Cover DORGON-Band 25

DORGON-Logo

Band 25

M 100-Zyklus


Aufbruch ins Ungewisse

Eine Expedition nach M 100


Ralf König & Dominik Hauber



Was bisher geschah Hauptpersonen des Romans
Wir schreiben Januar 1292 NGZ. Die Mordred ist geschlagen. Ihr Anführer Rhifa Hun hat sich als Wirsal Cell entpuppt. Ausgerechnet der Silberne Ritter Cauthon Despair hat sich von der Mordred abgewendet und Perry Rhodan das Leben gerettet.

Derweil hat ein geheimnisvoller Bote immer wieder auf sich aufmerksam gemacht und nennt sich selbst DORGON. Das fremde Wesen spricht von einem großen Projekt und bittet um Hilfe bei der Befreiung des Sternenreiches Dorgon.

Nun, einige Monate später untersuchen Wissenschaftler der Milchstraße das Wrack des dorgonischen Adlerraumschiffes und bereiten eine Mission in die Galaxie M 100 vor, um die Dorgonen von einer Invasion abzuhalten. Es ist ein AUFBRUCH INS UNGEWISSE …
Perry Rhodan – Der Unsterbliche versucht, Despair zu bekehren.

Aurec, Sam – Sie bereiten eine Expedition ins Ungewisse vor.

Cauthon Despair – Der Silberne Ritter denkt über seine Vergangenheit und seine Zukunft nach.

Timo Zoltan – Der junge Wissenschaftler findet etwas Wichtiges heraus.

Joak M. Cascal – Auch der Terraner findet etwas für ihn Wichtiges.

Nadine Schneider – Die Totgeglaubte kehrt auf seltsame Weise zurück.

Prolog

Zivilisation – vielleicht das bedeutungsvollste Wort für ein Intelligenzwesen. Eine Zivilisation verband Wesen verschiedenster Herkunft. Sie war ein Garant für ein Leben in Würde, Fortschritt und Sicherheit.

Zivilisation bedeutete Dorgon.

Dorgon stand für Ordnung, für Fortschritt, für das annehmbare Leben eines dorgonischen Bürgers unter den Gesetzen des Reiches, unter der schützenden Hand seines Kaisers.

Das Universum war gigantisch. Selbst eine einzige Galaxie, so winzig im kosmischen Vergleich, war beinahe unvorstellbar groß, gewaltig die Distanz zwischen den Sonnensystemen. Zwischen den besiedelten Welten lag der dunkle, kalte Weltraum. Leer, einsam, verloren wirkend. Doch wer mit seinem Sternenraumschiff diesen unwirklichen Weg durchquerte und eine Welt des dorgonischen Imperiums erreichte, der durfte sich in Sicherheit wähnen. Der genoss den technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt Dorgons. Er erlebte die mächtige, immerwährende und moderne dorgonische Zivilisation.

Wo auch nur eine Raumstation des Reiches war, dort galten die Gesetze Dorgons. Dort konnte sich ein Bürger in Sicherheit fühlen.

Dorgon verkörperte eine Tradition von Kultur, Muse, Liebe, Militär, Recht und Gerechtigkeit und immerwährenden Fortschritts aus Jahrzehntausenden.

Was einst in der ewigen Stadt Dom auf Dorgon seinen kleinen, aber beständigen Anfang genommen hatte, erstreckte sich nun über die ganze Galaxie.

Stolz! Ehre! So fühlten echte Dorgonen.

Lasset uns den Stolz unserer Zivilisation weit hinaus ins Universum tragen. So, wie es die Götter unter ATUM und DORGON wollten. Lasset uns die Primaten und Barbaren der anderen Sterneninseln kultivieren, auf dass sie eines Tages zu mündigen Bürgern des Ewigen Reiches heranwachsen werden.

Hail Dorgon!

Hail dem Kaiser!


Codex A-VII für das kaiserliche Expeditionskorps. Mit dem Zusatz versehen: Lest diese Zeilen und ihr erinnert euch, weshalb ihr fern der Heimat mit Ehre und Stolz die Zivilisation Dorgons im Universum verteilt.

*

Jene Zeilen gehörten vielleicht zu den wichtigsten Informationen, die der camelotische Wissenschaftler Jan Scorbit zusammen mit dem Mausbiber Gucky aus einem Rechner der dorgonischen Konkubine Leslezia hatte erbeuten können.

Denn dieser Codex A-VII sagte viel über das Selbstverständnis des Kaiserreiches Dorgon aus.

Doch nun zu einem anderen Thema: Die Mordred war geschlagen. An jenen schicksalhaften Tagen Ende September 1291 NGZ war es den Camelotern, Arkoniden und Ligaterranern gemeinsam gelungen, die gefürchtete Terrororganisation zur Strecke zu bringen.

Dem Terror in der Milchstraße war vorerst ein Ende gesetzt. Doch noch immer schwebte die Gefahr durch das geheimnisvolle Kaiserreich Dorgon wie ein Damoklesschwert über uns allen.

Dank Gucky und des terranischen Wissenschaftlers Jan Scorbit wusste man ein wenig mehr über die Dorgonen.

Doch zunächst stand der Silberne Ritter Cauthon Despair im Mittelpunkt. Noch vor einem Jahr hatte Despair als Schrecken, als Geißel der Milchstraße und besonders Camelots gegolten. Nun war er maßgeblich an der Zerschlagung der Mordred beteiligt gewesen.

Was würde nun mit ihm geschehen?

Jaaron Jargon, September 1291 NGZ

malum malo curator

Böses muss Böses vertreiben

IVANHOE, September 1291 NGZ

Perry Rhodan hatte sich von seinen Verletzungen aus dem Zweikampf mit Despair weitgehend erholt. Immerhin: Die Nummer Eins der Mordred, Wirsal Cell, war tot, aber sein wichtigster Handlanger, der Silberne Ritter Cauthon Despair war noch am Leben.

Viel wichtiger: Er hatte Rhodan und einer Vielzahl anderer das Leben gerettet.

Cauthon Despair hatte sich von der Mordred losgesagt. Vielleicht aus Angst vor dem Tod, vielleicht, weil er erkannt hatte, dass Wirsal Cell an Despairs Schicksal die Verantwortung trug, möglicherweise auch durch den Zuspruch Sanna Breens. Jedenfalls wäre es ohne Despairs Hilfe nicht so glimpflich für Rhodan selbst, Imperator Bostich, Sam und Sanna Breen ausgegangen. Besonders der Tod des arkonidischen Herrschers Bostich hätte die Milchstraße ins Chaos gestürzt.

Perry Rhodan, der seinen blauen Galornenanzug trug, begrüßte den saggittonischen Kanzler Aurec, der im Aufenthaltsraum neben der Kommandozentrale zusammen mit dem Space-Jet-Kommandanten Mathew Wallace an einem Tisch saß und sein Mittagessen einnahm.

Rhodan wartete, bis Aurec das Chili aufgegessen hatte. Immer wieder betonte der Saggittone, dass das scharfe Gericht ihn an saggittonische Rezepte erinnerte. Nach dem Essen führte sie ihr Weg durch die hellen Korridore in die Etage 21. Dort befand sich der Inhaftierungstrakt. Der Sicherheitschef Irwan Dove begrüßte Rhodan und Aurec. Der große, breitschultrige Oxtorner führte die beiden zum Verhörraum. Dort befand sich bereits Cauthon Despair. Der einstige Cameloter trug seine Silberne Rüstung. Rhodan hatte ihm erlaubt, sie weiterhin tragen zu dürfen.

»Ich danke dir für die Rettung auf der VERDUN«, begann Rhodan das Gespräch.

»Ich habe getan, was ich für nötig hielt. Die Mordred und Dorgon würden der Milchstraße nur Unglück bringen. Das habe ich nun erkannt«, erwiderte Despair mit dumpfer Stimme.

Rhodan bedauerte die Entwicklung dieses Mannes. Ohne Eltern in einer lieblosen Welt aufgewachsen, hatte der kleine, aufgeweckte Cauthon Despair früh Gefallen an den Abenteuern Rhodans gefunden. Tapfer und mit viel Herz hatte Cauthon als Kind seine Entführung auf Mashratan weggesteckt. Eifrig hatte er sich auf der Raumfahrtakademie von Port Arthur zum Jahrgangsbesten gemausert. Doch Rückschläge und Enttäuschungen konnte er nie richtig verarbeiten. Durch die Beeinflussung von Wirsal Cell hatte sich Cauthon schließlich gegen Rhodan gewandt und war während des Bombardements von Mashratan 1283 NGZ schwer verletzt worden. Rhodan wusste nun, dass Wirsal Cell als Rhifa Hun der Mordred hinter diesem Angriff gesteckt hatte, obwohl es über Jahre ausgesehen hatte, als habe Camelot die Attacke durchgeführt.

Die Einsamkeit, der Schmerz, die schwere Verwundung und die Trauer hatten Cauthon Despair zum gefürchteten Silbernen Ritter werden lassen. Ein gefährliches, rücksichtsloses Ungeheuer in einem silbernen Raumanzug, der eher an eine Ritterrüstung aus dem Mittelalter erinnerte.

Das war jener Despair, den die Milchstraße – besonders Camelot – fürchtete, hatte er doch vor knapp einem Jahr diverse Niederlassungen angreifen und zerstören lassen. Viele Lebewesen hatten dabei den Tod gefunden.

Das hatte Perry Rhodan nicht vergessen. Dafür musste Despair zur Rechenschaft gezogen werden. Doch Perry Rhodan erinnerte sich an Wesen, die ihre Sünden zu büßen bereit waren. Ribald Corello war so ein Geschöpf gewesen, Hotrenor Taak ebenso. Obwohl sie grauenvolle Verbrechen verübt hatten, waren sie begnadigt worden und später zu wertvollen Verbündeten geworden, nachdem sie sich von den Feinden Terras losgesagt hatten. Jeder verdiente eine zweite Chance. Auch Cauthon Despair. Doch zuvor musste er sich vor Gericht verantworten.

»Was geschieht nun mit mir?«, fragte Despair.

»Nun, wir bringen dich zurück nach Phönix und setzen uns mit dem Galaktikum in Verbindung. Dort wird entschieden, ob du vor den galaktischen Gerichtshof auf Mirkandol geschickt wirst.«

»Ich habe nichts anderes verdient«, gestand Despair, der völlig ruhig auf dem unbequem wirkenden Stuhl aus Hartplastik saß.

Rhodan wandte sich ab. Dann drehte er sich wieder um und musterte die schimmernde Rüstung der ehemaligen Nummer Zwei der Mordred.

»Was weißt du über die Dorgonen?«

Despair erhob sich.

»Sie werden eines Tages die Milchstraße überfallen. Sie sind mächtig und würden die Eroberung der Milchstraße als eine selbstverständliche, gute Tat bezeichnen. Die Mordred ist besiegt, doch die war nur der Anfang.«

Rhodan nickte unbehaglich und verließ zusammen mit Aurec und Irwan Dove die Zelle. Er dachte über Despairs Worte nach. Die Dorgonen stellten eine Gefahr für die Milchstraße dar. Auch wenn die Galaxie M 100 fast fünfzig Millionen Lichtjahre entfernt lag, so war die Distanz über das Sternenportal, welches in fünf Millionen Lichtjahren Entfernung zur Milchstraße lag, innerhalb von Sekunden zu überbrücken. Die Reise zum Sternenportal dauerte zwischen zwei und vier Wochen. Das Sternenportal selbst, dessen Technologie weder die Galaktiker, Saggittonen noch Estarten verstanden oder wirklich beherrschten, war kaum zu kontrollieren. Die vier Stationen unbekannter Herkunft schwebten nahe beieinander. Sobald das Portal aktiviert wurde, waren sie in der Lage, ein Transmittertor mit einem Durchmesser variierend zwischen hundert Metern und mehreren hundert Millionen Kilometern zu erzeugen. Das Portal eignete sich damit zum Transport von nur einem kleinen Raumschiff oder aber einer gesamten Raumflotte. Wenn eine ganze dorgonische Raumflotte in die Lokale Gruppe einfiel, trennten sie nur noch fünf Millionen Lichtjahre und bis zu vier Wochen von Terra.

Das gefiel Perry Rhodan ganz und gar nicht. Er blickte Aurec an. Der Saggittone hatte sich während der Mordred-Krise als verlässlicher Freund und Mitstreiter erwiesen.

»Was denkst du?«, fragte Rhodan.

»Ich mache mir Sorgen um die Zukunft eurer Milchstraße und meines Saggittors. Wir sind alle in Reichweite der Dorgonen. Ich denke nicht, wir sollten ihnen die Initiative überlassen.«

Das Ende Camelots

Es war eine Ironie des Schicksals: Die Terrororganisation Mordred hatte über Jahre versucht, die Unsterblichenorganisation Camelot zu vernichten und war gescheitert. Ausgerechnet der Begründer selbst versetzte Camelot Anfang 1292 NGZ den Todesstoß und informierte die übrigen Zellaktivatorträger über die Auflösung ihres Zusammenschlusses.

Am 16. Dezember 1291 NGZ war Perry Rhodan zum Terranischen Residenten gewählt worden, während Maurenzi Curtiz das Amt des Ersten Terraners übernahm. Nun war Rhodan wieder dort, wo ihn sich viele gewünscht hatten: an der politischen Spitze der Liga Freier Terraner. So sah er keine Notwendigkeit mehr für die Geheimorganisation und löste sie auf. Doch nicht jeder begrüßte diese Entscheidung. Monkey und Homer G. Adams waren entsetzt und schmiedeten ihre eigenen Pläne. Sie zogen Material und gut ausgebildete Frauen und Männer ab, wohin auch immer. Niemand wusste es, doch musste man auch nicht wirklich besorgt sein. Was auch immer die Zellaktivatorträger planten, es war zum Wohl der Milchstraße. Dass sich die relativ Unsterblichen im Laufe der dreitausend Jahre auch mal stritten und für eine Weile ihre eigenen Wege gingen, war nichts Besonderes.

Jedenfalls verschwand fast die Hälfte der camelotischen Mitarbeiter in den ersten Novembertagen mitsamt den Anlagen. Selbst die zurückkehrende GILGAMESCH verließ Camelot mit unbekanntem Ziel. Rhodan ließ sie gewähren.

Wyll Nordment quittierte in diesen Tagen seinen Dienst und zog sich mit seiner Frau Rosan Orbanashol-Nordment vorerst von den Abenteuern zurück. Sie kauften sich eine kleine, aber feine Villa in Chippewa Falls im beschaulichen Bundesstaat Wisconsin. Es gab Gerüchte, wonach die beiden mehr über den Verbleib von Homer G. Adams wussten. Ausgedehnte Urlaubsreisen quer durch die Milchstraße gaben diesen Gerüchten Nährboden.

Mir altem, armen Mann sagte man jedenfalls nicht, wo sich mein Freund Adams verbarg. Ab und an meldete sich der alte Kauz bei mir. Doch die Standardantwort auf meine bohrende Frage lautete: »Du schreibst das in deine Chronik und dann weiß es sofort jeder. Versprochen, eines Tages erfährst du es und wirst darüber exklusiv berichten können.«

Damit endete das Kapitel Camelot. Ein Teil der Unsterblichen befand sich wieder auf ihrem Heimatplaneten: der Erde. Julian Tifflor bekleidete fortan den Posten des Residenzministers für LFT-Außenpolitik. Auch Reginald Bull und Gucky kehrten zurück.

Michael Rhodan lag in einem künstlichen Koma auf Mimas. Die anderen Zellaktivatorträger befanden sich in den Weiten des Kosmos. Atlan, Icho Tolot, Myles Kantor, Ronald Tekener und Dao-Lin-H’ay reisten mit der SOL fernen Galaxien entgegen.

Die Wahl Rhodans zum Terranischen Residenten war nicht überall auf Gegenliebe gestoßen. Die einen sprachen von der Renaissance des Faschismus, die anderen verteufelten Rhodan als pazifistischen Kommunisten. Wie auch immer: Es war schwer, es jedem recht zu machen.

Jedenfalls versprach Rhodan den LFT-Bürgern und sich selbst, die kommenden Jahre dafür zu nutzen, sich voll und ganz der LFT zu widmen und einen starken, wenngleich friedlichen Gegenpol zum Kristallimperium aufzubauen.

Freilich, er fand auch Befürworter. Joak Cascal und Sandal Tolk stellten sich mit der TAKVORIAN in den Dienst der LFT, ebenso Xavier Jeamour mit der gesamten Crew der IVANHOE. Der terranische Wissenschaftler Jan Scorbit hingegen, welcher zusammen mit Gucky auf dem dorgonischen Adlerraumschiff HESOPHIA wichtige Erkenntnisse über die Dorgonen erlangt hatte, schloss sich Monkey und Adams an.

So trennten sich die Wege vieler. Und einer profitierte von der Auflösung Camelots besonders: Cauthon Despair. Wo kein Kläger, da keine Klage.

Der galaktische Gerichtshof auf Mirkandol lehnte eine Anklage gegen Despair ab, da der Fall offiziell nicht seiner Gerichtsbarkeit unterlag. Despair habe seine Verbrechen vornehmlich gegen Einrichtungen Camelots begangen, so sei es der Justiz von Phoenix überlassen, Anklage zu erheben. Doch da Camelot sich auflöste, kümmerte sich niemand um ihn.

Im Gegenteil: In der Liga Freier Terraner und im Kristallimperium gab es viele Fans des Silbernen Ritters, die seine Freilassung forderten. Despair wurde in einem Gefängnis auf Terra eingesperrt. Allerdings wurde er offiziell nur in Sicherungsverwahrung genommen. Noch liefen die Untersuchungen, ob er an Verbrechen gegen die LFT beteiligt war. Das Desinteresse an einer Anklage gegen Despair war ungeheuerlich. Es wunderte mich doch sehr und immer wieder fragte ich mich, ob System dahintersteckte, während ich diese Zeilen in meinem Wintergarten in Siena schrieb. Draußen schneite es mal wieder.

Meine Nichte Nataly war zu Besuch. Sie war zu einer hübschen, jungen Frau herangewachsen. Doch ich schweife vom Thema ab. Es wurde gemunkelt, dass die LFT versuchte, Despair vor einer Verurteilung zu bewahren, da man durchaus Verwendung für ihn hatte. Perry Rhodan selbst habe sich für Despair eingesetzt, nachdem das Galaktikum eine Anklage abgelehnt hatte.

Doch Cauthon Despair schien weitere, mächtige Verbündete zu besitzen. Eine Lobby aus einflussreichen Militärs und Industriellen, allen voran Michael Shorne, setzte sich für Despair ein. Waren sie vielleicht mit der Mordred eng verstrickt gewesen?

Unter der Hand hieß es, dass den Überlebenden von Sverigor, sofern sie Despair beim Galaktikum anklagen wollten, ebenso eine Anklage drohte und sie erst einmal beweisen mussten, dass sie nicht zur Korrektheitsbehörde Sverigors gehörten. Meine Kontakte berichteten, dass mächtige Anwälte dahintersteckten, die einerseits von der Shorne Industry Gesellschaft und auf der arkonidischen Seite von Uwahn Jenmuhs bezahlt wurden.

Es erschien im Februar 1292 NGZ immer unwahrscheinlicher, dass Despair jemals angeklagt würde. Niemand schien sich noch großartig um die zwei Milliarden Opfer von Sverigor zu scheren. Im Gegenteil: Das arkonidische Kristallimperium hatte die Sverigen aufgrund ihrer Korrektheitsbehörde posthum als Imperiumsfeinde deklariert. In der LFT wurde zwar der Opfer gedacht und immer wieder über die Tragödie berichtet, doch die Schuld sahen die Terraner bei Wirsal Cell, den Dorgonen und der sverigischen Korrektheitsbehörde.

Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass der angeblich geläuterte Cauthon Despair ohne Bestrafung frei kommen würde. Auch missfiel es mir altem linguidischen, terranischen und arkonidischen Narren, dass Perry Rhodan offenbar plante, mit Despair zusammenzuarbeiten, ihm eine zweite Chance zu geben.

Im März kam es dann doch zu einer Anklage vor dem Liga-Gerichtshof in New York. Despair wurde der Mittäterschaft für die Entführung der LONDON angeklagt. Ebenso wurde er für Zerstörungen auf Plophos, Imart und Olymp verantwortlich gemacht, die im Rahmen des Terrors gegen Camelot entstanden waren.

Ein Staranwaltsteam der Shorne Industry Gesellschaft verteidigte Despair. Zwar wurde der Silberne Ritter im April für schuldig befunden, doch aufgrund seiner tragischen Jugend und seiner Bereitschaft zur Besserung als auch seiner Hilfe bei der Zerschlagung der Mordred, wurde er zu fünfzig Jahren Gefängnis auf Bewährung sowie Reparationszahlungen in Höhe von siebenundzwanzig Milliarden Galax an die Geschädigten verurteilt.

Die Shorne Industry Gesellschaft richtete auf Shornes Geheiß einen Fonds für Despair ein und übernahm die Schadensersatzzahlungen. Der Name Michael Shorne war nun wieder in aller Munde. Die Medien fragten sich, wieso Shorne sich so für Despair einsetzte. Dabei inszenierte sich Shorne als Wohltäter, der jedem eine zweite Chance geben würde.

Abseits davon wurden acht Raumschiffe der NOVA-Klasse bereits seit September letzten Jahres für eine in Kürze startende Expedition in die Galaxie M 100, Dorgon, vorbereitet.

Mit der Ankunft der SAGRITON Ende Mai 1292 NGZ nahmen die Dinge ihren Lauf …

Jaaron Jargon, Mai 1292 NGZ

in hoc signo vinces

In diesem Zeichen wirst du siegen

Perry Rhodan erhob sich in einem Konferenzraum im provisorischen Hauptquartier der LFT-Regierung und schaute in die Runde. Er blickte besonders intensiv auf den Mann in der Rüstung: Cauthon Despair.

Der Unsterbliche ließ seinen Blick weiterwandern, sah zum Ersten Terraner Maurenzi Curtiz, dem TLD-Sicherheitschef Noviel Residor und zu seinen alten Freunden Reginald Bull, Julian Tifflor und Gucky.

