Band 41

Cartwheel-Zyklus

 

Der Xamouri

Der Lebensweg eines Sohnes des Chaos

 

Aki Alexandra Nofftz

 

Was bisher geschah

Im Jahre 1296 NGZ sind viele Völker dem Ruf der Entität DORGON gefolgt, um in der Galaxie Cartwheel an dem Inselprojekt teilzunehmen, um ein Bollwerk gegen MORDORs Heerscharen, angeführt von der Inkarnation Rodrom und den Söhnen des Chaos, aufzubauen, denn es scheint nur eine Ruhe vor dem Sturm eingekehrt zu sein.

Als die wichtigsten Vertreter des Rates von Paxus, der Regierung der Insel, auf dem Disco-Raumer BAMBUS einige stimmungsvolle Tage erleben wollen, greift Cau Thon, ein Sohn des Chaos, an. Doch der Zugriff misslingt, die BAMBUS und die Angreifer stranden auf einer fremden Welt. Es gelingt, Cau Thon zu überwältigen und in der Gefangenschaft erzählt er seine Geschichte, denn er ist

DER XAMOURI...

Hauptpersonen

Cau Thon – Ein junger Xamouri, der Zeuge des Unterganges seiner Rasse wird.

Gyrat – Er erhält einen kosmischen Auftrag.

Ansunara – Cau Thons Liebe seines Lebens.

Selvelin – Der Xamouri beeinflusst Cau Thons Leben stark.

Jadranka – Die Oberste Wirtschaftlerin begeht einen folgenschweren Fehler.

Endrass – Der Abgesandte der Kosmokraten zeigt keine Gnade.

Myron Reburs – Ein edler Ritter der Tiefe.

MODROR – Die Entität will den Xamouri.

 

 

 

 

Prolog

Der letzte Xamouri

Aurec und Gal'Arn betraten die Baracke. Aurec erschauerte unwillkürlich, als er daran dachte, welchem Wesen sie gleich gegenüber stehen würden. Es war ungeheuerlich, doch sie hatten es tatsächlich geschafft, ihn gefangen zu nehmen.

In einem Grab hatten sie ihn gestellt, kurz nachdem er Ferby Shyko und seine Begleiter aufs brutalste abgeschlachtet hatte. Bevor er auch den Rest der Gruppe töten konnte, die es in diese Gruft verschlagen hatte, waren Aurec, Gal'Arn und einige andere erschienen und konnten ihn überwältigen.

Nun war die haarlose Gestalt mit der roten Hautfarbe hier in einer Zelle inhaftiert. Aurec hoffte, aus ihm heraus zu bekommen, auf welchem Planeten sie mit der BAMBUS gestrandet waren und wer dieses schwarze Wesen war, das beinahe alle restlichen Überlebenden des Diskoschiff-Absturzes getötet hätte.

Sie kannten nur den Namen dieser trostlosen Welt: Xamour. Xamour war von Ruinen einer längst ausgestorbenen Kultur gepflastert. Wusste Cau Thon mehr darüber?

Mit Unbehagen näherte sich der Kanzler der Galaxis Saggittor der Zelle.

Das rote Wesen in ihrem Inneren bemerkte die Besucher sofort und fletschte die Zähne zu einem Grinsen, das keines war. Er hatte sich so in das Dunkle gestellt, dass er mehr zu erahnen als zu sehen war. Lediglich auf das Mal auf seiner Stirn, das wie drei terranische Sechsen aussah, fiel etwas Licht.

Joak Cascal hatte ihm erst kürzlich erläutert, dass es sich dabei um das Symbol des terranischen Teufels handelte. In der saggittonischen Mythologie gab es diese Gestalt zwar nicht, aber nach allem, was Aurec bisher erlebt hatte, konnte der Rote durchaus eine Inkarnation des Leibhaftigen sein.

»Ah, der Kanzler einer verbrannten Galaxis und der letzte Überlebende einer Gruppe von Möchtegern-Rittern der Tiefe kommen mich besuchen«, empfing der Rote sie voll triefenden Sarkasmus. »Vermutlich, um wieder eines dieser sinnlosen Verhöre zu führen.«

Aurec zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Er hoffe, dadurch seine Angst vor dem Handlanger der Wesenheit, die seine Galaxis auf dem Gewissen hatte, verbergen zu können.

»Cau Thon«, begann er. »Wir wissen beide, welche Schandtaten du auf dein Gewissen – falls du so etwas besitzen solltest – geladen hast. Nenne mir einen Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle töten sollte!«

Der Angesprochene grinste erneut, was in der düsteren Zelle ungemein diabolisch wirkte. »Ihr braucht mich noch, Aurec. Wer sonst soll euch davor bewahren, letztendlich doch von Evspor getötet zu werden?«

»So so«, meldete sich Gal'Arn zu Wort. »Und ausgerechnet du, Cau Thon, Handlanger MORDORs willst uns helfen? Als wenn wir dir diesen Blödsinn glauben würden. Am liebsten würdest du uns doch ebenso tot sehen.«

Cau Thon tat so, als hätte er die letzte Frage überhört. »Vielleicht sollte ich euch doch erzählen, auf welchem Boden ihr euch befindet...«

Aurec beugte sich gespannt vor, wurde dafür aber direkt mit einem stechenden Blick des Roten bedacht. Sofort zuckte er wieder zurück.

»Ihr wisst doch gar nichts über mich, diese Welt oder Evspor!«, begann Cau Thon nach einer quälend langen Pause. »Hört die Geschichte des Volkes der Xamouri, und erfahrt, wie brutal die Kosmokraten sein können...«

 

1. Die Vorzeit

Vor vielen Jahrmillionen war Cartwheel bereits eine Galaxis gewesen, die wie heute aus Sternen bestand, die ihr als Hauptreihensterne der Spektralklassen O bis F bezeichnet. Doch auf ihren Planeten gab es kein Leben. Selbst, als dann die Sporenschiffe kamen und auf den Welten von Seshonaar, der kleinen Begleitgalaxie von Cartwheel, und auf Xamour, wie diese Welt einmal früher hieß, Biophoren säten, blieb die Insel öde.

Als sich dann auf den durch die Mächtigen besuchten Planeten Leben entwickelte, kamen diese zurück und brachten auf jene Welten durch die Noon-Sporen den Keim des höher entwickelten Lebens. Jahrhunderttausende vergingen und auf Xamour zogen bereits die ersten Nomadenstämme durch die Steppen, als der Schwarm kam und die Intelligenz steigerte.

Auf Chepri, wie Cartwheel einst genannt wurde, keimte dann das Leben für einige wenige einhunderttausend Jahre. Sie wurde zum Brennpunkt zwischen dem Krieg von MODROR und DORGON. Kosmokraten und Chaotarchen, Superintelligenzen und negative Superintelligenzen waren involviert. Denn unweit von Chepri befand sich das Kosmonukleotid TRIICLE-3, auch UDJAT von den Bewohnern des heutigen Cartwheels genannt. Doch die Allianz gegen MODROR zerbrach und die Völker verließen die Galaxis. Die Kosmokraten suchten neue Bewacher des Kosmonukleotids und ihr Augenmerk fiel auf die Welt Xamour.

Erneut vergingen Tausende von Jahren, und auf Xamour, das von den Kosmokraten aufgrund seiner günstigen Lage bereits in ihre Planungen einbezogen war, entwickelten sich die Nomaden zu sesshaften Jägern und Sammlern, dann zu Bauern und Handwerkern...

*

Exabor schritt durch die Gänge der Philosophenschule. Er war so sehr in Gedanken, dass er beinahe gegen das Tor gestoßen wäre, das den Eingangsbereich der Schule bildete.

Die Philosophenschule war eines der ältesten Bauwerke auf der Welt Xamour. Seit die Xamouri vor nunmehr 15.000 Jahren ihr Nomadendasein beendet und sesshaft geworden waren, hatten sie sich vermehrt dem Studium der Geisteswissenschaften hingegeben.

Exabors Blick schweifte über den uralten Bogen, der die Tür zur Decke hin abschloss. Vor unzähligen Jahren hatte ein großer Denker den Spruch »Auch diese Worte vergehen« in den Bogen meißeln lassen. Sein Name war längst vergessen, doch sein Zitat begrüßte seitdem jeden Besucher der Philosophenschule. Unzählige Gelehrte hatten bereits ihr gesamtes Leben genau diesem einen Satz gewidmet und diskutiert, und doch übertraf er in seiner Klarheit und Kürze alles, was die Philosophenschule seitdem hervor gebracht hatte.

Exabor wollte gerade seinen Rundgang fortsetzen, da fiel ihm ein Objekt am Nachmittagshimmel auf. Neugierig kniff er die Augen zusammen und deckte die Sonne Xamour mit der Hand ab, um es besser sehen zu können. Das Objekt glitzerte metallisch und bewegte sich langsam auf die Philosophenschule zu. Exabor war sofort klar, dass es sich dabei um ein Raumschiff handeln musste.

Die Frage, ob es Leben außerhalb des Xamour-Systems gab, war vor einigen Jahrzehntausenden ein heißes Thema in der gesellschaftlichen Diskussion gewesen. Sehr früh schon hatte man entdeckt, dass sich ein bestimmter diffuser blauer Fleck am Nachthimmel in unzählige kleine Pünktchen auflöste, wenn man ihn mit einem Fernrohr betrachtete. Die Vermutung, dass es sich dabei um Sonnen wie Xamour handelte, war lange Zeit verspottet wurden, wurde aber schließlich akzeptiert, als man eine weitere Sterneninsel entdeckte.

Der Sterne am Nachthimmel von Xamour waren extrem dünn gesät, und so konnte man noch lediglich einen dritten Leuchtpunkt am Himmel als Struktur auflösen – die restlichen paar Punkte blieben einfach Punkte. Die dritte Himmelsstruktur erwies sich allerdings nicht als Sterneninsel, sondern konnte trotz aller Bemühungen nur als amorphes Etwas wahrgenommen werden, dass von einem ständigen undefinierbaren Glitzern umgeben war. Aus den Beobachtungen schloss man, dass man sich außerhalb von Sterneninseln befand, wie sie die »blaue Insel« und die »neue Insel« darstellten. Das dritte Objekt musste sich wohl in unmittelbarer Nähe von Xamour befinden, weil es ständig seine Position gegenüber den beiden Inseln änderte, die dagegen starr am Himmel standen.

Mit der Entdeckung anderer Sonnen kam schnell auch die Frage auf, ob diese ebenfalls Planeten und vielleicht sogar Leben besaßen, doch nach einigen Jahrhunderten der Diskussion wurde dieses Thema schließlich verworfen, da man keine Veranlassung sah, wie man diese Planeten besuchen sollte. Außerdem war auch strittig, welche neuen philosophischen Erkenntnisse sich daraus ergeben sollten, denn man wollte den xamourischen Geist erforschen – und nicht irgend einen anderen!

Nun war aber dieses Objekt aufgetaucht. Exabor hätte jetzt eigentlich das Thema, ob es außerxamourisches Leben gab, abhaken und seine Studien fortsetzen können, doch die Neugier war stärker.

Er rannte, so schnell er konnte, auf das Dach der Schule. Unterwegs rief er jedem Kollegen seine ungeheuerliche Entdeckung zu. So kam es, dass fast alle Philosophen auf dem Dach des Jahrzehntausende alten Gemäuers versammelt waren, als das Raumschiff die Hauptstadt erreichte.

Fasziniert beobachtete Exabor, wie sich eine Klappe auf der Unterseite des künstlichen Objektes öffnete. Technik war auf Xamour schon lange kein Thema mehr. Nach unzähligen Kriegen und einer Umweltverschmutzung, die beinahe das Leben auf Xamour ausgelöscht hätte, war man wachgerüttelt worden und hatte Staatsgebilde und fast alle Arten von Technik verboten. Somit hatten sich die Xamouri hauptsächlich dem hingegeben, was auch ohne Technik zu erforschen war – dem xamourischen Geist.

Ein Raunen ging durch die Menge, als ein Stab aus der Öffnung ausgefahren wurde. Einer äußerte die Vermutung, dass es sich dabei um ein Observierungsgerät ähnlich der prähistorischen Sternenguckrohre handeln könnte, wurde aber sofort zum Schweigen gebracht.

Exabor war dies nur recht, er wollte wie die meisten seiner Kollegen jetzt nicht abgelenkt werden, sondern diesen unglaublichen Vorgang mit allen seinen Sinnen erfassen. Alle Gedanken an seine Umgebung waren ausgeschaltet, als er ein Glühen an der Spitze des Stabes entdeckte. Das Glühen wurde urplötzlich so hell, dass es Exabors Augenlicht auslöschte. Der erste Zweifelsgedanke wollte sich regen, doch nur Sekundenbruchteile nach dem Blitz wurde Exabors Existenz ausgelöscht.

Das Raumschiff hingegen beschoss nach der Vernichtung der Philosophenschule noch wahllos einige andere Gebäude der Stadt und verkündete dann mit unüberhörbarer Lautstärke in der Sprache der Xamouri:

»Wir, die Rachbart, haben eure lächerliche Kultur soeben unserem Imperium einverleibt. Unterwerft euch oder stirbt!«

Die Jahrzehntausende der Kriege begannen.

 

2. Der kosmische Auftrag

Gyrat genoss den Triumphzug durch die Hauptstadt Xemoru.

Seit der Vernichtung der Philosophenschule hatten die überlebenden Xamouri mit ungeheuerlicher Anstrengung in nur wenigen Jahrhunderten den Rückstand in der technischen Entwicklung gegenüber den anderen Völkern aufgeholt und sich schließlich an den Besatzern gerächt. Als die Rachbart ausgelöscht waren, zogen die xamourischen Kriegsflotten weiter durch die neue Insel, die mittlerweile Seshonaar genannt wurde, und eroberten jede weitere bewohnte Welt, die sie fanden. Auch zur blauen Insel sandten sie ihre Truppen, stießen dort jedoch auf kein hoch entwickeltes Leben.

Im Gegensatz zu den Rachbart gingen sie dabei allerdings nicht so rücksichtslos vor, sondern sorgen lediglich dafür, dass die Bewohner sich gegen die übermächtigen Xamouri zusammenschlossen und ersetzten dann die Oberhäupter der Welt durch Strohmänner. Im Laufe der Zeit wurde durch spezielle Legenden und Erziehungsmaßnahmen, die Herrschaft als Schicksal aufgebaut und die Xamouri so als »Väter« der Zivilisationen dargestellt.

Gyrat schließlich war es vergönnt gewesen, die letzte Welt dem Xamourstaat anzugliedern. Der Jubel bei seiner Rückkehr war unbeschreiblich. Endlich hatte man Gewissheit auf Frieden, und gleichzeitig erreicht, dass alle anderen Völker der Umgebung ebenfalls dran teilhaben konnten.

Nur ein Objekt entzog sich von Anfang an dem Zugriff der Xamouri. Lediglich drei Lichtjahre vom Heimatsystem der Xamouri entfernt befand sich eine ziemlich genau ein Lichtjahr durchmessende Leuchterscheinung, die in kein bekanntes Schema passte. Xamouri, die sich in ihre Nähe gewagt hatten, berichteten von Erscheinungen und Halluzinationen. Wer noch näher heran geflogen war, war niemals wieder zurückgekehrt.

Gyrat wollte nun, nachdem ihre Umgebung befriedet worden war, auch diesen letzten Widerstand brechen – notfalls mit Gewalt!

So kommandierte er die gesamte xamourische Flotte an das Objekt und ließ es – zunächst sanft, dann jedoch mit zunehmender Energie – mit allen Waffensystemen beschießen, die den Xamouri bekannt waren. Aber er erreichte damit gar nichts, bis plötzlich einige Raumer ohne ersichtlichen Grund ins Trudeln gerieten und sich bei Kollisionen teilweise sogar gegenseitig vernichteten.

Sofort stoppte Gyrat das Feuer und erkundigte sich bei den betroffenen Raumern, erhielt jedoch nur als Antwort, dass die Technik ausgefallen, plötzlich keine Schwerkraft mehr vorhanden gewesen wäre oder ähnliche Hirngespinste. Die abenteuerlichste Erklärung war sogar, dass eine gegnerische Armada aufgetaucht, und die restliche Flotte vernichtet hätte, so dass dem betroffenen Schiff nur die sofortige Flucht blieb.

Der xamourische Anführer überlegte gerade, ob und wie er die Schiffsbesatzungen maßregeln sollte, da gab es plötzlich Vollalarm in der gesamten Flotte. Sofort rief er den Ortungsstand.

»Was ist passiert? Schon wieder Halluzinationen?«

»Ein gigantisches Objekt ist aufgetaucht, Kommandant«, berichtete der Ortungschef, dessen Haut vor Aufregung bereits eine Orangefärbung bekommen hatte. »Es handelt sich um eine fünfeckige Plattform mit turmartigen Aufbauten. Das Objekt ist...«

»Was ist mit dem Objekt?«, fuhr Gyrat dazwischen, als der Ortungschef nicht weitersprach.

»Es ist gigantisch groß. Ein Fünfeck mit 33 Kilometern Kantenlänge und zehn Kilometern Dicke. Und es wird von einigen anderen Schiffen unbekannter Herkunft begleitet.«

»Das ist wieder eine dieser Täuschungen«, winkte Gyrat ab. »Überprüfe den Orter! Was sagen die anderen Schiffe?«

»Äh... dasselbe.«

Jetzt wurde Gyrat hellhörig. »Gib mir ein Holo!«

Das Objekt war in der Tat gigantisch. Es wirkte wie eine fliegende Stadt ungeheuren Ausmaßes. Die begleitenden Schiffe waren deutlich kleiner. Sie waren keilförmig und existierten in den unterschiedlichsten Größen, wobei keines auch nur annähernd die Größe der Stadt erreichte. Nur ein Schiff viel völlig aus dem Rahmen. Es war nur knapp hundert Meter lang, geradezu ein Winzling zwischen den Giganten. Das Schiff war eine achtzig Meter lange und zwanzig Meter durchmessende Walze, in dessen Mitte eine Plattform ruhte, die von einer Kuppel überspannt war. Auf der Plattform befand sich lediglich ein Stuhl, in dem ein einzelnes Wesen saß, sonst war nichts zu erkennen.

Gyrat wurde von diesem Wesen sofort in den Bann geschlagen. Er wusste nicht, woher, aber ihm war sofort klar, dass dieses Wesen der Anführer aller anderen Schiffe war.

»Kommandant«, unterbrach die Stimme des Funkers Gyrats Gedanken. »Wir haben einen Funkspruch von dem walzenförmigen Schiff aufgefangen. Die Fremden verlangen, unseren Anführer zu sprechen, ansonsten...«

Der Funker ließ den Rest offen, und Gyrat war ihm dankbar dafür.

Mit einem mulmigen Gefühl näherte sich Gyrat der Walze. Der Fremde, der sich Sipustov nannte, hatte darauf bestanden, Gyrat persönlich auf seinem Schiff zu empfangen. Er hatte sich auf keine Diskussion eingelassen und ebenfalls verfügt, dass Gyrat allein zu kommen hatte.

Mittlerweile war der oberste Xamouri nur noch einige hundert Meter von der Kuppel entfernt und überlegte, wo er denn nun sein Beiboot parken und an Bord kommen sollte. Das Schiff wies nicht die geringsten Anzeichen für eine Andockvorrichtung, ja nicht einmal für eine Schleuse auf. Es schien fast so, als wäre die Kuppel der einzige Ort, an dem sich ein Wesen an Bord dieses Schiffes aufhalten könnte. Die Kuppel war allerdings ebenso massiv...

Lass' dein Schiff zurück und komme mit einem Raumanzug! Ich werde dafür sorgen, dass du die Kuppel betreten kannst.

Gyrat zuckte zusammen. War diese Stimme gerade aus dem Empfänger gekommen, oder war sie nur in seinem Kopf gewesen? In meinem Kopf? Gyrat erschauerte.

Sofort setzte er die Anweisung um. Ein Wesen, dass in seinem Kopf eindringen konnte, dem kostbarsten, dass die Xamouri seit den philosophischen Zeiten besaßen, war derart ungeheuerlich, dass dieses Wesen unendlich mächtig sein musste.

Du amüsierst mich, Gyrat!

Gyrat blieb fast das Herz stehen. Gedanken konnte der Fremde also auch lesen! Wie gut, dass er ihm sofort bedingungslos gehorcht hatte, auch wenn seine Berater was anderes vorgeschlagen hatten.

Er zwängte sich in einen Raumanzug und verließ sein Beiboot durch die Schleuse. Draußen stieß er sich kräftig von der Schleuse ab und schwebte langsam in Richtung des fremden Schiffes. Kurz bevor er die transparente Kuppel erreichte, wölbte sich ihm ein Teilabschnitt entgegen und nahm ihn auf. Überrascht stellte er fest, dass er nun innerhalb der Kuppel auf der Plattform stand.

Der Fremde erhob sich von seinem Sitz. »Willkommen, Gyrat.«

»Wer... ?«

»Ich bin Sipustov, ein Kosmokrat.«

»Hast du unsere Schiffe zerstört?«

Sipustov lachte. »Nein, das habt ihr euch selbst zuzuschreiben. Wisst ihr denn gar nicht, womit ihr es da zu tun habt?«

Der oberste Xamouri stemmte die Hände in die Hüften und fletschte die Zähne. »Es widersetzt sich den Xamouri und ist somit eine Bedrohung – alleine schon durch seine Nähe.«

Der Kosmokrat brach erneut in schallendes Gelächter aus. »Es war Absicht, dass ihr euch so nahe an TRIICLE-3 entwickelt habt!«

Gyrat wäre ihm für diese Aussage am liebsten an die Gurgel gegangen. Was maßte sich dieser »Kosmokrat« eigentlich an? Das klang ja fast so, als hätte er die Xamouri erschaffen.

Ich spüre Unglauben in dir, vernahm Gyrat die Stimme Sipustovs in seinem Kopf. Darum werde ich dir zeigen, wer wir wirklich sind...

In den folgenden Augenblicken tauchte Gyrat in eine neue Welt ein. Innerhalb von Momenten erfuhr er von Superintelligenzen, Materiequellen und -senken, die schließlich zu den Hohen Mächten des Kosmos, den Kosmokraten und Chaotarchen wurden. Gyrat verstand nun auch die Bedeutung des Kosmonukleotids TRIICLE-3, das sie bisher für eine Gefahr gehalten hatten. Er begriff, dass die Kosmonukleotide den Moralischen Code des Universums enthielten, und in Form einer höher dimensionalen Doppelhelix das gesamte Universum durchzogen und die Naturgesetze, sowie die Entwicklung des Kosmos steuerten.

Tief beeindruckt ließ sich Gyrat zurück sinken. Dass der Stuhl, in den er sich fallen ließ, vor wenigen Augenblicken noch nicht vorhanden war, nahm er bewusst nicht wahr.

»Das... das... das...«, stammelte er hilflos.

»Alle Xamouri haben soeben dasselbe gesehen wie du«, erklärte Sipustov. »Damit weiß dein gesamtes Volk über die bevorstehende Aufgabe Bescheid.«

»Aufgabe...?«

»Die Xamouri sind nicht zufällig auf dieser abgelegenen Welt außerhalb der Galaxien entstanden. Die Kosmokraten stehen für die Ordnung des Kosmos, wie er durch die Kosmonukleotide erzeugt wird. Dagegen wollen die Chaotarchen diese Ordnung zerstören und durch Sabotage der Kosmonukleotide das Universum ins Chaos stürzen. Die Xamouri bekommen von den Hohen Mächten die Aufgabe, TRIICLE-3 gegen alle Angriffe der Mächte des Chaos zu verteidigen.«

»Aber wir sind doch nur ein kleines Volk und die Kosmokraten so mächtig.«

»Sicherlich«, stimmte der Kosmokrat zu. »Aber wir befinden uns auf einer Ebene, die der euren weit überlegen ist. Daher können wir uns nicht um diese geringen – aber bedeutsamen – Details im Universum kümmern, sondern benötigen zuverlässige Hilfsvölker dafür. Um dir bei deiner Aufgabe zu helfen, liegen auf der Kosmischen Fabrik KYMBRIUM einige Werkzeuge parat.«

Sipustov klatschte in die Hände und völlig abrupt wechselte die Umgebung. Gyrat stellte fassungslos fest, dass sich das walzenförmige Schiff nun in einer gigantischen Stadt aufhielt. Anhand einiger Orientierungspunkte bemerkte er, dass dies das gigantische Raumschiff sein musste, das mit Sipustov zusammen aufgetaucht war.

Der Kosmokrat landete seine Walze auf einen Platz zwischen den Türmen und wurde dann mitsamt dem obersten Xamouri empor gehoben und auf dem golden schimmernden Platz zwischen den Türmen abgesetzt.

Sipustov wies auf ein kleines, golden schimmerndes Raumboot, das sich direkt neben der Walze befand. »Dieses Schiff stellen wir dir zur Verfügung. Es wurde mit einer Carithülle versehen und ist beinahe unbesiegbar. An Bord befindet sich auch die Ultimate Waffe der Erranten, die gegen die Mächte des Chaos recht wirkungsvoll sein sollte. Wir rechnen mit dem Angriff eines Chaotenders innerhalb der nächsten zehn bis zwanzigtausend Jahre, daher sei wachsam!«

Gyrat fing an zu lachen. »Zwanzigtausend Jahre... Das ist mehr als das Zweihundertfache der Lebensdauer eines gewöhnlichen Xamouri!«

Der Kosmokrat sah Gyrat scharf an. »Eines gewöhnlichen Xamouri, genau.«

Gyrat stockte abrupt. Was meinte der Kosmokrat? Er beobachtete, wie sich eine Luke in dem Schiff öffnete und ein Roboter heraus schwebte. Dieser führte ein eiförmiges Amulett mit sich, das an einer Halskette hing. Bevor sich Gyrat zur Wehr setzen konnte, hatte der Roboter ihm das Ei bereits übergestreift.

»Dies ist ein Zellaktivator«, erklärte Sipustov, allmählich ungeduldiger werdend. »Er wird deine Alterung verhindern und dich somit den Überblick über den Auftrag halten lassen. Sei aber vorsichtig, dass du ihn nicht verlierst, denn sonst wirst du binnen einiger Tage zu Staub zerfallen und deine Überreste könnten mit einem Tuch weggewischt werden.«

Sipustov grinste verstohlen. Der dicke Kosmokrat mit den weißen, wirren Haaren sah Gyrat erwartungsvoll an. Der Xamouri war sprachlos.

Sipustov erhob die Hand.

»Ich wünsche dir viel Glück für deine Aufgabe, mein neuer Freund und Mitstreiter der Ordnung.«

Kaum hatte der Kosmokrat zu ende gesprochen, verschwanden die kosmische Fabrik, die Walze und der Kosmokrat mitsamt dem merkwürdigen Roboter aus Gyrats Blickfeld. Als wäre all dies nie da gewesen, schwebte er unweit seines Beibootes mitten im Weltraum.

Er wollte die zurück liegenden Minuten gerade als Einbildung abtun und in sein Beiboot zurückkehren, da bemerkte er das golden schimmernde Schiff hinter sich. Neugierig schwebte er ihm entgegen und betrat das Boot durch die offene Luke.

Sofort vernahm er eine Stimme in seinem Kopf: Willkommen, Gyrat. Ich bin die Stimme des Bordcomputers der TRIICLE, die dir zur Hilfe bei der Verteidigung des gleichnamigen Kosmonukleotids dienen soll.

Gyrat schaltete sofort. »Gib mir eine Verbindung zur Flotte«, forderte er.

Verbindung steht!

»Ihr habt alle vernommen, was der Kosmokrat gesagt hat«, sprach Gyrat zu der Heimatflotte der Xamouri. »Ab dem heutigen historischen Tag haben die Xamouri eine kosmische Aufgabe zu erfüllen. Wir wollen ihr gerecht werden und TRIICLE-3 mit allem verteidigen, was uns zur Verfügung steht!«

*

Sechsundzwanzig Jahrtausende später hatten die Xamouri unter ihrem unsterblichen Herrscher bereits fünf Angriffe der Mächte des Chaos erfolgreich abgewehrt. Der hohe technische Stand der Xamouri ließ die meisten Hilfsvölker des Chaos wirkungslos scheitern, doch dann tauchte ein Objekt auf, das den Xamouri wie die Verkörperung ihrer schlimmsten Albträume erschien. Völlig schwarz, als wäre der Kosmos an dieser Stelle nicht existent, näherte es sich TRIICLE-3. Erst als es Tausende von Beibooten ausspie und diese einige Schiffe der Xamouri vernichteten, war man sich darüber klar, dass dies der gefürchtete Chaotender sein musste. Gyrat hatte sich daraufhin der Worte des Kosmokraten erinnert und die Ultimate Waffe aktiviert.

