte, dass sich die beiden Männer immer mehr in ihrer Diskussion versteiften. Sie versuchte zu schlichten.
»Dann will ich mal Friedensstifter spielen und sage, dass ihr jetzt das Thema wechseln sollt, verstanden?«
Topar richtete sich danach. Jonathan fiel es etwas schwer, doch er riss sich Nataly zuliebe zusammen.
»Heute Abend ist eine kleine Junggesellenfeier. Ihr beide seid recht herzlich eingeladen.«
Die Feier war sehr ausgelassen. Die Linguiden saßen in mehreren Kreisen an einem Feuer. Man brauchte keine Stühle, nur Decken und Kissen. Auch die Nahrungsmittel wurden auf den Boden gestellt.
Einige der älteren Linguiden musizierten und die jüngeren tanzten danach. Andrews beobachtete die beharrten Abkömmlinge von Tefrodern und Arkoniden mit gemischten Gefühlen. Irgendwie war ihm ihre Friedenseinstellung nicht ganz geheuer. Die Friedensstifter hatten vor knapp 120 Jahren schon viel Unheil angerichtet. Auf der anderen Seite schienen die normalen Linguiden wirklich ausgesprochen friedliebend zu sein.
Nataly saß auch am Feuer und spielte Gitarre. Sie konnte das sehr gut, wie Jonathan fand. Inzwischen hatte sie auch ihre Hündin Tessa mitgebracht. Nataly hatte sie den Tag über im Hotelzimmer gelassen. Sie konnte sich von dem Hund kaum trennen, da Tessa ihr ans Herz gewachsen war.
Tessa war ein schwarzer, großer Hund, prächtig gebaut mit einem glänzenden Fell. Sie war ein Geschenk Aurecs gewesen, da dessen Hündin kurz vor der BAMBUS-Katastrophe Welpen bekommen hatte. Die Hündin war eine Mischung aus einem saggittonischen Wolfshund und einem terranischen Schäferhund. Jedoch hatte sie keine Eigenschaften der beiden starken Elternteile. Tessa war mehr ein weinerlicher und ängstlicher Hund.
Das schwarze Tier schmiegte sich an Andrews’ Bein. Tessa hatte ihn sofort ins Herz geschlossen, was er sehr gut fand.
»Zumindest habe ich schon einmal einen Freund in der Familie Jargon«, sagte er zu Tessa und kraulte sie hinter dem Ohr.
Die Feier dauerte lange und langsam musste sich Andrews auf seinen Einsatz vorbereiten. Schweren Herzens ging er zu Nataly.
»Ich muss leider jetzt gehen.«
Wortlos nickte sie und blickte ihm tief in die Augen. Andrews versuchte sich zu beherrschen, doch er konnte nicht widerstehen. Seine Lippen kamen den ihren näher, schließlich berührten sie einander und schienen miteinander zu verschmelzen.
Nur widerwillig setzte sie ab.
»Du musst jetzt los.«
»Ja.«
Schweigend verabschiedeten sie sich voneinander. Beide fühlten das gleiche. Sie wollten sich nicht für diese Nacht trennen, doch Andrews hatte seine Pflicht zu erfüllen. Schweren Herzens machte sich Andrews wieder auf den Weg zur LU-TANG.
07. November 1298 NGZ, 3:58 Uhr
»Wie lange noch?«, erklang die ungeduldige Stimme des Mascanten.
»Wir erreichen Lingus in genau zehn Stunden«, meldete ein Orbton. Thek’Athor Toran Ebur betrat eilenden Schrittes die Kommandozentrale.
»Der Zhdopanda Gos Moas da Cartwheel, der Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs, wünscht uns zu sprechen«, erklärte er.
Mit einem Wink wurde eine Holografie von Jenmuhs in die Zentrale der BOSTICH eingeblendet.
»Zhdopanda, wir sind eure untertänigsten Diener«, begrüßte ihn der Mascant.
»Mascant, Thek’Athor, verläuft alles nach Plan?«
»Ja, Gos Moas! In nur zehn Stunden wird der Angriff beginnen und wir gehen davon aus, dass wir Lingus innerhalb von wenigen Stunden besetzt haben«, erklärte da Eskor.
Jenmuhs lachte schallend.
»Sehr gut, sehr gut. Zuerst Lingus, dann werden weitere autarke Systeme folgen, solange bis alle Arkon angehören«, träumte der dickbäuchige Kristallkönig.
»Aber wie wird der Paxus-Rat darauf reagieren?«, warf Toran Ebur ein. »Niemand wird Ihnen Lingus freiwillig übergeben, Gos’Shekur.«
»Gos’Kurii, Eure Besorgnis in Ehren, aber überlasst dies mir. Ich werde mich mit dem Paxus-Parlament arrangieren. Ich will in zwölf Stunden eine Erfolgsmeldung hören.«
Die beiden verneigten sich, während die Holografie erlosch.
»Wir erhöhen die Geschwindigkeit. Ich will, dass wir früher da sind«, befahl der Mascant. Er spürte den fragenden Blick von Toran Ebur.
»Ein schnellerer Sieg dürfte den Gos’Shekur erfreuen!«
Um 04:00 Uhr morgens bahnten sich zehntausend arkonidische Schlachtschiffe den Weg zur autarken Welt Lingus. Sie brachten den Krieg für eine ganze Galaxis.
*
»Antreten, Zack, Zack! Wir sind hier nicht beim Kaffeekränzchen. Bewegt eure müden Schenkel, Avanti, Avanti!« brüllte Sergeant Harry Petrou mit dem üblichen Elan.
Immer wieder liefen schmunzelnde Soldaten an ihm vorbei. Sie sahen in Harry nicht den Driller, sondern den strengen Vater Typ. Das war ihm auch ganz recht so. Sie sollten Respekt vor ihm haben und seine Anweisungen befolgen. Sie sollten ihn aber nicht verachten und kein Vertrauen zu ihm haben.
Remus Scorbit saß schon seit 3 Uhr morgens im AIRBLADE und machte sich mit den Kontrollen vertraut. Um 4 Uhr kam auch Andrews zum neuen Space-Copter. Remus bemerkte, dass Andrews nur wenig geschlafen hatte.
»Hat dein Rendezvous mit Nataly doch noch länger gedauert?«
Andrews winkte ab. Er erklärte seinem Freund, wo er und Nataly waren. Remus freute es zu hören, dass es wieder eine Frau in Jonathans Leben gab. Jemand, die ihm Halt und Liebe gab. Sicher konnten das seine Freunde auch, aber nicht auf die Weise, wie es eine Gefährtin konnte.
Marschmusik ertönte aus allen Lautsprechern.
»Wie immer ... der Marsch des York’schen Korps von Beethoven. Oberst Goss liebt diesen Marsch morgens.«
Aus der Stimmte von Remus konnte man eher heraushören, dass es ihm langsam zum Hals heraushing.
Das war der tägliche Morgenappell. Damit wurde signalisiert, dass man innerhalb von 15 Minuten einsatzbereit im Mannschaftsraum stehen musste. Andrews und Scorbit konnten sich Zeit lassen, da sie schon längst fertig waren.
Nach zwölf Minuten liefen sie dann auch in den großen Mannschaftsraum. Oberst Goss, Major Benington und Hauptmann Radzek standen vor den versammelten dreihundert Soldaten des Terrablocks.
»Sir, alle Soldaten anwesend, Sir«, berichtete Petrou.
»Danke, Sergeant. Petrou! Ich wünschen Ihnen einen guten Morgen«, begann Oberst Goss mit seiner näselnden Stimme.
Wie in einem Chor begrüßten die dreihundert Soldaten ihn mit den Worten »Guten Morgen, Oberst Goss.«
»Wie Sie alle wissen, befinden wir uns hier, um eine Übung durchzuführen. Nach Paragraph 9, Seite 421, Absatz 5, Zeile 18 des Sternenflotten-Gesetzbuches der Liga Freier Terraner, die seit dem 30. Juli 1296 Neuer Galaktischer Zeitrechnung auch für die Soldaten des Terrablocks Geltung hat, weise ich Sie darauf hin, dass wir uns nicht im Hoheitsgebiet des Terrablocks befinden und wir unter jeden Umständen unsere Pflichten als Gäste wahrzunehmen haben. Das bedeutet im Klartext, dass wir den Schaden an der Natur so gering wie möglich zu halten haben, da unsere linguidischen Freunde sehr naturverbunden sind.«
Gelächter hallte durch den Raum.
»Sir, soll ich für jedes Eichhörnchen halten, Sir?«, fragte Krizan Bulrich, der dank seiner neuen Beziehungen zu Stephanie de la Siniestro den Rang eines Unteroffiziers bekommen hatte und von Major Benington gefördert wurde.
»Unteroffizier Bulrich, ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt«, gab Oberst Goss ruhig zurück. Er erklärte nun den Ablauf des Tages. Um 5 Uhr ging die Übung los. Der erste Teil sollte bis 11:45 Uhr dauern, dann wurde zu Mittag gegessen. Um 13:00 Uhr sollte es dann erneut weitergehen und bis etwa 23:00 Uhr andauern.
»Hartes Pensum heute«, meinte Remus leise zu Andrews, der schwach nickte.
Oberst Goss übergab das Wort an Major Benington.
»Wir werden in drei Gruppen eingeteilt, Sirs. Ziel der Gesamtmission ist es, zwei Stationen einzunehmen. Die erste, die es gilt bis Mittag zu erobern, liegt in einer Gebirgskette. Selbstverständlich wird sie aufs Schärfste von TARA-V-UH-Robotern bewacht. Es wird eine Bodentruppe geben, eine Luftgruppe und eine Nachschubgruppe.
Die Leutnants Scorbit und Andrews werden mit der AIRBLADE und vier weiteren Space-Coptern die Luftgruppe bilden.
Unter der Bewachung von Hauptmann Radzek werden die beiden Unteroffiziere Nakkhole und Bulrich die Bodentruppen mit 200 Mann führen. Die restlichen 80 Soldaten werden die Nachschublinie bilden und eroberte Territorien sichern. Verstanden, Sirs?«
Ein lautes »Ja« kam von allen als Antwort.
Remus und Jonathan wunderten sich, dass zwei Unteroffiziere für diese Übung den Kompanieführer spielen durften. Aber gut, vermutlich sollte jeder Mal etwas dazulernen. Oder Benington favorisierte aus irgendeinem Grund diesen Trottel Bulrich. Da sowohl Bulrich als auch Nakkhole keine Offiziersanwärter mehr waren, hätte eigentlich ein Kadett, Fähnrich oder Leutnant in Ausbildung die Führung der Infanterie übernehmen sollen. Sowohl Bulrich als auch Nakkhole hatten ihre Ausbildung in Redhorse Point nicht geschafft. Keine gute Voraussetzung.
»Dann viel Erfolg«, wünschte Oberst Goss und beendete die Rede.
Sofort machten sich die Soldaten an ihre Arbeit. Zuerst wurden die Waffen kontrolliert, da man nur Schockstrahler und Paralysegeräte verwendete. Andrews und Scorbit gingen zu dem AIRBLAIDE. Suk-Ho und Dan Bela meldeten sich ebenfalls zum Dienst.
Remus war wenig erbaut über die beiden Gestalten, denn in seinen Augen machten sie keinen fähigen Eindruck.
»Dann starten wir mal das Ding«, meinte Andrews und aktivierte den positronisch-syntronischen Rechner. Die Triebwerke heulten auf. Umgehend aktivierte er den Antigrav, der die Schubtriebwerke vorerst ersetzte. Nun schwebte der AIRBLAIDE.
»Hier AIRBLADE, Gruppenführer der Luftdivision an LU-TANG Kommandozentrale. Wir erbitten um Starterlaubnis zusammen mit vier weiteren Space-Coptern«, erfragte Remus Scorbit.
»Kommandozentrale an AIRBLADE, Starterlaubnis erteilt.«
Zufrieden setzte Andrews das Gefährt in Bewegung. Die Schotten öffneten sich und lautlos glitt der Copter aus dem Raumschiff. Da die Antigravfelder nun nicht bis mehr bis zum Boden reichten, fiel der Space-Copter wie ein Stein herunter. Suk-Ho und Dan Bela schrien panisch auf. Remus musste lachen.
Kurz bevor der Space-Copter auf dem Boden zu zerschellen drohte, schaltete Andrews den Antigrav ab und zündete die Schubtriebwerke. Mit einem lauten Grollen zischte der AIRBLADE davon, die vier anderen Copter hatten Probleme ihm zu folgen.
»Hier AIRBLADE an erste Luftdivision, Leutnant Scorbit. Folgen Sie uns und warten Sie auf neue Anweisungen.«
»Die Maschine hat was drauf«, freute sich Andrews und flog ein paar Kunststücke.
Remus ermahnte ihn, sich auf die Mission zu konzentrieren.
Andrews drosselte die Geschwindigkeit.
»Suk-Ho, tasten Sie den Wald ab!«, befahl Remus Scorbit. »Wir müssen uns nach feindlichen Posten umsehen. Dan Bela, übernehmen Sie den Funk, ich übernehme die Waffensysteme!«
Die Space-Copter rasten über den Wald hinweg.
»Habe da was, Sir. Sieht aus wie ein Turm oder so.«
»Können Sie das nicht präzisieren, Suk-Ho?«
»Ein Aussichtsturm. Orte energetisch…« Plötzlich wurde der AIRBLADE beschossen. Es handelte sich um einen Abwehrturm. Ohne lange zu zögern, feuerte Remus, doch der Turm besaß einen Schutzschirm. Immer mehr Türme wurden nun geortet.
»Der ganze Wald ist voll davon. Wenn wir die nicht außer Gefecht setzen, haben unsere Jungs da unten gleich verloren«, brummte Andrews.
Die fünf Space-Copter legten einen Bombenteppich über den Wald. Eine Explosion nach der anderen jagte hoch und ein riesiger Waldbrand entstand.
»Da kommen die nie durch. Löschen!«, befahl Scorbit.
Die SpaceCopter erzeugten ein künstliches Vakuum und löschten so recht schnell das Feuer. Scorbit gab den Befehl, die Bodentruppen zu informieren. Kadett Bela befolgte die Anweisung und übermittelte die Nachricht. Sofort setzten sich die Soldaten in Bewegung.
Aus der Vogelperspektive konnten Andrews und Scorbit beobachten, wie sich die knapp einhundert Infanteristen langsam voran arbeiteten.
»Wir halten Position und fliegen Patrouille durch den ganzen Wald«, kommandierte Andrews.
Das konnte noch sehr interessant werden, vermutete er.
*
07:30 Uhr
Nataly Jargon hatte die Hauptstadt Lingorstadt zusammen mit einigen Cousinen aufgesucht, da sie noch Besorgungen für die Hochzeit machen mussten.
Zufällig traf sie dabei auf den Botschafter der Terraner. Sie kannte den Mann nur zu gut. Lester Slone war ihr ehemaliger Verlobter.
Der hagere Mann in Anzug und Krawatte trug eine Brille und seine schwarzen Haare glatt und kurz.
»Nataly, welche Freude, dich hier zu treffen«, sagte er lächelnd.
»Ich weiß nicht, ob du das später noch als Freude empfinden wirst, alter Junge«, antwortete sie schnippisch und umarmte ihn lachend.
Die beiden gingen in ein Restaurant. Nataly erzählte von ihrer Arbeit zusammen mit Jaaron, von der High Society auf Paxus und Jonathan Andrews.
Slone war natürlich nicht so begeistert darüber, denn er hegte immer noch große Gefühle für Nataly. Er hatte sie vor sieben Jahren auf Gäa kennen und lieben gelernt. Damals noch Journalist hatte er nach erfolgreichem Studium in Journalistik und Politikwissenschaft einen Job im Außenministerium erhalten. Auf Dauer hatte es mit der Abenteurerin Nataly und dem Bürohengst Slone nicht gepasst und sie hatten sich getrennt.
»Was machst du hier? Ich wusste gar nicht, dass du Botschafter bist?«
»Nun, Natalay, ich habe mich hochgearbeitet. Ich bin nicht der erste Botschafter der Terraner auf Lingus. Ich vertrete ihn allerdings und arbeitete zur Zeit gerade sehr wichtige Verträge mit den Linguiden aus.«
»Was für Verträge?«, wollte sie wissen.
»Das darf ich dir nicht verraten. Doch so viel sei gesagt: Sie sind zum Vorteil für Lingus.«
Die beiden unterhielten sich knapp eine Stunde. Dann brach Nataly wieder auf und bat Slone, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Zusammen mit ihren Cousinen flog sie um 8:40 Uhr zurück zur Siedlung. Um 10:12 Uhr war sie dort angekommen und half bei den Vorbereitungen der Hochzeit. Sie dachte an Jonathan und was er wohl jetzt zu tun hatte.
*
»Tiefer, wir müssen Präzisionswaffen einsetzen, sonst erledigen wir sie mit«, schlug Remus vor.
Die Bodentruppen hatten den Wald überwunden, doch dann liefen sie in einen Hinterhalt und mussten sich in die Berge flüchten.
Ihre Verluste waren hoch. So hoch, dass sie Verstärkung gefordert hatten, doch auch diese wurde aufgerieben.
Goss und Benington hatten sich eine teuflische Falle für ihre Rekruten ausgedacht. Insgesamt 75 Soldaten waren bereits »tot«. Das bedeutete, dass sie paralysiert am Boden lagen und wieder zur LU-TANG gebracht wurden.
Zwei Space-Copter hatte es ebenfalls erwischt. Ihre Technik hatte versagt und sie waren abgestürzt. Natürlich nur simuliert. Die LU-TANG übernahm einfach die Kontrolle über das Schiff und steuerte es zurück.
Die TARA-V-Roboter gingen zielstrebig vor. Die Rekruten hatten kaum eine Chance. Der Einsatz schien verloren zu sein.
»Sieh mal da unten. Da ist Siebenpack«, rief Andrews und deutete auf einen Felsvorsprung. Der hagere Glaus Siebenpack versuchte dort hoch zu klettern, jedoch ohne Erfolg. Er rutschte ab und hing plötzlich über einem Abgrund.
»Verdammt, da geht es mindestens dreißig Meter in die Tiefe. Das überlebt er nicht.« Remus wusste, dass Andrews Recht hatte. Er stand auf und begab sich zu einer Seilwinde.