Etwas weiter entfernt am langen, gläsernen Tisch saßen die drei LFT-Raumschiffkommandanten Joak Cascal, Xavier Jeamour und Henry Portland. Der saggittonische Kanzler Aurec und der somerische Diplomat Sruel Allok Mok hatten am Kopfende Platz genommen.

Zwei weitere Menschen saßen abseits des Tisches. Der Terraner mit dem verpickelten Gesicht und der großen Brille, die ihm vermutlich in diesem Moment sein Referat noch einmal anzeigte, wirkte verunsichert. Die Terranerin neben ihm ganz und gar nicht. Sie streckte die Beine weit aus und daddelte konzentriert und mit halb geöffnetem Mund irgendein Spiel auf ihrem Pikopad.

»Die Mordred ist zerschlagen, doch die Gefahr durch die Dorgonen ist präsent. Wir haben in Zusammenarbeit mit den Arkoniden, Tefrodern, Posbis, Maahks und Kartanin in den letzten Monaten die Bewachung des Sternenportals ausgebaut. Es wurden Wachforts eingerichtet und mit dem Bau von Raumstationen begonnen. Ebenso wurden Notfallpläne für schnelle Kurierflüge entwickelt. Denn es würde einige Wochen dauern, ehe wir überhaupt von der Ankunft der Dorgonen erfahren würden.«

Rhodan machte eine kleine Pause und schob mit dem Finger eine Anzeige auf dem Display des gläsernen Tisches zur Seite. Mit zwei Fingerbewegungen aktivierte er ein Hologramm.

Jeder im Raum hatte sich inzwischen mit Dorgon befasst. Viel war wahrlich nicht darüber bekannt. Das erste Mal waren die Dorgonen im Herbst 1290 NGZ auf Mashratan in Erscheinung getreten. Immer wieder hatte die IVANHOE nach dem Adlerraumschiff HESOPHIA gesucht, ehe man nahe des Planeten Seshur erneut auf sie getroffen war. Schließlich war es Gucky und Jan Scorbit während des finalen Gefechts gegen die Mordred im Mashritun-System gelungen, die HESOPHIA mittels Sabotage unschädlich zu machen. Die Dorgonen hatten den Freitod gewählt und ihr Raumschiff zerstört, anstatt sich zu ergeben. Rhodans Meinung nach sprach das Bände über die Anschauung der Fremden.

»Das ist eine Skizze des Adlerraumschiffes HESOPHIA. Es wurde bekanntlich im September letzten Jahres durch Selbstzerstörung vernichtet. Gucky und dem Wissenschaftler Jan Scorbit war es gelungen, wichtige Daten zu erbeuten. Leider ist Mister Scorbit heute nicht anwesend«, sagte Rhodan und blickte kurz zu Henry Portland, dem Onkel Scorbits. Portlands Gesicht sprach Bände. Sicherlich hatte »Flak« gehofft, sein Neffe würde sich der LFT anschließen und nicht mit Adams, Monkey und vielen anderen sein eigenes Süppchen kochen. Rhodan nahm es gelassen. Irgendwann würde er sie wiedertreffen.

»So habe ich Timo Zoltan, Wissenschaftler an Bord der IVANHOE, als auch Denise Joorn, Archäologin und Ägyptologin, mit der Sichtung der Aufzeichnungen beauftragt.«

Rhodan hatte somit das Wort an die beiden übergeben. Denise deaktivierte ihr Spiel, legte den Pikopad zur Seite und stupste Timo Zoltan an, der hochschreckte.

»Hi«, sagte Denise mit einem Lächeln. »Ich kann nur gesellschaftliche und historische Daten wiedergeben. Mit dem Technikkram kenne ich mich wenig aus. Dafür ist Timo da.«

Denise Joorn ging zuerst auf eine mögliche Verbindung zwischen Dorgon und Terra ein. Hierbei gab es das erste große Rätsel.

»Die Dorgonen verehren alte Götter, die angeblich vor Äonen von der Sterneninsel Chepri nach Dorgon gekommen sind und vor Jahrtausenden in eine andere Galaxie aufgebrochen waren. Das Verwunderliche ist, dass diese Götter offenbar Ähnlichkeiten zu den altägyptischen Göttern aufweisen.«

Denise zeigte über ein Hologramm Abbildungen des altägyptischen Sonnengottes Amun, des Gottes der Toten Anubis und von Horus, dann Aufzeichnungen der dorgonischen Pendants.

»Zufall«, kommentierte Maurenzi Curtiz.

»Daran glaube ich nicht. Die Dorgonen haben explizit nach Verbindungen auf Mashratan und Seshur gesucht. Dort haben wir Artefakte gefunden, die dort eigentlich nicht existieren dürften. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine historische Verbindung zu den Dorgonen gibt. Abgesehen vom Götterkult ist noch etwas auffällig: Dorgon erinnert an ein modernes Imperium Romanum.«

Sie zeigte Aufnahmen der Kleidung, der Rüstung der Soldaten, Abzeichen, Hoheitszeichen und Bilder über Bauten, die in dem Datenbestand des Rechners gefunden wurden. Es wirkte alles sehr antik und doch modern. Die Dorgonen wirkten auf die Betrachter wirklich wie raumfahrende Römer. Doch wie war so ein Zufall möglich? Diese Frage galt es zu klären.

»Was kannst du uns über die Anschauung der Dorgonen mitteilen?«, wollte Xavier Jeamour wissen.

»Sie sind von ihren Taten überzeugt und blicken auf viele Jahrtausende Kultur, militärische Macht und Zivilisation zurück. Ich würde sagen, sie sehen eine Eroberung der Milchstraße sogar als Segen für uns an.«

Schweigen. Damit endete Denise Joorns kurzer Überblick. Nun begann Timo Zoltans Bericht.

»Der Datenbestand beinhaltet mehr gesellschaftliche und private Informationen über eine Dorgonin namens Leslezia als strategische, militärische, politische oder technologische Informationen«, begann Zoltan. »Wir wissen, dass die Galaxie Dorgon eine Spiralgalaxie im Virgo-Haufen ist. Sie trägt unsere Bezeichnung M 100.«

Ein Abbild der Galaxie erschien.

»Kein Terraner war jemals dort. Sruel Allok Mok hat für uns jedoch interessante Informationen.«

Zoltan schien an Selbstsicherheit gewonnen zu haben. Er blickte den Somer mit einem freundlichen Lächeln an. Das ein Meter zwanzig kleine Vogelwesen aus der Galaxie Siom Som erhob sich. Jedoch wirkte er nun eher noch kleiner, statt größer. So setzte sich Sam wieder hin.

»Meine Dame und meine Herren, unsere Informationen aus den Archiven der Ewigen Krieger sind vage. Leider wurden die Passagen zum Großteil gelöscht. Es ist jedoch bekannt, dass es einen Versuch der Eroberung Dorgons in der Ära der Ewigen Krieger gab. Doch er traf auf erheblichen Widerstand und wurde schnell beendet. Details sind uns bisher nicht bekannt.«

Perry Rhodan erinnerte sich an das Zeitalter der Ewigen Krieger. Sotho Tal Ker, auch als Stalker bekannt, hatte die Milchstraße mit seiner Upanishad-Lehre überzogen, während Rhodan, Atlan und Jen Salik von den Kosmokraten verbannt worden waren. Dass es den Ewigen Kriegern nicht auf Anhieb gelungen war, Dorgon zu besetzen, sprach wohl für die Stärke des Reiches.

Timo Zoltan erläuterte nun einige Daten über die Galaxie M 100. Sie war etwa dreiundfünfzig Millionen Lichtjahre von Terra entfernt und erinnerte an die Milchstraße. Auffällig waren die ausprägten Spiralarme an den Seiten.

»Wir wissen über die Technologie der Dorgonen herzlich wenig. Es gelang Gucky und Jan Scorbit nicht, sich in das Netzwerk der HESOPHIA einzuloggen. Deshalb konnten wir nichts über ihre Energieversorgung, Schutzschirme, Offensivbewaffnung oder ihren Antrieb erfahren. Wir wissen nur zwei Dinge: Sie benutzen einen stark fokussierten Energiestrahl, der sich wie ein Skalpell durch ein Raumschiff bohrt und so, ohne das Schiff selbst zu vernichten, Schaden an strategisch wichtigen Punkten anrichten kann. Gucky hat beim Einsatz dieser Waffe den Namen Transonator aufgeschnappt. Ebenfalls kennen wir eine Tarnvorrichtung namens Semi-Transit-Feld, welches das Adlerraumschiff auf uns unbekannte Weise aus dem Normalraum hebt und somit verschwinden lässt.«

Zoltan zuckte unschuldig mit den Schultern.

»Das war es von meiner Seite aus. Hast du noch was, Denise?«

Die Archäologin sprang auf und nickte.

»Dorgon ist eine Monarchie. Ihr Kaiser heißt Thesasian. Seamus war der Legat dieses Imperators. Wir sind dank Cauthon Despair auch mit dem Namen und dem Verhalten eines weiteren Dorgonen der kaiserlichen Familie vertraut: Nersonos. Dieser war während der Vernichtung Sverigors in der Milchstraße und reiste später ab. Despair charakterisierte den Neffen des Kaisers als Exzentriker mit einer maßlosen Selbstüberschätzung, seine eigenen poetischen und musikalischen Künste betreffend.«

Kurzes Gelächter hallte durch den Raum. Damit hatten die beiden ihren Bericht abgeschlossen.

Nun ergriff Perry Rhodan wieder das Wort.

»Was wir ebenfalls wissen, ist, dass sie aus irgendwelchen Gründen die Milchstraße unterwerfen wollen. Haben sie dazu wirklich die Macht oder sind das nur große Worte?«

Bei diesen Worten richtete sich sein Blick auf Despair, der sich angesprochen fühlte.

»Ihr solltet sie nicht unterschätzen«, meinte er. »Sie haben bei der Konstruktion der VERDUN mitgeholfen. Zwar gaben sie uns keinen Einblick in ihr Wissen, doch dank ihrer Hilfe war die VERDUN schnell fertiggestellt. Die Dorgonen besitzen viel Macht. Ich bin mir nicht sicher, ob die Milchstraße einer militärischen Konfrontation gewachsen ist.«

Er senkte nur kurz den Blick, dann stellte er sich wieder den erbarmungslosen Augen des Unsterblichen.

Rhodan nickte langsam. »Auf jeden Fall müssen wir diese Drohung ernst nehmen.«

»Das denke ich auch.« Aurec erhob seine Stimme. »Ich bin der Meinung, wir sollten nicht warten, bis sie uns angreifen. Diesmal sollten wir den ersten Schritt unternehmen. Rüsten wir eine Expedition nach M 100 aus. Schicken wir eine Flotte zu den Dorgonen.«

»Ein militärischer Präventivschlag wäre ein Fiasko«, warf Henry Portland ein.

»Ich spreche nicht von einem Angriff. Ich spreche von einer Forschungsexpedition. Lasst uns die Dorgonen observieren, ihre Stärke analysieren und ihre Beweggründe herausfinden. Vielleicht können wir so einen Krieg verhindern.«

Die Forderung stand im Raum. Niemand bewegte sich für einen Moment. Endlich nickte der erste. Julian Tifflor stand auf, unterstützte Aurec.

Der nächste, der sich erhob, war Reginald Bull. Auch Zoltan war der Meinung des Saggittonen. Langsam erhob sich einer nach dem anderen.

Perry Rhodan gefiel dieser Plan sehr. Er spürte den Tatendrang in Aurec und fühlte sich an seine jungen Jahre erinnert.

Rhodan nickte. »Gut«, meinte er. »Lasst uns nach Dorgon fliegen. Ich habe ohnehin schon eine Expeditionsflotte ausgerüstet …«

*

Auf dem Raumhafen Terrania Space Port glänzten an diesem 23. Mai 1292 NGZ die Leiber riesiger Schiffe im Licht der Sonne. Unzählige Kameras waren auf die Szene gerichtet. Ein Sprecher kommentierte für das Terrania News Network den »Aufbruch ins Ungewisse«, wie er die Expedition reißerisch betitelte. Ein Kameraschwenk zeigte alle Schiffe, die auf ihre Abreise warteten.

Ganz rechts stand die GOLDSTAR. Der achthundert Meter durchmessende Raumer der NOVA-Klasse stand unter dem Kommando von Henry »Flak« Portland. Auch war es das Raumschiff des Zellaktivatorträgers Julian Tifflor. Der Residenzminister für LFT-Außenpolitik fühlte sich geradezu prädestiniert für diese Expedition. Perry Rhodan hatte seiner Bitte stattgegeben, zumal Rhodan, Bull und Gucky nicht an der Expedition teilnahmen. Sie wollten die LFT nicht wieder allein lassen. Mit Tifflor war einer der erfahrenen Unsterblichen mit dabei. Immerhin verband Tifflor und Rhodan seit den Anfängen der Dritten Macht eine Freundschaft. Als Kosmischer Lockvogel hatte der junge Kadett Julian Tifflor bereits 1981 alter Zeitrechnung auf sich aufmerksam gemacht.

Tifflor hatte sich – genauso wie Aurec – freiwillig gemeldet, weil Perry Rhodan an der Expedition aus den naheliegenden Gründen nicht teilnehmen wollte. Zur Freude des Unsterblichen, der die derzeitige Passivität seiner Person nicht mochte, war seine Meldung fast widerspruchslos akzeptiert worden.

Daneben erhob sich die tausend Meter durchmessende TAKVORIAN. Das Schiff unterstand auch für die Expedition dem Kommando des Gespanns Cascal und Tolk.

Die NELES war ein ungleich kleineres Raumschiff der ODIN-Klasse. Es unterstand dem Kommando des bekehrten Cauthon Despair. Gegen diese Nominierung hatte es erwartungsgemäß heftige Widerstände gegeben. Letztendlich hatte sich aber doch jeder gefügt. Der Silberne Ritter würde in den ersten Wochen der Expedition der genauen Beobachtung durch seine Besatzung unterstehen.

Die SIOM SOM war das Raumschiff des Somers Sam. Er wurde unterstützt durch den TLD-Agenten Will Dean. Die SIOM SOM war ein Raumschiff der GOMSTAR-Klasse und besaß einen Durchmesser von vierhundert Metern. Das scheibenförmige Schiff wies an den Enden mehrere gezackte Ausbuchtungen auf. Türme und Antennen ragten auf der Scheibe in die Höhe. In der Mitte befand sich der höchste Turm. Die Höhe des Scheibenrumpfes durchmaß vierzig Meter.

Die Klasse war nach dem Flaggschiff des ehemaligen Sotho Tyg Ian benannt worden. Die Besatzung bestand vorwiegend aus Somern. Es dienten aber auch Pterus, Elfahder und Ophaler auf dem estartischen Raumer.

Die IVANHOE gehörte wie die TAKVORIAN zur SUPERNOVA-Klasse. Sie war 1290 NGZ in den Dienst gestellt worden und schon jetzt hatte die IVANHOE unter dem Kommando des Terraners Xavier Jeamour eine Reihe von Abenteuern bestritten.

Diese fünf Raumschiffe wurden durch die ARAMIS, DRUSILLA, RUDO und AKRAN ergänzt.

Die ARAMIS gehörte ebenfalls zur fünfhundert Meter durchmessenden ODIN-Klasse und wurde von Luigi Benatoni befehligt. Die DRUSILLA war ein 200-Meter-Raumer der PROTOS-Klasse unter dem Kommando des Plophosers Harun Mowahn. Die RUDO gehörte dem NEWKREIT-Typ an und war ein zweihundertfünfundsechzig Meter durchmessender leichter Schlachtkreuzer, den der Ertruser Ermos Kositar befehligte. Das neunte Raumschiff war ein Versorgungstender namens AKRAN. Die ehrgeizige Kommandantin Sonya Mount’Curch stammte von Imart und war mit ihrem 500-Meter-Schiff für Versorgung und Reparaturen zuständig.

Das letzte Raumschiff der Flotte aus zehn Einheiten war die SAGRITON, die im Orbit um Terra schwebte. Aurec war bereits an Bord seines Schiffes angekommen.

Der Reporter stellte die einzelnen Schiffe vor. Dann verstummte er gespannt.

Perry Rhodan würde den Startschuss zum Unternehmen »Dorgon« geben.

»Viel Glück auf eurer Reise«, wünschte er den Frauen und Männern. »Ich wünsche euch alles Gute auf dem weiten Flug und eine glückliche Hand in der fremden Galaxie. Ich verabschiede euch mit den Worten: In hoc signo vinces – in diesem Zeichen wirst du siegen.«

Ein Symbol erschien auf den Bildschirmen der Schiffe. Es stellte die Milchstraße, Saggittor und Siom Som dar, die harmonisch von einem Lorbeerkranz umgeben waren. Dieses Zeichen stellte die Einigkeit der verschiedenen Völker auf dieser Expedition dar.

Kaum hatte Rhodan die Worte zu Ende gesprochen, ging er in seine Kabine und stellte eine interne Verbindung zur SAGRITON her.

Aurec erschien in seiner gewohnten schwarzen Kombination auf dem Bildschirm. Mit einem Lächeln begrüßte der Saggittone seinen terranischen Freund.

»Eine freundliche Rede und ein nettes Logo. Gute Idee, Perry«, lobte der Saggittone.

Rhodan nickte dankbar.

»Nun müssen auch wir uns verabschieden, mein Freund. Ich wünsche dir viel Glück auf deiner Reise. Halte dich in Notfällen an Tiff. Bringe alle wieder unbeschadet zurück und sorge dafür, dass die Milchstraße einer Gefahr weniger ins Auge blicken muss …«

Aurec spürte die Bedrücktheit in Rhodans Worten. Der Unsterbliche schien sich ernsthafte Sorgen zu machen. Doch Aurec war in diesem Moment sehr von sich überzeugt.

»Perry, habe keine Sorge. Ich kann dir nichts versprechen, denn ich weiß nicht, was uns erwarten wird, doch ich glaube an einen guten Ausgang.«

Mit diesen Worten war alles gesagt. Beide verabschiedeten sich freundschaftlich und wünschten einander viel Glück.

*

Langsam, eines nach dem anderen, hoben sich die Raumschiffe auf ihren Antigravfeldern in den Weltraum. Es war ein erhebender Anblick, wie diese gewaltigen Flugkörper wie von Geisterhand bewegt in den Himmel schwebten. Erst in den obersten Schichten der Atmosphäre zündeten die ersten Triebwerke. Auch hier hielten die Schiffe wieder eine bestimmte Reihenfolge ein. Schnell verglühten die letzten Strahlen aus den Düsen der Schiffe.

Julian Tifflor setzte sich auf den breiten und bequemen Sessel in der Kommandozentrale der GOLDSTAR. Ursprünglich war dieses NOVA-Raumschiff für Homer G. Adams vorgesehen, doch nachdem es zu einem stillen Disput zwischen Adams und Monkey auf der einen Seite und Rhodan und dem Rest der Zellaktivatorträger auf der anderen Seite gekommen war, herrschte Funkstille. Niemand wusste genau, welche Pläne Monkey und Adams mit den einstigen Camelotern verfolgten. Tifflor selbst war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Er bedauerte die Entscheidung seiner Weggefährten. Denn die LFT brauchte sie eigentlich in diesen chaotischen Zeiten und einem drohenden Kalten Krieg mit dem Kristallimperium Arkon.

Langsam ließ der Zellaktivatorträger seinen Blick durch die Zentrale schweifen. Er schaute zu Taröty Jylk, dem Ersten Offizier der GOLDSTAR. Der Jülziish war ein guter Navigator und äußerst zuverlässig. Er gehörte zu den Camelotern, die sich für Rhodan entschieden hatten.

»Taröty, los geht’s!«

Tifflor empfand fast eine kindliche Freude bei dieser Expedition. So, als würde er in den Urlaub fliegen. Natürlich wusste Tiff, dass er nicht in die Ferien flog, sondern in eine dreiundfünfzig Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie, deren herrschende Spezies eine Invasion in die Milchstraße plante. Doch das Unbekannte reizte ihn.

»Taröty Jylk, warten wir nicht länger. Der Weg zum Sternenportal ist lang.«

Der Apaser mit dem radialen Streifenmuster auf dem diskusförmigen Kopf und der starken Behaarung an den Augenwülsten verstand sofort und ließ das Metagravtriebwerk aktivieren. Die GOLDSTAR tauchte als erstes Schiff in den Hyperraum ein, die anderen folgten kurz danach.

Die Flotte mit Lebewesen aus drei verschiedenen Galaxien brach nach Dorgon auf.

sic transit gloria mundi

So vergeht der Glanz der Welt

Dunkelheit. In dieser Dunkelheit war nichts. Wie am Anfang aller Zeiten, bevor die erste aller Welten entstanden war.

Nach langer Zeit war da ein Lichtstrahl, der diese Dunkelheit langsam, zögerlich erhellte. Vollkommene Dunkelheit ließ sich nur schwer erhellen. Ein kleiner Lichtstrahl änderte nicht viel. Die Dunkelheit blieb das vorherrschende Element.

Langsam bewegte sie sich auf das Licht zu. Näherte sich mehr und mehr dieser kleinen Quelle reinsten Feuers, die inmitten all dieser Dunkelheit erstrahlte. Versuchte, in diesem Licht zu baden, zum ersten Mal seit scheinbarer Ewigkeit etwas Wärme in sich aufzunehmen.

Erschrocken verhielt sie bei diesem ersten bewussten Gedanken, der über den reinen Instinkt hinausging. Wärme konnte sie nicht fühlen, sie konnte überhaupt nichts fühlen. Ihr Körper war vergangen. Sie war nur noch reiner Geist.

Langsam schaffte sie es, sich diesem Lichtpunkt zu nähern. Wärme konnte sie immer noch nicht empfinden, aber sie spürte, dass da doch mehr war als nur einfaches Licht. Was das war, konnte sie nicht erfassen. Die Sinne eines Menschen waren dazu nicht in der Lage.