»Energiespeicher wird vorbereitet«, meldete der Computer daraufhin. »Bitte fliege zu TRIICLE-3.«

»TRIICLE-3?«, fragte Gyrat erbost. »Der Gegner ist genau in der anderen Richtung!«

Aber er bekam keine Antwort, und aus Verzweiflung setzte Gyrat schließlich die Forderung um. Hilflos musste er mit ansehen, wie die Beiboote zwar von den Xamouri aufgehalten und unter großen eigenen Verlusten zerstört werden konnten, doch der Chaotender schob sich erbarmungslos auf das Kosmonukleotid zu. Das schwarze Objekt schoss nicht oder griff auf irgendeine andere Art die Xamouri an, sondern es verschluckte die Schiffe einfach, als würden sie beim Erreichen der schwarzen Zone in eine Welt der Finsternis gesaugt werden.

»Was macht die Ultimate Waffe?«, herrschte Gyrat verzweifelt den Computer an. »Die Zeit eilt. TRIICLE-3 ist in großer Gefahr!«

Wieder verschwand eine ganze Staffel xamourischer Schiffe. Gyrat hieb wütend auf die Kontrollen, doch der Computer blieb stumm. Dann, als Gyrat schon gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte, meldete sich die gewohnte Stimme in seinem Kopf:

Der Ultimaten Waffe fehlt die nötige Energie, um die Messenger in TRIICLE-3 zu manipulieren.

»Was?«, stöhnte Gyrat auf. »Heißt das, der Chaotender hat gewonnen?«

Die Ultimate Waffe verändert das Verhältnis der wahrscheinlichen Welten im Kosmonukleotid und macht die Wünschenswerteste real. Der Chaotender ist aber nur zum Teil in diesem Kosmos, sodass die Manipulation zu aufwendig ist, als das sie mit Bordmitteln auszuführen wäre.

Gyrat überlegte fieberhaft. Wo sollten sie jetzt Energie her bekommen? Mit einem Blick auf die Holos stellt er fest, dass der Chaotender nunmehr nur noch einige Lichtsekunden von TRIICLE-3 entfernt war. Und er bewegte sich fast mit Lichtgeschwindigkeit...

»Zapfe die Sonne Xamour an!«, befahl er.

Diese befindet sich zu weit entfernt... Soeben wurde eine alternative sechsdimensionale Energiequelle geortet.

Gyrat atmete auf. »Ausführung!«

Bitte lege den Zellaktivator ab. Du könntest sonst bei der Anzapfung verletzt werden.

»Der Zellaktivator?« Gyrat starrte die Kommandokonsole an, als wäre sie ein Geist. »Hast du sie nicht mehr alle?«

Der Chaotender wird TRIICLE-3 in drei Sekunden erreichen. Der Mikrokosmos innerhalb des Zellaktivators ist das einzige Greifbare, das ein genügend hohes Energieniveau aufweist.

Instinktiv umgriff Gyrat das Ei. Was, wenn der ZA bei dem Versuch vernichtet wurde? Das wäre sein Todesurteil. Doch andererseits, wenn der Chaotender TRIICLE-3 erreichte und das gesamte Umfeld ins Chaos stürzte...

Der Chaotender befindet sich noch 300.000 Kilometer von TRIICLE-3 entfernt. Noch eine Sekunde!

Der oberste Xamouri riss sich den Aktivator vom Hals und warf ihn in Richtung Computer, dann warf er sich zu Boden und schloss die Augen.

Die Waffe hat versagt...!

Gyrat öffnete ein Auge. »Was? Aber... der Chaotender ist verschwunden!«

Richtig, aber durch die Manipulation wurde das gesamte Kosmogen erschüttert. Das hat dazu geführt, dass vor einigen Milliarden Jahren die Fixierung von TRIICLE-9 geschwächt wurde und das Kosmonukleotid gestohlen werden konnte. Die Ultimate Waffe war ein völliger Fehlschlag!

»Vor einigen Milliarden Jahren?« wiederholte Gyrat ungläubig. »Wie ist das möglich?«

Die Kosmonukleotide sind Teil einer höheren Struktur, und die Messengers bewegen sich auch in der Zeit. Mehr weiß ich auch nicht.

Gewohnheitsmäßig wollte Gyrat nach dem ZA greifen, doch seine Hand fuhr ins Leere. »Was ist mit TRIICLE-9? Wir müssen etwas unternehmen!«

Dadurch, dass dies bereits vor Jahrmilliarden geschah, wurden natürlich auch bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet. Diese betreffen dich allerdings nicht.

Gyrat schwirrte der Kopf. Selbst mit mittlerweile 26.000 Jahren gab es immer noch Dinge, die über seine Vorstellungskraft hinausgingen. Er ließ die noch erhobene Hand wieder sinken.

»Und was ist mit dem Zellaktivator?«, fragte er bangend.

Statt einer Antwort schwebte das lebensverlängernde Artefakt, von einem Servo getragen, auf Gyrat zu. Freudig nahm er das Objekt an sich, nur um den ZA dann direkt wieder fallen zu lassen, als hätte er sich verbrannt.

»Der... der Zellaktivator hat ein Loch!«

Bedauerlicherweise wurde der Aktivator durch den hohen Energieentzug überladen und explodierte. Daher auch die Bitte, ihn vorher abzulegen.

»Aber das ist mein Todesurteil...«

Kraftlos ließ sich Gyrat in seinen Sitz sinken. Natürlich hatte er sich mit der vielfachen Lebensdauer aller anderen Xamouri nicht zu beschweren, aber dass es jetzt so einfach vorbei sein sollte – so sinnlos...

Er bückte sich und hob das Objekt auf, das ihm so lange Zeit als Lebens- und Kraftspender gedient hatte. Als er durch das Loch ins ausgebrannte Innere starrte, konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten.

 

3. Die Quhrd

Gyrat, schon zu Lebzeiten ein Mythos, wurde nach seinem Tod erst recht zur Legende. Praktisch aus dem Nichts zum Oberkommandierenden der xamourischen Kriegsflotte hochgearbeitet, wurde er nach Entgegennahme des kosmokratischen Auftrags für 26.000 Jahre der unbestrittene Anführer des Xamouri-Staates. Alle Xamouri liebten und vertrauten auf ihn. Gyrat war Herrscher, als sie geboren wurden, und er war es auch noch, als sie wieder starben. So war es unter den Xamouri absolut ungewöhnlich geworden, sich um Politik zu kümmern, vielmehr kehrte man zum traditionellen, philosophischen Lebenswandel zurück und überließ alles andere Gyrat.

Umso mehr schockierte dann sein plötzlicher Tod. Man war gerade dabei gewesen, das Verschwinden des unheimlichen Chaotenders zu feiern, da stürzte Gyrats sagenumwobenes Goldschiff aus dem Hyperraum und raste an Xamour vorbei in die Sonne. Sprachloses Entsetzen ergriff die Xamouri. Wer sollte nun den Staat führen? Wer den Frieden in Seshonaar überwachen? Wer sollte das Kosmonukleotid TRIICLE-3 vor den Mächten des Chaos schützen?

Nach monatelangen Beratungen wählte man schließlich einen Xamouri zu Gyrats Nachfolger und neuen obersten Xamouri. Dieser hatte es nicht leicht, denn durch Jahrtausende lange Routine hatte Gyrat quasi eine Ein-Mann-Regierung gebildet. Sicherlich hatte er Minister und Beamte berufen, doch diese hatten eher untergeordnete Funktion gehabt und taten lediglich das, was Gyrat mit seinen Jahrhunderte vorausschauenden Planungen bezwecken wollte.

Diese Routine und Weitsicht fehlten nun, und die Xamouri mussten erst lernen, was es hieß, einen Staat zu regieren.

Das neue Oberhaupt Hoschior war von Anfang an mit der Lage überfordert. Nach einigen erfolglosen Jahren, die sogar zu neuen Konflikten und Kriegen unter den Völkern in Seshonaar führten, kam er schließlich auf die Idee, sich Hilfe nach Xamour zu holen.

Nach langer Überlegung fiel die Wahl schließlich auf die Quhrd, ein Volk von schlangenartigen Wesen, das einen Großteil des interstellaren Handels innerhalb von Seshonaar kontrollierte. Hoschior gestand den quhrdischen Immigranten alle Exklusivrechte am Handel von und nach Xamour zu, wenn sie dafür auch die wirtschaftliche und politische Detailarbeit nach den Richtlinien der Xamouri übernahmen.

Als Hoschior schließlich starb, waren die Konflikte in Seshonaar lange beseitigt und der allgemeine Lebensstandard auf Xamour durch die fleißige Arbeit der Quhrd rasant gestiegen, sodass man sich ein Leben ohne sie kaum noch vorstellen konnte.

Hoschiors Nachfolger Xarxaron war ein sehr träger Xamouri. Erst nach langen Debatten, wer denn nun die Nachfolge antreten solle, meldete er sich schließlich freiwillig – sehr zur Erleichterung aller anderen Xamouri. Xarxaron schrieb Bücher über Metaphysik und entwickelte bahnbrechende Theorien über den Sinn der xamourischen Existenz. Politik und Wirtschaft dagegen interessierten ihn überhaupt nicht, so konnten die Quhrd völlig frei agieren und bauten Xamour nach und nach zu einer Wirtschaftsmetropole aus.

Vierhundert Jahre später wurde das dann amtierende Oberhaupt der Xamouri einfach abgesetzt, weil seine »Durchfütterung« für die Quhrd zu kostenaufwändig geworden war. Erst jetzt erwachten die Xamouri und stellten fest, dass sie den Quhrd völlig ausgeliefert waren. Die Knechtschaft hatte begonnen.

*

»Es reicht!« Zemura donnerte ihre Faust auf die Tischplatte. »Wenn wir es weiter zulassen, werden die Schlangen uns eines Tages in irgendein Ghetto treiben und dahinvegetieren lassen!«

Grimmig schaute sie sich um und blickte in entschlossene Gesichter. Seit einigen Jahren schon versammelte sich die Untergrundbewegung in Zemuras Haus. Lange schon hatte man versucht, auf den obersten Xamouri Einfluss zu nehmen und ihn vor der schleichenden Machtübernahme durch die Quhrd zu warnen. Jedoch vergeblich, und nun war das Desaster perfekt.

»Aber was willst du tun?«, fragte ein Xamouri aus dem Hintergrund. »Jetzt ist es zu spät. Die Quhrd haben die Macht übernommen und wir können nichts mehr ausrichten.«

Zustimmendes Gemurmel folgte, doch Zemura ließ sich davon nicht beeindrucken.

»Nun«, meinte sie und funkelte den Widersacher überlegen an. »Die Quhrd sind, soweit wir das festgestellt haben, totale Kapitalisten. Politik spielt bei ihnen eher eine untergeordnete Rolle, ist nur Mittel für mehr Umsatz und Gewinn.«

»Das wissen wir, aber was haben wir davon?«

»Ich plane, die Schlangen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Lasst uns eine Firma gründen – die Xamour AG!«

Lautes Gelächter antwortete ihr. »Xamour AG!«, wiederholte eine Xamouri grölend. »Unmöglich, die Quhrd sind uns wirtschaftlich haushoch überlegen.«

Zemura hieb ein zweites Mal auf den Tisch. Sofort kehrte Stille ein.

»Dann müssen wir es eben lernen.« Sie breitete die Hände aus und rieb sich über den Schädel. »Als die Rachbart Xamour angriffen, hatten wir keine Ahnung von Raumfahrt, jetzt sind unsere Schiffe allen anderen raumfahrenden Völkern, die wir kennen, überlegen. Genau so kann es auch mit dem Quhrd sein. Wir müssen es versuchen, eine andere Wahl haben wir nicht mehr...«

*

Zwei Tage später betrat Zemura mit einigen Mitstreitern das Wirtschaftsamt der xamourischen Hauptstadt Xemoru. Der am Empfang Dienst habende Quhrd blickte ihr überrascht entgegen.

»Hier ist das Wirtschaftsamt«, belehrte er die Xamouri.

»Ich weiß«, sagte Zemura nur und blickte auf den Pförtner hinab.

Dieser zog seinen Schlangenunterleib mittels seiner vier Arme auf das Pult, um mit der Xamouri auf gleicher Augenhöhe zu sein. »Und? Gibt es irgendwelche Beschwerden über die wirtschaftliche Arbeit der Quhrd?«, fragte er amüsiert.

»Ja. Ich möchte eine eigene Firma gründen.«

Die Augen des Quhrd weiteten sich, dann fiel er rückwärts vom Tisch und blieb unten laut lachend liegen.

Zemora langte über das Pult und packte die Schwanzspitze des Pförtners, dann zog sie den etwa anderthalb Meter langen Schlangenkörper hinauf, bis der Quhrd hilflos kopfüber umher baumelte.

»Ich meine es ernst!«, wies sie den eingeschüchterten Quhrd zurecht. »Wir stellen hier die notwendige Gründungsmitgliederzahl für eine AG und das notwenige Startkapital liegt auf einem eigens eingerichteten Bankkonto bereit.« Sie ließ den Portier fallen. »Oder gibt es etwa irgendwelche Gesetze, die den Xamouri das Gründen einer Firma verbieten?«

»Nein, nein«, stammelte der Quhrd und kroch zu einem Schrank. »Hier sind die notwendigen Formulare. Anmeldung in Zimmer 335t.«

»Danke«, machte Zemora nur und nahm die Blätter entgegen. Als sie die Empfangshalle Richtung Zimmer 335t verließ, konnte sie die zweifelnden Blicke des Quhrd förmlich spüren.

*

»Was ist denn eine Sperrminorität?«, fragte Hogat beim Studium des Wirtschaftsgesetzbuches ratlos in die Runde. »Oder eine Aktienoption?«

Zemora zuckte mit den Schultern. »Wir werden es schon früh genug herausbekommen. Hauptsache ist erst einmal, dass die Xamour AG offiziell existiert und wir mit denselben Mitteln wie die Schlangen agieren können. Wie ich mittlerweile erfahren habe, haben die Quhrd in der Tat alles als Firma strukturiert, selbst der Staat selbst ist eine Aktiengesellschaft mit dem Ministerrat als Vorstand.«

»Aha«, machte Ixa verwirrt und bewies damit, dass sie nichts verstanden hatte. »Und was bringt uns das?«

»Ganz einfach«, lächelte Zemora. »Wir müssen nur die Aktienmehrheit über diese Firmen erlangen, und schon gehört Xamour wieder uns, völlig friedlich. Dafür brauchen wir aber viele Firmen... Alle Xamouri sollten daran mitarbeiten!«

*

Der wirtschaftliche Kampf dauerte fast zweihundert Jahre, dann hatten die Xamouri ein weiteres Mal in ihrer langen Geschichte den Sieg davon getragen. Durch Geschick und ein plötzlich zu Tage tretendes wirtschaftliches Talent arbeiteten sie nach einigen erfolglosen Jahren, die von den Quhrd nur müde belächelt wurden, plötzlich produktiver als die einst zu Hilfe geholten Seshonaarer und errangen Anteil um Anteil und übernahmen Firma um Firma der Besatzer.

Schließlich ging die letzte quhrdische Firma in den Besitz einer xamourischen Firma über und die Quhrd kehrten entweder eingeschüchtert in ihre Heimatgalaxis zurück oder ordneten sich der neuen Gesellschaft unter. Der Vorstandsvorsitzende der einst von Zemora gegründeten Xamour AG, die mittlerweile zur mächtigsten Firma auf Xamour geworden war, trat daraufhin vor die Medien.

»Xamour gehört wieder den Xamouri«, begann er seine Rede und Millionen von Xamouri jubelten. »Wir haben in den letzten drei Generationen gezeigt, dass wir den Quhrd wirtschaftlich weit überlegen sind und es nur ein Fehler unserer degenerierten Vorfahren war, sie überhaupt auf unsere Welt zu holen. Um zu verhindern, dass wir jemals wieder in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten, werden wir das momentane Wirtschaftssystem beibehalten und Xamour zur gewinnstärksten Nation aller Zeiten machen.«

Der Vorschlag des »Obersten Wirtschaftlers«, wie sich der Vorstandsvorsitzende der Xamour AG nun nannte, stieß auf große Zustimmung, und so wurde aus der Welt der Xamouri eine kapitalistische Republik. Jeder Xamour bekam daraufhin eine unübertragbare »Lebensaktie« der Xamour AG, sodass alle Xamouri zusammen eine Sperrminorität ausüben konnten, was sich aber kein Xamouri vorstellen konnte, solange der Oberste Wirtschaftler nur gewinnorientiert genug arbeitete.

So vergingen 180 wirtschaftsstarke Jahre, dann wurde in Xemoru ein Junge geboren, der einst der letzte seines Volkes werden sollte – Cau Thon.

 

4. Cau Thon

Mit einem mulmigen Gefühl schlich ich als sechsjähriger Junge in Richtung der Wohnzimmertür. Mir war klar, dass es nicht besonders angenehm werden würde, aber wenn ich den neuen Taschemohn haben wollte, blieb mir nichts anderes übrig.

Vorsichtig schubste ich die Tür auf und tatsächlich – meine Mutter, Monka Thon, saß an ihrem Arbeitstisch und mixte eine neue Gesichtstinktur zusammen.

»Mama?«, begann ich leise.

Mit einem Ruck ließ sie die Salben fallen und wandte sich mir zu. »Was ist, Cau?«

»Ich... ich...«

»Gibt es Probleme in der Schule?«

»Nein, nein. In Betriebswirtschaftslehre läuft alles bestens, und auch in Kapitalhistologie und Wirtschaftsinformatik habe ich meine Hausaufgaben problemlos gemacht. Es ist... äh... etwas anderes...«

Monka verzichtete auf eine Antwort und blickte mich nur tiefgründig an.

»Es gibt da ein neues Taschemohn...«, sagte ich schließlich.

Meine Mutter verdrehte die Augen, und mir rutschte das Herz in die Hose.

»Und wie viel soll das kosten?«, fragte sie vorwurfsvoll.

»N... nur 300 Xem«, antwortete ich. »Ich habe extra auf ein Sonderangebot gewartet.«

Monka Thon streckte die Hand aus. »Gib mir dein Bilanzbuch.«

Das hatte ich befürchtet. Meine Schultern und mein Kopf sanken nach unten und niedergeschlagen reichte ich ihr mein Buch.

Unwillig blätterte Mama darin herum. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Schließlich winkte sie mich an ihren Tisch heran, sodass ich mit hinein sehen konnte.

»Schau mal hier«, wies sie mich an. »Du hast vor 27 Tagen 50 Xem Taschengeld bekommen und drei Tage später dir fünf Bonbons für 3 Xem gekauft.«

»Aber vier Bonbons hätten zweieinhalb gekostet«, beteuerte ich.

»Darum geht es doch nicht, Cau. Du hast das Geld drei Tage liegen gelassen! Selbst wenn du es auf einem einfachen Sparbuch angelegt hättest, währen bestimmt einige Zehntel Xem an Gewinnen abgefallen.«

Niedergeschlagen drehte ich mich um und wollte das Zimmer verlassen, aber das Klimpern von Münzen ließ mich innehalten.

»Hier hast du 250 Xem«, sagte Mutter freundlich, aber meine Stimmung sank auf den Tiefpunkt. »Lege sie Gewinn bringend an, dann hast du schnell deine benötigten 300 Xem zusammen.«

So ähnlich lief meine gesamte Kindheit ab. In der xamourischen Gesellschaft, in die ich hinein geboren wurde, zählten nur Umsatz und Gewinne. Sicherlich, der Handel mit Seshonaar florierte und auf Xamour gab es keine Arbeitslosigkeit oder Kriminalität, doch all dies interessierte mich nicht sonderlich.

Zwei der wichtigsten Personen in meinem frühen Leben waren meine Großeltern. Opa kannte sich in xamourischer Historie hervorragend aus. Von ihm erfuhr ich von der sagenumwobenen Philosophieschule oder dem legendären Gyrat – beides Teile der Geschichte, die in der Schule gerne weg gelassen wurden, denn in Wirtschaftsgeschichte beschränkte man sich auf andere Themen, wie etwa Zemora.

*

An meinem zehnten Geburtstag hielt ich mich wieder bei Opa auf, denn mein Vater Mich Thon, ein bedeutender Versicherungskaufmann, hatte gesagt, wenn ich mit zehn immer noch eine teure Geburtstagsfeier abhalten würde, würde ich es niemals so weit bringen, wie er es geschafft hatte.

Wütend verließ ich das elterliche Haus und lief zu meinen Großeltern, die – da älter und damit noch nicht so stark kapitalistisch eingestellt wie spätere Generationen – das etwas lockerer sahen und mir die Feier erlaubten.

Leider durften aus denselben Gründen nur sehr wenige Klassenkameraden zu der Feier kommen, aber es herrschte dennoch gute Stimmung. Opa erzählte gerade von Sipustov und wie Gyrat den kosmischen Auftrag, über TRIICLE-3 zu wachen, bekommen hatte, da stockte er plötzlich.

»Opa, was ist los?«, fragte ich aufgeregt. »Erzähle doch weiter. Wie war das mit dem goldenen Schiff?«

Doch er winkte nur ab und eilte ins Nachbarzimmer, in dem sich der Bildschirm mit dem allgegenwärtigen WirtschaftTV befand. Jeder Besitzer einer Lebensaktie der Xamour AG – und das waren alle erwachsenen Xamouri – war verpflichtet, das Programm ständig laufen zu haben, um wirtschaftspolitisch auf dem aktuellsten Stand zu sein. Man hatte sich an das allgegenwärtige Gesäusel des Trivid-Apparates gewöhnt und beachtete es kaum, doch hin und wieder schnappte man doch etwas Interessantes auf...

Neugierig folgte ich meinem Großvater. In der Hologrammfläche waren zwei wichtig aussehende Xamouri zu sehen, die gerade durch einen Händedruck offenbar etwas Bedeutendes beschlossen hatten. In dem Rechten erkannte ich nach kurzer Zeit den Obersten Wirtschaftler wieder. Im Gegensatz zu meinen Altersgenossen hatte mich die Wirtschaft nie sonderlich interessiert, eher Geheimnisse wie das Kosmonukleotid, aber den Obersten Wirtschaftler nicht zu kennen, war ziemlich unmöglich.

Doch erstaunlicherweise war es nicht der Wirtschaftler, der dann nach vorne an das Rednerpult trat.

»Durch Tausch einiger Aktienpakete der AG ist nunmehr die Mehrheit in der Hand des Capurat-Konsortiums. Wir sind mit dem Wirtschaftsrat übereingekommen...«

Opa lachte auf. Als ich ihn fragend ansah, sagte er: »Wenn die Capurats den Aufsichtsrat der AG kontrollieren, haben die Minister auch nichts mehr zu sagen!«

»...dass ich, Patro Capurat, ab jetzt das Amt des Obersten Wirtschaftlers übernehmen werde«, sprach der Redner wie zur Bestätigung der Worte meines Großvaters weiter. »Als Auftakt meiner Amtszeit werde ich nun einige neue Gesetze erlassen, die der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung dienlich sein werden. Es handelt sich um eine Agenda von fünf Punkten...«

»Langweilig«, machte ich und wollte wieder gehen, doch Großvater hielt mich zurück.

»Cau, das könnte wichtig sein, bleibe lieber!«

»Punkt eins: Alle Xamouri, die mit 80 in Rente gehen, müssen einen Lebensausweis beantragen. Sollten sie noch vom wirtschaftlichen Nutzen sein, also viel Reisen, vermögend, Nebenjobs oder in sonst einer Weise Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen, wird ihr Ausweis verlängert, sollten sie jedoch von keinem Nutzen sein, werden sie sofort entsorgt.«

Die Gesichtshaut meines Großvaters bekam eine Orangefärbung.

»Opa, was ist?«, fragte ich besorgt.

»Ich bin 77«, flüsterte er.

»Und das heißt?«

Aber er winkte nur hektisch ab, denn der neue Oberste Wirtschaftler fuhr fort:

»Punkt zwei: Geistig Behinderte, Pflegefälle oder körperlich Behinderte haben in Zwangsbehindertenlagern zu arbeiten. Sollten sie dies nicht können, sind sie zu entsorgen.

Punkt drei: Arbeitslose, die länger als ein Jahr keine Beschäftigung haben, werden inhaftiert und zu Zwangsarbeit verurteilt. Sollte es keine Arbeit geben, werden sie entsorgt.

Punkt vier: Kinder sollen bis zum vierten Lebensjahr ihr Leben genießen. Von fünf bis sechs in die Vorschule gehen, von 7 bis 18 zur Schule. Danach haben sie unverzüglich eine Ausbildung zu beginnen oder sich beim Militär zu melden. Ansonsten folgt Zwangsarbeit, Haft oder Entsorgung.«

Opa sah mich nachdenklich an. Mir selbst war diese Vorstellung auch nicht sonderlich sympathisch, schließlich hatte ich noch damit gerechnet, mit 18 mit der Schule fertig zu sein.

Na ja, sagte ich mir. Zumindest gibt es noch den PROC, den Programmier-Club, in der Schule...

Aber das Schicksal kannte keine Gnade:

»Punkt fünf: Gemeinnützige Vereinigungen werden aufgelöst, da sie die Gesellschaft vergiften und unnütz sind. Zuwiderhandlung wird mit Zwangsarbeit, Haft oder Entsorgung bestraft.

Die Entsorgungen werden natürlich sozialverträglich durchgeführt. Eigens zu diesem Zweck hat das Capurat-Konsortium eine neue Pille entwickelt, die der alte Oberste Wirtschaftler nun persönlich vorführen wird...«

Opa wurde orange. »Cau, Kinder, sofort raus!«

Wir leisteten ihm natürlich folge, so erfuhr ich erst viel später, was mit »Entsorgung« wirklich gemeint war.

*

Drei Jahre später wollte ich meinen Opa wie so oft besuchen, da bemerkte ich ein ungewöhnliches Fahrzeug vor dem Haus. Ich lief sofort näher und hörte meine Großmutter hysterisch schreien. Panisch wollte ich sofort ins Haus rennen, doch einige plötzlich aufgetauchte Polizisten hielten mich zurück.

Erst als einige Xamouri in Uniformen, die ich nie zuvor gesehen hatte, einen großen schwarzen Behälter aus dem Gebäude trugen, konnte ich endlich rein. Oma saß im Wohnzimmer, von Opa konnte ich nichts sehen. Ihr Gesicht war nicht mehr nur orange, vielmehr hatte es bereits eine gelbliche Färbung angenommen. Die Warzen am Hinterkopf traten sogar als weiße Punkte hervor.

»Oma«, rief ich. »Was ist los? Und wo ist Opa?«

Die Angesprochene starrte mich nur stumm an und winkte den Polizisten herbei, der hinter mir in der Tür stand.

»Ich möchte auch die Pille«, stellte sie mit fester Stimme klar, die gar nicht zu den Tränen in ihrem Gesicht passte.

»Frau Thon«, seufzte der Polizist. »Bei allem Verständnis für diesen Verlust, aber zum einen haben sie noch einige Jahre bis zur Altersgrenze zeit, zum anderen ist jetzt, da ihr Gatte entsorgt wurde, sicher gestellt, dass sie von nun an ausreichend Geld in die AG bringen...«

»ICH WILL DIE ENTSORGUNGSPILLE!«, schrie sie so laut, dass sowohl der Polizist, als auch ich zusammenzuckten.

Während der Polizist nickte und Oma ein kleines rotes Kügelchen überreichte, dachte ich nach. Was meinte der Polizist mit »entsorgt«? Ich erinnerte mich an den Regierungsantritt vor drei Jahren, und dass Opa gesagt hatte, dass er bereits 77 war... Und jetzt war Opa nicht hier und Oma todunglücklich... Todunglücklich! Die Pille!

Ich zuckte zusammen. »Oma, nein!« Aber es war bereits zu spät. Gerade in dem Moment, in dem mich die fürchterliche Erkenntnis durchzuckte, schluckte sie die Entsorgungspille.

»Ist gut, Junge«, sagte Oma, langsam müder werdend. »Es ist das Beste für mich... und die Gesellschaft!«

»Ich hasse die Gesellschaft!«, schrie ich erbost, während sich Omas Augen schlossen – für immer.

Der Polizist! Er hatte die Pillen dabei gehabt. Ich rannte auf ihn zu und trommelte mit meinen Fäusten auf seine Brust, höher kam ich bedauerlicherweise nicht.

»Ich hasse die Gesellschaft! Ich hasse das Entsorgen! Ich hasse die AG!«

Der Polizist stieß mich von sich. »Früher oder später wirst du noch erkennen, dass dies das Beste für Xamour ist.«

*

Am nächsten Tag in der Schule war ich der »Problemfall Nummer 1«. Sämtliche Lehrer »umsorgten« mich ganz besonders, aber die meiste Aufmerksamkeit erhielt ich im Fach Kapitalhistologie. Mein Lehrer in diesem Fach war ein junger, energischer Turbokapitalist, der in seinem Depot vermutlich mehr Aktien der AG und anderer Firmen hatte als halb Xemoru.

»Cau«, sagte er in Vorspiegelung falscher Fürsorge. »Wie lange waren deine Großeltern nicht mehr Berufstätig?«

Unwillig dachte ich nach. Eigentlich war mir so direkt betrachtet gar nicht bewusst, dass Opa überhaupt einmal irgendeiner Tätigkeit nachgegangen war. Vielleicht war er schon Rentner gewesen, als ich zur Welt kam...