»Suk-Ho, lassen Sie mich herunter. Johnny, versuch so tief wie möglich zu fliegen.«
Andrews brauchte man das nicht zweimal zu sagen. Er flog niedriger, doch die Angriffe der feindlichen Stationen gefährdeten die gesamte Besatzung des AIRBLADE. Remus wurde herunter gelassen und erreichte Siebenpack mit seinem Antigravstrahl. Langsam zog er den Soldaten heran und wurde wieder hoch gelassen. Schnell und erfolgreich hatten sie Siebenpack gerettet.
Doch die Bestrafung folgte auf dem Fuß.
»Major Benington an AIRBLADE. Was soll das? Sie haben auf Grund eines Einzelnen das Leben ihrer gesamten Besatzung gefährdet!«
Widerliches Schwein, dachte Andrews.
»Sir, Kadett Siebenpack schwebte in realer Lebensgefahr«, erklärte er. »Wir hielten es für nötig, ihn unabhängig von der Übung zu retten.«
»Das wird ein Nachspiel haben, Andrews«, zischte Benington und beendete die Verbindung.
Remus und Jonathan blickten sich vielsagend an. Jeder hätte am liebsten diesen elenden Benington in den Hintern getreten, doch er war der stellvertretende Einsatzleiter.
»Machen wir weiter«, forderte Andrews, doch plötzlich verdunkelte sich der Himmel.
10:30 Uhr Ortszeit
Nataly half ihrem Onkel, ein paar Girlanden anzuhängen. Tessa bellte laut und lief unruhig umher. Nataly wusste nicht, was sie hatte.
»Onkel Topar, hängen die so richtig?«, wollte Nataly wissen.
Der alte Onkel nickte zustimmend.
Nataly lächelte. Sie freute sich schon auf das Ereignis. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag auf Lingus. Obwohl laut cartwheelscher Standartzeit Herbst war, war es Lingus Frühling. Die Cartwheelsche Standartzeit war nach der Neuen Galaktischen Zeitrechnung ausgerichtet, so dass es selten mit den tatsächlichen Jahreszeiten der Planeten übereinstimmte. Auf Paxus, Mankind und anderen Welten wurde mittels Wetterkontrolle eine Anpassung durchgeführt. Auf Lingus wollte man so etwas nicht.
Die Sonne schien, keine einzige Wolke am Himmel. Einfach herrlich, wie sie fand.
Unweit von ihr spielten ein paar Kinder und versuchten Tessa zu streicheln, doch der Hund war zu ängstlich. Tessa jaulte und lief unruhig um ihr Frauchen umher.
Und plötzlich wurde es dunkel.
»Woher kommen die Wolken?«, sprach Nataly zu sich selbst.
Dann hörte sie Schreie. Überrascht blickte sie in den Himmel und erstarrte vor Schreck.
Hunderte, wenn nicht gar tausende stählerne Kugeln waren in der Luft. Es waren Raumschiffe. Nataly erkannte noch nicht, von wem sie waren.
Eines hatte die Sonne verdeckt. Es kam näher und näher. Sie schleusten einige Jäger und Beiboote aus. Dann steuerte das große Raumschiff auf die Hauptstadt zu.
Zwei Einmannjäger brausten über die Siedlung hinweg. Nataly erkannte für einen kurzen Moment die Hoheitszeichen auf den Flügeln. Es waren die des Kristallimperiums. Sie starteten eine Invasion!
*
»Keon’Athor, errichten Sie eine Blockade um den Planeten!«, befahl Mascant Terz da Eskor. »Niemand darf Lingus betreten oder verlassen.«
Keon’Athor Agh’Istin befolgte sofort die Anweisung. Die MINDROS war das eigentliche Flaggschiff der II. Imperialen Flotte. Es stand unter dem Befehl des Flottenadmirals Agh’Istin, der sofort eine Blockade errichtete. 5000 Schiffe sicherten den Planeten ab, 3000 Schiffe wurden um das Sonnensystem verteilt. Die restlichen 2000 Schiffe führten die eigentliche Invasion aus.
»Landungsschiffe sind bereit. Wir können jederzeit zuschlagen«, berichtete Toran Ebur.
Ein Orbton meldete, dass die Linguiden verzweifelt versuchten, Kontakt mit den Invasoren aufzunehmen.
Terz von Eskor lachte kalt.
»Stellt eine Verbindung her.«
Die Holografie des Friedensstifters Marlach Herson. Er war der zweite Sprecher der Welt. Anscheinend hoffte der erste Sprecher, Vilmon Atzkari, dass der Friedensstifter mit seinen Fähigkeiten die Aggressoren zur Umkehr zwingend könnte.
Der bärtige, etwa 170 Zentimeter große Linguide trug ein braunes Gewand, welches nur bis zu den Knien ging. Er trug keine Schuhe und verharrte in einer meditierenden Pose. Als er bemerkte, dass die Verbindung stand, machte sich Entsetzen bei ihm breit, als er realisierte, dass die Angreifer Arkoniden waren.
»Ich verstehe das nicht? Arkoniden und Linguiden sind doch Freunde! Kehrt sofort um und fliegt nach Hause. Keiner von uns will einen bewaffneten Konflikt. Ihr müsst doch verstehen, dass wir ...«
»Schweig, du elender Schwätzer. Im Namen des Gos’Shekur, dem Zhdopanda Gos Moas da Arkon Uwahn Jenmuhs annektiere ich den Planeten Lingus. In meiner Funktion als Mascant und Oberbefehlshaber der Arkonidischen Streitmächte bin ich von dem Gos’Shekur Jenmuhs befugt worden, diesen Planeten in das Kristallreich der Galaxis Cartwheel einzuverleiben.
Die Regierung der Linguiden ist aufgelöst. Die Verfassung und das Grundgesetz treten außer Kraft. Mit Wirkung vom 07. November 1298 NGZ, 12:00 Uhr gilt die Rechtsprechung des Gos’Arkon-Blocks.
Wir fordern alle Linguiden auf, sich friedlich und passiv zu verhalten. Waffen sind sofort niederzulegen. Wir warten auf Ihre Antwort, Herson.«
Der Friedensstifter war sprachlos auf Grund der Arroganz des Arkoniden. Irritiert wich er zur Seite und machte Platz für den ersten Sprecher der Linguiden. Atzkari war ein junger und ambitionierter Linguide, der ebenfalls Friedensstifter war.
»Wir werden uns nicht ergeben. Unsere Streitmächte bewegen sich auf Ihre Schiffe zu. Wir möchten Sie noch einmal höflichst bitten, den Planeten zu verlassen. Kehren Sie zu Ihrem Kristallkönig zurück und sagen Sie ihm, dass die Linguiden sich nicht seiner Knechtschaft beugen. Wir laden Uwahn Jenmuhs jedoch gerne herzlich zu einem Gespräch ein.«
Terz da Eskor lachte schallend. Toran Ebur hatte den Mascanten selten so gelöst gesehen.
»Eure Naivität in Ehren. Wir sind nicht hier um einen Kaffeeklatsch abzuhalten. Da Ihr Euch nicht ergeben wollt, spürt die Macht Arkons!«
Der Mascant gab den Befehl, die 70 Raumschiffe der Linguiden anzugreifen. Die Schlacht dauerte keine fünf Minuten, bis die gesamte Flotte der Linguiden außer Gefecht gesetzt war. Die Arkoniden verzichteten auf die Zerstörung der Schiffe. Als nächstes schickte er dreitausend Bomber nach Lingorstadt. In einem zehnminütigem Bombardement wurde fast die Hälfte der Stadt vernichtet. Die Arkoniden vernichteten vor allem Fabriken, Energiezentren, militärische Anlagen. Doch auch das kostete viele Leben. Ein Flammenmeer war mit bloßem Auge von der BOSTICH aus zu erkennen.
Nach fünfzehn Minuten meldete sich wieder Atzkari. »Wir ergeben uns. Ich will kein unnötiges Blut vergießen. Lingus ergibt sich der arkonidischen Übermacht.«
Mascant Terz da Eskor lächelte triumphierend.
»Schickt die Bodentruppen. Wir besetzen Lingorstadt!«
*
Der Einsatz dauerte noch an. Es sah nach einer Niederlage der Bodentruppen aus. Plötzlich wurde das Feuer eingestellt. Über alle Funkfrequenzen kam folgende Meldung.
»An alle Einheiten. Sofort zur LU-TANG zurückkehren. Lingus wurde um 11:30 Uhr Ortszeit von der II. Imperialen Flotte Arkons in Cartwheel angegriffen. Sie befinden sich im Krieg. Der Terrablock wird sich vorerst neutral verhalten. Kehren Sie sofort zur LU-TANG zurück und erwarten Sie dort neue Befehle!«
Die Stimme von Oberst Goss klang sehr besorgt. Andrews und Scorbit brauchten erst einmal eine Weile, um diese Nachricht zu verdauen. Was dachte sich Arkon dabei? Damit konnten sie einen galaktischen Krieg heraufbeschwören.
»Okay, Leute, kehren wir zurück«, meinte Remus bitter.
»Nein!«, widersprach Andrews.
Remus blickte ihn verständnislos an.
»Nataly. Sie ist noch in dem Dorf. Ich kann sie dort nicht lassen«, erklärte er.
Remus verdrehte die Augen. Er hatte so eine Reaktion von Andrews befürchtet. Er gab Suk-Ho, Dan Bela und Siebenpack den Befehl, sich zu Fuß zum nächsten Sammelpunkt zu begeben, der nicht weit weg war.
Kaum hatte man sie abgesetzt, flogen Remus und Jonathan los.
»Du bringst dich in Teufelsküche, wenn du mit mir fliegst«, warnte Andrews.
»Ist doch nichts Neues. Mehr hassen kann uns Benington auch nicht mehr«, gab Scorbit gelassen zurück.
Andrews nickte schwach und konzentrierte sich auf den Flug. Der Himmel war gespickt mit arkonidischen Kugelraumern.
»Sieht aus wie die gesamte II. Flotte Arkons«, murmelte Remus.
»Das sind etwa zehntausend Schiffe«, informierte ihn Andrews.
Die beiden schwiegen daraufhin. Jeder wusste, dass Lingus nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte. Wahrscheinlich war der Kampf schon lange vorbei.
Nach zwanzig Minuten hatte der AIRBLADE die Siedlung erreicht. Wie zu erwarten, hatten sich bereits Arkoniden dort eingefunden. Ein 60 Meter durchmessender Landungsraumer stand unweit vom Dorf entfernt.
»Ortungsschutz ist aktiviert, Jonathan.«
»60-Meter-Landungsraumer. Wie viel?«, wollte Andrews wissen.
»Ich schätze 20 Mann Stammbesatzung und vielleicht ein paar hundert Soldaten.«
Ohne lange nachzudenken, aktivierte Andrews die schwersten Raketen. Er vergewisserte sich, dass der Schutzschirm des 60-Meter-Raumers nicht aktiviert war. Die Arkoniden waren so arrogant, dass sie es nicht einmal für nötig hielten, sich vor einer eventuellen Gefahr zu schützen. Obwohl sie wirklich nichts von den Linguiden zu befürchten hatten.
»Ich orte dreißig Soldaten im Dorf. Das wird verdammt schwer. Wir müssen zuerst den Kugelraumer vernichten«, meinte Remus.
Andrews beschleunigte. Nun wurde der AIRBLADE auch hör- und sichtbar für die arkonidischen Soldaten. Bevor sie jedoch reagieren konnten, schoss er seine Raketen ab. Eine detonierte direkt unter dem Raumer. Die Teleskoplandestützen wurden weggesprengt und die gewaltige Stahlkugel fiel zu Boden und drehte sich etwas. Eine zweite Rakete schnellte direkt in die Einstiegsluke. Überall brach die Außenhülle des Schiffes auf und Feuerfontänen schossen heraus.
»Volltreffer!«, jubelte Remus.
Kurz danach aktivierte er den Paratronschirm. Die dreißig Soldaten schossen mit allem, was sie hatten, auf den AIRBLADE, doch Remus desintegrierte einen Arkoniden nach dem anderen. Er kam nicht einmal auf die Idee, Paralysatoren zu verwenden. Die Arkoniden hatten einen Krieg gegen die Linguiden begonnen. Nun mussten sie mit den Konsequenzen fertig werden.
Einige Orbtonen nahmen linguidische Frauen als Schutzschilde, doch Topar Jargon und die anderen Männer nutzten die Gunst der Stunde und griffen die restlichen Arkoniden an. Jedoch kamen sie damit nicht weit, denn die Arkoniden mit Individualschirmen und SERUNs waren schier unangreifbar.
Die präzisen Schüsse der AIRBLADE schlugen jedoch die restlichen siebzehn Arkoniden in die Flucht. Sie rannten zum nächsten Wald und würden dort wahrscheinlich um Hilfe rufen. Andrews landete den Space-Copter und atmete schwer aus. Sie hatten eine Menge Glück gehabt. Hätten die Arkoniden nicht fahrlässig den Schutzschirm ihres Raumers heruntergefahren, hätten sie wahrscheinlich nichts ausrichten können.
Die Linguiden jubelten den Terranern zu.
»Jonathan!«, rief Nataly und rannte zu dem Terraner. Sie fiel ihn um den Hals und küsste ihn auf den Mund.
»Wir müssen hier weg«, forderte Remus. »Es werden bald mehr Arkoniden kommen. Dann werden sie das Dorf dem Erdboden gleichmachen.«
Topar Jargon wusste, dass Scorbit recht hatte.
»Wo sollen wir hin? Das ist unsere Heimat!«
Andrews und Scorbit wechselten einen Blick. Remus nickte schwach. Das Nicken galt seinem Freund Jonathan, der kurz danach sagte: »Wir nehmen deine Leute mit zur LU-TANG. Da seid ihr erst einmal sicher. Packt eure Sachen; wir verschwinden!«
Sofort packten die Linguiden ihre nötigsten Utensilien zusammen und stiegen in ihre Gleiter. Andrews und Scorbit war nicht sonderlich wohl zumute. Sie hatten einige Arkoniden getötet, doch sie hatten in Notwehr gehandelt. Nicht sie, sondern der Arkonblock war der Aggressor.
*
Toran Ebur hielt einen triumphalen Einzug in Lingorstadt. Tausende von Panzern und Soldaten defilierten zu einer zackigen, arkonidischen Marschmusik.
Dieser Tag gehörte den Besatzern. Die Linguiden blickten traurig ihre neuen Herren an oder kümmerten sich gar nicht darum, denn sie waren mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Hälfte der Stadt lag in Schutt und Asche. 6700 Linguiden hatten den Tod gefunden. Der Raumhafen war vernichtet und von den 170 Schiffen existierten nur noch neunzehn. Es war eine totale Niederlage für die friedlichen Linguiden. Sie hatten der Übermacht nichts entgegen zu setzen und die Schlacht war bereits verloren, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Toran Ebur betrat das Regierungsgebäude. Es war der Sitz der Friedensstifter und Volkssprecher. Kaum einer war anwesend. Nur Vilmon Atzkari als Erster Sprecher, Marlach Herson als Vertreter der Friedensstifter und der terranische Botschafter Lester Slone.
Toran Ebur stolzierte in seiner prächtigen Uniform durch den Raum. Der Gos’Kurii musterte die Artefakte aus längst vergangenen linguidischen Epochen. Dann bemerkte er einen Kimabaum. Er war in einem runden Topf eingepflanzt, der für Lingus stand. Mit Hilfe eines Antigravs schwebte der Topf mit dem Kimabaum durch den Raum.
Ebur warf den Anwesenden einen abfälligen Blick zu.
»Kimabäume symbolisieren die Lebensspanne eines Partners, richtig?«, wollte er wissen.
Herson antwortete: »Ja, so ist es, Gos’Kurii Ebur.«
Toran schmunzelte. Er zog seinen Thermostrahler und setzte den Topf samt Pflanze in Flammen. Entsetzt mussten die Linguiden mit ansehen, wie der Lebensbaum ihres Planeten verging.
Einige Orbtonen betraten den Raum und brachten ein paar Unterlagen. Es waren Verträge, die diesen Überfall legalisieren sollten.
»Unterzeichnen«, befahl Ebur den Linguiden.
»Ich warne Sie, tun Sie das nicht. Er hat kein Recht, eine Unterzeichnung von Ihnen zu fordern. Der gesamte Überfall ist rechtswidrig«, wurde Atzkari von Lester Slone belehrt.
Ebur wurde wütend. Er schlug Slone mit dem Handrücken ins Gesicht. Schreiend fiel der terranische Botschafter zu Boden.
»Sie halten sich da heraus, Terraner. Nehmen Sie Ihre Leute und verschwinden Sie von dem arkonidischen Besitz.«
Slone rappelte sich wieder auf. Vor lauter Angst konnte er kaum mehr sprechen. Von den Schmerzen im Gesicht ganz zu schweigen. Doch er hatte eine Aufgabe, die er erfüllen musste. Ruhig sagte er: »Das ist immer noch linguidischer Besitz. Ich bleibe und werde die Verbündeten des Terrablocks unterstützen.«
»Dann bleiben Sie und tragen Sie die Verantwortung.« Verächtlich verzog Toran Ebur das Gesicht. Die Linguiden unterzeichneten den Kapitulationsvertrag. Was für eine Wahl hatten sie denn? Ihr Volk stand kurz vor dem Ende. Die nur noch etwa 65.000 Linguiden mussten geschützt werden.
Zufrieden verließ Toran Ebur den Raum. Der Hall seiner Schritte war noch zu hören, als er am Ende des langen Korridors war. Als er endlich verstummte, atmeten die drei Politiker auf.
Atzkari vergrub das Gesicht in seine Hände. »Wir haben verloren. Alles ist vorbei.«
»Wir haben noch nicht verloren, Erster Sprecher«, erklärte Slone. »Ich habe einen Agenten mit unseren Verträgen nach Paxus geschickt. Noch ist die Sache nicht verloren. Sie können sich auf die Unterstützung der Terraner verlassen.«
*
»Wir haben die LU-TANG fast erreicht, sende einen Funkspruch an sie ab«, rief Andrews aufgeregt. Er bemerkte sehr wohl, dass sich arkonidische Raumer dem AIRBLADE näherten. Es waren sehr viele Raumschiffe.
»LU-TANG melden. Hier AIRBLADE«, meldete Remus. »Wir kommen mit 160 linguidischen Flüchtlingen und erbitten sofortigen Einlass. Es nähern sich 240 arkonidische Raumschiffe zu Luft und etwa 200 Panzer zu Boden.«
Die alten Vehikel der Linguiden waren sehr langsam. Andrews wurde ungeduldig. Die Panzer waren noch sieben Kilometer entfernt, die Schlachtschiffe etwa dreihundert Kilometer. Es würde sehr knapp werden.