Als sie glaubte, die Helligkeit nicht mehr ertragen zu können, obwohl sie keine Augen besaß, die schmerzen konnten, und kein Gehirn, das Schmerzen empfand, vermeinte sie einen Augenblick lang, sich zu verbrennen. Dann sickerte sie ein in das Licht, wurde ein Teil von ihm und begann, die Wärme eines Kollektivs zu verspüren.

»Wer ist da?«

Ihre Stimme, die reiner Geist war, verhallte zuerst im Nichts. Dann wurde konkreter, was sie umgab. Sie begann, andere Geister zu erkennen – schemenhafte, schattenhafte Gestalten.

»Sehe ich auch so aus?«, fragte sie sich.

»Ja.«

Eine erste Stimme. Sie fühlte sie allerdings mehr in ihrem Geist, als dass sie diese Stimme wirklich hörte. Ihr war es nicht möglich zu erfassen, was wirklich mit ihr geschah. Dazu war sie zu lange ein Wesen mit einem Körper gewesen, hatte die Gesetzmäßigkeiten einer körperlosen Welt noch nicht einmal im Ansatz erfasst.

Ein freundlicher Geist schwebte ganz in ihrer Nähe, begann, zu ihr zu sprechen.

»Du bist ein Geist geworden. Du bist ein Teil von uns.«

Sie vermeinte zuerst, es wäre nur eine Stimme, aber langsam erfasste sie, dass viele Stimmen, die Stimmen von Millionen, des ganzen Kollektivs, in dem sie steckte, zu ihr gesprochen hatten. Mit einer Stimme sprachen Millionen und sie hörte staunend die Worte, mit denen sie konfrontiert wurde. Sie verstand nicht alles, was die Stimme zu ihr sagte. Aber sie verstand, dass dieses Kollektiv sehr alt war, die Geschicke eines Teils unseres Universums schon seit langer Zeit bestimmte.

»Wer seid ihr?«, wollte sie wissen.

Darüber sagte das Kollektiv allerdings nichts aus. Sie war enttäuscht, denn sie spürte, dass sie immer noch nicht Teil dieses Kollektivs, vielmehr eine Außenstehende war.

»Du verstehst sicherlich nicht, warum du hier bist. Du wirst auch nicht verstehen können, warum du mit diesem Auftrag betraut werden wirst. Du wirst mit einem neuen Körper zu deinem Volk zurückkehren und als Beobachterin fungieren. Die Terraner schweben in großer Gefahr. Ich will über alle Aktivitäten informiert sein. Daher wirst du mit nach Dorgon reisen und mein Auge sein.«

Dorgon? Sie verstand nicht. Langsam versuchte sie, sich aus diesem Kollektiv zu lösen, strebte wieder der Dunkelheit entgegen. Doch viel zu stark war der Anker und sie erkannte, dass sie sich nicht mehr von der Masse der vergeistigten Wesenheit lösen konnte.

Allmählich verblasste alles um sie herum, die Stimmen wurden immer leiser, bis sie nur noch ein sanftes Rauschen in der Ferne waren, eine ferne Brise, wie das Rauschen des Meeres an einem Strand in der beginnenden Abenddämmerung, das kaum zu hören ist. Für einige Augenblicke war da wieder Dunkelheit, dann allerdings löste sich das Dunkel und sie erwachte in einer vollkommen neuen Umgebung.

Langsam stand sie auf, tastete um sich, fühlte ein weiches Polster unter ihrem Körper.

Sie erstarrte, griff an ihren Körper und ließ die Hände über die weiche Haut gleiten. Ein Körper, sie war wieder in einem Körper! Der Tod war nicht endgültig gewesen, hatte sie wieder aus seiner Klammer entlassen. Sie war auf die Welt zurückgekehrt.

Nur – welche Welt? Langsam richtete sie sich auf, tastete sich durch das Dunkel, das sie umgab und erreichte eine Wand. Ihre Hände glitten über das glatte Material, dessen Beschaffenheit sie nicht auf Anhieb bestimmen konnte. Sie erreichte eine Tür, eher eine Art Schleuse, die allerdings verschlossen war. Ein Gedanke durchzuckte sie, dann sprach sie ihn laut aus.

»Licht«, befahl sie und schloss geblendet die Augen, als die Beleuchtung aufflammte. Dann öffnete sie langsam die Lider und sah zum ersten Mal seit ihrem Tod wieder wirklich, erfasste die Umgebung und genoss das Gefühl, wieder zu leben.

Der Raum war nicht sehr groß, die Schleuse der einzige Ausgang. Aber sie war verschlossen. Verzweifelt rüttelte sie an der Tür, versuchte, sie zu öffnen. Aber es gelang ihr nicht.

Sie setzte sich auf die Liege, auf der sie erwacht war und senkte den Kopf. Sie überließ sich ihren Gedanken, driftete langsam davon und begann zu träumen, erkannte plötzlich wieder das Kollektiv vor sich und lauschte, als die eine Stimme der Millionen Wesen ihr erzählte, was ihre Aufgabe war.

Dann richtete sie sich auf, aktivierte einen Monitor und ließ sich die Umgebung des Asteroiden, auf dem sie sich befand, anzeigen. Ganz allein war sie im Nichts eines schier unendlichen Leerraums. Noch lange Zeit würde es dauern, dann würde sie abgeholt werden. Ihre Aufgabe wartete auf sie.

Sie war Nadine Schneider. Eine Terranerin im Auftrag der Entität DORGON.

omnia vincit amor, fortes fortuna adiuva

Die Liebe überwindet alles, dem Tapferen hilft das Glück

Bereits in den ersten Tagen der Reise nach M 100 hatte Manuel Joaquin Cascal diesen Traum. Er träumte von einem Asteroiden, der einsam durch den Weltraum trieb. Nichts Besonderes war an diesem Asteroiden. Lediglich, dass er ein geheimnisvolles Licht verströmte, das aber mit den normalen Sinnen nicht wahrzunehmen war. Es war ein Leuchten, das man am ehesten als überirdisch bezeichnen konnte.

Joak Cascal trieb staunend durch das All, auf den Asteroiden zu. Er merkte erst jetzt, dass er keinen Raumanzug trug. Im ersten Augenblick überfiel ihn leichte Panik. Doch dann beruhigte er sich sehr schnell wieder. Wenn diese Tatsache von Bedeutung gewesen wäre, dann wäre er schon längst tot gewesen. Er beschloss, sich keine Gedanken mehr über die Gesetzmäßigkeiten eines Traumes zu machen.

Schließlich erreichte er den Asteroiden. Er senkte sich langsam auf die Oberfläche nieder, obwohl die Schwerkraft der kleinen Welt ausgereicht hätte, ihn auf der Oberfläche zu zerschmettern. Er setzte auf. Die ersten Schritte fielen ihm schwer, weil er mit der kaum vorhandenen Schwerkraft ohne Raumanzug nicht auf Anhieb klarkam. Er wunderte sich, wie realistisch all dieses war, aber dann konzentrierte er sich auf die kleine Hütte, die vor ihm auftauchte. Langsam näherte er sich ihr.

Beim ersten Umrunden konnte er keinen Zugang erkennen. Er umrundete die Hütte ein zweites Mal, konnte aber immer noch nichts finden. Schließlich näherte er sich der Wand, die hölzern wirkte, legte seine Hand auf die Oberfläche und wartete. Langsam löste sie sich auf. Ein Lichtstrahl fiel aus dem Inneren der Hütte auf die Oberfläche des kleinen Asteroiden.

Cascal betrat die Hütte. Er näherte sich der Liege darin, bewegte sich wie unter Zwang, ohne auch nur einen Augenblick Zweifel an seinen Handlungen zu haben.

Der schlanke Körper einer jungen Frau ruhte auf der Schlafstätte.

Als er sich ihr genähert hatte und gerade die Hand nach ihrer Schulter ausstrecken wollte, drehte sie sich um.

Bevor er ihr Gesicht erkennen konnte, wachte er schweißgebadet auf.

Lange dachte er über diesen Traum nach. Tolk wunderte sich über die ungewöhnliche Schweigsamkeit seines Freundes, aber Cascal tat ihm nicht den Gefallen, Auskunft über sein Verhalten zu geben.


13. Juni 1292 NGZ

Die zehn Raumschiffe der Dorgon-Expedition hatten inzwischen drei Millionen Lichtjahre zurückgelegt. Die durchschnittliche Geschwindigkeit lag bei einem Überlichtfaktor von fünfzig Millionen. Behielten sie diese Geschwindigkeit bei, so würden sie in knapp zwei Wochen das Sternenportal am Rand der Lokalen Gruppe erreichen, um dann den Flug in die unbekannte Galaxie Dorgon zu wagen.

Aurec langweilte sich. Die Wartezeit war, zumindest für den Saggittonen, die schlimmste aller Zeiten, denn er war zum Nichtstun gezwungen. Aurec vertrieb sich die Zeit mit Sport und Spiel. Meistens war er zusammen mit dem Kommandanten Waskoch und dessen Stellvertreter Serakan beschäftigt, irgendetwas halbwegs Sinnvolles zu tun. Waskoch und Serakan hatten aber auch nicht immer Zeit für ihren Kanzler, denn sie waren wiederum damit beschäftigt, die Mannschaft der SAGRITON bei Laune zu halten.

Die Besatzungen der Schiffe versuchten, sich die Freizeit so sinnvoll wie möglich zu gestalten, indem sie Sportwettkämpfe veranstalteten.

So war heute Abend zum Beispiel ein Antigravbaseballspiel zwischen Besatzungsmitgliedern der GOLDSTAR und TAKVORIAN im Gange.

Aurec zog es vor, in eines der vielen Restaurants zu gehen. Das begehrteste war inzwischen das Zürp Inn auf der GOLDSTAR geworden, das der Tentra-Blue Zürp führte.

Der Jülziish spielte gerade einen aktuellen terranischen Hit mit dem bezeichnenden Titel »I am blue«.

Immerhin verstand der Tentra-Blue Humor, denn die korrekte Bezeichnung für seine Spezies lautete eigentlich Jülziish. Blues war die terranische Bezeichnung, doch sie hatte sich im Laufe der Jahrhunderte als Spitzname für die Jülziish durchgesetzt, so wie die Bezeichnungen Springer für die Mehandor, Anti für die Bàalols oder Überschwere für die Pariczaner. Zumindest Jülziish und Mehandor fanden ihre terranische Bezeichnung oftmals witzig.

Der Gataser sang den Song laut, aber falsch mit und servierte dem saggittonischen Kanzler ein Glas sprudelndes Wasser. Mit leisem Klingen berührte das ebenfalls blaue Glas den Keramiktisch.

Aurec blickte aus dem Fenster, sah jedoch nur das Wabern des Hyperraums. Julian Tifflor trat ebenfalls in das Lokal ein und suchte vergeblich einen freien Platz. Als der Unsterbliche den Saggittonen erblickte, steuerte er auf seinen Tisch zu.

Zürp eilte sofort zu dem Co-Expeditionsführer und wischte nochmals mit seinem weißen Staubtuch die Tischplatte ab.

»Was darf es sein?«, trällerte er schrill.

»Einen feinen irischen Whiskey am liebsten«, entgegnete Tifflor mit einem Lächeln. Zürp verneigte sich affektiert, wackelte wieder zu seinem Tresen und kam umgehend mit einer ganzen Flasche samt Eis und einer Cola zurück.

Tifflor sah ihn verwundert an.

»So einen Whiskey genießt man pur«, meinte er und goss sich das goldbraune Getränk in das Glas.

Aurec wurde neugierig und schüttete sich ebenfalls etwas in sein Sodaglas. Beide stießen an und entleerten ihre Gläser. Der Saggittone begann zu husten und verzog das Gesicht.

»Das Zeug ist gut, nicht?«, wollte Tifflor wissen.

»Ja, aber ich mische es besser mit dieser Limonade«, erwiderte Aurec und füllte das Glas zu zwei Dritteln mit der schwarzen Flüssigkeit wieder auf.

»Ach ja! Das habe ich vermisst!«, seufzte der gebürtige New Yorker.

»Dieses Gesöff?«

»Nein! Diese Expedition. Diese Freiheit. Auf Mirkandol ist es reichlich trostlos. Überall nur aalglatte, heuchlerische Politiker und Lobbyisten mit ihren gefüllten Geldkarten. Ich genieße jede Minute an Bord der GOLDSTAR. Außerdem verbindet diese Expedition Galaktiker mit Saggittonen und Estarten. Das ist ein unheimlich begeisterndes Gemeinschaftsgefühl.«

Aurec konnte Tifflor verstehen. Der Saggittone konnte es sich auch nicht vorstellen, Jahrhunderte hinter einem Schreibtisch zu verbringen. In Aurecs Augen war das galaktische Wirtschaftssystem, und die Politik sowieso, übermäßig kompliziert und vollkommen unverständlich.

In der Republik Saggittor maß man dem Geld nicht die gleiche Wichtigkeit zu. Die Wirtschaft spielte eine untergeordnete Rolle. Sie war Mittel zum Zweck und sollte den Wohlstand und die Versorgung der Bevölkerung sichern. Es hatte sich seit Jahrhunderten bewährt, dass die Saggittonen arbeiteten um des Fortschritts willen und der Erhaltung wegen und nicht zur persönlichen Bereicherung. Zwar verdienten Saggittonen auch Geld, doch es gab auf den meisten Welten weder soziale Unterschicht noch überreiche Elite. Die Balance war ausgewogen und wurde durch entsprechende Gesetze reguliert. Typisch galaktische Wirtschaftsformen wie zum Beispiel eine Galaktische Börse waren unwichtig. Sie dienten als Spielwiese, aber sie hatten keinen Einfluss auf das Leben der Bürger. Es war losgelöst vom Geldverkehr. Außerdem gab es weitaus mehr Grundgüter für die Saggittonen, als es vergleichsweise in der Milchstraße der Fall war. Während es charakteristisch für Galaktiker war, dass eine Privatisierung offenbar Fortschritt bedeutete, sahen die Saggittonen das anders. Denn wichtige Güter in die Hände einzelner Firmen zu legen, barg zu viele Gefahren. Die Versorgung der Bevölkerung Saggittors musste in der Hand des Volkes bleiben – und somit ihres Repräsentanten, des Staates, der wiederum vom Volk kontrolliert werden musste.

Vielleicht waren die Saggittonen, Holpigons, Varnider, Trötter und all die anderen Völker nicht solche Individualisten wie die galaktischen Spezies, aber Allgemeinwohl galt als das wichtigste Ziel.

Dem Saggittonen war bewusst, dass die Terraner auch schon einmal weiter gewesen waren. Doch die Ära nach Monos hatte viele Rückschläge für die Milchstraße gebracht. Deshalb war es Aurecs Ansicht nach gut, dass Rhodan und andere verantwortungsvolle Menschen nun wieder das Ruder in die Hand nahmen.

Die beiden Expeditionsleiter genossen schweigend den Whiskey. Aurec dachte an M 100. Seine Gefühle waren gemischt. Einerseits teilte er Julian Tifflors Vorfreude. Doch auf der anderen Seite bereitete ihm der Gedanke an das Kaiserreich Dorgon auch große Sorgen.

*

Sanna Breen hatte gerade ihr Protokoll für diesen Tag beendet. Cistolo Khan wollte über alle Einzelheiten informiert werden. Der LFT-Kommissar würde diese Daten sicherlich an Perry Rhodan weiterreichen. Doch was gab es während des Fluges groß zu berichten? Die Stimmung der Crewmitglieder auf den Raumschiffen war gut.

Ihre Aufgabe hatte die schöne Terranerin etwas spannender eingeschätzt. Nun langweilte sie sich sehr.

Sanna war maßlos enttäuscht über ihre derzeitige Position. Sie fühlte sich unterfordert. Sanna war keine Frau, die ihr Leben einfach so vor sich hin leben, sondern Abenteuer erleben und die Weiten des Kosmos ergründen wollte.

Ob der Job bei Khan ihr jedoch dabei weiterhalf, wagte sie zu bezweifeln. Immerhin hatte die charmante Terranerin es geschafft, den LFT-Kommissar zu überreden, sie an der Expedition teilnehmen zu lassen. Das war schon mal ein Anfang.

Der Kontakt zu den anderen fiel ihr etwas schwer. Sie trauerte ein wenig den Abenteuern gegen die Mordred nach. So gefährlich diese Zeiten auch waren, sie waren ebenso spannend gewesen. Das führte sie zu Cauthon Despair. Der Silberne Ritter hielt Abstand zu ihr. Das war schwer zu deuten, denn sie hatte ihn oft während seines Gefängnisaufenthalts besucht. Doch offenbar wusste er nichts mit Sanna anzufangen oder war nicht in der Lage, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Dass sie ihm etwas bedeutete, wusste das ehemalige Model. Eine Frau spürte so etwas. Doch Despair verschanzte sich hinter seiner silbernen Rüstung. Er war unnahbar. Während der Flugzeit von drei Wochen hatte sie ihn kaum zu Gesicht bekommen. Vielleicht war es heute wieder soweit, denn erneut stand ein Fest an.

Sanna schlüpfte in ein fast durchsichtiges Kleid, das an den entscheidenden Stellen Schleier bildete. Zum Bedauern männlicher Betrachter ließen diese Schleier viel erahnen, aber wenig erkennen. Sie betrat die zweite Niederlassung des Zürp Inns, wo es etwas lebhafter zuging.

Sie setzte sich an einen Tresen und bestellte einen Drink. Einer der Offiziere, der zusammen mit zwei anderen an einem Tisch saß, starrte sie an. Sanna lächelte ihm verstohlen zu. Sie fand diesen Terraner nicht sonderlich attraktiv. Der Leutnant – Tifflor und Aurec hatten auf Anraten von Cascal und Portland wieder die Dienstgrade auf der Expedition eingeführt – hatte kurzgeschorene blonde Haare, ein pickeliges Gesicht und einen Bierbauch. Sein Freund sah ähnlich aus, nur viel bulliger. Der dritte lief in einem martialischen Cowboydress herum.

Alle drei wirkten nicht sonderlich anziehend auf Sanna, die beschloss, das Restaurant zu wechseln. Kaum war sie aufgestanden, erhoben sich die drei ebenfalls. Der erste begann vor ihr zu tanzen und öffnete seine Oberkörperkombination. Die Zigarette im Mund und das Bierglas in der Hand rundeten das schlechte Bild ab, welches sich Sanna Breen von ihm gemacht hatte.

»Hi! Ich bin Elginus, Elginus Erpel«, begann er sehr selbstbewusst.

Sanna fiel es schwer, nicht zu lachen, als sie den Namen hörte, riss sich aber zusammen.

»Schön. Dann noch einen schönen Abend«, meinte sie stattdessen und wandte sich von ihm ab, doch da stellte sich bereits der Bullige vor sie.

»Ich bin Hoje, Kleines. Du gefällst mir.«

»Das kann ich von dir nicht behaupten. Ich muss noch arbeiten, vielleicht ein andermal, Freunde.«

Sie zwängte sich an dem Riesen vorbei, doch der Terraner in dem dreckigen Cowboydress packte Sanna am Arm.

»Loslassen! Die haben wohl jeden Müll angeheuert, um das Schiff voll zu kriegen?«, zischte die junge Terranerin und riss sich los.

Auch der letzte stellte sich vor, worauf Sanna jedoch keinen Wert legte. Er hieß Bjorak Wake und war Kopfgeldjäger. Die Expedition hatte in der Tat Probleme gehabt, eine Besatzung für alle zehn Schiffe zusammenzubekommen. Einige üble Gesellen befanden sich an Bord. Breen starrte auf die Abzeichen. Die drei Gestalten gehörten zu Sam Tylers Gruppe. Eine besondere Ansammlung an unsympathischen Typen, die jedoch zweifellos im Kampf eine Bereicherung waren. Sanna verwünschte den Personalchef der Expedition trotzdem.

»Hey, Kleine. Ich bin sehr einsam und du hast doch sicher keinen Freund. Also steht einer heißen Nacht nichts im Weg«, blubberte Elginus und pustete ihr Rauch ins Gesicht.

»Doch, dein Ego«, konterte Sanna und versuchte, sich loszureißen.

»Lassen Sie die Dame sofort los«, hörten die drei eine dunkle Stimme hinter sich sagen. Alle drehten sich gleichzeitig um und blickten entsetzt auf den zwei Meter großen Silbernen Ritter. Sanna erkannte ihn sofort. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen und ihr Herz schlug höher. Da war er wieder: Der edle Silberne Ritter, der sich anschickte, die holde Dame aus den Händen der üblen Schurken zu retten. Vielleicht war dieser Gedanke etwas romantisch, doch in diesem Fall traf es zu.

»Haben Sie mich nicht verstanden? Sie lassen unverzüglich die Dame los, entschuldigen sich und melden sich anschließend bei Ihrem diensthabenden Vorgesetzten zum Putzdienst. Richten Sie ihm aus, Cauthon Despair habe Sie geschickt.«

Hoje zeigte sich, im Gegensatz zu den anderen beiden, wenig beeindruckt. Er stellte sich provokativ vor Despair.

»Ach? Dich mache ich doch mit links fertig!«

Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, lag er bereits auf dem Boden. Despair war einen Schritt zurückgegangen und hatte den dicken Terraner mit einem Tritt niedergefegt. Die anderen beiden salutierten vor Despair und halfen ihrem Kumpel auf. Sofort rannten alle drei los. Sanna blickte ihnen lachend hinterher.

»Ich wäre mit ihnen auch allein fertig geworden«, log sie.

»Nun, ich kann sie wieder zurückrufen«, konterte Despair geschickt. Sanna begann wieder zu lächeln. Ein Lächeln, welches Despairs Herz erhellte.

»Nein, besser nicht. Vielen Dank, dass du mir geholfen hast.«

»Es war mir eine Ehre. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, die Arbeit wartet auf mich.«

»Schon? Ich dachte, wir finden die Zeit, uns wieder einmal zu unterhalten.«

»Ein anderes Mal, Sanna!«

Sie seufzte.