»Dein Großvater ist schon seit 15 Jahren Rentner«, stellte der Kapitalhistologe fest, als hätte er meine Gedanken erraten. »Eigentlich wäre es kein Problem gewesen, nur leider hatte er viel zu wenig Geld in einer Rentenversicherung zur Seite gelegt gehabt. Vor allem du als Sohn eines Versicherungskaufmannes müsstest wissen, dass für die Versicherungsgesellschaft irgendwann ein Verlust entsteht, wenn die Rentner zu alt werden.«

Ich wollte gerade aufbegehren und protestieren, doch alle Blicke in der Klasse lagen auf mir – und drückten nicht gerade Zustimmung für meine Argumente aus.

Widerwillig ergab ich mich in mein Schicksal. Mir war klar, dass ich als kleiner Dreizehnjähriger zum einen nicht für voll genommen und zum anderen sowieso nichts bewirken konnte. Wie mag es wohl gewesen sein, als Gyrat noch lebte? Als die Xamouri noch nicht emotionslose Kapitalisten waren? Und der kosmische Auftrag – TRIICLE-3... Ich freute mich schon auf den Beginn des nächsten Schuljahres, denn dann würden wir als neues Fach Geschichte hinzu bekommen, nicht Wirtschaftsgeschichte, denn die hatten wir schon bis zum Exzess behandelt – nein, ganz normale Geschichte...

 

5. Anti-Wirtschaft

Endlich war es soweit, die erste Geschichtsstunde stand bevor!

Ich konnte es kaum abwarten, nach den langen Jahren, in denen praktisch jedes Schulfach in irgendeiner Weise mit Wirtschaft zu tun gehabt hatte, nun Opas Erzählungen aus einem »offiziellen« Blickwinkel zu hören.

Im Gegensatz zu praktisch allen meinen Mitschülern interessierte ich mich gar nicht oder kaum für Umsätze und Gewinne, sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Vater sagte oft etwas von einem »schlechten Einfluss des Alten« und man hatte entschieden, dass ich nach der Schule zum Militär gehen sollte. Richtig unrecht war mir das gar nicht, denn so hatte ich die Gelegenheit, das kosmische Wunderwerk TRIICLE-3 aus der Nähe zu betrachten und zu beschützen, denn von der Bewacherrolle waren die Xamouri trotz aller Kosten nicht abgerückt – noch nicht...

Endlich öffnete sich die Tür. Ich konnte nicht nachvollziehen, dass meine Klassenkameraden nicht ebenso dem Augenblick entgegenfieberten. Unser neuer Lehrer betrat die Klasse – er musste wirklich neu sein, denn ich hatte ihn bisher in der Schule noch nie gesehen. Aber er kam nicht alleine, denn neben ihm ging sie...

Meine Blicke saugten sich an dem Geschöpf fest; nie zuvor hatte ich etwas so schönes gesehen. Ihre Haut schimmerte wie eine wohlige Glut, ihre Augen glitzerten... Jetzt schaute sie in meine Richtung, unsere Blicke trafen sich. Ich lächelte, sie lächelte zurück.

»Ich bin Selvelin und das ist meine Tochter Ansunara«, drang eine Stimme an mein Bewusstsein. Ansunara... »Wir sind vor kurzem nach Xemoru gezogen. Ich werde ab jetzt den Unterricht in Geschichte führen und hoffe, dass ihr meine Tochter gut in die Klassengemeinschaft aufnimmt.«

Ja, das werden wir, dachte ich freudig, während mein Herz bis zum Hals klopfte. Ich beobachtete fasziniert, wie Ansunara hinten im Raum an einem freien Tisch Platz nahm. Sie lächelte noch einmal schüchtern, schaute aber nicht mehr in meine Richtung.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich ihr mit offenem Mund hinterher gestarrt hatte und mich einige in der Klasse höhnisch betrachteten. Schnell drehte ich mich wieder um und als Selvelin anfing, über die Philosophenschule zu berichten, hatte ich Ansunara schon fast vergessen – aber nur fast...

*

Wieder einmal wartete ich mit klopfendem Herzen vor der Schule, bis sie heraus kam. Heute hatte ich mir fest vorgenommen, sie einmal zu fragen, ob wir zusammen ausgehen wollten... Da, sie kam heraus, in ein Gespräch mit einigen Freundinnen vertieft. Schnell drehte ich mich um.

Los, wende dich ihr wieder zu und gehe zu ihr, hörte ich eine Stimme in mir, aber ich konnte nicht. Wenn doch nur die anderen Mädchen nicht da gewesen wären... Ich konnte sie doch nicht einfach überfallen, wenn diese alles hören konnten.

Vorsichtig linste ich wieder in ihre Richtung. Mittlerweile hatte Ansunara mir den Rücken zugekehrt und bewegte sich genau von mir weg. Die Freundinnen waren immer noch bei ihr.

Geht doch, fluchte ich gedanklich. Ihr könnt doch noch ein anderes Mal mit ihr plaudern, aber nicht jetzt!

Aber das Schicksal kannte keine Gnade. Traurig beobachtete ich, wie die drei Mädchen die Rohrbahn betraten und davon fuhren. Eigentlich sollte ich es besser wissen, denn ihre beiden Freundinnen wohnten ganz in Ansunaras Nähe und somit war es nur logisch, dass sie gemeinsam heimfuhren.

Wieder eine Gelegenheit verpasst! Wütend wollte ich mich ebenfalls auf den Weg nach Hause machen, das spürte ich plötzlich eine Hand auf meinen Rücken. Ich zuckte ertappt zusammen.

»Na na, Cau, nicht so schreckhaft«, hörte ich eine amüsierte Stimme. Selvelin!

Hatte er gemerkt, wie ich seiner Tochter hinterher spioniert hatte? Meine Knie wurden weich.

»I... ich...«, begann ich stotternd.

»Keine Sorge«, meinte er, »das ist schon in Ordnung, schließlich konntest du mich nicht kommen hören.«

Ich atmete auf, doch der Geschichtslehrer war noch nicht fertig.

»Mir ist aufgefallen...«, begann er.

Er hat's doch gemerkt! bibberte ich. Verzweifelt überlegte ich mir eine Ausrede.

»...dass du dich sehr für die xamourische Geschichte vor der AG interessierst«, fuhr er fort und verschaffte mir grenzenlose Erleichterung.

»Ja ja«, sagte ich schnell und nickte übertrieben. Eigentlich wollte ich noch mehr sagen, aber der Schock eben war zu groß gewesen.

»Nun...« Selvelin musterte mich nachdenklich. »Eigentlich sollte ich das nicht sagen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dich etwas, was ich zu Hause habe, sehr interessieren könnte...«

Wie recht er doch hatte, aber sicherlich meinte er nicht dasselbe wie ich. Moment! Ich zuckte erneut zusammen. Zu ihm nach Hause...?

»Du musst nicht«, sagte er, als er mein Zusammenzucken bemerkte, und begab sich nun ebenfalls langsam in Richtung der Rohrbahnhaltestelle, in der vor ein paar Minuten auch Ansunara verschwunden war. »Es ist nur ein Angebot. Mir ist klar, dass du überdurchschnittlich intelligent bist und ich möchte dich fördern.« Er betrat die Bahn und winkte mir noch einmal zu. »Du weißt ja, wo ich wohne.«

Ja, und ob ich das wusste. Total perplex machte ich mich auf den Heimweg.

*

Einige Monate und unzählige verpasste Gelegenheiten später überwand ich mich dann doch, Selvelin einmal zu besuchen. Durch Belauschen eines Gespräches zwischen Ansunara und ihren Freundinnen hatte ich erfahren, dass sie an diesem speziellen Abend nicht zu Hause sein würde und so traute ich mich dann doch – obwohl ich mich innerlich als Feigling beschimpfte – zu Selvelin zu fahren.

Der Geschichtslehrer war keineswegs überrascht, als ich dann unangekündigt vor seiner Tür stand. Freundlich bat er mich hinein. Ich betrat eine Wohnung voller antiker Gegenstände. Staunend betrachtete ich ein Objekt und Hologramm nach dem nächsten. Diese ganzen Objekte mussten ein Vermögen gekostet haben! Selbst mir kam diese unproduktive Bindung von Kapital ungeheuerlich vor, auch wenn ich es selbst gerne genauso gemacht hätte. Hier also wohnte Ansunara. Meine Ehrfurcht wuchs.

Ich erhaschte einen Blick durch eine geöffnete Zimmertür und erblickte einen Raum, der ungemein jugendlich und vor allem weiblich eingerichtet war. Ansunaras Raum! Schnell sah ich weg und wandte mich lieber meinem Lehrer zu.

Dieser hatte mich lächelnd die ganze Zeit über beobachtet und beugte sich mir nun entgegen. »Hast du es begriffen, Cau Thon?«, fragte er flüsternd.

Ich konnte nur den Kopf schütteln. Wenn das nicht hier, sondern woanders gewesen wäre und ich nicht immer an sie denken müsste, wäre es sicherlich einfacher gewesen, aber so blockierte Ansunara meine Gedanken.

Selvelin wies auf eine Treppe in den Keller und gab mir über eine Geste zu verstehen, dass ich dort hinunter gehen sollte. Unten entriegelte er umständlich eine Tür und ließ mich dann den Raum betreten.

In dem Zimmer empfing mich ein riesiges Bild von einem Xamouri mittleren Alters. Im Hintergrund der dreidimensionalen Darstellung waren das Kosmonukleotid und ein golden schimmerndes Raumschiff abgebildet. Mir war sofort klar, dass der Abgebildete nur Gyrat sein konnte. Ich wusste nicht, dass überhaupt Abbildungen von ihm existierten. Es war nicht direkt verboten, Bilder von ihm zu besitzen, aber bei den unzähligen Gemälden von Zemora und den verschiedenen Obersten Wirtschaftlern blieb einfach kein Platz für die Zeit vor der AG. Außerdem war es nicht gerade klug, durch eine so große Darstellung aus der vorwirtschaftlichen Ära mehr oder weniger kund zu tun, dass einem die derzeitige xamourische Gesellschaft nicht gefiel.

Selvelin wurde mir immer rätselhafter. Im Unterricht hatten wir schnell festgestellt, dass wir beide gerne zur Zeit Gyrats gelebt hätten, als noch nicht Umsätze, Gewinne, Aktienmehrheiten und Optionen das Denken der Xamouri beherrschten, aber dann direkt so ein großes Bild von Gyrat...

Erst jetzt kam ich dazu, mir die restliche Ausstattung des Raumes anzusehen. Neben der Darstellung des Unsterblichen beherrschte ein großer Tisch den Raum. Den Stühlen nach zu urteilen, konnten hier bis zu dreißig Personen Platz nehmen. In einer Ecke des Raumes –der Eingangstür genau gegenüber – befand sich ein Regal mit einigen Büchern und kleinen Fotos. Ich trat näher, um diese betrachten zu können. Es handelte sich um büstenartige Darstellungen von acht Xamouri, die eine strenge Reihe bildeten, als sollten sie eine Art Entwicklung darstellen.

Ich überflog die Gesichter, von denen mir keines im Geringsten bekannt vorkam. Wären es mehr als diese acht gewesen, hätte ich mir sicherlich nicht die Mühe gemacht und mir alle angesehen, aber so landete ich irgendwann bei dem achten und letzten Bild – und erstarrte.

»Ja, du kennst diese Person wirklich«, sagte da Selvelin hinter mir.

Ich fing an zu schwitzen. Das konnte doch nicht sein, der hier abgebildete Xamouri war zwar deutlich jünger als der in meiner Erinnerung, aber die Gesichtszüge ließen keinen Zweifel.

»Dies ist Leachim Thon, dein Großvater!«

Das war zu viel. Ich setzte mich auf einen der Stühle und vergrub mein Gesicht in den Händen. Woher kannte Selvelin meinen Großvater? Wieso hing sein Bild neben diesen andern Unbekannten? Und was war das hier für ein Versammlungsraum?

Ich fing an zu keuchen, als mein Kopf Karussell spielte. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, hörte ich wieder Selvelins Stimme.

»Ich bin seit einem Jahr Oberhaupt der Geheimloge Anti-Wirtschaft, daher zog ich auch nach Xemoru um«, berichtete mein Lehrer. »Bevor er entsorgt wurde, leitete unter anderem auch dein Großvater diese Gruppe. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Wirtschaftsregime abzusetzen und wieder eine Gesellschaft zu errichten, die sich im Geiste Gyrats um die Bewachung von TRIICLE-3 kümmert...«

Das war zu viel. Ich sprang schreiend auf und rannte aus der Wohnung und rannte und rannte und rannte, bis ich irgendwann total erschöpft zu Hause ankam und mich auf mein Bett fallen ließ. Erst dort begann ich zu weinen.

*

Im folgenden Jahr distanzierte ich mich von Selvelin und ignorierte sogar Ansunara. Selvelin bemerkte sehr wohl, dass ich seinem Unterricht nicht mehr mit demselben Elan wie früher folgte, doch es herrschte eine unausgesprochene Abmachung zwischen uns, dass jeder zunächst den anderen in Ruhe ließ.

Die plötzlichen neuen Erkenntnisse und die damit wieder aufgebrochenen Wunden zu meinen Großvater waren einfach zu viel gewesen. Natürlich gab es eine emotionale Bindung zwischen meinem Geschichtslehrer und mir, aber ich konnte mir ein trauriges Grinsen nicht verkneifen, als sich immer mehr heraus stellte, dass die Xamouri die neuen Gesetze der Capurat-Regierung akzeptierten, anstatt sich gegen die grenzenlose Ausbeutung und das Töten der älteren Menschen zu wehren.

Schließlich brachen die letzten beiden Schuljahre an. Dieses Doppeljahr stand ganz im Zeichen der praktischen Erfahrung in der Wirtschaftswelt. Es wurden neue Firmen gegründet, die sich dann unter Mithilfe der Lehrer in den beiden Jahren behaupten und Gewinne erwirtschaften sollten. Nicht wenige Schüler waren dann nach der Schule soweit, ihre Firma direkt weiterzuführen. Die anderen, die lediglich als Mitarbeiter gearbeitet oder in Konkurs gegangen waren, schlossen sich dann einer »richtigen« Firma an oder gingen zum Militär – der Weg zur Selbstständigkeit war dann meist für immer vertan.

Um Eindrücke und eventuelle Kapitalgeber kennen zu lernen, wurde in den Ferien kurz vor Beginn des Schuljahres eine Feier abgehalten, bei der neben den Schülern des elften Schuljahres auch die bereits etwas erfahreneren Schüler des zwölften Jahrgangs, sowie viele Wirtschaftsvertreter zugegen waren.

Natürlich war auch Ansunara anwesend, und fast vergessene Gefühle erwachten in mir. Unbewusst rückte ich immer näher an sie heran. Erst als ich unmittelbar neben ihr saß, wurde mir bewusst, dass mir jetzt das gelingen könnte, was ich in den zwei Jahren zuvor nicht geschafft hatte. Mit einem schnellen Seitenblick stellte ich fest, dass nicht einmal ihre Freundinnen in der Nähe waren. Ich nahm allen Mut zusammen.

»Was für eine Party«, sagte ich und bemühte mich, es möglichst beiläufig klingen zu lassen.

»Ja«, meinte sie abwesend und schlürfte an ihrem Getränk, ohne mich anzusehen.

»Schon was gefunden?«

»Nein.«

»Aha.«

Eine Zeit lang schwiegen wir beide, bis ich es schaffte, das Herzklopfen zu ignorieren und einen neuen Versuch zu starten.

»Ob wir das zusammen versuchen wollen?«

Ansunara zuckte mit den Schultern. »Wer macht denn sonst noch mit?«

»Äh... nur wir beide?«

Jetzt sah sie mich doch an. »Also nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt!«

Ich schluckte, als sie aufstand und zu ihren beiden Freundinnen ging. Hatte ich was falsch gemacht? Oder wollte sie gar nichts von mir?

Ich machte gedanklich wieder einen Strich und war sauer auf die ganze Welt – und vor allem auf mich!

Irgendwie schaffte ich es dann, in die von Ansunaras Freundin Dama »gegründete« Firma reinzukommen. Ganz wohl war mir nicht, als wir den Raum in der Schule betraten, der uns als »Büro« zur Verfügung gestellt worden war.

Dama war eine hundertprozentige Kapitalistin und absolute Eliteschülerin in unserer Klasse. Mochten die Chaotarchen wissen, warum Ansunara sich immer in ihrer Nähe herum trieb. Es war keine Frage, dass sie die Geschäftsleitung übernahm und die Gründungskonferenz eröffnete.

»Meine Damen und Herren, liebe Kollegen«, begann sie mit so todernstem Geschäftsgerede, dass ich Mühe hatte, mir ein Grinsen zu verkneifen. »Wir sind heute hier zusammen gekommen, um die Gesellschaft D.A.M.O.C. zu gründen. Wie Sie sicherlich schnell merken, ist dieser Name aus den Vornamen der Gründungsmitglieder zusammengesetzt: Dama, Ansunara, Monka, Othar und Cau. Durch Sondierungsgespräche, die vor allem von Monka und mir geführt wurden, konnten wir einige Partnerschaftsverträge mit anderen Gesellschaften schließen, sodass unser Startkapital solide zehntausend Xem beträgt, plus natürlich das Kapital, das durch unsere Gründungsmitglieder zusätzlich eingebracht werden wird. Für alle Beteiligten eine Gewinn-Gewinn Situation...«

Zu diesem Zeitpunkt schaltete ich geistig ab. Wie konnte man nur so geschwollen reden und sich mit dieser Begeisterung ins Geschäftsleben stürzen? Wenn wenigstens einer dieser »Geschäftspartner« hier gewesen wäre, aber wir waren völlig unter uns – fünf Schüler, die Wirtschaft spielen wollten.

Vorsichtig blickte ich zu Ansunara herüber. Ich hatte mich sicherheitshalber eine Tischreihe weiter nach hinten gesetzt, damit ich sie, sie aber nicht mich sehen konnte. Ich versuchte herauszufinden, wie sie mir gegenüber nach dem gescheiterten Annäherungsversuch stand. Ich kam zu dem Schluss, dass sich zwischen uns gar nichts verändert hatte. Sie beachtete mich genau so wenig wie in den letzten Jahren auch. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen oder es bedauern sollte, aber zumindest schien festzustehen, dass die Chance nicht vertan war...

»Cau? Cau Thon!«, drang eine Stimme in meine Gedanken. Mein Kopf ruckte nach vorne. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Ansunara sich zu mir umsah. Sofort wurde mir heiß.

»Was ist?«, fragte ich Dama.

»Bitte zollen Sie der Konferenz etwas mehr Aufmerksamkeit, verehrter Kollege! Schlafen können Sie auch zu Hause!«

Meine »Kollegen«, auch Ansunara, fingen an zu lachen. Ich wurde wütend. Das Blut schoss mir in den Kopf.

»Nun, wir waren gerade dabei, die zukünftigen Aufgaben zu verteilen, Herr Thon«, belehrte mich Dama höhnisch grinsend. »Und da Sie gerade so schön aggressiv gucken, wären Sie die perfekte Besetzung für die Abteilung Marketing... Irgendwelche Einwände?« Sie sah sich auffordernd um, aber alles blieb still. »Damit wäre die Abteilung besetzt, bleiben noch Finanzen und Personalwesen...«

Marketing! Ausgerechnet Marketing! Verfluchte Göre! Ich beschloss, ihr das bei Gelegenheit heimzuzahlen.

Während ich noch meinen Groll hegte, ging der Finanzposten an Ansunaras und Damas Freundin Monka, während Ansunara selbst das Personalwesen übernahm. Der etwas zurückhaltende Othar, mit dem ich bisher nie was zu tun gehabt hatte, hatte den »Vorsitz« der Forschungsabteilung inne, einem Ressort, das ich viel lieber selbst gehabt hätte.

Die Tür öffnete sich und Selvelin betrat den Raum. Er strich seiner Tochter zärtlich über den Kopf, was mir mehr als nur unangenehm war, und nickte den anderen freundlich zu. Als er mich bemerkte, wurde sein Gesicht ernster, aber er setzte sich trotzdem neben mich in die ansonsten leere zweite Reihe und gab Dama durch eine Geste zu verstehen, dass sie sich nicht stören lassen sollte.

Vermutlich hätte sie sich ohnehin nicht stören lassen, denn sie winkte nur lässig ab und stellte dann die Wachstumsplanung und Orientierung der Gesellschaft vor. Demnach sollte D.A.M.O.C. eine Softwarefirma werden – erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich bisher überhaupt nicht dafür interessiert hatte, in was für eine Firma ich überhaupt geriet. Das erste und wohl auch vorerst einzige Produkt sollte ein Programm werden, das anhand festlegbarer Parameter automatisch einen Aktienfond verwalten und mittels KI zu den günstigsten Zeitpunkten zeichnen und abstoßen sollte.

Und gerade für so etwas Kapitalistisches soll ich Werbung machen... dachte ich resignierend. Vielleicht gab es ja doch eine Möglichkeit, mit Othar zu tauschen und die Programmierung zu übernehmen, denn auch dieser sah nicht sonderlich glücklich aus...

*

Nach einigen erfolglosen Wochen konnten Othar und ich Dama tatsächlich klar machen, dass es besser wäre, wenn wir tauschen würden. Zähneknirschend stimmte sie zu und dann ging es tatsächlich aufwärts. Meine Zusammenarbeit mit Monka, die mir Geld für das Hinzukaufen wichtiger Programm-Module zur Verfügung stellte, klappte erstaunlich gut, sodass wir bereits nach zwei Monaten einen ersten Prototyp vorstellen und nach einem weiteren Monat sogar in den schwarzen Zahlen waren – als erste der Schülerfirmen überhaupt. Othar blühte in seiner Aufgabe regelrecht auf, und bald hatte Monka mehr Geld zur Verfügung als wir investieren konnten, sodass wir es – sehr zum Neid der anderen Schüler – zu privaten Zwecken in den Wirtschaftskreislauf zurück investieren konnten.

Die wöchentlichen Meetings blieben leider die einzigen Gelegenheiten, an denen ich Ansunara sah. Doch in einem schlug sie urplötzlich vor, dass die Personalabteilung nicht so stark beansprucht war, weil D.A.M.O.C. – trotz des Überwechselns einiger anderer Schüler aus mittlerweile gescheiterten Firmen – kaum gefordert war. Mit anderen Worten, sie langweilte sich zu Tode.

Dama, die sich mittlerweile zur von allen gefürchteten cholerischen Chefin entwickelt hatte, fiel daraufhin fast die Tasse aus der Hand. »Wie...?«, funkelte sie die ehemalige Freundin an, die längst keine mehr war.

Ansunara nickte Monka zu, die sagte: »Ich habe durchgerechnet, dass wir unsere Gewinne um mindestens sieben Prozent steigern könnten, wenn wir das Personalwesen direkt der Geschäftsleitung...« Ein sehr scharfer Blick Damas ließ sie zusammenzucken. »...oder der Finanzabteilung unterstellen. Ansunara könnte dann Othar im Marketing unterstützen.«

Ich seufzte und hoffte, dass die anderen es nicht hörten. Hätte ich doch das Marketing behalten...

Dama starrte unterdessen von einem zum anderen. Auch mich traf ihr Blick, ruhte unendlich lange auf mir und kehrte schließlich zu Monka zurück. »Also«, begann Dama betont langsam, »wenn wir die Gewinne wirklich steigern wollen, dann sollten wir es richtig tun. Ansunara, ich weiß, dass du programmieren kannst, also gehörst du ab jetzt zur Forschungsabteilung.«

Ich fuhr überrascht hoch und blickte Ansunara an. Nach sehr langer Zeit trafen sich unsere Blicke wieder.

*

Die nächsten Wochen waren wie ein Traum. Endlich sah ich Ansunara wieder täglich. Wir blieben zwar beide auf Distanz, aber ich war mir sicher, dass ich es früher oder später schaffen würde, diesen letzten Schritt auch noch zu überwinden.

Ansunara hatte die Idee, einen Filter für Pressemeldungen in das Programm einzubauen, damit man anhand bestimmter Stichwörter und Wahrscheinlichkeitsrechnungen direkt ermitteln konnte, wie sich die Kurse in den nächsten Stunden entwickeln würden. So saßen wir beide mit einigen anderen Schülern, die mittlerweile auch zu D.A.M.O.C. gehörten, an den Rechnern und versuchten, dies in unser Programm einzubauen, als plötzlich der Interkom ansprach.

Ich nahm das Gespräch entgegen; auf dem Schirm erschien Selvelin.

»Hallo, Cau«, sagte mein ehemaliger Geschichtslehrer verlegen, weil er immer noch nicht wusste, wie er auf mich reagieren sollte. »Kann ich Ansunara sprechen?«

Ich nickte und winkte sie herbei. Auf dem Rückweg zum Terminal überlegte ich, welchen Grund Selvelin wohl haben könnte, seine Tochter tagsüber zu sprechen. Zum einen sah er sie ohnehin jeden Abend, und zum anderen war er doch immerhin Lehrer dieser Schule und brauchte nur herüber zu kommen.

In dem Moment, als mir bewusst wurde, dass Selvelin dem Hintergrund nach zu urteilen ziemlich eindeutig nicht in der Schule gewesen war, fing Ansunara plötzlich an zu kreischen.

Ich fuhr herum und bekam gerade noch mit, wie sie mit gelber Kopffarbe einfach vom Stuhl fiel und auf dem Boden liegen blieb. Sofort war ich bei ihr und richtete sie auf, aber sie reagierte nicht. Ohnmacht durch Schock, stellte ich fest. Ich blickte zum Holo ihres Vaters. Was hatte er ihr angetan? Zornig stand ich auf.

Ich wollte Selvelin gerade meine Verachtung entgegen schleudern, da bemerkte ich, dass dieser ebenfalls eine ungesunde Farbe angenommen hatte.

»Was hast du ihr gesagt?«, fauchte ich dennoch.

»Ansunaras Großeltern sind soeben entsorgt worden«, sagte Selvelin stockend und fing an zu weinen. »Obwohl sie noch genügend Wirtschaftskraft hatten – offenbar konnte man ihnen Verbindungen zur Anti-Wirtschaft nachweisen.«

Jetzt wurde ich auch blass. Ich erinnerte mich, wie Oma hysterisch nach der Pille geschrien hatte und ich ausgerastet war. Ich war allerdings wesentlich jünger gewesen als Ansunara jetzt. Außerdem sind sie wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe Anti-Wirtschaft hingerichtet worden, das bedeutete, dass Selvelin ebenfalls in großer Gefahr war. Und Ansunara? Gehörte sie ebenfalls dazu?

»Ich kümmere mich um sie«, versprach ich ihrem Vater.

Dieser nickte nur und schaltete dann ab.

Vorsichtig hob ich Ansunara auf und legte sie auf einen Tisch. Von irgendwo her wurde mir ein Glas Wasser und ein kaltes Tuch gereicht. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir nicht alleine waren. Heftiger als beabsichtigt scheuchte ich die anderen aus dem Zimmer.

Behutsam tupfte ich mit dem Tuch über Ansunaras Kopf. Ich konnte die Tränen nicht mehr halten, als ich an meine Großeltern denken musste. Jetzt waren Ansunara und ich uns noch ähnlicher geworden. Der Hass kehrte zurück und ich verfluchte gedanklich die gesamte Xamouri-Gesellschaft, vor allem Zemora, die aus den Xamouri eiskalte Kapitalisten gemacht hatte. Wären wir doch lieber Sklaven der Quhrd geblieben...

Ansunara schlug plötzlich die Augen auf, sah mich weinen und stimme ebenfalls mit ein.

»Meine Großeltern«, sagte ich schniefend, »wurden auch gewaltsam entsorgt, weil sie nicht ins System passten. Mein Opa war ebenfalls in der Anti-Wirtschaft. Ich habe ihn sehr gemocht!«

Ansunara klammerte sich an mich und ich klammerte mich an sie. Gemeinsam weinten wir, bis es draußen dunkel wurde.

*

»Guten Morgen!«, vernahm ich die schönste aller Stimmen. Ich blinzelte in die Helligkeit. Direkt vor mir hockte Ansunara im Bett. Sie war natürlich wieder viel eher wach geworden.

»Steh auf!«, lachte sie mich an. »Du willst doch wohl nicht an deinem letzten Schultag zu spät kommen, oder?«

Ich gähnte ausgiebig und schüttelte den Schlaf ab, dann gab ich ihr einen Kuss und verschwand in der Hygienezelle.

Seit fast einem Jahr wohnten wir jetzt schon zusammen. Nach dem schicksalhaften Nachmittag hatten wir zueinander gefunden und waren ein Paar geworden. Ich hatte Ansunara jeden Tag besucht und ihr so geholfen, die fürchterlichen Ereignisse zu vergessen. Selvelin, sie und ich waren uns einig, dass wir dem Treiben der Kapitalisten unbedingt Einhalt gebieten mussten, doch war es zu riskant, es jetzt zu tun.