»Hier Benington. Was fällt Ihnen ein, Andrews? Wir sind neutral und werden keine Flüchtlinge aufnehmen!«
»Verdammt!«, brüllte Andrews.
Wie skrupellos konnte Alcanar Benington eigentlich noch sein? Er konnte doch nicht den Tod von 160 Wesen in Kauf nehmen.
»Jonathan, wir müssen etwas tun«, drängelte Nataly. Sie hatte auch recht. Der Konvoi mit den 160 Linguiden erreichte endlich die LU-TANG.
Doch die Arkoniden waren nicht mehr weit. Die Bodeneinheiten waren noch drei Kilometer entfernt. Die Lufteinheiten nur noch 100 Kilometer.
»Hier AIRBLADE an LU-TANG. Öffnen Sie die Schotten und lassen uns herein. Ich wiederhole, wir haben 160 Linguiden, die um Zuflucht vor dem Angriff der Arkoniden bitten. Wir können Sie doch nicht einfach sterben lassen!«
Andrews war verzweifelt. Doch endlich öffneten sich die Schotten und die Linguiden wurden hereingebracht. Der AIRBLADE landete im Hangar. Andrews und Scorbit wurden bereits von Benington und Goss erwartet.
»Wachen, nehmt die beiden wegen Befehlsverweigerung, Diebstahl von Militäreigentum und Gefährdung von zivilen und militärischen Personen fest«, befahl Benington.
Die Sicherheitskräfte zögerten noch etwas.
»Aber ... was soll das? Wir haben die Leute hier gerettet. Wir können doch nicht untätig hier herumsitzen«, wollte sich Andrews verteidigen.
Benington wiederholte seinen Befehl und diesmal wurden Scorbit und Andrews Energiehandschellen angelegt. Auch Nataly wurde in Gewahrsam genommen.
»Halt«, mischte sich nun Oberst Goss ein. »Sie hätten mit dem AIRBLADE sofort wieder zur LU-TANG zurückkehren müssen. Stattdessen wurden sie von persönlichen Emotionen geleitet. Auf der anderen Seite haben sie diesen Linguiden geholfen und wir Terraner sind die Freunde der Linguiden.«
Major Benington glaubte, sich verhört zu haben.
»Wenn die beiden Arkoniden getötet haben, kann das zum Krieg mit Arkon führen!«
»Wenn die Arkoniden nicht von Lingus ablassen, fürchte ich, ist es sowieso unabwendbar, in einen Krieg zu ziehen. Wir Terraner müssen Verantwortung übernehmen. Nehmt Andrews und Scorbit die Handschellen ab. Über eine Strafe diskutieren wir auf Mankind. Nun weg von hier!«
Die LU-TANG machte sich startbereit, doch weit kam sie nicht. Arkonidische Kreuzer versperrten ihr den Startweg. Panzer postierten sich rund um den Kugelraumer. Der 500-Meter-Raumer war eingekesselt.
Oberst Goss, Major Benington, Remus Scorbit, Jonathan Andrews und Nataly Jargon betraten die Kommandozentrale. Ein Offizier meldete, dass der Mascant Terz da Eskor mit dem Kommandanten des Schiffes sofort sprechen wollte.
Eine visuelle Verbindung wurde hergestellt. Oberst Goss stellte sich vor und nannte auch den Grund des Hierseins.
»Ihre Männer haben einen 60-Meter-Kugelraumer zerstört und 213 Arkoniden getötet. Des Weiteren beherbergen Sie 160 linguidische Verbrecher. Wir fordern Sie auf, uns unverzüglich die Mörder in ihrer Crew und die Linguiden zu übergeben. Andernfalls sehen wir uns gezwungen, Sie zu vernichten.
Ich gebe Ihnen 24 Stunden Zeit. Eine Minute nach dem Verstreichen der Frist werden Sie alle sterben, sollten Sie nicht meinen Forderungen nachgekommen sein.«
Benington blickte Andrews und Scorbit vorwurfsvoll an.
»213 Arkoniden! Das ist unverzeihlich! Sie gehören vor das Kriegsgericht! Sie gehören erschossen!«
»Und wie viele Linguiden haben den Tod heute gefunden?«, rief Nataly aufgebracht. »Sie denken an die Leben der Arkoniden? Die Arkoniden sind Mörder.«
»Miss Jargon! Sie haben hier nichts verloren. Verschwinden Sie aus der Kommandozentrale!«
»Es reicht!«, unterbrach Oberst Goss den Streit. »Benington, Sie haben anscheinend Ihre Manieren vergessen. Miss Jargon und die anderen 160 Flüchtlinge sind unsere Gäste. Wir werden Sie nicht ausliefern.«
Benington verstand die Welt nicht mehr. Wütend verließ er die Brücke. Andrews und Remus studierten besorgt die Anzeigen. Dieser Übermacht war das Schulungsschiff nicht gewachsen.
»Was machen wir, wenn die Frist verstreicht?«, wollte Scorbit wissen.
»Beten ...«
Der 07. November 1298 NGZ war vielleicht der schlimmste Tag in der Geschichte Cartwheels, sah man einmal von den Ereignissen im Dezember 1296 NGZ auf Xamour ab. Der Angriff der Arkoniden und die Besetzung des Systems der Linguiden versetzte die ganze Galaxis in Schrecken.
Die Insel hielt den Atem an. Drei Stunden nach dem Angriff, übertrug INSELNET live eine Rede des Kristallkönigs Uwahn Jenmuhs.
»Volk von Arkon, Anhänger des Kristallimperiums, geschätzte andere Wesen von Cartwheel. Heute hat das arkonidische Imperium in Cartwheel das System der Linguiden mit dem Reich vereinigt.
Die Linguiden haben nichts gegen die Einverleibung einzuwenden und akzeptieren diese Entscheidung. Sie genießen ab sofort unseren Schutz und unsere vollste Unterstützung.
Wir begründen diesen Schritt mit der Notwendigkeit einer Erweiterung unseres Lebensraumes und der Suche nach neuen Ressourcen.
Wir fordern die anderen Völker der Insel auf, die Annexion von Lingus zu akzeptieren.«
Diese Rede versetzte besonders den Terrablock in Wut. Joak Cascal gab bekannt, dass er sofort zu einem Gegenschlag bereit wäre. Auch die dorgonischen Kolonien, Thoregonvölker und die Saggittonen wollten diesen Angriff nicht auf sich beruhen lassen.
Doch der Marquês und Nor’Citel setzten sich für eine friedliche Lösung ein. Noch am selben Tag schickten die Terraner eine Delegation nach Bostich. Orlando de la Siniestro, Henry »Flak« Portland und der Somer Sam brachen auf, erreichten jedoch nichts. Portland stieß nur bei dem Has’Athor Mandor da Rohn auf Verständnis, doch der Kristallkönig war uneinsichtig.
Jedes Lebewesen in Cartwheel wartete gespannt auf die nächsten Stunden. Die Galaxis stand am Abgrund.
Und auch der Chronist stand voller Sorge stets mit der Regierung in Verbindung, denn es ging schließlich um mein Volk und meine Familie. Nicht nur mein Bruder Topar und seine Familie waren dort, nein auch meine geliebte Nichte Nataly. Möge ihr Kima sie beschützen ...
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
*
Es herrschte helle Aufregung im Paxus-Rat. Uwahn Jenmuhs hielt es nicht einmal für nötig zu kommen. In einer Sonderkonferenz hatten sich der Generalsekretär Sam, der Terra-Administrator Don Philippe de la Siniestro, der Corun von Paricza Nor’Citel, der akonische Staatschef Mirus Traban, der dorgonische Statthalter Jusilus und der saggittonische Kanzler Serakan getroffen.
Ebenfalls anwesend waren Joak Cascal, Henry »Flak« Portland, Cauthon Despair sowie Rosan Orbanashol und Jan Scorbit als Vertreter der USO. Rosan hatte sich noch lange nicht vom Tode ihres Mannes Wyll erholt. Jan hatte ihr sofort einen Posten bei der USO angeboten, um ihr eine neue Aufgabe zu geben. Rosan erkannte, dass sie diese Chance nutzen sollte, um sich nicht selbst wahnsinnig vor Trauer zu machen.
»Der Außenminister Toran Ebur ist auf Lingus und der Kristallkönig selbst ist zur Zeit unabkömmlich, heißt es von der Welt Bostich«, erklärte Flak Portland.
»Was können wir nun tun?«, wollte Serakan wissen.
»Angreifen!«, schlug Cascal vor. »Wir dürfen das nicht auf sich beruhen lassen. Der Terrablock, Saggittor und Dorgon müssten als stärkste Nationen Lingus befreien.«
»Und die Galaxis in einen Krieg stürzen? Nein!«, widersprach der Marquês. Seine Motive waren nicht so edel. Jenmuhs und er waren beide Verbündete und Getreue MODRORs. Wie sollte er diesen Konflikt lösen? Jenmuhs hatte unbedacht gehandelt. Der Marquês musste alles auf die Diplomatie setzen.
Unter keinen Umständen durfte es einen militärischen Konflikt zwischen den Arkoniden und Terranern geben. Auch Nor’Citel sprach sich für eine friedliche Lösung aus. Das bestärkte den Marquês in seinen Ansichten. Die beiden Söhne des Chaos waren sich einig.
»Wir Terraner werden uns an keinem Krieg beteiligen. Niemals!«, sprach der alte Spanier eindringlich. »So leid es mir für Lingus tut, doch wir dürfen uns nicht in einen galaktischen Krieg stürzen!«
Joak Cascal hatte das scheinbar geahnt. Er holte einige Dokumente aus seiner Tasche und verteilte sie an die Beisitzenden.
»Das sind Unterlagen, die uns soeben von Lingus erreicht haben. Lingus ist vor kurzem dem Beistandspakt unserer Allianz zwischen dem Terrablock, den estartischen Völkern, Saggittor, Dorgon und den Thoregonvölkern beigetreten. In diesem Vertrag verpflichten wir uns die Linguiden militärisch zu unterstützen, sollten sie von einem Volk außerhalb unserer Allianz angegriffen werden.«
Der Marquês war sprachlos. Er selbst hatte Cascal den Befehl dazu gegeben, so viele Allianzen wie möglich zu bilden. Doch die Allianz mit Lingus war unnütz und brachte ihn in eine Zwickmühle.
»Wir sind vertraglich gebunden«, gestand der Marquês ein.
Sam stand auf. Er war der oberste Repräsentant der Insel Cartwheel. Eine schwere Verantwortung lastete auf seinen Schultern.
»Ich fasse einen Entschluss. Wir setzen den Arkoniden ein Ultimatum von 48 Stunden. Sollten sie bis dahin zu keinen Verhandlungen bereit sein, werden wir ...« Der Somer stockte. Er blickte in die Gesichter der Regenten. Alle, bis auf den Marquês und Nor’Citel, signalisierten ihre Bereitschaft.
»Dann werden alle, die in der Allianz sind, ihr Versprechen einhalten und Lingus helfen. Zur Not mit Hilfe eines militärischen Schlages.«
Sam war sich durchaus bewusst, was das bedeutete – Krieg in Cartwheel.
09. November 1298 NGZ
Zwei Tage nach dem überraschenden arkonidischen Angriff auf Lingus und der schnellen Besetzung des friedliebenden Planeten stand Cartwheel kurz vor einem katastrophalen Krieg, der viele Opfer kosten würde.
Die Streitkräfte des Terrablocks, Saggittors und Dorgons bewegten sich bereits auf Lingus zu, um die arkonidischen Invasoren von dort zu vertreiben.
Doch Uwahn Jenmuhs, der gewissenlose Führer der Arkoniden von Cartwheel, hatte zehn weitere Flotten dorthin entsandt, die sich den Alliierten entgegenstellen sollten, um die Befreiung von Lingus zu verhindern.
Sämtliche diplomatischen Bemühungen waren vergebens gewesen. So schien nichts mehr den Krieg aufhalten zu können…
Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon
*
Mit großer Freude und Genugtuung vernahm Uwahn Jenmuhs die positiven Meldungen von der Besetzung des Planeten Lingus. Die Invasion war das reinste Kinderspiel gewesen. Die schwachen linguidischen Kräfte waren für seine mächtige Flotte kein ernsthafter Gegner gewesen. Das einzig Unerfreuliche war das Eingreifen einiger terranischer Besatzungsmitglieder eines Schulschiffes, das dort Manöver abgehalten hatte. Es ärgerte Jenmuhs, dass sein Geheimdienst die Anwesenheit des Schiffes übersehen hatte. Einige Kadetten waren so dreist gewesen, gegen die arkonidischen Truppen zu kämpfen und mehreren Linguiden zur Flucht zu verhelfen. Der zuständige arkonidische Geheimdienstmitarbeiter würde dafür büßen müssen. Jenmuhs wollte keinen offenen Konflikt riskieren, denn schließlich arbeiteten er und der Marquês für denselben Herren und Meister – MODROR.
Das terranische Schulschiff, die LU-TANG, befand sich noch auf Lingus und wurde von den arkonidischen Truppen belagert. Jenmuhs hatte Zurückhaltung befohlen, bis ihm eine Lösung für die Situation einfiel.
Doch Jenmuhs wollte sich von diesem kleinen Zwischenfall nicht die gute Laune verderben lassen. Schließlich war die Invasion ansonsten planmäßig und ohne weitere Verluste vonstattengegangen.
Jenmuhs befand sich in seinem opulent ausgestatteten Arbeitszimmer als die beiden Admiräle Jodur Ta’Len Weron und Keitar Ma’Tiga Leson zur Besprechung eintraten.
Thek’Athor Keitar Ma’Tiga Leson strahlte über das ganze Gesicht.
»Erhabener Gos’Shekur, die Operation Götterdämmerung ist erfolgreich beendet worden«, verkündete der Admiral des Stabes pathetisch. »Ganz Lingus steht unter unserer Kontrolle. Jeder Widerstand ist erloschen. Lingus gehört nun auf immer und ewig zum Imperium. Gos’Shekur, Sie sind der größte Feldherr des Universums!«
Jenmuhs nahm es mit Freude zur Kenntnis. Dies sollte erst der Anfang sein. Immer weiter würde sich sein Reich ausbreiten, MODROR würde ihm dabei helfen. Und dann, eines Tages, würde er Bostich vom Thron stoßen und als Jenmuhs I. herrschen.
»Verzeihung, Erhabener, Mascant da Eskor und Thek’Athor da Rohn bitten untertänigst, Ihnen Bericht erstatten zu dürfen«, riss ihn Admiral Jodur Ta’Len Weron aus seinen Träumen.
Jenmuhs warf ihm einen strengen Blick zu, der Jodur zusammenzucken ließ. Der Admiral wusste nicht, was er falsch gemacht und senkte demütig den Kopf. Doch Jenmuhs hatte heute gute Laune und seine Miene hellte sich gleich wieder auf.
»Gewiss doch, Keon’Athor. Ich lasse bitten.«
Gleich darauf erschienen die Hologramme der beiden Admirale, die sich noch immer an Bord ihres Schiffes über Lingus befanden. Jenmuhs watschelte auf die Holografien zu und stemmte in Feldherrenpose beide Arme in seine wabbeligen Hüften.
»Was haben Sie zu berichten, meine Herren?«
Als Ranghöherer ergriff Terz von Eskor das Wort.
»Erhabener Gos’Shekur, wir haben Lingus vollständig besetzt. Jeder Widerstand…«
»… ist gebrochen«, wurde der Arkonide von Uwahn Jenmuhs unterbrochen. »Davon hörte ich bereits. Meinen Glückwunsch, Mascant. Wir werden Sie und Ihre tapferen Männer bei der Siegesfeier entsprechend würdigen.«
»Vielleicht ist es für eine Siegesfeier noch zu früh, Gos’Shekur«, widersprach von Eskor.
Jenmuhs glaubte sich verhört zu haben. Er warf dem Mascant einen bösen Blick zu.
»Wie bitte? Was soll das heißen?«
»Wir haben Informationen, dass die terranische Flotte sich auf dem Weg nach Lingus befindet. Wenn sie eintrifft, bevor wir Verstärkung erhalten…«
Jenmuhs unterbrach den Mascant abermals. »Verstärkung ist bereits unterwegs. Zehn Flotteneinheiten befinden sich im Anflug auf Ihre Flotte. Das sollte wohl reichen, um mit den Terranern fertig zu werden.«
»Es sind ja nicht nur die Terraner, sie haben schließlich auch die Dorgonen und Saggittonen auf ihrer Seite«, gab Terz von Eskor zu bedenken. »Ich kann nicht garantieren, dass wir der geballten Macht dieser vereinigten Streitkräfte auf die Dauer standhalten können. Ich rate von einem Krieg gegen Terra und seine Verbündeten dringend ab, Gos’Shekur!«
»Ist das auch Ihre Meinung, Thek’Athor von Rohn?«, wollte Jenmuhs von dem alten Admiral wissen.
»Ja, Erhabener, ich teile die Meinung von Mascant da Eskor«, antwortete von Rohn. »Ein Krieg würde Chaos über unser Reich und die ganze Galaxis bringen und es ist nicht vorherzusehen, ob wir diese Auseinandersetzung gewinnen. Ich rate daher zu einer diplomatischen Lösung.«
Jenmuhs war nicht dieser Meinung. Seine Militärs wussten ja nichts von dem geheimen Bündnis, das er mit dem Marquês von Siniestro geschlossen hatte, und dass sie beide für MODROR arbeiteten. Er konnte es ihnen auch nicht sagen, da ihm Cauthon Despair dringend davon abgeraten hatte, jemanden einzuweihen. Jenmuhs war jedoch davon überzeugt, dass der Marquês niemals gegen ihn vorgehen würde. Auf diesen Umstand hatte er seine Taktik aufgebaut. Der fette Arkonide verkannte jedoch, dass der Marquês Staatsoberhaupt einer Demokratie war und sich der Mehrheit beugen musste. Don Philippe war nichts anderes übrig geblieben, als gegen die Besetzung von Lingus vorzugehen, da er sich sonst verdächtig gemacht hätte. Doch Jenmuhs ahnte davon nichts. Deshalb riet er seinen Militärs weiterzumachen und alles auf eine Karte zu setzen. Unterstützung erhielt er dabei von den Admiralen Jodur und Keitar.