»Auf Wiedersehen.«

Despair verneigte sich leicht und verließ die Bar. Auch Sanna beschloss, wieder in ihre Kabine zurückzugehen. Was sollte sie auch hier? Despairs abweisende Art brachte sie in Rage. Wütend warf sie ihre Handtasche auf den Boden.

Jetzt brauchte sie erst einmal etwas Erholung. Sanna goss sich ein Glas Vurguzz-Likör ein. Die hundertzwanzigprozentige Variante mochte sie nicht. Sie begab sich in den Hygienebereich. Nach zwei Schlucken stellte sie das Glas ab und streifte ihr Kleid ab. Sie schlenderte in die Nasszelle und aktivierte sie. Sie empfand den Sand unter ihren Füßen als schön. Das Prallfeld schloss sich um den gesamten Bereich. Vor ihr plätscherte Wasser aus einer kunstvoll gefertigten Steinreplik. Die Inneneinrichtung der Nasszelle war einer idyllischen Grotte mit einem Wasserfall nachempfunden. Leise wurden Meeresrauschen und Tierlaute eingespielt. Nun ging es richtig los und von allen Seiten spritzte das Wasser aus den Düsen auf ihren nackten Körper. Sie hatte es ein wenig zu hart eingestellt. Sanna drehte den Regler nach rechts. So war das Wasser angenehmer dosiert. Sie ließ die Wasserstrahlen, die nebenbei auch einen angenehmen Massageeffekt bewirkten, mit wohlduftender Seife und Shampoo anreichern. Sanna brauchte nicht viel zu tun, außer sich wohlig einzucremen und vom Wasser säubern zu lassen.

Im Anschluss folgte das Trocknen über Wärmedüsen. Ein externes Gebläse mit einem integrierten Prallfeld sorgte außerdem dafür, dass ihr Haar gleich in die richtige Position gebracht wurde. Gravowellenprojektoren massierten ihren Körper während der Prozedur und sorgten für gute Durchblutung und Entspannung. Die leichte UV-Strahlung während des Trocknens sorgte zudem noch dafür, dass ihre Haut angenehm gebräunt blieb. Nach dieser kleinen Wellnesskur, die sich Sanna zweimal am Tag gönnte, verließ sie das Bad und zog sich ein Shirt und eine Hose über. Sie leerte das Vurguzzglas und ging zu Bett.

Bevor sie einschlief, dachte sie an den Silbernen Ritter und musste sich eingestehen, dass er galant und imposant war. Irgendwie gefiel er ihr, obwohl sie wusste, was für eine Vergangenheit er hatte. Doch Cauthon hatte auf der VERDUN bewiesen, dass Gutes in ihm schlummerte. Sie hatte recht behalten. Das war ein tröstliches Gefühl. Sie schöpfte wieder Mut. Es würde ihr schon gelingen, seinen Eispanzer zum Schmelzen zu bringen. Mit diesen wohligen Gedanken kuschelte sich Sanna in ihr weiches Kissen und reiste bald darauf ins Land der Träume.

*

Joak Cascal litt immer noch unter den seltsamen Träumen, doch er vertraute sich niemandem an, nicht einmal Sandal Tolk. Äußerlich versuchte Cascal, wie immer cool und locker zu wirken, doch innerlich wühlten ihn diese Träume auf. So blieb es fast bis zum Ende der Reise.

Plötzlich hatte er so etwas wie eine Eingebung.

Als die Schiffe einen Zwischenstopp machten, um die Gravitraf-Speicher wieder aufzuladen, spürte Cascal sie deutlich in der Nähe.

Der Veteran aus dem Solaren Imperium begab sich zum Hangar und flog mit einer Space-Jet einfach los.

Den anderen blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

Fast wie in seinem Traum näherte er sich schon nach wenigen Lichtstunden einem Asteroiden. Im Unterschied zu seinem Traum zog er allerdings diesmal einen Raumanzug an, bevor er die Space-Jet verließ. Er vergaß auch nicht, einen zweiten mitzunehmen. Er dachte an die Gestalt aus seinem Traum. Vielleicht würde sie ihn begleiten.

Als er die Hütte erreichte, passierte genau dasselbe wie in seinem Traum. Zuerst konnte er keinen Zugang erkennen, dann allerdings löste sich die Wand unter seiner Berührung auf. Wie durch ein Wunder entwich keine Luft.

Er näherte sich der Liege, legte den zweiten Anzug neben sich auf den Boden. Er streckte zitternd seine Hand nach der Schulter der vor ihm liegenden Gestalt aus. Er war auf alles gefasst.

Als sie sich umwandte, sank er langsam auf die Knie. Sein Gesicht vergrub er in beiden Händen und atmete tief durch. Er musste ein Schluchzen unterdrücken, als ihm klar wurde, wen er da vor sich hatte.

»Nadine Schneider«, flüsterte er.

Dann hob er den Blick.

Sie war genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihre Lippen umspielte ein sanftes Lächeln, aber in ihren Augen erkannte er eine Tiefe, die er vorher nicht an ihr bemerkt hatte. Sie schien in eine neue Welt eingetreten zu sein, eine Welt, die niemand betreten und wieder verlassen konnte. Aber das konnte nicht sein.

»Wie hast du das geschafft?«

»Ich habe einen Freund getroffen.« Sie unterdrückte ein lautes Lachen, dann lächelte sie wieder. »Er hat mir diesen Körper gegeben.«

Sie sagte nicht: wiedergegeben.

Cascal nickte, als würde er verstehen. In Wahrheit verstand er nichts.

Er reichte ihr den Anzug, verließ zusammen mit der jungen Frau, die er von Plophos kannte, den Asteroiden und betrat die Space-Jet. Als er sich in den Pilotensessel setzte und Nadine aufforderte, neben ihm Platz zu nehmen, versuchte er, seine Gefühle aus dieser Zeit wiederzufinden. Es gelang ihm nicht. Zu misstrauisch war er gegenüber der eigentlich toten Nadine Schneider. Sie war Agentin der Camelotniederlassung auf Plophos gewesen und im Herbst 1290 NGZ gestorben, als Mordred-Agenten das Büro angriffen. Nun lebte sie wieder. Wieso? Wer hatte ihr diesen Körper gegeben? Was bezweckte er damit?

*

Kaum war die Space-Jet wieder an Bord der TAKVORIAN, suchten Tifflor und Aurec ihn auf. Völlig überrascht empfingen sie die neue Passagierin.

»Wer bist du?«, wollte Julian Tifflor wissen.

»Ich bin Nadine Schneider«, antwortete sie nüchtern.

Stille herrschte im Raum, ehe Tifflor zu einer Frage ansetzte.

»Nadine Schneider, was machst du hier? Woher kommst du?«

»Was ich hier mache, weiß ich nicht. Woher ich komme, weiß ich nicht …«

Aurec und Tifflor sahen sich verblüfft an. Bevor Tifflor einen bissigen Kommentar abgeben konnte, erklärte Joak Cascal, wer genau Nadine Schneider war und wo er sie gefunden hatte. Tifflor kannte zwar nun die Geschichte, doch es erschien ihm unglaubwürdig, ja unfassbar, dass eine totgeglaubte Camelotagentin plötzlich wieder lebte und sich auf einem verlassenen, einsamen Asteroiden im Nirgendwo der Lokalen Gruppe versteckte.

Tifflor beruhigte sich langsam wieder. Aurec wirkte sehr misstrauisch.

»Wer hat dir das Leben wiedergegeben?«

»Ein Freund, eine Entität. Er nennt sich DORGON. Es sind viele und doch ist es nur einer«, erklärte sie verworren.

»DORGON? Eine Entität unseres potenziellen Feindes? Sehr vertrauenerweckend«, meinte Tifflor.

Diese Erkenntnis war erschreckend und faszinierend zugleich. Hatte die Archäologin Denise Joorn nicht von einer Gottheit namens DORGON gesprochen? Wäre es nicht möglich, dass dieser »Gott« in Wirklichkeit eine Superintelligenz war? Diese Idee war gar nicht so abwegig. Doch was bezweckte sie damit, diese Nadine Schneider zu ihnen zu schicken? War es eine Warnung? Vielleicht war sie eine Agentin? Oder sollte sie sie zur Unterstützung begleiten? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Volk sich von ihrer Superintelligenz abgewendet hatte.

»Weshalb bist du hier?«, forschte Aurec ruhig nach, während Tifflor noch gedanklich weiter spekulierte.

Nadine ging im Raum umher. Etwas in ihren Augen schien dem Saggittonen nicht zu behagen. Cascal beobachtete sie. Er erkannte immer mehr von der Frau wieder, die er auf Plophos nur kurz kennengelernt hatte. Allerdings erschien sie ihm trotzdem wie eine Fremde, und das kam nicht nur daher, dass er sie auf dieser Welt nur so kurz erleben durfte. Nein, etwas war anders. Er verstand nicht, was.

»Ich bin hier, um zu beobachten. Ich bin das Auge meines Auftraggebers.«

Ihre Worte waren nicht sehr aussagekräftig. Die beiden Expeditionsleiter schüttelten die Köpfe und setzten sich erst einmal. Tifflor rieb sich die Augen, ehe er sagte: »Woher sollen wir wissen, ob es dein Auftraggeber DORGON gut oder schlecht mit uns meint? Weshalb sollen wir dir überhaupt glauben?«

»Vertraut mir!«

Aurec und Tifflor wechselten einen vielsagenden Blick, dann ergriff der Saggittone das Wort.

»Wir werden dich unter Beobachtung stellen. Joak Cascal wird sich um dich kümmern.«

Aurec sah das leichte Lächeln auf Cascals Lippen.

»Nach einer gründlichen Untersuchung wirst du ständig unter Aufsicht stehen, bis wir wissen, woher du kommst und warum du hier bist. Vielleicht werden wir dabei auch herausfinden, wer dieser DORGON ist.«

Die Worte waren unmissverständlich. Aurec und Tifflor begaben sich wieder auf ihre Schiffe, während Joak Cascal Nadine Schneider zu ihrer Unterkunft für den Rest der Reise begleitete. Etwas in ihm ließ ihn Vertrauen empfinden. Er wusste nicht, ob einfach nur seine Gefühle sprachen oder ob sein Instinkt ihm hier einen Hinweis geben wollte. Die Zukunft würde darüber entscheiden.

Eine Zukunft, deren Nahen von zehn Raumschiffen mit einiger Sorge, aber auch Spannung beobachtet wurde, denn das Sternenportal zur Galaxie M 100 – Dorgon – war nicht mehr weit.

Sie waren Galaktiker auf dem Weg in eine ferne Sterneninsel.

Am Sternenportal

Am 6. Juli 1292 NGZ erreichte der kleine Flottenverband das Sternenportal der Lokalen Gruppe. Seine vier Energiestationen, winzig im Vergleich zur aus Sonnen bestehenden Anlage, bildeten in einem Abstand von zwanzigtausend Kilometer einen Kreis. In ihrer Nähe befanden sich einige Dutzend Raumschiffe der Terraner, Arkoniden, Tefroder, Maahks und Kartanin. Dazu entdeckte Julian Tifflor Raumschiffe der Springer. Die fliegenden Händler durften hier nicht fehlen: Es war geradezu logisch, dass sie den Besatzungsmitgliedern der Wach- und Bauschiffe ihre Waren anboten.

Auch eine Werft der Paddler mit dem bezeichnenden Namen MM-billig kreuzte ihren Weg. Sie waren angekommen.

Tifflor setzte sich mit Aurec in Verbindung. Gemeinsam legten sie den Termin für das Durchqueren des Portals fest: den 8. Juli 1292 NGZ. Den Besatzungsmitgliedern blieben also knapp zwei Tage, um noch einmal auszuspannen und die letzten Vorbereitungen zu treffen. Die Versorgungsoffiziere wurden angewiesen, bei den Springern und Paddlern frische Nahrung und erforderliche Materialien zu besorgen.

*

»Du solltest nicht so viel essen, davon wirst du fett!«

Raoul Lafitte drehte sich überrascht um und schaute direkt in das breite Grinsen seines terranischen Kollegen Atigra Atta.

Lafitte biss herzhaft in seine Schweinshaxe, die sich als Spezialverpflegung für Ertruser an Bord der IVANHOE befand, und erwiderte: »Kann schon sein, aber ich habe einfach zu viel Zeit.«

Damit hatte er durchaus recht, denn in den Wochen, die seit ihrem Abflug aus der Milchstraße vergangen waren, hatte sich nichts sonderlich Aufregendes ereignet.

In dieser Zeit hatten sich die Pflichten der Besatzungsmitglieder der IVANHOE auf ein Minimum beschränkt. Außer den Routineaufgaben mussten sie noch den wöchentlichen »Informationsabenden« beiwohnen, in denen ihnen immer wieder die wenigen bekannten Fakten über Dorgon beziehungsweise M 100 vorgestellt wurden.

Ab und zu fanden auch Übungen statt, in denen sie diverse Szenarios wie etwa eine feindliche Übernahme durchspielten.

Xavier Jeamour, der Kommandant der IVANHOE, war ein gewissenhafter Mann, der sich und seine Besatzung für gewöhnlich perfekt auf Einsätze vorzubereiten pflegte. Er hasste unangenehme Überraschungen. Allerdings waren bei diesem Unternehmen Unwägbarkeiten quasi vorprogrammiert, da ihre Kenntnisse über die Dorgonen gegen Null tendierten.

Atta, seines Zeichens Maschineningenieur, beobachtete den Ertruser noch eine Weile beim Vertilgen des riesigen Bratens, dann riet er: »Genieße deine Zeit, solange du sie noch hast. In weniger als achtundvierzig Stunden werden wir nämlich durch das Portal fliegen und dann weiß ES, was uns dort erwartet.«

»Mist!«, fluchte der gebürtige Ertruser. »Wie soll ich da mein Gewicht halten?«

Auf einen Satz verschlang er einen gewaltigen Happen, betrachtete kritisch den blanken Knochen und nahm die Antwort auf die eben gestellte Frage vorweg, indem er aufstand und sich eine weitere Portion genehmigte.

Niemand wusste genau, was sie in Dorgon erwartete. Es würde aber mit Sicherheit eine harte Zeit werden.

*

Julian Tifflor und Aurec, die Leiter der Expedition, hatten die übrigen Kommandanten und deren Stellvertreter zu einer Besprechung auf die GOLDSTAR eingeladen. Das waren im Einzelnen Henry Portland als Befehlshaber der GOLDSTAR, Joaquin Cascal und Sandal Tolk von der TAKVORIAN, Harun Mowahn und die Kartanin Siddig El-Fayar von der DRUSILLA, dazu die Terranerin Sonya Mount’Church und der Topsider Orak Tyrt von der AKRAN, Xavier Jeamour und James Fraces von der IVANHOE, Luigi Benatoni und Don Camez, beide Terraner, von der ARAMIS, und schließlich von der RUDO der Epsaler Ermos Kositar mit seiner kartaninschen Stellvertreterin Per’ser-Ka-tz’eh sowie Sam und Will Dean von der SIOM SOM und die Kommandanten der NELES.

Der Befehlshaber der NELES war niemand anderer als Cauthon Despair. Perry Rhodan und die anderen Unsterblichen hatten sich dafür entschieden, ihm zu vertrauen. Das stieß allerdings nicht überall auf Gegenliebe. Zu den gängigen Argumenten zählte beispielsweise, dass der gleiche Fehler schon einmal begangen worden sei – und zwar bei Despairs Mentor, Wirsal Cell.

Cell hatte das Vertrauen der Cameloter genossen und sie über Jahre hinweg getäuscht, hintergangen und dadurch beinahe das blutige Ende Camelots eingeleitet.

Die negative Einstellung der meisten Besatzungsmitglieder Despair gegenüber hatte sich allerdings etwas verbessert, denn während der ganzen Reise hatte er sich einwandfrei verhalten, wenngleich er einen sehr autoritären Führungsstil hatte. Der Respekt vor dem Silbernen Ritter war groß, manche fürchteten ihn sogar. Zu den entschiedenen Gegnern Despairs zählte allerdings Joak Cascal. Der Veteran aus dem Solaren Imperium ließ dies Despair auch immer wieder spüren. Tifflor selbst war im Zwiespalt, wie er Aurec gegenüber eingestanden hatte. Er traute Despair keineswegs, hoffte allerdings, dass der Silberne Ritter eine Hilfe in M 100 sein würde. Immerhin kannte Despair die Dorgonen am besten. Aurec sah es genauso. Despair hatte kein Erbarmen mit den Agenten Camelots gezeigt. Der Saggittone traute dem Silbernen Ritter nicht über den Weg. Da nutzte auch die Fürsprache von Sanna Breen nichts, die offenbar großen Gefallen an seiner mystischen Art gefunden hatte. Despair musste sich bei dieser Mission bewähren, bevor Aurec seine Einschätzung überdenken würde.

Nachdem alle eingetroffen waren, begann Tifflor mit seinem Briefing.

»Ich begrüße euch an Bord der GOLDSTAR.«

Die Worte »Hallo«, »Guten Abend« und andere Grußformeln erklangen.

Tifflor atmete tief durch. Aurec beobachtete den Terraner, dessen Gesicht dank seines Zellaktivators frisch und jugendlich wirkte. Von der Statur her erinnerte Tiff, wie ihn seine Freunde zu nennen pflegten, ein wenig an Perry Rhodan. Und doch war er anders. Sein mittellanges Haar war braun, so wie auch seine Augen. Er wirkte etwas drahtiger als Rhodan.

»Wir stehen vor dem Sprung in eine völlig fremde Galaxie. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet«, begann Tifflor und wechselte einen Blick mit Henry Portland. Der kantige Terraner mit dem griesgrämigen Gesichtsausdruck erhob sich.

»Die Flotte wird in Alarmbereitschaft versetzt. Wir gehen davon aus, dass das dorgonische Sternenportal militärisch gesichert sein wird. Ein präzises Timing und eine exakte Vorgehensweise sind erforderlich, damit wir nicht unter gezielten Beschuss geraten.«

Auf der Karte von M 100 zeigte Portland mehrere Punkte an.

»Ich habe Ausweichsysteme berechnet. Wir wissen nicht, wo sich das Portal befindet. Irgendwo in Dorgon werden wir materialisieren. Nachdem wir uns orientiert haben, werden wir zum nächstgelegenen Punkt fliehen. Das bedeutet, nach dem Sprung sofort eine Standortbestimmung durchzuführen und anschließend in den Hyperraum auszuweichen. Dauert das zu lange, werden wir entdeckt und identifiziert oder angegriffen.«

Portland nickte Xavier Jeamour zu.

»Lorif hat ein entsprechendes Programm mit den Koordinaten und automatischen Kursberechnungen entwickelt. Er speist die Daten über das Netzwerk in eure Syntroniken ein. Aktiviert das Programm vor dem Flug durch das Sternenportal«, erklärte der hagere Belgier mit der Halbglatze und schlürfte eine Tasse Tee.

»Fragen?«, wollte Tifflor wissen.

Alle schwiegen. Die Aufgaben waren klar verteilt. Ziel war der Rand der Galaxie M 100. Von dort aus wollte man sich in Ruhe ein Bild vom Reich der Dorgonen machen.

Aurec erhob sich und klatschte in die Hände.

»Wenn wir das heil überstehen, koche ich morgen persönlich einen riesengroßen Carnaroosa-Eintopf und spendiere dazu reichlich saggittonisches Sorfa-Bier.«

Alle Beteiligten lachten. Aurec reichte Tifflor die Hand.

»Viel Glück!«

Tiff erwiderte seinen Händedruck. Der Saggittone verließ den Raum und eilte zum Antigrav, der ihn zur Sektion mit den Transmittern transportierte. Von dort wurde er auf die SAGRITON abgestrahlt, wo ihn sein Freund Serakan bereits erwartete.

Aurec und Serakan begaben sich auf die Brücke. In der Mitte befanden sich die Sitzgelegenheiten für den Kanzler, Serakan und den Kommandanten Waskoch, der damit beschäftigt war, die letzten Anweisungen zu geben. Der hochgewachsene, kräftige Saggittone wechselte einen kurzen Blick mit Aurec, kratzte seinen dichten, schwarzen Bart und fuhr mit seinen Befehlen fort. Aurec wusste, dass die Zentrale in guten Händen war.

Entspannt nahm er in seinem roten Sessel Platz, lehnte sich zurück und ließ sich von einem Servoroboter eine Tasse heißen Bisca bringen. Die SAGRITON wartete auf das Signal der GOLDSTAR.

»Programm aktiviert«, meldete Waskoch. »Wir geben nun die Koordinaten Dorgons ein und senden den Code an die Empfangsstationen.«

Niemand kannte die Erbauer der Sternentore. Keiner verstand so recht ihre Technologie. Die vier Raumstationen waren mit einem Schutzschirm versehen und änderten ihre Position, sobald sich ihnen ein Raumschiff näherte. Und niemand wollte riskieren, dass die Stationen ihren Dienst versagten. Man wusste wenig: Nur, dass es Sternenportale in der Lokalen Gruppe, Saggittor, Siom Som und nun auch M 100 gab. Der technische Ablauf war denkbar simpel. Man sandte die Koordinaten der Zielgalaxie über eine bestimmte Frequenz an die Stationen. Je nach der Anzahl der Raumschiffe justierten sich die Stationen neu und öffneten dann eine Art Wurmloch oder Transmitter. Man flog hindurch und kam Augenblicke später am Ziel heraus.

»Koordinaten durchgegeben«, sagte Waskoch.

Aurec beobachtete auf der Anzeige, dass die vier Stationen das Portal öffneten. Es bot genügend Platz, damit alle Raumschiffe gleichzeitig hindurch konnten. Das war wichtig. Julian Tifflor auf der GOLDSTAR zählte den Countdown herunter. Dann flogen alle Schiffe gleichzeitig in das Sternenportal ein.

Für einige Augenblicke sah Aurec nur ein rotes Wabern. Dann erblickte er Sterne. Sie waren in M 100. Waskoch brüllte einen Befehl. Sofort beschleunigte die SAGRITON und trat in den Hyperraum ein.

Aurec beobachtete auf dem Halbraumspürer, dass die anderen neun Schiffe ebenfalls in den Überlichtflug gegangen waren.