Dama war mit unserem Treiben im Büro überhaupt nicht einverstanden gewesen. Sie hatte den Kopf geschüttelt und irgendetwas von »Sex am Arbeitsplatz« gemurmelt und hätte uns wohl am liebsten rausgeschmissen, doch auch ihr war klar, dass sie auf uns nicht verzichten konnte. Doch ich war mir mit Ansunara einig geworden, dass wir D.A.M.O.C. – trotz allen Erfolges – nach Ende der Schulzeit verlassen würden, nicht zuletzt, um endlich Ruhe vor ihr zu haben. Ich wollte dann wie von meinen Eltern geplant zum Militär gehen, weil dort laut Selvelin sehr viele Sympathisanten versammelt waren, während Ansunara trotz aller Abneigung versuchen wollte, eine Anstellung bei der AG zu bekommen.

So schlenderten wir dann fröhlich umarmt zur Schule und malten uns aus, wie Dama wohl auf unsere fristlose Kündigung reagieren würde. Lange schon war Dama für uns der Archetyp des verhassten Kapitalisten geworden – und diese wollten wir behindern, wie es nur ging.

Der Schultag wurde zu einer ausgelassenen Feier, heute zählte es nicht, wie erfolgreich die einzelnen Firmen gewesen waren, sondern nur die Aussicht, den zwölfjährigen Bildungsapparat nun endlich entronnen zu sein. Auch jetzt zu den Erwachsenen zu gehören, heizte die allgemeine Stimmung an. Ständig stieß Ansunara mich an, wenn Dama vorbei lief, doch ich schüttelte immer den Kopf. Ich wusste schon, wann wir kündigen mussten, um sie wirklich zu treffen.

Der Höhepunkt des Tages – die Überreichung der Lebensaktien – rückte immer näher und schließlich nahmen alle Abgänger in der Aula Platz. Dama, die leider einen Platz viel zu nahe an uns ergatterte, konnte es nicht lassen, abfällige Kommentare in Richtung der anderen Firmenchefs loszuwerden und, in unsere Richtung gewandt, von einigen »phänomenalen neuen Ideen« zu reden. Ich wies nur einfach zum Rednerpult und ignorierte sie danach.

»Herzlich willkommen zum offiziellen Teil der Abschlussfeier«, begann der Schulleiter seine Rede. »In diesem Jahr erfüllt es uns mit ganz besonderem Stolz, dass unsere Schule die bisher produktivste Schulfirma aller Zeiten hervorgebracht hat. Das zeigt, wie schnell wir die neuen Richtlinien des Obersten Wirtschaftlers umsetzen konnten, und wie gut diese dem Wohle der AG und dem gesamten xamourischen Volke dienen. Wir werden unsere Schulfirmenbelegschaften jetzt firmenweise hier nach vorne bitten, damit sie ihre Bilanzen vortragen und ihre Lebensaktien in Empfang nehmen können. Doch bevor wir dazu kommen, müssen wir leider auch einige Schüler nach vorne bitten, deren Firmen kläglich gescheitert sind und die somit nur ihre Aktien bekommen. Ich verlese nun die Namen...«

Dies war der brutalste Teil der Feierlichkeiten. Da die Lesung öffentlich war, sprachen sich die Namen der Gescheiterten schnell herum und es war praktisch ausgeschlossen, dass diese irgendwo noch einmal eine Anstellung fanden, wenn sie nicht schnell genug in der Schule noch eine neue Firma gefunden hatten. Einige wiederholten das letzte Schuljahr und versuchten es bei einer anderen Firma noch einmal, andere entsorgten sie bereits jetzt schon...

Nach den Gescheiterten kam dann die Schulfirma dran, die das wenigste Kapital, oder besser gesagt, die meisten Schulden hatte. Auch diese wirkten nicht sonderlich glücklich, so bloß gestellt zu werden, aber immerhin hatten sie bewiesen, dass sie in Krisenzeiten nicht aufgaben.

So ging es dann Firma für Firma weiter, und der Zeitpunkt, an denen wir uns für Damas Gehabe rächen würden, rückte immer näher. Schließlich war es soweit.

»Jetzt kommen wir zum beeindrucktesten, was wir dieses Jahr zu präsentieren haben«, erklärte der Schulleiter so stolz, als wäre es seine eigene Gründung gewesen. »In diesem Jahrgang gibt es eine Firma, deren Vorstand gezeigt hat, wie man sich behaupten muss. Nach nur drei Monaten bereits profitabel, gehört sie seit nunmehr anderthalb Jahren – ich denke, das kann man wirklich so ausdrücken – zu den großen Firmen in Xemoru. Spenden Sie Applaus für die Mitarbeiter der D.A.M.O.C.!«

Ein kurzer Seitenblick zu Ansunara, die nickte. Ich hatte sie kurz zuvor eingeweiht und sie war direkt begeistert gewesen, ebenso Monka und die meisten anderen, die ebenso wie wir voller Schadensfreude beobachten, wie Dama sich erhob und mit dem Gehabe einer Königin nach vorne schritt. Wir blieben natürlich sitzen...

Dama war unterdessen auf der Bühne angekommen und stellte sich stolz auf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die einzige war. Irritiert sah sie sich um.

»Fehlen da nicht welche?«, fragte der Schulleiter nervös und ging zu ihr hinüber.

Sie wechselten einige Worte, die man im Saal nicht hören konnte. Dann deutete sie in unsere Richtung. Der Schulleiter folgte ihrem Blick und gab mir mit einer herrischen Geste zu verstehen, dass ich gefälligst auf die Bühne kommen sollte.

Jetzt erhob ich mich und schlenderte, als hätte ich alle Zeit der Welt, mit den Händen in den Hosentaschen auf die Bühne und direkt hinter das Rednerpult.

»Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor«, sagte ich betont langsam in den Saal und sah zu Ansunara hinüber, die zu kichern angefangen hatte. Ich zeigte auf Dama. »Das ist D.A.M.O.C.! Oder sollte ich besser sagen – D.?«

Ich verließ das Pult und wollte die Bühne verlassen, doch sofort war der Schulleiter bei mir, während Dama nur total perplex wie festgenagelt auf ihren Platz stand.

»Was soll das?«, fuhr er mich an. »WirtschaftTV ist hier. Fast alle Xamouri können uns sehen. Ich will sofort eine Erklärung für dieses indiskutable Verhalten haben!«

Ich zuckte nur gelangweilt mit den Schultern und ging zum Pult zurück. »Die Firma D.A.M.O.C. war wirklich die erfolgreichste Schulfirma aller Zeiten – bis vor einer halben Stunde.«

Ich gab Monka ein Zeichen. Sie kam auf die Bühne und setzte meine Rede fort: »Seit einer halben Stunde besteht die Firma D.A.M.O.C. aus exakt einer Person, alle anderen Mitarbeiter haben von den Sonderkündigungsrecht zum letzten Schultag Gebrauch gemacht und die Firma verlassen.«

Jetzt war Ansunara dran, und ihr gebührte die Ehre, die Bombe platzen zu lassen. Auf dem Weg zur Bühne warf sie Dama einen triumphierenden Blick zu, der von dieser nur mit unbändigem Hass erwidert wurde. Dabei wusste sie noch nicht das schönste...

»Dadurch, dass wir mit zu den fünf Gründungmitglieder gehören, gehört jedem von uns ein Fünftel der Firma und somit zwanzig Prozent des derzeitigen Kapitals, dass wir natürlich als Abfindung mitnehmen werden«, erläuterte Ansunara und bewies damit, dass sie in Betriebswirtschaftslehre aufgepasst hatte. »Schon vor einigen Wochen wurden die Eigentumsrechte unseres Aktienfond-Programms an Monka Fardh übergeben, die mittels dieser Rechte und einer neuen Firma den Verkauf des Produktes fortsetzen wird...«

Tja, dachte ich und grinste Dama höhnisch an. Das kommt davon, wenn man immer alles unterschreibt, ohne sich das vorher durchzulesen...

Dama wurde bleich und fiel in Ohnmacht.

 

6. Endrass

Bald nach der Feier meldete ich mich freiwillig zum Militärdienst. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommen würde, hätte ich mir das sicherlich anders überlegt, aber so landete ich nach drei Monaten erbarmungsloser Grundausbildung schließlich auf der Militärstation Triinum. Diese Kunstwelt umkreiste bereits seit Gyrats Zeiten TRIICLE-3 und war das Zentrum des xamourischen Militärs und der Überwachung des Kosmonukleotids.

Aber der immer größer werdende Hang zum Kapitalismus war auch an Triinum nicht vorüber gegangen und dass der letzte Angriff nunmehr vierhundert Jahre zurücklag, tat ein Übriges dazu. So war jeder Offizier in mindestens einen Aufsichtsrat vertreten und verbrachte mehr Zeit auf Xamour als auf seinem Arbeitsplatz. Für mich hatte das den Vorteil, dass ich nach meiner Grundausbildung sehr oft Landurlaub bekam und Ansunara besuchen konnte, doch allgemein sahen wir uns nur noch selten.

Als ich endlich zum Unteroffizier befördert worden war, nahm ich einige Tage frei, um mit Ansunara zu feiern. Diese konnte auch mit einer Überraschung aufwarten, denn ihr war es gelungen, eine hohe Stelle im Capurat-Konsortium zu bekommen, somit fehlte nur noch ein kleiner Schritt hin zur AG.

So saßen wir zusammen, als ich plötzlich aufgeregte Stimmen aus den Nachbarwohnungen hörte. Offenbar lief gerade was furchtbar Interessantes in WirtschaftTV. Ansunara war allerdings wirklich neugierig geworden und brachte mich dazu, das Trivid zu aktivieren.

Im Holo war eine Gestalt zu sehen, die uns beiden völlig unbekannt war. Obwohl sie entfernt wie ein Xamouri aussah, hatte das Wesen jedoch eine völlig schwarze Hautfarbe. Der Fremde war völlig unbekleidet, nur seine Füße steckten in großen klobigen Stiefeln, oder um was auch immer es sich handelte. Erst nach einer Weile fiel mir auf, dass er eine Handbreit über dem Boden schwebte.

Dann betrachtete ich den Xamouri, der ihm gegenüberstand – und verzog angewidert das Gesicht. Unser ach-so-toller Oberster Wirtschaftler persönlich hatte sich dazu erbarmt, diesen außerxamourischen Besucher zu empfangen.

»Ich grüße dich, Abgesandter des Kosmokraten Sipustov!«, sagte genau in diesem Moment Patro Capurat, der Oberste Wirtschaftler. »Es freut uns Xamouri außerordentlich, dass die Hohen Mächte sich für unser Wirken interessieren. Leider weilt der Große Gyrat seit nunmehr 400 Jahren nicht mehr unter uns...«

Bitter auflachend wandte ich mich an Ansunara. »Ha, dieser Lügner. In Wirklichkeit ist diesen Kapitalisten schon lange Zeit völlig egal, was mit TRIICLE-3 passiert. Ich weiß doch, dass die AG das Militär am liebsten sofort aus Kostengründen abschaffen würde. Und dann diese Offiziere – ich erlebe es ja selbst andauernd...«

Ich schüttelte nur bedauernd den Kopf. Mit Grausen dachte ich schon jetzt daran, wie es wohl werden sollte, wenn ich erst den ersten Stern auf meinen Schulterklappen aufheften würde und dann quasi dazu gehörte.

Die tiefe Stimme des Schwarzen riss mich aus meinen Grübeleien.

»Leider teile ich deine Meinung nicht, Xamouri!«, sagte der Abgesandte mit Bestimmtheit. »Ich wurde ausgesandt, um euch zu beobachten. Seit einigen Jahren schwebte ich im Ortungsschutz eurer Sonne und musste beobachten, dass für die Xamouri nur noch Wirtschaft zählt. Den Sinn für das Kosmische habt ihr längst verloren! Besinnt euch auf das Wesentliche!«

Er drehte sich um und schwebte auf sein Schiff zurück. Dabei bewegte er die Beine, als würde er gehen, was unfreiwillig komisch wirkte.

»Ich werde euch weiter beobachten«, sagte er, bevor sich die Schleuse seines Schiffes schloss. »Denkt immer daran: Endrass ist in der Nähe. In einem Tag komme ich wieder und erwarte eure Entscheidung.«

Dann verschwand er.

Wir wollten gerade das eben Gesehene diskutieren, da rief Selvelin über Interkom an. »Habt ihr das auch gesehen?«, rief er aufgeregt. »Das ist unsere Chance, wir müssen den offenen Widerstand riskieren! Kommt sofort zum Firmensitz der AG; ich werde dafür sorgen, dass die gesamte Anti-Wirtschaft da sein wird – auch alle geheimen Mitglieder!«

Wir sahen uns an und standen beide genau gleichzeitig auf. Es wurde ernst.

*

»...kam es zu großen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bis die Aufrührer festgesetzt werden konnten. Der Anführer des Aufstandes ist Mate Selvelin, ein ehemaliger Lehrer. Er leitete die Terroristengruppe Anti-Wirtschaft und zwang sogar seine eigene Tochter und ihren Mann, an dem Aufstand teilzunehmen...«

Wütend schlug ich mit der Faust auf die Tischplatte, dass die Tassen klirrten. Ansunara legte ihren Arm auf meine Schultern.

»Glaube doch nicht der Propaganda von WirtschaftTV«, versuchte sie mich zu beruhigen, doch ihre Augen sagten etwas anderes. »Er musste es tun, sonst wären wir alle ins Gefängnis gekommen...«

Ich nickte ihr zu und wollte das verhasste Trivid gerade deaktivieren, da erstarrte ich. Patro Capurat erschien in dem Holo.

»Ich nehme diesen Vorfall nicht auf die leichte Schulter«, sprach er, als würde ihn die Angelegenheit wirklich bewegen. »Gerade jetzt, wo Endrass, der Abgesandte der Kosmokraten, hier ist, müssen wir alles tun, um unserer Aufgabe nachkommen zu können. Saboteure an unserer Gesellschaft dürfen wir nicht dulden! Daher wird Selvelin morgen vorzeitig öffentlich entsorgt werden.«

Ansunara kreischte, und ich schlug wieder mit der Faust auf den Tisch, dabei fletschte ich die Zähne.

Diese Kapitalisten! fluchte ich in Gedanken. Sie werden unser Volk noch eines Tages an den Abgrund bringen!

Hätte ich damals gewusst, dass es gar nicht mehr so lange dauern würde, wäre ich noch viel wütender gewesen, als ich es zu diesem Zeitpunkt war...

Die ganze Nacht blieben wir wach und grübelten, überlegten und schwiegen in hilfloser Wut. Schließlich rückte der Zeitpunkt der Exekution immer näher und uns war immer noch keine Lösung eingefallen, wie wir Selvelin retten konnten.

Einige Minuten vor der Hinrichtung aktivierte ich WirtschaftTV. Mir war klar, dass es brutal werden würde, aber das war dann doch unbeschreiblich, wie dort mit Propaganda Selvelin der Garaus gemacht wurde. Als dann Selvelin mit Gewalt die Pille verabreicht wurde, zerstörte ich den WirtschaftTV-Empfänger. Sollten die mich doch auch festnehmen und töten, mir war das egal.

So erfuhr ich allerdings erst viel später, dass gegen Ende der Hinrichtung plötzlich Endrass wie aus dem Nichts auftauchte und nach dem Tod von Selvelin teilnahmslos nach der Entscheidung der Xamouri fragte. Der Oberste Wirtschaftler gab an, dass die Xamouri natürlich weiterhin im Dienste der Kosmokraten stehen würden, allerdings nur gegen entsprechende Zahlungen, rückwirkend zu begleichen für die letzten knapp 27.000 Jahre.

Endrass verließ daraufhin wutentbrannt den Planeten, kehrte jedoch kurze Zeit später tatsächlich mit den geforderten Geldmitteln zurück.

Das waren die neusten Nachrichten, die ich bei meinem Dienstantritt nach dem Landurlaub erfuhr. Man begegnete mir mit äußerster Zurückhaltung, schien den Medien aber wirklich zu glauben, dass ich mit der Sache nichts zu tun gehabt hatte.

*

Die Monate vergingen, und langsam überwanden wir den Tod von Selvelin und das Ende der Anti-Wirtschaft, doch dann kam das Chaos.

Ich nahm gerade an einer Pilotenausbildung teil, als urplötzlich alle Ortungsgeräte Alarm schlugen.

»Eine gigantische Flotte kommt nahe TRIICLE-3 aus dem Hyperraum!«, rief der Ortungsoffizier. »Eintausend, jetzt schon zweitausend Schiffe... es werden immer mehr!«

»Auf die Gefechtspositionen, Alarm für das gesamte Schiff!«, befahl der Kapitän und ließ sich in den Kommandositz sinken.

Ich wurde aus dem Pilotensitz gestoßen, in dem ich zur Übung Platz genommen hatte. Zögernd ging ich in den hinteren Bereich der Kommandobrücke, um der eigentlichen Crew nicht im Weg zu stehen. Dort hatten sich bereits einige andere Lehrgangsteilnehmer versammelt, die genauso unsicher wie ich wirkten.

»Hier spricht General Tychert«, klang dann die Stimme des obersten Militärvorgesetzten in den Hyperempfängern. »Es handelt sich um einen Angriff der Chaosmächte auf das Kosmonukleotid. Höchste Alarmstufe!«

Unser Schiff nahm Fahrt auf und näherte sich den ersten Feindschiffen. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich, denn, nach den Jahrhunderten der Ruhe, kam dieser Angriff für uns alle völlig überraschend. Kurz dachte ich an Ansunara. Würde ich sie wiedersehen? Doch egal ob ja oder nein, derzeit konnte ich das Geschehen nur unbeteiligt beobachten und für das Beste hoffen...

IHR HABT MEINEN CHAOTENDER ZERSTÖRT! DAFÜR WERDET IHR BÜSSEN!

Stöhnend griff ich an meinen Kopf, genau wie der Rest der Zentralbesatzung. Hätte ich die Stimme gehört, oder war sie direkt in meinem Kopf entstanden? Auf jeden Fall war sie schmerzhaft laut gewesen.

IHR WISST DOCH GAR NICHT, MIT WELCHER MACHT IHR EUCH ANGELEGT HABT! SPÜRT DEN ZORN DES CHAOTARCHEN FESTONOR!

Während wir alle noch mit den Nachwirkungen der unermesslich lauten Stimme kämpften, traf der erste Treffer das Schiff. Die Erschütterungen brachten uns übergangslos in die Wirklichkeit zurück.

»Treffer auf dem Maschinendeck«, gab die Stimme der Bordsyntronik durch. »Hyperantrieb ausgefallen. Energieabfall. Warnung, Intensitätsverluste in den Schutzschirmen!«

»Wie konnte das passieren?«, fauchte der Kommandant. »Waren die Schirme etwa nicht aktiviert?«

»Doch, Herr Major, aber deren Waffen müssen sie einfach durchdrungen haben!«

»Verfluchtes Schulschiff! Wir ziehen uns nach Triinum zurück!«

Doch keine Kampfhandlungen für uns. Innerlich atmete ich auf. Dann kam der nächste Schlag, so heftig, dass wir durch den Raum gewirbelt wurden. Ich schlug mit dem Kopf unsanft auf und blieb eine Weile benommen liegen. Das Licht ging aus und ich wurde schwerelos. Irgendjemand flog knapp an mir vorbei, dann flammte die Notbeleuchtung auf und ich fiel zu Boden, was einen erneuten Schmerz mit sich brachte. Benommen stand ich auf und sah mich um.

Die Zentrale war ein riesiger Trümmerhaufen. Armaturen, Kontrollen und Sitze lagen überall verstreut. Die meisten Besatzungsmitglieder lagen am Boden. Das einzige, was noch arbeite, war der kleine Kontrollbildschirm des Piloten. Der Pilot selbst war aber von einem Hebel durchbohrt worden und hing tot in seinem Sitz.

Sofort rannte ich hin. Nur einen kleinen Augenblick blitzte der Gedanke auf, dass ich nicht einmal ein paar Minuten zuvor an dieser Stelle gesessen hatte. Ich drückte den Sitz mit dem Toten beiseite und griff nach den Kontrollen, ohne zu zögern.

Ein Blick auf den Kontrollbildschirm verriet mir, dass wir mit mörderischem Tempo auf Triinum zurasten. Unser Schiff würde die Kunstwelt rammen und immense Schäden anrichten.

Ich hieb den Geschwindigkeitsregler nach unten. Keine Reaktion.

Fluchend versuchte ich, den Kurs des Schiffes zu ändern. Ebenfalls erfolglos.

Verzweifelt überlegte ich, wie ich das Unglück noch abwenden konnte. Bis mir die Geschützmodule einfielen. Sofort rannte ich zum Steuerpult des Maschinenleitstandes. Der Dienst habende Offizier, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte und derzeit fassungslos die Schäden kontrollierte, wurde von mir einfach beiseite gestoßen. Bevor er aufbegehren konnte, hatte ich die passenden Schalter bereits betätigt und rannte zur nächsten Konsole.

Es gelang mir, in nur 10 Sekunden alle Geschützmodule und angeflanschten Körper der linken Schiffsseite abzusprengen. Dadurch bekam das Schiff einen leichten Impuls nach rechts. Keuchend erreichte ich das Pilotenpult und überprüfte die Kursänderung im Monitor.

Nur ein halbes Grad, analysierte ich die Lage. Das reichte nicht, um komplett an der Station vorbei zu kommen. Ich hoffte aber, dass das Schiff lediglich am Energieschirm von Triinum abprallen und nicht verglühen oder durchschlagen würde.

»Sofort alle auf den Boden!« schrie ich durch die Zentrale und überraschenderweise folgten alle meinem Befehl. »Wir werden gleich den Schirm von Triinum rammen!«

Ich selbst kroch unter die Konsolen und zog den Pilotensitz an mich ran, um von allen Seiten geschützt zu sein. Einige Augenblicke konnte ich die Blutstropfen an dem Bein des toten Piloten herunterlaufen sehen, bis dann der Schlag kam. Obwohl ich mich festgehalten hatte, wurde ich rechts und links gegen die Seitenwände geschleudert. Der Sitz war plötzlich verschwunden und ich hörte ein lautes Donnern aus den Tiefen des Schiffes. Ich wurde ein zweites Mal schwerelos, dann war es plötzlich ruhig.

Vorsichtig tastete ich mich aus meinen Versteck. In der Zentrale war es völlig finster, nicht einmal die Kontrollen strahlten mehr Licht ab. Als ich durch den Raum schwebte, stieß ich mehrmals mit leblosen Körpern zusammen. Jedes Mal erschauerte ich in der Dunkelheit.

»Ist hier noch jemand am Leben?«

Ich zuckte bei der plötzlichen Stimme zusammen. Dann erkannte ich sie. Es war Major Tychert, unser Kommandant.

»Fähnrich Thon, Herr Major«, meldete ich mich.

Wir warteten noch einige Augenblicke ab, aber niemand sonst meldete sich.

»Fähnrich, waren Sie es nicht, der die Steuerung übernommen hatte?«

Ich zuckte zusammen. Vielleicht war ich doch etwas voreilig gewesen. »Jawohl, Kommandant. Ich...«

»Gut gemacht!«

Das Lob überraschte mich total. Ich versuchte, mich an der Stimme zu orientieren und dem Major entgegen zu schweben. Dabei stieß ich wiederum auf einen Körper. Diesmal jedoch vernahm ich ein Stöhnen.

»Hier ist noch jemand am Leben!« rief ich überrascht.

»Wir müssen die Leute und uns in Sicherheit bringen«, überlegte der Kommandant. »Wer weiß, was da draußen gerade vorgeht. Fähnrich... haben Sie den Führungslehrgang schon absolviert?«

»Jawohl, Herr Major!«

»Gut, ab jetzt sind Sie mein Adjutant, Leutnant!«

Ich schluckte. So hatte ich mir meine Aufnahme in den Offiziersrang mit Sicherheit nicht vorgestellt. Um mich abzulenken, umgriff ich den Verletzten und stieß mich an einem Hindernis in Richtung Schott ab.

Dort traf ich auch auf den Major. »Wir müssen das Schott manuell öffnen«, erklärte er. »Thon, öffnen Sie rechts neben dem Schott die Wartungsklappe und versuchen Sie, das Rad zu drehen!«

Ich ließ den Verletzten in der Luft hängen und tastete mit einer Hand nach der besagten Klappe, während ich mich mit der anderen festklammerte. Nach langem Umhertasten fand ich sie endlich und stieß sie auf.

»Gut so«, rief der Kommandant, der das Geräusch gehört hatte. »Jetzt das Rad!«

Das besagte Rad machte mir in der Schwerelosigkeit ernste Probleme. Bei Schwerkraft wäre es wohl kein Problem gewesen, es zu drehen, aber so stieß ich mich nur immer selbst ab, wenn ich zu drücken versuchte. Schließlich gelang es mir, als ich mich auf die andere Seite der Klappe begab, die Füße in die Öffnung stellte und das Rad zu mir hin zog. Es kam ein lautes Zischen und ein leises Quietschen.

»Wunderbar«, hörte ich den Kapitän. »Ich kann durch die Öffnung in den Zentralgang. Nehmen Sie den Verletzten wieder auf und folgen Sie mir!«

Zusammen tasteten wir uns durch das dunkle und offenbar völlig ausgestorbene Schiff. Ständig stießen wir auf irgendwelche Toten, so dass es mir immer unglaublicher erschien, dass der Major und ich offenbar völlig ohne Verletzungen davon gekommen waren.

Schließlich erreichten wir den Hangar. Nach derselben Methode wie in der Zentrale öffnete ich das Schott und wir orientierten uns nach den Rampen auf dem Boden, um ein Beiboot zu finden. Das erste erwies sich nach kurzer Inspektion als unbrauchbar, aber beim zweiten hatten wir Glück.

Der Kommandant schwebte als erstes ins Innere, während ich den verletzten Kameraden auf einer Liege im Beiboot festschnallte.

»Ich bin drin und der Verletzte liegt sicher«, rief ich dem Kommandanten zu.

»In Ordnung«, kam es von ihm merkwürdig schwach zurück. »Ich aktiviere die Energiesysteme.«

Bitte, bitte, bitte! flehte ich in Gedanken und tatsächlich, gleißende Helligkeit trat in meine Augen und ich polterte zu Boden.

»Kommen Sie nach vorne«, hörte ich den Major flüstern. »Ich bin nicht mehr in der Lage, das Schiff zu steuern. Ich...«

Irritiert trat ich in das kleine Cockpit des Beibootes. Warum sollte der Kommandant mit einem Beiboot Probleme haben?

Dann traf mich der Anblick des Kommandanten wie ein Schlag. Er war mittlerweile bewusstlos geworden und hing inmitten seines Blutes im Pilotensitz. Der Aufprall des Schiffes hatte ihm beide Beine abgerissen. Noch jetzt sickerte Blut aus den Stümpfen, der Blutverlust musste immens sein.

Ich unterdrückte ein Würgen und hob ihn vorsichtig an. Meine Ehrfurcht vor dem Offizier wuchs. Obwohl der Aufprall ihn grauenvoll getroffen hatte, hatte er mir Lob ausgesprochen und mich befördert. So sanft wie möglich trug ich ihn auf die zweite Liege des Beibootes und rief einen Medoroboter. Ich beobachte, wie der medizinische Notfallroboter Infusionen mit Medikamenten und künstlichen Blut anlegte und dann die Beinstümpfe notdürftig verband.

Dann gab es einen erneuten Schlag, der mich auf den Boden schleuderte. Sofort sprang ich wieder auf und rannte an die Kontrollen des Beibootes. Ich aktivierte den Antrieb und steuerte das kleine Schiff auf die Schotten des Hangars zu. Da diese ebenfalls ohne Energie waren, schoss ich kurzerhand mit den Desintegratoren darauf, bis sich sie auflösten.

Draußen empfing mich eine tobende Raumschlacht. Überall um mich herum konnte ich kleine Kunstsonnen explodierender Raumschiffe erkennen. Der Orter des kleinen Beibootes war von der Zahl der Raumschiffe, Beiboote und Trümmer völlig überfordert und zeigte nur unsinnige Daten an.

Erst jetzt kam ich auf die Idee, den Hyperfunk des Beibootes zu aktivieren, doch im Chaos, das auf dem Äther herrschte, konnte ich weder herausfinden, wie es stand, noch um Hilfe rufen.

Mutlos steuerte ich das Schiff auf Triinum zu, bis mir auffiel, dass ich verfolgt wurde. Ein Chaos-Schiff hatte sich an meine Fersen geheftet und kam unaufhaltsam näher. Ich checkte die Bordwaffen, aber außer einem Desintegrator zur Asteroidenabwehr hatte das Rettungsboot nichts zu bieten, auch der Schutzschirm würde einem Treffer des Kriegsschiffs nicht standhalten können.

Ohne lange zu überlegen drückte ich den Fahrtregler auf Maximum und raste der Kunstwelt entgegen, aber das Schiff kam immer näher. Verzweifelt griff ich nach dem Funkgerät und rief um Hilfe, doch niemand antwortete mir.