»Wie können Sie sich erdreisten, den Gos’Shekur zu kritisieren!«, ereiferte sich Keitar. »Wenn er einen Befehl erteilt, wird dieser bedingungslos ausgeführt ohne darüber nachzudenken.«
Jodur stimmte ihm zu. »Der Gos’Shekur und wir im Oberkommando haben den Gesamtüberblick über die Situation und können am besten beurteilen was zu tun ist.«
»Sie riskieren ja auch nicht Ihren Hintern!«, gab von Rohn zurück.
Jenmuhs schaltete sich wieder ein. »Aber meine Herren, wir wollen uns doch nicht streiten. Wir müssen zusammenhalten, dann werden wir unsere Feinde bezwingen, denn wir sind Arkoniden. Ein Arkonide ist so viel wert wie hundert Terraner, Saggittonen oder Dorgonen. Außerdem verfüge ich über Informationen, die Sie nicht haben und die ich, aus Gründen der Geheimhaltung nicht preisgeben kann. Ich verlange von Ihnen Vertrauen und Gehorsam.«
Das wirkte. Terz von Eskor und von Rohn verbeugten sich.
»Wie lautet Ihr Befehl?«, fragte Mascant da Eskor.
»Halten, bis Entsatz kommt.«
»Wir werden Lingus bis zum Äußersten verteidigen«, gelobte der Mascant.
Die Hologramme verschwanden und Jenmuhs gab Keitar und Jodur noch einige Anweisungen. Anschließend begab er sich in seine Privatgemächer, um dort wieder einmal Anica, die er nach wie vor in seinem Palast gefangen hielt, aufzusuchen.
Während er dorthin ging, dachte Jenmuhs an Rosan Orbanashol. Zuerst hätte er sie am liebsten bei ihrer Begegnung getötet, doch der Tod ihres Mannes Wyll Nordment hatte ihn in seinem Zorn auf Rosan etwas besänftigt. Er fand die Halbarkonidin sehr attraktiv und musste daran denken, dass sein Bruder Hajun sie schon einmal besessen hatte. Das weckte Begehrlichkeiten in Uwahn. Er wollte nicht hinter seinem Bruder zurückstehen. Hajun sollte nicht mehr besessen haben als er selbst. Eines Tages würde Rosan Orbanashol ihm gehören und er würde sie sich nehmen, wann immer er Lust dazu verspürte. Bis dahin musste die naive Anica seine Gelüste befriedigen.
Jenmuhs betrat ihr Zimmer. Die knapp bekleidete Anica saß auf ihrem pompösen Bett inmitten ihres luxuriösen Zimmers und langweilte sich.
»Nun, wie geht es denn meinem Täubchen heute?«, erkundigte sich Uwahn Jenmuhs freundlich.
»Hallo, dicker Mann. Mir gefällt es hier nicht«, maulte Anica im naiven Tonfall. »Ich will wieder nach Hause zu Uthe und Remus.«
Jenmuhs Miene verfinsterte sich.
»So, es gefällt dir hier also nicht? Andere Frauen wären froh, wenn sie hier wohnen dürften. Du lebst in Saus und Braus im Haus des mächtigsten und attraktivsten Mannes von ganz Cartwheel. Ich gebe dir Juwelen und Schmuck, für die manche Menschen töten würden, du brauchst nicht zu arbeiten oder dich anzustrengen. Alles, was ich von dir dafür verlange, ist, nett zu mir zu sein. Es gibt viele Frauen, die mir zu Füßen lägen, doch ich habe dir die Gnade erteilt, meine Favoritin zu sein und du sagst, es gefällt dir hier nicht!«
Jenmuhs Wut steigerte sich von Satz zu Satz und schrie immer lauter.
»Du bist so eklig, ich will weg von dir!«, hielt ihm Anica entgegen.
Jenmuhs schlug ihr ins Gesicht und warf sich auf sie, dann riss er ihr ihre Kleider vom Leib, begrub die Zechonin unter seinem massigen Körper und nahm sie sich.
Als er fertig war, weinte die Zechonin. Doch das ließ ihn kalt. Er weidete sich an ihrer Hilflosigkeit und fühlte sich stark dabei.
»Du gehörst mir, Zechonin, nur mir allein. Nur ich bestimme, ob und wann du wieder gehen kannst. Du bist mein Eigentum. Wenn du mir eines Tages nicht mehr gefällst, kann ich dich wegwerfen wie ein altes Spielzeug, das man in den Müll schmeißt. Denk lieber daran!«, drohte Jenmuhs und ließ die vor Angst zitternde Zechonin allein.
Nach wie vor wurde LU-TANG von den arkonidischen Invasionstruppen, die Lingus im Handstreich besetzt hatten, belagert. Jenmuhs hatte Anweisung gegeben, das Schiff noch nicht zu stürmen. Noch immer hoffte er auf eine diplomatische Lösung mit dem Terrablock.
Mit der LU-TANG besaß er ein Faustpfand für Verhandlungen. Terz von Eskor hatte psychologische Kriegsführung angeordnet, um eine gewaltlose Auslieferung der linguidischen Flüchtlinge zu erwirken. Robotsonden wurden entsandt. Sie erzählten von den Schwierigkeiten zwischen Terranern und Friedensstiftern, die es in der Vergangenheit gegeben hatte. Außerdem erinnerten sie die Besatzungsmitglieder der LU-TANG an ihre Familien, die sie auf Mankind erwarteten.
An Bord des Schulungsschiffes blieb diese Taktik nicht ohne Wirkung. Besonders unter den jungen, unerfahrenen Kadetten, die hier ihren ersten Einsatz absolvierten, brach Unruhe aus.
Einige hatten sich zusammengetan und gingen zu Oberst Bernd Goss auf die Brücke.
»Was soll das? Weshalb verlassen Sie Ihren Posten?«, fragte der Oberst scharf.
Die Angesprochenen zuckten zusammen und schwiegen.
»Nun, haben Sie die Sprache verloren?«, fragte Goss sarkastisch.
Einer der Kadetten trat vor.
»Sir, wir ersuchen Sie, die Linguiden auszuliefern, damit wir wieder nach Hause können«, sagte er stockend. »Wir können gegen die Arkoniden nichts ausrichten, daher ist es sinnlos Widerstand zu leisten.«
Goss warf dem Kadetten einen bösen Blick zu, unter dem dieser sichtlich zusammenzuckte.
»Noch gebe ich auf diesem Schiff die Befehle. Oder haben Sie die Absicht, das Kommando zu übernehmen?«
»N… Nein, Sir«, versicherte der Kadett.
»Ich bin Ihnen zwar keine Erklärung schuldig, aber es ist meine Auffassung, dass Verfolgte das Recht auf Schutz haben; man nennt das Asyl«, sagte Goss mit milderen Tonfall. »Es gibt Leute, denen das nicht gefällt, aber unsere Gesetze sehen das nun einmal vor. Ich habe also nicht die Absicht, die Linguiden an die Arkoniden auszuliefern, die meiner Ansicht nach im Unrecht sind. Man muss manchmal für die Freiheit eintreten, auch wenn man dabei Gefahr läuft Prügel zu beziehen. Wir befinden uns nun in einer solchen Situation, die gewiss für Sie alle hart ist. Aber wir haben keine andere Wahl als uns, so gut wie wir eben können, gegen die Unterdrücker zu wehren. Ich ersuche Sie alle daher umgehend auf Ihre Posten zurückzukehren, dann will ich diesen Vorfall vergessen.«
Der Kadett stand da und rührte sich nicht.
»Ist noch etwas?«, fragte Goss ungeduldig.
»Ich … ich … will nach Hause! Ich will nicht sterben!«, schluchzte der Kadett und brach weinend zusammen.
»Bringen Sie den jungen Mann auf die Medostation«, wies Goss Sergeant Petrou an.
Der Oberst hatte genug Erfahrung, um zu erkennen, dass der Kadett einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Er konnte verstehen, dass die jungen Kadetten nervös waren, aber er musste jetzt Autorität zeigen.
»Gehen Sie jetzt alle wieder auf Ihre Posten!«, befahl er den umstehenden Kadetten, die dann auch gehorchten und die Kommandozentrale verließen, während Sergeant Petrou den psychisch angeschlagenen Kadetten weg brachte.
Alcanar Benington, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, meldete sich zu Wort.
»Was für ein Waschlappen«, sagte er abfällig. »Man sollte diesen Kerl und die ganze Brut vor ein Kriegsgericht stellen und unehrenhaft aus der Flotte ausstoßen.«
»Es ist nicht jeder zum Soldaten geboren, Benington«, erwiderte Goss.
»Obwohl ich zugeben muss, dass ich die Argumentation der Meuterer in gewissen Punkten nachvollziehen kann«, meinte Benington. »Ist es klug, sich mit den Arkoniden anzulegen, nur wegen ein paar haariger Linguiden, Sir?«
»Ob es klug ist, weiß ich nicht, aber es ist auf jeden Fall richtig«, antwortete Goss. »Anscheinend haben Sie den Sinn meiner kurzen Rede vorhin nicht verstanden. Wenn man selbst frei sein will, muss man auch für die Freiheit anderer eintreten. Lingus ist heute dran, wer weiß, wer als nächstes auf der Liste dieses Diktators Jenmuhs steht.«
»Ich glaube nicht, dass die Arkoniden so dumm sind den Terrablock anzugreifen, sofern man sie nicht provoziert«, meinte Benington mit warnendem Unterton.
Goss wusste, worauf er anspielte. Benington wurde ihm immer unsympathischer.
»Das Problem mit den Diktatoren ist, dass sie selten rational handeln. Die Geschichte lehrt uns, dass wann immer man ihnen nachgibt, sie immer aggressiver und größenwahnsinniger werden. Wir müssen also sofort hier und jetzt Jenmuhs entgegentreten. Wir treten damit auch für die Freiheit des Terrablocks ein. Doch genug geredet. Wir sollten wieder auf unsere Posten gehen. Ab sofort herrscht Kampfbereitschaft. Geben Sie Waffen an alle kampffähigen Besatzungsmitglieder aus.«
»Natürlich, Sir«, sagte Benington freundlich.
Insgeheim verachtete er Goss, da er ihn für zu weich hielt. Es wäre besser gewesen, man hätte sich mit den Arkoniden verbündet und die Linguiden ausgeliefert. Benington besaß keinerlei Sympathie für die Linguiden, die wie die Arkoniden schon richtig betont hatten, den Terranern in der Vergangenheit ziemlichen Ärger gemacht hatten und wollte nicht sein wertvolles Leben für irgendwelche Asylanten opfern.
Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als den Befehl seines Kommandanten auszuführen. Alle Besatzungsmitglieder erhielten Waffen, sofern sie nicht schon welche besaßen, und bereiteten sich auf einen Angriff der Arkoniden vor.
Schon kurz darauf erschien eine weitere arkonidische Sonde, die sich an die Besatzung der LU-TANG wandte. Oberst Goss hatte angeordnet den Funkverkehr zu den Arkoniden nicht abzubrechen, da er noch immer auf eine diplomatische Lösung der Regierungen hoffte. Daher konnte man die Botschaft an Bord des Schiffes hören.
»Tapfere Besatzung der LU-TANG!«, schallte es aus der Sonde. »Ihr habt lange genug euren Mut bewiesen. Unser gütiger, gnädiger Gos’Shekur ist nicht euer Feind. Er gibt euch darum noch einmal zwölf Stunden Zeit, die verbrecherischen Linguiden auszuliefern. Bei diesen Leuten handelt es sich um Terroristen, die sich unserer Justiz entzogen haben. Macht euch nicht zu Helfern von Banditen. Liefert die Terroristen aus! Dies ist unser letztes Ultimatum. Wenn ihr nach zwölf Stunden die Verbrecher nicht ausgeliefert hat, wird unsere Armee euer Schiff stürmen und die Terroristen mit Gewalt herausholen. Was dann geschieht, verantwortet ihr allein, Terraner! Wie lautet eure Antwort?«
Nataly Jargon schüttelte wütend den Kopf.
»Wir sollen Terroristen sein?«, regte sich die Halblinguidin auf. »Die sind doch wohl völlig wahnsinnig geworden! Überfallen unseren Planeten und behaupten, wir wären Verbrecher!«
»Ich weiß, Miss Jargon. Sergeant Petrou, geben Sie den Arkoniden unsere Antwort.«
»Gern, Sir«, strahlte Petrou und setzte sich an die Konsolen der Waffenleitzentrale.
Kurz darauf verließ ein Thermostrahl das Schiff und zerstörte die Sonde.
»Ganz schön radikal, der Oberst«, meinte Remus Scorbit zu Jonathan Andrews, die sich ebenfalls in der Kommandozentrale aufhielten.
Andrews nickte. »Hm, auf jeden Fall weiß er, wie man einen Krieg beginnt.«
Oberst Goss wandte sich an Benington, Scorbit und Andrews. »Major Benington, wir haben noch maximal zwölf Stunden, um die Verteidigung aufzubauen. Wie lange benötigen Sie, um den Schutzschirm wiederherzustellen?«
»Ich denke, zehn Stunden werden reichen. Aber ich brauche mehr Leute für die Reparaturen«, antwortete Benington.
»Scorbit und Andrews werden das erledigen. Sie organisieren die Verteidigung des Schiffes.«
Benington war davon nicht sehr angetan, musste aber einwilligen.
Jonathan und Remus machten sich sofort daran, die Reparaturen abzuschließen, während sich Nataly Jargon und ihr Onkel Topar um die Unterbringung der Flüchtlinge kümmerten, die in dem sichersten Raum des Schiffes untergebracht wurden.
Während die Besatzung der LU-TANG gespannt auf die weiteren Geschehnisse wartete, war die Flotte des Terrablocks und der verbündeten Saggittonen und Dorgonen vor dem Lingus-System eingetroffen und formierte sich.
Joak Cascal wartete jedoch noch auf den Befehl zum Angriff, der jedoch vom Paxus-Rat noch nicht erteilt wurde. Er wollte so schnell wie möglich losschlagen, um den Arkoniden nicht die Gelegenheit zu geben Verstärkung zu erhalten. Außerdem wollte er die LU-TANG unbedingt befreien.
Cascal blickte auf seine Uhr. Das Ultimatum war nun abgelaufen. Die Arkoniden machten keine Anstalten, Lingus zu verlassen. Ein Krieg schien nun unvermeidlich zu sein. Cascal war entschlossen, wenn es denn schon sein musste, diesen Krieg auch zu gewinnen. Er verständigte sich mit den Oberkommandierenden der saggittonischen und dorgonischen Flotte, sich auf einen möglichen Angriff der arkonidischen Flotte vorzubereiten. Doch zwei Stunde nach Ablauf des Ultimatums war noch nichts geschehen. Weder die arkonidische noch die alliierte Seite griffen an.
*
Auf Paxus tagte der Rat und suchte fieberhaft nach einem Ausweg, um eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Auch Jaaron Jargon war als Vertreter der Linguiden anwesend.
Sruel Allok Mok, der Generalsekretär, blickte die Ratsmitglieder sorgenvoll an. »Das Ultimatum ist abgelaufen. Wie mir berichtet wurde, halten die Arkoniden Lingus nach wie vor besetzt. Ein Angriff scheint mir unvermeidlich. Aber ein Krieg innerhalb Cartwheels wäre das Schlimmste, was passieren kann, und würde die Einheit der Galaxis zerstören. Aber auch ich sehe keinen Ausweg, solange sich Uwahn Jenmuhs stur stellt.«
Auch die anderen Ratsmitglieder wussten keine Lösung.
»Vielleicht gibt es ja doch noch eine Möglichkeit«, meldete sich Jaaron Jargon zu Wort.
»Aber welche?«, fragte Sam.
»Wir Linguiden lieben den Frieden über alles. Der Gedanke, das wir der Auslöser für einen fürchterlichen, blutigen Krieg wären, ist unerträglich. Man sollte alle Verhandlungsmöglichkeiten ausschöpfen.«
»Und wie, werter Jargon?«, erkundigte sich der Marquês hoffnungsvoll.
»Wir könnten ein Komitee nach Lingus entsenden, das die Lage auf Lingus begutachtet«, erklärte der alte Linguide. »Dieser Ausschuss tritt dann noch einmal mit Uwahn Jenmuhs in Verhandlungen ein und geht mit ihm Punkt für Punkt durch. Vielleicht gibt es doch noch einen Einigungspunkt, den beide Seiten bislang übersehen haben. Natürlich funktioniert das nur, wenn die Arkoniden auch Zugeständnisse machen. Frieden kann immer nur dann funktionieren, wenn beide Seiten ihn wollen.«
Don Philippe zeigte sich von dem Vorschlag Jaarons sehr erfreut. Es behagte ihm gar nicht, wie sich die Dinge in den letzten Stunden entwickelt hatten. Er selbst hatte bisher keine Möglichkeit gehabt etwas gegen das Desaster, das Uwahn Jenmuhs verursacht hatte, zu unternehmen. Nun gab es vielleicht noch eine Möglichkeit Zeit zu gewinnen, um den fetten Arkoniden umzustimmen. Der Marquês verfluchte Jenmuhs für seine Vorgehensweise, mit der er Cartwheel in einen Krieg zu stürzen drohte, der alles Aufgebaute ruinieren konnte. Das musste unter allen Umständen verhindert werden. Daher stimmte der alte Spanier dem Linguiden zu.
»Ich bin ganz Ihrer Ansicht, werter Jargon. Ich stamme aus einer Zeit, in der Krieg als Lösung aller politischen Probleme angesehen wurde und zu katastrophalen Folgen für Land und Leute führte. Lassen wir nicht zu, dass der Krieg wieder zu Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln wird. Unternehmen wir alles, um einen bewaffneten Konflikt zu verhindern.
Nehmen wir unverzüglich Kontakt zu Uwahn Jenmuhs auf und unterbreiten wir ihm diesen Vorschlag!«
Da sich alle anderen Ratsmitglieder damit einverstanden erklärten, beschloss Generalsekretär Sruel Allok Mok persönlich Kontakt mit Jenmuhs aufzunehmen. Der Somer erhielt nach einiger Wartezeit eine Verbindung mit Jenmuhs, der nach wie vor auf Bostich weilte und unterbreitete ihm den Beschluss des Paxus-Rates. Der korpulente Arkonide war nicht abgeneigt.