»Wir befinden uns in einem Außenarm der Galaxie. Die Koordinaten des Sternenportals sind gespeichert«, sagte Serakan, der an einer Kontrolle saß.

»Waren Dorgonen dort?«

»Neunundzwanzig Adlerraumschiffe und siebzehn Raumstationen. Sie konnten nicht schnell genug reagieren. Wir haben Glück gehabt.«

»Das sollten wir nicht zu oft herausfordern«, meinte Aurec nachdenklich.

Nun waren sie in M 100. Ein terranisches Sprichwort formulierte es treffend: Sie befanden sich in der Höhle des Löwen!

In M 100

Der erste, alles entscheidende Schritt war ein Erfolg gewesen. Binnen weniger Sekunden nach der Ankunft in M 100 waren alle zehn Raumschiffe auf Überlichtgeschwindigkeit gegangen und befanden sich auf dem Weg zu den sicheren Randzonen der Galaxie. Noch flogen sie zusammen.

Julian Tifflor berief zum zweiten Mal an diesem Tag eine Besprechung mit allen Kommandanten und deren Führungsoffizieren auf der GOLDSTAR ein. Eine Stunde später hatten sie sich auf dem Raumschiff der NOVA-Klasse versammelt.

Tifflor drückte einen Knopf und ein dreidimensionales Hologramm, das Dorgon darstellte, erschien in der Mitte des Konferenztisches.

»Wir haben die Randgebiete von M 100 erreicht. Wir befinden uns genau hier!«

Das Hologramm zeigte nunmehr den Ausschnitt der Galaxie, in dem sich die Expeditionsflotte befand.

»Wir sind der Meinung, dass wir am meisten in Erfahrung bringen können, wenn wir uns aufteilen. Einzelne Schiffe fallen zudem weniger auf. Daher haben wir ein Schema erarbeitet, nach dem wir vorgehen werden.«

Er übergab das Wort an Aurec, der die von den einzelnen Schiffen zu erforschenden Gebiete rekapitulierte.

Die IVANHOE sollte den südlichen Teil eines Seitenarms der Galaxie näher untersuchen, während die übrigen Schiffe sich auf die diversen Teile von M 100 verteilten.

»Ihr solltet darauf achten«, meinte Tifflor abschließend, »während eurer Mission jegliche nicht absolut nötige Hyperfunkkommunikation zu unterlassen. Denkt daran, alles kann abgehört werden und momentan können wir es uns noch nicht leisten, aufzufallen. – Ich danke euch und viel Glück!«

*

Cauthon Despair wanderte in Gedanken versunken durch die Korridore der SAGRITON, dem größten Schiff der Expedition. Die NELES sollte zusammen mit dem Saggittonenraumer auf Erkundung gehen. Anscheinend – so interpretierte es der Cameloter – vertraute die Expeditionsleitung ihm noch nicht vollends und hielt es für besser, wenn er nicht allein agierte.

Despair verstand das Misstrauen gegenüber seiner Person, doch es gefiel ihm nicht sonderlich. Er fühlte sich wieder allein, ausgestoßen – als Außenseiter!

Perry Rhodan war der einzige, zu dem er Vertrauen fassen konnte, doch der Unsterbliche befand sich in der Milchstraße, etwa fünfzig Millionen Lichtjahre entfernt.

Trotzdem riss sich Despair zusammen. Er hatte keine andere Wahl. Die einzige Möglichkeit, um Vertrauen zu kämpfen, war, sich zu beweisen. Er musste sich die Zuneigung der anderen verdienen, was jedoch nicht sonderlich leicht war. Cauthon war kein Witzbold, allenfalls zynisch und sarkastisch, was bestenfalls als schwarzer Humor gesehen werden konnte. Ebenfalls war er kein Mann, der sonderlich gute Stimmung verbreitete, was auch an seinem furchteinflößenden Äußeren lag. Er war ein exzellenter Schwertkämpfer, ein genialer Stratege und ein hervorragender Kommandant und Navigator. Menschlich gesehen war er jedoch alles andere als angenehm.

Cauthon seufzte und ging zu einem Lift, der sich in der gleichen Sekunde öffnete. Er blieb stehen, als er die hübsche Terranerin erkannte, die mit ihren brünetten, gewellten Haaren und smaragdgrünen Augen vor ihm stand. Sie trug ihre enganliegende grausilberne LFT-Kombination, in der sie einfach hinreißend aussah. Despair neigte den Kopf leicht nach links.

Sanna Breen lächelte. Cauthons Herz schlug bei diesem Lächeln höher. Er versuchte diese Gefühle zu unterdrücken.

»Läufst du mir hinterher?«, fragte er kühl und betrat den Lift.

»Tja, eigentlich schon ein wenig. Tifflor und Aurec sind der Meinung, dass ich einen guten Einfluss auf dich habe. Da ich hier sowieso nicht viel zu tun habe, außer öde Berichte zu verfassen, werde ich deine Assistentin.«

»Was wird Cistolo Khan dazu sagen?«

Sanna zuckte mit den Schultern.

»Ich konnte bei ihm wenig Sinnvolles tun und wir verstehen uns auch nicht besonders. Er befindet sich auf dem absteigenden Ast. Das Amt des LFT-Kommissars hat keine Macht mehr. Ich bin somit Tifflor verpflichtet.«

Despair nickte unmerklich.

»Nun gut. Es wird schwer sein, sich vor dir zu verstecken. Also akzeptiere ich es.«

»Hm, versteckst du dich vor mir, weil du verunsichert bist?«

»Übertreibe es nicht, Sanna!«

Sie hatte die Grenze überschritten. Aber vielleicht wollte sie das auch. Sie lotete aus, wie weit sie gehen durfte. Sanna sollte es jedenfalls nicht wagen, Despair zu provozieren und ihm respektlos gegenübertreten.

»Ich wollte etwas essen gehen. Würdest du mir vielleicht Gesellschaft leisten?«

Despair sah sie verwundert an. Sie wusste doch, dass er nichts essen würde. Aber vermutlich wollte sie ihn überzeugen, seinen Helm abzunehmen. Und dann? Sanna würde sich voller Abscheu und Ekel von ihm abwenden. Das wollte Despair nicht riskieren. Andererseits gab es nichts zu verlieren. So oder so würde er niemals Sannas körperliche Liebe spüren können. Doch mit ihr reden zu können und in ihrer Nähe zu sein, war immer noch besser als nichts.

»Nun wenn es dir nichts ausmacht, allein zu essen, begleite ich dich mit Vergnügen. Ich verspüre allerdings keinen Hunger«, antwortete der Silberne Ritter.

»Wie immer«, sagte Sanna und seufzte.

Während der Fahrstuhlfahrt sprachen die beiden kein Wort. Sanna blickte jedoch immer wieder den knapp zwei Köpfe größeren Cameloter an. Sie versuchte, etwas hinter der Maske zu erkennen. Vergeblich!

Ein Epsaler zwängte sich bei einem Zwischenstopp in den Lift. Er kam gerade vom Fitnesscenter und roch nach Schweiß. Während Sanna die Nase rümpfte und die Klimaregulierung betätigte, merkte Despair nichts, da in seinem Anzug ein automatischer Atemfilter eingebaut war. Endlich hatte der Aufzug die Etage mit der Kantine erreicht. Erleichtert stieg die junge Terranerin aus, gefolgt vom Silbernen Ritter.

Das Restaurant war relativ voll. Ein Varnider hatte gerade zu Ende gegessen und stand auf. Das Blumenwesen warf beim Zurückweichen beinahe seinen Stuhl um, als es Despair erblickte. Noch immer wirkte er furchterregend auf einige Kreaturen. Vor allem auf jene, die seine Geschichte kannten. Dieser Klatsch und Tratsch, da war sich Despair sicher, hatte sich schon längst auf allen zehn Raumschiffen verbreitet.

Ein Servierroboter schwebte zu ihnen und nahm die Bestellungen entgegen. Sanna bestellte zwei Hamburger und ein Wasser, während Despair sich auf Saft beschränkte. Die Kantine war sehr hell. Ihre Wände schimmerten weißgelb. Die Saggittonen hatten ihre Beleuchtung in die transparenten Wände eingebaut. Die Tische waren ebenfalls in einem milchigen Weiß gehalten und leuchteten.

»Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?«, nahm Breen wieder das Gespräch auf.

»Nur zu, Sanna.«

»Wenn du so sehr von Heldentum schwärmst, warum hast du dich dann der Mordred angeschlossen?«

Sie hoffte, mit dieser Frage in kein Fettnäpfchen getreten zu sein. Despair wirkte nicht beleidigt.

»Rhifa Hun war ein Mann der Tat und mit Visionen. Er wollte die Milchstraße reformieren und ein starkes Imperium der Menschen schaffen, während Rhodan immer nur zauderte, zögerte und sich seiner Verantwortung entzog.«

Sanna sah ihn an, als ob sie noch etwas erwartete. Despair erhob wieder die Stimme.

»Außerdem war ich allein und verstümmelt. Wirsal Cell verstand es geschickt, mich gegen Rhodan aufzuhetzen. All die Jahre bestimmten Schmerz, Hass und Einsamkeit mein Leben.«

Sanna atmete tief durch und sah Despair ernst an.

»Das hat sich geändert?«

»Nein.«

»Oh!«

Sanna ließ nicht locker.

»Bist du wirklich noch so einsam? Ich bin da.«

Despair wusste nicht, was er erwidern sollte.

Stille herrschte. Der Roboter brachte das Essen und wünschte ihr einen guten Appetit.

»Ich bin allein. Die Leute mögen mich nicht. Ich bin ein Außenseiter und werde es auch bleiben«, sagte Despair melancholisch.

Sanna legte ihre Hand auf Despairs und streichelte sie langsam.

»Nein, du bist nicht allein«, sagte sie mit einem Lächeln. Dann nahm sie die Hand wieder weg und stürzte sich auf ihr Essen.

»Jetzt habe ich aber Hunger! Du möchtest wirklich nichts?«

Despair schüttelte nur den Kopf. Er war völlig überrascht. Das Verhalten von Sanna Breen war in seinen Augen völlig irrational. Sie mochte ihn! Aber warum? Despair hatte angenommen, er sei nur eine Art Sprungbrett für ihre Karriere gewesen, doch sie zeigte auch nach dem Fall der Mordred Interesse. Die Terranerin mit den wundervollen smaragdgrünen Augen meinte es ehrlich!

Sanna Breen war demnach seine einzige Freundin auf der Expedition. Immerhin eine! Was immer sie bezweckte, sie hatte immerhin eines bereits erreicht: Sie hatte ihm Hoffnung gegeben!

IVANHOE

Xavier Jeamour lehnte sich bequem in seinen Sessel und blickte sich in der Kommandozentrale der IVANHOE um.

Eigentlich konnte er mehr als zufrieden sein. Er hatte ein fantastisches Schiff. Die IVANHOE hatte einen Durchmesser von tausend Metern und war der TAKVORIAN in puncto Kampfkraft ebenbürtig. Alle Systeme funktionierten einwandfrei und seine Besatzung arbeitete zufriedenstellend.

Da war zum Beispiel sein Stellvertreter James Fraces. Der Ire, knapp zwei Meter groß, war zwar aufgrund seines doch recht autoritären Stils nicht sonderlich beliebt bei der Besatzung, er war allerdings ein zuverlässiger und fähiger Offizier.

Ein weiterer Offizier war Lorif, ein oft wunderlicher und etwas geschwätziger Posbi mit schlanken, metallischen Gliedern und großen, roten Augen. Im Moment stand er brav an seiner Wissenschaftskonsole und erledigte seine Aufgaben.

Dann gab es natürlich Jennifer Taylor, die Schiffsärztin mit den kurzen, blonden Haaren.

Der Sicherheitschef hieß Irwan Dove und war ein Nachkomme des mittlerweile legendären Hansespezialisten Stalion Dove. Der oxtornische Hüne war ein hervorragender Kämpfer.

Auf ihn kann ich mich hundertprozentig verlassen, dachte Jeamour lächelnd, wie eigentlich auf alle an Bord dieses Schiffes.

Sein Lächeln erstarb urplötzlich, als ihn ein Kneifen an seinem Gesäß unangenehm daran erinnerte, was ihn hier an diesem Schiff noch störte. An seinem Sessel hatte sich nämlich eine Schraube gelöst, was dazu führte, dass ein Teil der Sitzfläche seitlich verrutscht war und er beim Sitzen diese Schräglage ausgleichen musste. Er hatte wegen dieser Bagatelle eigentlich keine Reparaturroboter bemühen wollen, aber es wurde auf die Dauer einfach lästig.

Jeamour drückte einen Knopf an der Armlehne seines Sessels. »EINSTEIN, ich brauche hier einen Reparaturroboter.«

»Kein Problem«, erwiderte das zentrale Rechengehirn der IVANHOE in seiner freundlichen, aber dennoch leicht monotonen Stimme. »Bitte spezifiziere die Art des technischen Problems.«

Jeamour schluckte und erklärte EINSTEIN den Sachverhalt, woraufhin die Besatzungsmitglieder auf der Brücke der IVANHOE ihre Arbeit unterbrachen und grinsend ihren Kommandanten beobachteten.

Nachdem Jeamour seine Ausführungen beendet hatte, wartete EINSTEIN für seine Verhältnisse ziemlich lang, bevor er reagierte.

Aus Jeamours Armlehne fuhr surrend eine Mini-Tastatur aus.

»Bitte gib den Autorisationscode zur baulichen Umgestaltung ein.«

»Zur baulichen … was?«, fragte Jeamour entgeistert.

Die umstehenden Brückenoffiziere konnten sich das Lachen offensichtlich kaum verkneifen, ausgenommen Lorif, der weiterhin an seiner Station saß und rechnete.

Jeamour startete einen weiteren Versuch.

»Hör mal, EINSTEIN, ich brauche hier nur einen Roboter mit einem Schraubenschlüssel!«

EINSTEIN war unbestechlich. »Für diese Aktion ist der Autorisationscode zur baulichen Umgestaltung nötig.«

Irwan Dove, sein Sicherheitschef, kicherte hörbar. Selbst sein sonst so abgeklärter Stellvertreter James Fraces, der kurz zuvor die Zentrale betreten hatte, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Jeamour ächzte. »Lorif, komm mal bitte her.«

Der Posbi wandte sich von seiner Station ab und setzte sich in Bewegung.

»Lorif, kannst du mir vielleicht sagen, warum EINSTEIN von mir einen Code verlangt, obwohl ich doch nur eine Reparatur vornehmen lassen will?«

»Nun, nach Analyse der mir vorgelegten Fakten kann ich mit dreiundachtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit feststellen, dass dieser Umstand möglicherweise auf die Perspektive des Konstrukteurs beziehungsweise des zuständigen Programmierers der IVANHOE zurückzuführen ist, also bedeutet das unter Einbeziehung der bekannten Fakten …«

»Lorif!«, unterbrach ihn Jeamour. »Ich will keinen Vortrag, ich will eine knappe, präzise Antwort.«

»In Ordnung. Entschuldige, ich rede manchmal vielleicht zu viel, zumindest behaupten das manche, aber das liegt daran, dass … Verzeihung. Nun, kurz und bündig: Beim Bau der IVANHOE wurde einfach nicht vorgesehen, dass sich diese Schraube lockern könnte. Und alles, was nach Ansicht des Programmierers nicht repariert zu werden braucht, stellt eine bauliche Umgestaltung dar. Und deshalb brauchen Sie den Code.«

Jeamour war einem Nervenzusammenbruch nahe.

»Kannst du nicht einfach einen der Roboter umprogrammieren?«

»Aber Kommandant«, rief Lorif entsetzt, »das käme ja einer Gehirnwäsche gleich! Das kann ich unmöglich verantworten, das verstößt gegen meine moralischen und ethischen Grundsätze. Ich …«

»Bitte, halt die Klappe, Lorif!«, stöhnte ein völlig entnervter Kommandant.

»Ich glaube, ich brauche erst einmal ein paar Stunden Schlaf. Fraces, du hast das Kommando. Kurs auf die Koordinaten setzen, die uns Tifflor übermittelt hat. Und bitte regle die Reparatur.«

Mit diesen Worten verließ Jeamour die Kommandozentrale Richtung Antigrav.

*

Als die IVANHOE ihren mehrstündigen Metagravflug beendete und an ihren Zielkoordinaten ankam, hatte Xavier Jeamour das Kommando wieder übernommen.

Lorif hatte ein bewohntes Sonnensystem mit sechs Planeten geortet.

»Die Sonne entspricht in Größe und Temperatur etwa Sol. Der erste Planet hat einen Durchmesser von 2030 Kilometern und eine Oberflächentemperatur von etwa 3700 Grad Celsius. Die Oberfläche scheint ständig zu brennen. Planet Nummer zwei hat einen Durchmesser von 7810 Kilometern und eine Oberflächentemperatur von 740 Grad Celsius. Die Entwicklung von intelligentem Leben auf diesem Planeten ist äußerst unwahrscheinlich.

Der dritte Planet hat einen Durchmesser von 5800 Kilometern, Temperatur 190 Grad Celsius. Ein Wüstenplanet, primitives Leben ist möglich.

Der vierte Planet hat einen Durchmesser von 9930 Kilometern, Temperatur zwischen 30 und 40 Grad Celsius. Hohe Luftfeuchtigkeit, was auf einen Dschungelplaneten schließen lässt. Die Daten scheinen recht vielversprechend, es sieht so aus, als ob dieser Planet bewohnt wäre.«

Die übrigen Planeten waren entweder Gasriesen oder Eiswüsten mit Temperaturen von unter minus 250 Grad Celsius. Jeamour sichtete die Daten, die wegen der gebotenen Zurückhaltung bei der Verwendung der Orter keinen Überblick über Bebauung und das Ausmaß an technischen Anlagen lieferten und beschloss, den vierten Planeten einmal näher unter die Lupe zu nehmen.

»Irwan Dove, du wirst mit einem Team auf diesen Planeten fliegen und Kontakt zu den Einheimischen herstellen, sofern diese intelligent genug sind, um einigermaßen brauchbar mit uns zu kommunizieren.«

Dove bestätigte die Anweisung, während Jeamour die Stirn in Falten legte und sich in Gedanken den Rest des Landekommandos überlegte. Schließlich beschloss er, dass Lorif und Jennifer Taylor den Sicherheitschef auf der Mission begleiten sollten. Des Weiteren gehörten einige Wissenschaftler sowie eine Anzahl Sicherheitsleute der Gruppe an.

*

Die Space-Jet JAYJAY II flog durch die unendliche Schwärze des Alls. Der Kommandant des flinken Kleinraumschiffs war der junge Schotte Mathew Wallace. Der charismatische Terraner war ein Meter einundachtzig groß, hatte dunkelblonde, schulterlange Haare, blaue Augen und einen athletischen Körperbau. Er gehörte zu den jüngsten Kommandanten der Expedition, denn Wallace war erst vierundzwanzig Jahre alt. Dennoch war der Euroterraner ein Meister seines Fachs. Mathew beherrschte Space-Jets wie kaum ein anderer. Außerdem verfügte der junge Mann bereits über Kampferfahrung. Er hatte Einsätze auf Mashratan und Seshur geflogen. Auf der zuletzt genannten Welt hatte er seine Space-Jet JAYJAY I verloren.

Wallace kommandierte alle fünfundzwanzig Space-Jets auf der IVANHOE und flog selbst eine davon. Zudem war er ein zuverlässiger und gewissenhafter Offizier und seinen Besatzungsmitgliedern ein guter Freund. Ihn verband eine persönliche Zuneigung mit Irwan Dove und Jennifer Taylor sowie eine Art Hassliebe zu dem nervigen, aber zuverlässigen Posbi Lorif.

Die Crew der JAYJAY II bestand aus insgesamt vier Terranern. Wallaces Erster Offizier war sein langjähriger Freund Hendrik Swahn, den er bereits aus der Schule und von der Akademie her kannte. Tim Beranoh und Cerak Atz waren für die Ortung und den Funk verantwortlich.

Langsam näherten sie sich dem vierten Planeten, vom Team an Bord der JAYJAY II mittlerweile inoffiziell »Jungle« getauft.

Jungle hatte vier Kontinente. Sie unterschieden sich kaum voneinander, die tektonischen Aktivitäten mochten auf den einzelnen Erdteilen verschieden sein. Generell konnte man aber über Jungle sagen, dass der Planet eine unglaublich wilde und prächtige Natur vorzuweisen hatte. Jungle war zu fast siebzig Prozent mit Wasser bedeckt, auf dem Festland gab es eigentlich nur Urwald. Das Klima war feuchtwarm, die Luftfeuchtigkeit sank wohl nur selten unter neunzig Prozent. Die Space-Jet landete am Rand einer kleinen Inselgruppe nahe des Äquators.

»Hoffentlich gibt es hier keine Riesensaurier oder Kannibalen«, murmelte Wallace und fuhr die Systeme der JAYJAY II herunter.

»Das wird bestimmt ein Spaziergang«, meinte Hendrik Swahn, während er seine Kombination anlegte.

Dove bestimmte einen Mann, der während der Expedition auf die JAYJAY II aufpassen sollte.

Dann brachen sie, siebzehn an der Zahl, auf, um eine völlig unbekannte Welt zu erkunden.

Bericht Calvin Magruder

Die Space-Jet war auf einer kleinen Anhöhe niedergegangen, so dass wir eine recht gute Aussicht hatten und uns ein Bild von der Lage der Dinge machen konnten.

Die Insel schien nur aus riesigen Bäumen, Sumpfgebieten und Pflanzen aller Art zu bestehen. Tierisches Leben konnten wir von unserem Standpunkt aus nur vereinzelt ausmachen, jedoch zeigten unsere Sensoren Werte, dass es davon nur so wimmelte. Das war auch ein Grund, weshalb wir keine Humanoiden beziehungsweise Einheimischen entdecken konnten. Unter den vielen tausenden Lebensformen diejenigen herauszusuchen, die intelligent sein könnten, war praktisch unmöglich. Darüber hinaus wussten wir auch nicht, was wir zu erwarten hatten.