Ein Waffenstrahl des Chaos-Schiffes blitzte haarscharf an dem Beiboot vorbei. Ich begann daraufhin, das Schiff im Zickzack-Kurs zu fliegen und Haken zu schlagen. Endlich kam ich in die Waffenreichweite von Triinum. Das gegnerische Schiff, das mir immer noch gefolgt war, wurde von den überlegenen Waffen der Kunstwelt getroffen und zerstört. Danach öffnete man eine Strukturlücke im Schirm.

Völlig durchgeschwitzt lenkte ich das Rettungsboot auf einen Landeplatz und schlief vor Erschöpfung sofort ein.

Als ich zu mir kam, blinzelte ich zunächst. Eine große Schar von Leuten hatte sich um mein Bett versammelt. Irritiert stellte ich fest, dass ich mich in meiner Wohnung befand, sogar Ansunara stand vor dem Bett.

»Herzlich willkommen unter den Lebenden, Leutnant«, begrüßte mich ein Brigadegeneral. Brigadegeneral? »Sie haben sich heldenhaft geschlagen.«

»Fähnrich«, flüsterte ich. »Ich bin nur Fähnrich. Major Tychert hat mich vielleicht befördert, aber das ist noch nicht von der Verwaltung...«

»Glauben Sie es ruhig, Leutnant«, lachte der Brigadegeneral. »Durch den Angriff herrschte Kriegsrecht. Und wenn der Major meinte, Sie befördern zu müssen, war das absolut rechtskräftig. Aber der Rote Orden, der für Ihre blitzschnelle Reaktion nach dem Angriff und Ihre Hilfe gegenüber den verletzten Kameraden nun verliehen wird, ist von der Verwaltung und sogar dem Obersten Wirtschaftler abgesegnet!«

Ich stöhnte unterdrückt auf. Ein Orden für diese Selbstverständlichkeit. Und dann noch von diesem Obersten Wirtschaftler, der mittlerweile drei Personen aus meinem engsten Kreis auf dem Gewissen hatte.

Sei vorsichtig, sonst ergeht es dir wie Opa oder Selvelin, trichterte ich mir selbst ein und unterdrückte den Würgereflex, als der Brigadegeneral mir den Orden anheftete. Ich zwang mich zu einem Lächeln.

Ansunara hielt nun nichts mehr. Sie zwängte sich an den Militärs vorbei und gab mir einen dicken Kuss. Innerlich schwor ich mir aber, es dem verhassten Obersten Wirtschaftler eines Tages heimzuzahlen. Er sollte genau so sterben wie meine Verwandten...

*

Genau das tat er auch exakt sechs Tage nach der Schlacht. Fassungslos musste ich in WirtschaftTV mit ansehen, wie Patro Capurat verkündete, er hätte nun das maximale Alter erreicht und sehe keinen Sinn mehr darin, weiter ein Ballast zu sein und die jüngeren zu blockieren. Dann schluckte er öffentlich die Pille und schlief kurze Zeit später ein.

Ich ballte vor Wut die Fäuste. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, dass der Oberste Wirtschaftler tot wäre – aber nicht so! Ich wollte ihn zur Rede stellen und dann schön langsam töten. In den vergangenen Jahren hatte ich genug Zeit, mir die unterschiedlichsten und vor allem langsamen Tötungsmethoden in Gedanken auszumalen. Aber dass der Tyrann nun einfach aus freien Stücken aus dem Leben tritt, konnte ich mir mit keiner Logik erklären.

Ansunara wirkte auch bedrückt, aber dennoch versuchte sie mich zu beruhigen: »Siehe es doch mal so, wenn der Kapitalist erst einmal weg ist, kann es doch nur besser werden. Was kann denn noch schlimmer sein als Capurats Fünf-Punkte-Programm?«

Ich sah sie nur stumm an. Ja, da konnte ich mir einiges vorstellen...

*

Meine Ahnungen schienen sich zu bestätigen, als Capurats Tochter Jadranka hinter das Rednerpult trat.

»Xamouri«, begann sie. »Nach der Selbstentsorgung meines Vaters gehen die Aktienbesitze und damit der Posten des Obersten Wirtschaftlers an mich über. Mein Vater hat Großes geleistet, als er Xamour und die AG in eine nie vorher da gewesene Epoche führte, wie wir sie heute erleben dürfen. Allerdings hat er in seiner Agenda in einigen Punkten nicht weit genug gedacht und ich will das erfolgreiche Programm nun an die neuen Verhältnisse anpassen.«

Eigentlich wollte ich gar nicht hören, was nun auf uns durch das Holobild zukommen würde, aber meine Neugier war zu groß.

»Mein Vater meinte, Senioren könnten am Leben bleiben, solange sie weiterhin Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen. Dies ist natürlich eine äußerst schwammige Definition, daher will ich sie präzisieren:

Sollte ein Xamouri älter als 79 Jahre sein und keine Rentenversicherung oder ein Aktienvermögen haben, das für sein restliches Leben reicht, ist er sofort zu entsorgen. Jede Art von staatlicher Rente wird ab sofort aus Kostengründen abgeschafft.

Arbeitsunfähige, Arbeitslose oder andere Individuen, die bisher vom der AG Geld bekommen haben, werden zukünftig auch entsorgt. Ebenso werden Konkurse abgeschafft. Sollte ein Unternehmen kein Geld mehr haben, ist die Geschäftsführung zu entsorgen und eine neue einzusetzen, die das Unternehmen radikal rationiert und in die Gewinnzone bringt.

Alle Schüler, die in der Praxis der letzten beiden Schuljahre ihre Firma in den Konkurs bringen, haben bewiesen, dass sie mit unserer Gesellschaft nicht klar kommen und sollten ebenfalls entsorgt werden.

Noch zu dem Entsorgen allgemein: Da das Herstellen der Entsorgungspillen Geld kostet, schlage ich vor, wieder klassische Mittel einzusetzen – etwa entleiben, erhängen, köpfen oder ähnliches. Die Kadaver sollten auch nicht mehr auf teure Friedhöfe gelegt, sondern kostengünstig wieder verwertet werden.«

Ansunara und ich stöhnten auf. In diesem Moment schloss ich mit der Gesellschaft endgültig ab, da ich mir nicht mehr vorstellen konnte, dass sie jemals wieder zur Vernunft kommen würde. Ein Seitenblick zu Ansunara verriet mir, dass sie ebenso dachte.

»Ich denke, wir sollten nach Seshonaar gehen«, schlug ich nachdenklich vor.

»Vielleicht kommt Endrass ja zurück«, überlegte Ansunara zaghaft, aber ich schüttelte nur den Kopf.

»Was bindet uns jetzt noch hier? Deine Eltern sind tot und die Meinen furchtbare Kapitalisten. Freunde haben wir praktisch gar keine mehr. Also was soll's?«

Ansunara rieb die Finger gegeneinander, als würde sie Geld zählen. Ich verzweifelte. Brauchte man denn sogar Geld, um aus dieser geldgierigen Gesellschaft auszusteigen?

*

Drei Tage später kehrte Endrass zurück. Wenn es ihn irritieren sollte, nun von einer Obersten Wirtschaftlerin empfangen zu werden, dann zeigte es der schwarze Diener der Kosmokraten nicht. Stattdessen beglückwünschte er uns für unseren Sieg gegen die Heerscharen Festonors.

Wie immer verfolgten wir das Ereignis über WirtschaftTV. Irgendwie amüsierte es mich, dass wir das Programm in der letzten Zeit fast genau so oft sahen wie die kapitalistischen Xamouri auch.

»Vielen Dank für deine Glückwünsche«, entgegnete Jadranka Capurat. »Wir haben zwar den Gegner in die Flucht schlagen können, allerdings hatten wir erhebliche Totalschäden an Schiffen, dazu kommen noch Kosten für Wartungen und Munition. Insgesamt ergeben sich für die Schlacht Kosten in Höhe von 112.427.523.378.976 Xem.«

»Ja, und?«

»Natürlich werden die Kosmokraten für diese Ausgaben aufkommen.«

»Was für ein Unsinn!«, lautete die knappe Antwort von Endrass.

Die Oberste Wirtschaftlerin zögerte nur eine Sekunde. »In diesem Fall werde ich die Kosmokraten verklagen. Wie erreiche ich das Gericht, das für kosmische Verträge zuständig ist?«

»So ein Gericht existiert natürlich nicht. Was denkt ihr euch eigentlich?«

»In diesem Fall sehe ich nicht ein, dass wir diesen absurden Vertrag noch länger beibehalten sollten und sehe das Verhältnis zu den Kosmokraten hiermit beendet.«

»Das steht euch natürlich frei. Beachtet allerdings, dass dieses System für die Wächter von TRIICLE-3 vorgesehen ist. Sucht euch also einen neuen Planeten und ihr seid frei!«

Nun fing Jadranka an zu lachen. »Was für ein Unsinn!«, wiederholte sie Endrass' Äußerung von kurz zuvor.

Endrass drehte sich daraufhin abrupt um, stieg in sein Schiff und startete.

Ich schaltete das Trivid ab. Als ich zu Ansunara blickte, sah ich die gelbe Färbung ihres Gesichtes. Ich war mir sicher, dass mein Gesicht ebenso aussah.

»Das war ein großer Fehler...«, sagte ich langsam.

Ansunara nickte nur.

 

7. Der Untergang

Zwei Monate später kehrte Endrass zurück, und mit ihm hunderttausend andere Schiffe gleichen Typs. Im Zentrum der Flotte befand sich eine gigantische Raumstation, an der viele der Schiffe angedockt waren. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt Patrouillenflug in einem Ein-Mann-Gleiter und war somit einer der ersten, der von der Ankunft der Flotte erfuhr.

Mir war sofort klar, zu welchem Zweck sich Endrass Verstärkung geholt hatte. In einem Monat hätten wir unser Erspartes zusammen gekratzt und Xamour verlassen, doch davor konnte ich nicht weg. Wir brauchten noch das Geld, das die gut bezahlten Patrouillenflüge brachten, um eine Passage mit Gepäck auf einem Schiff nach Seshonaar buchen zu können.

Jetzt machte uns Endrass einen Strich durch die Rechnung, denn ich war mir sicher, dass er sofort angreifen würde. Erstaunlicherweise funkte er aber zunächst die AG auf einem offenen Kanal an, so dass ich mithören konnte. Hoffnung regte sich in mir, vielleicht war die Oberste Wirtschaftlerin jetzt vernünftig.

»Hier ist Endrass, Kommandant der Kosmokratenflotte NESJOR. Ich komme, um die Xamouri aus diesem System zu entfernen. Die hunderttausend ebenfalls mit Nesjorianern bemannten Schiffe können als Transportschiffe für die Planetenbevölkerung verwendet werden.«

Die Oberste Wirtschaftlerin persönlich antwortete in Rekordzeit: »Wie ich schon gesagt hatte – die Xamouri werden ihre Heimat nicht verlassen!«

»In diesem Fall werden wir euch restlos vernichten.«

»Nur zu. Unser Militär ist auch mit den Chaotarchen fertig geworden, da werden eure paar Schiffe auch kein Problem sein.«

»Nein!«, entfuhr es mir. »Wir konnten die Truppen des Chaos besiegen, weil wir von den Kosmokraten entsprechende Waffentechnologien bekommen hatten. Gegen die Kosmokraten selbst hilft uns das überhaupt nichts!«

Doch mein Einspruch verhallte ungehört im Cockpit des Jägers.

Ich ignorierte alle Befehle, zur Basis zurück zu kehren, sondern machte mich auf dem Weg nach Xemoru. Irgendwie würde ich es schon schaffen, Ansunara mit in diesen Jäger zu quetschen, und dann würden wir uns auf Nimmerwiedersehen davon machen.

Ich war bis auf eine Lichtsekunde an Xamour herangekommen, da begann der Krieg zwischen den kybernetischen Nesjorianern und den Xamouri. Ich wurde aufgefordert, sofort nach Triinum zurück zu kehren, aber ich ignorierte alle Aufrufe. Als mir dann Desertation vorgeworfen wurde, schaltete ich das Gerät ab.

Das erste Ziel der Nesjorianer waren die Verteidigungsforts und Triinum gewesen und bereits 15 Sekunden nach Beginn des Angriffes existierte nichts mehr davon. Vor allem die Explosion Triinums, die unzählige dort gelandete Raumschiffe mit sich riss, schwächte Xamour extrem. Das nächste Ziel war offenbar, alle Raumschiffe zu erledigen, damit die Xamouri nicht mehr fliehen konnten. Selbst Schiffe, die im Hyperraum verschwanden, tauchten nur wenige Lichtminuten weiter als Glutball wieder im Einsteinraum auf. Daraufhin verwarf ich meinen Plan, von Xamour zu fliehen, denn selbst ein Jäger würde es nicht schaffen, an den Kosmokraten-Schiffen vorbei zu kommen.

Ich war bereits in die Atmosphäre eingetreten und schlängelte mich an abstürzenden Schiffen vorbei. Die Kriegsschiffe Xamours starben wie die Fliegen und die Schäden in den Städten durch abstürzende Raumer mussten immens sein.

Ein gegnerisches Schiff tauchte direkt vor mir auf und fing an, mich zu beschießen.

»Ich bin auf eurer Seite!«, brüllte ich ins Funkgerät, doch der Beschuss ging weiter.

Der Gegner hatte zwar Mühe, meinen winzigen Jäger zu treffen, aber selbst Streifschüsse ließen jedes Mal meinen Schirm komplett zusammenbrechen. Wütend eröffnete ich ebenfalls das Feuer, was aber nichts brachte. Wütend ging ich auf Kollisionskurs.

Dann traf mich der erste Schuss, und das Schiff war sofort komplett manövrierunfähig. Mit Genugtuung beobachtete ich, wie der Feind immer näher kam, selbst mit den besten Triebwerken des Universums konnte er dem Aufprall nicht mehr ausweichen.

»Wenn ihr schon mich haben wollt«, zischte ich leise zu mir selbst, »Ansunara bekommt ihr nicht!«

Ich konnte gerade noch rechtzeitig das Prallfeld meines Schutzanzuges aktivieren, dann kam der Aufprall. Er war schlimmer als die Kollision des Übungsschiffes mit dem Schirm von Triinum, viel schlimmer sogar. Ich verlor das Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir kam, erkannte ich, dass lediglich einige Sekunden vergangen waren. Der Boden war nun sehr groß unter mir zu erkennen und kam mit atemberaubender Geschwindigkeit näher. Ich reckte den Hals und tatsächlich – einige Kilometer neben mir stürzte das Kosmokraten-Schiff ebenfalls ab.

»Wie du mir, so ich dir«, sagte ich spöttisch zu mir selbst. »Aber ich habe etwas, was du nicht hast...«

Sekunden vor dem Aufprall aktivierte ich den Schleudersitz. Mit brachialer Gewalt wurde ich aus der Kanzel gerissen. Der Luftwiderstand traf mich wie eine Mauer, dennoch schaffte ich es, nach kurzer Zeit meinen Flug mittels meines Antigravs unter Kontrolle zu bekommen.

Ich vernahm ein lautes Donnern, kurz danach noch eines. Beide Schiffe waren aufgeschlagen. Da mich mein vermutlich total verstörter Jäger nicht mehr interessierte, flog ich neugierig zum gegnerischen Schiff, das am Rand von Xemoru abgestürzt war.

Als ich den Krater erreichte, sah ich, dass das Schiff ebenfalls nur noch Schrottwert hatte.

»Soviel zur überlegenen Kosmokratentechnik!«, lachte ich gehässig und lenkte das Antigrav Richtig Xemoru.

Da traf von irgendwo her ein Energiestrahl meinen Rückentornister und ich fiel fünf Meter tief zu Boden. Laut schrie ich auf; ich war unglücklich aufgekommen und hatte mir den linken Arm gebrochen.

Wo war der Schuss hergekommen? Notdürftig sprühte ich Stabilisatorgel auf den Arm und machte mich auf dem Weg zum Schiff. Kaum dort angekommen, öffnete sich die Schleuse und eine Gestalt erschien.

Endrass! durchzuckte es mich, dann sagte ich mir, wie unwahrscheinlich es wohl gewesen wäre, exakt den Anführer zu treffen.

»Mein Name ist Evspor«, stellte sich der Schwarze vor.

»Und mein Name ist Cau Thon«, antworte ich und gab ihm eine wohldosierte Rechte genau auf seine Nase.

Sekundenbruchteile später schrie ich schmerzhaft auf. Der Kerl war ja hart wie Stein! Mit Schmerzenstränen in den Augen sah ich ein sanftes Flimmern auf Evspors Körper.

Verflucht, ein Individualschirm!

Ich suchte mein Heil in der Flucht, doch durch den Bruch konnte ich nicht sehr schnell rennen. Aber das war sowieso egal, denn der Nesjorianer war mit seiner schwebenden Fortbewegung viel schneller, als ich jemals würde rennen können.

Etwas traf mich brutal am Rücken und ich stürzte zu Boden. Jetzt tat ich das, was wohl jedes Lebewesen in meiner Lage tun würde: Ich stellte mich tot.

Leider ließ sich Evspor davon nicht beeindrucken. Sein nächster Schlag traf genau die Bruchstelle. Die Bewusstlosigkeit, die bald darauf die Schmerzen überdeckte, kam mir wie eine Erlösung vor.

*

Ich schreckte auf. Sofort durchzuckte ein gewaltiger Schmerz den Arm. Ich ließ mich schreiend wieder zu Boden sinken.

Wieso lebe ich noch?

Ich öffnete erneut die Augen und erhob mich vorsichtig. Ich lag immer noch knapp vor dem Wrack, aber von Evspor war weit und breit nichts zu sehen.

Ächzend stand ich auf und sah mich weiter um. Überall in dem Krater, den der Aufprall des Schiffes gerissen hatte, lagen Leichen von Xamouri. Erschüttert machte ich mich auf den Weg. Die Leute mussten wohl durch den Absturz herbeigelockt worden sein und hatten dann Evspor abgelenkt. Wie dumm von ihnen? Oder Glück für mich? Ich war mir überhaupt nicht sicher.

Humpelnd machte ich mich auf den Weg in die Stadt – zumindest wollte ich es tun, aber oben auf dem Rand des Kraters blieb ich wie versteinert stehen.

Das, was früher einmal Xemoru gewesen war, die zwanzig Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Xamours, stellte sich nun als eine Ansammlung von Trümmern und rauchenden Ruinen dar, die bis zum Horizont reichte. Ich hatte vor Entsetzen die Luft angehalten und keuchte nun. Was hatten wir nur angerichtet? Wie konnten die Xamouri nur so verblendet vom Kapitalismus gewesen sein, dass sie sich sogar mit den Kosmokraten angelegt hatten? Ich konnte es einfach nicht begreifen.

»Damira!«, erklang plötzlich eine Stimme aus der Tiefe der Trümmerlandschaft. »Miko!«, hörte ich jemand anderes verzweifelt rufen.

»Ansunara!«, rief ich unbewusst und rannte los, so schnell es meine Verletzungen zuließen.

Auf dem Weg zu unserer gemeinsamen Wohnung überkam mich das Grausen. Alles war zerstört, nicht ein Gebäude hatten Endrass, Evspor und die anderen Nesjorianer stehen gelassen. Tausende Leichen pflasterten die Straßen.

Doch es war nicht hoffnungslos. Einige Xamouri – die meisten mehr oder minder verletzt – waren in den Trümmern unterwegs und bargen Verletzte oder riefen nach Hinterbliebenen.

Ich ging wie in einem Traum durch die Reste der Stadt, untätig, zu reagieren, als mich einige zu Hilfe riefen. Irgendwann schreckte ich dann auf, als ich erkannte, dass ich auf dem Platz stand, der vor unserem Haus lag.

Ich blickte auf, und eine eisige Hand schien nach meinem Herz zu greifen. Unser Haus war ebenfalls nur noch ein Schuttberg, nicht einmal mehr eine Ruine. Überall lagen Leichen zwischen den Trümmern verstreut, in denen ich Nachbarn wieder erkannte. Zwar waren sie ebenfalls verhasste Kapitalisten gewesen, aber diesen Tod hätte ich ihnen niemals gewünscht, vielleicht noch nicht einmal den Capurats.

Ich wurde von einer eigenartigen Rastlosigkeit erfasst, als ich die Trümmer zu durchkämmen begann. Ansunara konnte, durfte nicht getötet wurden sein. Ich konnte mich nicht damit abfinden. Ich rannte von einem Körper zum nächsten, dabei immer Ansunaras Namen schreiend, doch niemand antwortete. Alle in diesem Haus waren gestorben.

Verzweifelt ließ ich mich zu Boden sinken. Erst jetzt merkte ich, wie weh mir der Bruch und die Abschürfungen wirklich taten. Ich gab mich den Schmerzen ganz hin und hoffte, ich würde daran sterben.

So lag ich einige Zeit da, ich wusste nicht wie lange. Ich hoffte währenddessen, Evspor würde wiederkommen und sein Werk vollenden, doch nichts tat sich. Dann hörte ich eine Stimme. Ich fuhr auf. War das gerade Ansunara gewesen, die meinen Namen gerufen hatte? Nein, das konnte nicht sein, offenbar verursachten die Schmerzen Halluzinationen. Ich legte den Oberkörper wieder hin.

»Cau!«

Das war mehr als deutlich gewesen!

»Ansunara!«, rief ich.

Sie antwortete mir und dann hörte ich schon die Schritte auf dem Schutt. Ich stand auf und humpelte ihr entgegen. Dann sah ich sie, wie sie mir in den Rauchschwaden der verstörten Stadt entgegen kam, dreckig, verkratzt und mit einigen Platzwunden – aber am Leben!

Wir fielen uns in die Arme und küssten uns leidenschaftlich.

»Ich dachte, du wärest tot«, sagten wir beide gleichzeitig und mussten lachen.

Dann erzählten wir unsere Geschichten. Ansunara war bei der AG im Büro gewesen, als der Krieg begann. Die Führungskräfte hatten sich natürlich auf alle Eventualitäten eingerichtet gehabt und so gab es einen Bunker im Keller des Gebäudes. Dort hinein gelangte auch Ansunara und überlebte den Angriff. So erfuhr ich, dass ich Stunden bewusstlos vor dem Schiff gelegen hatte, während die Nesjorianer jedes Schiff und jedes Haus vernichtet hatten. Den einzelnen Überlebenden nachzulaufen war ihnen offenbar zu umständlich gewesen, denn nach ihrem Zerstörungswerk waren die Schiffe und Nesjorianer plötzlich verschwunden.

»Aber, dann hat ja auch Jadranka Capurat überlebt!«, kombinierte ich.

Ansunara schüttelte den Kopf. »Die war auf irgendeinem Schiff, mach dir da keine Sorgen.«

»Hauptsache wir haben uns«, sagte ich und küsste sie. »Irgendwie wird das Leben schon weitergehen!«

 

8. Das Ende einer Zivilisation

Nur wenige Tage, nachdem die Oberste Wirtschaftlerin den Vertrag mit den Kosmokraten, TRIICLE-3 zu bewachen, aus reiner Profitgier für beendet erklärt hatte, stand das Volk der Xamouri am Abgrund. Lediglich ein paar tausend der einst in die Milliarden gehenden Bevölkerung hatten den Angriff der kosmokratischen Nesjorianer unter Endrass überlebt. Es erschien mir immer noch wie ein Wunder, dass ich mich wohlbehalten bis zur ehemaligen Hauptstadt durchschlagen konnte und sogar meine größte Liebe Ansunara wiedertraf.

Ständig rechneten wir voller Furcht damit, dass die so plötzlich verschwundenen Nesjorianer zurückkehren und ihr Werk vollenden würden. Die Diener der Kosmokraten hatten uns nichts gelassen. Xemoru und alle anderen Städte waren nur noch Trümmerhaufen, es existierte kein einziges Schiff mehr und auch von unseren technischen Hilfsmitteln war nur noch ein Bruchteil vorhanden.

Ich hatte mir mit Ansunara eine Bleibe außerhalb der Stadt gesucht, nämlich das Wrack des Schiffes von Evspor. Der schwarze Androide hatte beim Anflug auf Xamour meinen Jäger beschossen. Ich hatte ihn daraufhin gerammt und wir waren beide abgestürzt. Die Technik des Schiffes war zwar komplett zerstört, aber der Rest taugte als Unterkunft allemal mehr als die Ruinen der Hauptstadt.

Da ich mir beim Aufprall den linken Arm gebrochen hatte, musste Ansunara in den ersten Tagen alleine in die Stadt gehen, um nach Essbaren und Medikamenten zu suchen. Leider gab es keine Technik mehr, sodass wir auf das älteste Hilfsmittel zurückgreifen mussten und Ansunara den Arm in Gips einhüllte.

Jetzt konnten wir gemeinsam auf Trümmersuche gehen. Als wir die Stadt erreichten, bot sich mir ein Bild des Grauens. Überall in den Schutthalden lagen tote Xamouri, so viele, dass es für uns wenige Überlebende absolut unmöglich war, sie alle zu beerdigen oder einzuäschern. Sie verwesten und der Gestank war ungeheuerlich. Ich hielt mir den Ärmel meiner Jacke vor das Gesicht. Wer wusste schon, wie viele Keime hier mittlerweile in der Luft schwebten?

Die ekelhafteste Aufgabe war, die Toten nach persönlichen Werkzeugen zu durchsuchen. Ich hatte jedes Mal mit einem Würgereiz zu kämpfen und musste mich teilweise sogar übergeben, wenn ich die bleiche Haut, das herausgelaufene Leichenwasser und die sich darin rekelnden Maden sah und diese Leichen anfassen musste, doch das Schicksal ließ uns keine andere Wahl.

Mit der Zeit tauchten immer mehr Xamouri in Xemoru auf und gründeten eine kleine Siedlung Überlebender am Stadtrand nahe unserer Unterkunft. Ich beobachtete sie argwöhnisch, aber sie schienen wirklich jedes Interesse an der Wirtschaft verloren zu haben, obwohl einige hohe Mitarbeiter der AG unter ihnen waren.

Immer wieder sahen sie neidisch zu unserem Wrack herüber, vor allem, wenn es regnete. Einige verlangten immer wieder, ebenfalls in unser kleines Schiff einziehen zu dürfen. Eines Tages reichte es mir und ich zeigte ihnen, wie groß das für lediglich ein paar Nesjorianer ohne Bedürfnisse konzipierte Schiff innen wirklich war, außerdem legte ich ihnen dar, wie das Schiff hierhin gekommen war. Daraufhin galt ich für die Überlebenden als Held und sie ließen mich in Ruhe. Ersteres war mir vollkommen gleichgültig, während mir letzteres sehr genehm war.

Ich regte an, im Umland auf die Jagd zu gehen, weil die in Xemoru gefundenen Lebensmittel nur noch in den seltensten Fällen genießbar waren. Außerdem gelang es uns, die Bauernhöfe rings um die Metropole wieder in Betrieb zu nehmen. Diese hatten zwar auch erhebliche Schäden davon getragen, doch für so wenige Xamouri war der Rest allemal genug.

*

Eines Tages fand ein Sucher in der Stadt einen funktionsfähigen Desintegrator. Als er ihn stolz in der Siedlung der Überlebenden herum zeigte und auch ich dies bemerkte, stellte ich ihn zur Rede.

»Das ist genau das, was wir jetzt brauchen«, sagte ich zu ihm.

Der Xamouri fuchtelte mit der Waffe in der Luft herum und tat so, als würde er auf umstehende zielen. »Warum? Die habe ich gefunden und es ist meine!«

»Gut, aber überlege einmal, wie viele Leichen in der Stadt liegen. Es wird immer unmöglich sein, alle zu beerdigen, und auch mit Bränden kommen wir nicht weit, weil wir dadurch eventuell wichtige Relikte vernichten. Ich schlage daher vor, dass wir den Desintegrator dazu benutzen, die Leichen aufzulösen.«

Die Augen des Waffenbesitzers weiteten sich, und auch einige umstehende Xamouri, die das Gespräch mitgehört hatten, fingen lautstark an zu protestierten.

»Ruhe!«, brüllte ich aufgebracht. »Die Katastrophe liegt jetzt schon einige Wochen zurück. Ich verstehe nicht, warum ihr nicht einsehen wollt, dass wir uns in immer größere Gefahr bringen, wenn wir die Leichen einfach verwesen lassen.«

Die Diskussion tobte noch eine Weile hin und her, schließlich gaben sie nach. Der Desintegrator wurde Gemeinschaftsgut und täglich wurde ein Überlebender zum Bestattungsdienst bestimmt. Dessen Aufgabe war es dann, den ganzen Tag durch die Stadt zu laufen und alle Leichen, die bereits durchsucht worden waren, zu desintegrieren.