»Verehrter Generalsekretär, da ich als Freund des Friedens bekannt bin, stimme ich Ihrem Vorschlag zu«, erklärte er gönnerhaft. »Entsenden Sie eine Delegation nach Lingus. Dort können sich Ihre Abgesandten davon überzeugen, dass es den Linguiden gut geht und sie durchaus erfreut sind, von nun an dem arkonidischen Reich anzugehören. Ich bin sicher, dass wir zu einer gütlichen Einigung kommen werden.«
Sam musste sich beherrschen, um Jenmuhs nicht zu sagen, was er von diesem hielt. So aber schwieg er und war froh, dass es vielleicht doch noch eine diplomatische Lösung des Konflikts zu finden. Allerdings war der Somer skeptisch. Das herrische Auftreten des Arkoniden schien nicht von allzu großer Einsicht zu zeugen.
»Ich werde die Delegation so schnell wie möglich nach Lingus entsenden und erwarte vollständige Bewegungsfreiheit für den Ausschuss im Lingus-System«, sagte er zu Jenmuhs.
Jenmuhs nickte freundlich. »Das ist doch selbstverständlich. Die Delegierten stehen unter meinem persönlichen Schutz. Ich erwarte also Ihre Leute …«
Sam verkündete dem Rat den Entschluss von Jenmuhs. Die meisten Ratsmitglieder zeigten sich erleichtert.
»Doch wer soll nun nach Lingus gehen?«, fragte Mirus Traban.
»Ich werde selbst gehen«, entschied Sam.
»Dann begleite ich Sie«, bot Traban an.
»Ich ebenfalls«, verkündete der Marquês, der hoffte, auf Jenmuhs einwirken zu können.
»Nein, Marquês«, lehnte Sam ab.« Sie sind mein Stellvertreter und müssen daher hier bleiben. Falls uns etwas zustößt, müssen Sie den Paxus-Rat führen.«
»Dann soll mein Sohn Orlando Sie begleiten.«
»Damit bin ich einverstanden.«
Zur Überraschung aller erhob sich Nor’Citel alias Leticron.
»Ich werde Sie ebenfalls begleiten«, sagte er entschlossen. »Uwahn Jenmuhs wird es nicht wagen, gegen mich etwas zu unternehmen.«
Als weitere Delegationsmitglieder wurden Cauthon Despair, Jaaron Jargon und Rosan Orbanashol ausgewählt. Nach dem Tod ihres Mannes Wyll Nordment suchte die Halbarkonidin nach einer neuen Aufgabe, die sie von ihrem großen Kummer ablenkte. Die Arbeit bei der USO schien ihr dafür das richtige Mittel zu sein. Außerdem konnte sie die Infrastruktur dieser Organisation nutzen um den Mörder ihres Mannes ausfindig zu machen. Sie war sich ziemlich sicher, dass Uwahn Jenmuhs damit zu tun hatte und würde es ihm eines Tages beweisen. Als man sie bat zu der Delegation zu gehören, die nach Lingus reisen würde, stimmte sie sofort zu.
Mit all diesen angesehenen Leuten hoffte Sam Jenmuhs zur Einsicht zu bringen. Schon wenige Stunden nach dem Beschluss startete die Delegation in Richtung Lingus.
Auf Lingus war das Ultimatum, das die arkonidischen Invasoren der Besatzung der LU-TANG gestellt hatte, verstrichen. Obwohl man fieberhaft gearbeitet hatte, war der Schutzschirm noch nicht völlig wiederhergestellt. Er funktionierte aber bereits wieder zu 75 Prozent.
Sergeant Petrou beobachtete, was sich draußen vor dem Schiff tat. Die LU-TANG stand auf einem Hügel inmitten eines Feldes. Von hier konnte man die Gegend gut überblicken. Die Ortung wurde von den Arkoniden gestört, doch man konnte von dieser Position einen Angriff rechtzeitig erkennen.
Petrou suchte die Gegend mit einem Okular ab und stutzte. Die arkonidischen Landungseinheiten und Panzer rückten langsam vor. Die Bodentransporter stoppten dann und öffneten ihre Schotten. Daraufhin wurden Kampfroboter ausgeschleust. Petrou konnte nicht erkennen, wie viele es waren, aber es mussten mehrere hundert sein.
»Sie greifen an! Sie schicken Kampfroboter!«
»Gehen Sie an die Feuerleitzentrale!«, ordnete Goss sofort an. »Wenn Sie nahe genug ran sind, eröffnen Sie das Feuer. Alle Mann in Kampfbereitschaft. Schiff in Verteidigungsposition. Benington, bereiten Sie sich auf eine Enterung des Schiffes vor!«
In breiter Phalanx marschierten die Kampfroboter, die immer mehr zu werden schienen, auf den Hügel zu und eröffneten das Feuer auf die LU-TANG.
Sergeant Petrou antwortete mit den Bordkanonen. Seine Salven rissen breite Lücken in die Phalanx. Doch die Anzahl der Roboter war zu groß, um alle zu treffen. Die LU-TANG war letztlich nur ein leicht bewaffnetes Schulungsschiff und kein Waffen starrender Kampfkreuzer.
Goss nahm Kontakt zu Jonathan Andrews auf, der sich im Maschinenraum befand.
»Andrews, wie weit sind Sie mit dem Schutzschirm?«
»Wir arbeiten daran.«
Eine Erschütterung durchzog die LU-TANG. Die arkonidische Artillerie hatte das Feuer eröffnet um die vorgehenden Roboter zu unterstützen. Goss hoffte, dass die Arkoniden davor zurückschreckten, das Schiff kurz und klein zu schießen.
»Arbeiten Sie schneller!«, forderte Oberst Goss Andrews auf. Goss war klar, dass es jetzt gefährlich wurde.
Die Kampfroboter waren trotz aller Verluste den Hügel hinauf marschiert. Sie machten sich daran, die Schotten auf zu sprengen, als sich Lücken im Schutzschirm bildeten.
Benington hatte alle Ein- und Ausgänge besetzen lassen, um die Eindringlinge sofort unter Beschuss zu nehmen. Es dauerte nicht lange, bis die Kampfroboter ein Schott geöffnet hatten und in die LU-TANG eindrangen. Sie wurden jedoch umgehend von den Terranern ins Kreuzfeuer genommen, die sich in einem schmalen Korridor verschanzt hatten und von dort aus den Angreifern schwere Verluste zufügten.
Doch auch auf Seiten der Verteidiger gab es Verluste, da Benington keine Rücksicht auf seine eigenen Leute nahm und sie zum Gegenangriff vor schickte. Aber es gelang ihm die angreifenden Roboter zu vernichten und das geöffnete Schott wieder zu verschließen.
»Sir, ich melde, dass die Angreifer zurückgeworfen wurden«, verkündete Benington stolz.
Oberst Goss Erleichterung über diese Meldung war jedoch nur von kurzer Dauer. Goss sah, das eine weitere Phalanx von Kampfrobotern aufmarschierte. Diesmal wurde sie von arkonidischer, mobiler Infanterie unterstützt, die im Schutz von Panzern vorrückte.
Das konnte das Ende bedeuten. Doch aus dem Maschinenraum meldete Jonathan Andrews:
»Sir, Schutzschirm wieder hundertprozentig einsatzbereit.«
»Gut gemacht, Andrews. Wir starten sofort!«, befahl Goss erleichtert.
Kurz darauf hob die LU-TANG vom Erdboden ab und stieg in den Orbit von Lingus auf.
Doch dort lauerten überall arkonidische Schiffe, die eine Blockade rund um Lingus errichtet hatten. Sofort attackierten leichte Kreuzer die LU-TANG und nahmen sie unter Beschuss.
Die LU-TANG konnte dem nicht viel entgegensetzen, da sie nur über eine leichte Bewaffnung verfügte.
»Versuchen Sie irgendwo eine Lücke zu finden!«, wies Goss den Piloten an. »Wir müssen zu unseren Einheiten durchbrechen.«
»Unmöglich, Sir. Es sind zu viele von denen«, erwiderte der Pilot.
Eine mächtige Erschütterung durchfuhr das Schiff. Einige Besatzungsmitglieder stürzten zu Boden.
»Wir sind getroffen worden, Sir. Schwere arkonidische Kreuzer Backbord«, meldete Remus Scorbit.
»Die wollen uns die Zange nehmen«, folgerte Goss.
Weitere Salven erschütterten das Schiff. Dann kam eine weitere Hiobsbotschaft aus dem Maschinenraum.
»Sir, wir haben schwere Schäden im Maschinenraum. Ich empfehle umgehend eine Notlandung«, meldete Jonathan Andrews.
Goss senkte den Kopf. Sie hatten den Kampf verloren. Er war nun verpflichtet das Leben seiner Leute zu retten. Der Oberst wandte sich an den Piloten.
»Wir kehren nach Lingus zurück. Leiten Sie sofort eine Notlandung ein. Außerdem wird ein Notruf an unsere Flotte ausgesendet.«
»Ja, Sir.«
Mit einem waghalsigen Manöver setzte sich die LU-TANG von den arkonidischen Schiffen ab und flog wieder den Planeten Lingus an. Die Kreuzer ließen sie ziehen. Wahrscheinlich meldeten sie gerade den Bodentruppen, dass sie die Terraner in Kürze in Empfang nehmen konnten. Die LU-TANG tauchte in die Atmosphäre ein und landete unsanft auf einem Feld.
Es dauerte nicht lange bis die arkonidischen Bodentruppen auftauchten und das Schiff umstellten. Ein arkonidischer Offizier nahm Kontakt zu den Terranern auf und forderte sie zur bedingungslosen Kapitulation auf.
»Terraner, ihr habt keine Chance. Ergebt euch oder sterbt«, sagte der Arkonide martialisch.
Goss resignierte. Er wollte das Leben seiner Leute nicht sinnlos opfern.
»Hier spricht Oberst Bernd Goss, Kommandant des Schulungsschiffes LU-TANG«, antwortete er mit müder Stimme. »Wir ergeben uns und übergeben Ihnen das Schiff. Wir erwarten von Ihnen als Kriegsgefangene entsprechend der rechtlichen Konventionen behandelt zu werden.«
Kurz darauf wurde die stark angeschlagene LU-TANG von arkonidischen Infanteristen und Kampfrobotern geentert. Die Schiffsbesatzung wurde mitsamt den linguidischen Flüchtlingen gefangen genommen und aus dem Schiff getrieben. Anschließend verlud man sie auf mehrere Transporter, die sie in ein frisch errichtetes Inhaftierungslager brachten.
Das Lager war von den Arkoniden hermetisch abgeriegelt worden. Man hatte hohe Energiezäune errichtet. In der Mitte des Lagers waren Wohncontainer aufgestellt worden, in die die Gefangenen gebracht wurden. Es befanden sich bereits mehrere hundert Linguiden in dem Lager.
»Da haben wir uns ja einen hübschen Urlaubsort ausgesucht«, sagte Jonathan Andrews sarkastisch zu Remus Scorbit.
Andrews zündete sich eine Zigarette an, was Gal’Arn sicher nicht gern gesehen hätte. Aber nach all den Aufregungen konnte er jetzt eine vertragen. Andrews inhalierte den Rauch genießerisch ein.
Doch sein Glück war nur von kurzer Dauer. Ein arkonidischer Wächter kam auf ihn zu und riss ihm den Glimmstängel aus dem Mund.
»Im Lager ist Rauchen verboten! Händigen Sie mir sofort Ihre Zigaretten aus!«, herrschte der Soldat Andrews an.
»Die willst du wohl für dich selber, was?«, gab Andrews zurück.
Der Soldat blickte ihn böse an und hantierte an seinem Thermostrahler.
Andrews wusste nun, dass der Mann keinen Spaß verstand und händigte ihm seine Zigaretten aus.
»Macht jetzt, dass ihr in eure Baracke kommt, sonst gibt’s Ärger!«, befahl der Soldat.
Andrews und Scorbit ging in die Baracke, in der sich auch Nataly mit ihrem Onkel Topar aufhielt.
»Geht es dir gut?«, erkundigte sich Andrews besorgt.
»Ja, ich und die anderen haben alles gut überstanden – bis jetzt. Jonathan, was passiert jetzt bloß? Wie soll das alles nur enden?«
»Ich weiß es nicht. Aber der Paxus-Rat und die terranische Regierung werden sich das nicht bieten lassen. Die holen uns hier raus«, versuchte Andrews die Halblinguidin zu beruhigen.
»Nataly, bist du hier?«, fragte jemand, der plötzlich an der Tür stand.
Nataly erkannte den Besucher sofort. »Lester? Du bist auch hier?«
Sehr zum Missfallen von Jonathan Andrews ging Nataly auf Lester Slone zu und umarmte ihn.
»Ich habe soeben erfahren, dass du hier bist. Ist dir auch nichts geschehen?«, fragte Slone beunruhigt.
»Wir haben einige unruhige Stunden hinter uns, aber wir sind wohlauf. Lester, was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht. Es ist einfach ungeheuerlich!«, regte sich Slone auf. »Diese Arkoniden haben Lingus einfach besetzt. Sie haben gegen jedes Recht gehandelt. Als Diplomat genieße ich Immunität. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, mich hier einzupferchen.«
»Wir haben versucht von hier zu entkommen, aber sie haben eine Blockade um Lingus errichtet und uns abgefangen«, berichtete Jonathan dem Diplomanten. »Wir haben getan, was wir konnten, aber es waren zu viele. Die LU-TANG wurde beschädigt und wir mussten uns ergeben.«
»Das ist ungeheuerlich«, erwiderte Slone. »Das ist ein Kriegsakt gegen ein terranisches Schiff und dessen Staatsbürger. Aber damit kommen die nicht durch. In Kürze wird der Paxus-Rat militärisch intervenieren. Mankind hat einen Bündnisvertrag mit Lingus geschlossen. Somit ist der Terrablock verpflichtet, Lingus beizustehen. Man wird uns also sicherlich bald hier herausholen.«
»Da werden die Arkoniden was dagegen haben. Wie es aussieht haben die vor, ihren Höflichkeitsbesuch zu verlängern«, meinte Andrews spöttisch.
»Außerdem haben sie mit uns als Geiseln ein Faustpfand in der Tasche«, gab Remus zu bedenken.
Jonathan nickte zustimmend. »Stimmt, und wenn es kracht, sind wir mittendrin.«
*
Toran Ebur war von Uwahn Jenmuhs beauftragt worden, die Delegation des Paxus-Rates zu empfangen und die Verhandlungen zu führen. Ebur war davon nicht sonderlich begeistert. Er wusste nicht, wie er es glaubhaft machen sollte, dass die meisten Linguiden die Aufnahme in das Kristallimperium begrüßten. Die Zeit war viel zu kurz, um eine gute Propagandashow aufzuziehen. Aber der Befehl des Gos’Shekur war unantastbar und wenn er wünschte, dass Verhandlungen geführt wurden, musste er es tun.
Diese prekäre Situation war abzusehen gewesen. Ebur hatte Jenmuhs gewarnt, dass der Paxus-Rat der Annexion nicht tatenlos zusehen würde. Den Planeten zu besetzen war der leichtere Teil der Aufgabe, ihn zu behalten der schwierigere. Ebur ließ in aller Eile ein paar propagandistische Vorbereitungen treffen, dann begab er sich zusammen mit Terz von Eskor zum Raumhafen, um den Generalsekretär und sein Gefolge in allen Ehren zu begrüßen.
Kurze Zeit später landete das Flaggschiff des Paxus-Rates, die PAXUS, auf dem Landefeld. Eine ganze arkonidische Division war zum Empfang angetreten. Sruel Allok Mok und seine Begleiter schritten die Gangway des Schiffes hinunter, während die arkonidische Nationalhymne erklang.
Toran Ebur salutierte und begrüßte den Somer.
»Herzlich willkommen im neuen Protektorat des Kristallimperiums, Generalsekretär. Ich bitte den bescheidenen Empfang zu entschuldigen. Doch die Nachricht von Ihrer Ankunft war für uns sehr überraschend«, sagte der Zaliter schleimig.
»Das kann ich mir denken«, erwiderte Sam ironisch.
Nacheinander begrüßten Ebur und Terz von Eskor Mirus Traban, Nor’Citel, Orlando de la Siniestro, Rosan Orbanashol, Jaaron Jargon und Cauthon Despair.
»Wir möchten uns auf Lingus umsehen, um uns selbst ein Bild von der Lage zu machen«, verlangte Sam.
»Selbstverständlich, Generalsekretär. Sie können sich davon überzeugen, dass die linguidische Bevölkerung uns mehrheitlich willkommen heißt«, log Ebur.
»Darauf möchte ich wetten«, konnte sich Rosan Orbanashol nicht verkneifen.
Ebur musterte die Halbarkonidin böse. Dann führte er die Delegation zu einigen bereitstehenden Gleitern. Als alle einstiegen, fuhr der Konvoi, der von stark bewaffneten Militärgleitern eskortiert wurde, in Richtung Lingorstadt.
Sam saß in einem Gleiter zusammen mit Toran Ebur, Mirus Traban, Rosan Orbanashol und Jaaron Jargon. Ihm fiel auf, dass sich kaum jemand auf den Straßen aufhielt. Zahlreiche Häuser wiesen Schäden auf.
»Das sieht nicht so aus, als würde man ein großes Willkommensfest für Sie feiern«, stichelte Rosan.
Toran Ebur bedachte sie erneut mit einem finsteren Blick.
»Leider gibt es einige linguidische Terroristen, die nicht mit dem Anschluss an das Imperium einverstanden sind«, verdrehte der Zaliter die Tatsachen. »Sie sind für diese Zerstörungen verantwortlich. Und wenn unsere Streitkräfte angegriffen werden, müssen sie sich verteidigen. Das ist ihr gutes Recht!«
»So etwas nennt man dann wohl ein ›robustes Mandat‹«, meinte Rosan.
Ebur zog es vor lieber zu schweigen. Es war ihm klar, dass es unter diesen Umständen schwierig sein würde, die Delegation von der Legalität der Annexion zu überzeugen.
Ein paar Straßen weiter, hellte sich seine Miene wieder auf. Dort hatten die Arkoniden eine Ansammlung von Linguiden zusammengetrieben und ihnen arkonidische Fähnchen in die Hand gedrückt, die sie nun in vermeintlicher Freude schwenkten und dabei »FAMUG, FAMUG!« oder »ES LEBE UWAHN JENMUHS!« riefen.
Ein altes Ehepaar hielt ein Schild in die Höhe, auf dem stand: »Heim ins Reich! Das wir das noch erleben dürfen!«
»Sie sehen, dass wir bei dem überwiegenden Großteil der Bevölkerung herzlich willkommen sind. Wir haben die Bevölkerung von ihrer korrupten Regierung befreit, die sie unterdrückte.«
Jaaron Jargon, der bisher beharrlich geschwiegen hatte, lief bei diesen Worten rot an im Gesicht.