Irwan Dove rief uns zu einer Einsatzbesprechung zusammen. Er händigte uns Paralysatoren aus mit dem Hinweis, dass wir nicht hierhergekommen seien, um mit den Einheimischen Krieg anzufangen. Vielmehr dienten die Paralysatoren dazu, dass wir uns gegen wilde Tiere verteidigen könnten. Wir hatten zwar auch Desintegratoren dabei, jedoch sollten wir diese nur im äußersten Notfall einsetzen. Die Anweisung, unter allen Umständen in der Gruppe zu bleiben, begründete er damit, dass dies eine uns völlig unbekannte Welt sei.

Dann ging es los.

Wir drangen in den Dschungel ein und bewegten uns in die Richtung, in der wir eine Siedlung vermuteten. Um uns herum wuchsen wild durcheinander riesige Sträucher und Büsche. Das dichte Blätterdach der teilweise über einhundert Meter hohen Bäume verhinderte, dass allzu viel Licht einfiel. Zusammen mit den merkwürdigen Geräuschen, die aus dem Dickicht zu uns drangen, sorgte das Dämmerlicht für eine leicht gespenstisch anmutende Atmosphäre.

Unter unseren Füßen krabbelten allerlei undefinierbare Käfer. Ich begann mich zu fragen, ob unsere Tarnkleidung als Schutz ausreichte, denn wir hatten keine Mückennetze oder Ähnliches. Auf dem Rücken trugen wir noch einen Tornister, in dem sich unsere Ausrüstung befand.

Irwan Dove, der die Gruppe anführte und sich mit einem Vibratormesser einen Weg durch das Buschwerk bahnte, hob auf einmal die Hand und bedeutete uns, stehen zu bleiben. Man konnte bald darauf sehen, warum. Einige Meter vor ihm befand sich nämlich eine etwa fünfundzwanzig Meter lange Schlange. Ich hatte noch nie ein derartiges Monster gesehen. War es eine Giftschlange? Die spitzen Zähne, die beim Züngeln sichtbar wurden, legten es nahe. Was dieses Tier von den Schlangen, wie ich sie kannte, unterschied, war, dass es auf dem Rücken einen Kamm trug, etwa wie ein Leguan. Der Kamm bestand aus hartem Knorpel und lief am Ende spitz zu, was den Schluss zuließ, dass auch dieser Kamm Gift mit sich führte.

Dove wollte sich wohl nicht lange mit diesem Tier aufhalten, er zog also seinen Paralysator und drückte ab. Aber anstatt regungslos liegenzubleiben, wie sich das gehört hätte, zuckte dieses Reptil nur unwillig und schoss auf Dove zu. Dieser stellte seinen Paralysator auf maximale Leistung und schoss. Mitten in der Bewegung klatschte das Tier zu Boden. Die Sache schien erledigt, und wir stiegen vorsichtig über die Schlange hinweg. Aber kaum war der letzte Mann an ihr vorbei, regte sie sich schon wieder und verschwand im Busch.

Auf unserem Weg mussten wir über einen gewaltigen Baumstamm klettern, der etwa fünf Meter im Durchmesser hatte. Die ersten drei Personen waren bereits über ihn hinüber gekraxelt, da konnte man ein merkwürdiges Grollen in ihm vernehmen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass das alles Mögliche war, aber ganz bestimmt kein Baumstamm.

Und ich hatte recht. Als Hendrik Swahn sich gerade an dem Stamm versuchte und ihn Pete Simmons, einer der Sicherheitsleute, vollends hinaufziehen wollte, klaffte der »Baumstamm« auf einmal der Länge nach auseinander. Simmons konnte Swahn gerade noch davor bewahren, in das Loch hineinzufallen. Es handelte sich um ein gewaltiges Maul. Am Rand befanden sich mächtige, etwa fünfzehn Zentimeter lange Zähne.

Simmons hielt Swahn also mit einer Hand fest, während das Tier, oder was auch immer es war, sabbernd und triefend versuchte, den Ersten Offizier der JAYJAY II zu verschlingen.

»Zieh mich hoch!«, schrie Swahn panikerfüllt. Es war keinem von uns möglich, Simmons zu helfen, denn dieser stand selbst direkt am Rand des Schlunds.

Simmons ächzte, ihm perlte der Schweiß von der Stirn. Er versuchte vergeblich, Swahn hochzuziehen.

»Mach schon!«, brüllte Swahn. Der Mund öffnete sich immer weiter, zog Swahn in sich hinein. Demnach würde er sich bald auch wieder schließen.

Simmons bemühte sich abermals, Swahn herauszuziehen. Das Unterfangen schlug allerdings fehl. Es führte nur dazu, dass ihm die schweißnasse Hand Swahns entglitt. In letzter Sekunde konnte er mit der anderen Hand nachfassen und Swahn somit noch einmal vor dem drohenden Sturz in den Rachen dieses Monsters bewahren.

Wir standen ohnmächtig daneben, Irwan Dove und Mathew Wallace auf der einen, die Ärztin, ich und der Rest auf der anderen Seite.

Da schloss sich das Maul wieder. Simmons unternahm einen letzten, verzweifelten Versuch. Es gelang ihm dieses Mal tatsächlich, den beleibten Swahn herauszuziehen. Mit einem Hechtsprung brachten sie sich in Sicherheit, bevor sie von den gewaltigen Zähnen dieser Kreatur zermalmt werden konnten.

Ja, und dieser Atigra Atta scheint Mitleid mit ebendieser Kreatur bekommen zu haben. Jedenfalls schnappte er sich die sogenannte »Spezialverpflegung« von Raoul Lafitte und warf sie dem Geschöpf in den Rachen. Wir hörten ein Schlucken, dann ein herzhaftes, zufriedenes Rülpsen. Weniger zufrieden war allerdings Lafitte. Er schnappte Atta am Kragen und versuchte, ihn zu erwürgen. Nachdem Mathew Wallace und einige Sicherheitsleute intervenierten, war er allerdings gezwungen, von dem Mundräuber abzulassen.

Die Dämmerung brach langsam herein, und wir mussten uns nach einem Schlafplatz umsehen. Das war leichter gesagt als getan, denn auf dem Boden zu schlafen, wäre grob fahrlässig, und was sich auf den Bäumen an Tieren herumtrieb, war auch nicht zu unterschätzen.

Wir machten uns also auf die Suche.

Jungle bei Nacht

Die Expeditionsmitglieder hielten Ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz, denn es wurde langsam Zeit. Die Sonne, die man auch vorher aufgrund der vielen Bäume eher erahnen konnte, hatte sich mittlerweile gänzlich verabschiedet. Dennoch betrug die Temperatur immer noch knapp vierzig Grad Celsius.

Das feuchtheiße Klima zermürbte die Männer zusehends. Jennifer Taylor hatte vereinzelt schon Kreislaufmittel gespritzt, damit die Leute nicht einfach zusammenklappten.

»Ich halte das nicht mehr lange aus«, ächzte Donald Verhoev, einer der Wissenschaftler, die nicht unbedingt an körperliche Anstrengung gewohnt waren. An seinem Körper liefen regelrechte Schweißbäche herab.

»Weichei!«, brummte ein anderer. »Da habe ich schon ganz andere Sachen erlebt!«

»Ja, gerade du!«, konterte Verhoev. »Du mit deinem fetten Hintern!«

Sie kamen nicht dazu, ihre niveauvolle Konversation weiter zu vertiefen, denn Irwan Dove hatte eine Entscheidung gefällt. Die Gruppe war inzwischen an einer Art Lichtung angekommen, die ein paar Grade heller war als der düstere Dschungel.

»Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen«, erklärte Dove. »Des Weiteren werden wir ein großes Feuer entzünden, um wilde Tiere fernzuhalten. Die Wachen werden sich schichtweise abwechseln – das heißt in diesem Fall stündlich. Zunächst sind Atta, Magruder, Harthas und Simmons an der Reihe.«

Die Männer machten sich daran, Holz zu sammeln. Das Feuer brannte wegen der hohen Luftfeuchtigkeit zunächst nicht sonderlich gut, allerdings wurde es mit der Zeit besser.

Schließlich schossen die Flammen meterhoch in den Himmel und alle, bis auf die Wachen, rollten sich in ihre Schlafsäcke und ruhten sich von den Strapazen des Tages aus.

Pete Simmons baute sich aus einigen Ästen eine provisorische Sitzgelegenheit. Selbstverständlich waren die Wachposten mit einigen Geräten ausgestattet, dazu gehörten spezielle Nachtsichtgeräte und Scanner. Letztere sollten in der Lage sein, mögliche Angreifer frühzeitig aufzuspüren. Das Licht der drei Monde erreichte den Dschungelboden nicht.

Nach knapp einer halben Stunde tat sich etwas.

»He, Pete!«, wisperte ihm Atigra Atta zu. »Meine Geräte zeigen an, dass sich uns etwa zwanzig Lebensformen aus Süden nähern. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, was das ist.«

»Ich kann nichts entdecken«, erwiderte Simmons und stellte sein Nachtsichtgerät nach.

»Schau mal auf deine Scanner«, riet ihm Atta.

Simmons tat wie ihm geheißen und tatsächlich, etwa sechzig Meter von ihnen entfernt, wurde eine Ansammlung von Lebensformen angezeigt.

»Stimmt, du hast recht. Sie laufen aber ganz langsam. Ich glaube aber nicht, dass sie eine Gefahr darstellen.«

»Sollte ich nicht trotzdem die anderen aufwecken?«

Simmons blickte auf die Expeditionsmitglieder, die tief und fest schliefen.

»Nein, nicht, bevor wir wissen, wer oder was das ist. Wir regeln das allein.«

»Pete?«

»Ich sollte mir das einmal näher ansehen.«

»Denkst du nicht, das ist gefährlich?«

»Das will ich doch herausfinden.«

Simmons erhob sich von seinem Hocker und steckte seinen Paralysator ein. »Wir bleiben in ständigem Funkkontakt.«

Atigra Atta nickte stumm.

Pete Simmons wandte sich ab und machte sich auf den Weg.

Simmons hatte seinen Blick starr nach vorn gerichtet. Langsam und sorgfältig setzte er einen Fuß vor den anderen. Unter seinen Füßen zerbrachen knackend die Äste, auf die er getreten war. Im fahlen Halbdunkel konnte er praktisch nichts erkennen. Mit seinem Nachtsichtgerät war er wenigstens in der Lage, Konturen zu erkennen.

Größere Lebensformen, wie sie geortet worden waren, konnte er aber dennoch nicht ausmachen.

»Pete, kannst du sie sehen?«, hörte er die Stimme von Atigra Atta.

»Ich habe keinen Sichtkontakt. Ich wiederhole, null Sichtkontakt.«

Simmons Nachtsichtgerät war mit den Scannern zusammengeschaltet worden, sodass er die Lebensformen rein theoretisch zentriert hatte.

Er trat näher heran. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das mochte zum einen damit zusammenhängen, dass ihn wegen der möglichen bevorstehenden Konfrontation mit den Unbekannten fröstelte. Ein Blick auf sein Thermometer zeigte ihm aber auch an, dass die Temperatur binnen Minuten um fast zehn Grad gefallen war.

In der Ferne hörte er das Heulen eines Tieres.

Oder war es nur der Wind?

Simmons schüttelte sich, um den Kopf klar zu bekommen.

»Okay, Atigra, ich bin noch etwa dreißig Meter entfernt. Ich kann nach wie vor nichts erkennen.«

»Aber Pete, sie sind da.«

»Ich sehe sie aber nicht, verdammt!«, brauste Simmons auf.

»He, nur mit der Ruhe, Pete«, flüsterte Atta besänftigend. »Wie wär’s, wenn du sie erst mal mit Infrarot suchst. Damit müsstest du sie eigentlich sehen.«

Simmons arbeitete mit einer Hand an seiner Ausrüstung, die andere baumelte sinnlos am Körper herunter, als sehe er keinen rechten Sinn in seinem Tun.

»Ich sehe immer noch nichts.«

Simmons ließ das Licht seines Scheinwerfers über die Bäume wandern.

»Ich muss näher ran.«

Merkwürdig. Er hatte irgendwie kein gutes Gefühl bei der Sache.

Trotzdem wagte er noch einen weiteren Schritt.

Pete Simmons hatte nicht den Hauch einer Chance. Er wurde von etwa fünfzehn Pfeilen gleichzeitig in Kopf und Brust getroffen. Noch bevor Simmons zu Boden fiel, quoll dunkelrotes Blut aus mehreren tiefen Wunden.

Mit weit aufgerissenen Augen sackte er auf die Knie. Er versuchte, seinem Kameraden noch etwas mitzuteilen, es gelang ihm aber nicht mehr. Lautlos kippte er vornüber und blieb liegen.

Atigra Atta hatte den Vorfall nicht mitbekommen. Nur zeigten seine Geräte mit einem Mal eine Lebensform weniger an.

»Pete?«

Keine Antwort.

»Pete, kannst du mich hören? Bitte bestätigen, Pete!«

Wiederum keine Antwort.

Atta wurde plötzlich klar, was das zu bedeuten hatte. Seinen Anzeigen zufolge näherten sich die fremden Lebensformen nämlich weiterhin.

»Alarm! Alle aufstehen, sofort! Eindringlinge!«, schrie Atta. Die Männer fuhren erschreckt hoch und griffen geistesgegenwärtig zu ihren Paralysatoren.

Irwan Dove ließ sich die Situation in aller Kürze erklären.

»Das war verantwortungslos. Warum hat er keinen Serun angelegt? Dann wäre er vielleicht noch am Leben«, meinte er kopfschüttelnd. »Aber jetzt müssen wir diese Eindringlinge erst mal abwehren.«

Mittlerweile waren viele Scheinwerfer aktiviert und man konnte die Wesen auf das Lager zu rennen sehen.

Es waren eselähnliche Geschöpfe, etwa ein Meter sechzig hoch und aufrecht gehend. Ein wesentlicher Unterschied zu Eseln war, dass sie Hände hatten. Diese wussten sie offenbar auch recht gut einzusetzen, denn sie trugen Pfeil und Bogen mit sich.

»Paralysatoren auf maximale Fächerung und Leistung!«, schrie Dove gegen das Gewieher der Angreifer an. Die Männer von der IVANHOE gingen in die Knie und feuerten.

Ein paar Sekunden später war es vorbei und die Einheimischen lagen paralysiert am Boden.

»Das sollen unsere intelligenten Einheimischen sein?«, fragte einer der Wissenschaftler zweifelnd.

Die Frage war durchaus berechtigt. Diese Kreaturen trugen keine Kleidung und hatten auch sonst nichts bei sich, um sich zu schützen.

»Das glaube ich weniger«, erwiderte Dove. »Ich bezweifle, dass diese Wesen in der Lage sind, eine Ortschaft, wie wir sie geortet haben, zu errichten.«

Die Wissenschaftler kamen schließlich zu der Überzeugung, dass sich diese Einheimischen auf einem vergleichbaren Entwicklungsstand wie der Homo neanderthalensis befanden.

Nun stand ihnen noch eine unangenehme Aufgabe bevor.

»Was machen wir mit Pete?«, fragte Atta.

»Der wird ein ordentliches Begräbnis erhalten … Das heißt, eben im Rahmen unserer Möglichkeiten.«

Einer der Männer musste sich übergeben, als er Simmons Leichnam sah. Der Anblick war allerdings auch wirklich abscheulich: Das Blut klebte an seiner Haut, die Pfeile waren tief in ihn eingedrungen.

Sie trugen Simmons zu dritt auf eine Anhöhe und begruben ihn dort in aller Schnelle. Auf das Grab kam ein eilig gezimmertes Holzkreuz mit der simplen Aufschrift »Pete Simmons R.I.P.«.

Für eine Bestattung in allen Ehren blieb keine Zeit. Sie befanden sich in Dorgon und mussten Kontakt zu den Einheimischen dieser Welt aufnehmen.

Sie hatten mittlerweile auch andere Sorgen. Hendrik Swahn war in der Nacht offensichtlich von einem Insekt gestochen worden. Die Auswirkungen waren beängstigend: Swahn hatte am ganzen Körper Schwellungen bekommen, die sich rasch in ein ungesund aussehendes Blau verfärbten. Swahn hatte hohes Fieber und konnte seine Bewegungen nur noch eingeschränkt koordinieren. Jennifer Taylor war ratlos. Sie besaß kein Gegenmittel und keine Behandlungsmethode.

»Auf der IVANHOE könnte ich das hier vielleicht behandeln«, meinte sie mit einem Blick auf Swahn. »Aber hier? Mitten im Dschungel?«

Lorif trat zu den beiden heran. »Wir haben einen transportablen Materietransmitter dabei. Im äußersten Notfall können wir dich und Swahn jederzeit auf die IVANHOE bringen.«

Taylor nickte. »Es wäre vermutlich sinnvoll, das Risiko einzugehen. Der Mann stirbt sonst. Ich muss ein Gegenmittel entwickeln und das kann ich nur mit den geeigneten Instrumenten.«

Lorif setzte also seinen gewaltigen Rucksack auf die Erde und begann, den Transmitter zusammenzubauen.

»Schicken Sie einen Ersatzarzt hierher«, befahl Dove.

»Oh, das wird nicht nötig sein«, sprach Lorif dazwischen, der akribisch die Einzelteile des Transmitters zusammenfügte. »Ich habe auch ein Arztprogramm in mir, kenne über zwei Millionen Krankheiten, Bakterien, Viren und ebenso viele Medikamente und Erste Hilfe-Methoden.«

Dove blickte den Posbi entgeistert an und grinste verlegen.

»Wir nehmen besser den Ersatzarzt.«

»Wie unhöflich!«, schnaubte Lorif beleidigt und machte sich wieder an die Arbeit.

Taylor nickte, bevor sie und Swahn in den Transmitterkäfig traten und Lorif sie auf die IVANHOE abstrahlte.

Die Männer setzten ihre Expedition fort …

*

Xavier Jeamour streichelte geistesabwesend die fleischfressende Pflanze, die er an seiner Armlehne befestigt hatte.

Die Expedition auf Jungle verlief nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Eines seiner Besatzungsmitglieder war bereits ums Leben gekommen und bei Hendrik Swahn sah es nicht gerade rosig aus. Die Symptome hatten sich in den letzten Stunden nicht gebessert. Jennifer Taylor arbeitete fieberhaft an einem Gegenmittel, sie war aber noch keinen Schritt vorwärtsgekommen.

Jeamour spürte auf einmal einen abscheulichen Schmerz in seiner rechten Hand.

Sein Pflänzchen hatte seine geistige Abwesenheit genutzt, um seinen Zeigefinger etwas anzuätzen.

»Verdammt, hier läuft irgendwie alles falsch!«, fluchte Jeamour.

*

In der Zwischenzeit tat sich auf Jungle allerdings etwas.

Die Expedition drang weiter in den Dschungel vor. Sie hatten nur eine vage Positionsbestimmung der vermuteten Ortschaft vornehmen können.

Die Männer waren zermürbt von den stundenlangen Märschen und nach den jüngsten Vorfällen war die Moral der Truppe in den Keller gerutscht.

»Wäre das nicht einfacher gegangen?«, wollte einer der Wissenschaftler von Dove wissen.

»Möglicherweise«, gab dieser zu. »Dazu wären aber wochenlange Untersuchungen notwendig gewesen und Zeit ist das einzige, was wir nicht haben.«

»Aber du meinst, der Tod von Pete hätte verhindert werden können?«

»Simmons handelte völlig unverantwortlich. Seinen Tod hat er sich selbst zuzuschreiben.«

Unmittelbar hinter Dove sackte ein Mann in sich zusammen. Dove wusste auch ohne die Diagnose des Doktors, was die Ursache war.

Die Temperatur war mörderisch. Nach wie vor betrug sie an die fünfzig Grad Celsius, und die Luftfeuchtigkeit tendierte gegen hundert Prozent.

»Kreislaufzusammenbruch«, diagnostizierte D’Haye, der Arzt, der als Ersatz für Jennifer Taylor auf Jungle gekommen war. »Wir sollten ihn auf die IVANHOE bringen.«

»Kommt nicht in Frage!«, fauchte Dove. »Diese Männer wurden für diese Mission ausgewählt, weil sie auf ihren Gebieten die besten sind, die wir haben. Ich werde nicht zulassen, dass diese Truppe gesprengt wird. Und dann gehen wir mit jeder Transmitterbenutzung das Risiko ein, geortet zu werden! Verabreiche ihm ein paar kreislaufstabilisierende Mittel und dann geht’s weiter.«

D’Haye erledigte kopfschüttelnd die ihm aufgetragene Aufgabe. »Ich werde keine Verantwortung dafür übernehmen, was mit diesen Leuten passiert.«

Dove fuhr ärgerlich herum. »Es ist mir bewusst, dass diese Mission nicht ungefährlich ist.«

Die Männer schauten überrascht auf, als vor ihnen plötzlich ein eselähnliches Wesen herumsprang. Atigra Atta wollte seinen Paralysator ziehen, aber Wallace, der neben ihm gestanden hatte, drückte die Waffe wieder nach unten.

»Schau ihn dir mal genau an. Das ist nicht so einer, wie wir ihn vorher gesehen haben.«

Die Kreatur, die vor ihnen stand, trug Kleidung, ein eindeutiger Beweis für ihre Intelligenz.

Sie schaute die Männer an, drehte sich dann abrupt weg und rannte davon.

»Warte!«, rief Dove hinterher. »Wir wollen dir nichts Böses tun!«

Die Kreatur hielt inne und schlich sich langsam wieder zu ihnen zurück.

»Ich werde versuchen, so viel wie möglich mit ihm zu reden, damit unsere Translatoren etwas haben, womit sie arbeiten können«, erklärte Dove dem Kommandanten der JAYJAY II, Wallace.

Der Oxtorner verwendete dabei die dorgonische Sprache, die sie aus dem Datenträger der HESOPHIA hatten erbeuten können. Zumindest einiges der Sprache, längst nicht das komplette Idiom.

Dove redete einige Minuten mit dem Wesen, bevor er ihm die ersten wiehernden Laute entlocken konnte. Nach etwa fünf Minuten war der Universaltranslator in der Lage, erste einfache Sätze zu übersetzen.

»Wir kommen in Frieden«, versuchte es Dove mit einem einfachen Satz. Sein Gegenüber wieherte etwas, das der Translator mit »Frieden ist gut« übersetzte.

»Ich bin Irwan Dove. Wie heißt du?«, fragte Dove weiter.

»Ich Jak-Jik, du Dove. Du Dove, ich Jak-Jik!«, kam die Antwort.

»Warum hattest du vorher solche Angst vor uns?«

»Ihr ausseht wie die, die von den Sternen kamen!«, erwiderte Jak-Jik. Der moderne Translator war inzwischen in der Lage, auch verschiedene Emotionslagen nachzuahmen. Jak-Jik schien immer noch misstrauisch zu sein.

»Wie meinst du das? Wir kommen auch von den Sternen.«

Jak-Jik sprang erschrocken auf.

Dove war überrascht. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet.

»He, kein Grund, Angst zu haben«, versuchte er, Jak-Jik zu beruhigen. In ihm keimte ein Verdacht auf.

»Wie nennen sich denn die Fremden?«

»Sie nennen Dorgonen sich.«

»Weshalb habt ihr vor den Dorgonen Angst? Was haben sie getan?«

»Sie verlangen, dass wir ihnen Tribut zahlen.«

Im weiteren Verlauf des Gesprächs ergab sich, dass die Harriden, das Volk, dem Jak-Jik angehörte, Fischer, Sammler sowie Bauern und grundsätzlich sehr friedlich waren. Den Planeten nannten sie Harrisch. Die Einheimischen, die die Expedition tags zuvor angegriffen hatten, gehörten dem Volk der Bahuta an, einem primitiven Zweig der Harriden, der jedoch evolutionär um Jahrtausende zurücklag. Die Bahuta waren ein Volk von Jägern, seit sie von den Harriden Pfeil und Bogen erbeuten konnten und übernahmen.

Jak-Jik glaubte mittlerweile, dass die Männer keine Dorgonen waren.

Der Universaltranslator übersetzte auch nach Stunden noch sehr schleppend. Die Männer hatten sich inzwischen hingesetzt und eine Essenspause eingelegt.

Dove erhob sich schließlich und ging zu seiner Truppe hinüber.

»Er hat sich bereit erklärt, uns in die Hauptstadt dieser Welt zu führen.«

»Das wird auch langsam Zeit«, meinte Magruder.

Sie machten sich auf den Weg …

Bericht Calvin Magruder

Die Hauptstadt der Harriden, Yak-Cha, war ein mittelgroßes, am Meer gelegenes Fischerdorf mit knapp siebentausend Einwohnern. Das Dorf war zum Land hin von hohen Palisadenzäunen umgeben. Jak-Jik musste den anderen Harriden im Dorf erst einmal die Situation erklären, die hätten uns sonst nämlich gar nicht rein gelassen. Naja, jedenfalls wurden wir dann doch recht herzlich empfangen. Das Oberhaupt der Harriden trug die Bezeichnung »Häuptling«, was noch einiges über die Struktur dieses Volkes aussagte. Häuptling Hak-Yak sagte etwas von »Wer Freunde hat, hat einen Grund zu feiern« und ordnete ein Festbankett an. Wir bekamen allerlei uns unbekannte Speisen vorgesetzt, in der Hauptsache einheimische Wassertiere. Besonders beliebt war offenbar eine Art ungefährliche Wasserschlange, etwa achtzig Zentimeter lang, die bei lebendigem Leib verspeist werden musste. Hoch im Kurs stand auch ein vierbeiniges Landtier, das – wie uns der Häuptling stolz erklärte – jahrelang in den eigenen Fäkalien gelagert worden war und dadurch sein einzigartiges Aroma voll hatte entfalten können. Bei dieser Spezialität wollte ich zunächst dankend ablehnen, doch ein bitterböser Blick von Irwan Dove signalisierte mir, dass ich diese Speise gefälligst zu kosten und zu loben hätte.

Ich saß während des Festgelages unmittelbar neben Irwan Dove und Hak-Yak und wurde somit Zeuge einer interessanten Unterhaltung. »Hak-Yak, ich würde gern mehr über die Dorgonen erfahren. Was gibt es über sie zu wissen?«

»Die Dorgonen berauben uns unseres Hab und Guts. Sie kommen in Vögeln von den Sternen herab geflogen und fordern Steuern für das große Imperium.«

»Die Adlerschiffe«, flüsterte mir Dove zu. Ich nickte stumm.

»Vor zwei Monden waren sie das letzte Mal hier und ich weiß nicht, was ich ihnen geben soll, wenn sie wiederkommen«, fuhr Hak-Yak fort. »Wir sind ein redlich arbeitendes Volk, aber wir sind arm, seit die Dorgonen kommen. Sie verlangen jedes Mal mehr und bald kann ich mein Volk nicht mehr ernähren«, meinte er kummervoll.

»Und was geschieht, wenn ihr euch weigert, den Tribut zu zahlen?«, hakte Dove nach.

»Das haben unsere Väter nur ein einziges Mal versucht«, sagte Hak-Yak düster. »Die Vögel kamen vom Himmel, spuckten Feuer und brachten Tod.«

Ich schluckte. Das dorgonische Imperium schien absolut rigoros vorzugehen. Aber eigentlich hatte ich nach dem Geschehen um die Mordred auch nichts anderes erwartet.

Die Dämmerung brach über das Dorf und den Festplatz in der Nähe des Hafens herein. Die Harriden entzündeten ein gewaltiges Feuer und tanzten ausgelassen um es herum.

Nur Hak-Yak war auf seinem Platz sitzengeblieben und schaute traurig zu. Ich gesellte mich zu ihm.

»Was hast du?«, wollte ich wissen.

»Sie sollen feiern, solange sie noch können«, erwiderte er.

»Ich verstehe nicht ganz?!«

Der Häuptling machte ein Geräusch, das ich als Seufzen interpretierte.

»Irgendwann werden die Dorgonen wiederkommen. Und ich kann und will ihnen dieses Mal nichts geben, so wahr Harrisch rund ist!«

Ich hielt verblüfft inne.

»Ihr wisst, dass Harrisch rund ist?«

»Das wissen selbst die Bahuta. So dumm, auf die Idee zu kommen, Harrisch sei flach, kann ja wohl niemand sein!«, meinte Hak-Yak lachend.

»Naja …«, murmelte ich und dachte daran, dass die Menschheit Jahrtausende eben das geglaubt hatte.

Das Gelage näherte sich seinem Ende.

Uns wurden einige Familien zugewiesen, die uns bei sich aufnahmen. Überhaupt waren die Harriden äußerst gastfreundlich, wenn man bedachte, dass sie uns erst wenige Stunden kannten.

Bei »meiner« Hütte angekommen, ließ ich mich sogleich in meine Schlafstatt fallen.

Dabei handelte es sich um eine Liege, die allerdings mit leichtem Gefälle in Richtung der Füße an der Wand befestigt war.

Die Oberfläche bestand aus Holz, so etwas wie eine Matratze gab es nicht. Obwohl ich diese Liege als etwas unangenehm empfand, wurde ich aufgrund der Strapazen der vergangenen Tage bald vom Schlaf übermannt.

*

Der Kommandant der IVANHOE lief, an seinem Zeigefinger saugend, durch die Gänge seines Schiffes. Es hatte ihn seelisch tief getroffen, dass ihn sein Pflänzchen angeknabbert hatte.

Habe ich bei der Erziehung etwas falsch gemacht?, fragte er sich.

In Gedanken versunken betrat er das Lazarett der IVANHOE. Dabei wäre er fast über einige technische Gerätschaften gestolpert, die offenbar zur Analyse des Blutes von Hendrik Swahn dienten.

Jennifer Taylor blickte überrascht von ihren Blutproben auf. »Was gibt’s Neues?«, erkundigte sich Jeamour, während er sich verblüfft umsah. Taylor hatte einige Tonnen an Maschinen herangeschafft. Hendrik Swahn konnte er nicht richtig sehen, da er sich unter einem isolierenden Schutzfeld befand.

»Nun, ich bin dem Gift auf der Spur. Ich bin relativ zuversichtlich, in den nächsten Stunden ein Gegenmittel herstellen zu können.«

Jeamour nickte zufrieden. »Warum hast du dieses Schutzfeld aktiviert? Besteht unmittelbare Ansteckungsgefahr?«

»Nun, nicht ganz.« Sie hielt inne.

Jeamour starrte sie fragend an.

»In der Zwischenzeit sind die Schwellungen an Swahns Körper wieder etwas abgeklungen«, fuhr Taylor fort. »Nur hat sich bedauerlicherweise eine andere Auswirkung dieses Insektenstiches bemerkbar gemacht.«

Jeamour starrte sie fast panisch an. Er wollte Swahn nicht verlieren, er war einer seiner besten Männer.

»Es ist so …«, sagte sie gedehnt. »Swahn hat …«

»Was hat er?«

»Nun, er hat Blähungen. Ich konnte es nicht mehr aushalten.«

Jeamour musste sich abstützen, um nicht umzukippen.

»Das darf doch alles nicht wahr sein!«, ächzte er ermattet. »Was habe ich mir nur dabei gedacht, als ich mich hierher versetzen ließ …«

Just in diesem Moment ertönte ein durchdringendes Piepsen. »Orter an Kommandant.«

»Hier Jeamour, ich höre?«

»Du solltest vielleicht besser in die Kommandozentrale kommen.«

»Ich bin auf dem Weg«, bestätigte Jeamour.

Er spürte, dass sich irgendein Unheil anbahnte …

*

Die Haare der Männer flatterten im Wind und eine steife Brise schlug ihnen ins Gesicht. Irwan Dove rang sich mühsam ein Lächeln ab, obwohl er fröstelte.

Gemäß harridischem Brauch waren sie in aller Frühe zum Fischen aufgebrochen. Dabei hatten sie weitere interessante Informationen über Dorgon erhalten.

Das gewaltige dorgonische Imperium war in Protektorate eingeteilt, gewissermaßen Verwaltungsgebiete. Das ganze System erinnerte Dove an das alte Rom mit dessen Provinzen. Die Harriden gehörten zum Protektorat Harrisch, welches offenbar nach ihrem Volk benannt worden war. Oder wurde der Planet nach dem Protektorat benannt? War Harrisch einst vielleicht eine bedeutende Welt des Reiches gewesen?

Dove kam nicht dazu, seine Gedanken weiter zu vertiefen. Sein Funkgerät meldete sich.

»Hier Dove, was gibt’s denn so Dringendes?«

Dove konnte hören, wie sich Jeamour räusperte.

»Hier Jeamour. Irwan, ehrm … da ist was im Anflug.«

»Ich verstehe nicht ganz!«

»Es ist ziemlich einfach. Wir haben ein Adlerraumschiff geortet, das sich Jungle beziehungsweise Harrisch sehr schnell nähert.«

»Oh nein …«, seufzte Dove und schaute sich um. Die Harriden waren allesamt glücklich und schienen sich ihres Lebens zu freuen. Noch, fügte er in Gedanken hinzu.

»Wird die IVANHOE irgendetwas unternehmen?«

»Negativ, Irwan«, stellte der Kommandant fest. »Wir können keinen offenen Kampf mit den Dingern riskieren.«

Dove seufzte abermals.

»Wir glauben aber, dass ihr keinen Angriff auf euch zu befürchten habt, sondern vielmehr nur einen Angriff auf die Harriden.«

Was heißt hier nur?, dachte Dove. Wieso sollten die Harriden weniger wert sein als wir?

»Ich habe verstanden. Dove Ende.«

Resigniert klappte er seinen Kommunikator zusammen. Er ging nicht auf die fragenden Mienen der restlichen Expeditionsmitglieder ein, sondern wandte sich direkt an Wallace.

»Wir müssen sofort zurück nach Yak-Cha«, erklärte er.

»Weshalb? Das rituelle Morgenfischen ist noch nicht abgeschlossen«, fragte der Kapitän der JAYJAY II verwundert.

Dove blickte ihm tief in die Augen. Er sah Sicherheit in ihnen. Noch, dachte er ein zweites Mal.

»Die Dorgonen kommen«, sagte er kühl.

Die Sicherheit in den Augen von Wallace verwandelte sich binnen Sekunden in Beunruhigung. Mathew gab dem harridischen Kapitän ein Zeichen. Er sprang auf seinen Steuermann zu, schubste ihn vom Steuerrad weg und wendete das Schiff höchstpersönlich.

Dove blickte sorgenerfüllt gen Himmel. Er hoffte, dass die Dorgonen nur kamen, um eine Art routinemäßigen Kontrollflug zu unternehmen.

Du machst dir was vor, erkannte er. Sie kommen, um ihre Steuern einzutreiben.

Das Schiff schoss über die Wasseroberfläche hinweg. Eigentlich war es erstaunlich, wie sehr dieses Schiff an die Segelschiffe der frühen terranischen Zivilisationsgeschichte erinnerte.

Sie näherten sich langsam dem Hafen von Yak-Cha. Inzwischen hatte sich die böse Kunde auf dem Schiff verbreitet, und alle Harriden schienen in heller Aufregung zu sein. Sie diskutierten heftig miteinander, manch einer schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schien über die Ungerechtigkeit der Welt zu klagen.

Dove wandte sich an Wallace: »Ich denke, wir sollten uns zu Beginn diskret im Hintergrund halten. Die Dorgonen müssen nicht unbedingt wissen, dass wir hier sind.«

»Ich stimme zu«, antwortete Wallace. »Was tun wir aber, falls die Situation eskaliert?«

»Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt«, entgegnete Dove.

»Was, wenn doch?«

»Dann helfe ihnen Gott …«, murmelte Dove düster.

Das Schiff hatte mittlerweile den Hafen erreicht. Kaum dass der Anker ausgeworfen war, eilte Dove vom Schiff, um dem Häuptling der Harriden von der Ankunft der Dorgonen zu berichten.

»Hak-Yak«, begann er, als er bei dessen Sänfte angekommen war, »die Dorgonen kommen!«

Aber Hak-Yak saß apathisch in seiner Sänfte und deutete nach oben.

Dove folgte langsam seinem Blick.


Irwan Dove, ein Harride, Mathew Wallace und Lorif beobachten die Ankunft eines Adlerraumschiffes © John Buurman
Irwan Dove, ein Harride, Mathew Wallace und Lorif beobachten die Ankunft eines Adlerraumschiffes © John Buurman

Schließlich konnte er sehen, was der Häuptling gemeint hatte.

Die Sonne hatte sich verfinstert, denn ein gewaltiger Vogel hatte sich davor geschoben: das Adlerraumschiff.

»Großer Gott!«, keuchte Dove.

Dieser »Vogel« hatte die gewaltigen Ausmaße von achthundert Metern Länge, dreihundertzwanzig Metern Breite und zweihundertzehn Metern Höhe.

Imposant kreiste das Schiff über der harridischen Hauptstadt. Nach knapp einer Minute ging es etwa fünf Kilometer von Yak-Cha entfernt nieder. Dove konnte beobachten, wie gewaltige Krallen ausgefahren wurden, die wohl als Landestützen dienten.

Kurze Zeit später öffnete sich der Rumpf des Schiffes und einige hundert Dorgonen verließen es in drei Reihen mit jeweils zehn Soldaten über eine Rampe. Sie trugen goldbraune Rüstungen, die von bordeauxrotem Stoff umschlungen waren. Auf dem Boden stiegen sie in einige soeben ausgeschleuste Beiboote und machten sich auf den Weg nach Yak-Cha.

Über ihnen flammte das Hologramm des Domadlers auf – das Wappen des Kaiserreiches. Die künstliche Abbildung dieser Mischung aus einem Flugsaurier und einem Adler musste auf die Harriden in ihrem Dorf ebenso beeindruckend wie bedrohlich wirken.

Ihnen folgten bronzefarbene Schwebepanzer mit einem Zwillingsgeschützturm. Ein gewaltiges Aufgebot. Die Truppen bewegten sich über ein Feld auf Yak-Cha zu. Auch ihre Helme, wie der Brustpanzer mit einem eingravierten Adler, waren goldfarben und mit einem roten Sichelkamm aus Borsten in der Mitte verziert. Als Waffen trugen sie Energiespeere, Energieschwerter und schwere Thermogewehre mit sich.

»Diese Kerle scheinen sich ihrer Sache ja ziemlich sicher zu sein«, meinte Wallace mit einem Blick auf die dorgonischen Truppen.

»Von den Harriden haben sie auch nicht sonderlich viel Widerstand zu erwarten«, gab Dove zu bedenken.

Tausende der Eselartigen hatten sich am Eingangstor des Dorfes versammelt und erwarteten das Eintreffen der Dorgonen.

»Ich würde vorschlagen, wir ziehen uns zurück«, äußerte sich Wallace.

»Stimmt, die Dorgonen werden demnächst eintreffen. Sie sollten uns wirklich nicht sehen«, pflichtete ihm Dove bei und bedeutete den anderen Männern, ihm zu folgen.

Die Expeditionsmitglieder verbargen sich hinter einer Mauer und beobachteten von dort aus das Geschehen.

Etwa eine halbe Stunde nach der Landung des Schiffes erreichten die dorgonischen Truppen das Dorf.

Anstatt anzuklopfen, feuerte einer der Dorgonen einen Schuss auf das Tor ab, welches in hunderte Teile zerbarst. Hindurch trat an der Spitze der Truppen ein Dorgone mit wehendem Umhang und einem roten Gewand, über das quer ein goldenes Band verlief.

Zehn Männer traten vor und schmetterten eine Fanfare. Der Dorgone begann zu sprechen.

»Ich bin der Dekurio Carcus und ich bin gekommen, um euren Tribut für das Große Imperium einzufordern. Diesmal werdet ihr die doppelte Menge bezahlen, weil die Qualität der Fische beim letzten Mal nicht zufriedenstellend war.«

Hak-Yak, der sich bereits aus seiner Sänfte erhoben hatte, ging mit gesenktem Haupt auf Carcus zu und fiel vor ihm auf die Knie.

»Ehrwürdiger Dekurio, vergebt mir, aber wir können euch nichts geben! Wir sind ein armes Volk und müssten sonst hungern. Bitte zeigt uns gegenüber, einem treuen Diener des Großen Imperiums, Gnade!«

Die Antwort des Offiziers bestand darin, dass er Hak-Yak ins Gesicht trat und über ihn hinweg stieg.

»Eure Loyalität könnt ihr unter Beweis stellen, indem die Steuern pünktlich gezahlt werden! Sollte dieses erbärmliche Volk nicht dazu in der Lage sein, werden wir um eine Bestrafung nicht herumkommen. Nun, Häuptling?«

Hak-Yak kroch vor Carcus und hob bettelnd die Hände.

»Wir haben nichts. Sieh unsere kleinen Kinder. Sollen sie verhungern? Wenn ihr uns unser Brot nehmt, wird mein Volk sterben.«

Carcus spuckte dem Häuptling der Harriden ins Gesicht und gab seinen Truppen ein Zeichen.

Unter den Harriden brach die blanke Panik aus. Sie stoben nach allen Richtungen auseinander, aber die Dorgonen feuerten blind in die Menge. Mehrere Harriden fielen tot zu Boden, andere blieben verletzt liegen.

»Sterben werdet ihr auch so, primitive Bauern!«, sprach Carcus abfällig und nahm sein Energieschwert. Der Häuptling kam so weit hoch, dass er ihn auf Knien anbettelte, mit dem Morden aufzuhören.

Carcus teilte ihm seine Entscheidung mit, indem er den Harriden mit dem Schwert durchbohrte. Entsetzt blickte Hak-Yak den Dorgonen an, sank auf die Knie und sackte leblos zusammen. Auf Carcus Lippen war die Andeutung eines Lächelns zu sehen. Er schwang seinen Umhang nach hinten und befahl den Soldaten, alles Brauchbare mitzunehmen. Dann bestieg er seinen Gleiter und fuhr zum Hauptschiff zurück.

Irwan Dove handelte blitzschnell. Er aktivierte sein Funkgerät und nahm Kontakt mit der JAYJAY II auf.

»Hier Tim Beranoh. Was gibt’s?«

»Komm sofort hierher, die Situation eskaliert. Die Dorgonen schlachten die Einheimischen ab. Aber achte darauf, nicht entdeckt zu werden.«

»Habe verstanden, ich bin auf dem Weg.«

Dove und Wallace hatten immer noch nicht entschieden, ob ein Eingreifen sinnvoll war.

Die Dorgonen steckten mittlerweile die Häuser in Brand. Yak-Cha verwandelte sich binnen Minuten in ein flammendes Inferno.

Überall lagen die verkohlten Leichen der Harriden. Ständig ertönten verzweifelte Schreie. Wer nicht tot war, wurde von den dorgonischen Truppen verschleppt.

Dove musste mit ansehen, wie eine harridische Frau und ihr Kind, das sie auf dem Arm getragen hatte, von einem Thermostrahlschuss getroffen wurde. Sie fiel schreiend auf den Boden. Ihre linke Gesichtshälfte war versengt, ihr Kind tot.

Kreischend wurde sie von dorgonischen Truppen weggetragen.

Lorif tippte Dove auf die Schulter.

»Das Vorgehen der Dorgonen ist nicht logisch.«

Dove stieß ein verächtliches Lachen aus.

»Wer sagt denn, dass Dorgonen logisch vorgehen?«

Yak-Cha war nunmehr nur noch ein Flammenmeer. Das Feuer fraß sich durch das gesamte Dorf, die meisten Häuser waren bis auf die Stützbalken abgebrannt. Die Dorgonen hatten bereits mehrere tausend Harriden abtransportiert.

»Irwan, sollten wir nicht eingreifen?«, fragte Wallace.

»Nein.«

»Aber …«

»Ich sagte nein! Wir sollten uns nicht unbedingt in Kampfhandlungen verwickeln lassen.«

»Irwan!«, rief Wallace entrüstet. »Wir dürfen nicht einfach tatenlos zusehen!«

Dove sah ein, dass Wallace recht hatte.

Er befahl den anderen, sich zu den mit der Space-Jet vereinbarten Koordinaten zu begeben.

»Können wir nicht einfach alle auf die IVANHOE bringen? Wir haben doch den Transmitter«, erinnerte Magruder.

»Lieber nicht. Wir haben bloß fünf Stück von diesen tragbaren Transmittern an Bord. Außerdem haben wir hier und jetzt keine Zeit, das Ding aufzubauen.«

Er sah Mathew bedeutungsschwer an.

»Dann wollen wir mal …«

Dove zog seinen Desintegrator und schaute nach vorn.

Zwanzig Meter ohne Deckung. Das konnte eng werden.

Dove rannte los. Er hechtete vorwärts mitten ins Schlachtengetümmel. Noch im Flug schoss er auf einen dorgonische Soldaten, der sich sofort in seine atomaren Bestandteile auflöste.

Er rollte sich über die Schultern ab, robbte am Boden entlang und zielte auf einen weiteren Dorgonen.

Ein Strahlschuss fegte über seinen Kopf hinweg und schlug direkt neben ihm ein. Dove wurde zur Seite geschleudert, konnte den Sturz jedoch abfangen und kroch weiter. Abermals hatte er den Dorgonen im Visier und drückte ab. Bevor dieser merkte, wie ihm geschah, existierte er schon nicht mehr.

Er rannte gebückt weiter und rettete sich mit einem für seine Statur beeindruckenden Salto in die nächste Deckung.

Wallace hatte sich derweil eine andere Strategie zurechtgelegt. Er schuf mithilfe seines Desintegrators eine Lücke in der Mauer, hinter der er sich immer noch befand.

Auf diese Weise hatte er einen guten Ausblick auf das »Schlachtfeld« – von einer Schlacht konnte kaum die Rede sein, da die Harriden sich kaum wehren konnten.

Daher gelang es ihm, einige Dorgonen zu desintegrieren. Da er seine Position jedoch nicht veränderte, entdeckten ihn die Dorgonen schließlich und eröffneten das Feuer.

Bevor sich die Mauer in einer gewaltigen Detonation verabschiedete, legte Wallace seinen Paralysator mit maximaler Fächerung auf den Boden.

Die Stärke des Paralysators würde vermutlich nicht ausreichen, um auch nur einen Dorgonen länger als fünf Sekunden zu lähmen, aber eben diese fünf Sekunden musste er nutzen.

Er rannte los, mit seinem Desintegrator um sich feuernd, und kam schließlich unversehrt zu Dove in die Deckung.

»Das sind einfach zu viele. Wir müssen die Aktion abbrechen«, erkannte Dove.

»Ich schlage vor, wir versuchen, zur Space-Jet durchzukommen.«

Die JAYJAY II war unterdessen etwa einen Kilometer vom Dorf entfernt gelandet. Vermutlich hatten die anderen Männer, einschließlich Lorif, die Space-Jet bereits erreicht.

Irwan Dove starrte traurig auf die lodernden Häuser. Tausende Existenzen – einfach vernichtet …

»Wir sollten diesen Weg entlanggehen«, meinte Wallace und zeigte auf eine unbelebte Seitenstraße des Dorfes.

»Einverstanden«, erwiderte Dove.

Sie rannten die Straße hinunter. Hinter ihnen konnte man weiterhin das Energiefeuer der Dorgonen hören.

Hätten wir das nicht verhindern können?

Dove schüttelte den Gedanken ab. Niemand hatte das Kommen der Dorgonen vorhersehen können. Wenn die IVANHOE dem Adlerschiff entgegengetreten wäre, hätte es vermutlich ein Desaster gegeben. Die Erinnerungen an die Vorfälle nach dem Zusammenbruch der Mordred waren noch frisch.

Sie befanden sich in einer Randzone der Stadt, in der die Truppen der Dorgonen nicht so gewütet hatten. Dennoch hatte das Feuer auch auf die dort befindlichen Häuser beziehungsweise Hütten der Harriden übergegriffen.

Wallace blieb auf einmal abrupt stehen. Dove sah auch sofort den Grund: Wenige Meter vor ihnen war ein Holzstapel in Brand geraten. Die Flammen züngelten meterhoch in den Himmel.

Sie bogen daher nach rechts ab. In dieser Nebenstraße kamen ihnen einige Dorgonen entgegen, die Wallace jedoch mit Schüssen aus seinem Desintegrator liquidierte.

Langsam näherten sie sich der Dorfgrenze. Aus dem Dorf waren nur noch vereinzelte Schüsse zu hören, was darauf schließen ließ, dass sich die Bestrafungsaktion der Dorgonen dem Ende zuneigte.

Dove hegte den Verdacht, dass diese Aktion auch im Sadismus des Dekurios begründet lag. Er sah nämlich keinen großen Sinn in der Maßnahme Carcus’.

Hat es das dorgonische Imperium tatsächlich nötig, sich mit solchen Handlungen Respekt zu verschaffen?

Wallace schoss ein Loch in den Zaun, der Yak-Cha umgab, und sie kletterten hindurch.

Sie hatten die Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht. Unmittelbar hinter der Stadtmauer befanden sich einige Dorgonen, die eines der kleinen Beiboote bewachten.

Einer von ihnen schrie etwas und die anderen drehten sich sofort zu Wallace und Dove um.

Wallace seufzte.

»Irwan, jetzt müssen wir nur eines: verteufelt schnell sein.«

Die beiden sprinteten los, aber die JAYJAY II war immer noch knapp einen Kilometer entfernt.

Immer wieder änderten sie ihre Richtung, um nicht von Strahlschüssen erwischt zu werden – tausend endlos lange Meter …

*

»Irwan und Mathew scheinen Probleme zu haben«, rief Orter Tim Beranoh alarmiert.

Cerak Atz, seines Zeichens Feuerleitkommandant, der während der Abwesenheit von Hendrik Swahn und Mathew Wallace das Kommando an Bord der JAYJAY II übernommen hatte, genügte ein Blick aus dem Fenster, um festzustellen, dass Beranoh recht hatte. Dove und Wallace rannten querfeldein auf die Space-Jet zu. Atz sah, wie die Dorgonen, die die beiden zunächst verfolgt hatten, auf ein Beiboot zuhielten, wohl, um sie so rechtzeitig einzuholen.

»Wir müssen ihnen irgendwie helfen«, bemerkte Atz. »Sie sind noch knapp siebenhundert Meter von uns entfernt. Das schaffen sie nie rechtzeitig.«

In der Space-Jet, die voll besetzt mit den Expeditionsmitgliedern war, drängten sich die Leute an den Fenstern, um zu sehen, was los war.

»Aber wir können sie doch nicht einfach im Flug aufnehmen«, warf Beranoh ein.

Atz kratzte sich am Kinn.

»Wieso eigentlich nicht?«

Beranoh starrte ihn entgeistert an, wagte aber nicht zu protestieren.

»Friedek«, sagte Atz zum Piloten der JAYJAY II gewandt. »Los!«

Friedek reagierte sofort und die Space-Jet raste knapp zehn Meter über der Oberfläche Harrischs hinweg.

Der Plan, den Atz gefasst hatte, war äußerst riskant. Er wollte die Männer im Flug aufnehmen. Das Manöver an sich war schon höllisch gefährlich, aber da ihnen ja auch noch das dorgonische Schiff entgegenkam, hatten sie nur diesen einen Versuch.

Cerak Atz drückte eine Taste, um den Sprechfunk zu aktivieren.

»JAYJAY an Dove, JAYJAY ruft Dove und Wallace. Ihr müsst euch an den Seilen festhalten, die ihr gleich sehen werdet.«

Er hatte keine Zeit, ihnen genauere Instruktionen zu geben, denn jetzt musste alles sehr schnell gehen.

Atz öffnete die Rumpfklappe der JAYJAY II. Sie glitt nach hinten, so dass es möglich war, senkrecht ein Seil hinabzulassen.

Genau das tat er.

Die ersten Panzer waren bereits hinter Dove und Wallace zu erkennen, die um ihr Leben rannten. Die Gleiter sausten knapp zweihundert Meter hinter ihnen und holten die beiden Galaktiker Meter um Meter ein. Die Panzer gaben vereinzelte Salven ab, die nur knapp neben dem Terraner und dem Oxtorner einschlugen. Die beiden Männer rannten um ihr Leben.

»Noch hundertfünfzig Meter!«, meldete Friedek.

»Verdammt, du musst tiefer gehen, hörst du, tiefer!«, schrie irgendjemand.

Das entsprach den Tatsachen, denn das Schiff der Dorgonen war ebenfalls gestartet und hielt frontal auf sie zu.

Friedek konnte durch die Luke sehen, dass das Schiff nur noch fünf Meter über dem Boden flog.

»Tiefer, immer noch tiefer!«

Drei Meter betrug der Abstand zum Boden nur noch.

»30, 20, 10, …«

Sie flogen nun direkt über Dove und Wallace hinweg. Gleichzeitig rasierten sie beinahe den Rumpf des dorgonischen Schiffes ab.

»Sie haben’s geschafft!«, schrie jemand erleichtert.

Dove und Wallace hingen tatsächlich unterhalb der JAYJAY II in den Seilen.

Während Friedek die Space-Jet aufsteigen ließ, zogen einige Männer die beiden in die Space-Jet.

»Na, mal wieder ein wenig Action, wie?«, lachte Atz und klopfte seinem Kommandanten auf die Schulter, der völlig außer Atem und leicht verwirrt seinen Freund ansah. Wallace quälte sich ein müdes Lächeln auf die Lippen und suchte dann erst einmal einen Platz zum Ausruhen.

»Oh, oh …«, rief Friedek. »Ich fürchte, die Action kommt erst noch. Dieses Schiff … es verfolgt uns.«

»Paratron aktivieren!«, schrie Dove und übernahm seinen Kommandosessel wieder, sehr zur Verwunderung von Mathew Wallace.

»Sorry, aber das ist mein Platz«, meinte er vergleichsweise friedlich und deutete auf den Sessel, der sowieso für einen Oxtorner nicht sonderlich bequem war.

»Wir haben jetzt keine Zeit für irgendwelche Kompetenzdiskussionen«, antwortete der große haarlose Mensch barsch.

»Das meine ich auch, deshalb runter von meinem Platz!«

Dove blickte Wallace wütend an und schoss aus dem Sitz hoch. Beide sahen sich für ein paar Sekunden feindselig in die Augen. Dove machte den Eindruck, als wollte er am liebsten auf den widerspenstigen Terraner losgehen. Wallace stand völlig ruhig vor dem Oxtorner, der fast doppelt so breit war wie der Schotte. Dove schnaubte heftig und ballte die Fäuste, dann hielt er inne und blickte auf das verfolgende Schiff. Er atmete tief durch und machte dem Kommandanten der JAYJAY II Platz.

Wallace schwang sich auf seinen Platz. Schon schlugen die ersten Treffer ein. Obwohl Friedek ein exzellenter Pilot war, gelang es ihm nicht immer, den Schüssen auszuweichen.

Wallace übernahm nun die Steuerung der Space-Jet und konnte den Energiesalven des dorgonischen Schiffes anfangs geschickt ausweichen, doch die Fächerung wurde immer größer.

»Das sieht überhaupt nicht gut aus …«, bemerkte Magruder.

Und er hatte recht. Die Dorgonen waren einfach besser bewaffnet. Zwar hatten die Beiboote offenbar nicht die gleichen Offensivwaffen wie die Adlerschiffe an Bord, aber sie waren dennoch äußerst effektiv.

Bei allen Manövern, die Wallace auch flog, lange konnte der Paratronschirm die JAYJAY II nicht mehr schützen …

*

»Es kann nicht mehr lange dauern, mein Kommandant.«

Der Kanonier des dorgonischen Beibootes war recht zuversichtlich.

»Diese … was auch immer es sein mögen … haben zwar einen recht guten Piloten, aber in etwa zwei Minuten sind sie fällig.«

Optio Gasus Sextus, der Kommandant des Beibootes, nickte zufrieden. Der Dekurio würde ihn bestimmt belohnen, wenn er diese Eindringlinge eliminierte.

Die JAYJAY II flog eine Schraube und tauchte in den Wald hinab. Das dorgonische Schiff klebte an ihr wie eine Klette.

Nach einer Linkskurve konnte der Kanonier einen neuen, schweren Treffer landen.

»Sie nehmen den Weg eines Adlers mit gebrochenem Flügel«, murmelte der Dorgone verzückt.

Die Space-Jet verlor rasch an Höhe, streifte die Bäume und explodierte.

Das Raumschiff IVANHOE hatte eine seiner Space-Jets verloren …

*

Xavier Jeamour empfing seine Besatzungsmitglieder, wie sie rasch nacheinander aus dem Transmitterkäfig traten.

»Willkommen daheim!«

»Danke«, erwiderte Dove, als er an der Reihe war.

»Wir hatten Glück, dass es Lorif rechtzeitig gelang, den Transmitter aufzubauen. Ich übernehme die volle Verantwortung für den Verlust der Space-Jet. Rückblickend habe ich die falsche Entscheidung getroffen.«

»Nein, es war meine Schuld! Ich war der Kommandant der JAYJAY und habe sie verloren, Dove trifft keinerlei Schuld«, wandte Mathew Wallace ein und stellte sich neben den Oxtorner.

»Nein, ich war der Leiter der Mission und übernehme deshalb die Verantwortung!«, beharrte Dove auf seinem Standpunkt. Wallace sah ihn wütend an.

»Ach ja? Wer hatte denn vorhin gesagt, wir haben keine Zeit für Kompetenzscheiße?«

»Ich sagte, keine Zeit für Kompetenzdiskussionen. Das ist ganz was anderes!«

Jeamour schüttelte nur den Kopf und verdrehte die Augen. Ein Räuspern des Kommandanten brachte die beiden Streithähne zum Schweigen.

Schuldbewusst stierten beide auf den Boden.

»Küsst meine Füße!«, befahl Jeamour.

»Bitte?«

»Ein kleiner Scherz, meine Herren! Ihr seid mit heiler Haut davongekommen. Das allein zählt. Nun haben wir nur noch vierundzwanzig Space-Jets. Wallace, suche dir eine JAYJAY III aus. Dove, Lorif: Zurück auf die Brücke. Und kein Gezanke mehr!«

»Äh ja, danke.«

Breit grinsend verließen Mathew Wallace und Irwan Dove den Transmitterraum.

Das wäre also erledigt, dachte Jeamour. Bleibt nur noch eins …

Er machte sich auf den Weg ins Lazarett, in dem sich nach wie vor Hendrik Swahn befand.

Jennifer Taylor konnte er nirgends entdecken, also sprach er gleich mit Swahn selbst.

»Na, Hendrik, wie fühlst du dich?«

»Gut, danke. Die Beulen sind verschwunden, seit mir Jennifer dieses Mittel gegeben hat. Aber die Luft hier drin ist so stickig und ich würde mich besser fühlen, wenn ich mich frei bewegen könnte. Kannst du bitte dieses Kraftfeld deaktivieren?«

Jeamour nickte und drückte auf den Knopf, der diese Funktion erfüllte. Im selben Moment betrat Jennifer Taylor den Raum und rief entsetzt aus: »Xavier, wie kannst du nur?!«

Dieser merkte, von Gasen umnebelt, was sie gemeint hatte …

ENDE

Der nächste Roman von Ralf König und Ricky Blankenaufulland schildert die weiteren Abenteuer im fernen M 100. Die Expeditionsflotte befindet sich nun

IM DORGONISCHEN IMPERIUM

DORGON-Kommentar

Dorgon bedeutet Fortschritt. Dorgon bedeutet Zivilisation. Dorgon ist die Zivilisation. So ungefähr beschreiben die Dorgonen, mit großem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, sich selbst.

Vielleicht könnte man es sich so vorstellen: Man ist in der Wüste, irrt durch den Sand und plötzlich entdeckt man eine Oase mit einer Tankstelle, einem gut klimatisierten Fastfood-Restaurant und vielleicht noch einen Stand mit kühlem Bier. Und zu aller Freude funktioniert auch das Handynetz und man kann noch surfen. Man fühlt sich, als sei man in die Zivilisation zurückgekehrt und ist ganz automatisch irgendwie stolz darauf, in der Einöde die bekannte, geliebte Zivilisation zu finden.

Auch die Dorgonen sehen ihre Zivilisation mit Stolz und scheinen dabei die Grenze zur Überheblichkeit längst überschritten zu haben. Noch wissen die Protagonisten nicht viel über die Dorgonen, aber offenbar scheinen sie ihre Zivilisation nicht mit jedem Volk zu teilen.

Die Harriden auf der Welt »Jungle« wurden jedenfalls massakriert, nur um Tribute einzufordern. Das lässt darauf schließen, dass das Imperium ein Regime ist, welches sich offenbar gut auf die Ausbeutung unterlegener Völker versteht. Es scheint ein klassisches Bild eines mächtigen Reiches zu sein, welches einerseits für Fortschritt, Kultur und Zivilisation steht, aber auf der anderen Seite brutal andere ausbeutet, die nicht zum erlauchten Kreis der Gesellschaft zählen.

Die Expedition wird im nächsten Roman mehr über das Imperium herausfinden und auch in direkten Kontakt mit einigen Machthabern treten können.

Nils Hirseland

GLOSSAR

Harrisch

Harrisch ist der Name eines Planeten und offenbar auch eines Sektors/Protektorats des Kaiserreiches Dorgon.

Der Planet Harrisch ist eine Dschungelwelt und wurde von den Terranern kurzzeitig »Jungle« genannt. Harrisch liegt in einem Seitenarm der Galaxie M 100. 70 Prozent des Planeten sind mit Wasser bedeckt. Die Kontinente weisen eine ausgiebige Vegetation auf. Wälder und Sümpfe erstrecken sich über die Kontinente. Die Durchschnittstemperatur liegt zwischen 40 und 50 Grad Celsius.

Harrisch wird von den Harriden bewohnt, die dem dorgonischen Reich zu Tribut verpflichtet sind. Im Juli 1292 NGZ untersucht ein Außenteam der IVANHOE diesen Planeten, schließt Freundschaft mit den Harriden und gerät in ein Gefecht mit dorgonischen Besatzungstruppen.


Harriden

Die Harriden sind Bewohner des Planeten Harrisch in der Galaxie M 100, dem Sternenreich Dorgon. Sie gehören zu den tributpflichtigen Völkern des dorgonischen Imperiums, genießen jedoch keinerlei bürgerliche Rechte. Harriden ähneln am ehesten einem terranischen Esel. Sie sind etwa 1,60 Meter groß.

Harriden sind zumeist Fischer, Bauern und Sammler. Sie wohnen in mittelalterlichen Dörfern und Siedlungen.

Im Juli 1292 NGZ trifft ein Außenteam der IVANHOE auf die Harriden und schließt mit ihnen Freundschaft. Die Ansiedelung wird jedoch von Dorgonen vernichtet, als die Harriden den geforderten Tribut nicht begleichen können.


GOLDSTAR

Die GOLDSTAR ist ein 800 Meter durchmessender Kugelraumer der NOVA-Klasse. Das Raumschiff wurde 1292 NGZ in den Dienst gestellt. Die GOLDSTAR wird von Henry »Flak« Portland kommandiert und von Julian Tifflor als Kommandoraumschiff für die M 100-Expedition ab Mai 1292 NGZ genutzt.

Technische Daten

Besatzung: 600 Personen Stammbesatzung (200 Personen Schiffsführung, 400 Personen für Beiboote und Technik)

Aufbau: 800-Meter-Kugelraumer mit RoRo-Hangar

Antrieb: 2 Metagravtriebwerke (max. Beschleunigung: 1120 km/s², erreichbarer ÜL-Faktor: 75 Mio, Transitionsantrieb (max. Reichweite 1000 Lichtjahre), Gravopuls/Gravojet-Triebwerke und 4 Antigravtriebwerke für Flüge in Planetennähe

Offensivbewaffnung: 8 Drillings-Transformbatterien (jeweils dreimal 2000 Gt), 6 Schwere Zwillings-Transformkanonen (jeweils zweimal 3000 Gt), Obere Transform-Vierlingsbatterie (unbekanntes Kaliber, die Geschützkuppeln sind jedoch größer als bei anderen Transformkanonen des Schiffes), 8 MVH-Drillingsbatterien, weitere Batterien mit MVH-Geschütze, Konstantriss-Nadelpunkt-Kanonen und Intervallkanonen, Raumtorpedos

Defensivbewaffnung: Prallschirm, HÜ- und Paratronschirme, Virtuellbildner, Deflektor

Energieversorgung: 4 interne Hypertrop-Zapfer, 5 Notkraftwerke (NUGAS-Reaktoren, 8 HHe-Meiler)

Beiboote: 8 Space-Jets, Anmerkung: Die Anzahl der Beiboote für die zwei RoRo-Hangars lässt sich nur vage schätzen. Geht man davon aus, dass die Hangars Ausmaße von 700 × 200 × 80 Meter haben, wäre eine Unterbringung von 21 Korvetten pro Hangar kein Problem (aber auch Transport-, Triebwerks- oder Kampfmodule wären möglich)

Besonderheit: 8 Space-Jet Hangars, 2 Roll-on/Roll-off-Hangars


Messier 100

Die Galaxie M 100 liegt 53 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Sie befindet sich im Virgo-Cluster. Sie ist vom Typ her eine Spiralgalaxie.

M 100 ist die Heimat der Dorgonen. Das Kaiserreich Dorgon erstreckt sich über die gesamte Galaxie, die wiederum in einzelne Protektorate unterteilt ist.


2. überarbeitete Auflage


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN-FanZentrale e. V. — Copyright © 1999-2020

Internet: www.prfz.de & www.dorgon.netE-Mail: dorgon@prfz.de

Postanschrift: PRFZ e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Postfach 2352; 76413 Rastatt

— Special-Edition Band 25, veröffentlicht am 18.09.2020 —

Titelillustration: Raimund Peter • Innenillustration: John Buurman

Lektorat: Alexandra Trinley • Digitale Formate: René Spreer