Danach hielt ich mich noch mehr von den anderen Überlebenden fern, doch eines Tages kam, was kommen musste. Eine kleine Abordnung empfing mich vor dem Wrack und man teilte mir mit, dass die Überlebenden mich zum neuen Obersten Wirtschaftler gewählt hatten. Da erkannte ich, dass die Überlebenden immer noch dieselbe verkommene Gesellschaft bildeten, die ich vor der Katastrophe so gehasst hatte. Ich schrie ihnen übelste Schimpfwörter entgegen und jagte sie davon. Hatten sie denn noch gar nicht erkannt, dass es der Kapitalismus gewesen war, der diese Katastrophe ausgelöst hatte?

Ich stutzte. Mir kam der Major in den Sinn, mit dem ich aus dem abgeschossenen Schulschiff beim Angriff des Chaotarchen geflohen war. Ich war danach als Held dargestellt worden, weil der Major beide Beine verloren hatte und ich außerdem noch einen weiteren Kameraden gerettet hatte. Eigentlich waren wir aber nur geflohen. Ich stieß auf einen Bewusstlosen, den wir ebenfalls mitgenommen hatten. Richtig gesucht hatten wir nach Überlebenden allerdings nicht. Dass der Major so schwer verwundet gewesen war, hatte ich in der Dunkelheit des energielosen Schiffes auch nicht wissen können. So gesehen war die ganze Aktion nur ziemlich feige gewesen, eine Heldentat wurde es nur dadurch, dass die anderen beiden schwerverletzt waren, als ich auf Triinum ankam.

Was wäre eigentlich passiert, wenn die Chaotarchen TRIICLE-3 erreicht hätten? Der Kosmokrat hatte gesagt, dass sie dann unsägliches Chaos verursachen würden...

Ich sah mich um. Mein Blick fiel über die Ruinen und Schutthalden, die früher einmal unsere Zivilisation gewesen waren. Chaos... so so...

*

Ziemlich genau einen Monat später kehrte Endrass zurück. Er landete direkt vor meinem Wrack, dass ich mittlerweile wieder notdürftig geflickt hatte. Leider war mir die Technik der NESJOR-Schiffe völlig unbekannt, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als eine Energieversorgung und ein Triebwerk nach xamourischen Standard zu installieren. Natürlich konnte ich das nicht nur aus Trümmerteilen erstellen – ich wusste ja nicht einmal, wie diese Aggregate intern aufgebaut gewesen waren, aber bei Erkundungsgängen nach Xemoru wurden immer wieder einzelne Aggregatteile und ähnlicher Schrott gefunden, die ich ins Schiff einbaute.

Ich hockte gerade über einigen Schrott-Teilen, die alle Teile eines Antigrav-Triebwerks waren, und verzweifelte an der Frage, wie ich diese völlig unterschiedlichen Aggregate miteinander verbinden sollte, da hörte ich plötzlich ein lautes Krachen von draußen. Kurz danach kam mir eine Staubwolke entgegen, als ich bereits auf dem Weg nach draußen war.

Er war direkt vor dem Wrack gelandet, das ich als mein Heim auserkoren hatte. Breitbeinig stand oder vielmehr schwebte er direkt vor seinem Schiff, die Hände in die Hüften gestemmt, völlig schwarz, nackt und geschlechtslos.

Ich blieb einfach stehen. Wenn er nun zurückgekommen war, um uns zu töten, würde es nichts nützen, einfach wegzurennen. Mit seinen Beinblöcken konnte er mich problemlos einholen. Aber Endrass blieb still stehen. Mittlerweile waren fast alle überlebenden Xamouri in dem Krater aufgetaucht. Sie machten einen weiten Bogen um das gelandete Schiff und wandten sich instinktiv zu mir. Ich blickte in viele gelblich verfärbte Gesichter, in denen sich grauenvolle Erinnerungen spiegelten, dennoch zog ich es vor, meine verhassten Rassegenossen zu ignorieren.

Ansunara war plötzlich neben mir. Sie kuschelte sich an mich und ich legte meinen Arm über ihre Schultern. Ich bemerkte, wie sie zitterte. So standen wir alle beisammen, und starrten das schwarze Wesen an. Wir warteten auf den Tod.

»Cau Thon«, flüsterte jemand neben mir. »Rede du mit ihm. Du kannst ihn sicherlich sagen, dass wir uns geändert haben.«

Abfällig blickte ich den Redner an. Es war der neu gewählte Oberste Wirtschaftler.

»So«, antwortete ich sarkastisch. »Haben wir das?«

Aber immer mehr Xamouri stimmten ihm zu, und als selbst Ansunara mich flehend anblickte, machte ich mich schließlich doch auf den Weg. Endrass blickte mir stumm entgegen. War da ein Lächeln auf dem Gesicht des Nesjorianers? Ich war mir nicht sicher.

»Wie dumm, dass immer noch Xamouri am Leben sind«, empfing mich der Diener der Kosmokraten.

Ich deutete nach hinten. »Das nennst du Leben? Wir sind vielleicht ein paar tausend, von mehreren Milliarden! Und dann diese Lebensumstände... Wir vegetieren nur noch, Leben kann man das nicht mehr nennen...«

»Ihr existiert noch! Als ihr euch gegen die Kosmokraten gewandt habt, habt ihr euer Leben verwirkt. Wie gut, dass ich diesen Kontrollbesuch gemacht habe... Außerdem ist das nett von euch, dass ihr euch alle hier zusammengerottet habt, dass macht mir die Sache einfacher.«

Ich ballte die Fäuste, zwang mich aber, Endrass nicht zu reizen. »Die Leute, die für das Debakel verantwortlich waren, haben die Katastrophe nicht überlebt. Ich habe nie viel für den Kapitalismus übrig gehabt und hätte mich lieber ganz dem Schutz von TRIICLE-3 verpflichtet, aber nach all dem, was passiert ist... Wir stimmen aber den zuvor von dir gegebenen Vorschlag zu, diese Welt zu verlassen und uns irgendwo in Seshonaar neu anzusiedeln.«

»Dafür ist es jetzt zu spät.« Er fixierte mich mit seinen Blicken und beugte sich vor. »Die Xamouri haben ihre Chance gehabt, da bringen jetzt auch Beteuerungen nichts mehr!«

»Endrass...«, begann Ansunara.

Ich fuhr herum. Tatsächlich, sie war mir gefolgt. Ich wollte sie weg winken, aber sie kam mutig näher.

»Wir mussten sehr viel Leid ertragen«, sagte Ansunara. »Wir haben praktisch alle Angehörige verloren und unsere Zivilisation steht am Abgrund... Bitte lass uns gehen, ihr habt doch keinen Nachteil dadurch...«

Endrass zog es vor, sie einfach zu ignorieren und wandte sich wieder an mich. »Ich gebe euch eine Stunde Zeit, euch entsprechend euren Riten auf den Tod vorzubereiten, danach werde ich mit meinen Untergebenen kommen und euer Volk auslöschen.«

Ansunara lief vor Endrass, fiel auf die Knie und ergriff seine Hand, mit Tränen in den Augen. »Endrass, hab Gnade mit uns!«

Endrass zog angeekelt seine Hand weg und schleuderte Ansunara von sich. Er musste unmenschliche Kräfte besitzen, denn sie flog im hohen Bogen davon.

Mir blieb das Herz stehen, als ich sehen musste, wo sie aufkam. Überall im Krater hatte ich Schrott-Teile deponiert, in denen ich nach verwertbarer Technik gesucht hatte. Ansunara war direkt auf eine scharfe Kante geschleudert worden, eine Spitze ragte vorne aus ihrer Brust. Das Blut strömte nur so aus der Wunde.

»Ansunara!«, schrie ich und rannte sofort zu meiner Geliebten.

Mühsam hob sie den Kopf. Ich umfasste ihn, mit Tränen in den Augen.

»Es – tut – mir – leid«, hauchte sie, während Blut aus ihrem Mund lief. »Aber wir werden sowieso sterben...«

»Nein, niemals«, weinte ich. »Ich werde dich retten. Bestimmt gibt es noch irgendwo jemanden, der sich mit Chirurgie auskennt!«

»Cau, tu was für die anderen Xamouri. Sie bewundern dich, genau wie...«

Die Lippen formten sich zum letzten Wort, doch es kam nicht mehr über ihre Lippen. Ihre Augen wurden glasig. Ansunara war tot. Vielleicht wäre sie nicht gestorben, wenn unsere Zivilisation noch intakt gewesen wäre, aber so hatten die Kosmokraten mir alles genommen, was mir etwas bedeutet hatte.

Ich drehte mich langsam um. Alle Vernunft war in mir ausgeschaltet, ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichts mehr, ich sah nur noch in eine Richtung, die Fäuste geballt.

»ENDRASS!«, brüllte ich aus voller Kehle meine Wut dem Kunstwesen entgegen.

Ich rannte los. Egal, ob ich eine Chance hatte, ich musste mich rächen. Erst jetzt drang in mein Gehirn, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich hielt an.

Das Schiff! Das Schiff war weg! Endrass war geflohen, einfach verschwunden. Ich blickte mich um, sogar die anderen Xamouri waren geflohen. Diese Feiglinge!

Ich kehrte um und nahm behutsam Ansunaras Leichnam ab und trug ihn in die Stadt. Es war meine Initiative gewesen, alle Toten zerstrahlen zu lassen, aber doch nicht sie!

Ich trug sie einfach und weinte. Ich beweinte Ansunara, Selvelin, meine Großeltern und alle anderen wenigen Xamouri, die mir etwas bedeutet hatten. Jetzt war ich allein, ganz allein. Diese kapitalistischen Überlebenden zählten nicht, sie hasste ich genau wie die Kosmokraten. Genau, die Kosmokraten – sie hatten letztendlich unsere Zivilisation in den Abgrund gestürzt, nicht erst jetzt vor ein paar Monaten, nein, schon Jahrzehntausende zuvor. Bevor die Kosmokraten aufgetaucht waren, hatte es keinen Krieg gegeben und die Xamouri waren Philosophen gewesen. Wer weiß, vielleicht hatten sie sogar die Rachbart auf diese Welt gehetzt und damit die Xamouri überhaupt erst aus ihrer selbst gewählten Isolation gerissen?

Etwas funkelte so stark, dass es mich aus meinen Gedanken riss. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir Ansunara etwas nach unten gerutscht war und ihr linker Arm auf dem Boden schleifte. Schnell zog ich sie wieder hoch und entschuldigte mich. Dann erst schaute ich nach, woher das Funkeln kam. Normalerweise hätte mich das stark beeindrucken müssen, aber seit dem Untergang hatte es sämtlichen Wert verloren. Dennoch sammelte ich den Schmuck mit den Edelsteinen und wertvollen Metallen auf und schmückte damit Ansunara.

»Du hast nie sehr viel Wert auf Schmuck gelegt«, sagte ich leise zu ihr und küsste sie auf die Stirn, da der Mund noch voller Blut war. »Aber du bist immer noch das schönste, was ich jemals gesehen habe.«

Behutsam wischte ich den Mund und das Gesicht ab und drückte die Augen zu, die mich immer noch glasig anstarrten. Anschließend machte ich mich wieder auf den Weg. Allmählich wurde es dunkel, und ich bekam Probleme mich zu orientieren, aber ich konnte nicht aufhören, weiter zu laufen, auch wenn Ansunara langsam schwer wurde.

Erst, als ich direkt davor stand, wurde mir deutlich, welchen Weg ich unbewusst genommen hatte. Selbst in der Dämmerung war die Treppe noch deutlich zu sehen, die in den Keller des ehemaligen Hauptsitzes der AG führte. Da unten hatte Ansunara wie durch ein Wunder den Angriff der Nesjorianer überlebt, und genau diesen Bunker betrat ich nun.

Innen war alles spartanisch eingerichtet, oder aber die Einrichtung mittlerweile von anderen Überlebenden entfernt worden. Lediglich einige Bänke und ein zentraler Tisch befanden sich noch in den Räumlichkeiten. Die Bänke waren direkt in die Wände eingelassen, während der Tisch im Prinzip nur ein Quader war, der aus dem Boden ragte und auch aus demselben Material bestand. Vermutlich hatte man das so gestaltet, da diese Art von »Möbeln« praktisch unzerstörbar war.

Ich legte Ansunaras Leiche auf den Tisch und bettete sie so, als würde sie lediglich schlafen. Ich sammelte in den nächsten Stunden Material, um ihr einen Sarg zu bauen. Er war wahrlich nicht schön, doch mehr war mir nicht möglich. Ich verschloss den Sarg hermetisch, so dass er luftdicht war. So würde Ansunaras Antlitz noch lange erhalten bleiben. Ich küsste sie noch einmal, bevor ich den Sarkophag verschloss, dann verließ ich den Bunker, der jetzt zur Gruft geworden war.

Draußen war es mittlerweile völlig finster geworden. Ein starker Wind wehte, und ein Rauschen schien in der Luft zu liegen. Eigentlich passte dies perfekt zu meiner momentanen Stimmung, doch nur Augenblicke später erkannte ich, warum gerade jetzt dieses Wetter herrschte, ja geradezu herrschen musste. Der Wind und das Rauschen, das waren die Schiffe der Nesjorianer, die über die Stadt rasten. Bevor mir klar wurde, sah ich auch schon die Explosion am Stadtrand. Sofort warf ich mich auf die Platte zurück, bevor die Druckwelle mich erreichen konnte. Nur wenige Sekunden später stürzte eine Menge Schutt und noch viel mehr Staub die Treppe hinab. Hustend zog ich mich weiter ins Innere zurück.

Grenzenlose Wut kam in mir auf. Jetzt hatten Endrass und die anderen ihr Werk beinahe vollendet. Nicht, dass es mir um die anderen Xamouri leid getan hätte, aber diese Brutalität, mit der die Kosmokratendiener den Völkermord begingen, ging mir entschieden zu weit. Wer weiß, ob die wenigen Xamouri überhaupt das Volk hätten retten können oder ob der Genpool schon zu klein gewesen wäre, aber diese kleine Schar auch noch zu eliminieren... Darauf viel mir nichts mehr ein.

 

9. Rache

Die nächsten Stunden wartete ich angespannt in der Gruft, ob die Nesjorianer mich finden würden, aber offenbar hatte ich Glück. Schließlich arbeitete ich mich vorsichtig am Schutt auf der Treppe vorbei nach draußen. Es war immer noch Nacht, sodass die schwarzen Massenmörder wohl kaum zu erkennen waren.

Ich bemühte mich um alle Vorsicht, als ich nach außen schlich. In meinen Gedanken gab es nur ein Ziel –übermächtig – Endrass zu vernichten. Er ganz persönlich hatte Ansunara auf dem Gewissen, falls er so etwas überhaupt besitzen sollte. Außerdem hatte er den Angriff befohlen, sodass wir nicht mehr hatten fliehen konnten. Dafür hasste ich ihn. Ich hasste ihn mit ganzer Inbrunst, sodass ich mich zusammenreißen musste, um noch kontrolliert handeln zu können.

In die ehemalige Siedlung traute ich mich nicht. Zum einen würden die Nesjorianer kaum etwas übrig gelassen haben, zum anderen würden sie dort sicherlich auf etwaige Überlebende lauern. Ich tastete mich durch die Dunkelheit und versuchte irgendetwas in die Hände zu bekommen, das als Waffe zu gebrauchen war. In meinem kurzen aber heftigen Kampf mit Evspor hatte ich gelernt, dass Energiewaffen bei den verfluchten Kreaturen nichts brachten, aber ebenso wenig konnte ich mit bloßen Händen auf sie losgehen. Ihre klobigen Beine, die offenbar voller Technik steckten, waren ihre Lebensversicherung. Diese galt es als erstes auszuschalten. Als der Morgen graute, hatte ich einen Plan.

In den nächsten Tagen durchsuchte ich im Verborgenen die Stadt nach Waffen, dabei täuschte ich immer geschickt die Anwesenheit von Xamouri vor, um die Mörder von mir abzulenken. Eine kleine Lampe, aktivierte Energie- oder Wärmequellen leisten mir dabei gute Dienste. Während sich einige der kybernetischen Wesen sich dann auf die Stelle stürzten und alles niederschossen, suchte ich an einer anderen nach brauchbaren Gegenständen.

Leider war meine Suche nach Waffen äußerst erfolglos. Die interessantesten: Monofilamentpeitsche und ein Stab, der mit einem Totenschädel verziert war. Ich fand beide in einem Keller, den ich danach sehr schnell wieder verließ. Kaum zu glauben, welchen abartigen Spielen sich einige Xamouri hingegeben hatten.

Die Peitsche bestand aus einem Strang, der am Ende nur noch die Dicke eines Moleküls aufwies. Ich hieb damit vorsichtig auf einige Betonbrocken, die sofort in zwei gehauen wurden. Zufrieden steckte ich die Waffe an meinen Gürtel. Ich musste nur aufpassen, mich damit nicht selbst zu verletzen.

Aus dem Stab wurde ich nicht schlau. Offenbar war er eine Art Kultgegenstand gewesen. Er war aber äußerst stabil gearbeitet. Mir gelang es nicht, den Schädel von der Spitze zu lösen. Es schien fast, als würde beides aus einem Guss bestehen. Da der Schädel die Spitze schwerer machte, konnte ich den Stab wunderbar als schwere Hiebwaffe führen. Sicherheitshalber befestigte ich aber noch einige Messer und andere Klingen daran, die ich auf meinen Wegen gefunden hatte.

Dann war es soweit. Ich hatte mit der Peitsche und dem Stab geübt und fühlte mich bereit, die Rache auszuüben. Wieder legte ich eine Finte, diesmal einen Thermostrahler, den ich mit blockierten Feuerknopf niederlegte. Diesmal rannte ich aber nicht weg, sondern versteckte mich in der Nähe.

Während ich wartete, machte ich mir über das größte Problem Gedanken. Wie sollte ich Endrass erkennen? Soweit ich es bisher mitbekommen hatte, sahen die Klone exakt gleich aus, wie sollte ich also feststellen, dass ich den richtigen erwischt hatte?

Bevor ich das Problem lösen konnte, tauchten die ersten Schwarzen auf. Ich hielt mich zurück und beobachtete. Anders als sonst feuerten sie nicht direkt auf das Ortungssignal, sondern bewegten sich dicht heran, bis jemand schließlich den Strahler fand und hochhielt. Die kleine Gruppe fing an, sich zu unterhalten. Ich lauschte, war da nicht der Name Endrass gefallen? Ja, tatsächlich. Der Anführer der Massenmörder war unter ihnen!

Langsam stand ich auf und ging auf die Gruppe zu, zuerst langsam, dann immer schneller. In die rechte Hand glitt der Stab, in die Linke die Peitsche. Die Nesjorianer bemerkten mich nicht einmal. Ich trennte dem ersten von ihnen mit einem Streich der Peitsche die Fußblöcke ab und mit der Wucht des Schlages zerfetzte ich noch einen zweiten Nesjorianer. Dann gab ich dem ersten mit dem Stab den Rest. Mit brachialer Gewalt raste er hinab. Es knackte, als der Schädel brach. Erst jetzt bemerkten die anderen mich. Sie aktivierten ihre Schutzschirme, doch darüber konnte ich nur lachen. Meine Monofilamentpeitsche trennte einen weiteren Kopf ab. Mühelos glitt der Strang durch den Schirm, der nur Energiewaffen abhielt.

»Wer von euch ist Endrass?«, brüllte ich und rammte einen weiteren Gegner die klingengespickte Spitze meines Stabes in das Gesicht.

»Ich bin Endrass«, antwortete einer und schwebte etwas näher. »Dieser Kampf ist sinnlos. Du musst ebenso sterben wie alle anderen.«

Ich lachte nur und schlug die Peitsche so gekonnt um mich, dass die restlichen Nesjorianer ebenfalls zerstückelt wurden. Jetzt waren nur noch Endrass und ich übrig. Bei ihm würde es nicht so schnell gehen...

Endrass schien auch gemerkt zu haben, dass ich es ernst meinte. Er schoss einen Paralysatorstrahl in meine Beine. Zu dumm, dass wir genau voreinander standen und die Waffe in seinen Fußblöcken dadurch nicht höher zielen konnte.

Ich fiel durch die plötzlich fehlende Gewalt in meinen Beinen um, doch beim Fallen zog ich die Peitsche noch einmal nach vorne. Eine Handbreit über dem Ansatz der Klötze trennte sie diese von Endrass' Beinen ab. Ich streifte dabei auch einen meiner Zehen, der ebenfalls mit chirurgischer Genauigkeit abgetrennt wurde. Jetzt war es doch ein Vorteil, dass Endrass meine Beine gelähmt hatte, denn sonst wären die Schmerzen höllisch gewesen und hätten mich abgelenkt. So aber konnte ich meine Rache auskosten. Ich warf die Peitsche weg und zog die erste Klinge aus dem Schädel an der Stabspitze.

Endrass hatte sich mittlerweile gefangen und war dabei, auf mich zu zu kriechen. Ich wartete ruhig, bis er fast heran war. Dann schlug ich blitzschnell zu und trennte ihm eine Hand ab. Endrass stöhnte, was mir Genugtuung gab – diese Kreatur konnte also tatsächlich Schmerzen empfinden. Einen Augenblick später war die andere Hand dran. Ich sammelte die Hände auf, dann durchtrennte ich die Sehnen in den Armen und Beinen, damit Endrass sich nicht mehr wehren konnte.

»So, du Mörder!«, schrie ich ihm ins Gesicht, dass vor Schmerz verzerrt war. »Das ist meine Rache für den Untergang meiner Zivilisation und vor allem Ansunara. Dafür, dass du sie umgebracht hast, musst du sterben, und zwar langsam...«

Beim letzten Wort zog ich die Klinge gemächlich über seinen Bauch, bis die Eingeweide zu sehen waren. Mit Bedauern stellte ich fest, dass Endrass bewusstlos geworden war. Ich schlug ihn mit seiner Hand ins Gesicht. Sofort kam er wieder zu sich.

»Du willst doch nicht etwa deinen eigenen Tod verpassen?«

Ich steckte ihm seine rechte Hand in den Mund, so weit es mir möglich war. Danach steckte ich Zeige- und Mittelfinger der linken Hand in die Nasenlöcher. Mittlerweile war er durch den Blutverlust viel zu schwach geworden, um seine Hand auszuspucken. So konnte ich mich an seinen weit aufgerissenen Augen erfreuen, bis er tot war.

Es dauerte nicht einmal eine Minute, danach war Endrass' Todeskampf vorbei, und eine tiefe Leere erfüllte mich. Der Mörder war zwar tot, der Tod gerächt, aber Ansunara war immer noch weg und nichts würde sie mir wiederbringen. Dennoch durchzuckte mich plötzlich ein neuer Lebenswille. Ich musste hier weg, und die Raumschiffe der hier liegenden toten Nesjorianer waren die ideale Gelegenheit dafür.

Ich versuchte, mit meinen gelähmten Beinen so schnell wie möglich zu fliehen, doch kriechend kam ich viel zu langsam voran. Meine Beine waren von den Knien an abwärts gelähmt, so schiente ich ein Bein mit dem Totenkopfstab und das andere mit einer Stange, die in der Nähe herum lag. Jetzt konnte ich mich aufrichten und wesentlich schneller davon humpeln.

Weit war der Weg nicht. Direkt hinter der nächsten Ruine fand ich ein Schiff. Ich hörte schon unweit von mir ein weiteres Schiff landen, als ich »mein« Schiff endlich erreichte und mich an Bord zog. Erschöpft blieb ich erst einmal einige Augenblicke in der Schleuse liegen, doch dieser Platz war absolut nicht sicher.

Ich band meine Beine los und hieb mit dem Totenschädel des Stabes auf den Verschlusshebel der Schleuse. Erleichtert registrierte ich, wie diese sich schloss und die Überreste Xemorus verschwanden. Jetzt musste ich nur noch die Kontrollen erreichen. Da ich monatelang in dem Wrack eines NESJOR-Schiffes gelebt hatte, fand ich mich spielend zurecht, sogar der Start bereitete mir keine Probleme.

Im Orbit schoss ich noch schnell einige Schiffe ab, bevor ich im Hyperraum verschwand.

 

10. Seshonaar

Ein Jahr nach meiner Flucht von Xamour hatte es mich, den mittlerweile letzten meiner Art, nach Seshonaar auf die Welt Wylorm verschlagen. Sie galt als ein ganz übles Nest voller Gesetzesloser, doch war ich das nicht mittlerweile auch?

In mir gab es nur noch ein Gefühl – Hass. Alles andere hatten Endrass und seine Kumpanen ausgelöscht. Ich war nur noch von dem Gedanken beseelt, die Kosmokraten zu vernichten, doch das war leider völlig unmöglich, denn ich wusste nicht einmal, wo sie sich aufhielten.

Da die kläglichen Vorräte an Bord meines Raumschiffes schnell aufgebraucht waren, musste ich mir Geld für Nahrung verdienen. So nahm ich die erstbeste Tätigkeit an, die ich finden konnte und wurde Türsteher einer Kneipe.

Diese Kneipe trug ihren Namen »das schwarze Loch« völlig zu Recht. Nie hatte ich ein so widerwärtiges Ambiente gesehen, doch all dies zählte nicht mehr. Die anderen Mitarbeiter – einer schlimmer als der andere – akzeptierten mich schnell, als ich mit dem Totenkopfstab, den ich immer noch bei mir trug, unerwünschte Gäste schnell und wirkungsvoll entfernte. Einzig Dha'Mhe bildete eine Ausnahme. Wären all meine Gefühle nicht mit Ansunara gestorben, hätte sie mir vielleicht sympathisch sein können, aber so ignorierte ich ihre Annäherungsversuche einfach, bis dann dieser Tag kam...

»Name?«, schnauzte ich den Gast an, der das Schwarze Loch gerade betreten wollte. Ich sah gar nicht ein, ihn überhaupt ins Gesicht zu blicken, wohl aber spielte ich scheinbar gedankenverloren mit meinem Stab und sorgte dafür, dass mein Gegenüber den Totenschädel nicht übersehen konnte.

»Erksos!«, vernahm ich eine kratzige Stimme.

Ich fixierte ihn aus den Augenwinkeln. Aha, ein Echsenwesen also, mit Sicherheit ein guter Kämpfer, aber ich war schon mit Schwierigeren fertig geworden. Kurz dachte ich an Endrass und wie ich ihn zerstückelt habe. Nein, mit diesem Erksos würde ich auch fertig werden, wenn es nötig sein sollte.

»Was willst du im schwarzen Loch?«, erkundigte ich mich mit vorgespielter Neugierde.

»Na, was wohl? Mich betrinken, etwas spielen und...« Er rieb sich mit den Krallen zwischen seinen unbedeckten Beinen und fletschte dabei die Zähne, was wohl ein Grinsen sein sollte.

»Geldmittel?« Ich blieb bewusst bei meinen kurzen Fragen, da ich genau wusste, dass ich damit die anderen aus der Reserve locken konnte.

Wortlos zog das Echsenwesen einen Zylinder aus der Tasche, der aus vielen verschiedenfarbigen Ringen bestand. Die Münzen, die in Seshonaar im Umlauf waren, bestanden allesamt aus Plastik, in dem ein Chip integriert war, um sie fälschungssicher zu machen. Jeder Münzwert hatte dabei eine andere Farbe.

Ich nickte und ließ Erksos ins Innere, beschloss aber, lieber ein Auge auf ihn zu haben. Leider gelang mir das nicht direkt, da noch einige andere Besucher hinein wollten. Dann konnte ich endlich selbst in das Schwarze Loch. Mit geübtem Blick sondierte ich die Lage. Erksos saß an der Theke und schien momentan ruhig zu sein, dafür waren zwei andere Gäste gerade dabei, eine Schlägerei anzufangen. Einer der beiden Kontrahenten hatte sogar ein Messer gezogen. Ehe er jedoch zielen konnte, schlug ich ihm bereits meinen Stab mit voller Wucht auf die Hand. Sofort ließ er das Messer fallen und zog die Hand schmerzverzerrt an den Körper. Einige Finger wurden dick, aber das war beabsichtigt, denn das Brechen der Fingerknochen sollte ihm einen Denkzettel geben. Ich packte die beiden Streithähne und warf sie in hohen Bogen aus der Tür.

Ich rief ihnen noch einige passende Worte hinterher, da rief mich bereits ein Schrei in das Lokal zurück. Also doch Erksos! Er hatte sich an Dha'Mhe rangemacht!

Ich überlegte nicht lange, was eine Echse an einer Humanoiden finden konnte. »Erksos, lass' sie los!«, sagte ich drohend. »Sonst...«

Er drehte sich zu mir um, dabei zog er seine Krallen lässig über die Kehle von Dha'Mhe. »Sonst was?«

Ich erstarrte. Er hatte Dha'Mhe getötet! Beinahe hatte ich in ihr schon einen Ersatz für Ansunara gesehen, und jetzt hatte dieses Biest genau dasselbe wie Endrass...