»Das ist eine dreiste Lüge! Ich finde keine Worte mehr für so viel Niedertracht!«, schrie der sonst so ruhige, zurückhaltende Mann Toran Ebur an.
»Ich bin derselben Ansicht«, stimmte Mirus Traban zu. »Das alles riecht nach einer scheinheiligen Intrige, mit der Ihre Regierung versucht, die Besetzung von Lingus nachträglich zu rechtfertigen.«
»Das Ganze ist ziemlich dick aufgetragen«, meinte auch Rosan Orbanashol.
»Die Wahrheit will manchmal einfach nicht geglaubt werden«, tat Toran Ebur beleidigt.
»Ihre Wahrheit. Linguidische Terroristen!«, meckerte Jaaron. »Das ich nicht lache. Sie glauben diesen ganzen Mist doch wohl selber nicht?«
»Unser Imperium will nur das Beste für Lingus«, verteidigte sich Ebur.
»Es scheint mir zweifelhaft, ob dies alles das Beste für Lingus ist«, sagte Sruel Allok Mok ernst.
»Dies zu beurteilen liegt nicht in meiner Kompetenz. Nur der Gos’Shekur kann darüber entscheiden.«
Sam schwieg. Er war zutiefst beunruhigt. Der Somer bekam Zweifel, dass die Mission von Erfolg gekrönt sein würde.
Im Gleiter dahinter saßen Cauthon Despair und Leticron. Da der Überschwere viel Platz wegnahm, befand sich sonst niemand darin. Missmutig beobachteten die beiden Söhne des Chaos die Entwicklung.
»Mir gefällt das Ganze nicht. Die Situation kann leicht außer Kontrolle geraten«, meinte Despair.
»Ganz richtig«, grollte der Überschwere grollend. »Die Arkoniden sind eindeutig widerrechtlich auf Lingus eingedrungen.
Dieser fette Narr riskiert einen Galaktischen Krieg nur für diesen unwichtigen Planeten. Die Linguiden sind dumme Schafe, die interessieren mich nicht. Aber durch den Beistandspakt, den sie mit dem Terrablock geschlossen haben, manövriert sich Jenmuhs in einen militärischen Konflikt nicht nur mit den Terranern, sondern auch mit den verbündeten Saggittonen und Dorgonen!«
»Ein Krieg zwischen Arkon und Terra wäre das dümmste was uns passieren könnte«, stellte Cauthon Despair klar. »Schließlich ist es unser Plan, beide Machtblöcke zusammen zu bringen damit sie eine gewaltige Flotte stellen können. Wenn sie sich jetzt gegenseitig vernichten ist unser Plan zunichte gemacht worden. Jenmuhs und der Marquês sollen zusammenarbeiten und nicht gegeneinander.«
Leticron wirkte ratlos. »Ja, aber was sollen wir tun? Dieser Idiot Ebur wird mit seinem Komödienstadel die Delegation nicht überzeugen können. Und Jenmuhs wird nicht auf Lingus verzichten wollen. Wie soll ein Krieg noch verhindert werden?«
Despair überlegte einen Moment, dann sagte er: »Wir werden nach Bostich fliegen und Jenmuhs zur Räson bringen. Wenn die Verhandlungen hier scheitern sollten, bieten Sie sich als Vermittler an und fliegen nach Bostich, um direkt mit Jenmuhs zu verhandeln. Ich werde es deichseln, dass ich Sie begleiten kann. Dann nehmen wir uns vereint Jenmuhs vor.«
»Klingt gut«, stimmte Nor’Citel alias Leticron zu.
*
Nachdem die »Rundfahrt« durch Lingorstadt beendet war, wurde die Delegation des Paxus-Rates in das beste Hotel der Stadt gebracht, wo man sich am Abend zu den Verhandlungen treffen wollte. Es war Toran Ebur nicht gelungen, die Abgesandten von der »Aufrichtigkeit« der Arkoniden zu überzeugen.
Im Hotel war ein Konferenzsaal eingerichtet worden, in dem sich Toran Ebur und Terz von Eskor mit der Paxus-Delegation trafen.
Jaaron Jargon ergriff das Wort: »Bevor wir mit den Verhandlungen beginnen, möchte ich noch eine persönliche Frage an Sie richten.«
Toran Ebur nickte ihm gönnerhaft zu.
»Ich vermisse meine Nichte Nataly Jargon«, erklärte Jaaron. »Ich habe versucht, sie ausfindig zu machen, doch leider vergeblich. Vielleicht haben Sie Informationen über ihren Aufenthaltsort?«
Der Chronist hatte bereits versucht, sie bei seinem Bruder Topar zu erreichen. Doch auch der war verschwunden. Jargon vermutete, dass die beiden Gefangene der Arkoniden waren.
Toran Ebur schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid. Ich weiß nichts von einer Nataly Jargon. Sie vielleicht, Mascant da Eskor?«, wandte er sich scheinheilig an den Militärführer.
Doch auch der verneinte.
»Nie gehört, den Namen«, sagte er kurz angebunden.
Toran Ebur lächelte. »Nachdem das geklärt ist, können wir nun zu den wichtigen Dingen kommen.«
Jaaron Jargon glaubte ihm kein Wort, doch er sah keinen Sinn darin nachzuhaken.
Orlando de la Siniestro hatte jedoch ebenfalls eine Frage: »Für uns ist es von größter Wichtigkeit, den Verbleib des terranischen Schulungsschiffes LU-TANG zu klären. Wir haben vergeblich versucht, Funkkontakt mit dem Schiff aufzunehmen. Unsere Ortung hat registriert, dass sich das Schiff auf diesem Planeten befindet. Außerdem haben wir einen Notruf von der LU-TANG aufgefangen, bevor der Kontakt abbrach. Wir ersuchen Sie, uns den Aufenthaltsort der LU-TANG und seiner Besatzung mitzuteilen.«
Toran Ebur und Terz von Eskor sahen sich verlegen an. Ebur sah ein, dass es keinen Sinn hatte, es zu verschweigen, daher beschloss er, die Wahrheit zu sagen.
»Die LU-TANG ist bedauerlicherweise beschädigt worden, da die Besatzung uns grundlos angegriffen hat, als wir versuchten einiger Terroristen habhaft zu werden«, erklärte er.
»Und was ist mit der Besatzung?«, fragte Orly scharf.
»Dem Großteil der Besatzung geht es gut«, erklärte Terz von Eskor. »Sie wurde in einem Zwischenlager untergebracht, wo sie beste Betreuung erhält.«
»Wir bestehen darauf, die Besatzung zu sehen«, sagte Sam.
Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er keinen Widerspruch duldete.
»Morgen führe ich sie in das Lager«, versprach Toran Ebur.
Nachdem dieser Punkt geklärt war, fuhr man mit den Verhandlungen fort, die jedoch schnell ins Stocken gerieten, da die Arkoniden nicht bereit waren, der Forderung nach einem Abzug von Lingus nachzukommen. Toran Ebur war auch nicht in der Lage, ohne die Erlaubnis seines Herren und Meisters Uwahn Jenmuhs eine Vereinbarung zu treffen. Und Jenmuhs wiederum dachte gar nicht daran, Lingus wieder herzugeben.
Als die Konferenz an einem toten Punkt angelangt war, schaltete sich Nor’Citel, der bislang geschwiegen hatte, ein. Leticron und Cauthon Despair hatten diesen Verlauf der Verhandlungen vorausgesehen. Nun versuchten sie, ihrem Plan, nach Bostich zu gelangen, in die Tat umzusetzen.
»Meine Dame, meine Herren! So kommen wir nicht weiter«, ergriff der Überschwere das Wort. »Beide Seiten müssen sich einander annähern, um zum Erfolg zu gelangen. Ich denke, wir sind uns in einer Hinsicht einig: Wir wollen Frieden, oder?«
»Selbstverständlich«, beeilte sich Toran Ebur zu versichern.
»Gut. Da Sie offensichtlich der falsche Ansprechpartner sind, werde ich persönlich nach Bostich fliegen, um mit Ihrem Chef zu sprechen. Durch die guten und freundschaftlichen Beziehungen mit Arkon bin ich als Vermittler sicher am besten für diese Mission geeignet.«
»Gewiss«, stimmte Toran Ebur zu.
Der Zaliter hatte gehörigen Respekt vor dem unheimlich wirkenden Überschweren und er wusste, dass Jenmuhs gute Beziehungen zu Nor’Citel pflegte, daher wagte er es nicht zu widersprechen.
»Einen Augenblick bitte, Nor’Citel«, ergriff Cauthon Despair das Wort und erhob sich. »Ich bin der Meinung, dass auch der Terrablock einen Abgesandten zu Jenmuhs entsenden sollte. Wer garantiert uns denn, dass Sie nicht mit Jenmuhs eine separate Vereinbarung ohne unser Wissen beschließen?«
»Bitte, ich habe nichts dagegen«, antwortete der Überschwere. »Meine Absichten sind rein. Ich habe nur den Frieden im Sinn. Doch wenn Sie mir nicht trauen, bitte ich sogar darum, dass Sie mich persönlich begleiten, Despair.«
»Was meinen Sie dazu, Generalsekretär?«, wandte sich der Silberne Ritter an Sruel Allok Mok.
»Bitte begleiten Sie ihn. Wenn Ihre Mission nicht erfolgreich ist, dürfte ein Krieg in Cartwheel nicht mehr zu verhindern sein«, befürchtete der Somer.
»Also gut, dann begleite ich Sie, Nor’Citel. Wir sollten sofort aufbrechen«, meinte Despair.
»Ganz richtig. Wir fliegen mit meinem Schiff. Ich werde es umgehend hierher beordern. Es wartet bereits am Rande des Lingus-Systems.«
»Ach?«, machte Toran Ebur überrascht.
Leticron verzog seine Mundwinkel zu einem kalten Lächeln. »Falls Sie auf die Idee gekommen wären, uns gefangen zu nehmen, hätte uns eine pariczanische Spezialeinheit befreit. Aber diese Vorsichtsmaßnahme war ja wohl überflüssig, nicht wahr?«
»Gewiss«, versicherte der Zaliter.
Nachdem die Paxus-Rat Delegation noch einmal die Verhandlungsmarschroute mit Nor’Citel und Cauthon Despair festgelegt hatte, brachen die beiden Söhne des Chaos mit Leticrons Schiff nach Bostich auf.
Sam hoffte, dass diese Mission doch noch einen Krieg verhindern würde. Bisher hatte man auf Lingus nicht viel erreicht. Aber man würde es weiter versuchen.
*
Am nächsten Morgen brach die restliche Delegation des Paxus-Rates zu dem Internierungslager auf, in dem die Besatzung der LU-TANG gefangen gehalten wurde. Der Konvoi wurde wiederum von starken arkonidischen Sicherheitskräften eskortiert.
Auch das Lager war stark abgesichert. Man hatte es provisorisch nach der Invasion errichtet, um dort unliebsame Widerständler zu konzentrieren und vom linguidischen Volk abzusondern.
Das Lager war auf freiem Feld errichtet worden. Dort hatte man eine Art Containerstadt errichtet, die stetig im Wachsen begriffen war. Die Gefangenen befanden sich in der Mitte, während sich an der Peripherie arkonidisches Militär eingerichtet hatte. Um das Lager herum waren schwere arkonidische Kreuzer gelandet, die bei einem Aufstand das Lager umgehend unter Feuer nehmen konnten. Überall patrouillierten bewaffnete Kampfroboter.
Der Delegation war das Heerlager der Arkoniden nicht entgangen.
»Das nennt man mit Kanonen auf Spatzen schießen«, sagte Rosan Orbanashol zynisch. Ihr mürrischer Gemütszustand war keineswegs verwunderlich. Ihr Mann war noch nicht einmal beigesetzt. Nach dem Mord an Wyll Nordment vor wenigen Tagen, war sogleich der Angriff auf Lingus gefolgt. Doch Rosan wollte sich in die Arbeit stürzen, um nicht völlig den Verstand zu verlieren.
Toran Ebur sagte dazu nichts. Er führte die Delegation durch das Lager und wurde nicht müde zu versichern, dass es den Gefangenen gut ging und sie bestens behandelt wurden und wie schön es in dem Lager war.
»Sie sollten ein Erholungsheim für gestresste Raumfahrer einrichten«, meinte Rosan sarkastisch.
Ebur beherrschte sich nur mühsam. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, rief eine weibliche Stimme: »Onkel Jaaron! Ich bin hier!«
Jaaron Jargons Gesicht strahlte vor Freude. »Nataly!«
Nataly lief zu ihrem Onkel und umarmte ihn. Begleitet wurde sie von ihrem Onkel Topar und Jonathan Andrews.
»Wie Sie sehen, sind alle bei bester Gesundheit«, stellte Toran Ebur fest.
Sam begrüßte Jonathan Andrews. »Ich bin erfreut, Sie bei guter Gesundheit zu sehen. Wo ist der Kommandant? Kann ich mit ihm sprechen?«
»Ja, Sir. Oberst Goss befindet sich mit den Offizieren in dem großem Container dort in der Mitte«, erklärte Andrews.
Sam wandte sich an Toran Ebur. »Ich erwarte, dass die gesamte Besatzung umgehend freigelassen wird.«
»Nun, das ist nicht so einfach, immerhin hat die Besatzung der LU-TANG uns widerrechtlich angegriffen«, lehnte der Zaliter ab. »Es wurden drei unserer Beiboote sowie etliche Kampfroboter vernichtet. Außerdem haben sie Terroristen Unterschlupf gewährt. Ich weiß nicht, ob man daran vorbei gehen kann. Das müsste erst von einem Militärgericht geklärt werden. Sie dürfen aber mit dem Kommandanten sprechen.«
»Wie großzügig«, murmelte Sam.
Jonathan Andrews führte Sam zu Oberst Goss, der sichtlich erfreut über die Ankunft des Generalsekretärs war.
»Ich wusste, dass man uns nicht im Stich lassen würde«, sagte der Oberst erleichtert.
»Selbstverständlich nicht. Bitte berichten Sie, was sich zugetragen hat.«
Goss berichtete von den Vorkommnissen seit der überraschenden Invasion der Arkoniden und von der Flucht der Dorfbewohner vor den Invasoren, sowie seinem Entschluss, die Linguiden nicht an die Besatzer auszuliefern.
»Für mich waren die Arkoniden einwandfrei im Unrecht«, schloss der Oberst. »Ich habe nach meinem Gewissen gehandelt. Für die Verluste von sieben Toten und 38 Verletzten sowie die Schäden und Verluste die den Arkoniden durch uns entstanden sind, bin ich bereit mich zu verantworten. Die Besatzung trägt keinerlei Verantwortung, da sie nur meine Anweisungen befolgte.«
»Sie und Ihre Besatzung haben völlig richtig gehandelt«, stimmte Sam ihm zu. »Sie haben versucht, Unschuldige vor Aggressoren zu schützen. Sie haben edel gehandelt. So etwas schätze ich weit mehr als das bloße Befolgen von Vorschriften. Die Verantwortung für die Vorkommnisse trägt allein die arkonidische Regierung.«
»Was geschieht jetzt mit uns?«, wollte Jonathan Andrews wissen.
»Toran Ebur weigert sich, Sie frei zu lassen.«
»Was für ein Mistkerl!«
»Mister Andrews, ich muss doch sehr bitten«, sagte Sam pikiert. »Toran Ebur ist der Repräsentant der arkonidischen Regierung von Cartwheel. Wenn wir ihn mit Respekt behandeln und noch einmal vernünftig mit ihm reden, bin ich sicher dass er logischen Argumenten zugänglich ist.«
»Okay, tut mir Leid«, sagte Jonathan zerknirscht.
Sam ging mit Andrews wieder zu Toran Ebur zurück, der mit den anderen Delegierten den Rundgang beendet hatte.
»Ah, Herr Generalsekretär«, wurde Sam von dem Zaliter begrüßt. »Es wird Zeit, dass wir aufbrechen, damit wir bis zum Mittagessen zurück sind.«
»Das Mittagessen kann noch warten. Ich habe mit dem Kommandanten der LU-TANG gesprochen und bin zu der Ansicht gelangt, dass ihn und seine Crew keine Schuld trifft. Ich ersuche Sie daher nochmals, die gesamte Besatzung der LU-TANG auf der Stelle frei zu lassen. Über eventuelle Regressforderungen können Sie mit dem Paxus-Rat verhandeln. Wenn Sie uns entgegenkommen, werden wir großzügig sein.«
»Tut mir Leid, Generalsekretär, aber dazu bin ich nicht befugt.«
»Ich werde diesen Planeten nicht eher verlassen, bis die Besatzung der LU-TANG freigelassen wird und sich unversehrt in meiner Obhut befindet.«
»Das heißt, Sie planen einen längeren Aufenthalt hier?«, gab sich der Zaliter unbeeindruckt.
»Im Übrigen gedenke ich eine Friedenstruppe auf Lingus zu stationieren«, fuhr Sam unbeirrt fort, »die den Linguiden hilft, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden und die Zivilbevölkerung vor willkürlichen Übergriffen des arkonidischen Militärs schützt.«
Toran Ebur lachte nur über Sams Worte. »Das ist ja lächerlich. Darf ich Sie erinnern, dass Sie sich hier auf arkonidischen Hoheitsgebiet befinden und somit auch nichts zu sagen haben? Wir haben jetzt die alleinige Kontrolle über Lingus.«
Sam sah den Zaliter grimmig an. »Und darf ich Sie daran erinnern, dass Ihre Regierung die Paxus-Agenda mit unterzeichnet hat? Laut dieser Agenda bin ich, der Generalsekretär des Paxus-Rates von Cartwheel, ranghöchster und mächtigster Repräsentant dieser Galaxis und somit sehr wohl befugt, Ihnen Befehle zu erteilen. Und mein Befehl lautet: Lassen Sie die Besatzung der LU-TANG frei!«
Die letzten Worte gerieten Sam lauter, als er beabsichtigt hatte.
Doch Toran Ebur ließ sich nicht aus der Reserve locken.
»Das können wir später noch besprechen. Das Essen wartet. Ich schlage vor, dass wir jetzt nach Lingorstadt zurückkehren«, entgegnete der Zaliter kalt lächelnd und ließ Sam stehen, um zu seinem Gleiter zu gehen.
Sam kochte vor Wut. So ein arrogantes Wesen war ihm noch nicht begegnet. Er wandte sich an Andrews, der die ganze Zeit geschwiegen hatte.
»Andrews?«
»Ja, Sir?«
»Sie hatten Recht. Toran Ebur ist ein Mistkerl.«
Im Eilflug hatte Leticrons Schiff, die PARICZA, Bostich erreicht. Zuvor hatten Nor’Citel und Cauthon Despair sich mit dem Marquês von Siniestro besprochen, um sich seiner Unterstützung zu versichern. Dem alten Spanier war die ganze Sache unangenehm und er hatte einen Friedensplan ausgearbeitet mit dem Jenmuhs umgestimmt werden sollte.
Dies zu erreichen, war die Aufgabe der beiden Söhne des Chaos. Sofort nach der Landung begaben sich der Überschwere und Despair in den Kristallpalast, wo sie zu Thek’Athor Keitar geführt wurden. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, forderten er und Cauthon Despair bei Uwahn Jenmuhs vorgelassen zu werden.
Zwar versuchte Keitar die beiden abzuwimmeln, doch er besaß nicht das Format, um sich gegen die Söhne des Chaos durchzusetzen. So suchte Keitar in Begleitung der beiden unerwarteten Besucher seinen verehrten Gos’Shekur in dessen Privatgemächern auf.
Uwahn Jenmuhs vergnügte sich dort wieder einmal mit der Zechonin Anica. Der fette Arkonide war nur mit seiner überdimensionalen Unterwäsche bekleidet und führte Anica an einer Hundeleine durch das Zimmer, wobei die Zechonin dabei laut bellte.
»Stören wir Sie bei irgendetwas?«, fragte Leticron sarkastisch.
Jenmuhs wurde bleich.
»Verschwinden Sie!«, befahl Cauthon Despair dem sichtlich nervösen Keitar.
»Jawohl, ich verschwinde. Ich habe nichts gesehen«, gab der Thek’Athor demütig zurück und verließ hastigen Schrittes den Raum.
»Die Sklavin soll auch gehen. Wir haben Wichtiges zu besprechen!«, forderte Leticron.
»Welche Sklavin?«, fragte Anica naiv.
Jenmuhs wurde wütend. Doch er wagte es nicht, seine Wut an Despair und Leticron abzureagieren. Darum hielt er sich an die Zechonin.
»Du natürlich, du dumme Kröte. Hau ab!«, schrie er und versetzte Anica einen Tritt in den Unterleib.
Weinend schlich sich die junge Frau davon.
»Wie können Sie es wagen, hier einfach so einzudringen?«, regte sich Jenmuhs auf.
»Wie können Sie es wagen, einfach auf Lingus einzumarschieren ohne uns darüber zu informieren!«, schrie Leticron den Arkoniden an, der sichtlich zusammenzuckte. »MODROR gab Ihnen nicht den Befehl dazu und wir haben keinerlei Absprache bekommen.«
»Im Übrigen rate ich Ihnen, sich etwas anzuziehen«, meinte Cauthon Despair. »Ihr Aufzug ist mehr als lächerlich.«
Jenmuhs blickte an sich hinunter und stellte fest, dass er in der Tat eine lächerliche Figur machte. »Darf ich meine Diener herbeirufen, damit sie mir beim Anziehen helfen?«
»Nein«, lehnten Despair und Leticron ab.
Hastig bemühte Jenmuhs, sich anzuziehen, wobei er einige Male Probleme bekam und stolperte, da er es nicht gewohnt war sich selbst anzukleiden.
Leticron und Cauthon Despair blickten den fetten Arkoniden verächtlich an. In ihren Augen war er nicht würdig, zu ihnen zu gehören, doch er verfügte über eine mächtige Armee und war daher von großer Wichtigkeit für ihre Pläne. Doch sie waren nicht gewillt seine Eigenmächtigkeit durchgehen zu lassen.
Als Jenmuhs endlich fertig war, fragte er, schon wieder selbstbewusster: »Darf ich nun erfahren, was Ihr ungebührliches Eindringen zu bedeuten hat?«
Leticron ging drohend auf Jenmuhs zu. »Ihr hirnrissiger Angriff auf Lingus hat Cartwheel in eine Krise gestürzt und an den Rand eines galaktischen Krieges gebracht.«
»Unser Ziel ist es, die Ressourcen und Streitkräfte der Hauptmächte Cartwheels auf unsere Seite zu bringen«, warf Cauthon Despair Jenmuhs vor. »Durch einen Krieg würden sich Arkon und der Terra-Block gegenseitig so sehr schwächen, dass unsere Pläne dadurch vereitelt würden.«
»Aber davon kann doch gar keine Rede sein«, wiegelte der Arkonide ab. »Ich glaube nicht, dass der Marquês seinen Verbündeten angreifen wird …«
»Dem Marquês bleibt gar nichts anderes übrig, da er an Gesetze gebunden ist«, erklärte Despair. »Auch er kann sich über die Mehrheit nicht hinwegsetzen. Das ist nun einmal das Problem mit der Demokratie. Das Bündnis mit Lingus zwingt ihn dazu gegen Sie vorzugehen. Außerdem kann er ja schlecht sagen, dass er zu den Söhnen des Chaos gehört. Ein Krieg zwischen Terranern und Arkoniden muss unter allen Umständen verhindert werden.«
»Sollten MODRORs Pläne durch Ihre Dummheit scheitern, wird er sie schwer bestrafen«, drohte Leticron.
»Ihre Eigenmächtigkeiten haben eine rote Linie überschritten. Ich musste Nordment töten, damit er Ihre perversen Neigungen nicht der Öffentlichkeit preisgeben konnte. Und wenige Tage später greifen Sie einen Planeten an. Jenmuhs, Sie werden zu einem Risiko für MODROR.«
Der Gos’Shekur erschrak über die Worte Despairs. Das war eine Todesdrohung. Nun begriff er, dass er zu weit gegangen war.
Jenmuhs dachte nach, aber er kam zu keiner Lösung.
»Was soll ich denn jetzt machen? Etwa Lingus räumen?«, fragte er kleinlaut.
Despair nickte. »Genau das. Der Marquês hat einen Plan ausgearbeitet, mit dem Sie Ihr Gesicht wahren können.«
Der Mann mit der silbernen Rüstung holte ein Schriftstück hervor und überreichte es Jenmuhs. »Lesen Sie das. Dies ist die offizielle Verlautbarung, die noch heute bekannt gegeben wird.«
Misstrauisch nahm Jenmuhs das Schriftstück entgegen. »Und wenn ich mich weigere?«
»Dann wird MODROR sie töten«, sagte Despair so kalt, dass selbst der skrupellose Arkonide erschauerte.
Jenmuhs las sich das Dokument durch und stimmte dann schließlich zu. Er wusste, dass er keine Chance gegen die beiden Söhne des Chaos hatte.
Am frühen Abend wurde vom Kristallpalast aus eine offizielle Verlautbarung an die Medien weitergegeben. In ihr stand:
»Völker und Bewohner Cartwheels!
Der Marquês von Siniestro, Regierungschef des Terra-Blocks, und ich, Uwahn Jenmuhs, Kristallkönig von Arkon in Cartwheel sind zur Übereinkunft gekommen, dass die arkonidischen Truppen am 12. November 1298 NGZ um 0:00 Uhr Ortszeit den Planeten Lingus verlassen und den Linguiden Autarkie gewähren. Der Marquês konnte mich davon überzeugen, dass es keinen Konflikt zwischen Terra und Arkon geben darf, denn wir sind Brüder!
Brüderlich und in Frieden und Einklang wollen wir unseren weiteren Weg gemeinsam bestreiten. Ich entschuldige mich beim linguidischen Volk und sichere großzügige Zahlungen für den Neuaufbau zu.
Für den Frieden, Uwahn Jenmuhs, Kristallkönig.«
Die Verlautbarung des Kristallkönigs schlug wie eine Bombe auf den Planeten Cartwheels ein. Die Medien überschlugen sich mit Meldungen und Sondersendungen in denen Experten und solche, die sich dafür hielten, zu dem Thema befragt wurden. Natürlich hatte jeder eine andere Meinung und ein jeder hielt seine eigene für die einzig richtige.
Mit besonders großer Freude wurde die Nachricht auf Lingus aufgenommen. Die Linguiden veranstalteten spontane Freudenfeste auf den Straßen. Die Arkoniden ließen sie gewähren, da sie den Befehl zum sofortigen Abzug erhalten hatten.
Toran Ebur und Terz von Eskor erfuhren von Thek’Athor Keitar von der neuen Situation.
»Sie erhalten hiermit den Befehl vom Gos’ Shekur, unverzüglich mit dem Truppenabzug zu beginnen. Um 0:00 Uhr Ortszeit hat der letzte Soldat Lingus verlassen zu haben«, teilte dieser hochtrabend mit.
Terz von Eskor reagierte ungehalten. »Wie sollen wir das so kurzfristig schaffen? Dann müssten wir eine große Anzahl von Material hier zurück lassen!«
Keitar interessierte das nur wenig. »Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Der Befehl des Gos’Shekur ist unumstößlich. Ende.«
Keitars Hologramm verschwand. Zurück blieben zwei ratlose Mascants.
»Was für eine Blamage!«, regte sich Terz von Eskor auf. »Ich habe es kommen sehen. Erst führt er diese Situation herbei und dann kneift er!«
Toran Ebur nahm es gelassen. »Der Gos’Shekur wird seine Gründe haben. Seien wir froh, dass ein Krieg vermieden werden konnte. Wer weiß, wie viel wir dann verloren hätten. Das bisschen Material können wir verschmerzen. Veranlassen Sie den sofortigen Abzug. Je eher wir weg sind, desto besser.«
»Und was wird aus den Gefangenen?«, fragte der Mascant.
»Mitnehmen können wir sich nicht, also lassen wir sie frei«, entschied Ebur.
Bereits eine Stunde später verließen die arkonidischen Wachtposten und Kampfroboter das Internierungslager und überließen die Gefangenen sich selbst. Die Terraner und Linguiden feierten den Abzug der Invasoren ausgelassen.
*
Auch Nataly und Jonathan Andrews freuten sich.
»Verstehst du warum die auf einmal aufgeben?«, wunderte sich Andrews. »Noch heute Mittag hat sich der Generalsekretär die Zähne an den Arkoniden ausgebissen.«
»Ich weiß nicht. Aber es ist geschehen und das auf friedliche Weise. Das ist wunderbar«, freute sich Nataly und umarmte Jonathan.
Nur einer freute sich nicht – Alcanar Benington. Missmutig ging er auf Andrews zu.
»Andrews! Benehmen Sie sich gefälligst! Wir sind hier nicht in Sodom und Gomorrha!«, blaffte er Jonathan an.
»Aber, Major …«
»Kein aber!«, unterbrach Benington ihn. »Lassen Sie sofort alle Kadetten zum Appell antreten!«
»Benington, lassen Sie das!«, rief eine Stimme. Es war Oberst Goss.
»Aber, Sir! Wir müssen auf die Disziplin achten!«, verteidigte sich Major Benington.
»Das können wir auch morgen noch«, meinte Goss. »Diese Kadetten haben ihren ersten Einsatz mit Bravour bestanden. Lassen wir sie heute feiern, sie haben es sich verdient.«
»Ja, Sir«, gab Benington widerwillig nach.
*
Die arkonidische Armee bewies, dass sie pünktlich war. Um 0:00 Uhr verließen Raumtransporter den Planeten. Und wenige Minuten später befand sich kein Arkonide mehr auf Lingus. Es dauerte nicht lange, dann trafen terranische, saggittonische und dorgonische Sanitäts- und Versorgungsschiffe ein und begannen mit ihrer Arbeit. Der Wiederaufbau der beschädigten Städte konnte beginnen.
Eine Flotteneinheit unter dem Kommando von Flak Portland sicherte das Lingus-System für den Fall ab, dass es sich die Arkoniden anders überlegen sollten.
Joak Cascal war am Morgen mit der TAKVORIAN II auf Lingus gelandet um die Besatzung der LU-TANG abzuholen, die noch immer in dem Internierungslager auf ihre Einschiffung wartete.
Oberst Goss hatte seine Kadetten in Reih und Glied antreten lassen, um den Terramarschall zu begrüßen. Auch die linguidischen Dorfbewohner hatten, unter der Führung von Topar eine Abordnung entsandt.
Cascal wurde von Goss begrüßt, der salutierte.
»Sir, es ist eine große Ehre für uns, Sie hier begrüßen zu dürfen.«
Cascal winkte ab. »Ja, ja, nun mal nicht so förmlich. Wie ich sehe, haben Sie und ihre Kadetten sich ganz wacker geschlagen.«
»Sir, darf ich etwas sagen?«, fragte Major Benington.
»Ja bitte, Major.«
»Die Leutnants Andrews und Scorbit haben sich unvorschriftsmäßig verhalten. Ohne sie wären wir nicht in diese prekäre Situation gekommen. Sie sind schuld an der Beschädigung der LU-TANG.«
»Das stimmt nicht, Herr Marschall«, meldete sich Topar zu Wort. »Ohne Jonathan Andrews und Remus Scorbit wären wir wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Wir haben ihrer Courage viel zu verdanken.«
»Ich schließe mich der Meinung des hoch geschätzten Topar an, Sir«, sagte Oberst Goss.
Cascal nickte. »Ich bin derselben Ansicht. Wir brauchen Männer, die Zivilcourage zeigen. Sicher sind Vorschriften wichtig, doch es gibt Situationen, in denen Menschlichkeit einfach wichtiger ist. Wir dürfen uns nicht zu dogmatischen Vorschriftfanatikern machen lassen, sondern müssen der Situation angepasst handeln. Da Andrews und Scorbit dies getan haben, werde ich sie für eine Beförderung zum Oberleutnant vorschlagen.«
Benington wurde bleich vor Wut. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzuschreien. Immer wieder kamen ihm diese beiden Widerlinge in die Quere. Am liebsten hätte er aufbegehrt, doch er hielt sich zurück, da er nicht unangenehm auffallen wollte. Schließlich war er vor kurzem erst degradiert worden. Daher schwieg er lieber. Doch eines Tages würde er sich an Andrew und Scorbit rächen. Und wenn es das letzte war, was er tun sollte.
Kurz danach begutachteten Cascal und Oberst Goss die Schäden an der LU-TANG.
»Wie mir die Techniker berichteten, wird es einige Zeit brauchen, bis das Schiff wieder voll einsatzbereit ist«, sagte Goss zu dem Terramarschall.
»Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Das wird schon wieder. Bis die LU-TANG wieder flugtauglich ist, bekommen Sie und Ihre Crew erst einmal Urlaub. Den haben Sie sich nach der Aufregung redlich verdient.«
»Danke, Sir«, freute sich der Oberst.
Er war stolz auf seine junge Crew. Sie hatte sich doch recht gut geschlagen, als es auf darauf ankam.
Bevor es an die Schäden der LU-TANG ging, wurde mit den Reparaturarbeiten in Topars Dorf begonnen, welches durch die arkonidische Invasion in Mitleidenschaft gezogen worden war. Cascal hatte mehrere Einheiten von Baurobotern abstellen lassen, die sich um den Wiederaufbau der linguidischen Ortschaft kümmerten.
Generalsekretär Sruel Allok Mok, der seine diplomatische Mission auf Lingus abgeschlossen hatte, ließ es sich nicht nehmen, sich persönlich von dem Fortschritt der Instandsetzungsarbeiten zu überzeugen und sich nach dem Befinden der Dorfbewohner und der LU-TANG Besatzung zu erkundigen.
Topar begrüßte ihn freundlich. »Verehrter Generalsekretär, wir danken Ihnen und dem Paxus-Rat für ihre Hilfe, ohne die wir es nicht geschafft hätten.«
Sam winkte ab. »Wir haben nur unsere Pflicht getan. Politiker müssen für das Volk da sein, nicht umgekehrt. Leider vergessen das einige meiner Kollegen manchmal. Der Paxus-Rat wird jedoch auch in Zukunft über die Sicherheit von Lingus wachen«, versprach der Somer, der jedoch nicht ahnen konnte, dass die Verräter mitten im Paxus-Rat saßen.
»Zum Dank für Ihre Hilfe möchten wir Sie und Ihre Mitarbeiter zu einem Fest einladen«, bot Topar an.
»Wir nehmen dankend an«, entgegnete Sam, der sich freute, dass ein einfacher Mann aus dem Volke diese Worte gesprochen hatte und nicht irgendein abgestumpfter Politiker.
So verbrachten Sam, Cascal und die Besatzung der Lingus einen fröhlichen Abend in dem linguidischen Dorf.
Am nächsten Morgen brachen Sam und Cascal in Begleitung der beiden Jargons, Rosan Orbanashol, Orlando de la Siniestro, Lester Slone und der Besatzung der LU-TANG mit der TAKVORIAN II in Richtung Mankind auf. Alle waren froh, dieses Abenteuer unbeschadet überstanden zu haben. Keiner ahnte, dass dies erst der Anfang des Unheils sein sollte.
Der Sieger der ganzen Aktion war der Marquês, der auf Mankind und Paxus wie ein Held gefeiert wurde. Seine Tochter Stephanie sorgte mit ihrem Public-Relation-Können dafür, dass ihrem Vater der Erfolg an dem Friedensplan zugeschrieben wurde. Sie hob hervor, dass ihr Vater auch der Vater der Menschheit war und dass er es war, der es geschafft hatte, die Arkoniden zu besänftigen und ihnen einen brüderlichen Frieden anzubieten.
Dies tat seine Wirkung. Die Popularität des Marquês stieg in ganz Cartwheel noch einmal. Die Masse war begeistert von dem alten Spanier und selbst die oft gehässige Opposition verstummte, da ihr die Argumente ausgingen. Die Flotte war siegreich zurückgekehrt ohne dass auch nur ein einziger Schuss gefallen war. Für Don Philippe verlief alles nach Plan.
Nur Uwahn Jenmuhs war unzufrieden, da seine Träume von einer schnellen Erweiterung seines Imperiums vorerst geplatzt waren. Offiziell ließ er sein Vorgehen natürlich als Erfolg darstellen, sodass bei der ganzen Angelegenheit nur Sieger gab, wie so oft in der Politik. Wenn man es verstand, dem Volk auch den größten Mist als Erfolg zu verkaufen, war man ein erfolgreicher Politiker. Und Jenmuhs war davon überzeugt, ein großartiger Politiker zu sein. Seine Stunde würde noch schlagen.