Laut brüllend erhob ich meinen Stab und griff an. Erksos lachte nur und griff an seinen Gürtel. Sekundenbruchteile später war er in einen Schutzschirm auf hyperdimensionaler Basis gehüllt. Offenbar hatte das Echsenwesen keine Skrupel, denn der plötzlich aufgeflammte Schirm zerstörte nicht nur die Theke, sondern schleuderte auch einige Gäste in seiner unmittelbaren Nähe in den Hyperraum. Ganz gemütlich stand er auf und ging nach draußen, während ich ihn rasend vor Wut, aber absolut hilflos ziehen lassen musste.

»Ich werde dich finden und töten!«, rief ich ihm hinterher, bekam aber nur ein Lachen als Antwort.

*

Ich verfolgte ihn durch ganz Seshonaar, über unzählige Welten, doch immer war er einen Schritt schneller als ich. Eines Tages entdeckte ich Erksos' Schiff, wie es auf einem Asteroiden gelandet war. Ich sondierte den Himmelskörper und ortete noch ein weiteres Schiff einer mir völlig unbekannten Bauart.

Hat Erksos etwa einen Komplizen? überlegte ich, und entschloss mich, zu landen.

Kaum auf der Oberfläche begann ich, Erksos und seinen mysteriösen Begleiter – oder waren es sogar mehrere? – zu suchen. Nach einer Weile entdeckte ich, dass der Asteroid hohl war, konnte aber keinen Eingang ins Innere finden.

Plötzlich spürte ich, wie sich die Spitze einer Waffe von hinten in meinen Raumanzug bohrte.

»Wer bist du?«, hörte ich eine Stimme.

»Wer bist du?«, fragte ich zurück.

Die Waffe drückte sich etwas fester in den Anzug, sodass ich mir bereits Gedanken über ein Leck machte.

»Ich bin Cau Thon«, sagte ich schließlich. »Und ich bin hier, um Erksos zu töten!«

Die Stimme war nicht die des Echsenwesens, daher legte ich die Karten auf den Tisch. Wenn der Fremde mit Erksos verbündet war, würde er mich spätestens dann töten, wenn dieser mich sah, also ging ich mit meiner Offenbarung kein größeres Risiko ein.

Zu meinem Erstaunen verschwand der Druck. Langsam drehte ich mich um und erblickte einen Humanoiden, der allerdings im Vergleich zu mir eine ungeheure blasse Haut besaß. Außerdem sprießten überall um sein Gesicht herum Haare, wie bei Tieren.

»Scheint so, als würde das Schicksal uns zu Verbündeten machen«, sagte er lächelnd. »Mein Name ist Myron Reburs, ein Ritter der Tiefe.«

Ich starrte ihn an wie einen Geist. Ritter der Tiefe? dachte ich. Komische Bezeichnung, aber er scheint sehr stolz drauf zu sein. Egal, Hauptsache, er ist auch Gegner von Erksos...

»Gut, jagen wir ihn zusammen, Ritter...« Er bemerkte, wie seltsam ich das letzte Wort betonte, aber er schien das nicht einordnen zu können. »Aber wehe, du steckst mit ihm unter einer Decke und versuchst, mich zu hintergehen. In diesem Fall musst du natürlich auch sterben!«

Zu meinem Erstaunen stimmte der »Tiefenritter« zu, dennoch beschloss ich, vorsichtig zu sein. Gemeinsam machten wir uns dann daran, einen Eingang in den Asteroiden zu finden. Reburs zog dabei einige ziemlich interessante technische Gimmicks zu Rate, sodass der Eingang schnell gefunden war. Zusammen drangen wir ein und sicherten uns gegenseitig, wobei ich aber immer wieder Myron Reburs kurze Seitenblicke zuwarf, denn vielleicht plante er nur eine Falle.

Dies schien sich zu bewahrheiten, als er plötzlich hinter mir stand und mich festhielt. Instinktiv zog ich mein Bein hoch. Stöhnend ließ er mich los und fuhr etwas zurück.

»Ich... ich wollte dich doch nur warnen!«, keuchte er, während er sich die malträtierte Stelle hielt.

»Von wegen!« Ich winkte ab und wollte weitergehen.

»Halt!«, rief der Ritter. »Falle!«

Ich blieb wie erstarrt stehen. Reburs, der sich mittlerweile wieder erholt hatte, hob einen Brocken, der in dem Stollen lag, auf und warf ihn an mir vorbei in den Gang, den ich gerade betreten wollte. Sofort zuckten aus vier verborgenen Stellen Desintegratoren auf und zerstrahlten den Stein sofort.

Ich zuckte überrascht zusammen. Woher wusste Reburs von der Falle? Mein Misstrauen stieg.

»Du wärst direkt in deinen Tod gelaufen«, erklärte der Ritter der Tiefe, dann lachte er. »Aber deine Reaktionen haben etwas für sich. Sobald wir Erksos erledigt haben, werde ich dir ein interessantes Angebot machen.«

Dieses sogenannte Angebot interessierte mich nicht im Geringsten. Erksos hatte Dha'Mhe getötet, und damit gegen die Regeln verstoßen, die ich zu verteidigen hatte. Dafür musste er büßen. Was Reburs mit ihm zu kriegen hatte, interessierte mich überhaupt nicht, dennoch nahm ich mir vor, ihn auszuhorchen.

»Weshalb jagst du Erksos?«, fragte ich ihn, während wir weitergingen.

»Erksos ist ein Massenmörder!« Reburs verzog angeekelt das Gesicht. »Er war Führer einer Organisation, die den Mächten des Chaos diente...«

Und? sagte ich mir in Gedanken. Früher hätte mich das interessiert, aber mittlerweile fühlte ich mich schon fast zum Chaos hingezogen, weil mich die Mächte der Ordnung, die Kosmokraten, abstießen. Aber auch die Chaotarchen hatten viel Leid über Xamour gebracht. Eigentlich wollte ich mit keinen von beiden mehr zu tun haben, aber die Kosmokraten sollten für Ansunaras Tod büßen.

Ach, schwärmte ich in Gedanken, wenn ich doch nur an Sipustov heran käme. Wie schön wäre es doch, mich an ihm für alles zu rächen. Aber leider wird das wohl für immer ein Wunschtraum bleiben...

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich Myron Reburs gar nicht mehr zugehört hatte. Dieser hatte aber munter weitergesprochen und meine geistige Abwesenheit gar nicht bemerkt. So hörte ich nur seine letzten Worte:

»...und daher bekam ich im Dom Kesdschan den Auftrag, diese Organisation zu zerschlagen und Erksos zu töten, bevor noch mehr Unheil geschehen kann.«

»Aha«, machte ich dabei nur, aber der Ritter der Tiefe nickte nur gnädig, eine Geste, die mich nach all meinen Erlebnissen anekelte.

Wir gingen weiter durch die Stollen und ich erfuhr aus Reburs Kommentaren, dass dies hier wohl ein geheimer Stützpunkt von Erksos' Gruppierung gewesen sein musste. Immer wieder kam es vor, dass Reburs mich zurück hielt oder urplötzlich die Richtung änderte. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein, sodass ich zu der Vermutung kam, dass er unseren Gegner auf irgendeine Art wahrnehmen oder orten konnte.

Schließlich war es soweit. Myron Reburs gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass sich Erksos hinter der nächsten Ecke befand und wir jetzt leise sein mussten, dann griff er an seinen Gürtel und verschwand einfach. Bevor ich mich darüber wundern konnte, zuckte schon ein Blitz um die Ecke herum. Ich hörte einen Schrei, dann war Ruhe.

Reburs tauchte vor meinen Augen auf. »Das ging ja einfacher, als ich gedacht hatte«, freute er sich. »Du hast dich gut gehalten, aber auch die Tatsache, dass du Erksos so lange verfolgen konntest, scheint dich für die Aufgabe zu qualifizieren.«

Ich wurde neugierig und schielte auf die erstaunlichen Gerätschaften, die Reburs mitführte. »Welche Aufgabe?«

»Du sollst mein Orbiter werden!«

Reburs meinte dies offenbar ernst. Ich starrte ihn zunächst sprachlos an, dann grinste ich und lief ein paar Mal um ihn herum.

»Nein, nein«, wehrte der Ritter ab. »Ich bin Mitglied des Ordens der Ritter der Tiefe. Wir stehen im Dienst der Kosmokraten und treten für deren Ideale ein. Orbiter nennen wir unsere direkten Adjutanten und Mitarbeiter, die im Dienste eines Ritters stehen.«

Ich erstarrte. Kosmokraten! Dieses Pack! Am liebsten währe ich Myron Reburs direkt an die Gurgel gegangen. Aber die Hilfsmittel und die Aussicht, eine Kosmokraten-Organisation unterwandern zu können, ließen mich selbst zusammenreißen.

»Das hört sich interessant an«, log ich. »Aber wer sind die Kosmokraten genau?«

Die nächsten Minuten, in denen der verblendete Ritter nur so übersprudelte, stellten mich auf eine harte Probe, um mich nicht angeekelt abzuwenden. Am liebsten hätte ich ihm erzählt, was seine so hochgelobten Kosmokraten meinem Volk angetan hatten und wie wenig sie sich im Endeffekt dadurch von den Chaotarchen unterschieden hatten. Aber zum Ende seines Berichtes hin wurde ich wieder hellhörig, als Reburs auf den Ritterorden einging.

»Hauptsitz des Ritterordens ist der Dom Kesdschan auf dem Planeten Khrat in der Galaxie Norgan-Tur. In dem psionisch durchdrungenen Gebäude werden die neuen Ritter berufen und Versammlungen abgehalten. Sollte ein Ritter sterben, geht sein Geist in das Gemäuer ein. Unter dem Dom gibt es ein Arsenal von Gerätschaften einer überlegenden Kultur, über die die Ritter verfügen dürfen.«

Ich war mir sicher, dass er mir Einiges verschwieg, aber dennoch konnte ich mich dem Zauber nicht entziehen, den seine Erzählung – vor allem des Arsenals – in mir auslöste. Also tat ich den Begeisterten, und Myron Reburs machte mich zu seinem Orbiter.

 

11. Ritter der Tiefe

Es dauerte fast zwei Jahre und unzählige Belehrungen über die »Ethik der Ritter«, dann war es endlich soweit – wir flogen Norgan-Tur an!

Gebannt stand ich am Außenfenster von Reburs' Schiff KARAN und wartete auf den Augenblick, in dem Khrat dort erscheinen würde. Schon vor langer Zeit hatte ich das NESJOR-Schiff zurück gelassen und auf das Ritterschiff gewechselt. Ich wollte damit verhindern, dass Reburs eventuell die Herkunft des Schiffes herausfinden und dann Rückschlüsse ziehen könnte. Das war aber kein schlechter Tausch gewesen, und die wunderbare Technik und Waffen, die es an Bord gab, ließen es mich kaum noch abwarten, das sagenhafte Arsenal unter dem Dom kennen zu lernen.

Reburs lächelte mir zu, offenbar freute er sich über meine Aufregung, auch wenn er sie offensichtlich anders interpretierte. »Wir haben jetzt das Yghmanor-System erreicht. Khrat sollte jeden Moment auftauchen.«

Kaum hatte er geendet, hob sich wirklich ein Lichtpunkt aus dem Sternenmeer heraus und wurde immer größer. Ich erblickte eine idyllische Welt mit großen Seen, Wäldern und Savannen. Zivilisation konnte ich aber nirgendwo entdecken. Khrat schien eine völlig natürliche Welt zu sein, dennoch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie zu perfekt war. Handelte es sich bei Khrat etwa um eine Art riesigen Park?

Plötzlich schob eine große Stadt über den Horizont in mein Blickfeld, in dessen Mitte sich ein halbiertes, leuchtendes Riesenei erhob. Die KARAN sank tiefer und näherte sich einen exakt kreisrunden Landefeld am Rand der Stadt.

»Dies ist die Stadt Naghdal, die einzige Ansiedlung auf Khrat«, erläuterte Myron Reburs. »Normalerweise kommen nur sehr selten Orbiter auf diese Welt, da sie im Auftrag der Ritter überall unterwegs sind. Aber du hast mir gezeigt, Cau, dass ich dir vertrauen kann, daher will ich dich an etwas ganz Besonderen teilhaben lassen.« Er machte eine Kunstpause, und ich ertappte mich dabei, wie ich ihn erwartungsvoll anstarrte. »Es handelt sich hierbei nicht um einen reinen Höflichkeitsbesuch... Nein, Cau Thon, wir werden der Weihe eines neuen Ritters der Tiefe beiwohnen!«

Naghdal war eine sehr bunte Stadt. Ich begegnete kaum zwei gleichen Wesen, so viele Völker und Kulturen waren auf Khrat vertreten. Reburs hatte mir erklärt, dass es keine bekannte Rasse von Ureinwohnern gab. Somit waren alle Bewohner von Naghdal praktisch Außerirdische. Mochten die verdammten Kosmokraten wissen, warum ausgerechnet Khrat für ihren komischen Dom so geeignet war.

Leider beschloss Myron Reburs, mich am ersten Tag noch nicht mit in den Dom zu nehmen. Er müsse mich erst noch anmelden. Daher wurde ich dazu verdammt, mich mit Meditation auf den großen Augenblick vorzubereiten.

Natürlich tat ich genau das nicht, daher hatte ich genügend Zeit, um mir bis Reburs' Rückkehr einen Plan zurecht zu legen. Zunächst würde ich mir von ihm die Arsenale zeigen lassen. So naiv, wie ich »meinen« Ritter kennen gelernt hatte, würden die Sicherheitsvorkehrungen vermutlich erbärmlich sein. Daher sah ich kein Problem darin, mir ein paar Waffen und andere Utensilien zu erbeuten. Anschließend würde ich dann mit der KARAN fliehen, selbstverständlich nicht, ohne vorher etwas für »Unruhe« zu sorgen...

Schließlich kam Myron Reburs zurück. Seine Augen strahlten, als er mir freudig mitteilte, die Domwarte hätten entschieden, mich in den Dom zu lassen. Fast schon tat mir der Ritter für seine unglaubliche Naivität leid, die er mir entgegen brachte, aber durch seinen Hang zu den Kosmokraten hatte er sich in meinen Augen selbst disqualifiziert.

So gingen wir dann zum Dom. Reburs hatte bewusst darauf verzichtet, einen Gleiter oder ein anderes Hilfsmittel zu verwenden. Daher zog sich der Weg in die Länge, als wir dem Bauwerk immer näher kamen. Ich bemerkte, wie sich eine positive Stimmung in mir ausbreitete. Es schien fast so, als würde sie von dem Dom ausgehen. Einen kurzen Augenblick dachte ich an die glücklichen Momente mit Ansunara – das reichte, um alle Empfindungen außer Hass auf die Kosmokraten und ihre Helfer auszulöschen.

Nach einer Stunde Marsch war der Dom Kesdschan vor uns ins Gigantische gewachsen. Das Bauwerk hatte eine Höhe von gerade mal 156 Metern, aber in der Weite des großen umgebenden Platzes und den sich fast schon geduckt daran schmiegenden Gebäuden von Naghdal wirkte es sehr viel imposanter, als es vermutlich war. Hinzu kam das Leuchten, das aus dem Gestein zu dringen schien und die absolut exakte Wölbung der eiförmigen Außenfassade.

Wir erreichten einen der Eingänge, in dem einige Domwarte Dienst taten. Wie auch bei den Bewohnern der Stadt handelte es sich bei ihnen um Angehörige der unterschiedlichsten Intelligenzvölker. Den Ritter der Tiefe Myron Reburs schienen sie zu kennen, doch ich – und vor allem mein Stab – ernteten ausgiebige Blicke. Schließlich sprach Reburs ein Machtwort, und ich konnte eintreten.

Das Innere verschlug mir den Atem. Es war nicht die Gestaltung, die ausgesprochen schlicht war, denn der Dom war einfach nur komplett leer, von einer Empore und unzähligen Holzbänken vielleicht mal abgesehen. Der eigentliche Zauber war die positive Stimmung, die im Inneren unglaublich mächtig war und der ich mich nicht mehr entziehen konnte.

»Die aufgegangenen Ritter...«, sprach Reburs andächtig.

Ich wollte das Gefühl nicht in mir aufkommen lassen. Ich wollte nicht mehr willenloses Werkzeug höherer Mächte sein, aber die Stimmung zog mich in ihren Bann. Ohne mir dessen recht bewusst zu werden, hatte ich auf einer Bank Platz genommen, neben mir saß mein Ritter. Ich entdeckte einen der Zugänge zum Arsenal und schaffte es nach einer übermenschlichen Anstrengung, mich Reburs zuzuwenden und ihn anzusprechen.

»E – es ist unglaublich!«, flüsterte ich und schloss dann die Augen, um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Ich würde gerne auch das sagenhafte Arsenal kennen lernen, von dem du mir erzählt hast.«

Er blickte mich bedauernd an. »Das ist leider nicht möglich. Vor kurzem ist eine Lieferung der Ausstatter angekommen, man spricht von zwei speziellen Zellaktivatoren, die für ganz bestimmte Träger geeicht wurden.«

»Und das bedeutet?«

»Keinen Zugang, bis auf weiteres. Aus dem Raub des Handschuhs hat man Konsequenzen gezogen und den Zutritt für alle eingeschränkt. Momentan dürfen wir Ritter zwar noch hinein, aber es ist bereits abzusehen, dass vermutlich irgendwann einmal nur noch die persönlichen Boten der Superintelligenzen und die Zeremonienmeister Zutritt haben.«

Ich horchte auf. Zellaktivatoren? Hatte nicht der unsterbliche Gyrat so etwas besessen? Ich musste da hinein!

Als die Zeremonie begann, schien meine Chance gekommen zu sein. Oben auf der Empore waren die Zeremonienmeister, der zu vereidigende Ritter und dessen Meister zusammen gekommen. Reburs war von der Handlung völlig in Anspruch genommen, und auch ich musste mich mit aller Gewalt zusammen reißen, um mich aus dem Saal in Richtung der Treppe in den Untergrund zu bewegen.

Tatsächlich war der Durchgang unbewacht! Ich konnte ein Grinsen nicht verkneifen, als ich mit einem letzten Blick über die verzückten Anwesenden in dem sagenumwobenen Arsenal verschwand. Dort angekommen kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Meinen Blicken bot sich eine gigantische Halle, die mit den abenteuerlichsten Gerätschaften gefüllt war. Allerdings konnte ich schon jetzt erkennen, dass meine Aktion ein Fehlschlag werden würde, denn die Maschinen waren zum einen zu groß, zum anderen gab es keinerlei Hinweise auf die Funktion oder die Fähigkeiten der einzelnen Geräte.

Einzig die beiden Zellaktivatoren erkannte ich. Beide schwebten eine Handbreit über einer Platte, um die wiederum sich ein Energieschirm spannte. Ich suchte nach einer Art Bedienungseinrichtung für den Schirm, konnte aber nichts dergleichen finden. Jedoch stieß ich bei dem Suchen auf etwas, was mir den Atem verschlug.

Unweit der beiden geschützten Zellaktivatoren stand eine Kiste, ebenfalls gefüllt mit den eiförmigen Zellaktivatoren und den daran befestigten Ketten. Daneben lagen, ebenso fein säuberlich eingepackt, eine Halterung mit unzähligen flachen Metallplättchen, die ich nicht einordnen konnte.

Meine Hand näherte sich der Kiste. Das ewige Leben... Wie viele Male mag es in dieser Box liegen? Fünfzig Mal? Hundert Mal? Würde da ein fehlender ZA auffallen? Ich konnte es mir nicht vorstellen.

Ich berührte eines der Geräte. Langsam, fast andächtig, fuhren meine Finger über das Metall und umfassten das Gerät. Bald schon würde ich unsterblich sein...

Ich stutzte. Was war das? Mittlerweile hatte ich den ZA in die Hand genommen und wollte ihn emporheben, aber es ging einfach nicht. Mir schien, als würde das Gerät unendlich schwer sein. Ich probierte mich an einem anderen Aktivator, doch auch dieser bewegte sich keinen Millimeter. Wütender werdend probierte ich noch viele andere durch, aber keiner ließ sich bewegen.

Ächzend ließ ich mich vor der Kiste zu Boden sinken und stützte den Kopf in meine Hände. Jetzt lag die Unsterblichkeit unmittelbar neben mir, war aber unerreichbar!

Plötzlich wurde ich von positiver Stimmung nahezu durchdrungen. Vor meinen Augen erschien eine unermesslich große Zahl von Lebewesen der unterschiedlichsten Völker. Ich war mir absolut sicher, dass es alles Ritter waren.

Der Dom schlägt! Ich wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, ob ich ihn selbst gedacht, oder er mir eingeimpft wurde. Aber eines wusste ich ebenfalls nun mit aller Gewissheit: Ich war enttarnt!

Sofort war ich auf den Beinen. Nur schnell raus hier. Tatsächlich hatte mich das Gefühl nicht getrogen, denn die ersten Gestalten tauchten auf der Treppe auf. Mit einem blitzschnellen Rundblick entdeckte ich eine weitere Treppe und rannte los.

Einen Domwart, der mir auf der Treppe entgegen kam, rammte ich mit aller Gewalt meinen Stab in den Bauch. Er fiel zurück und blieb keuchend liegen. Daraufhin wichen einige andere Wärter ängstlich zurück, als ich ihnen näher kam. Lachend rannte ich aus dem Dom und auf die KARAN zu.

Ich hatte lange genug Zeit gehabt, mir die Bedienung des Schiffes anzueignen. Wenn ich schon nicht an die Wunderdinge aus dem Arsenal heran kam, wollte ich zumindest die aus dem Schiff haben.

Ich hastete über den Platz und verschwand zwischen den Gebäuden der Stadt. Jetzt galt es, möglichst schnell zum Schiff zu kommen, bevor den Rittern etwas einfiel, was mir gefährlich werden würde. Als ich ein spinnenartiges Wesen bemerkte, dass gerade in einen Gleiter steigen wollte, zerrte ich es an vier seiner Beine aus dem Fahrzeug und sprang selbst hinein. Instinktiv griff ich nach den Kontrollen – und ins Leere, denn es gab keine. Irritiert starrte ich den leeren Raum an, während das Wesen draußen merkwürdige Laute ausstieß und versuchte, die Tür zu öffnen. Meine Augen streiften über unzählige winzige Hebel, die offenbar zur Steuerung des Gleiters dienten. Warum musste ich gerade den Gleiter eines Exoten erwischen?

Fluchtend verließ ich das Gefährt wieder, die schimpfende Spinne hinter mir lassend. Einige Strahlschüsse fauchten über meinen Kopf. Ich hetzte in eine Straße. Wo war der Raumhafen? Ich entdeckte einen Antigravlift im Boden. Eine Rohrbahn? Ich sprang hinein. Meine Vermutung war richtig. Leider konnte ich die Schrift nicht lesen, die auf Khrat verwendet wurde, daher entschied ich mich auf gut Glück für eine Bahn, die in etwa in die richtige Richtung führte.

Die anderen Passagiere beachteten mich nicht. Offenbar war meine Flucht noch nicht bis hierhin durchgedrungen. Gerade, als dieser Gedanke gedacht war, tauchten überall in der Rohrbahn Holos mit meinem Gesicht auf. Schnell verbarg ich meinen Kopf in der Kleidung, aber es war bereits zu spät – einige Passagiere hatten mich erkannt und deutenden auf mich. Dazu riefen sie etwas in der örtlichen Sprache. Ich wirbelte meinen Totenkopfstab einige Male über meinem Kopf umher und fletschte die Zähne, worauf die Leute zurück wichen.

In der nächsten Station sprang ich aus der Bahn und stieß mich in dem Antigravschacht mit ganzer Kraft ab. Oben angekommen orientierte ich mich erst einmal mit einem Rundblick, und triumphierte. Ich war dem Raumhafen wirklich um einiges näher gekommen; hinter einigen Häusern konnte ich bereits die ersten Raumschiffe erkennen. Mein Glück war, dass Myron Reburs die KARAN unmittelbar am Rand von Naghdal gelandet hatte, denn sonst hätte ich noch über den ganzen Raumhafen laufen müssen.

Nach kurzer Suche hatte ich das Ritterschiff entdeckt. Ich rief das Codewort, das mir Reburs bereits vor langer Zeit verraten hatte. Sofort deaktivierte sich der Schutzschirm und die Schleuse öffnete sich. Ich hetzte in das Schiff und rief dem Schiffscomputer bereits auf dem Weg in die Zentrale Kommandos zur Startvorbereitung zu. In der Zentrale angekommen, ließ ich mich in den Sessel sinken, in dem normalerweise Reburs saß. Andächtig glitten meine Hände über die Armlehnen. Nun war die KARAN mein Schiff.

»Cau, wie konntest du nur so etwas tun?«

Ich zuckte wie ertappt zusammen, fuhr herum und sah Myron Reburs in der Tür zur Zentrale stehen. Seine Augen drückten ernsthafte Sorge aus. Ich hasste diese übermenschliche Güte, die der Ritter der Tiefe ausstrahlte, diese von-oben-herab-Art, diese tiefe Verehrung für die Kosmokraten.

»Ich kann noch viel mehr tun!«, schrie ich ihn an und sprang auf, hob den Stab und hieb ihn mit aller Kraft, zu der ich fähig war, auf den Kopf des Ritters. Es gab ein schmatzendes Knacken, dann sank Reburs mit deformierten Schädel auf den Boden. Eine Blutlache breitete sich aus. Ich lachte über diesen Anblick. »Relativ unsterblich! Jetzt siehst du mal, wie viele Risiken übrig bleiben!«

Daraufhin startete ich das Schiff und warf die Leiche genau über dem Dom ab. Zumindest sein Lebensziel, Teil des Domes zu werden, wollte ich ihm nicht verwehren, selbst wenn er dann nur ein Blutfleck auf der Außenhülle war...

 

12. MODROR

In den folgenden Jahren reiste ich ziellos durch das Universum. Ich kehrte nicht nach Seshonaar zurück, auch versuchte ich nicht, das NESJOR-Schiff wieder zu finden. Ich erforschte jeden einzelnen Winkel der KARAN, konnte leider nur wenig Spektakuläres entdecken. Myron Reburs war ein ausgesuchter Spartaner gewesen, nur wenige persönliche Dinge fand ich in seiner Kabine, die ich daraufhin entsorgte. Waffen oder andere mächtige Artefakte suchte ich völlig vergebens, und auch einen Zellaktivator hatte der Ritter nicht getragen, wie ich insgeheim gehofft hatte.

Mit der Zeit wurde ich zu einem Kopfgeldjäger. Das Töten anderer Lebewesen wurde zum einzigen, dass meiner Existenz noch Sinn gab, ansonsten gab ich mich nur ungehemmten Hass auf die Kosmokraten hin. Eines Tages verschlug es mich in die Galaxis Erranternohre, denn dort sollte sich eine Materiequelle befinden, hinter der Reburs' Erzählungen zufolge die Kosmokraten residieren sollten. Aber alle Versuche, in dieses Kosmische Objekt einzudringen, scheiterten. Es schien fast so, als würde die Quelle meine Präsenz spüren und mich bewusst zurückweisen. Wütend zog ich davon und setzte meine ziellose Suche fort.

Einige Jahre und unzählige Leichen später stieß ich auf einen Kollegen, oder besser eine Kollegin, die einzige, die sich mit meinen mittlerweile erworbenen Fähigkeiten messen konnte. Ihr Name war Moira und sie behauptete, von der anderen Seite des Universums zu stammen. Moira hatte auf ihrer STYX eine umfangreiche Trophäensammlung ihrer Opfer angelegt. Säuberlich in Regalen und Stasekammern angeordnet starrten mich die toten Köpfe ihrer Opfer an. Auch sie hatte einst einem Ritter der Tiefe gedient, das schweißte uns zusammen. Allerdings waren wir mittlerweile zu absoluten Einzelgängern geworden, und die Schädel in ihrem Schiff fand ich abstoßend. Sicherlich, auch ich hatte unzählige Wesen auf dem Gewissen, aber die leeren Augen erinnerten mich immer an den letzten Blick von Ansunara, und damit konnte ich mich nicht abfinden.

Nach einigen Monaten trennten wir uns wieder. Moira wollte in eine Galaxie namens Ammandul reisen. Dort sollten große Kriege zwischen Wesen, die Bestien genannt wurden, und einer humanoiden Spezies toben. Moira arbeitete zumeist als Söldnerin, und so hoffte sie auf eine Anstellung. Bei der Verabschiedung gab sie mir die Koordinaten einer Galaxie.

»Dort wirst du bestimmt finden, wonach zu suchst«, sagte sie noch, zwinkerte mir zu und verschwand dann an Bord der STYX.

Alle meine Funkversuche ignorierte sie, sodass ich mir unter dieser nebulösen Andeutung nichts vorstellen konnte. Dennoch beschloss ich, in diese Sterneninsel zu reisen, die Moira Orrotar nannte. Ich vermutete, dass sich dort ein Chaotarch oder einer seiner Untergebenen aufhielt. Mittlerweile war ich bereit, mich den Mächten des Chaos zu verschreiben, wenn ich dadurch nur Ansunaras Mördern schaden konnte. Moira hatte ich meine Lebensgeschichte erzählt, daher sah ich in den Koordinaten nur diesen Sinn.