Allmählich zog der Alltag wieder in der Galaxis Cartwheel ein, so auch für die Protagonisten von Lingus, auf die neue Aufgaben warteten. Lester Slone wurde als Botschafter nach Bostich geschickt. Begleitet wurde er dabei von Henry »Flak« Portland und dessen Frau Rhonda. Portland sollte als Militärattaché eingesetzt werden und die Beziehungen zwischen den beiden Streitmächten wieder auflockern.
Jaaron und Nataly Jargon kehrten wieder nach Paxus in ihre Villa zurück. Jaaron hatte als Chronist einiges an Neuigkeiten nieder zu schreiben, sodass auf die beiden eine Menge Arbeit wartete. Nataly blieb jedoch in regem Kontakt mit Jonathan Andrews, der zusammen mit Remus Scorbit die von Joak Cascal versprochene Beförderung zum Oberleutnant erhielt. Beide erhielten die Leitung über ein Geschwader mit neuen AIRBLADERN.
*
Die Bestien erwachen
Leticron und Cauthon Despair waren zufrieden. Die Söhne des Chaos hatten ihr Ziel erreicht und einen Krieg zwischen dem Terrablock und dem Arkonblock verhindert. Nun konnten sie ungestört ihre eigenen Pläne in die Tat umsetzen.
Die beiden befanden sich noch auf Leticrons Schiff, der PAYLACZER. Der Anführer der Überschweren stellte Kontakt zum Anführer der Pelewon, Torsor, her. Das Hologramm des gewaltigen Wesens erschien in der Mitte der Kommandozentrale.
»Sie haben mich gerufen? Was kann ich für Sie tun?«, wollte Torsor wissen.
Cauthon Despair trat einen Schritt vor und ergriff das Wort.
»Der nächste Schritt unseres Planes kann beginnen.«
Despair machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort:
»Lassen Sie Ihre Bestien zuschlagen.«
*
Abschied
Eine Weltraumbeerdigung war im 13. Jahrhundert NGZ durchaus gängig, doch Rosan Orbanashol wollte das nicht. Sie wusste nicht, ob Wyll darauf bestanden hätte. Sie hatten es vermieden, über den Tod zu reden, obwohl sie so oft in Abenteuern verstrickt gewesen waren.
So nahm Rosan leise Abschied von ihrem Wyll. Sein Körper ruhte nun auf einem Friedhof auf Paxus. Der Grabstein war schlicht und schön. Hier konnte Rosan zurückkehren, um mit ihrem Wyll zu sprechen. Der Tod ihres Mannes war noch immer unfassbar für sie. Dreizehn Jahre lang hatte sie ihn gekannt und geliebt. Trotz einer kurzen Trennungsphase hatte sie ihn immer geliebt. Nun war Wyll tot.
Mit Tränen in den Augen dachte Rosan an ihre erste Begegnung auf der LONDON vor dreizehn Jahren. Wyll hatte ihr Selbstvertrauen gegeben, sie aus der Agonie herausgerissen, ein arkonidisches Püppchen zu sein. Was sollte sie ohne ihn nur tun?
Sie legte die Blumen auf das Grab und flüsterte den wehmütigen Abschied auf arkonidisch.
»Famal Gosner, geliebter Wyll.«
ENDE
Die Linguskrise wurde beendet, doch keiner ahnt, dass der Bund der Vier ein Zusammenschluss der Söhne des Chaos und ihrer Verbündeten ist. MODROR kontrolliert bereits zu großen Teilen Cartwheel, ohne dass jemand davon weiß.
Im nächsten Roman wechselt die Handlung in die Milchstraße. Die Archäologin Denise Joorn ist einem uralten Geheimnis auf der Spur. »Durch die Wüste« ist der Titel von Band 48 – dem Auftakt des OSIRIS-Zyklus, geschrieben von Nils Hirseland.
Sun Tzu oder Die Kunst des Krieges
Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten ... Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.
Über zweieinhalb Jahrtausende waren die Schriften des chinesischen Philosophen und Generals Sun Tzu in unseren Breiten nahezu unbekannt, doch seit ein paar Jahren schießen Interpretationen seines Traktats über die »Kunst des Krieges« wie Pilze aus dem Boden – ob für Anleger oder Führungskräfte, Sun Tzus Thesen werden als das neue »Wundermittel« angepriesen.
Diese Meinung vertritt anscheinend auch der Herausgeber der Neu-Übersetzung, James Clavell, denn in seinen Augen sind die altchinesischen Einsichten »für unser Überleben äußerst wichtig« und sie »können uns den Schutz geben, den wir brauchen, damit unsere Kinder in Frieden und Wohlstand aufwachsen«.
Von diesen übertriebenen Vorstellung sollte man jedoch Abstand nehmen und das Werk einfach als das sehen, was es ist: eine Art strategischer Leitfaden, der in dreizehn Kapiteln darlegt, welche Wege im Krieg zum Sieg führen – oder aber in die sichere Niederlage. Sun Tzu gibt nicht nur Ratschläge zur Führung von Soldaten und zum Erkennen der feindlichen Absichten, sondern er erklärt beispielsweise auch die Bedeutung von Spionen und beschreibt deren effektiven Einsatz. Sun Tzus Philosophie liegt beispielsweise darin, dass ein Sieg ohne Kampf das höchste Ziel sei (wenn auch aus recht pragmatischen Gründen). Falls jedoch eine Schlacht unvermeidlich ist, liegt die größte Tugend in der Schnelligkeit: »Zwar haben wir von dummer Hast im Kriege gehört, doch Klugheit wurde noch nie mit langen Verzögerungen in Verbindung gebracht.«
Dieser schon hier anklingende moderne Charakter wird auch in folgender These deutlich: Man solle den Befehl seines Herrschers verweigern, falls dieser in den sicheren Untergang führt – eine heute noch bemerkenswerte Aussage, die vor fünfundzwanzig Jahrhunderten wahrscheinlich noch viel revolutionärer war. All diese taktischen und strategischen Ratschläge werden durch etliche Anekdoten aus der chinesischen Geschichte verdeutlicht und variiert, was eine echte Bereicherung darstellt. Doch Vorsicht: Das Befolgen des Leitfadens kann auch sehr wohl nach hinten losgehen, falls dem Gegner die eigene Strategie bekannt ist. Man darf natürlich keine strategische Offenbarung erwarten, aber vielleicht kann man die Thesen ja als Basis für eigene Denkansätze benutzen ...
Die Theorien des Sun Tzu lassen sich in nahezu alle Lebenslagen übertragen, in denen man mit anderen Menschen und deren Reaktionen auf sein eigenes Verhalten zu tun hat. Sei es beruflich als Führungskraft, im privaten oder auch zwischenmenschlichen Bereich.
Björn Habben
Geboren: 1201 NGZ
Geburtsort: Milchstraße
Größe: 1,82 m
Gewicht: 74 kg
Augenfarbe: blau
Haarfarbe: grau
Bemerkungen: Schlank, wirkt älter, freundliches Wesen.
Topar Jargon ist der jüngere Bruder von Jaaron. Er wuchs auf der Hauptwelt der Linguiden auf, heiratete und bekam Kinder. Als Bauer führte er ein völlig ruhiges Leben. Zusammen mit seiner Siedlung folgten sie dem Ruf DORGONS und gründeten eine neue Siedlung auf Lingus.
Geboren: 09.09.1254 NGZ
Geburtsort: Tarate, LFT
Größe: 1,81 Meter
Gewicht: 76,5 kg
Augenfarbe: grau
Haarfarbe: braun
Bemerkungen: Schlank, sportlich, sehr streng und hart, auf seinen Vorteil bedacht, will die Dinge für sich mit allen Mitteln zum Ziel bringen.
Alcanar Benington wuchs als Sohn armer Bauern auf der Welt Tarate auf. Er musste sich in seinem Leben stets hocharbeiten. Ihm wurde nichts geschenkt. Deshalb verbiss er sich in seine Aufgabe und wurde mit der Zeit skrupellos. Er legte eine glänzende militärische Karriere hin und wurde auf seine Bitte hin nach Cartwheel versetzt, wo er mehr Möglichkeiten für sich sah.
So wurde er als Offizier in der Ausbildung in der Elite-Akademie Redhorse Point eingesetzt. Seine Arroganz und sein Sadismus waren bei den Kadetten gefürchtet. So legte er sich auch mit Jonathan Andrews und Remus Scorbit an. Letztlich wurde Benington degradiert und seine Ausbilderkarriere war vorbei.
Dank des Einsatzes von Stephanie de la Siniestro bekam Benington jedoch eine zweite Chance beim Militär und so gehörte er während der Linguskrise zu den Ausbilderoffizieren.
Geboren: 25.07.1265 NGZ
Geburtsort: Zalit, Kristallimperium
Größe: 1,91 Meter
Gewicht: 101 kg
Augenfarbe: rot
Haarfarbe: dunkelblond
Beschreibung: Groß und sehr muskulös gebaut. Lange, wallende Haare, einen Dreitagebart, besitzt eine charismatische Ausstrahlung, kann sehr gewalttätig werden, ist dem Kristallimperium treu ergeben.
Toran Ebur wuchs auf Zalit als Sohn reicher Aristokraten auf. Ihm wurde alles gegeben, wonach er verlangte. Diese Eigenschaft setzte er auch in der Schule um. Doch da bekam er nicht alles, was er wollte. Natürlich nahm er es sich und entwickelte schon in frühester Jugend gewalttätige Eigenschaften. Jedoch wurde er oft von stärkeren verprügelt. So beschloss er zu trainieren und sich einen unglaublichen Körper anzueignen. Von nun an kam keiner mehr an ihn heran.
Die Macht von Toran wuchs, als er ins Militär ging und eine schillernde Laufbahn einlegte. Ebenfalls ging er in die Politik und schaffte es zum Keon’athor (Vizeadmiral) der zalitischen Heimatflotte. Das war sehr viel Ruhm für den jungen Zaliter. Bostich bekam davon etwas mit und ernannte den Zaliter zum Thek’athor (Flottenzentralkommandant) für die zalitische Flotte in Cartwheel sowie zum Kurii (Statthalter) von Zalit auf der Insel. Damit war der drittwichtigste Mann auf der Insel neben dem Ka’Gortis (Kriegsminister) Mascant Terz von Eskor und dem Gos’kurii, dem sog. Kristallkönig, Uwahn Jenmuhs.
Bereits während der Monos-Herrschaft in der galaktischen Eastside aufstrebendes, junges Intelligenzvolk, das rund 6050 Jahre v. Chr. aus der Vermischung arkonidischen und tefrodischen Erbguts entstanden ist. Ihre Heimatwelt ist Lingora, der 2. Planet der 89700 Lichtjahre vom Solsystem entfernten Sonne Teshaar in der galaktischen Eastside (Simban-Sektor). Im Jahr 1169 NGZ umfasst das junge Sternenreich bereits insgesamt 15 Sonnensysteme, die alle als Gegenleistung für geleistete Dienste der linguidischen Friedensstifter (s. u.) gewaltlos übernommen wurden.
Die Linguiden sind überaus menschenähnlich, haben in etwa auch die Größe und den Körperbau von Terranern. Sie sind jedoch in der Regel bronzehäutig und haben schwarzes Haar. Die Körperbehaarung ist stärker als bei Terranern. Selbst Hände, Füße und der gesamte Kopfbereich mit Hals sind fast wie von einem Pelz überzogen. Die Gesichter werden so rasiert, dass entweder nur die Augenpartie frei bleibt oder Mund oder Nase, manchmal auch alles zusammen. Das Haar wird überall geflochten und gefärbt.
Die Gesichter der Linguiden sind, unabhängig vom Lebensalter, asketisch. Die Haut ist zwar insgesamt glatt, doch um die tief in den Höhlen liegenden Augen und den eingefallenen, zahnlos wirkenden Mund zieht sich ein Geäst von Falten. In Verbindung mit der Redseligkeit und Fröhlichkeit der Linguiden machen sie den Eindruck von Lachfalten. Die Ohren sind groß und rund wie knorpellose Lappen. Ein Kinn ist fast nicht vorhanden, an den Schläfen verlaufen dicke, bläulich hervortretende Adern.
Die Linguiden sind Genies der Sprache und des Wortes. Sie erlernen jede Sprache innerhalb kürzester Zeit und sprechen sie akzentlos perfekt. Diese besondere Begabung ist jedoch damit noch nicht erschöpft. Die Fähigkeit, andere Wesen durch die Kraft des Wortes zu überzeugen, hat die Linguiden (bzw. die talentiertesten von ihnen) zu sogenannten Friedensstiftern gemacht. Sie können auf andere, aggressive Wesen einreden, bis diese ihre Kämpfe aufgeben und mit dem bisherigen Todfeind Frieden schließen. Friedensstifter entwickeln in der Regel schon als Kind die Gabe, das gesprochene Wort in Symbole umzusetzen, diese Symbole neu zu formieren und sie wieder in Worte mit besonderer Überzeugungskraft zu übersetzen. Diese Begabung der Linguiden hat allerdings überhaupt nichts mit Psi-Fähigkeiten zu tun.
Die Raumschiffe der Linguiden werden wegen ihrer charakteristischen Fischform von den anderen Galaktikern Delphin-Schiffe genannt. Die Grundform ist ihnen allen gleich, egal von welcher Größe sie sind und ob Transporter, Passagierraumer oder Planetenfähre. Die Hüllen sind immer quer gestreift lackiert, und zwar rot/schwarz bei den bis zu 700 m langen, bauchigen Transportern, gelb/schwarz bei den bis zu 200 m langen und schlankeren Personenraumern, und weiß/schwarz bei den bis zu 100m langen, sehr schlanken Planetenfähren. Als Antriebsprinzip benutzen die Linguiden seit ca. 1050 NGZ das Metagrav-Triebwerk, vorher Linearantrieb. Auch hinsichtlich Bewaffnung, Robotik und Syntronik usw. entspricht die linguidische Technik des 12. Jahrhunderts NGZ weitgehend dem galaktischen Standard. Ein bedeutsamer Unterschied liegt allerdings darin, dass die Linguiden keine Transmittertechnik verwenden. Der Grund dafür ist die Ansicht, dass bei der Transmitterbeförderung (wie auch bei Teleportationen durch Mutanten) das verloren geht, was die Linguiden als ihr Kima bezeichnen.
Mit diesem Begriff meinen sie das besondere Etwas, das ihre Sprachbegabung ausmacht, aber auch generell dasjenige, was den Menschen vom Tier unterscheidet – eine Art Seele. Zu Beginn ihrer Weltraumfahrt entdeckten die Linguiden das Prinzip des Transitionsantriebs, jedoch wirkten sich die Transitionssprünge durch den Hyperraum verheerend aus. Die Linguiden verwandelten sich, verloren ihr Kima und wurden wahnsinnig. Teilweise machten sie auch eine körperliche Metamorphose durch. Vor allem hochbegabte Linguiden zeigten sich am anfälligsten, wodurch das Volk viele seiner klügsten, redegewandtesten, weisesten Mitglieder verlor. Dasselbe geschah beim Experimentieren mit Transmitter, deren Benutzung aus hoch sensiblen Wesen nur noch Lallende Idioten übrig ließ. Diesmal waren alle Linguiden, die sich einem Transmitter anvertrauten, ohne Ausnahme betroffen.
Das Kima und seine Bedeutung für das Leben und die Entwicklung der Linguiden dokumentieren sich auch darin, dass zur Geburt eines Kindes für den neuen Linguiden ein kimaoder Lebensstrauch gepflanzt wird, der als Wertskala seines Lebenspartners gilt. Je kräftiger er blüht und je heftiger die Triebe schießen, desto ausgefüllter ist auch das Leben und sind die Fähigkeiten des heranwachsenden Linguiden. Stirbt der Lebensstrauch, dann beginnt auch der allmähliche Tod des Partners; er hat seinen Entwicklungshorizont überschritten, seine Fähigkeiten beginnen zu verkümmern. Friedensstifter verlieren ab etwa diesem Zeitpunkt ihre Gabe des Schlichtens, die Überzeugungskraft ihrer Worte schwindet.
Die normale Lebenserwartung der Linguiden liegt bei 50 Jahren. Ihre Gesellschaftsform ist die einer Art »strukturierten Anarchie«, ohne strenge Gesetzgebung und Macht habende Instanz. Es gibt also auch keine Zentralregierung in irgendeiner Form für das noch kleine Sternenreich der Linguiden, jeder Planet verwaltet sich selbst.
Im Jahr 1171 NGZ bewahrheitet sich, was sich für viele bereits andeutete. Die Superintelligenz ES vergibt 14 der von den Terranern zurückgeforderten Zellaktivatoren an 14 Friedensstifter. ES erklärt gleichzeitig, dass die Linguiden für ihn das neue favorisierte Volk seiner Mächtigkeitsballung sei, denn die Terraner hätten versagt. Die Namen der 14 neuen Zellaktivatorträger sind:
Kelamar Tesson (männlich), Mesta Saronove (weiblich), Farid a-Nesram (m), Jubaar Ulpit (m), Helon Quont (m), Cebu Jandavari (w), Narada Sonkar (w), Aramus Shaenor (m), Balasar Imkord (m), Dorina Vaccer (w) und Bransor Manella (m).
Die Friedensstifter erweisen sich jedoch als unfähig, die Bürde der Unsterblichkeit zu tragen. Sie beginnen größenwahnsinnig zu werden, paktieren mit den Überschweren und werden machthungrig. Sie verlieren die Kontrolle über sich und ihre Aufgabe. Nachdem ES seine geistige Umnachtung überwunden hat, nimmt er den Linguiden die Zellaktivatoren wieder ab und verleiht neuartige Zellaktivatorchips den alten Unsterblichen.
Nach diesem Ereignis sind die Linguiden schnell wieder von der galaktischen Bildfläche verschwunden und es scheint, dass die Gabe des Friedenstiftens den späteren Generationen verloren gegangen ist, da immer weniger Linguiden versuchen, Kriege unblutig zu lösen. Einige Völker sind auch der Ansicht, dass die Linguiden dies absichtlich machen, aus Wut über ihre Behandlung durch ES. Dies würde jedoch nicht in ihren friedlichen Geist passen. Das Volk bleibt weiter geheimnisvoll.
Björn Habben
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2015
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 47, veröffentlicht am 20.11.2015 —
Titelillustration: Heiko Popp • Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen Seel • Digitale Formate: Jürgen Seel