Ich reise durch die Sterneninsel und sprach mit den mächtigen Völkern, dann mit den weniger Mächtigen, doch nirgends konnte man mir weiterhelfen. Nicht einmal die Kosmokraten oder Chaotarchen waren bekannt, genauso wenig wie Superintelligenzen, Ritter der Tiefe oder andere kosmische Institutionen.

Nach einigen Monaten verfluchte ich Moira, da ich mittlerweile an einen Scherz von ihrer Seite glaubte. Vermutlich ging sie in Ammandul ihren Leidenschaften nach und amüsierte sich königlich, während ich hier Monate meines Lebens vergeudete. Ich rief die Koordinaten auf und wollte sie gerade genervt löschen, da stutzte ich plötzlich. Bisher hatte ich angenommen, dass Moira mit den Koordinaten die Galaxie gemeint hatte, aber der von ihr definierte Punkt lag nicht im Mittelpunkt der Galaxie, sondern mittendrin!

Sofort machte ich mich auf den Weg.

Genau auf den ausgewiesenen Koordinaten befand sich ein Sonnensystem, von dessen Planeten einer bewohnt war. Interessiert überflog ich die Oberfläche, nur um dann enttäuscht inne zu halten. Zwar gab es Intelligentes Leben, aber keinerlei Anzeichen von höher entwickelter Technologie oder ähnlichen. Dennoch landete ich in der größten Ansiedlung der steinzeitlichen Zivilisation.

Als ich aus dem Schiff stieg, kamen von überall aus der Stadt Schlangenwesen herbei gekrochen. Kurz fühlte ich mich an die Quhrd erinnert, aber die Kapitalisten aus Seshonaar hatten lediglich einen schlangenartigen Unterleib und dazu zwei Armpaare besessen, während diese Wesen hier echte Schlangen ohne Extremitäten waren. Vermutlich erklärte dieses Fehlen von Händen oder anderen Greifwerkzeugen auch ihre primitive Gesellschaft.

Die Schlangen verharrten in respektvollen Abstand, senkten die Köpfe und verfielen in einen tiefen Singsang, der sich wie »MODROR, MODROR, MODROR« anhörte.

Ich stieß eine Schlange an und gab ihr zu verstehen, dass sie zu mir kommen solle. Nervös mit dem Schwanzende zuckend, kam sie auf mich zu gekrochen. Ich stellte meinen Translator deutlich sichtbar auf den Boden und gab ihr zu verstehen, dass sie dort hinein sprechen sollte. Erstaunlicherweise schien die Schlage zu verstehen, denn sie fing sofort danach an zu plappern.

Nach einigen Minuten zeigte der Translator an, dass er genug Sprachinformationen aufgenommen hatte, um übersetzen zu können.

Ich hob die Hand. »Mein Name ist Cau Thon. Ich bin auf der Suche nach einem Chaotarchen.«

»Ich bin Unübersetzbar! Wir preisen Dich, oh großer Gott MODROR, ob Deines Besuchs!«

»Halt, halt!« Ich lachte. »Ich bin nicht eurer Gott, und schon gar nicht MODROR. Beantworte mir meine Frage!«

Die Schlange formte einen Kreis, durch den sie dann selbst hindurch glitt. »Wir kennen keine Chaotarchen...«

»Wer ist dieser MODROR?«

Sofort stellte die Schlange sich steil auf. »MODROR ist unser Gott! Er ist allmächtig, der größte, der...«

»Schon gut. Wo finde ich ihn?«

Die Schlange blickte sich um und zischelte etwas, danach wandte sie sich wieder mir zu. »MODROR residiert in der Wolke der Finsternis, umgeben von der Erde Sargomophs. Vor langer Zeit kam er in unser Land und tat große Dinge für die Lassor!«

Mit Lassor meinte er offenbar sein Volk, aber sonst?

»Die Wolke der Finsternis? Die Erde Sargomophs?«

»Sie befindet sich sehr weit entfernt. Dort ist der Sitz MODRORs. Er beherrscht von dort das ganze Universum!«

Das kam mir etwas übertrieben vor, dennoch bedankte ich mich und machte mich mit der KARAN auf den Weg, um diese Wolke der Finsternis zu suchen. Ich vermutete darin eine Dunkelwolke, also ließ ich die überlegenen Orterfunktionen der KARAN laufen und wartete gespannt auf das Ergebnis.

Nach einigen Stunden stand fest, dass es in dieser Galaxis drei Dunkelwolken gab, die ich sofort danach alle untersuchte. Doch in keiner konnte ich MODROR, noch irgendetwas anderes Interessantes finden. Wären die Koordinaten der Schlangenwelt nicht von Moira gewesen, hätte ich sicherlich sofort aufgegeben, aber so überlegte ich weiter.

Ich rief mir das Gespräch ins Gedächtnis zurück. Was hatte der Lassor gesagt? Sehr weit entfernt? Womöglich in einer anderen Galaxie? Aber woher sollten die Schlangen von etwas so weit entfernten wissen?

Na ja, sagte ich mir. Sie dürften auch nicht wissen, was eine Dunkelwolke ist.

Somit vergrößerte ich meinen Suchbereich auf die Nachbargalaxien.

Eine komplette Galaxie musste ich völlig umsonst absuchen, dann wurde meine Zähigkeit in mittlerweile sieben Millionen Lichtjahren Entfernung von Orrotar belohnt. Ich stieß auf eine Dunkelwolke, die nichts glich, dass ich bisher gesehen hatte. Sofort war mir klar, dass diese dunkle Materiewolke die »Wolke der Finsternis« war, die ich gesucht hatte.

Ich aktivierte den Paratronschirm der KARAN und tauchte in den Materiemantel des kosmischen Objekts ein. Kaum war das Schiff komplett von der Materie umgeben, stieg die Geschwindigkeit rasant an. Ich wurde von der Beschleunigung stark in den Sitz gepresst.

»Wieso funktionieren die Andruckabsorber nicht?«, fragte ich den Bordcomputer, doch mir antwortete nur ein fieses Lachen.

Die Gravitation wurde immer mörderischer, schließlich legte sich die Bewusstlosigkeit wie ein Tuch über meinen Geist.

Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich ganz alleine auf einer völlig leeren Ebene wieder. Der Boden bestand aus rötlichem Gestein, während der Himmel in ein diffuses Grau getaucht war. Ich blickte mich um, konnte aber nirgends die KARAN oder irgendetwas anderes entdecken.

Ich beschloss, auf Offensivkurs zu gehen.

»Wo bist du, MODROR? Ich will mit dir reden!«, schrie ich in die Weite, da ich sicher war, dass dieser MODROR mich beobachtete.

Ich wartete ab. Zunächst eine Minute, dann noch eine, schließlich eine ganze Stunde.

»Ich weiß, dass du hier bist, MODROR«, startete ich einen erneuten Versuch, »und auch, dass du ein Chaotarch bist. Ich hasse die Kosmokraten und will in deinen Dienst treten!«

Ein unglaublich lautes Lachen folgte, dass über die Ebene zu dröhnen schien und fast meinen Kopf platzen ließ. Schmerzverzerrt hielt ich mir die Ohren zu, doch das brachte keine Linderung.

»Du gefällst mir«, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ich wirbelte herum. Direkt hinter mir stand eine Gestalt, die völlig in einen roten Umhang gehüllt war. Über dem Kopf trug sie einen Helm, der ein schmales Sichelfenster in Augenhöhe besaß.

»Bist du MODROR?« fragte ich.

»Aber nein, ich bin nicht die Entität selbst, sondern seine Inkarnation, sein treuester Paladin von Beginn an«, antwortete die Gestalt. »Nenne mich Rodrom. Mein Meister beobachtet dich schon eine ganze Weile, viel länger, als du dir vielleicht vorstellen kannst. Er ist sehr interessiert an dir und erlaubt dir, ihm zu dienen...«

»Ich will die Kosmokraten vernichten!«, rief ich voller Genugtuung.

Rodrom lachte. »Dazu musst du erst einmal beweisen, dass du es wert bist, sein Knecht zu sein.«

»Wen soll ich töten?«

Erneut erklang das Lachen über die Ebene, danach sprach MODROR selbst zu mir. Die Stimme entstand in meinem Kopf, aber schien auch über die Ebene zu hallen. So oder so, sie war schmerzhaft laut.

DU GEFÄLLST MIR, XAMOURI! LANGE HABE ICH DICH BEOBACHTET UND DICH REIFEN SEHEN. JA, ICH ERLAUBE DIR, IN MEINE DIENSTE ZU TRETEN. DIE KOSMOKRATEN HABEN LANGE GENUG DAS MULTIVERSUM MIT IHRER ANWESENHEIT BESCHMUTZT, JETZT IST IHRE ZEIT ABGELAUFEN. CAU THON, VERNICHTE IHRE HELFER, DIE DEIN EINZIGES GLÜCK ZERSTÖRT HABEN, DIE DEIN VOLK ÜBER JAHRZEHNTAUSENDE GEKNECHTET UND DANN VERNICHTET HABEN. RÄCHE DICH AN DEN KOSMOKRATEN, DIE ANSUNARA GETÖTET HABEN! NICHTS GESCHIEHT DURCH ZUFALL. ES IST DEINE BESTIMMUNG, GEGEN DIE KOSMOKRATEN ZU KÄMPFEN!

Ich wunderte mich nur kurz, dass MODROR so gut Bescheid wusste. Eigentlich war es mir egal, denn ich spürte, dass ich hier unter Gleichgesinnten war. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich wohl.

»Da er in langen Zeiträumen plant und auf dich nicht verzichten will«, sprach nun Rodrom weiter, »hat er mich dazu ermächtigt, dir das Geschenk des ewigen Leben zu machen.«

Ich spürte, wie sich ein Schmerz in meine Brust bohrte. Erschreckt schrie ich auf und riss meine Kleidung über der Brust auseinander, konnte aber nichts entdecken. Dafür fühlte ich eine nie gekannte Energie, die mich zu durchdringen begann.

Ich war unsterblich! So sehr brauchte MODROR meine Dienste. Soviel hielt er von mir, dass er mich mit dem ewigen Leben belohnte.

»Der Zellaktivator ist in meiner Brust?«, stammelte ich überrascht. »Das Ei liegt jetzt neben meinem Herz?«

Rodrom lachte. »Es gibt nicht nur die eiförmigen Aktivatoren. Genauer gesagt, handelt es sich bei den Eiern um ein älteres Modell. MODROR ist weiter als die Kosmokraten. Nicht nur die Mächte der Ordnung können die Unsterblichkeit verleihen, auch MODROR kann es!« Er lachte erneut. »Wahrscheinlich müssen die Ordnungsmächte jetzt erst einmal die älteren verbrauchen, bevor sie ebenfalls die chipförmigen verwenden können...«

Ich verstand gar nichts, und dies schien Rodrom auch zu bemerken.

»Mach dir nichts draus. In ein paar Jahrtausenden wirst du auch mehr wissen. Aber schau dir mal dein Gesicht an!«

Plötzlich tauchte ein Spiegel vor mir auf, in dem ich mich betrachten konnte. Tatsächlich hatte mein Gesicht sich verändert. Auf meiner Stirn war ein dunkles Mal aufgetaucht, das aus drei einzelnen Schlingen bestand.

»Dies ist das Symbol des Chaos«, erläuterte Rodrom, nachdem ich ihn danach gefragt hatte. »Es soll dir deine Zugehörigkeit zu Ihm klar machen.«

Ich nickte und fühlte unsäglichen Stolz, jetzt war ich unsterblich, und meine Rache würde früher oder später erfüllt werden. Endlich war ich meinen Lebensziel sehr nahe. »Ich bin bereit, meine Aufgaben zu übernehmen.«

Rodrom lachte, diesmal klang es ausgesprochen diabolisch. »Nicht so schnell, erst musst du trainieren...«

Das Training dauerte Jahrtausende, in dem ich die Beherrschung meines Körpers und Geistes vollendete. Ich durfte in dieser Zeit das Land MODROR nicht verlassen. Es befand sich tatsächlich umgegeben von der Erde oder dem Gestein der Welt Sargomoph. Im gewissen Sinne. Die Heimat des MODROR war gewaltig und doch versteckt. Die Dunkelwolke, welche ich einst angesteuert hatte, war nur eine Passage dorthin. Es schien als wolle MODROR aus dem Verborgenen agieren. Und das war ihm mit diesem Versteck durchaus gelungen. Unzählige Völker dienten ihm dort, ohne es wirklich zu wissen. Und doch verehrten sie ihn wie einen Gott. Doch tief im Herzen seines Zentrums der Macht existierten allerlei Spezies, welche genau wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Ich traf Völker aus der Galaxie Barym, welche eng mit MODROR verknüpft war. Ich begegnete Wesen, Jahrmillionen Jahre alt, welche am ehesten als Vampire des Weltraums zu bezeichnen war. Ich war tief beeindruckt von ihrer Kombination aus brutaler Animalität und widersprüchlichen hohen Intellekt.

Nach dieser Zeit konnte ich das Land endlich an der Seite von Rodrom verlassen. Ich erfuhr, dass MODROR so weit über den normalen Wesen residierte, dass er Rodrom benötigte, um außerhalb seines Landes agieren zu können. Unter Rodroms Leitung heuerten wir viele Söldner an, die sich in harten Kämpfen beweisen mussten, damit nur die stärksten wirklich in Rodroms Dienste treten konnten. Unsere Armee sollte das Schreckensvollste des bekannten Universums sein, und ich war mit Feuereifer dabei, diesen Wunsch meines Meisters zu erfüllen.

Als uns ein Agent verriet, dass die kosmische Fabrik GUE in die Galaxis kam, planten wir einen Angriff. Leider gelang es uns trotz genauester Planung und unheimlicher Waffen, die Rodrom einbrachte, nicht, die Fabrik zu übernehmen, aber wir konnten zumindest einige Gramm des Ultimaten Stoffs erbeuten, den die Fabrik gelagert hatte.

Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, zeigte Rodrom so etwas wie Freude. »Damit können wir Carit selbst herstellen, eines der widerstandsfähigsten und mächtigen Materiale des Universums. Die Kosmokraten haben lange versucht, das Material vor uns zu verbergen. Nun haben sie eine erneute Niederlage erlitten. Gib mir deinen Stab!«

Ich wunderte mich, leistete aber Rodrom sofort folge, wie ich es immer tat. Trotz der unglaublichen Waffen, die mir nun als MODRORs Diener zur Verfügung standen, hatte ich den Totenkopfstab weiterhin behalten. Es war mir immer noch ein Bedürfnis geblieben, jeden Gegner nach Möglichkeit mit diesem Artefakt aus dem Weg zu räumen. Dadurch hatte der Stab mittlerweile deutlich gelitten, aber durch das viele Blut eine wunderschöne rötliche Färbung angenommen.

Nach einer Stunde bekam ich den Stab wieder. Ich erkannte ihn kaum wieder, denn er glänzte nun in schieren Gold, das aus dem Inneren zu glühen schien.

»Ich habe ihn mit Carit beschichtet«, erklärte Rodrom. »Nun ist er absolut unzerstörbar und auch in der Lage, praktisch alle Strahlschüsse aufzunehmen und in den Hyperraum abzuleiten. Wenn du es richtig anstellst, kannst du die Schüsse sogar auffangen und an den Gegner zurück schleudern.«

Andächtig wiegte ich meinen Liebling in den Händen. Was waren primitive Strahlenwaffen schon im Vergleich zu einem niveauvollen Tötungsgerät wie diesem?

Als wir wieder im Land MODROR ankamen, rief MODROR mich zu sich. Ich war sehr überrascht, denn seit meiner Aufnahme hatte sich die Entität nicht mehr bei mir gemeldet. Sofort machte ich mich auf den Weg zu der Gesteinsebene, wo ich zum ersten Mal mit MODROR geredet hatte.

CAU THON, DU HAST MIR BISHER GUTE DIENSTE GELEISTET, DAHER WILL ICH DICH VON NUN AN WIE MEINEN SOHN BEHANDELN. AB HEUTE BIST DU DER ERSTE SOHN DES CHAOS, UND MEINEM SOHN WERDE ICH ERKLÄREN, WER ICH WIRKLICH BIN UND WAS MEINE PLÄNE SIND...

Ich brauchte fast ein Jahrhundert, um die Erkenntnisse zu verdauen, die MODROR mir anvertraut hatte, aber über eines war ich mir von Anfang an sicher – nichts und niemand konnte die Kosmokraten retten!

Von nun an durfte ich alleine agieren, und so konnten Rodrom und ich unabhängig voneinander Aufträge ausführen, die im Zusammenhang mit seinem Plan standen. Zu meinen Glanzstücken gehörten sicherlich die Eroberung des Kreuzes der Galaxien und mein Kampf gegen die verhassten Alysker.

Erst beim Bau des SONNENHAMMERs waren wir wieder beide zur Stelle, denn diese Waffe von MODROR war zu wichtig, um auch nur das geringste Risiko einzugehen.

Eines Tages berichtete mir MODROR, dass Er mit großer Sorge ein Volk in der Galaxis Ammandul beobachtete, dass Ihm offenbar sehr gefährlich erschien. Ich begann daraufhin, die Lemurer zu observieren. Mir war zwar nicht ganz klar, was MODROR meinte, aber dieses Volk, von dem schon Moira gesprochen hatte, hatte nicht nur den Krieg mit den Bestien überlebt, es hatte es sogar geschafft, ihre ehemaligen Gegner zu befrieden. Einige Jahrzehnte beobachtete ich die Galaktiker, wie sie sich inzwischen nannten. Schnell wurde mir klar, dass Perry Rhodan und seine Mitstreiter gefährlich waren. Sie waren kosmische Helden und hatten es mit Kosmokraten und Chaotarchen gleichermaßen aufgenommen. Sie waren mit beinahe sympathisch, doch vermutlich nicht für unsere Sache zu gewinnen. Deshalb durfte man sie keineswegs unterschätzen.

Schließlich rief MODROR mich in sein Land zurück, als Rodrom die Vollendung des SONNENHAMMERs in den nächsten Jahren bekannt gab. MODROR befahl mir, weitere Söhne des Chaos zu rekrutieren, darunter auch einen Auserwählten, der erst noch geboren werden würde. MODROR lag offenbar viel an diesem Jungen, er gab mir den Auftrag, den Jungen zu einem Sohn des Chaos zu machen.

Ich machte mich daher auf den Weg zu einer terranischen Kolonistenwelt und manipulierte das Ungeborene auf Anweisung von Rodrom. Ich stellte es so dar, als wäre ich der Helfer in der Not – mit Erfolg, denn amüsiert bekam ich mit, dass die Eltern dem Neugeborenen den Namen Cauthon Despair gaben, benannt nach mir!

Trotzdem mussten sie sterben. Es war von Anfang an geplant. Ich suchte einen Vorwand und beschuldigte sie, dass sie Despairs Zukunft rauben würden, wenn sie auf Neles weiterlebten.

In den folgenden Jahren sorgte ich dafür, dass es Despair immer schlecht ging, damit er gar nicht erst auf die Idee kam, positive Gefühle zu entwickeln. Besonders stolz machte es mich, als Cauthon Despair schließlich Perry Rhodan angriff und ihn in ernste Bedrängnis brachte.

Aber Cauthon Despair galt nicht meine ganze Aufmerksamkeit, denn dafür hatte ich ja auch Wirsal Cell, den Anführer der MORDRED.

Ich reiste nämlich auch in die Galaxis Dorgon – DORGONs Hoheitsgebiet – und beeinflusste den Kaiser Thesasian derart, dass der größenwahnsinnige Diktator fortan in den Galaktikern seine größten Gegner sah, obwohl er noch nie aus seiner Galaxis herausgekommen war. Dieser Schritt war dringend erforderlich.

Ich bot Thesasian an, mit Wirsal Cell zusammen zu arbeiten, der unterdessen auf mein Anraten die Terrorgruppe Mordred in Ammandul gegründet hatte. Der dorgonische Kaiser nahm natürlich sofort an.

Ich verabschiedete mich von der Bühne. und überließ es Cell und Seamus Camelot zu vernichten.

Siegessicher kehrte ich in das Land zurück, doch dort empfing mich Rodrom mit einer Hiobsbotschaft. Der Entität war es trotz langer Hetzjagd nicht gelungen, den lästigen Terraner Rhodan bei seiner Fahrt auf dem Luxusschiff LONDON umzubringen. Aber er hatte noch eine viel erschütterndere Meldung zu machen. Der Kosmokrat Sipustov – Mein abgrundtief verhasster Sipustov! – arbeitete offenbar mit DORGON zusammen. Ein Pakt zwischen DORGON und den Kosmokraten? Ungeheuerlich!

Sipustov wollte offenbar einen einst abtrünnigen Orden von Rittern der Tiefe zu DORGONs Schutz heran ziehen, doch da hatte er anscheinend nicht mit mir gerechnet. Mit höchsten Vergnügen radierte ich die Ritter aus, bis auf einen, der bedauerlicherweise fliehen konnte. Dabei half mir sogar ein ehemaliger Schüler der Ritter, der jung und ungestüm in Tötungsmethoden faszinierende Kreativität entwickelte. Ich nahm ihn mit ins Land MODROR, wo Er selbst sich auch angetan von Goshkans Qualitäten zeigte. Somit wurde Goshkan ebenfalls unsterblich und zum zweiten Sohn des Chaos. Aber zwei weitere Söhne sollen noch folgen...

 

Epilog

Xamour, April 1296 NGZ

Nachdem Cau Thon geendet hatte, herrschte lange Zeit Schweigen in der Zelle. Aurec und Gal'Arn waren sichtlich bemüht, die unglaublichen Erkenntnisse und in einigen Dingen viel zu detaillierten Beschreibungen des Chaos-Sohnes zu verarbeiten.

Schließlich raffte der Ritter der Tiefe sich auf, eine Frage zu stellen. »Der Ort, an dem wir dich überwältigten, war Ansunaras Grab, oder?«

»Ja, diese Grabräuber haben mein Heiligtum geschändet. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass ich kurzen Prozess mit ihnen machte!«

Aurec schluckte. Wenn die Metzelorgie in der Gruft ein »kurzer Prozess« gewesen war, was verstand Cau Thon dann unter einem langsamen Tod?

»Und was ist MODROR jetzt?«, fragte Aurec schließlich. »Wir dachten immer, er wäre eine Superintelligenz wie DORGON...«

Weiter kam er nicht, denn Cau Thon fing wild zu lachen an. Es war ein abgrundtief böses Lachen, dass den beiden durch Mark und Bein dring. Cau Thon lachte noch, als sie die Zelle längst verlassen hatten.

ENDE

 

 

 

Cau Thon hat seine Lebensgeschichte erzählt, und Aurec und Gal'Arn haben vieles erfahren, was sie sicherlich den anderen mitteilen werden. Doch noch sind Rodrom, Goshkan und seine Helfer unentdeckt und werden Cau Thon sicherlich zu befreien versuchen.

Die weiteren Geschehnisse auf Xamour schildert Nils Hirseland im zweiundvierzigsten DORGON-Band mit dem Titel: RODROMS RUF

 

 

 

Kommentar

Sohn des Chaos

Entfernt erinnere ich mich an das, was ich im Verlauf der bisherigen DORGON-Zyklen über Helden, Schurken und ihre Affären schrieb – und wieder einmal bewahrheitet es sich.

Gegen Ende des letzten Heftes war es bereits abzusehen, jetzt ist es endgültig klar – Cau Thons Liebe zu Ansunara war schließlich der Auslöser für seinem Fall. Ansunara wurde (ebenso wie alle anderen Xamouri) von Endrass und den anderen kosmokratischen Schergen getötet.

Und so machte sich Cau Thon auf den langen und beschwerlichen Weg der Vergeltung, auf der Suche nach einer Möglichkeit, Ansunara zu rächen. Blind in seiner Verzweiflung schob er die Schuld natürlich ausschließlich auf die Kosmokraten, da sie die einzigen schienen, an denen er sich hätte rächen können. Und – wie es für die xamourische Mentalität typisch ist – steigerte er sich in diese Aufgabe solcherart hinein, dass er blind für alles andere wurde.

So waren es auch ausschließlich Rachegedanken, die ihn bewegten als er die Bekanntschaft des Ritters der Tiefe Myron Reburs machte. Tatsächlich verbrachte er einige Zeit als dessen Orbiter, anstatt allerdings aus dieser Lehre eine Erfahrung zu ziehen verschloss er sich immer noch gegen alles außer seinem Ziel, der Rache an den Kosmokraten.

Und so war auch dieses Verhältnis nicht von langer Dauer sondern endete äußerst abrupt mit Cau Thons Flucht und dem Tod von Myron Reburs.

Schließlich fand Cau Thon durch den Hinweis der Kopfgeldjägerin Moira und langes Suchen jene Dunkelwolke, in der sich die Entität MODROR verbarg. Er wurde von ihr aufgenommen, trainiert und am Ende mit einem Zellaktivator versehen und zu einem Sohn des Chaos gemacht. Was weiter mit und durch Cau Thons Einwirkung geschah, dürfte DORGON-Lesern hinreichend bekannt sein.

Nun sind wir einmal gespannt, ob Cau Thon auf der Seite des Chaos am Ende besser dasteht...

Martin Schuster

 

GLOSSAR

Xamour

Ein Planet außerhalb der Galaxis Cartwheel. Xamour war bis vor 31.000 Jahren die Heimatwelt des Volkes der Xamouri. Nach einer Strafexpedition der Nesjorianer gegen die Xamouri blieb Xamour unbevölkert.

Xamouri

Bewohner des Planeten Xamour, etwa 500.000 Lichtjahre von Cartwheel entfernt. Die Xamouri sind humanoid. Sie haben meist eine rote Hautfarbe und sind haarlos.

Die Xamouri waren etwa von 55.000 v.Chr. bis 28.000 v. Chr. eine raumfahrende Rasse zwischen Cartwheel und Seshonaar. Sie dienten den Kosmokraten als Bewacher des Kosmonukleotids TRIICLE-3. Dann überwarfen sie sich aus Gier mit den Kosmokraten und wurden von einer Flotte der Nesjorianer vernichtet.

Geschichte der Xamouri

71.000 v. Chr.: Völker auf Xamour beginnen, die ersten Siedlungen zu errichten. Es bilden sich im Laufe der nächsten 5.000 Jahre einige Zivilisationen und Reiche.

56.000 v. Chr.: Der Erstkontakt mit dem Volk der Rachbart endet in einem Massaker. Die Angreifer aus der Galaxie Seshonaar unterdrücken Xamour.

55.480 v. Chr.: Die Xamouri haben sich erfolgreich zur Wehr gesetzt gegen die Rachbart und sind zu einer Raumfahrernation gewachsen. Unter Gyrat werden die Rachbart vernichtend geschlagen.

Der Kosmokrat Sipustov rekrutiert die Xamouri. Sie sind fortan die Wächter des nur drei Lichtjahre entfernten Kosmonukleotids UDJAT (TRIICLE-3).

Gyrat erhält einen Zellaktivator.

29.700 v. Chr.: Nach knapp 26.000 Jahren der Dienerschaft der Xamouri für die Kosmokraten stirbt Gyrat. Er opfert sich für die Kosmokraten. Seine Nachfolger sind überfordert und rekrutieren Hilfsvölker. Diese fördern den Kapitalismus auf Xamour.

29.300 v. Chr.: Die Quhrd übernehmen die Macht auf Xamour und das einstige Hilfsvolk ist nun Beherrscher der Welt. Es entbrennt ein 200 jähriger Krieg.

29.100 v. Chr.: Radikale Reformen und die Gründung der Xamour AG führen zur wirtschaftlichen Niederlage der Quhrd und dem Ende deren Herrschaft. Die Xamour gehen nun einen Weg des totalen Kapitalismus.

28.873 v. Chr.: Geburt von Cau Thon

28.860 v. Chr.: Das erste einschneidende Erlebnis für Cau Thon: Sein Großvater muss die Entsorgungspille nehmen.

ca. 28.850 v. Chr.: Die Xamouri überwerfen sich mit den Kosmokraten. Ein Strafkommando der Nesjorianer vernichtet schließlich alles Leben auf Xamour. Einzig Cau Thon überlebt das Massaker und flüchtet nach Seshonaar.

Nesjorianer

Ein Hilfsvolk der Kosmokraten. Die Nesjorianer sind künstlich hergestellte Wesen. Sie sind keine Roboter, eher eine kybernetische Mischung aus Robotern und biologischen Komponenten. Die Nesjorianer sind groß, schwarz und klobig. Sie sind intelligente und willige Diener der Kosmokraten. Sie befehligen die Raumstation NESJOR und die dazugehörige Flotte und werden immer dort eingesetzt, wo es gerade von Nöten ist.

Vor knapp 30.000 Jahren zerstörten die Nesjorianer Großteile der Welt Xamour und verübten einen Holocaust an den Xamouri.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.  —  Copyright © 1999-2015

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— Special-Edition Band 41, veröffentlicht am 09.10.2015 —

Titelillustration: Klaus G. SchimanskiLektorat: Jürgen Freier und Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel