Band 20

Mordred-Zyklus

 

Casino BASIS

Die Mordred greift nach dem Kristallimperium

Ben Calvin Hary

 

Was bisher geschah

Wir schreiben das Jahr 1290 NGZ. Die Zellaktivator-träger sind bis auf Homer G. Adams in den Weiten des Alls verstreut, um gegen Shabazza und seinen Meister zu kämpfen. Da schlägt urplötzlich die Ter-rororganisation Mordred zu und greift diverse Ca-melot–Niederlassungen an. Adams ist zutiefst ver-unsichert und kann wenig gegen die gezielten Atta-cken ausrichten.

Auf Mashratan, einer ehemaligen Kolonie des Sola-ren Imperiums, gelingt es den Camelotern, in Zu-sammenarbeit mit der LFT, der Mordred die erste Niederlage zuzufügen. Zwei Führungspersonen der Terrorgruppe sind tot. Doch die Terrororganisation gibt sich nicht geschlagen und eröffnet mit der Zer-störung der Welt Sverigor mit über zwei Milliarden Lebewesen, deren Administration ihrerseits plante, die Menschheit zu vernichten, eine neue Dimension des Terrors.

Einem weiteren Komplott kommen der Somer Sam und der TLD-Agent Will Dean auf die Spur. Die Mordred greift nach dem Kristallimperium –Angriffspunkt ist das Casino BASIS ...

Hauptpersonen

Sruel Allok Mok – Der Somer findet zweifelhafte Verbündete.

Will Dean – Der TLD Agent will eine Verschwörung verhindern.

Shahira – Die Schimäre treibt doppeltes Spiel.

Romano Nelder – Der fanatische Mashrate will die Schwarze Mirona austreiben.

Imperator Bostich – Der Herrscher des Kristallimperiums ist in Gefahr.

 

 

 

Prolog: capitis absolvere

BASIS

Ein Gedanke brandete durch die Schwärze:

Alles aus. Sie haben uns.

Der Gedanke kehrte immer wieder, wie Wellen an ein Ufer branden. Es gab keine Erinnerung an das Wer, keine Ahnung was zuvor gewesen war. Nur das letzte Bild vor der Ohnmacht – ein greller Lichtblitz, der ihn von den Beinen gefegt hatte. Der Aufprall auf dem Boden. Danach war nur noch Dunkelheit. Finstere, tröstliche Dunkelheit. Sie hatte ihn aufgenommen wie eine schützende Decke.

Komm zu dir.

Wollte er das überhaupt? Nein. Es war gut so, wie es war. Er zog sich tiefer in das Nichts zurück. Machte sich bereit, zu vergehen. Die Erinnerung an den Blitz verblasste.

Komm zurück, du verweichlichtes Federvieh!

Wie unverfroren! Die Unhöflichkeit riss ihn für einen Moment ins Sein zurück.

Moment mal!

Das war gar nicht seine innere Stimme, die da sprach. So hätte er nie mit sich selbst geredet!

Mach die Augen auf.

Etwas war mit einem Mal anders. Ein Brennen fuhr durch seine Adern, und sein Körper wurde ihm wieder bewusst. Oder besser: Ihm fiel ein, dass er überhaupt einen Körper hatte. Zwei Beine, die sich anfühlten, als würden sie sich über hunderte von Metern erstrecken. Zwei Arme, daran verkümmerte Flügelspitzen, die seltsam taub waren und gar nicht zu ihm gehören wollten. Testweise versuchte er, die Krallen zu krümmen. Es gelang ihm nicht. Zumindest nicht merklich. Alles fühlte sich unwirklich an, irgendwie fremd. Und dann wurde ihm klar, woran das lag: Er war gelähmt!

»Nun komm schon zu dir, Somer!«, befahl einmal mehr die Stimme. Sie klang ungeduldig, beinahe genervt. Nein, das war bestimmt nicht sein Gewissen, das ihn anfeuerte. Das hätte nie mit weiblicher Stimme zu ihm gesprochen. Diese Worte waren nicht aus seinem Inneren gekommen, sondern von dicht neben ihm. Die Sprecherin musste direkt bei seinen Hörtrichter knien.

Nach und nach kehrten seine Empfindungen wieder. Seine Füße kehrten aus der unermesslichen Entfernung zurück, in der er sie vermutet hatte. Er spürte den Teppich in seinem Rücken, die Federn, die beim Sturz umgeknickt waren und die sicher bis zur nächsten Mauser ihre Pracht eingebüßt haben würden. Er spürte, wie sie sich sträubten. Ihm war kalt. Vermutlich schon die ganze Zeit. Die Paralyse hatte auch sein Kälteempfinden ausgeschaltet.

Paralyse!

Es war, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser übergekippt. Da war sie wieder, die Erinnerung. Der Lichtblitz – ein Schocker, wie er irrtümlich geglaubt hatte – abgefeuert von einem unsichtbaren Schützen. ESTARTU sei Dank war es wohl doch nur eine Betäubungswaffe gewesen. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild des Angreifers, sein letzter Eindruck vor der Bewusstlosigkeit. Ein Schemen nur, der sich aus einem Deflektorfeld schälte, das Gesicht verzerrt vor Hass.

Und jetzt ist sie direkt neben mir!

Der Somer riss die Augen auf und fuhr in die Höhe, als würde er aus einem Albtraum aufschrecken. Gierig saugte er Luft ein, atmete heftig ein und aus, während er sich umsah. Eine Gestalt lag neben ihm, ein dunkelhäutiger Terraner mit kurzgeschorenem Haar. Der TLD-Agent Will Dean, der ihm zuvor das Leben gerettet hatte. Der Atem des Lemurerstämmigen ging flach, aber er lebte. Paralysiert, wie er selbst es gerade noch gewesen war.

Es dauerte weitere, wertvolle Sekunden, bis der Somer seine Umgebung erkannte: Ein hübsch möblierter Raum mit einer schlichten, trotzdem teuer aussehenden Couch. Der Boden davor war mit Kissen und Decken notdürftig gepolstert, auf dem Couchtisch stand ein leeres Wasserglas. Es war die Suite, welche die Mehandor Kellonda ihm und seinen Begleitern zugewiesen hatte, an Bord der BASIS. Hierher waren sie mit Hilfe der Springerin geflohen, hatten gehofft sich so dem Zugriff der Terrororganisation Mordred zu entziehen. Vergeblich, wie sich herausgestellt hatte.

»Ich dachte schon, du würdest verrecken, Vogelvieh. Sruel Allok Mok, das ist dein Name, nicht wahr?«

Der Somer musste allen Mut zusammennehmen, bevor er sich der Sprecherin zuwandte. Er sah ein katzenartiges Wesen, eine Mischung aus Kartanin und Terranerin. Er kannte sie, war ihr zuvor schon einmal begegnet. Sie war bei dem missglückten Überfall auf den Informationsmakler Sco-Chii dabei gewesen. Will Dean war ihr zudem während seiner Reise durch Monkeys Erinnerungen begegnet, wie dieser ihm berichtet hatte.

»Terranern ist es oftmals genehmer, mich mit Sam anzusprechen«, krächzte er und wunderte sich, wie trocken seine Kehle war. Sehnsüchtig linste er zu dem leeren Glas auf dem Couchtisch. Er hätte einen Schluck Wasser gebrauchen können.

Die Katzenartige fauchte leise, entblößte eine Reihe spitzer Zähne. Beinahe lauernd schaute sie auf ihn herab. In den Händen hielt sie etwas, das er für einen Injektor hielt. Das Brennen in seinen Adern fiel ihm ein. Sie musste ihm eine Substanz eingeflößt haben, etwas, das ihn aus der Betäubung erweckt hatte.

»Mein Name ist Sha-Hir-R’yar. Aber das weißt du bereits«, sagte das Geschöpf.

Sam sträubten sich die Nackenfedern. Diese Stimme hatte etwas an sich, das ihn nervös machte. Hass schwang darin mit, ein unterschwelliger Zorn auf alles und jeden, wie er ihn selten im Kosmos kennen gelernt hatte. Rasch rief er sich Deans Bericht über die Vorgeschichte der Katzenartigen in Erinnerung, wie ihr Herr – Nummer Vier genannt – sie über Jahre hinweg gefoltert und gedemütigt hatte. Er setzte sich gerade hin, seine Benommenheit verflog schlagartig, so als sei er nie ohnmächtig gewesen. Er starrte auf den Injektor. Was für ein Teufelszeug hatte die Angreiferin ihm eingeflößt?

Shahira verzog die Lippen zu einer Art Lächeln. Vielleicht bleckte sie auch die Zähne, Sam war sich nicht sicher.

»Ein kreislaufstabilisierendes Mittel«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Du hattest … körperliche Probleme. Wärest um ein Haar gestorben.«

»Wozu die Wiederbelebung?«, fragte er. »Um mich zu verhören?«

Die Schimäre stieß mehrere kurze, abgehackte Fauchgeräusche aus. Ein Lachen?

»Dir schenke ich das Leben, Somer. Doch den Terraner werde ich töten müssen.«

Sam kniff die Lider zusammen, sah sie fragend an. Etwas passte nicht zusammen. Shahira musste sich schon geraume Zeit vor dem Angriff in der Suite aufgehalten und sein Gespräch mit dem Terraner belauscht haben. Sie wusste, dass sie der Verschwörung um Abteilung Null und Mordred auf der Spur waren. Logisch wäre es gewesen, ihn einfach sterben zu lassen.

Die Felidin steht unter Druck, mutmaßte er. Sonst wäre sie ein geringeres Risiko eingegangen. Er legte den Kopf schräg, versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Sie wich seinem Blick aus, malte mit dem Injektor ungeordnete Muster in den Teppichflor.

»Ich habe dich beobachtet«, hauchte sie, als wäre es ihr peinlich das zuzugeben. »Du hast mich … beeindruckt.«

Der Somer horchte auf.

»Beeindruckt? Wie darf ich dies verstehen? Doch sicher nicht als eine Floskel der Höflichkeit?«

Die Hand mit dem Injektor fuhr hin und her, als dirigierte die Katze ein unsichtbares Orchester.

»Ich kann es spüren. Die Gefühle anderer liegen vor mir wie ein offenes Buch. Und deine sind … vielversprechend.«

Eine Empathin, erinnerte Sam sich. Dean hatte etwas Derartiges erwähnt, nachdem er aus seiner Monkey-Vision erwacht war. Sicher hatte die Angreiferin seine hochstehende, somerische Ethik geespert, die Moral, die ihm seit seinem Schlupftag eingetrichtert worden war. Ob das ein Punkt war, an dem er ansetzen konnte? Vermochte er sie dazu bewegen, sich den Guten anzuschließen? Nervös linste er nach dem mutmaßlichen Schocker. Die Waffe war nirgends zu sehen. Sie musste sie unter ihrer Jacke verborgen haben.

»Sie wissen, dass nicht alle Lemuriden so sind wie jene, die Ihnen all das angetan haben, worüber Will Dean mir berichtete?«

Die Schimäre zögerte. Sie schien zu überlegen.

»Mein Herz sagt nein«, flüsterte sie schließlich. Ihre Finger verkrampften sich um den Injektor.

Sam konnte nicht anders, er wusste, dass das, was er als nächstes sagen würde, seine Bemühung zu Shahira durchzudringen wieder zunichtemachen würde. Aber er musste mit offenen Karten spielen, das war seine Art.

»Und was vermuten Sie, wird als nächstes geschehen, wenn Sie mich verschonen? Denken Sie, dass ich all meine Bemühungen, der Mordred auf die Spur zu kommen, aus Dankbarkeit einstellen werde?«

»Nein«, meinte sie schlicht und fuhr sich über eine Ausbeulung in der Jackentasche. Der Schocker! Sam regte sich nicht.

»Sondern?«

Diesmal gab das Zwitterwesen gar keine Antwort. Mit einem vielsagenden Grinsen erhob sie sich und ging zu dem bewusstlosen Terraner hinüber. Wieder fuhr sie sich über die Jackentasche, spielte mit dem Reisverschluss. Kein Zweifel, sie würde ein zweites Mal auf Dean feuern, diesmal mit tödlicher Dosierung. Sams Gedanken rasten, seine Knie zuckten. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Fluchttrieb zu unterdrücken. Was konnte er tun? Wie diesem kaltblütigen Mord verhindern? Er war kein Kämpfer, das hatte er in den vergangenen Stunden mehr als einmal unter Beweis gestellt. Und wo um alles in der Welt waren seine selbsternannten Leibwächter, Tyler und Japar, wenn er sie einmal brauchte?

Shahira fauchte.

»Er hasst mich, wie auch ich ihn.«

Sam fiel darauf keine Antwort ein. Vermutlich hatte die Schimäre sogar recht: Shahira hatte Celine Ahorne ermordet, aus einer pervertierten Form von Mitgefühl heraus – die Frau, in die Dean sich verliebt hatte. Er wiederum hatte sie aus dem Hinterhalt angegriffen und damit all ihre Vorurteile über die Terraner bestätigt. Trotzdem hakte der Somer nach:

»Wie können Sie sich da derart sicher sein? Sie sind ihm nie in einer Unterhaltung auf Augenhöhe begegnet, vermochten ihn nie kennenzulernen und Ihre Differenzen aus der Welt zu schaffen.«

»Ich kann es spüren.«

Dem war nichts entgegenzusetzen. Sams Beine zuckten. Der Drang, aufzustehen und fortzurennen, den TLD-Agenten mit dieser zerbrochenen, gefährlichen Person hier zurückzulassen, wurde beinahe übermächtig. Er wollte etwas sagen, brachte jedoch nur ein Krächzen hervor. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu.

Noch einmal setzte Shahira dieses unheimliche Lächeln auf. Dann bückte sie sich, setzte dem Terraner den Injektor an den Hals und drückte auf die Auslösetaste. Sofort begannen Deans Lider zu flattern.

»Aber ich spüre auch deine Aufrichtigkeit, Somer«, fuhr Shahira unerwartet fort. »Was immer du und Camelot tut, ihr habt meine Erlaubnis.«

»Ihre … Erlaubnis?«

Shahira nickte, während sie Deans Puls testete. Scheinbar fiel das Ergebnis zufriedenstellend aus. Sie stand auf und ging zur Tür.

»Was ist mit Ihren Auftraggebern? Werden die Sie nicht bestrafen, wenn Sie zurückkehren ohne die lästigen Mitwisser von TLD und Camelot aus der Welt zu schaffen?«

Die Felidin hielt inne, senkte den Kopf.

»Sie wissen nicht, dass ich hier bin. Und falls wir uns je wieder sehen, hat dieses Treffen niemals stattgefunden.«

Während sie sprach, versetzte sie dem Türöffner einen Hieb und schlüpfte auf den Gang hinaus.

Als die Tür sich hinter ihr schloss, hob Will Dean den Kopf. Verwirrt blickte er sich in der Suite um, das Gesicht ein einziges, großes Fragezeichen. Dann sah er Sam.

»Hab’ ich was verpasst?«, fragte er.

 

1. Der große Plan

Dejabay, Raumhafen

An Bord der VERDUN

»Wo bist du, kleines Mistding?«

Cauthon Despair wühlte in seiner Kommode, auf der Suche nach dem winzigen Datenkristall. Ungeduldig riss er die Laken aus der Schublade, schleuderte sie einzeln durch den Raum, und fuhr mit den Händen über jedes freigelegte Betttuch. Der Baumwollstoff war rau, bereitete ihm Schmerzen auf den verbrannten Handflächen. Aber das war zweitrangig. Er brauchte dieses Gerät! Es war winzig, im Dämmerlicht seiner Schlafkabine leicht zu übersehen. Aber er hatte es hier irgendwo versteckt. Es musste irgendwie zwischen zwei der Laken gerutscht sein. Wo hin war es nur verschwunden …?

Hastig packte er eine weitere Lage Stoff und warf sie hinter sich. Er war in Eile. Würde zu spät kommen. Nummer Eins hatte gerufen, und er hatte noch nicht einmal seinen Schutzanzug vollständig angelegt.

»Ah!«

Seine Finger ertasteten etwas Hartes. Der Dorgonenkristall! Endlich!

Despair griff zu. Einen Moment lang starrte er das Geschenk von Nersonos an, das dieser ihm bei ihrer letzten Begegnung unbemerkt zugesteckt hatte. Dann steckte er ihn in eine der taschenartigen Ausstülpungen, mit denen sein Überlebensanzug ausgestattet war, und warf die Schublade zu. Heute war es vielleicht so weit, dass er eine Verwendung dafür haben würde.

»Servo, Uhrzeit?«, befahl er, während er seine Handschuhe von der Kommode nahm und sie überstreifte. Das Medoplast-Material fühlte sich angenehm an, kühlte seine Brandnarben. Ah!

»Siebzehn Uhr Neunundzwanzig Terrania Standard. Dein Termin findet in einundzwanzig Minuten statt.«

Die Manschettenverschlüsse der Handschuhe rasteten in ihren Halterungen ein. Zweimal klickte es leise, dann packte er den Helm, den er bislang erfolgreich ignoriert hatte. Mit leerem Blick schaute er in das reflektierende Visier. Ein Spiegel, dem er nie entkommen konnte. Den er immer bei sich trug. Er schluckte. Das, was da aus dem Glas zurückstarrte, war schwer als Gesicht zu erkennen: eine vernarbte, hässliche Fratze. Nicht die eines Extraterrestriers. Sondern die seine.

»Bist du’s oder bin ich’s nicht?«

Einige Sekunden lang verharrte er in dieser Stellung, dann endlich gab er sich einen Ruck und stülpte den Helm über. Sofort reagierte der Pikosyn des Anzugs und stellte die Versiegelung her. Despair hörte ein saugendes Geräusch, als die Sauerstoffversorgung einsetzte und die Überlebenssysteme hochfuhren. Spätestens jetzt war er vollkommen isoliert, hatte seine Überlebenskleidung sich in einen Ein-Mann-Mikrokosmos verwandelt. Mit der Außenwelt war er nur noch verbunden durch das, was das Helmdisplay auf die Innenseite des Visiers projizierte, und die Geräusche die die Außenmikrofone übertrugen. Die Technologie basierte auf dem terranischen Standard-SERUN, doch ihre Aufgabe war eine andere. Der Anzug hielt seinen Träger nicht nur am Leben, er hielt ihn auch gefangen. Und er verbarg, was immer an schrecklichem sich darin verbarg, vor allen anderen. Ein SERUN aus der Hölle, dachte der Terraner bitter.

Wenige Augenblicke später hatte Despair sein Quartier verlassen und eilte zum Hangar. Er ließ sich von der Antigravfunktion durchs Schiff tragen und schaffte es so, einen guten Teil der verlorenen Zeit wieder aufzuholen. Im Hangar verzichtete er darauf, eine Space Jet zu besteigen, sondern glitt durch die offenstehende Schleuse und über das Landefeld des Raumhafens hinweg. Er erreichte den Stützpunkt der Verschwörer binnen vier Minuten, passierte eine Reihe automatisierter Sicherheitsschleusen, und durcheilte die Station auf die gleiche Weise, wie er zuvor die VERDUN durchquert hatte.

Dann, endlich, erreichte er den Sitzungssaal. Der Pikosyn projizierte die Uhrzeit auf das Helmdisplay: 17:55 Uhr. Nur fünf Minuten Verspätung! Sein Herz klopfte wie wild, der Anzug injizierte ihm ein kreislaufstabilisierendes Mittel. Sofort beruhigte sein Puls sich etwas.

»Schauen wir mal, was es mit deinem großen Plan auf sich hat, Rhifa Hun«, murmelte er, mehr zu sich selbst, als er den Türmechanismus betätigte und das Schott vor ihm auseinander glitt.

Vor ihm tat sich ein länglicher Raum auf, spärlich möbliert und mit trostloser, zweckmäßiger Einrichtung. Dominiert wurde sie von einem langen Tisch, der beinahe so lang und fast ebenso breit war wie der ganze Konferenzraum. Unwillkürlich fragte sich Despair, wie man ihn in dieses Zimmer bekommen hatte – zwischen Tischkante und Wand blieb gerade genügend Platz für zwei Stuhlreihen. Alles an diesem Raum wirkte provisorisch, auf die Schnelle eingerichtet. Kein gutes Zeichen, fand Despair und tastete nach dem Dorgonenkristall in der Anzugtasche. Gar kein gutes Zeichen.

Wie er es erwartet hatte, war er der Letzte. Die restlichen Mordred-Führer waren bereits anwesend – diejenigen, die noch am Leben waren. Mit sich selbst zählte er sieben Personen. Nummer Fünf und Nummer Sieben waren tot, gefallen im Kampf für die Mordred. Nummer Vier, so hatte er gehört, hielt die Stellung auf der BASIS. Sein Stuhl war ebenfalls leer. Eigentlich hätte er per Hologramm zugeschaltet sein müssen, doch offenbar war ihm etwas dazwischen gekommen. Cauthon fragte nicht nach. Im Grunde war es ihm gleich.

»Sie sind zu spät«, giftete ihn jemand anstelle einer Begrüßung an, kaum hatte er den Fuß in die Kammer gesetzt. Ein Arkonide. Seine Stimme troff vor Gehässigkeit. Cauthon kannte ihn als Eron da Quertamagin, oder Nummer Neun, und es war nicht das erste Mal, dass sie aneinander gerieten.

Du aufgeblasener Fatzke!

Er setzte zu einer Entgegnung an, überlegte es sich dann aber doch anders und schwieg. Stattdessen zog er den Kristall aus der Tasche, ließ ihn durch die Finger gleiten. Was hatte es für einen Wert, mit diesem Debilen zu diskutieren?

»Er ist gerade noch pünktlich«, sagte Rhifa Hun. Die Nummer Eins der Mordred saß am Kopf der Tafel, der einzige Platz der zumindest etwas Raum zur Wand hin bot, und deutete auf den freien Stuhl zu seiner Rechten. Despair nickte ihm zu, mit gespielter Dankbarkeit, und quetschte sich hinter ihm vorbei. Es passte ihm nicht, dass Nummer Eins ihn in Schutz nahm, aber bei diesem Haufen verbitterter Revisionisten … Vermutlich wären sie ihm ohne die Protektion des Anführers schon lange an die Gurgel gegangen. Und danach sich wohl gegenseitig. Sein Blick schweifte über die Versammelten. Es war riskant, sie alle an einem Ort zu versammeln. Rhifa Hun musste gewichtige Gründe dafür haben.

Jetzt eine Thermogranate in diesem Raum gezündet, und der ganze Moloch ist kopflos. Die Mordred würde Auseinanderfallen wie ein Bündel loser Schnüre. Eine Hydra war ungefährlich, wenn jeder nachwachsende Kopf in eine andere Richtung strebte.

Es dauerte, bis sich Despair endlich an seinen Platz gequetscht hatte. Der Anzug war klobig und schränkte seine Beweglichkeit ein, hinderte ihn mehr als dass er ihn unterstützte. Als er sich endlich auf den Stuhl gleiten ließ, hätte kein Blatt Papier mehr zwischen den Brustteil des Höllen-SERUN und den Rand der Tischplatte gepasst. Er schluckte seinen Ärger herunter. Wer immer ausgerechnet diesen Raum für die Besprechung ausgesucht hatte, wollte ihn ärgern. Sein Zustand war in der Organisation ausreichend bekannt. Vorsichtig schob er den Tisch ein Stück von sich, was ein wütendes Knurren von dem Mann an der gegenüberliegenden Tischseite auslöste: Ben Trayir, Ertruser, offiziell die Nummer Acht der Organisation. Mit über dreieinhalb Metern Körpergröße war er ein Hüne, selbst für einen Angehörigen seines Volkes. Der Mann neben ihm, ein Ara namens Oran Tazun, nahm sich gegen ihn aus wie ein vertrockneter Ast. Verblüffend, dass er überhaupt in den Spalt passte!

»Nun da wir vollzählig sind: Warum sind wir hier?«, fragte Trayir, als Despair endlich saß, und rückte den Tisch wieder an seine ursprüngliche Stelle. Die Kante knallte gegen Despairs Brust mit einer Wucht, die ihm ohne den Anzug sämtliche Rippen gebrochen hatte. Jemand kicherte verhalten.

Ein spöttisches Grinsen lag auf Rhifa Huns Mundwinkeln. Es war selbst durch das Zerrfeld zu erkennen, welches sein Gesicht nur schemenhaft darstellte. Nur wenige kannten die Identität von Rhifa Hun. Despair gehörte dazu. Ebenso Oberst Kerkum. Mit ruhiger, wenn auch etwas heiserer Stimme trug Rhifa Hun vor:

»Ich werde Ihnen allen einen Plan unterbreiten, Nummer Acht. Einen Plan, der uns unseren Zielen erheblich näher bringen wird.«

Er warf dem Arkoniden Eron da Quartermagin einen merkwürdigen Blick zu. Hätte Despair es nicht besser gewusst, hätte er es für einen Flirtversuch gehalten. Oder war es möglich, dass die beiden …

Theatralik!, brachte eine innere Stimme ihn zur Ruhe. Lass dich nicht beeinflussen.

Der Führer der Organisation schnippte mit den Fingern, und ein Hologramm entstand vor ihm in der Luft. Während Despair sich noch wunderte, wo der Projektor versteckt war, erkannte er die Darstellung eines Raumschiffs, geformt wie eine Schildkröte. Die Hülle schimmerte rötlich. Es war eine der bekanntesten Formen der terranischen Raumfahrt: Die BASIS.

»Nummer Vier befindet sich zur Zeit in meinem Auftrag an Bord des ehemaligen terranischen Fernraumschiffes, um dort einen großen Coup für uns vorzubereiten.«

»Das wissen wir schon«, fuhr der Mehandor Horarch genervt dazwischen. Er zeigte auf den leeren Platz von Nummer Vier. »Sie haben uns nur noch nicht gesagt, warum.«

»Die BASIS ist ein Kasino. Ein Ort des Vergnügens, aber auch der Zusammenkunft und der Diplomatie. Geschäfte werden hier gemacht. Und große Politik.«

»Wir brauchen niemanden, der uns Terrapedia-Einträge rezitiert«, hakte wieder der Ertruser ein. Seine Aufmüpfigkeit irritierte Despair. War es nur der Zorn über den schlechten Sitzplatz? Warum ließ Nummer Eins sich das gefallen?

Rhifa Hun nickte nachsichtig.

»Was bis vor kurzem nicht in den galaktischen Datennetzen stand, ist, dass sich ein hoher Besucher angekündigt hat. Einer, der, wie schon angedeutet, uns und unseren Plänen nützlich sein kann.«

Quertamagin rutschte auf seinem Sitz hin und her, trommelte in offensichtlicher Nervosität mit den Fingern auf dem Tisch. Kein Zweifel: Welchen Plan Nummer Eins auch verfolgte, der Arkonide spielte eine Rolle darin. Vorsichtshalber tippte Despair auf den Sensor, der in der Oberseite des Dorgonen-Kristalls eingelassen war. Was sich gleich in diesem Raum abspielte, mochte sich als wichtig erweisen. Heimlich und von allen unbemerkt nahm das Gerät seine Arbeit auf: Es würde jedes Wort, jede Geste der Versammelten aufzeichnen und für alle Zeiten festhalten. Wertvolles Beweismaterial, konserviert für die Ewigkeit.

»Ich warte«, sagte Ben Trayir lauernd und beugte den Oberkörper vor. Der Tisch wurde noch einmal gegen Despairs Oberkörper gepresst, klemmte ihn völlig ein. Er bildete sich ein, das Holz knirschen zu hören. Ohne den Anzug wäre ich spätestens jetzt tot, machte er sich klar.

Dann ließ Nummer Eins die Bombe platzen:

»Der Gast, auf den wir alle warten ist niemand geringeres als seine tausendäugige Erhabenheit, Imperator Gaumarol da Bostich der Erste.«

Wenn Rhifa Hun sich einen besonderen Effekt von seiner Eröffnung erhofft hatte, blieb der aus: Die Verschwörer zeigten sich unbeeindruckt. Der Mehandor Horarch pulte sich gelangweilt den Dreck unter den Fingernägeln hervor.

Der Anführer ließ sich keine Enttäuschung anmerken. Er setzte eine verschwörerische Mine auf, wirkte absolut selbstsicher.

»Sicher muss ich niemandem erklären, was das für unsere Pläne bedeutet.«

»Doch. Mir.«, bemerkte Nummer 10, der Ara, mit einem bezeichnenden Seitenblick auf da Quertamagin. Der Arkonide schien mit jeder Sekunde unruhiger. Inzwischen rutschte er auf seinem Stuhl hin und her wie ein quengeliges Kleinkind, und Despair war kurz davor ihm den Weg zum Klo aufzuzeigen. In letzter Sekunde unterdrückte er den Impuls. Es wäre dem Ernst der Lage unangemessen gewesen … was auch immer die Lage war. Er hasste es, dass Hun sie derart zappeln ließ. Außerdem gefiel ihm die Richtung nicht, in die dieses Gespräch driftete. Er beschloss, die Vorlage des Aras zu nutzen.

»Mir ebenfalls«, warf er zaghaft ein. »Bostich ist ein großer Mann. Er hat ein marodes, zerfallendes Sternenreich übernommen und es binnen kürzester Zeit wieder zu alter Größe geführt. Ist das nicht genau das, was sich die Mordred für das Solare Imperium wünscht?«

Nummer Eins schüttelte tadelnd den Kopf, wie ein Vater seinem Kind gegenüber, dann holte er tief Luft und stützte den Kopf auf sein Handgelenk.

»Ihr habt recht, Nummer Zwei. Er ist der richtige Mann, steht aber auf der falschen Seite. Und damit ist er unseren Plänen im Weg. Er muss ersetzt werden.«

»Ihr wollt ihn töten«, stellte Despair nüchtern fest. Es überraschte ihn nicht, nicht nach den Ereignissen auf Sverigor. Ein lächerlicher, pathetischer Plan wie dieser passte zur Mordred. Er seufzte. Cau Ton hatte recht gehabt, die Erkenntnis war in den letzten Tagen und Wochen allmählich in ihm gereift. Die Mordred war nicht das richtige Mittel zur Erreichung seiner eigenen Ziele.

Da Quertamagin konnte nicht mehr an sich halten. Die Unruhe ging mit ihm durch, es war ihm deutlich anzusehen. Aufgeregt platzte er heraus: »Wäre es nicht besser, einen Mann an der Spitze des Gos Tussan zu wissen, der in unserem Sinne handelt? Jemand, der dem wiedererstandenen Solaren Imperium den Weg bereitet?«

»Sie meinen … jemand wie Sie, Nummer Neun?«

Despair verstand. Die ganze Nervosität des Mannes, überhaupt, warum ein Arkonide von Adel sich einer Bewegung anschloss, deren Ziel es war seinen eigenen Staat zu assimilieren. Dieser Kerl strebte nicht nach einem höheren Ziel, sondern nur nach persönlichem Machtgewinn. Nach dem Aufstieg zum Imperator. Womöglich glaubte er sogar, sich danach der Mordred heimlich entledigen zu können. Despair schloss die Augen. Einen schönen Haufen gieriger und verbitterter Subjekte hatte Rhifa Hun da um sich versammelt!

Bin ich wirklich einer von denen? Will ich das sein? Der Gedanke beunruhigte ihn.

Der nächste Ausspruch von Quertamagin machte es nicht besser:

»Die Mordred verfolgt ihre Ziele mit strikter Konsequenz. Was unseren Plänen im Weg ist, wird weggeräumt. Egal, ob der Widerstand von außen kommt« – er fixierte den jungen Terraner listig – »oder von innen.«

Das war eine offene Drohung. Despair war in dieser Sekunde froh, dass das silberne Visier seines Überlebensanzuges sein Gesicht verbarg. Es machte sein Antlitz zu einer Maske, zeigte weder Furcht noch Unsicherheit. Beides hätte ihm im Augenblick schlecht zu Gesicht gestanden. Deine Einwände werden hier nicht gerne gehört.

Was für Kreaturen hatte er sich da angeschlossen? Cau Thon hatte ihn schließlich gewarnt! Er hatte nicht hören wollen. Gedankenverloren spielte er mit dem winzigen Speicherkristall. Ein Glück, dass die Dorgonen ihm dieses feine Stück Technik zur Verfügung gestellt hatte. Ein Aufzeichnungsgerät. Erstklassiges Beweismaterial, dachte er grimmig. Die Frage war nur, wem er es zuspielen würde. Wer hatte die Macht, dieses lächerliche Attentat zu verhindern?

»Mich interessiert die Rolle von Nummer Vier«, intervenierte Nummer Zehn, das Kinn auf die wie zum Gebet gefalteten Fingerspitzen gestützt. Despair atmete unhörbar auf, als die Aufmerksamkeit sich dem Ara zuwandte. Das gab ihm Zeit, sich eine Gesprächstaktik zurecht zu legen.

»Das ist doch offensichtlich«, höhnte da Quertamagin. Er schien die Führung der Sitzung übernommen zu haben, und Rhifa Hun gewährte ihm seinen Auftritt. »Er ist unsere Kontaktperson, die Exekutive vor Ort. Er wird das Attentat planen und ausführen.«

Despair spielte weiter mit dem Dorgonen-Kristall. In Gedanken war er bei Nummer vier. Was wusste er über den Mitverschwörer, das hilfreich sein mochte?

Nicht viel, stellte er ernüchtert fest. Nur, dass er ein fetter Arkonide hohen Adels war. Ein Landsmann da Quertamagins. Und jemand, der selbst Aspirationen auf den Kristallthron haben dürfte.

Das Visier verbarg Despairs düsteres Grinsen. Ob Nummer Vier klar war, was das Ziel der Übung war? Dass er selbst die Grundlage für seine Abservierung schaffen sollte? Vielleicht konnte er die beiden gegeneinander ausspielen, Nummer Vier und da Quertamagin …  Das mochte ein lohnenswerter Ansatz sein. Despair behielt den Datenkristall in den Händen, hoffte, weiteres, nützliches Material zusammentragen zu können.

Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Die restliche Konferenz plätscherte vor sich hin: Berichte über ein gescheitertes Attentat hier, Beschwerden über Nachschubprobleme dort. Den terroristischen Hintergrund einmal außer Acht gelassen – eine langweilige Vorstandssitzung, wie sie in jedem Konzern hätte stattfinden können. Anderthalb Stunden lang saß er still am Tisch, bemüht, nicht ebenfalls nervös hin und her zu rutschen, wie Nummer Neun es getan hatte, und so den Ertruser weiter gegen sich aufzubringen.

Schließlich hielt es ihn nicht mehr auf dem Sitz. Kaum hatte Nummer Eins die Sitzung beendet, quetschte er sich aus der Klemme, ohne auf Trayirs Protest Rücksicht zu nehmen, und verließ fluchtartig den Saal. Die irritierten Blicke der anderen Verschwörer ignorierte er. Er hatte einen Entschluss gefasst.

Wie kontaktiere ich Nummer vier?

Auf dem Weg zurück zur VERDUN dachte er darüber nach. Er hatte keine Ahnung, unter welchem falschen Namen der Arkonide auf der BASIS untergekommen war, geschweige denn wie er wirklich hieß. Er würde über einen Mittelsmann gehen müssen. Jemanden aus dem Umfeld von Nummer vier, den er kannte, dem er traute.

Shahira, fiel ihm plötzlich ein. Das Katzenwesen würde ein offenes Ohr für seine Pläne haben. Seit er ihr auf Sverigor begegnet war, hatte er eine verwandte Seele in ihr erkannt. Ein Wesen mit demselben Ziel wie er selbst:

Rache.

 

2. Konspiration

BASIS

Der Nachtzyklus war bereits weit fortgeschritten, als Shahira von einem schrillen Geräusch geweckt wurde. Sie fuhr von ihrem Lager hoch und lauschte. Der Interkom? Den hatte sie doch abgeschaltet!

Die Schlaftrunkenheit verflog, sie warf die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Etwas war faul. Das Sprechgerät hatte sich von alleine eingeschaltet, und das konnte nur eines bedeuten: Jemand aus der Organisation verlangte nach ihr. FENCE, jenes Spionprogramm, das der Mashrate Nelder in die Bordsyntronik der BASIS eingeschleust hatte, machte es möglich. Mit einem unguten Gefühl rieb sie sich das Fell aus den Augen.

»Gespräch annehmen«, rief sie in die Dunkelheit. Der Syntron bestätigte mit einem Zirpen. Ein Hologramm entstand vor ihrem Bett, nur einen halben Meter hoch, verwaschen und voller Störungen. Das Signal schien schwach. Der Qualität nach zu urteilen kam es nicht von Bord, nicht mal aus der unmittelbaren Nähe der BASIS.

Ein Interkom mit Holoprojektor? Nahm das Gerät auch auf? Shahira runzelte die Stirn, schamhaft zog sie sich die Decke über die nackten Brüste. Es wurde immer merkwürdiger. Wie hatten Eykes Leute diese Technik ohne ihr Wissen hier installieren können? Wurde sie überwacht, ahnten ihre Mitstreiter etwas von ihrem heimlichen Besuch bei dem Somer und seinem terranischen Gehilfen? Fieberhaft suchte sie nach einer Ausrede, falls das Gespräch auf ihren Ausflug kommen sollte.

Endlich stabilisierte sich das Holo, und das geschrumpfte Abbild eines Mannes stand vor ihr. Offenbar reichte die Auflösung des nachträglich installierten Projektors nicht aus, um eine größere Version zu erstellen. Keine siganesische Spitzentechnologie, eher ein Billiggerät aus dem Heimanwendermarkt.

Der Anrufer war ganz in einen Schutzanzug gehüllt, der sich wie eine silberne Rüstung ausnahm. Das Gesicht war nicht zu erkennen, ein Helm bedeckte es, von der gleichen Silberfarbe wie der restliche Anzug.

Cauthon Despair!

Shahiras Herz machte einen Satz, ihre Glieder fühlten sich kalt an. Bis zur Nummer Zwei der Mordred war ihr Verrat also durchgedrungen?

»Shahira«, sagte das Hologramm.

Das Katzenwesen antwortete nicht. Shahiras Kehle war mit einem mal wie ausgedörrt, jeder Atemzug fühlte sich an als würde sie ihren Rachen mit Sandpapier ausreiben. Gleichzeitig brach ihr der Schweiß aus. Ausgerechnet Despair. Chefsache.

»Ich hoffe, ich wecke Sie nicht. Ich weiß, wie spät es auf der BASIS ist.«

Wieder gab sie keine Antwort, sondern zog die Decke noch ein Stück höher. Unwillkürlich fletschte sie die Zähne, bis ihr klar wurde wen sie da anfauchte. Noch immer war ihr keine Erklärung für den Ausflug eingefallen, aber wenigstens konnte man mit Despair reden … hoffte sie zumindest. Die Ereignisse auf Sverigor fielen ihr ein. Er war einer der wenigen Angehörigen seiner Spezies, zu dem sie je so etwas wie Vertrauen gefasst hatte. Vielleicht konnte sie auf die gemeinsamen Erfahrungen aufbauen. Einen Weg zu ihm finden. Versuche, Vertrauen zu signalisieren, sagte sie sich und ließ die Bettdecke ein wenig sinken. Wie zufällig entblößte sie dabei ihre linke Brust und tat so, als würde sie es nicht bemerken.

»Ich habe geschlafen«, gab sie mit heiserer Stimme zu, nicht um sich zu beklagen, sondern weil ihr nichts Besseres einfiel. Hoffentlich kam der Terraner gleich zum Punkt. Sie hatte die Psychospielchen der Mordred-Führer so satt.

Despair tat ihr den Gefallen, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Stockend, beinahe schüchtern, begann er:

»Niemand weiß, dass ich Sie kontaktiere. Und niemand darf es wissen.«

Oh! Damit hatte sie nicht gerechnet. War ihr Ausflug doch unbemerkt geblieben? Sieht so aus, als hätten wir beide unsere Geheimnisse, Cauthon Despair, überlegte sie und sagte laut:

»Dann wird es auch niemand erfahren.«

»Gut. Tragen Sie ein Datenaufzeichnungsgerät bei sich? Was ich Ihnen nun liefere darf in keinem syntronischen Massenspeicher landen. Das FENCE-Programm habe ich via Remote angewiesen, nichts zu protokollieren. Unsere Verbindung ist sicher.«

Sie überlegte kurz.

»Der Pikosyn meines SERUN dürfte sich als Speicher eignen, wenn ich die Netzwerkfunktionalität kappe.«

Sie stand aus dem Bett auf, ließ das Laken gänzlich herab gleiten und eilte zum Wandschrank. Normalerweise diente er den Kasinogästen als Garderobe, doch gleich nach ihrer Ankunft hatte sie ihn zu einer Art Waffenlager umfunktioniert, in dem die von der Mordred an Bord geschmuggelten Gerätschaften lagerten. Die Organisation hatte einen Freund bei der Bordsicherheit, der dafür gesorgt hatte, dass Sicherheitskräfte vor ihrem ›persönlichen Eigentum‹ halt gemacht hatten.

Shahira nahm den SERUN von seinem Ständer. Mit wenigen Handgriffen löste sie die Recheneinheit, machte die entsprechenden Einstellungen um ihn vom Netzwerk zu entkoppeln, und kehrte ins Schlafzimmer und zu dem winzigen Despair-Avatar zurück. Vor ihm ging sie in die Knie und hob den ausgebauten Pikosyn in die Höhe. Der Mini-Despair nickte zufrieden und streckte seinerseits die Hand aus. Darauf, glaubte sie zu erkennen, lag ein Gegenstand. Es musste ein Speicherkristall sein, auch wenn sie das Fabrikat nicht kannte.

»Das wird reichen. Der Datensatz, den ich Ihnen überspiele, enthält Dinge, die Ihren Vorgesetzten interessieren könnten, sowie den Deaktivierungscode der Schutzschirme der VERDUN. Ich weiß, dass Sie weise damit umgehen werden.«

*

»Quertamagin? Ausgerechnet?«

Nummer Vier hatte Schaum vorm Mund, und das obwohl er am Essen war. Shahira war vor ihrem Herrn auf alle Viere gegangen, wie dieser es ihr beigebracht hatte. Nun wich sie von dem Esstisch zurück, an den der fette Arkonide sich gepflanzt hatte um sein Abendessen in sich hinein zu stopfen: Ein ganzer, terranischer Rinderbraten. Auf einer Randwelt hätte sich davon eine ganze Familie ernähren können.

Seine Reaktion verwirrte sie; Dass er sich so sehr über den Inhalt des Pikosyn-Speichers echauffieren würde, hatte sie nicht erwartet. Ob Nummer zwei tatsächlich ihn im Sinn gehabt hatte als er sie gebeten hatte, weise mit den Informationen umzugehen?

Dem Arkoniden gegenüber saß schweigend der Mashrate Romano Nelder und sah diesem angewidert beim Essen zu. Er selbst hatte keinen Teller vor sich – offenbar war er ebenfalls hereingeplatzt, als der Fette schon am Essen gewesen war. Shahira hatte sie unterbrochen, bei was auch immer es war, dass sie miteinander hatten besprechen wollen. Den Emotionen nach zu urteilen, die sie von Nelder nach Betreten des Raumes empfangen hatte, war es um sie gegangen.

»Hat es dir die Sprache verschlagen? Ist dieser Informant von dir überhaupt zuverlässig?«

Nachdenklich starrte sie auf die Holografische Darstellung, die zwischen ihr und Nummer Vier in der Luft hing. Es war ein Standbild und zeigte einen winzigen Sitzungsraum, darin ein viel zu großer Tisch, an dem mehrere Leute saßen. Unter ihnen waren Despair und Rhifa Hun. Nummer Vier hatte die Wiedergabe pausiert, nachdem der holographische Rhifa Hun seinen ›großen Plan‹ verkündet hatte. Die Perspektive des Bildes war seltsam verzerrt, als würde es sich um eine interpolierte Darstellung handeln. Was vermutlich der Fall war. Schließlich war das Aufzeichnungsgerät der winzige Kristall, mit dem Despair in der Aufnahme spielte. Sie behielt dieses Wissen für sich. Das fette Scheusal würde sich verraten, dachte sie, und sie würden Despair auf die Schliche kommen.

»Da Quertamagin soll der neue Imperator des Arkonidenreiches werden. Das sagt die Information, Zhdopanthi, die mein … Informant mir zugestellt hat.« Während sie antwortete, beugte sie sich ein wenig tiefer, vorsichtig darauf bedacht, ihm nicht in die Augen zu sehen, auch nicht versehentlich. Er mochte das als Aggression auslegen. Sie wusste, wozu dieses Ekel fähig war. Voller Schauder dachte sie an ihre Zeit auf dem Asteroiden AX823P zurück, an seine Annährungsversuche, wie er sie berührt hatte, gegen ihren Willen …

»Welcher Informant?«, fragte Nelder listig und verschränkte die Arme. Es war das Erste, was er sagte, seit sie den Raum betreten hatte. Sie sah zu ihm auf und fauchte leise. Hass stieg in ihr auf. Dieser widerliche Mörder genoss es, sie unterwürfig zu sehen.

Mit einem Wink brachte Nummer Vier den Mashraten zum Schweigen.

»Wen interessiert das?«, antwortete er kauend. »Viel wichtiger für mich: Warum wählt Hun diesen opportunistischen Schnösel? Warum nicht jemand … passenderes?«

Oh?

Shahira versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte seine Wut völlig falsch eingeschätzt! Ihm ging es nicht um den Verrat, der in den Reihen der Mordred-Führung begangen worden war. Nicht darum, wer die Aufzeichnung auf welche Weise von Dejabay weg geschmuggelt hatte. Es war viel einfacher.

Eifersucht!, erkannte sie.

»Ich verstehe nicht recht, Zhdopanthi«, stellte sie sich dumm, versuchte ihm weitere Informationen zu entlocken. Hatte sie einen fatalen Fehler gemacht, indem sie ausgerechnet ihrem Peiniger die Informationen ausgehändigt hatte?

»Natürlich nicht, du dummes, minderwertiges Geschöpf.«

Vermutlich hatte das süffisant klingen sollen, doch die Wut verzerrte seine Stimme. Unwillkürlich fuhr sie die Krallen ein Stück aus, jene messerscharfen Mordwerkzeuge, mit denen die Genetiker sie ausgestattet hatten. Sie schämte sich für den Reflex.

Warum habe ich solche Angst vor dir, fettes Scheusal? Ich könnte dich mit einem Handstreich töten …  Sie versteckte die Hände hinter dem Rücken. Hoffentlich hatte er nichts davon bemerkt.

Doch der Arkonide war zu sehr in seinen Wutanfall vertieft, um seiner Sklavin viel Beachtung zu schenken. Mit beiden Händen nahm er den Braten vom Teller und biss hinein. Wütend kaute er das Fleisch, als sei es der Gegner. Soße troff aus seinen Mundwinkeln und lief über seine Kleidung.

»Ich bin der bessere Kandidat, du Katzenhirn. Ich sollte auf dem Kristallthron sitzen, nicht dieser Schlamm-Aal.«

Die Schimäre senkte den Kopf noch ein wenig tiefer. Beinahe berührte ihre Stirn den Teppich.

»Verzeihen Sie, Zhdopanthi. Das habe ich nicht erkannt.«

»Natürlich nicht«, sagte er und legte den Braten vor sich ab, um sich eine Fleischfaser zwischen den Zähnen heraus zu pulen. Das tat er immer wieder zwischen zwei Bissen, und jedes Mal war Shahira beinahe froh, dass es ihr untersagt war, ihn direkt anzusehen. Seine Tischmanieren waren abstoßend. Sein ganzes Gebaren.

Beinahe versöhnlich fuhr er fort: »Du kannst nichts dafür. Die Aras haben dir einfach kein größeres Hirn gegeben. Wozu auch?«

»Danke für Ihr Verständnis, Zhdopanthi«, bedanke sie sich artig für die neuerliche Demütigung. Ihre Krallen wuchsen noch ein Stück in die Länge, sie konnte es nicht verhindern.

»Lass es mich dir erklären, meine minderbemittelte Freundin«, sagte der Arkonide, während er sich mit der Zungenspitze die gelöste Fleischfaser vom Finger leckte. »Bostich muss weg, da hat Nummer Eins recht. Aber Da Quertamagin ist ein gemeiner Essoya, verglichen mit mir. Ich bin von höchstem Adel, ein Musterbeispiel von Anmut und edlem Gemüt.« Die Bratensoße tropfte von seinem Kinn, während er das sagte. Einen Sekundenbruchteil vergaß Shahira sich, blickte dem Arkoniden direkt ins Gesicht. Zum Glück starrte er gerade verträumt an die Decke. Wie hatte der Fettsack seinen Konkurrenten genannt? Einen opportunistischen Schnösel? Sie fragte sich, ob Nummer Vier die Ironie in seinen eigenen Worten überhaupt bewusst war.

»Nummer Eins muss einen Grund gehabt haben, Sie zu übergehen, Edelster«, schmeichelte Nelder dem Arkoniden, doch seine Mine hatte gar nichts Unterwürfiges. Noch immer saß er zurückgelehnt auf seinem Stuhl, die Arme ineinander verschränkt, und musterte seinen Vorgesetzten abschätzig. Shahiras Fell sträubte sich, sie spürte die Gefahr. Etwas ging in dem Mashraten vor, etwas, das weder für sie noch für das Fette Scheusal gutes bedeutete. Sie musste vorsichtig sein.

»Ich muss in Ungnade gefallen sein«, murmelte Nummer Vier, starrte dabei weiter an die Decke. Shahira sah ein verräterisches Glitzern in seinen Augenwinkeln. Waren das Tränen?

»Ja«, erwiderte der Mashrate, gefährlich langsam. »Ich frage mich, warum. Und was wohl mit Ihnen geschieht, sobald Da Quertamagin erst zum Imperator geworden ist.«

Er plant den Verrat! Plötzlich war Shahira sich sicher. Darum also die aufgekratzte Stimmung, die ihr Parasinn von ihm empfangen hatte!

Nummer Vier hatte wieder den Braten in der Hand, knabberte lustlos daran. Er schien mit einem Mal den Appetit verloren zu haben. Mit vollem Mund sagte er:

»Was für eine überflüssige Frage! Aus dem Weg räumen wird er mich natürlich. Ich wäre zu gefährlich. Mit dem was ich weiß … und mit meiner Wut auf ihn.«

»Sie sind ein kluger Mann, Zhdopanthi«, gab Shahira ihm Recht. Sie musste sein Misstrauen aufbauschen, zu viel hing davon ab. »Der Informant übergab mir auch einen Code. Mit ihm lassen sich die Schutzschirme der VERDUN deaktivieren. Vielleicht können wir das zu unserem Vorteil nutzen.«

»Das ist eine Ungeheuerlichkeit!«

Neler explodierte förmlich, kaum unterdrückte Wut verunstaltete sein Gesicht. Die Empathin spürte seinen Zorn, als sei es ihr eigener. Seine Blicke durchbohrten sie, er gestikulierte wild in ihre Richtung, als würde er in Gedanken seinen Yekjab halten und sie damit bestrafen. »Sie werden doch nicht auf den dummen Ratschlag dieser schwarzen Mirona hören!«

»Und warum nicht?«, gab der Arkonide sich interessiert. »Aus Loyalität meinen werten Mitverschwörern gegenüber?«

»Nun–«

»Loyalität zu Leuten«, sprach der Fette weiter, »die soeben feierlich beschlossen haben, mich abzuservieren?« Anklagend zweigte er auf das pausierte Hologramm. Der Mashrate antwortete nicht. Sein Mund stand offen, immer wieder sah er zwischen Shahira und Nummer Vier hin und her. Schade, dass sie keine vollwertige Telepathin war! Wie gern hätte sie sich jetzt an seinen panischen Gedanken ergötzt.

»Höchstedelster!«

Romano Nelder sprang aus seinem Sitz, beugte sich tief vor und ballte die Faust. Seine Körpersprache strafte die vornehme Anrede Lügen. Der Arkonide rollte die Augen.

»Danke, junger Mann. Sie können gehen.«

In Nelders Gesicht arbeitete es. Einen Moment lang sah es aus, als würde der Mashrate sich vergessen, als wollte er dem fetten Scheusal an den Hals springen. Er fühlte sich betrogen, wie Shahira mittels ihrer Psi-Kräfte deutlich spürte, betrogen um seinen Triumph über sie. Die Abscheu, die er ihr entgegen brachte, lähmte sie fast, raubte ihr den Atem.

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, richtete der junge Mann sich stocksteif auf und strich seine Kutte glatt. Sein Gesicht wurde wieder ausdruckslos, und wäre das Irrlichtern in seinen Pupillen nicht gewesen, Shahira hätte geglaubt sich die Wut nur eingebildet zu haben.

»Edelster«, sagte er knapp, nickte und wandte sich um. Er  lief an Shahira vorbei aus dem Raum, nicht ohne sie im Vorbeigehen wie zufällig mit dem Fuß zu streifen. Ein Ausdruck seiner Verachtung.

Als die Automatiktür sich hinter dem Sektierer geschlossen hatte, zog Nummer vier geräuschvoll die Nase hoch und wischte sich den Rotz ab. Nachdenklich musterte er das Katzenwesen, das untertänig vor ihm am Tisch kauerte.

»Shahira!«, bellte er streng. Shahira beeilte sich, zu Boden zu schauen. Bloß keine Aufmüpfigkeit zeigen!

»Ja, Zhdopanthi.«

Er riss ein Stück des Bratens von dem Ende ab, von dem er eben abgebissen hatte, und warf es ihr zu. Es landete auf dem Teppich, wenige Zentimeter von ihren voll ausgefahrenen Krallen entfernt. Sie starrte es an.

»Für dich. Du hast gute Arbeit geleistet. Iss.«

Gehorsam nahm sie den Fleischfetzen vom Boden, betrachtete den Rest Rotz, der daran hing. Er stammte vom Handrücken des Arkoniden. Sie zögerte.

»Iss«, wiederholte Nummer vier, offenbar ungeduldig. Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Shahira nahm sich zusammen, schloss die Augen und steckte das Bratenstück in den Mund. Sie kaute darauf herum, ohne durch die Nase zu atmen, und schluckte es an einem Stück herunter, sobald sie den Klumpen halbwegs weich gekaut hatte. Schmerzhaft arbeitete er sich ihre Kehle hinab. Das gelang ihr, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Es war nur ihr Stolz, den sie opferte, zum ungezählten Male. Wenn es half, den Arkoniden in die richtige Richtung zu schubsen, sollte es ihr recht sein.

Nummer vier zeigte sich Gnädig: »Komm her. Du darfst aufstehen.«

Die Schimäre gehorchte und trat an den Tisch heran, bis sie nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war. So nah war ich ihm noch nie, wurde ihr schlagartig klar. Zumindest nicht ohne Fesselfelder. Falls sie ihn jemals töten wollte, ihre Rache haben wollte – jetzt war die Gelegenheit.

Nummer Vier zog den Pikosyn aus der Datenschnittstelle, die in den Esstisch eingelassen war – ein unnötiger, verspielter Luxus, wie Shahira fand – und drehte ihn hin und her. Das Holo fiel in sich zusammen. Leise sagte der Arkonide:

»Du erhältst deinen Pikosyn bei Gelegenheit zurück, mit allen Informationen die darauf sind. Und weißt du, sollten sie zufällig verloren gehen … sollten sie der LFT in die Hände geraten …«

»Zhdopanthi?«

Sie krümmte die Krallen, überlegte, durch wie viel Fett sie würde dringen müssen, bis sie seine lebenswichtigen Organe erreicht hätte.

»Nur dieses eine Mal würde ich dir dieses Vergehen durchgehen lassen. Als Belohnung für deine Dienste.«

Shahira erstarrte, es fühlte sich an als hätte er ihr mit einem toten Fisch ins Gesicht geschlagen. Hatte sie sich verhört? Hatte der Abscheuliche ihr eben tatsächlich durch die Blume gesagt, dass sie das Material den TLD-Spionen an Bord der BASIS zuspielen sollte? Was auch immer Despair sich von ihr als Kontaktperson erwartet hatte, das war es sicher nicht.

»Sie würden dem Feind einfach so das gesammelte Wissen überlassen? Den Code für die Schilder der VERDUN?«

Du würdest so einfach deine Mitstreiter dem Tod überantworten? Die Ehrlosigkeit machte sie wütend.

Der Arkonide sog scharf Luft ein, und die Schimäre duckte sich unwillkürlich, ballte die Faust. Die Krallen stachen ihr in die Handballen. Wie hypnotisiert fixierte sie das leichte Pochen an Nummer Viers Hals. Nur ein Handstreich, und sie hätte die Schlagader durchtrennt. Es wäre so einfach …

»Einfach so? Sicher nicht, dummes Katzenvieh!«

Shahira holte aus, kaum merklich, und verengte die Augen. Die Aufregung war stärker als ihre Demut.

»Sondern?«, fragte sie lauernd.

»Codiert natürlich. Muss ich dir alles erklären?«

Shahira schwieg. Der Arkonide würde von sich aus weiter erzählen. Sein Ego ließ es nicht zu, einen brillanten Plan für sich zu behalten. Und er fand alle seine Pläne brillant.

»Verstehst du«, fuhr er fort und schob sich den letzten Bratenrest in den Mund, »der Code, den ich benutzen werde, ist selbst mit syntronischen Mitteln nicht zu knacken. Ein Meisterwerk der Chiffrierinformatik.« Er leckte sich die Finger ab, trocknete sie am soßenverschmierten Oberteil. »Der TLD wird unfähig sein die Information zu entschlüsseln. Das heißt, ohne den Doppelagenten, den er in den Reihen der Mordred hat.«

»Den Doppelagenten?«, echote Shahira und wunderte sich, wie dieses Wort sich in diese Unterhaltung hatte verirren können. Nummer Vier war noch unmoralischer als sie sich erträumt hatte. Dieser widerliche Opportunist!

Zum Glück ließ der Arkonide sie nicht lange zappeln. Er tippte sich gegen die gewölbte Brust.

»Stell dir vor, Bostich überlebt wie durch ein Wunder das Attentat. Er wird nach Schuldigen suchen. Rate mal, wen er nicht verurteilen wird! Wen er als seinen Retter auszeichnen wird?«

Shahira war alles andere als Überzeugt von dieser Argumentation, sie hielt es für wahrscheinlicher dass Nummer Vier wegen Hochverrat angeklagt würde, weil er sich an den TLD anstelle des Tu Ra Cel gewandt hatte. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln.

»Was grinst du so, du Drecksvieh?«

»Ich bewundere Ihren Intellekt, Zhdopanthi«, beeilte Shahira sich zu sagen und verbeugte sich. Suchte nach seiner Schlagader, krümmte die Krallen ein letztes Mal. Das Tu Ra Cel-Szenario hatte nur einen Fehler: Die Rache sollte die ihre sein. Despairs Plan trat in den Hintergrund. Diese Chance würde sich nur einmal ergeben.

Jetzt oder nie!

Shahira holte tief Luft. Dann spannte sie die Muskeln, hob den Arm. Die Spitzen ihrer Krallen funkelten im Halblicht, bereit sich in seine Brust zu senken und seine Organe zu zerfetzen. Sie schloss die Augen, zählte bis zehn. Genoss das Adrenalin, das durch ihre Adern schoss. Freiheit, sagte sie sich, und das Gefühl, die gespannte Erwartung, überwältigte sie. Einen Moment lang kostete sie den lieblichen Nervenkitzel. Dachte an all die vielen Male zurück, wo der Fette sie erniedrigt hatte. Ihr Hass war alt und gereift. Sie genoss ihn wie einen guten Wein.

Der Fette schnaufte, ganz in die Genialität seiner eigenen Pläne versunken, und bemerkte offenbar nicht, was direkt neben ihm vor sich ging. Shahira wartete, dass er sich ihr zuwandte. Sie wollte, dass er sie ansah, wenn sie ihn tötete.

»Wie seltsam, dass nach all den Jahren ausgerechnet du die einzige bist, der ich trauen kann.«

»Ja, Zhdopanthi.« Ihre Hand begann zu zittern.

»Du und ich, Pussy, werden die BASIS verlassen. Mit deiner Hilfe werde ich dafür sorgen, dass der Große Plan nicht scheitert.«

»Der Große Plan, Zhdopanthi?«

Rhifa Huns Worte! Mit einem Mal fühlte sie sich verunsichert, ihr Mut verflog. Ihr Arm senkte sich, ganz ohne ihr Zutun. Die Krallen verschwanden wieder in ihren Taschen, nahmen das Aussehen gespitzter Fingernägel an.

»Natürlich!« Der Arkonide lehnte sich zurück, musterte sie. Sein Blick hatte etwas Gieriges. Als sei sie ein weiteres Stück Braten. »Oder dachtest du, mir ginge es nur um persönliche Macht? Wolltest du mich darum mit deinen Krallen durchbohren, du undankbares Vieh?«

Shahira senkte den Kopf, sie war sprachlos. Er hatte sie durchschaut, hatte nur seine Überlegenheit demonstrieren wollen! Vermutlich trug er zwischen seinen Fettlappen einen Individualschirm-Generator verborgen. Sie fühlte sich dumm.

»Was glaubst du eigentlich, passiert, wenn du mich tötest? Denkst du, die Mordred findet keine neue Nummer Vier?«

»Ich …«

»Denkst du, General Eyke leckt sich nicht schon die Finger nach meiner Position und meinem Status? Oder dieser Nelder? Und denkst du, einer von denen hat wirklich unser großes Ziel vor Augen?«

Verlegen schwieg sie, schämte sich fast. Nein, so weit hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Ob Cauthon Despair jemals so weit überlegt hatte?

»Auch wenn du es nicht glaubst, Shahira« – es war das erste Mal seit langem, dass er ihren Namen benutzte – »ich bin das geringere Übel. Da Quertamagin geht es nur um sich selbst. Er muss sterben.«

Der Arkonide packte sie am Nacken, zog sie zu sich herab, so dass ihr Ohr sich auf Höhe seines Mundes befand. Eine Wolke seines Atems wehte um ihre Nase, ein Duft nach Braten und ungeputzten Zähnen. Ihr war, als müsste sie ersticken.

»Geh jetzt, mein Kind«, hauchte er und kraulte sie am Kopf, beinahe zärtlich. »Tu, was ich dir aufgetragen habe. Und wir vergessen diese hässliche, kleine Szene. Diesen Mordversuch.«

»Ja, Zhdopanthi.«

Unter vielen Rückwärtsschritten und zahlreichen Verbeugungen zog sie sich von ihm zurück. Fluchtartig verließ sie den Speisesaal.

*

Erst draußen auf dem Gang nahm Shahira sich die Zeit, kurz durchzuatmen, ihre Gedanken zu ordnen. Ihr war schwindelig. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür, hieb mit den Fäusten immer wieder gegen das Metall. Er hatte sie manipuliert, sie benutzt, es vermutlich sogar genossen! Nach all den Jahren, in denen sie nun schon seine Sklavin war, wusste er welche Knöpfe bei ihr drücken musste. Konnte sie, wie ferngesteuert, das tun lassen was er für richtig hielt. Sie starrte auf ihre Krallen, ärgerte sich über ihre Feigheit.

Ich war so kurz davor …!

»Da bist du ja.«

Shahira erschrak. Sie war so in ihre Wut versunken gewesen, dass sie den Mann erst bemerkte, als er schon fast neben ihr stand: Ein hagerer, blasser Kolonialterraner mit weißen, kurzen Haaren, in einer weiten Kutte. Seine Haut wirkte durchscheinend, fast geisterhaft. Romano Nelder, der Mashrate. Wieder spürte sie seinen Hass, wie eine offene Wunde, als er sich vor ihr aufbaute und ihr den Weg versperrte.

»Wie lief es da drin?«, fragte er unschuldig, als würde er über das Wetter sprechen. Ob ihm klar war, dass sie ihn durchschaute?

»Verzieh dich, Nelder«, fauchte sie und versuchte, die hagere Gestalt beiseite zu schieben. Doch Nelder ließ nicht von ihr ab. Stattdessen packte er sie an den Schultern und drückte sie gegen die Tür. Sein Gesicht presste sich so dicht gegen das ihre, dass sie Angst hatte ihre Schnurrhaare würden knicken. Er flüsterte:

»Ich weiß, was ihr vorhabt. Du und dieser hässliche Fettsack da drin.«

»So?«, gab sie sich unschuldig. Keine Ahnung, wie sie auf diese Bedrohung reagieren sollte! Was wollte er von ihr? Wenn er wirklich etwas ahnte, warum rief er nicht die TOBRUK und wandte sich direkt an General Eyke?

»Ihr werdet die Organisation verraten. Die Informationen auf deinem Pikosyn an den Tu Ra Cel weiter geben, oder an Camelot. Versuch es nicht zu leugnen.«

»Das hätte keinen Sinn, wie ich sehe«, sagte Shahira, und es gelang ihr, genug Spott in ihre Stimme zu legen, dass der Mashrate für einen Moment die Fassung verlor. Der Griff um ihre Schultern verkrampfte, und sie fühlte sich noch fester gegen die Tür gepresst. Seine Iriden verschossen Pfeile aus Wut.

Sie bemerkte ihren Fehler erst, als es fast zu spät war. Wie aus dem Nichts heraus produzierte der Mashrate eine Art Elektroschocker, ein schwarzes Stäbchen, und wedelte damit vor ihrer Nase herum. Sie stieß einen Fluch aus. Warum hatte sie ihn auch reizen müssen?

Das Yekjab!

Hatte er es die ganze Zeit bei sich getragen?

»Dir werde ich die schwarze Mirona austreiben, verfluchtes Weib!«

Der Schreck lähmte sie, als das Ende des Stabes schon zu funkeln begann. Ein Geruch nach Ozon lag in der Luft, es knisterte, und ihr Backenfell richtete sich auf. Das Bild von Celine Ahornd stand ihr plötzlich vor Augen, der TLD-Agentin, die Nelder mit dem Yekjab erst gefoltert und um den Verstand gebracht hatte. Bevor sie das Leid der Terranerin beendet hatte. Und nun würde er dieses Folterinstrument an ihr einsetzen, sich für diese vermeintliche Schmach rächen. Panik überkam sie.

»Du Monster!«

Ihre Krallen schossen aus ihren Taschen, ohne dass sie es gewollt hätte, und sie strich dem Angreifer damit über das Kinn. Nelder schrie auf. Er ließ ihre linke Schulter los, fasste sich an die Wunde. Sofort nutzte die Schimäre die neugewonnene Bewegungsfreiheit und versetzte ihm einen Schlag mit dem Ellenbogen.

Der Mashrate wurde zurückgeschleudert. Noch im Taumeln streckte er den Yekjab aus, berührte mit der Spitze ihre Wange. Das Knistern wurde lauter. Jetzt roch es nach verschmortem Fell. Shahira prallte mit dem Hinterkopf gegen die Tür. Sofort war der Angreifer wieder auf ihr.

»Das wirst du büßen!«, kreischte er, die Stimme hatte fast nichts menschliches mehr an sich. Dann presste er den Yekjab gegen ihren Hals.

Die Qual kam unvermittelt, wie ein Hammerschlag. Shahira war unfähig zu schreien, ihre ganze Muskulatur verkrampfte auf einmal, der Atem wurde ihr förmlich aus dem Leib gepresst. Rote Ringe tanzten vor ihr durch den Korridor.

Schmerz. Schmerz. Schmerz.

Dieses Drecksding, erkannte sie, verteilte nicht einfach nur Elektroschocks. Es stimulierte alle Schmerzrezeptoren gleichzeitig, ließ keine anderen Wahrnehmungen zu. Kein Wunder, dass Nelders Opfer binnen Kürze den Verstand verloren hatten.

Du hast schlimmeres überlebt!

Shahira konzentrierte sich, nahm alle Willenskraft zusammen. Sah sich auf allen Vieren, kriechend, während Nummer Vier ihr Fleischfetzen zuwarf. Sah sich, gefesselt am Ort ihrer Geburt, mit seiner Hand in ihrem Schritt. Ihr Stolz, der ihr genommen wurde, Stück für Stück. Tiefer konnte sie nicht sinken. Was war da schon dieses bisschen Pein?

Das unglaubliche geschah. Ausgerechnet die Erinnerung an die vergangene Schmach war es, die sie ins Hier und Jetzt zurück rief, ihr die Kraft gab für eine letzte, bewusste Handlung. Es war nicht viel, aber es genügte: Sie entspannte ihr linkes Bein.

Und fiel um.

Ungebremst stürzte Shahira halb auf den angewinkelten Ellenbogen, halb auf den Rücken. Ihr Atem setzte wieder ein, sie keuchte unkontrolliert. Die Ringe verschwanden und winzige, schwarze Punkte traten an ihre Stelle, huschten über ihre Netzhaut wie kleine Fliegen. Der Schmerz war so plötzlich und so restlos verschwunden, dass er sie völlig orientierungslos zurückließ.

»Wieso wehrst du dich, du Missgeburt?«

Breitbeinig baute Nelder sich über ihr auf, zeigte mit der Spitze des Stabes gegen ihre Brust, als hielte er einen Thermostrahler. Langsam zählte sie die Sekunden. Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war trocken.

Gleich! Gleich würde der Fanatiker sich auf sie stürzen, ihr das Folterinstrument gegen die Stirn oder den Hals pressen. Ladung um Ladung elektrischer Impulse durch sie hindurch schicken und sie in ein lallendes Stück Fleisch verwandeln.

So, wie es der TLD-Agentin widerfahren war.

Nelder machte einen Schritt. Und noch einen. Der Stab knisterte. Dann beugte er sich herab.

Er lächelte.

Jetzt!

Shahira handelte, ohne zu überlegen. In einem Reflex hob sie die gespreizten Krallen, rammte sie dem Angreifer entgegen. Sie drangen in etwas nachgiebiges, weiches. Shahira sah nicht, wohin der Schlag gegangen war. Sie drehte die Hand hin und her. Dann verließen sie die Kräfte. Sie hörte etwas poltern, und ihr wurde schwarz vor Augen.

Als sie die Augen wieder öffnete, wusste sie nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sekunden? Minuten?

Nelder!

Wo war der Mashrate? Sie sah ihn nicht, doch sie hörte ihn leise wimmern.

Steh auf!

Es kostete sie ungeahnte Mühe, auch nur den Kopf zu heben. Jeder Teil ihres Körpers schmerzte, ein Muskelkater, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Der Yekjab hatte ihr Sinneszentrum vollkommen überreizt, Krämpfe ausgelöst.

Endlich erblickte sie Nelder, der zusammengesunken an der Korridorwand kauerte. Er war blass, mehr noch als sonst, beinahe weiß, das Gesicht verschlossen und ausdruckslos. Um seinen Schoß herum breitete sich eine rote Lache aus, die Flüssigkeit versickerte im Teppich. Er presste sich beide Hände in den Schritt.

Dahin ging also mein Schlag.

Sie suchte den Blick des Mashraten, wollte ihm in die Augen sehen. Ihren Triumph auskosten. Doch der Fanatiker schaute sie nicht an, sondern fixierte etwas, das nur wenige Handbreit von ihrem Knie entfernt lag.

Das Yekjab! Sie tastete danach.

Im selben Moment bemerkte Nelder, dass sie wieder zu sich gekommen war. Seine Lippen wurden zu einem dünnen Strich, und er hauchte ein einziges Wort:

»Hure!«

Ihre Lebensgeister kehrten schlagartig zurück, und mit einer katzenhaften Bewegung kam sie auf die Knie und schnappte sich das Folterinstrument. Es war einsatzbereit, wie sie zufrieden feststellte, hatte den Sturz ohne Schaden überstanden. Mit einem Handdruck aktivierte sie es, betrachtete fasziniert den Lichtbogen, der sich am Ende des Stabes formte. Der Bogen flatterte, warf ein unheimliches Lichtspiel auf ihr Gesicht.

»Ein interessantes kleines Spielzeug«, murmelte sie geistesabwesend, als hielte sie ein neuartiges Haushaltsgerät. Dann rutschte sie auf den Knien vorwärts, näher und näher an den Angreifer heran, bis sie den Atem des Mashraten im Gesicht spürte. Ihre Hose saugte sein Blut auf, der Stoff begann an ihren Unterschenkeln zu kleben. Sein Lebenssaft roch bitter, metallisch. Ein berauschender Duft!

»Lass es fallen, Schlampe«, keuchte der Mashrate, hasserfüllt selbst im Angesicht des drohenden Todes. »Das Yekjab ist nicht für Ungeheuer wie dich bestimmt.«

Sie zögerte. War sie ein Ungeheuer? Ein größeres als er? Dieses Scheusal? Dieser Wahnsinnige?

Noch einmal erschien Celine Ahorns Antlitz vor ihrem geistigen Auge, ihr gebrochener Blick, die geistlose Leere darin. Die schwarze Mirona hatte Nelder ihr austreiben wollen, und es hatte ihr den Verstand gekostet. Und derjenige, der das getan hatte, nannte sie ein Ungeheuer?

Ja, sagte sie zu sich selbst. Sie würde das beste Ungeheuer sein, das er sich denken konnte.

»Mal sehen, was ich dir damit so alles austreiben kann«, sagte sie und presste den Yekjab gegen seine Schläfe.

 

3. Der Staatsbesuch

»Landeerlaubnis erteilt, THEK-LATRAN XXIV«, kam die Stimme des Operators aus den Akustikfeldern. Es folgten ein Satz Koordinaten und eine Hangar Destination, die Bostich nur mit halbem Ohr wahrnahm. Er hatte sich im Sessel zurückgelehnt und gönnte sich einen Augenblick des Stolzes, während er durch die Glassitkuppel der Leka-Disk sein Flaggschiff betrachtete. Der Imperator war zufrieden mit seiner Thronflotte, jenem Tross aus Raumschiffen der KOBAN und TERMON-Klasse, die er zum Teil handverlesen, zum Teil extra hatte bauen lassen.

Die THEK-LATRAN jedoch war das Schmuckstück des Verbandes. Benannt nach dem Hügel der Weisen auf Arkon I., dem Standort des Kristallpalastes, vereinte sie in sich alle Ideale des Kristallimperiums: Effizienz, Eleganz und eine funktionale Schlichtheit, die nicht im Widerspruch stand zu dem Pomp, in dem Schiff und Imperator sich präsentierten. Das war wichtig für seinen Besuch auf der BASIS. Er hatte das Schiff ausgewählt, das gegen diesen hässlichen Koloss am meisten Eindruck machen würde. Ihn juckte es, dass das Treffen mit dem Geheimnisträger ausgerechnet an Bord eines Schiffes aus terranischer Fertigung stattfinden sollte, selbst wenn es seit langer Zeit außer Dienst gestellt war. Und noch mehr juckte ihn, dass dieser unwichtige kleine Landeoperator nicht in der Lage gewesen war, seinem Flaggschiff einen Landeplatz freizuräumen. Dass er in diesem lächerlichen Kleinstraumschiff übersetzen musste, als wäre er ein gewöhnlicher Passagier! Lediglich sein Status verbot es ihm, seinem Unwillen Ausdruck zu verleihen. Seine millionenäugige Erhabenheit stand über derlei Dingen. Trotzdem: Hätte es sich bei dem Operator um einen Bürger des Huhany’Tussan gehandelt, hätte eine solche Gedankenlosigkeit ihm den Kopf gekostet.

»Bestätigt«, sagte der Pilot, in Wahrheit der zweite Offizier des Flaggschiffes. »Anflug eingeleitet.«

Ein Hauch von Wehmut überkam den Imperator, als die THEK-LATRAN hinter der Disk zurückfiel, scheinbar schrumpfte und schrumpfte, bis sie sich zwischen den Sternen verlor. Das Flaggschiff hatte einhundert Kilometer über Stiftermann III eine Parkposition einnehmen müssen, also nicht einmal in normaloptischer Sichtweite zu dem Kasinoschiff. An ihrer Stelle schälte sich vor ihnen eine gigantische, alles erdrückende Masse aus dem Nichts, aus rötlichem Metall, vage geformt wie eine terranische Schildkröte. Die BASIS. Mit aller Macht unterdrückte Bostich die Anwandlung von Ehrfurcht, die ihn zu überkommen drohte. Nicht für diese terranische Abscheulichkeit!

Der Landeanflug nahm einige Zeit in Anspruch, auch wenn man der THEK-LATRAN XXIV und ihren Begleitschiffen – vier weitere Leka-Disken aus den Hangars der THEK-LATRAN – natürlich Vorrang im Verkehrsraum eingeräumt hatte. Ein ganzer Raumkorridor war für den Imperator und seine Leibgarde freigehalten worden, andere ankommende Schiffe hatte man in Warteschleifen geschickt. Bostich vertrieb sich die Zeit damit, das kleine Geschwader zu studieren. Die Piloten flogen das Manöver selbst, ohne postironische Unterstützung. Ein Präzisionsflug, ausgeführt von arkonidischen Spitzenoffizieren. Es machte ihn stolz.

Nach endlos scheinenden Zentitontas flog das Kleinstgeschwader endlich in den Hangar des ehemaligen Fernraumschiffes ein. Wenigstens handelte es sich bei ihrem Landeplatz um eine der Promi-Landebuchten im Bugsektor, man hatte seinen Status also nicht vollkommen ignoriert.

Die THEK-LATRAN XXIV war noch nicht gelandet, da stand Bostich bereits am Schott, voller Ungeduld, und ohne darauf zu warten, dass seine Leibgarde endlich Stellung bezog – wie das Protokoll und die Sicherheitsbestimmungen es eigentlich vorsahen. Er vertraute darauf, dass die energetischen Absperrungen rechts und links der Gangway ihren Zweck erfüllten. Reporter und Schaulustige hatten sich dahinter angesammelt, um seiner Ankunft beizuwohnen, bildeten eine Mauer aus Leibern. Hier und da streckte sich ein Arm über die Menge, wurde ein Holo-Aufzeichnungsgerät gereckt. Auf einem arkonidischen Stützpunkt wäre so etwas undenkbar gewesen.

Narr! Dies ist das Herrschaftsgebiet der LFT, gab sein Extrasinn zu bedenken, während er mit den Augen die Reihe der Schaulustigen entlang wanderte. Noch dazu ein ziviler Posten. Hier herrschen laxere Vorkehrungen.

Zu viele Augen, zu viele Zeugen, dachte Bostich zurück. So hatte er sich seine Ankunft zumindest nicht vorgestellt.

Als das Schott sich endlich geöffnet hatte, stürmte der Imperator ins Freie, atmete die metallisch riechende Luft des Hangars. Abschätzig rümpfte er die Nase. Der Eigengeruch terranischer Raumschiffe war distinktiv anders als der von arkonidischen, und die BASIS bildete keine Ausnahme. Sie stank, nach Schweiß und Plastik.

Du wirst es aushalten, raunte der Extrasinn belustigt. So lange wenigstens, bis Kerkum dir sein Angebot unterbreitet hat.

Bostich kaute auf seinen Wangen. Er soll nur hoffen, dass er meine Zeit nicht verschwendet, giftete er. So ganz verstand er seinen Impuls selbst nicht, diesen Mann höchstpersönlich an Bord der BASIS zu treffen. Eigentlich hatte er Untergebene für derartige Dinge. Wenn die Sache aufflog, und Kerkum sich als Terrorist entpuppte, würde man ihm später Verbindungen in den höchsten denkbaren Kreis des Imperiums nachweisen können. Der Extrasinn hatte von dem Treffen abgeraten. Aber etwas in der geheimen Botschaft, die Kerkum ihm vor Wochen über verschlungene Pfade hatte zukommen lassen, hatte ihn elektrisiert. Eine bestimmte Formulierung.

»Die Kinder Lemurias«, murmelte er unhörbar, während sich nun auch die Schleusen der restlichen Leka-Disks öffneten. Angehörige der Kristallgarde stürmten an ihm vorbei, bezogen um ihn herum Position und hüllten ihn in einen Kokon aus Leibern. Missmutig verzog er das Gesicht. Das Aufgebot war etwas zu groß für eine Erholungsreise, als die der Ausflug der galaktischen Öffentlichkeit kurzfristig angekündigt worden war. Aber sein Thantan war eisern geblieben. Im stillen zollte der Imperator dem Soldaten Respekt. Speichellecker waren schlechte Untergebene.

Am anderen Ende der Halle tauchte eine Gruppe von fünf vornehm gekleideten Menschen auf dem roten Teppich auf, mit dem man die Gangway ausgelegt hatte. Es waren zwei Frauen und drei Männer, doch Bostich interessierte sich nur für den hochgewachsenen, mondgesichtigen Kerl, der der Gruppe voraus schritt. Es war der stellvertretende Sicherheitschef, Teil der Kasinoführung. Bostich erkannte ihn von einem Holo wieder, das der Thantan ihm im Vorfeld zugespielt hatte. Der Mann lächelte steif und kam direkt auf ihn zu, streckte die Hand aus. Bostich hielt den Gardesoldaten zurück, der sich dem Neuankömmling in den Weg stellen wollte.

»Eure Hoheit«, begrüßte ihn der Terraner unter eklatanter Missachtung des Protokolls und seines korrekten Titels. Er beugte den Oberkörper. »Mein Name ist Hybren Metustar, ich bin Mitglied des…«

»Ich weiß, wer du bist«, schnaubte Bostich ihn an. »Und sicher weißt du auch, dass ich und mein Stab um Diskretion gebeten haben.« Er zeigte auf die Menge jenseits der Absperrung. Immer mehr Menschen drängten in die Halle nach, jene in der vordersten Reihe wurden mit den Gesichtern gegen das Prallfeld gepresst. Es sah beinahe lustig aus. »Nennst du das diskret? Diesen Massenauflauf?«

Metustar verlor an Farbe. Ohne jedoch die Haltung zu verlieren entgegnete er:

»Dafür muss ich mich entschuldigen, euer Hoheit. Uns ist nicht klar, wie die Information über deine Ankunft die gesicherten Kanäle verlassen hat. Es ist uns…«

Bostich winkte ab. Eigentlich interessierte ihn das Geschwafel dieses Lakaien nicht, er hatte nur ein Ventil für seine Unruhe gebraucht.

Selbst Schuld, höhnte sein Logiksektor. Du hättest dieses Risiko nicht persönlich eingehen müssen.

Metustar plapperte weiter: »Nun, Erhabenheit, ich bin mir sicher die Geschäftsführung kann das wieder gutmachen. Lass mich dir die Tour durch unsere Fazilitäten geben. Sämtliche Kasinos stehen dir natürlich uneingeschränkt zur Verfügung. Ich kann arrangieren, dass die Säle geräumt werden, so dass niemand …«

»Redest du immer so viel, Terraner?«

Bostich verengte die Augen. Metustar ließ den Mund offenstehen. Seine vier Begleiter blickten verlegen zu Boden, keiner hatte den Mut ihm zur Hilfe zu eilen. Einmal mehr winkte der Imperator ab.

»Schon gut. Es war eine lange Reise. Ich bin erschöpft und missmutig. Meine Zimmerflucht wird für das Erste als Ziel genügen.«

»Selbstverständlich, natürlich«, kuschte der Terraner. »Ich lasse ihr Gepäck vorausschicken.«

Metustar führte den Imperator und seine Leibwache zu einer Reihe von Gleitern, die am Ende des roten Teppichs bereit standen. Es waren Luxusfahrzeuge von jener Baureihe, mit der an Bord die vornehmeren Gäste zu ihren Zimmern gebracht wurden. Der vorderste war offenbar für den Imperator selbst bestimmt, seine Scheiben waren verspiegelt. Bostich ließ sich von Metustar die Tür öffnen, nachdem drei Soldaten seiner Leibwache das Gefährt sondiert und auf versteckte Fallen untersucht hatten.

Er war nicht der einzige Fahrgast. Als Bostich einstieg, war schon jemand im Gleiter.

Bostich musterte den Mann, der ihm gegenüber saß: Klein, dunkelhäutig, und in eine lindgrüne Fantasieuniform gehüllt. Auf dem Brustteil seiner Kombination zog eine Unmenge bunter Orden das Auge auf sich zogen, und Bostich war davon überzeugt dass keiner davon eine tatsächliche Bedeutung hatte. Der Mann trug eine riesige Uniformmütze, deren Krempe ihm tief ins Gesicht reichte. Krauses Haar quoll darunter hervor, umrahmte den Kopf. Seine Augen wurden von einer Art Spange verdeckt. Vermutlich eine Sehhilfe.

Bostich verschränkte die Arme und lehnte sich zurück.

»Ich sehe, sie verschwenden keine Zeit, Oberst Kerkum«, sagte der Imperator.

*

Oberst Ibrahim el Kerkum war der Herrscher des Planeten Mashratan, und ein schillernder Exzentriker – ein Ruf, den zu pflegen er sich offenbar Mühe gab. Bostich war ihm ein oder zweimal begegnet, natürlich stets zu offiziellen Anlässen und auf dem diplomatischen Parkett. Die Regierung Mashratans war immer um gute Beziehungen ins Kristallimperium bemüht – wie Arkons Medienvertreter munkelten, um die fehlende Unterstützung aus den Kreisen der LFT-Führung auszugleichen. Die Mashratische Diktatur vertrug sich nicht mit den ach so freiheitlichen Grundwerten der Terraner.

Nun aber hatte der Oberst über inoffizielle Kanäle Kontakt zu ihm aufgenommen – was, um es vorsichtig auszudrücken, ungewöhnlich war. Das hatte Bostichs Aufmerksamkeit geweckt. Und deswegen hatte er einem Treffen zugestimmt. Dass Kerkum ihn allerdings schon im Hangar der BASIS abgefangen hatte, schmeckte ihm nicht. Die Große Feuermutter mochte wissen, wie er die Bordsicherheit überlistet hatte.

Dazu dürfte ein gewisser Aufwand nötig gewesen sein, bestätigte sein Extrasinn. Und mehr Einfluss, als ein Randwelten-Diktator auf geheimer Mission haben dürfte. Sicher hat es nicht genügt, einen einzelnen Mitarbeiter wie Metustar zu bestechen.

Der Gleiter war inzwischen an seinem Ziel angelangt – ein abgeschlossener Bereich, den der stellvertretende Sicherheitschef vom Rest des Schiffes hatte abriegeln lassen, und der von Robotern der Sicherheitsabteilung bewacht wurde. Bostich hatte seine Kristallgarde zusätzlich auf Wachpositionen beordert. Er traute den hiesigen Sicherheitskräften nicht. Sie waren offenbar unterwandert.

Schweigend stiegen Bostich und der Oberst aus und schritten einen Korridor entlang, begleitet von vier Mitgliedern der Kristallgarde. Kerkum selbst verzichtete auf eine Begleitung, fühlte sich offenbar vollkommen sicher. Ob er seine eigenen Mitarbeiter irgendwo im abgesperrten Bereich postiert hatte, versteckt vor Metustars Sicherheitsvorkehrungen?

Du bist der wichtigste Mann der Galaxis, raunte der Extrasinn. Vermutlich verlässt er sich darauf, dass deine Leibgarde ihn im Extremfall ebenfalls schützt. Kein Grund zur Paranoia!

Sie passierten zwei Gravoschleusen, bevor sie zu der Zimmerflucht gelangten, die Metustar Bostich zugewiesen hatte – ein besonderes Quartier, für besondere Zwecke vorbehalten, wie man ihm versichert hatte. Zwei Kristallsoldaten, die vorausgeeilt waren, standen vorm Eingang und salutierten. Offenbar war die Sicherheitsüberprüfung zur Zufriedenheit des Thantans verlaufen, denn keiner der beiden hatte einen Einwand, als er den Türschalter betätigte und gemeinsam mit seinem Begleiter den Raum betrat. Das Schott schloss sich hinter ihnen, und sie waren allein. Bostich sah sich kurz um, dann durchmaß er das Zimmer mit langen Schritten und setzte sich auf einen Polstersessel, welcher den Raum dominierte und der aussah, als hätte er die Gemächer eines Kristallprinzen der archaischen Perioden geschmückt: Prunkvoll, beinahe überladen mit Ornamenten, und vollkommen überdimensioniert für nur eine Person. Ein zweiter Sessel stand ihm gegenüber, wesentlich kleiner und um einiges schlichter nahm er sich aus wie der kleine Bruder des Prunksessels. Mit einer nonchalanten Geste bedeutete er dem Oberst, sich zu setzen. Kerkum gehorchte mit einem knappen Nicken.

Bostich kam sofort zum Punkt:

»Sie sind nicht im Interesse ihrer eigenen Regierung hier, vermute ich?«

»Hm«, schmunzelte der andere und nahm eine herausfordernde Haltung an. Die Orden auf seiner Brust blinkten. Bostich verzog das Gesicht. Sollte ihn dieser Glitzerkram etwa beeindrucken? Ihn, seine millionenäugige Erhabenheit, Tai Moas des Göttlichen Imperiums? War dem Oberst nicht bekannt, wie sehr er selbst solchen Tand verabscheute – bis zu dem Punkt, dass er selbst stets nur eine simple, blütenweiße Flottenuniform trug?

Ihr habt eben unterschiedliche Vorstellungen von Herrscherwürde, spottete der Extrasinn.

»Ich warte auf Ihre Antwort, Oberst. In ihrem Kommuniqué war von den Kindern Lemurias die Rede. Ich möchte wissen, was es damit auf sich hat. Und warum dieses Stichwort die Verwendung der offiziellen Kanäle unmöglich macht.«

Der Oberst lachte, dass sein ganzer Oberkörper sich schüttelte. Die Orden hüpften dazu auf und ab, klimperten leise. Es irritierte den Imperator. Hatte er etwas komisches gesagt, ohne es zu merken?

»Euer Erhabenheit, sind wir nicht alle Kinder Lemurias?«, orakelte sein Gegenüber. »Ob Mashraten oder Arkoniden, Terraner, Akonen, Mehandor oder Tefroder. Alle sind wir Nachfahren desselben Volkes, der Lemurer. Ist es da nicht merkwürdig dass wir uns nicht besser verstehen, dass wir uns in verschiedenen Staatengebilden organisieren? Wo wir doch alle, taxonomisch betrachtet, zur selben Spezies gehören?«

»Ich bin weder hier für eine Nachhilfestunde in galaktischer Geschichte noch für eine Lektion in Kosmoethnologie«, schnauzte der Arkonide und fixierte den Mashraten. Kerkum stellte seine Geduld auf die Probe, und das war etwas, das niemandem gut zu Gesicht stand. Auch diesem kleinen Diktator nicht.

Der Oberst lehnte sich zurück, seine Arme ruhten auf den Sessellehnen. Nachdenklich spielte er mit ein paar Zierborten. Seine weißen Handschuhe kontrastierten hart mit dem lachsroten Polster.

»Stellen Sie sich einmal vor, das Große Tamanium sei nie untergegangen. Dass alle Lemuriden in einem Staat lebten, unter einer Führung. Was wir gemeinsam erreichen, wie wir gemeinsam die Galaxis beherrschen könnten? Eine Nette Utopie, nicht wahr?«

»In der Tat«, sagte Bostich und lehnte sich vor. »Und Sie haben Pläne, diese Utopie zu verwirklichen?«

»Mehr noch!«, sagte der Oberst. »Meine Organisation steht kurz davor, diese Pläne in die Tat umzusetzen.«

Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, er zeigte die Zähne dabei. Seine Selbstsicherheit beeindruckte Bostich. Sie war echt, nicht einfach nur selbstgefälliges Gehabe eine aufgeblasenen Planetenführers. Ein Verdacht kam dem Imperator. Da gab es ein Gerücht, das seine Spione auf Camelot ihm zugetragen hatten. War es möglich, dass etwas dran war? Er beschloss, sich dumm zu stellen, den Oberst aus der Reserve zu locken.

»Ihre Organisation?«, harkte er nach. »Und welche wäre das? Mir wäre nicht bekannt, dass die Galactic Guardians über solch hochtrabende Ziele verfügen.«

Der Oberst schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Es war eine fast beleidigende Geste, die ihn in jeder anderen Situation den Kopf gekostet hätte. Doch sie waren allein, Bostich konnte ihm den Lapsus durchgehen lassen ohne das Gesicht zu verlieren.

»Die Guardians!«, ereiferte Kerkum sich. Blut schoss in seine Wangen, färbte sie rot. Wild schüttelte er das Kraushaar. »Ein Haufen von Stümpern! Von Ihnen hätte ich mehr Phantasie erwartet.«

»Nicht die Guardians also«, erwiderte der Imperator kühl. Sein Verdacht bestätigte sich. »Wer dann?«

Der Oberst lehnte sich zurück, verschränkte die Handschuhe ineinander. Er schien zu grübeln, seine nächsten Worte sorgfältig abzuwägen.

Schauspielerei, erkannte der Extrasinn. Er will sich interessanter machen, als er ist.

»Der Name der Organisation wird ihnen wenig sagen. Wir nennen uns Mordred.«

»Mordred«, echote Bostich. Ein Begriff aus der terranischen Mythologie, wie sein eidetisches Gedächtnis ihm verriet. Ein Grund zur Vorsicht. Wer sich solch einen Namen gab, stand zumindest unter terranischem Einfluss. Unwahrscheinlich, dass der weitere Aufstieg des Arkonidenimperiums im Sinn dieser Organisation war. Abwartend sah er dem Oberst ins Gesicht, versuchte seine Mine zu deuten. Diese verfluchte Brille machte es unmöglich.

Der Oberst räusperte sich. Dann wies er um sich und entgegnete: »Der Name ist unwichtig. Einen Beweis unserer Macht haben wir erbracht. Hybren Metustar ist einer der unseren. Er hat uns ein Treffen in absoluter Diskretion ermöglicht.«

»Das beweist gar nichts.« Bostichs Augen verengten sich zu Schlitzen.

Kerkum blieb gelassen, seine Hände lagen nun flach auf den Armlehnen, verrieten keine Unruhe mehr. War das echt, oder war er wirklich nur ein guter Schauspieler? Bostich war sich nicht sicher.

»Ich kann dir versichern, Imperator, dass unser Einfluss in die höchsten Kreise der LFT reicht. Wir sind überall.«

»Und nun wollt ihr auch im Kristallimperium Fuß fassen. Wozu? Um beide Staaten gegeneinander auszuspielen? Nach einem Krieg als Nutznießer da zu stehen?« Das wäre ein naiver Plan, voller Hybris, doch es war das Szenario das sein Extrasinn als das wahrscheinlichste einstufe.

»Nein.« Der Oberst grinste wieder. »Wie ich schon sagte: Wir sind alle Kinder Lemurias. Was wir gemeinsam erreichen könnten …«

Bostichs Geduldsfaden riss. Er herrschte sein Gegenüber an: »Zur Sache. Meine Zeit ist knapp.«

Als ob der Oberst nur darauf gewartet hätte, breitete er die Arme aus, legte den Kopf schief und sagte:

»Mordred steht für die Einheit der Kinder Lemurias. Wir wollen das Große Tamanium wieder errichten. Doch das wird nicht gelingen, so lange die beiden größten Mitspieler sich Kopf an Kopf gegenüberstehen.«

»Thantur Lok war nie Teil des Großen Tamaniums«, sagte Bostich, nur um den Mashraten aus dem Konzept zu bringen, seine Reaktion zu testen. Warum erzählte dieser Pfau ihm das alles?

Er will dich für seine Zwecke rekrutieren, Narr! Ginge es darum, einen Umsturz im Kristallimperium zu verursachen, würde er dich kaum über seine Pläne informieren.

Kerkum winkte ab. Mit seinen nächsten Worten bewies er, dass er sich gut auf dieses Treffen vorbereitet hatte.

»Irrelevant. Die Erstbesiedelung Arkons erfolgte vor etwa …« – er tat, als müsste er überlegen – »dreiundzwanzigtausend Jahren von Drorah aus. Die Vorfahren der Akonen waren Bürger des 87. Tamaniums. Lemurer. Auch die Arkoniden gehören zur Spezies Homo Sapiens.«

Bostich nickte.

»Weiter.«

»Die Wiedervereinigung kann nur mit Arkon stattfinden. Das Kristallimperium ist der zur Zeit größte Machtfaktor in der Milchstraße.«

»Ein Vereintes Imperium?«

Bostich rümpfte die Nase. So etwas war nicht ohne historischen Präzedenzfall, bereits zwischen 2115 und 2329 der alten terranischen Zeitrechnung hatte es für 214 terranische Jahre ein solches Vereintes Imperium gegeben. Nicht gerade zum Vorteil der Arkoniden. Der Verräter Atlan da Gonozal hatte das Reich den Terranern übergeben und es von ihnen ausbeuten lassen, nachdem zuvor die wichtigsten Posten und Schaltstellen von Terranern besetzt worden waren.

»Ich weiß, was du denkst, Imperator«, beschwichtigte Kerkum, der seinen Gesichtsausdruck korrekt gedeutet hatte. »Uns geht es nicht um die terranische Hegemonie. Die LFT ist heute das, was das Große Imperium zur Zeit der Dritten Macht auf der Erde war: Dekadent und frei von Antrieb. Wir wünschen uns ein Vereintes Imperium unter arkonidischer Führung.« Er zog den Handschuh aus und reichte Bostich den Arm. »Unter deiner Führung, Tai Moas.«

Nun war es an Bostich, sich zurückzulehnen. Er schlug die Beine übereinander und legte die Hände im Schoß zusammen. Das Gespräch versprach doch noch, eine interessante Wendung zu nehmen.

»Sprich weiter«, befahl er.

 

4. Ein denkwürdiges Wiedersehen

»Der Imperator höchstpersönlich«, flüsterte Will Dean anstelle einer Begrüßung, als Sam das Quartier betrat. Er stand an einer Cocktailbar, wie sie offenbar zur Standardeinrichtung der Suiten in diesem Trakt gehörte, und hatte sich eben einen Drink bereitet. Vor ihm stand eine halbvolle Flasche, bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte darin hin und her. Er hob das Glas zum Mund, nahm einen tiefen Schluck. Dann sagte er: »Der Imperator, Somer … das, das verändert die Situation erheblich.«

»Führwahr«, bestätigte der Somer und ließ den Schnabel ein Stück offen stehen. »Bostich der Erste. Seine Ankunft war jedoch kein Geheimnis, werter Freund. Camelot hatte mich im Vorfeld an diese Mission mit dieser Information versorgt. Der TLD wird sie sicher ebenfalls besessen haben?«

Dean machte ein Gesicht, als hätte er auf eine dieser unerträglich sauren Früchte gebissen, mit denen die Terraner einige ihrer Getränke und Speisen verzierten.

»Natürlich wusste ich Bescheid«, erwiderte der Agent gedehnt, und Sam musste kein Experte in terranischer Mimik sein um zu erkennen dass er log. »Ein Ereignis dieser Größenordnung ist ja auch schwer geheim zu halten.«

Sam legte den Kopf schräg. Seine Frage war ein Seitenhieb gewesen. Sehr wahrscheinlich hatte der TLD seinen Agenten tatsächlich entsprechend informiert, doch dieser war mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Will Dean stand in dem Ruf, oft Opfer seines ausgeprägten Geschlechtstriebes zu sein. Soviel hatte er in den vergangenen Stunden bei Recherchen über seinen unverhofften Partner in Erfahrung bringen können. Er galt darüber hinaus als Unzuverlässig. Dieses Wissen hätte Sam beunruhigen sollen, doch aus unerfindlichen Gründen amüsierte es ihn nur.

»Ein Glück, dass die Medien galaxisweit über seinen Besuch berichtet haben«, legte er noch eine Schippe drauf. »Ansonsten hätte man diese Randinformation zwischen allen anderen leicht übersehen können.«

Dean nahm einen zweiten Zug aus dem Glas und stellte es ab. Dann durcheilte er die Suite und setzte sich an den eleganten Konferenztisch, den eine Gruppe von Springern vor gut drei Stunden hier aufgestellt hatte. Kellonda hatte ihnen das Möbel überlassen, in einem Anfall von ›Großzügigkeit‹, wie sie es selbst genannt hatte. Genau wie auch die Suite, die die beiden Agenten seit dem letzten Mordred-Überfall faktisch gemeinsam bewohnten. Eigentlich gehörten auch Sams selbsterklärte ›Leibwächter‹ Tyler und Japar zu den Bewohnern, doch die beiden Terraner waren von ihrer Mission noch nicht wieder aufgetaucht. Die Mehandor hatte sie dazu gebracht, den Informationsmakler Sco-Chii von der BASIS zu schmuggeln. Ob sie in Schwierigkeiten geraten waren?

Sam drängte die Überlegungen in den Hintergrund und setzte sich an den Tisch, Tyler gegenüber.

»Ernsthaft, Vogelmann, ich weiß, was du gerade tust«, begann der Terraner, und Sam hatte Mühe ob dieser Respektlosigkeit nicht eingeschnappt zu sein. ›Vogelmann‹ war ein Spitzname, den Kellonda ihm gegeben hatte, sehr zu seinem Missfallen. Aber vermutlich verdiente er die Retourkutsche. Er schämte sich für die Häme, die er an den Tag gelegt hatte. So etwas war unsomerisch. Vermutlich färbten die Sitten dieser Galaktiker langsam auf ihn ab.

»Für Sie Sruel Allok Mok, Mister Dean. Und Sie wissen, was ich tue?«, gab er sich dennoch begriffsstutzig, um sich einen Rest Stolz zu bewahren.

Dean ging nicht darauf ein, ihm schien nicht mehr der Sinn nach Geplänkel zu stehen: »Eine Erholungsreise, so heißt es über Bostichs Besuch offiziell.« Er tippte sich an die Stirn, schüttelte den Kopf dabei. Wenn Sam die Geste richtig verstand, hieß das: ›Unsinn!‹ Der Somer klappte den Schnabel zu.

»Da bin ich geneigt Ihnen zuzustimmen. Camelot vermutet, dass auf der BASIS neue Weichenstellungen für die Zukunft der Machtverhältnisse in der Milchstraße vorgenommen werden sollen. Betrifft uns das? Unsere Mission heißt Mordred …«

»… und die Mordred ist auf der BASIS aktiv«, nahm der Dunkelhäutige den Faden auf. Er nahm ein Dossier, das auf einem Folienstapel in der Mitte des Tisches lag, und schob es dem Somer hin. Neugierig nahm dieser es auf und studierte es. Es handelte sich um eine Auflistung von Personen die im Verdacht standen mit der Geheimorganisation in Verbindung zu stehen. Ein Name war mit einem roten Kreis besonders gekennzeichnet: Oberst Ibrahim el Kerkum. Dem Dossier zufolge der Alleinherrscher einer kleinen, unbedeutenden Randwelt im Assoziationsbereich der LFT. Sam ließ die Unterlage sinken. Ernst blickte er den Terraner an.

»Ich kenne diese Dokumente«, erwiderte er. »Das sind meine Unterlagen, von Camelot.«

»Der TLD ist unterwandert«, rechtfertigte sich der Terraner. »In meinen Dokumenten heißt es ›Galactic Guardians hier, Galactic Guardians dort‹. Ein großes Ablenkungsmanöver, um die eigenen Spuren zu verwischen.«

»Fürwahr«, murmelte der Somer nachdenklich und studierte den eingekreisten Namen. »Was ist so interessant an diesem el Kerkum? Camelot hat ihn schon seit langem als potentiellen Mordred-Mitarbeiter identifiziert.«

»Zwei Dinge: Er hat gute Kontakte ins Kristallimperium, so gut dass er möglicherweise sogar einen Draht zum Imperator hat. Und er befindet sich zur Zeit an Bord der BASIS.«

Erneut legte Sam den Kopf schräg, diesmal war es der TLD-Agent der ihn bloßgestellt hatte. Ärgerlich, dass er diese Punkte nicht selbst verbunden hatte, obwohl sie offen vor ihm gelegen hatten! Aber in den letzten Stunden war er zu beschäftigt gewesen, den Vertreter des estartischen militärisch-industriellen Komplexes auf der Suche nach neuen Absatzmärkten zu geben. Er hasste diese Rolle, verabscheute Krieger und deren Zulieferer zutiefst. Dennoch blieb es ihm nicht erspart, diverse Honoratioren anzusprechen und ihnen Angebote für Massenvernichtungswaffen zu unterbreiten. Genau das hatte er in den letzten Stunden getan, war dazu von Kasino zu Kasino gestreift und hatte so gut es ging Augen und Ohren auf der Suche nach einer Spur offen gehalten. Will Dean hatte ihm zugesichert, in dieser Zeit die Recherchen für ihn zu übernehmen. Sie hatten verabredet, sich zweimal am Tag zum Informationsaustausch im Quartier zu treffen. So wie jetzt.

»In der Nähe des Imperators konnte ich ihn bislang nicht ausmachen«, wagte er eine Ausflucht. »Wenn Ihre Theorie stimmt, verehrter Freund, so wagt Kerkum seine Annäherung zumindest nicht in der Öffentlichkeit.«

»Natürlich nicht. Er ist ein vorsichtiger Ma–«

Der Terraner unterbrach sich, als aus dem Eingangsbereich ein Geräusch erklang. Die Tür hatte sich geöffnet, scheinbar ganz ohne Zutun.

»Erwartest du jemanden, Somer?«

Diesmal brauchte Sam nicht lange nachzudenken, es gab nur eine sinnvolle Erklärung. Sein Gefieder sträubte sich.

»Sie ist wieder da!«, krächzte er.

Der Terraner machte große Augen, dann warf er sich herum. Sein Stuhl kippte. Gerade noch rechtzeitig sprang er auf, bevor er mit dem Sitzmöbel zu Boden poltern konnte. Eine Gestalt erschien im Türrahmen, sie bewegte sich beinahe lautlos.

Es war Shahira. Wie Sam befürchtet hatte. Scheinbar war sie unbewaffnet.

»Na warte!«, stieß der Terraner hervor und setzte zum Sprung an.

Sam rollte die Augen. Sachte berührte er Will Deans Arm, hielt ihn zurück. Er hatte seinem Agenten-Kollegen von dem merkwürdigen Treffen mit der Schimäre berichtet, das während seiner Bewusstlosigkeit stattgefunden hatte. Wie sie sie zunächst hatte töten wollen, dann jedoch einen Anflug von Mitleid bekommen und es sich anders überlegt hatte. Will Dean hatte nicht überzeugt gewirkt.

»Ich finde es bemerkenswert, wie Sie hier ein und aus gehen, als sei dies ihr höchsteigenes Quartier«, sagte Sam. Shahira schürzte die Lippen, hob beide Arme. In den Fingern hielt sie ein winziges, glitzerndes Etwas. Ein Datenkristall, wie sie als Festkörperspeichermedium in Pikosyns verbaut wurden. Sie streckte ihm den Kristall entgegen.

»Du wirst feststellen«, sagte sie leise, »dass eure Arbeit hier erledigt ist, Somer. Mein Herr hat die BASIS verlassen. Ich habe die Kontrolle über das von ihm aufgebaute Agentennetz übernommen.«

»Und das erzählst du uns weil …?«, fragte Will Dean misstrauisch. Er nahm eine Abwehrhaltung ein. Sam spürte ein Zucken in den Kniekehlen. Sein Fluchtinstinkt schlug an, wollte ihn aus dem Raum treiben. Die Erscheinung der Katzenartigen weckte tief verwurzelte Urängste. Aber nichts deutete darauf hin, dass das Zwittergeschöpf eine Attacke plante. Sonst, sagte er sich, hätte sie sie aus dem Verborgenen unter Beschuss genommen, wie sie es schon einmal getan hatte. Mit Mühe gelang es ihm, ruhig zu bleiben.

»Wird’s bald?«

Shahira ignorierte den Ausbruch des Terraners vollkommen. Wortlos streckte sie Sam den Kristall entgegen. Der Somer zögerte. Seine Beine gehorchten ihm nicht.

»Nimm«, forderte die Schimäre ihn auf. »Es sind Informationen darauf.«

»Welche?«

»Sagen wir einfach« – das Wesen ging in die Hocke und legte den Kristall vor sich ab – »Ihr beide seid eurem Ziel, die Mordred zu stürzen, ein ganzes Stück näher gekommen.«

»Das ist ein Trick«, rief Dean. Plötzlich hielt er einen Nadelstrahler in der Hand und richtete ihn auf die Kätzin. Dieser Narr! Er musste die Waffe die ganze Zeit unter der Jacke getragen haben.

Shahira bleckte die Zähne. Es sollte wohl ein Schmunzeln sein.

»Ja«, gab sie unumwunden zu. »Aber nicht für euch. Diesen Trick spielen wir jemand anderem. Jemandem aus unseren Reihen.«

Sam bemühte sich, kontrolliert zu atmen. Das Zucken in seinen Knien ließ nicht nach, seine Instinkte reagierten auf das entblößte Gebiss der Fremden. Auf seiner Heimatwelt, in den Jahrmillionen, die die Evolution gebraucht hatte um seine Spezies zu formen, hatte ein solcher Anblick stets eines bedeutet: Gefahr.

»Ich glaube Ihnen«, zwang er sich zu sagen, was ihm einen scheelen Seitenblick von Dean einbrachte. »Und ich will Ihnen Vertrauen, werte Shahira. Liefern sie mir einen Grund, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.«

»Ich habe Sie belauscht. Ihr terranisches Äffchen hat recht mit seiner Mutmaßung. Die Mordred plant einen Anschlag auf den arkonidischen Imperator. Kerkum nimmt in diesen Augenblicken Kontakt zu ihm auf.«

»Äffchen?« Dean legte den Finger auf dem Abzug, krümmte ihn jedoch nicht. Seine Neugier schien zu überwiegen.

»Ich gehe davon aus«, überlegte Sam laut, »dass die Mordred einen geeigneten Nachfolger für das Amt des Imperators in der Hinterhand hat.«

»Oder vielleicht konnten die Verschwörer sich nicht auf den richtigen Kandidaten einigen?«, riet Dean. »Aus Monkeys Erinnerungen weiß ich, dass eure Nummer Vier Arkonide ist. Versucht dein Herr deshalb, seine Mitverschwörer aus dem Verkehr zu ziehen, weil er selbst den Kristallthron besteigen will?«

Shahira antwortete nicht, sie starrte ihn an. Will Dean musste ins Schwarze getroffen haben.

»Ich verstehe«, fuhr der Terraner fort, als die Schimäre nach endlosen Sekunden noch immer nicht sprach. »Der verhinderte Imperator wollte sicherstellen, dass er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann und vor irgendwelchen Repressalien der Mordred sicher ist. Wir wissen also nun von dem geplanten Attentat auf Bostich. Wozu jetzt noch der Kristall?«

»Er ist wichtig, Terraner. Ich möchte, dass du ihn bekommst. Behalte ihn. Und verwahre ihn gut.« Sie zog einen zweiten Kristall aus der Hautengen Kleidung und warf ihn Sam vor die Füße.

»Meine Kopie?«

»Nein. Die Daten, von denen wir möchten dass Camelot sie erhält. Ein Verzeichnis aller wichtigen Mordred-Stützpunkte in der Milchstraße, sowie der in Diensten der Mordred stehenden Agenten.« Während sie sprach, lief sie rückwärts, entfernte sich Schritt für Schritt von ihnen. »Außerdem der Standort und der Sicherheitscode einer Space-Jet, mit der ihr beide bei Bedarf von der BASIS fliehen könnt.«

Pieeps, pieeps, pieeps!

Sam erschrak. Was war das? Eine Falle?

Nein. Es war der Signalton des Interkoms. Ein Anruf. Ausgerechnet jetzt!

Die Kätzin nutzte den Augenblick der Ablenkung und machte einen Satz. Als der Somer sich von seiner Überraschung erholt hatte sah er nur noch, wie sie durch die Tür schlüpfte.

»Warte!« rief Sam. Er hatte noch so viele Fragen, und so vieles war noch unklar und bedurfte der Klärung!

Dean berührte den Somer am Armgefieder.

»Lass sie, Somer«, sagte er zerknirscht und bückte sich, um den Datenkristall aufzuheben. Dann ging er zur Interkomanlage hinüber und deaktivierte das nervtötende Geräusch.

»Wer programmiert denn so einen Klingelton?«

»Die Dame Kellonda«, mutmaßte Sam, dankbar für die Ablenkung. Nur langsam senkte sich sein Puls. Im Grunde war er ja froh, dass diese Begegnung derart unspektakulär verlaufen war. »Wer ist der Anrufer?«

»Kein Anrufer«, sagte Dean. Ein Displayholo baute sich vor ihm auf, er untersuchte es rasch. »Nur Text. Es ist eine Einladung ins Kasino. Für dich, Vögelchen.« Er drehte sich um, fixierte ihn mit ernster Miene. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Das Schauspiel kam an. Jetzt hat Sruel Allok Mok die Chance, ein Attentat zu verhindern. Wie ein richtiger Geheimagent.«

»Ich?«

Wieder spürte Sam das Zucken in den Kniekehlen.

 

5. Im Casino

Sams Taktik, sich als Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes der Völker Estartus auszugeben, war aufgegangen, auf gänzlich unerwartete Weise. Die Einladung war von einem gewissen Hybren Metustar ergangen, der sich als ein Mitglied des Organisationskomitees für Bostichs Besuch identifiziert hatte, und der zu Ehren des hohen Besuchers scheinbar alles versammelte, was Rang und Namen hatte. Der Imperator hatte einen ganzen Saal für sich in Anspruch genommen und sich die Teilnahme von Kontakten aus Wirtschaft und Finanzwelt erbeten, wohl um neue, wirtschaftlich interessante Kontakte für das Imperium anzuleiern. Im Stillen leistete Sam Tyler Abbitte. Sein selbsternannter Leibwächter hatte sich diese unnötig kriegerische Tarnung ausgedacht, sehr zu seinem Missfallen. Jetzt aber stellte sich heraus, dass er damit recht gehabt hatte.

Die Einladung war kurzfristig ergangen. Sam waren wenig mehr als drei Stunden geblieben um eine annehmbar vornehme Kleidung aufzutreiben, ohne die man ihm den Eintritt ins VIP-Kasino, Gästeliste hin oder her, definitiv verweigert hätte. Zwei Gründe hatte er gehabt, die Einladung dennoch anzunehmen: Ibrahim el Kerkum stand ebenfalls auf der Gästeliste. Und Hybren Metustars Name wiederum stand auf Shahiras Liste aller Mordred-Agenten.

Wenig später stand er im Eingangsbereich des VIP-Saals und ließ das Treiben auf sich wirken. Dies war bei weitem nicht das größte Einzelkasino, mit dem die BASIS aufwarten konnte, dafür mit Abstand das exklusivste, wie er aus dem bordinternen Infonetzwerk wusste. Der Inneneinrichter hatte viel Mühe auf Details verwendet, um den Raum wie ein terranisches Edelkasino aus der Zeit von Perry Rhodans Jugend zu gestalten: Ein roter Fleece Teppich, die Wände mit dunkelbraunem Holz getäfelt, mächtige, goldene Kronleuchter an der Decke, jeder von ihnen schwer genug einen Haluter unter sich zu begraben. Ursprünglich musste es sich einmal um eine der Mannschaftsmessen gehandelt haben. Davon zeugte eine Reihe von Nahrungsdispensern an der Kopfwand, welche die neuen Herren der BASIS mit Lesegeräten für Kreditchips versehen hatten. Eine kleine Gruppe von edelgewandeten Cheborparnern bildete eine Schlange davor. Einer von ihnen zog etwas Undefinierbares aus dem Ausgabeschlitz, wohl eine cheborparnische Köstlichkeit. Sams Blick wanderte weiter, fiel auf verschiedene Spielgeräte unterschiedlichster Bauart. Von terranischem Black Jack bis hin zum obligatorischen Hüylliilliy-Tisch – ein Spiel, das auf das Erraten unterschiedlichster Ultraschall-Frequenzen hinauslief und daher eigentlich nur für Jülzisch-Abkömmlinge interessant war – waren alle Klassiker vertreten. An allen Tischen tummelten sich Gäste, Angehörige verschiedenster Völker. Sam erkannte Arkoniden, Terraner, Springer und Akonen, was es an Lemuriden eben so gab, aber auch Blues und eine Gruppe von Swoon, die sich jubelnd um einen Likossa-Tisch versammelt hatten. Ihr Gegner war ein einsamer Kollmane, der mit gesenktem Haupt am Tisch saß und das Gesicht in den Händen verbarg. Das Rotlicht über seinem Haupt zeigte an, dass er die Partie verloren hatte. Sam empfand Mitleid für den Fremden.

Dominiert jedoch wurde der Spielsaal von einem übergroßen Garrabo-Tisch, der fast den kompletten Mittelkorridor blockierte. Offensichtlich hatte man ihn erst nachträglich aufgestellt. Um ihn herum standen eine Reihe uniformierter Arkoniden, diese wiederum umringt von einer Schar Schaulustiger. Sie versperrten den Blick auf die beiden Spieler. Bei einem von ihnen ahnte Sam jedoch auch so, um wen es sich handelte: Bostich I., der Imperator des Göttlichen Imperiums, galt als passionierter Garrabospieler.

Sam schluckte. Wenn das Attentat jetzt und hier stattfinden sollte, saß der Imperator förmlich auf dem Präsentierteller, wie die Terraner sagten.

Es war zugleich die aussichtsreichste Gelegenheit, dem Herrscher nahe zu kommen, wenn er seine Karten richtig spielte.

Ein Mann löste sich aus der Menge und kam auf ihn zu. Sam sah ihn zum ersten Mal; Er trug die schlichte Kombination, die ihn als einen der Mitarbeiter des gigantischen Unterhaltungstempels auswies. Sein Gesicht war rund und wirkte käsig, als hätte er die letzten Jahre keine Planetenoberfläche mehr gesehen. Er setzte ein einstudiertes Lächeln auf und streckte dem Somer die Hand entgegen.

»Hybren Metustar ist meine Name«, stellte er sich vor. »Du musste der somerische Waffenhändler sein, den ich eingeladen habe. Willkommen, willkommen.«

Sam, verblüfft über den Mangel an gesellschaftlichen Gepflogenheiten, die diesem Ort angemessen gewesen wären, erwiderte den Händedruck halbherzig. So jemanden stellten die ein, um VIP-Gäste zu betreuen? Natürlich verzichtete Sam darauf, gesiezt zu werden. Das hätte ihn wohl als Sruel Allok Mok entlarvt.

Metustar machte eine ausladende Geste.

»Fünfunddreißig Spieltische, für jeden Galaktiker ist etwas dabei. Leider kann ich dir kein Spiel aus deiner Heimat anbieten, aber ich bin sicher du wirst etwas finden, was deinem Geschmack entspricht.« Er zeigte nacheinander auf eine Reihe von Tischen. »Terranisches Baccarat? Niehalgo, ein Klassiker vom Planeten Oxtorne? Oder …«

»Ich wusste nicht, dass arkonidisches Garrabo in Casinos gespielt wird«, unterbrach der Somer den Redeschwall des Terraners und bemühte sich, dabei so harmlos wie möglich zu klingen. Dennoch, seine Stimme zitterte vor Aufregung. Metustar machte ein Zitronen-Gesicht, wie Sam es von Will Dean kannte. Dabei streckte er entschuldigend die Handflächen von sich.

»Typischerweise nicht. Doch der Imperator liebt dieses Spiel. Die üblichen Glücksspiele sind für seinen erlesenen Geschmack zu …« – er suchte nach dem passenden Wort – »barbarisch?«

»Er ist ein Mann von Geschmack«, sagte Sam anerkennend. »So wie auch ich. Es ist das einzige Spiel, das mich tatsächlich interessiert. Und die einzige Herausforderung, die mich reizt. Ein Duell mit dem Imperator.«

Das Zitronengesicht gewann an Bitterkeit.

»Ich bedaure. Garrabo ist ein Spiel für zwei Spieler. Und die Warteliste ist …« Er hielt die Arme weit auseinander, deutete eine imaginäre Liste von unermesslicher Länge an.

»Da bin ich mir sicher«, schnaubte Sam, und es kostete ihn große Überwindung sich so schroff aufzuführen. Das war sonst gar nicht seine Art! Rasch fasste er in die Tasche des geliehenen Jacketts und zog seinen Kreditchip heraus. Wie beiläufig kratzte er sich damit am Schnabel, aber so, dass Metustar auf den Chip aufmerksam werden musste. Ein Glitzern trat in die Augen des Terraners. Sam zögerte. Ob es richtig war, Metustars offensichtliche Gier für seine Zwecke auszunutzen? Vermutlich nicht. Er hasste sich für das, was er gleich sagen würde:

»Möglicherweise gibt es Mittel und Wege, einen guten Platz auf dieser Liste zu ergattern.«

»Hm«, machte Metustar und fuhr sich über das Kinn. Immerhin machte er sich wenigstens die Mühe so zu tun, als müsste er über den kaum versteckten Bestechungsversuch nachdenken. Sam wusste es besser. Das Glitzern verriet ihn.

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach der Terraner schließlich und wandte sich ab, um einen jungen, piekfein gekleideten Springer zu begrüßen, der soeben durch das Portal getreten war. Im Vorbeigehen streifte er Sams Krallen, nahm ihm den Chip ab. Nervös blickte der Somer sich um. Hatte das jemand gesehen?

Nein. Zum Glück, niemand hatte in ihre Richtung geschaut, die Hauptattraktion – Bostich am Garrabo-Tisch – war viel interessanter als ein Kasinobesucher aus der Galaxis Siom Som. ESTARTU sei Dank! Erleichtert stellte er sich neben den Eingang und wartete auf die Rückkehr des BASIS-Angestellten.

*

Nach über einer Stunde wartete Sam noch immer, an derselben Stelle. Er nutzte die Zeit und musterte die neu ankommenden Gäste: Blues, Aras, sogar zwei Maahks in verzierten Schutzanzügen waren darunter. Ob einer von ihnen der Attentäter war? Oder war Metustar selbst der Assassine?

Unruhig trippelte er von einem Bein aufs andere, nahm einen Naat in Augenschein, der an ihm vorüber ging. Der Riese erwiderte Sams Blick aus seinen drei Augen irritiert und blieb stehen. Sein senkrechter Mund verzog sich, er schien zu überlegen woher er den Somer kannte, oder warum dieser ihn so intensiv anglotzte. Offenbar fühlte er sich belästigt. Entschuldigend senkte Sam den Kopf, beeilte sich, in eine andere Richtung zu schauen.

Der Naat blieb stehen. Starrte ihn an.

Geh weiter, flehte Sam stumm. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen! Er drehte sich zum Likossa-Tisch um und tat so, als würde er mit dem Gedanken an eine Partie spielen. Der unglückliche Kollmane war zwischenzeitlich verschwunden, die Swoons warteten auf neue Gegner, denen sie die Taschen leeren konnten.

»Hey, du!«

Die Bassstimme des Naat brachte die Luft zum Vibrieren, sie ging einem durch Mark und Bein. Sams Gefieder sträubte sich wieder einmal, und er spürte das altbekannte Zucken in den Kniekehlen. Der Fluchttrieb drohte, übermächtig zu werden.

»Hey, du! Was gibt’s zu glotzen?«

Still bleiben, befahl er seinen Beinen. War ja mal wieder klar, dass er es von allen Exemplaren dieser Spezies ausgerechnet mit einem der wenigen Individuen zu tun bekam, die dem Klischee eines Naats tatsächlich gerecht wurden: Grob, ungehobelt und scheinbar nicht der hellste.

Der Naat kam auf ihn zu. Streckte den Arm nach ihm aus.

Renn!, schrie seine innere Stimme, so laut, dass er sich nicht dagegen wehren konnte. Er warf sich herum, schlüpfte dem Grobian gerade so durch die Finger. Kaum hatte er zwei Schritte getan, da prallte er unsanft mit jemandem zusammen. Beinahe am Rande stellte Sam fest, wer es war: Hybren Metustar, der Mordred-Spion. Er hatte schon gar nicht mehr mit dessen Rückkehr gerechnet.

»Verzeihen Sie!«, stieß er reflexhaft hervor, bevor er ins Straucheln geriet. Geistesgegenwärtig griff der andere ihm an den Kragen, hinderte ihn am Fallen.

»Na, nicht so eilig«, sagte der Mann und stellte den Somer wieder auf die Beine, als sei er eine Art Puppe, und strich seine Kleidung glatt. Dabei ließ er etwas in Sams Tasche gleiten. Es war sein Kreditchip.

Der Naat brummte und ballte die Fäuste. Mit der Linken holte er aus, unzweifelhaft um Sam einen Schlag zu versetzen. Metustar machte eine Handbewegung, hielt den Fremden so auf Abstand. Mit dem Daumen der anderen Hand deutete er über seine Schulter.

»Wir werden doch keinen Eklat auslösen, Herr Kervool? Dein oberster Lehnsherr dort drüben möchte seinen Erholungsurlaub sicher nicht durch eine Massenschlägerei gestört sehen.«

Der Naat hielt inne, die geistige Anstrengung war ihm förmlich anzusehen. Wieder ballte er die Fäuste.

Sam wich zurück, suchte hinter dem Rücken des Mondgesichtigen Schutz. Wie dieser Riesendummkopf es wohl auf die Gästeliste geschafft hatte? Offenbar war Metustar bei der Zusammenstellung nicht sehr umsichtig gewesen.

Der Riese blähte die Nüstern. Plötzlich machte er einen Ausfallschritt auf den Somer zu, die Faust zuckte drohend. Sam krächzte erschrocken, duckte sich.

Der Schlag kam nicht.

Als Sam sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich traute, die Augen zu öffnen und über die Schulter des Terraners hinweg schaute, war der Naat verschwunden. Erst nach einigem Suchen entdeckte er ihn in der Nähe eines Roulette-Tisches, an dem er soeben zwei ältere Aras beiseiteschob, sich so unsanft Platz verschaffte.

Metustar nickte ihm zu.

»Der Sohn eines einflussreichen Naat-Diplomaten. Ein Idiot durch und durch, eine Schande für sein Volk. Aber ihn nicht einzuladen wäre einer Beleidigung gleichgekommen.«

Sam ging nicht auf die Erklärung ein, sie schien ihm nicht stimmig. Ein Naat-Diplomat? Wurde die Naat-Föderation nicht außenpolitisch durch imperiale Beamte vertreten, also durch Arkoniden? Gedankenverloren schüttelte er den Kopf. Unnütze Spekulationen waren das!

Metustar deutete sein Kopfschütteln falsch. Er breitete die Arme aus, die Sauerfrucht-Mine verzerrte einmal mehr sein rundes Gesicht.

»Es tut mir Leid, verehrter Herr. Die Liste für Bostichs Gegner wird nicht von uns verwaltet, sondern von Mitarbeitern des Imperators. Sie ließen nicht mit sich reden.«

»Ich verstehe«, sagte Sam und scharrte mit den Füßen.

»Ich war so frei, dir einen kleinen Unkostenbeitrag für meine Mühe zu berechnen. Die Buchung auf deinem Chip ist bereits verrechnet.«

Mit einem verbindlichen Lächeln verabschiedete der Terraner sich und wandte sich einer seiner Mitarbeiterinnen zu, die gerade an ihn herangetreten war und ihn angetippt hatte.

»Ja, Lucy«, sagte er und fasste sie bei der Schulter. Gemeinsam Verschwanden sie in der Menge. Schon nach Sekunden hatte Sam die beiden aus den Augen verloren. Er blieb alleine zurück.

*

Die nächste halbe Stunde versuchte Sam vergeblich, sich dem Imperator zu nähern und sich einen Platz an dessen Tisch zu sichern. Drei Gegner hatte Bostich in dieser Zeit abserviert, wenn Sam das Jubeln der Menge als Maßstab nahm. Ab und zu ging einer der arkonidischen Soldaten durch das Kasino und rief Namen aus, vermutlich der des jeweils nächsten Mitspielers auf der Warteliste. Von Imperator selbst jedoch bekam er nichts zu sehen. Die Soldaten der Leibgarde sicherten ihren Herrn effektiv gegen Übergriffe der Schaulustigen ab, und irgendwann befüchtete er, sich mit seinen beständigen Annäherungsversuchen verdächtig zu machen. Ob er vielleicht wie die anderen Gäste bei einem der Glücksspiele mitmachen sollte, um weniger aufzufallen? Er prüfte den Kontostand auf seinem Kreditchip.

Nein, dachte er kurz darauf. Auch dieser Plan schied aus: Die Aufwandsentschädigung, die Metustar hatte abbuchen lassen, erwies sich als erkleckliche Summe. Der Terraner hatte ihn ausgenommen. Ihm war zum heulen.

Das Camelot-Geld, fast mein ganzes Budget! Er würde sich vor Homer G. Adams dafür rechtfertigen müssen.

Nach zehn weiteren Versuchen, in denen er mehrmals versucht hatte, durch die Reihen der Schaulustigen zu schlüpfen und jedes Mal von den Arkoniden zurück gedrängt worden war, gab er schließlich entnervt auf. Er würde nie an Bostich herankommen, er war der schlechteste Agent der je für Rhodan tätig gewesen war! Er würde einen Interkom suchen, Will Dean das verabredete Zeichen zum Abbruch zusenden, sich unauffällig aus dem Kasino verabschieden und an Bord von Shahiras Space Jet fliehen. Aber ob er sich danach je trauen würde den Camelotern wieder unter die Augen zu treten?

Schon legte er sich in Gedanken seine Rechtfertigung zurecht, als er an einer Wand das Interkom-Display entdeckte. Ein Humanoider stand davor und blockierte die Anlage. Ein Gespräch führte er keines, stattdessen rammte seine knöcherne Stirn gegen das Interface, wieder und wieder:

Rumms!

Rumms!

Rumms!

Sam legte den Kopf in den Nacken.

»Entschuldigen Sie«, rief er dem Wesen zu. Der Fremde erstarrte in der Bewegung, gerade als er die Stirn ein weiteres Mal gegen den Interkom schmettern wollte. Dann drehte er sich um, mit nervenaufreibender Langsamkeit. Jetzt erst erkannte Sam in ihm den Kollmanen, der zuvor am Likossa-Tisch gesessen hatte. Sein Blick war leer und traurig, und er starrte durch Sam hindurch.

»Ich müsste diese Anlage kurz benutzen, wenn es Ihnen nichts ausmacht …«

»Alles weg«, sagte der Kollmane, ohne auf Sams Bitte einzugehen. Seine Mundwinkel sanken nach unten.

»Wie bitte?«

»Alles Geld. Das letzte Vermögen meiner Familie. Weg. Verspielt.« Er deutete zum Likossa-Tisch, wo einer der Swoon eben einen kleinwüchsigen Siganesen zum Mitmachen aufforderte. Dann schluchzte er, drehte sich um und rammte einmal mehr die Stirn gegen den Interkom.

Krach!

Sam zuckte zusammen. Wenn dieser Kerl so weiter machte, würde er die Anlage noch unbrauchbar machen!

»Nicht mal mehr genug Geld habe ich, um meinen Onkel um mehr Geld zu bitten«, fuhr der Kollmane fort. Sein Tonfall schwankte zwischen weinerlich und kraftlos: »Das Universum hasst mich.«

Das Gespräch wurde immer seltsamer! Schnell rekapitulierte Sam, was er über das Volk der Kollmanen wusste. Sie standen in dem Ruf, galaktische Pechvögel zu sein. Dieses Exemplar, so schien es, machte diesem Ruf alle Ehre.

Hilflos erwiderte er: »Ich hörte, Swoon sind unschlagbar im Likossa. Vor allem, wenn sie sich untereinander absprechen.«

»Ja«, sagte der Humanoide niedergeschlagen. »Viele kleine Spielsteine. Die Mikrooptik ist ihr Vorteil. Ich wusste vorher, dass ich verliere.«

Sam ahnte, dass er die Frage bereuen würde. Er stellte sie dennoch:

»Warum haben Sie sich trotzdem auf diese Partie eingelassen?«

»Um mir zu beweisen, dass ich recht hatte. Kollman Dom, sagte ich mir, keiner glaubt dir, aber du hast wieder mal recht.« Er drehte sich um, sah Sam diesmal direkt in die Augen, mit einem Ausdruck tiefster Traurigkeit. Seine Mundwinkel sanken noch tiefer, wenn das überhaupt möglich war. »Oh, wie ich es hasse, immer recht zu haben!«

Ohne Vorwarnung brach der Fremde in ein durchdringendes Geheul aus. Noch einmal knallte sein Kopf gegen die Armatur, dann noch einmal, und wieder.

Rumms!

Rumms!

Rumms!

»Garrabo!«, rief die Menge, einige der um den Spieltisch herum stehenden Arkoniden applaudierten spontan. Schon wieder hatte der Imperator einen seiner Gegenspieler vom Brett geräumt. Der Kollmane machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Auch gegen ihn wollte ich mich versuchen. Eine Warteliste gäbe es, sagten sie. Und ob ich darauf stünde oder an die Reihe käme, sei Glückssache. Und dann drückten sie mir diesen Zettel in die Hand. Irgend ein Interkosmo-Zeichen, und ich kann kein Interkosmo lesen.«

Er fasste in seine Manteltasche und reichte Sam ein zerknülltes Stück Folie. Verwirrt nahm der Somer es entgegen und entfaltete es. Eine rote ›9‹ stand darauf.

»Das ist eine niedrige Zahl. Sicher kommen Sie an die Reihe.« Der Somer wollte den Zettel zurückgeben, doch der Kollmane verschränkte die Arme, weigerte sich ihn anzunehmen.

»Hörtest du nicht? Es sei Glück, sagten sie. Glück! Als ob ich jemals Glück hätte!«

»Bostich gilt nicht umsonst als Großmeister des Garrabo«, gab Sam zu bedenken. »Er verspeist seine Gegner geradezu. Sicher sind Sie bald dran.«

Ein entsetztes Kopfschütteln war die Antwort.

»Großmeister? Verspeisen? Dann käme ich nur an die Reihe, um mich von ihm demütigen zu lassen? Damit mir jeder beim Versagen zusieht?«

Kollman Dom warf sich herum und schmetterte die Knochenstirn ein letztes Mal gegen den Interkom.

RUMMS!

Diesmal war es so weit: Das Display barst. Lange Risse zogen sich über das Material, Splitter fielen zu Boden. Die Leuchtanzeige, die soeben noch Betriebsbereitschaft angedeutet hatte, erlosch umgehend. Verblüfft ließ der Kollmane von dem Gerät ab.

»Das schlimmste ist«, jammerte er, »ich wusste, dass mir das passieren würde.«

»Entschuldige«, sagte plötzlich eine bekannte Stimme hinter Sam. Es galt dem Kollmanen: »Ich muss dich leider bitten, das Kasino zu verlassen. Wir dulden keine Gefühlsausbrüche hier.«

Nach während Sam darüber nachsann, was für eine dämliche Begründung für den Rauswurf das doch war – war dies ein Kasino oder nicht? – trat Hybren Metustar in sein Sichtfeld, diesmal in Begleitung zweier Sicherheitsleute. Einer von ihnen, der öligen Haut und dem kahlen Schädel nach zu urteilen offenbar ein Oxtorner, fasste den Kollmanen am Arm und zog ihn mit sich. Widerstandslos ließ der Humanoide sich abführen.

»Sieht mir ähnlich!« Kollman Dom senkte den Kopf. »Selbst der gerechte Zorn ist mir nicht vergönnt. Das Universum hasst mich wirklich!«

Verlegen blickte Sam sich um, bemerkte dass einige Kasinogäste sich neugierig zu ihnen umgedreht hatten. Ein Arkonide stand einige Meter von ihm entfernt und rief etwas, doch es ging im Raunen der Menge unter. Doms Auftritt hatte einiges Aufsehen erregt.

Erst beim zweiten Mal verstand der Somer: »Der Spieler mit der Nummer Neun wird gebeten, den Garrabo-Tisch zu besuchen.«

Nummer Neun. Irgendetwas war doch gerade eben noch damit gewesen? Nachdenklich zerknüllte Sam den Zettel des Kollmanen, überlegte. Nummer Neun … Nein, es fiel ihm nicht mehr ein. War wohl nicht so wichtig.

»Der Spieler mit der Nummer Neun. Kollman Dom an den Spieltisch, bitte.« Der Arkonide klang ungeduldig.

Da, endlich, rutschte der Galax! Nummer Neun, natürlich.

»Kollman Dom«, schrie Sam geistesgegenwärtig. Er gestikulierte wild und winkte. »Kollman Dom … hier!«

Er deutete dorthin, wo der Kollmanen eben noch gestanden hatte. Doch der Fremde war verschwunden, war zusammen mit den Sicherheitsleuten jammernd in der Menge verschwunden.

»Bist du Kollman Dom?«

»Ich …«

Der Arkonide sah ihn auf eine gänzlich undeutbare Weise an, die Augen leicht zusammengekniffen, den Mund kaum merklich in die breite gezogen. War das Spott? Bei ESTARTU, wenn er diese Menschengesichter doch nur besser lesen könnte

»Wird höchste Zeit! Den Imperator lässt man nicht warten.«

»Nein, Sie missverstehen …«

Sams Gezeter ging im Applaus unter, den die übrigen Gäste für ihn hatten. Er fühlte sich gepackt und unsanft angehoben. Es war eine beinahe bizarre Situation, er, der sich aus Leibeskräften gegen den körperlich weit überlegenen Arkoniden wehrte, und die Menge die ihm zujubelte, weil ihm diese große Ehre widerfuhr …

Augenblick! Ich wollte doch in Bostichs Nähe!

Schlagartig stellte er die Gegenwehr ein, hing schlaff in den Armen des Mannes. Ehe er sich’s versah, trug der Soldat ihn durch die Reihe seiner Kollegen und setzte ihn auf den Stuhl vor dem Imperator ab. Der Arkonidenherrscher musterte ihn, wie man ein Insekt studiert. Verlegen klapperte der Somer mit dem Schnabel. Das war eine höchst unerwartete Entwicklung!

»Sieh an, wen haben wir denn da?«, sagte der Imperator und runzelte die Stirn. Die Geste war Sam völlig fremd, er war zu aufgeregt sie zu deuten. Was bedeutete das noch einmal? Ein Zeichen von Verwirrung? Angst?

»Ich …«

Der Soldat deutete eine Verbeugung an und nahm die Liste der Gegenspieler hervor, so hätte er schon wieder vergessen wen er vor sich hatte. Pflichtbeflissen las er vor:

»Kollman Dom, Zhdopanthi, ein Flüchtling vom Planeten Kollman.«

»Ein Kollmane, ja?« Bostichs Brauen wanderten in die Höhe.

Einen endlosen Augenblick befürchtete Sam, der Arkonide würde das Missverständnis durchschauen, es zum Anlass nehmen, ihn exekutieren zu lassen. Dann jedoch verscheuchte er den Untergebenen mit einem lässigen Wink. »Danke Geromal, du kannst gehen.«

Der Soldat verbeugte sich.

»Ja, Zhdopanthi«, rief er und wandte sich um, um seinen Platz in der Reihe einzunehmen.

»Mein Thantan«, erklärte Bostich und lächelte. »Untergebene. Man kann nicht ohne sie, aber sie werden schnell lästig. Nicht wahr, Kollman Dom vom Planeten Kollman?«

Sam überlegte. Er hatte ein schlechtes Gewissen, fühlte sich wie ein Schwindler, auch wenn es sich bloß um ein Missverständnis handelte. Sollte er die Wahrheit sagen? Würde der Arkonidenherrscher ihn dann vielleicht wegen Betrug erschießen lassen? Ein letztes Mal suchte er unter den Schaulistigen nach dem unglücklichen Kollmanen. Er war nirgends zu sehen.

Sein Gewissen gewann die Oberhand. Er hielt die zuckenden Knie fest und setzte an:

»Ich bin …«

Weiter kam er nicht. Bostich hielt sich den ausgestreckten Zeigefinger vor die Lippen.

»Ich weiß, wer Sie sind, Sruel Allok Mok. Der Tu-Ra-Cel hat seine Augen und Ohren überall.« Er schmunzelte. »Ich hätte nur gedacht, dass man sich auf Camelot glaubhaftere Tarnidentitäten ausdenkt. Ihnen fehlt die Statur eines Kollmanen.«

Sam schluckte. Ertappt, entlarvt. Ich habe versagt, Perry Rhodan, war nie ein guter Agent.

Dann erst wurde ihm klar, dass der Imperator einen Scherz gemacht hatte. Ihm fehlte nicht nur die Statur eines Kollmanen. Zwischen dem vogelhaften Somer und einem dieser humanoiden Pechvögel bestand nicht die geringste körperliche Ähnlichkeit… Und überhaupt, der Imperator hatte nicht nur das höfliche Sie benutzt, er hatte ihn auch mit der korrekten Form seines Namens angesprochen. Ein Zeichen der Höflichkeit. Und ein Kunststück, das den meisten Lemuriden schwer zu fallen schien. Sofort empfand er Sympathie für den Arkoniden. Der Mann hatte Format!

Bostich grinste nun offen und begann, die Spielfiguren auf dem Brett zu sortieren und in ihre Grundaufstellung zu bringen. Interessant, fand Sam. Ein Mann seines Standes sollte Lakaien für so etwas haben. Bostich war ein Mann der Tat, kein verweichlichter Adelsspross.

»Die Regeln des Garrabo sind Ihnen bekannt?«, fragte er beiläufig. Er stellte zwei Figuren an den Rand des Spielfeldes. Sie waren größer und reicher verziert als die restlichen. Dabei verfiel er in eine Art Referat: »Osmaá Loron und Vretatou sind die herrschaftlichen Spielsteine. Sie gilt es zu schützen.« Davor stellte er eine Reihe kleinerer Figuren, sodass sie eine geschlossene Reihe bildeten. »Die Zhygor’ianta. Lichtkämpfer. Fußsoldaten, wenn man so möchte. Dazu kommen Schwertkämpfer, Bogenschützen, Läufer und Barden. Jede Figur hat eine eigene Persönlichkeit und eigene Fähigkeiten. Richtig eingesetzt können sie Spielentscheidend sein.«

Während der Imperator erst Sams, dann seine eigenen Figuren nacheinander aufs Brett stellte, sah der Somer sich um. Nach wie vor schirmten die Soldaten sie mit ihren Leibern vor den Schaulustigen ab, indem sie einen Ring um den Tisch bildeten. Doch würde das genügen, den Attentäter aufzuhalten? Da, hinter dem Imperator! Das war doch dieser ungehobelte Naat von vorhin! Drohend blickte der Riese über die Köpfe der Kristallgarde hinweg und auf den Spieltisch hinab.

»Ich bin mit den Spielzügen nicht vertraut«, gestand Sam hastig. »Offengestanden bin ich auch nicht hier, um Garrabo zu spielen.«

Die Brauen des Imperators stiegen noch ein Stück höher.

»Sondern?«

Sam setzte alles auf eine Karte. Er nahm einen Stein vom Brett, wog ihn in den Krallen. Tat so, als müsste er überlegen, welchen Zug er machen müsste. Und dann, als er glaubte dass keiner der Soldaten hinsah, tauschte er ihn gegen den Datenkristall. Er stellte den Stein so, dass Bostich ihn mit seinem ersten Zug unausweichlich Schlagen musste.

»Augenblick!«

Der Thantan, der ihn auf den Stuhl gesetzt hatte, fuhr herum, gedankenschnell. Einen Herzschlag später presste sich der Lauf einer Strega gegen Sams Schläfe. Dem Somer entfuhr ein klägliches Krächzen. Respekt!, dachte er trotz des Schrecks. Der Soldat war keine Sekunde lang unaufmerksam gewesen, hatte Sam nie aus dem Augen gelassen, obwohl er mit dem Rücken zu ihm gestanden hatte. Wie er dieses Kunststück vollbracht hatte, würde ihm ein Rätsel bleiben.

»Ruhig, Geromal. Ein alter Freund schickt ihn«, beruhigte Bostich ihn mit seltsamer Betonung. »Ein Freund, der mir sicher nichts Böses will.«

Bostich blickte erst den Thantan an, dann Sam. Sein Grinsen verschwand nicht, doch seine Augen blitzten streng. Eine Warnung! Im Kristallpalast verschwendete man offenbar nicht viel Energie mit Worten.

Er redet von Rhodan. Perry Rhodan ist der Alte Freund.

Der Gardist machte wieder seine angedeutete Verbeugung. Die Strega verschwand in dem Holster, das der Arkonide auf dem Rücken trug, und Sam atmete aus. Erst jetzt bemerkte er, dass er die Luft angehalten hatte.

»Wie soll ich beginnen …« Er entsann sich seiner Tarnung, beschloss, sie aufrecht zu erhalten. Zwar hatte der Imperator ihn erkannt, doch die übrigen Kasinogäste mussten nicht erfahren dass die Veranstaltung, die sie gerade besuchten, das Ablenkungsmanöver einer Terrororganisation war. Unnötige Panik galt es zu vermeiden.

Doch wie konnte er dem Imperator die Information durch die Blume zukommen lassen?

»Es gibt da ein wichtiges Rüstungsprojekt«, begann er umständlich, »das in meiner Heimat in Siom Som höchsten Stellenwert genie …«

Der Arkonide rollte mit den Augen.

»Wir können frei sprechen.« Bostich ließ den Zeigefinger kreisen, eine Geste, die seine Leibwächter ebenso einschloss wie sämtliche Kasinogäste. »Schalldämpfungsfeld. Unipolar. Wir hören sie, sie uns nicht. Ich mag es nicht, von Essoyas belauscht zu werden.«

Oh! Das erleichterte die Sache natürlich. Der Somer entspannte sich.

»Es gibt eine Organisation«, erklärte er den Grund seines Hierseins, »deren Ziel die Wiederherstellung des Großen Tamaniums der Lemurer ist. Die Mitglieder nennen diese Organisation …«

»Mordred«, fiel der Arkonide ihm ins Wort. Er nickte wissend. »Gewisse Elemente aus dem Dunstkreis dieser Organisation sind dem Kristallpalast bekannt. Weiter.«

»Ein Mitglied dieser Organisation, ein Oberst Kerkum, …«

»Ist heute hier eingeladen. Auf meinen Wunsch, möchte ich anmerken. Leider ist er verhindert.« Bostich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn Sie nichts besseres für mich haben …«

»Mordreds erstes Ziel ist die Vereinigung der existierenden Lemurerreiche«, fiel Sam dem Imperator ins Wort, und er fühlte sich wie ein Rebell dabei. Wie Verwegen von ihm, einen Herrscher zu unterbrechen!

Bostich erwiderte seinen Blick abschätzig.

»Selbstverständlich. Und zwar unter Führung des Kristallimperiums. Warum also sollte mir das ungelegen kommen?«

Einen Moment lang verschlug es dem Somer die Sprache. Mit dieser Direktheit hatte er nicht gerechnet. Vorsichtig fuhr er fort: »Was lässt sie glauben, dass die Mordred an dieser Stelle ihre Bemühungen einstellt?«

Bostichs Blick wanderte ins Leere. Er legte den Kopf schräg, als ob er einer unsichtbaren Stimme lauschte. Hielt er gerade Rücksprache mit seinem Extrasinn?

»Weiter«, befahl er.

»Lassen sie Kerkum verhören. Sie werden herausfinden, dass ein gewisser da Quertamagin schon als ihr Nachfolger auserkoren wurde.«

»Da Quertamagin? Ich kenne diese Familie.«

»Dann sollte es Ihnen leicht fallen, ihn ausfindig zu machen.«

»Es ist eine große Familie.«

Bostich nahm den Kristall vom Brett, drehte ihn zwischen den Fingern. Er betrachtete ihn von allen Seiten, als würde er eine imaginäre Inschrift lesen.

»Ich bin neugierig. Warum übergeben Sie dies nicht einfach meinem Thantan?«

»Zu unsicher. Ich weiß nicht, wem ich trauen kann.«

»Man sollte meinen, dass das die Grundvoraussetzung für einen guten Agenten ist. Spart man auf Camelot neuerdings am Personal?«

Da war sie wieder, diese spöttische Art, die allen Arkoniden eigen zu sein schien. Lag es an ihm? Trat er nicht selbstbewusst genug auf? Sam nahm allen Mut beisammen, plusterte sein Gefieder zu einer Drohgebärde auf.

»Wenn Ihr mir nicht glaubt, Eure millionenäugige Erhabenheit, oder mich nicht ernst nehmen wollt …«

»Oh, Ich glaube Ihnen, Sruel Allok Mok. Und glauben Sie mir, ich nehme keine Morddrohung auf die leichte Schulter.«

Sam lehnte sich zurück.

»Dann sollten Sie die Daten sichten.«

Bostich atmete scharf ein. Dann steckte er den Kristall in die Uniformtasche.

»Ich werde die Tu-Ra-Cel informieren. Meine Celista werden Ihren da Quertamagin ausfindig machen.« Er lehnte sich vor, zog einen seiner Zhygor’ianta an die Stelle, von der er den Datenkristall genommen hatte.

»Nun zurück zu unserer Partie. Ich bin hier, um Garrabo zu spielen.«

 

6. Der Lohn des Verrates

Dejabay, vier Stunden später

»Wie meinen Sie das, er ist abgereist?«

Da Quertamagin brüllte das Holo Kerkums an, das vor ihm im Wohnraum schwebte, und er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Er hätte selbst dann schreien müssen, wenn er nicht so wütend gewesen wäre. Der Lärm, der vom Gang in seine Zimmerflucht drang, kam immer näher.

Kampflärm.

Da! Noch eine Explosion! Jemand schrie. Dann – Stille. Sekundenlang hörte der Arkonide nur noch seinen eigenen Atem.

Wo hin? Es ist kein Fluchtweg mehr offen!

Das Kerkum-Holo lächelte säuerlich. Als hätte der Mashrate nicht auf ganzer Linie versagt. Als wäre sein Scheitern nur ein kleines Missgeschick gewesen.

»Bostich ist abgereist«, wiederholte er. »In höchstem Zorn. Er lehnt jede weitere Zusammenarbeit ab und denkt über eine Annexion des Mashritun-Systems nach. Es ist, als hätte ihm irgendwo ein Vögelchen unseren Plan gezwitschert.«

Dieser Clown! Am liebsten hätte er ins Holo gegriffen, sein gegenüber für diesen blumigen Vergleich geohrfeigt. Er verbat es sich, damit hätte er sich lächerlich gemacht. Durch das Holo wären seine Fäuste einfach hindurch gegangen.

»Das ist nicht gut, Oberst. Wirklich nicht gut!«

Es war die Untertreibung des Jahrtausends. Der Imperator hatte an Bord des ehemaligen Fernraumschiffs das Leben lassen sollen. Dort hatten sie ihn wie auf dem Präsentierteller vor sich gehabt, der Naat, den sie erpresst hatten, hätte ihn getötet, ohne dass seine Leibgarde viel hätte unternehmen können. Nun war der ganze Plan in Gefahr.

Sein Plan. Der, den er Rhifa Hun suggeriert hatte.

Der Plan, der ihn auf den Kristallthron gebracht hätte!

Tränen der Erregung flossen über da Quertamagins Wangenknochen, mischten sich mit seinem Angstschweiß – Arkoniden transpirierten kaum, doch in diesem Augenblick schien da Quertamagins Körper eine Ausnahme zu machen. Er zog ein besticktes Tuch aus der Brusttasche, wischte die Feuchtigkeit weg. Jemand aus dem Führungskreis hat versagt, dachte er. Wer, das hatte er noch nicht entschieden.

»Leere Drohungen«, wies er den Mashraten zurecht. »Tun Sie alles, das Attentat dennoch zum Abschluss zu bringen. Sie werden …«

Ein Krachen ließ den Arkoniden herumfahren. Die Tür! Jemand hatte von außen dagegen geschlagen, oder vielmehr getreten. Hastig gab er dem Servo die entsprechende Geste, und das Holo des Mashraten fiel in sich zusammen.

Wir sprechen uns noch, Oberst!

Rumms!

Rumms!

Wieder und wieder krachte es an der Tür. Er bildete sich ein, dass das Türblatt bei jedem Tritt nachgab, sich ausbeulte. Aber das war natürlich Unsinn. Tief atmete er durch, wischte sich ein letztes Mal die Tränen ab und stellte sich so aufrecht hin, wie seine Leibesfülle es erlaubte. Mit kraftvoller Stimme rief er:

»Wer wünscht mich zu sprechen, zu dieser späten Stunde?«

Rumms, machte es ein letztes Mal, und die Tür barst aus den Angeln. Der Rahmen hatte nachgegeben, Splitter ragten in den Raum. Durch die entstandene Öffnung quollen Vier, fünf, nein, sechs Maskierte. Arkoniden, den weißen Augenbrauen nach zu urteilen, die er durch die Sehschlitze der Sturmmasken erkennen konnte. Die Anzüge der Eindringlinge waren schwarz und hauteng, und sie wiesen keinerlei Merkmale auf, die sie unterscheidbar gemacht hätte. Dennoch wusste da Quertamagin sofort, mit welchen Leuten er es zu tun hatte. Er kannte solche Anzüge!

Celista!

»Das ging schnell«, sagte da Quertamagin spöttisch zu dem vordersten Maskierten. »Ich sehe, der Begam verschwendet keine Zeit.«

Seine Ruhe war gespielt, in Wahrheit raste sein Herz, die Fingerspitzen, die er unter den Falten seines Gewandes versteckt hielt, zitterten. Vorsichtig linste er an den zwei letzten Maskierten vorbei, die im Eingang stehen geblieben waren, wohl um eine Flucht zu verhindern. Auf dem Korridor lag etwas, das wie ein verkrümmtes Bein aussah. Der Körper, den es einst getragen hatte, fehlte. Eine rote Spur führte davon weg, verschwand hinter der nächsten Gangbiegung. Da Quertamagin ächzte.

Der vordere Celista trat auf ihn zu, hob die Strega. Das Ende des Gewehrs presste sich gegen seine Brust. Da Quertamagins Mine war ausdruckslos, nur seine Kiefer mahlten.

»Eron da Quertamagin?«, kam es gedämpft unter der Sturmmaske hervor, mehr eine Feststellung als eine Frage. »Oder soll ich sagen: Nummer Neun?«

Seine Kehle schnürte sich zusammen. Nummer Neun, das war sein Rang innerhalb der Mordred – und der Celista kannte ihn. Schlagartig wurde ihm klar, was das bedeutete. Dies war nicht nur Bostichs Rache für ein gescheitertes Attentat. Sie waren aufgeflogen, die Organisation, ihre Identitäten – die im Kristallpalast wussten alles! Seine Fäuste ballten sich. Sie hatten nicht nur ein Sicherheitsleck. Jemand hatte sie verraten. Jemand, der die zehn Führungsmitglieder kannte.

Jemand aus ihren eigenen Reihen.

Nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er hob die Arme, zwang sich, die Fäuste zu öffnen und streckte sie in die Höhe, mit demonstrativer Gelassenheit.

»Ich bewundere ihre Auffassungsgabe, mein Lieber …«

Weiter kam er nicht. Ohne Vorwarnung stieß der Celista ihm die Strega in den Bauch, mit einer Wucht, die ihm die Luft aus dem Körper presste.

»Uff«, machte er, und ging auf die Knie. Sterne standen plötzlich vor ihm in der Luft, und mit einem Mal sah er sich auf Augenhöhe mit dem Schritt des Maskierten. Stur starrte er auf die Körpermitte des Celista. Er würde diesem Essoya nicht die Genugtuung geben, zu ihm aufzuschauen!

Auf einen Wink ihres Anführers hin stellten zwei der Angreifer sich neben ihn, packten ihn bei den Schultern. Ein Dritter trat hinter ihn und zwang seine Unterarme auf seinen Rücken. Dann legte er ihm eine Energiefessel an.

»Sie wollen mich abführen wie einen gemeinen Verbrecher?«, schnaufte da Quertamagin, bemüht, seine Würde zu bewahren. »Vor meinen Mitarbeitern?« Er nickte in Richtung des Korridors. Anklagend lag dort noch immer das einzelne Bein. »Mich, einen Mann von Arkons höchstem Adel? Warten Sie, bis meine Familie davon erfährt. Und der Imperator.«

Es war ein plumper Einschüchterungsversuch, und Nummer Neun wusste das. Der Maskierte schien seine Unsicherheit zu spüren, so gut er sie auch zu verbergen versuchte. Er sprang nicht darauf an. Wie zu erwarten.

»Seine Erhabenheit hat ihre Verhaftung persönlich angeordnet«, sagte der Celista, und seine Stimme troff vor Spott. Er nickte in Richtung abgetrenntes Bein, äffte den Verhafteten auf diese Weise nach. »Keine Sorge wegen Ihrer Mitarbeiter, um die haben wir uns schon gekümmert. Aber Bostich I. lässt Ihnen ausrichten, dass er sich etwas Besonderes für Sie ausgedacht hat. Eine Spezialität, auf die man sich auf Celkar versteht. Und Sie glücklicher kommen fünfzig Mal in den Genuss!«

Da Quertamagin wurde bleich, seine Kehle fühlte sich an, als hätte er Sägespäne verschluckt.

»Eine Spezialität Celkars?«

Die Worte klangen schal, als er sie sich sagen hörte, es war als spräche ein ganz anderer.

Die infinite Todesstrafe. Fünfzig Mal!

Fünfzig Mal würde er unter Schmerzen sterben, wiederbelebt und erneut getötet werden. Und am Ende würde er tot bleiben. Ein Martyrium, nach dem er sich den Tod herbei sehnen würde!

Eron da Quertamagin war zu benommen um noch Widerstand zu leisten, als er abgeführt und an Bord der THEK-LAKTRAN gebracht wurde. Eine Stunde später startete Bostichs Flaggschiff in Richtung des Gerichtsplaneten, mit dem Häftling an Bord.

*

 

TOBRUK, zwei Stunden später

»Landeanflug abgeschlossen. Wir haben aufgesetzt, keine Zwischenfälle.«

General Walther Eyke atmete auf und musterte das Statusdisplay, das der Bordsyntron der TOBRUK ihm automatisch vor den Kommandosessel projizierte. Er war zufrieden. Sie waren ohne Genehmigung oder Ankündigung in den Raumkorridor um Stiftermann III eingedrungen, und hatten auf dem größten der fünf Landeplätze auf der Oberfläche der BASIS aufgesetzt. Eigentlich ein kriegerischer Akt, aber es hatte schnell gehen müssen. Gefahr war in Verzug. Er stand auf, legte dem Piloten die Hand auf die Schulter.

»Gute Arbeit, Lehorga. Die Organisation wird Ihnen dankbar sein.«

Eyke nickte dem jungen Mann aufmunternd zu und hoffte, dass er überzeugend wirkte. Seine gute Stimmung war aufgesetzt, das Schauspiel anstrengend. Alles ging den Bach herunter, und jeder Versuch, die Situation zu entschärfen, würde es nur noch schlimmer machen.

Der Funkoffizier meldete sich zu Wort: »General, Anruf von der BASIS.«

Ah! Wurde Zeit!

»Durchstellen.«

Ein Holo baute sich in der Mitte der Zentrale auf, direkt oberhalb des Taktikglobus. Es zeigte einen pausbäckigen Mann in der Bordkluft der BASIS, der zornig in die Aufnahmeoptik blickte. Der Bordsyntron drehte die Darstellung so, dass Eyke den Eindruck hatte der Unbekannte würde ihm direkt in die Augen starren.

»Sind Sie von Sinnen?«, fuhr der Anrufer ihn ohne eine Begrüßung an. »Dies ist kein öffentlicher Landeplatz! Sie befinden sich auf Privatbesitz. Entfernen Sie ihr Schiff umgehend.«

Eyke grinste ihn kalt an. Dieser unhöfliche Auftritt verriet einiges. Auf der BASIS, in deren Zentrale, waren sie außer sich. Das gefiel ihm. Es war immer gut, seinen Gegner gleich aus der Reserve zu locken.

»Wir werden das Gegenteil tun. Sharnishan, geben Sie den Einsatzbefehl.«

Sharnishan, ein junger Brückenoffizier, nickte und leitete den Befehl weiter. Eyke rieb sich die Hände.

»Einsatzbefehl?«, echote der Mann im Holo verblüfft. Er beugte sich zur Seite, musterte offenbar irgendwelche Anzeigen, die sich außerhalb des Aufnahmebereiches befanden. Er wurde blass. Eyke ahnte, was seine Geräte ihm verrieten: In dieser Sekunde öffneten sich die Schotten der TOBRUK, und seine Söldner würden sich Zutritt zur BASIS verschaffen. notfalls mit Gewalt. Der Mann im Holo richtete sich auf, schüttelte ungläubig den Kopf.

»Dies ist ein kriegerischer Akt. Die BASIS …«

»… ist kein Staat, dem man Krieg erklären könnte. Und auch kein militärischer Stützpunkt mit nennenswerter Bewaffnung. Die TOBRUK ist das Flaggschiff der Organisation Mordred. Wir sind hier um ein Missverständnis aufzuklären.«

»Ein Missverständnis?«

Mit aufgerissenen Augen glotzte der BASIS-Mitarbeiter ihn an, als käme ihm soeben die Erkenntnis, es mit einem Irren zu tun zu haben. Heimlich freute Eyke sich darüber. Es war fast so, als hätte er die Situation unter Kontrolle.

Nur nicht zu selbstsicher werden, ermahnte er sich. Die Sache konnte immer noch in die Hose gehen.

»Unsere Ladeeinheiten werden die BASIS durchkämmen. Wir sind auf der Suche nach einem Verräter.«

Der Mann sprach nicht mehr. Sein Gesicht hatte jeden Ausdruck verloren. Eyke fuhr fort:

»Unseren Informationen nach, beherbergen Sie einen Arkoniden namens Eron da Quertamagin, ein Mitglied unserer Organisation. Er hat ein Attentat auf Gaumarol da Bostich geplant, und Mordred damit diskreditiert.«

Die Lüge ging ihm so glatt von der Zunge, dass er beinahe stolz auf sich war. Es war nicht nur eine Verdrehung der Tatsachen. Es war zugleich der verzweifelte Versuch, die Lage zu retten. Nach diesem Tag würde ohnehin nichts mehr sein wie zuvor. Mordred war aufgeflogen, konnte sich nicht mehr im Schatten verstecken. Es galt, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Der Mann im Holo beugte sich erneut beiseite, prüfte nochmals seine unsichtbaren Displays. Sein Oberkörper geriet aus dem Aufnahmebereich, es sah so aus als würde er sich von der Hüfte aufwärts auflösen. Als er wieder erschien, wirkte er ratlos.

»Kein Mann dieses Namens ist auf unseren Gästelisten verzeichnet.«

Eyke zog eine wütende Mine, tat so als sei er enttäuscht von dieser Auskunft. In Wahrheit überraschte es ihn nicht. Natürlich stand der Arkonide nicht auf der Liste, er hatte das ja alles gerade eben erst erfunden. Als Teil seiner List.

»Dann ist er unter falschem Namen registriert. Prüfen sie alle Arkoniden auf ihren Gästelisten.«

»Das kann Stunden dauern.«

Eyke tat, als würde er kurz überlegen.

»Der Attentäter muss auf Tuchfühlung mit dem Imperator gegangen sein. Gibt es Bildaufzeichnungen, bei denen Bostich in großen Personengruppen zu sehen ist?«

Der Mann grübelte eine Weile, dann drehte er sich hilfesuchend nach jemandem außerhalb des Holos um – einer seiner Kollegen, vielleicht ein Vorgesetzter, dessen Erlaubnis er brauchte. Eyke war es gleich. Er würde sich die Informationen holen, notfalls mit Gewalt.

Offenbar würde das aber nicht nötig sein: Im Hintergrund der Übertragung war eine leise Frauenstimme zu hören:

»Sag’s ihm, Tellemaas. Je eher die weg sind …«

›Tellemaas‹ schnaufte, bevor er endlich antwortete: »Bei zwei Gelegenheiten, ja. Bei seiner Ankunft im VIP-Hangar, und bei einer Garrabo-Partie im Kasino.«

Es kostete Eyke Mühe, das triumphierende Grinsen zu unterdrücken.

»Sie werden mir diese Aufzeichnungen aushändigen.«

Der Mann im Holo stammelte: »Das… ich kann wirklich nicht…«

»Doch sie können. Und möglicherweise werden die Thermogeschütze sie überzeugen, die die TOBRUK auf die BASIS gerichtet hat.«

Er winkte seinem Waffenleitoffizier zu, in Wahrheit eine nichtssagende Geste. Noch ein Bluff, ein sehr platter dazu. Bei einem Angriff aus dieser Distanz hätte die TOBRUK sich eher selbst vernichtet als die BASIS. Eyke verließ sich darauf, dass der Kasinomitarbeiter keine Militärische Grundausbildung besaß, oder dass seine Panik ihm den Verstand benebelte.

»Wird’s bald?«, bellte er.

Wieder hatte er Glück: Sein Bluff ging auf.

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, antwortete Tellemaas.

*

Zwanzig Minuten später hatte Eyke, was er wollte. Der ängstliche BASIS-Angestellte hatte die gewünschten Aufzeichnungen in die Datenbanken der TOBRUK überstellt – ob mit oder ohne das OK seiner Vorgesetzten, das war dem General egal. Was kümmerte ihn das Schicksal von Geschmeiß?

Er hatte sich in einen kleinen Konferenzraum zurückgezogen, der an die Zentrale anschloss. Hier war er ungestört, lediglich Rhifa Hun hatte sich via Hyperfunk zugeschaltet. Die Nummer Eins der Mordred hatte darauf bestanden, die Unterlagen mit dem General gemeinsam zu sichten. Die Übertragung war verschlüsselt und lief randomisiert über ein Netzwerk aus einigen hundert undokumentierten Backbone-Knoten, was die Übertragung zwar etwas langsamer, dafür praktisch nicht zurück verfolgbar machte – Onion-Routing hatte der Datentechniker der TOBRUK das genannt. Eyke war es egal, so lange es funktionierte.

»Servo, Aufnahme abspielen. Und bring mir Wasser.«

Der Syntron projizierte die Daten von der BASIS in die Tischmitte, wo sie als dreidimensionale Darstellung erschienen. Er erkannte einen Hangar, in dessen Mitte soeben ein Geschwader arkonidischer Leka-Disken landete. Eyke sah stumm zu, bis sein Wasserglas sich aus dem Konferenztisch geschoben hatte. Genüsslich nahm er einen Schluck daraus. Ein Räuspern Rhifa Huns ließ ihn aufschrecken. Schuldbewusst stellte er das Glas ab. Richtig! Der Chef! Keine Zeit verschwenden!

»Das hier sind Bildaufzeichnungen des Imperators«, erklärte er seinem Herrn. »Der ganze Besuch wurde lückenlos erfasst, eine Sicherheitsmaßnahme. Wir müssen sie sichten und …«

»Ja, ja«, unterbrach Hun genervt. »Wir haben wirklich keine drei Tage Zeit, uns das jetzt in voller Länge anzuschauen, nicht wahr?«

Eyke brummte verärgert. Als ob er nicht selbst daran gedacht hätte!

»Natürlich nicht«, erwiderte er unterwürfig. An die Bordsyntronik gewandt fuhr er fort: »MEYHET, die Aufzeichnung um jene Stellen kürzen, in denen der Imperator alleine oder nur in Begleitung seiner Leibgarde war.«

»Die Aufzeichnung verkürzt sich damit auf sieben Stunden und dreiundvierzig Minuten.«

Eyke verzog entschuldigend das Gesicht, obwohl Nummer Eins ihn nicht sehen konnte. Das war immer noch zu lange. Interessant waren nur jene Augenblicke, in denen potentielle Verräter sich in Bostichs Nähe befunden hatten. Mitwisser …

»Weiter kürzen. Nur die Stellen berücksichtigen, in denen der Imperator in Begleitung von Personen im weiteren Umfeld der Mordred war.«

»Die Aufzeichnung verkürzt sich damit auf vier Stunden sechsundzwanzig«, melde MEYHET gehorsam.

»Personen auflisten.«

»Hybren Metustar, offiziell Sicherheitsmitarbeiter der BASIS. Limahl Berkellas, offiziell Reinigungspersonal der BASIS. Ibrahim el Kerkum, offiziell Regierungschef von Mashratan. Kervool, offiziell Sohn eines Naat-Diplomaten.«

In Gedanken ging Eyke die genannten Agenten durch. Hybren Metustar? Nein, ausgeschlossen. Nachdem Mordred seine Familie hatte entführen lassen war er handzahm, würde nichts riskieren um seine Frau und seine vier Kinder zu gefährden. Bei den anderen war er sich unsicher.

»Für Metustar bürge ich. Dieser Berkellas ist mir unbekannt.«

»Ein Schläfer«, warf Hun ein, das Onion-Netzwerk spuckte seine Entgegnung mit merklicher Verzögerung aus. »Der wurde per Hypnoblock programmiert, sich erst im Bedarfsfall an seine Identität zu erinnern. Auch kein wahrscheinlicher Kandidat.«

»Der Mashrate, Nummer Eins? Vertrauenswürdig?«

Der Gründer der Mordred lachte auf.

»Kerkum? Loyal wie ein Hündchen. Er verspricht sich viel vom Wirken unserer Organisation.«

»Der Naat also.« Eyke leckte sich die Lippen. Er hatte mit so etwas gerechnet. Metustar hatte ihn als Attentäter angeworben, für ihn gebürgt. Wie bedauerlich, dachte der General. Sie würden sich von beiden trennen müssen. Schade auch um die vier Kinder. Für Metustars Frau würde sich vielleicht noch ein Verwendungszweck finden.

»MYEHET, Wiedergabe aller Ausschnitte, in denen der Naat dem Imperator nahe kommt.«

»Ich starte die Wiedergabe. Sie dauert vierzehn Minuten.«

Eyke nickte zufrieden. Wenn der Naat der Verräter war und Bostich Informationen über die Pläne der Mordred ausgehändigt hatte, musste es in diesen vierzehn Minuten geschehen sein.

Die Darstellung des Hangars fiel in sich zusammen. Stattdessen baute sich ein anderes Holo auf. Gleichzeitig speiste der Syntron den Datenstrom in das Onion-Netzwerk. Auf Dejabay würde Rhifa Hun das gleiche sehen, wenige Sekunden Zeitversetzt.

Das Holo zeigte einen der großen Kasino-Säle an Bord des ehemaligen Fernraumschiffes. Bostich war darin zu erkennen, er saß an einem Garrabo-Tisch, spielte gegen einen vogelähnlichen Fremden. Der verdammte Naat stand hinter ihm und guckte bedrohlich. Ein Kristallwächter hielt ihn mit der ausgestreckten Strega auf Distanz. Sonst geschah nicht viel.

»Servo, noch ein Glas Wasser.«

Vierzehn Minuten und zwei Gläser später war Eyke so schlau wie zuvor. Der Naat hatte sich in all dieser Zeit kaum bewegt, nur hin und wieder vom Imperator zu dessen Mitspieler und wieder zurück geschaut und dabei grimmige Grimassen geschnitten. Ein Reinfall auf ganzer Linie!

»Es tut mir Leid, Nummer Eins«, begann er, als die Wiedergabe geendet hatte. »Ich fürchte, wir müssen unsere Suche ausweiten. Der Naat ist nicht der Verräter.«

»Natürlich nicht«, spöttelte sein Herr. »Schade nur, dass Sie keine Augen im Kopf haben.«

Der General schnaufte. »Herr, es war nicht meine Schuld dass …«

»MEYHET, Aufnahme zurückspulen zu Index 14:03:22. Fokus auf den Mitspieler.«

Ehe der General begriff, wiederholte der Syntron die Wiedergabe ab dem genannten Zeitpunkt. Diesmal hatte das Bild einen anderen Schwerpunk, der Vogelähnliche saß in der Mitte des Holos. Der Rechner hatte die Aufnahme auf gezoomt, die Bildränder waren leicht unscharf. Der Fremde machte seinen Eröffnungszug. Es war ein miserabler Zug, das sah jeder, der auch nur einen Hauch von Ahnung hatte. Der Imperator wies einen seiner Leibwächter zurück, der den Vogelartigen übereifrig mit der Waffe bedrohte. Die beiden sprachen eine Weile, dann schlug Bostich den Spielstein seines Gegners. Die Partie ging weiter.

»Was sehen Sie, General Eyke?«

»Bostich und der Vogelähnliche spielen Garrabo, Herr«, erwiderte der Terraner begriffsstutzig. Wenn Rhifa Hun ihm etwas zeigen wollte, würde er spezifischer sein müssen.

»MEYHET, zwanzig Sekunden zurück. Fokus auf den Spielstein.«

Wieder gehorchte der Syntron, vergrößerte den Bildausschnitt noch einmal. Das Bild war interpoliert und scharfgezeichnet so gut es die Auflösung erlaubte, blieb trotzdem unscharf. Die Kralle des Vogelwesens kam ins Bild, stellte etwas auf dem Brett ab. Eyke erkannte einen verwaschenen Fleck, der vielleicht oder vielleicht auch nicht die Garrabo-Figur war. Wieder folgte die Reaktion des übereifrigen Kristallsoldaten, der dem Fremden die Strega gegen die Schläfe presste.

»Anhalten!«, rief Hun, und die Wiedergabe gefror zu einem Standbild. Eyke blickte es an, ohne zu verstehen.

»Was sollte ich erkennen?«, fragte er schließlich. Nummer Eins schnalzte missbilligend mit der Zunge.

»Finden Sie nicht die Reaktion des Thantan ein wenig seltsam?«

»Nun ja … ein wenig übereifrig vielleicht.«

»Ein Thantan der Kristallgarde und Übereifrig?« Das Stirnrunzeln des Mordred-Führers war beinahe hörbar. »Sehen Sie genau hin, General. Ist das wirklich der Spielstein, den der Fremde vom Brett genommen hat?«

Eyke kniff die Augen zusammen, versuchte, etwas in dem verwaschenen Bild zu erkennen. Vergeblich.

»Es …«, setzte er an, doch dann sah er es endlich selbst. Natürlich! Er war so auf den Naat versteift gewesen, dass er das Drumherum völlig außer Acht gelassen hatte. »Ein Datenkristall?«

Hun klang zufrieden: »Vermutlich, ja. Verfolgen Sie die Spur des Garrabo-Spielers zurück. Dann haben Sie Ihren Verräter.«

Übergangslos beendete der Terroristenführer die Verbindung, und jetzt war es an General Eyke, die Stirn zu runzeln. Zweifellos hatte da im Kasino eine Datenübergabe stattgefunden, aber ob das auch wirklich die Mordred-Daten waren? Ausgerechnet in dem Moment, wo der tatsächliche Mordred-Agent nur drei Meter entfernt stand? Der Zufall schien ihm zu groß, Rhifa Huns Schluss voreilig und an den Haaren herbei gezogen. Es sei denn…

Kannte Nummer Eins den Vogelartigen?

»MEYHET, gegen wen spielt der Imperator da?«

»Dem Aufnahmeprotokoll nach ist es ein Kollmane namens Kollman Dom.«

»Ein Kollmane, eh?« Eyke hatte von diesen Fremden gehört, war bis jetzt aber davon ausgegangen dass es sich um humanoide handelte. Nun, man lernte nie aus!

Aber es spielte keine Rolle. Wer immer dieser Kollmane war, für wen auch immer er arbeitete, er war ein Stümper. Nur ein Amateur würde einen schlecht ausgeführten Taschenspielertrick benutzen um die Figuren auf dem Garrabo-Brett vertauschen, ohne an die Kameradrohnen zu denken.

»Ich denke«, murmelte Eyke, »wir werden leichtes Spiel haben. Dieser Kollmane hat sein letztes Garrabo gezinkt.«

 

7. Flucht von der Basis

Sam erschrak, als der Tür Alarm ertönte. Er ließ die Reisetasche fallen, die er gepackt hatte. Waren sie das schon, das die Häscher der Mordred, die ihm auf der Spur waren?

Beruhige dich! Seit der Landung der TOBRUK war er aufgebracht, hatte keinen klaren Kopf mehr. Sie suchten nach ihm, da war er sich sicher. Das Attentat auf Bostich hatte nicht stattgefunden. Wussten die etwa, dass er derjenige gewesen war, der es verhindert, der ihm die Daten hatte zukommen lassen?

»Servo, wer steht draußen?«

»Es ist die Besitzerin dieser Suite. Dein terranischer Begleiter ist bei ihm.«

Erleichtert ließ er den Atem fahren. Ihm blieb noch etwas Zeit. Hoffentlich genug, um die Flucht vorzubereiten.

»Lasse ihn herein.«

Dean kam in das gemeinsame Quartier gestürzt. Bei ihm war Kellonda, die überkandidelte Springerin. Wie üblich trug sie ihre reich verzierte Fantasieuniform, das faustlange Haar nach ertrusischer Manier zu einem angriffslustigen Sichelkamm gegelt. Wild gestikulierend lief sie hinter dem Terraner her.

»Dieser Schlamassel, da draußen, das ist eure Schuld. Nicht gut für meine Geschäfte, wirklich nicht!«

Dean winkte ab.

»Ich konnte diese Trulla nicht abschütteln«, meinte er, Schalkhaft wie stets. »Sie ist entschlossen, uns rauszuschmeißen.« Er blitzte sie böse an. »Diesem Weibsstück ist es egal, dass man uns töten wird, sobald sie uns keinen Unterschlupf mehr gewährt.«

»Nein, nein«, sagte die Mehandor, plötzlich zuckersüß, und machte eine beschwichtigende Geste. »Ich war Sam und Japar einen Gefallen schuldig. Aber der Schlamassel …« Sie machte ein unglaublich trauriges Gesicht. »Ich kann nicht erlauben, damit in Verbindung gebracht zu werden. Meine Geschäftspartner würden empfindlich reagieren.«

Sam machte eine Verbeugung. Es kratzte ihn, aber Kellondas Forderung war nicht wirklich unangebracht: Der Schlamassel, das war unzweifelhaft das feindliche Raumschiff, das vor einigen Stunden auf der BASIS angedockt hatte. Und er konnte nicht einmal ruhigen Gewissens behaupten, dass er nichts damit am Hut gehabt hätte. Was hätte er sonst tun sollen? Die Ethik gebot es:

»Verehrte Kellonda, wir haben Ihre Gastfreundschaft länger in Anspruch genommen als die Höflichkeit es gebietet. Wir werden Ihrer Bitte entsprechen.«

»Aber«, setzte Will Dean an, doch die Mehandor fuhr dazwischen:

»Das ist mein Vögelchen!«, lobte sie und tätschelte dem Somer die Stirn. »Und jetzt raus mit euch. In einer Stunde will ich euch nicht mehr sehen. Tyler und Japar sind noch unterwegs. Denen werde ich auftragen, Kontakt zu Camelot aufzunehmen. Ihr könnt sie dort treffen.«

Brüsk wandte die Springerin sich um, als hätte jemand sie beleidigt, und stürmte nach draußen. Sam sah ihr lange hinterher, fasste sich an die Schläfen. Mit ihrer letzten Bemerkung hatte sie bewiesen, dass sie die ganze Zeit darüber informiert gewesen war, wen sie da eigentlich beherbergt hatte. Ob einer der beiden Männer vom Olymp sich verplappert hatte? Noch ein Sicherheitsrisiko, das er nicht bedacht hatte. Er war der schlechteste Geheimagent aller Zeiten!

»Die TOBRUK! Ein Schiff der Mordred, hier in aller Öffentlichkeit«, rief Will Dean, als sie alleine waren. »Ich kann nicht glauben, dass sie sich so einfach zu erkennen gegeben haben. Bostich muss sie schwer in Bedrängnis gebracht haben, dass die so verzweifelt sind.«

Sam nickte.

»Offenbar sucht man nach der undichten Stelle. Und das sind wir. Wir müssen schnellstmöglich von der BASIS verschwinden.« Er zeigte auf die Koffer, die halbfertig gepackt auf dem Boden lagen. »Ich war so frei, unsere Flucht bereits vorzubereiten, werter Kollege.«

*

Sie packten hastig und ohne Zeit zu verlieren, ließen sich dabei permanent vom Syntron über die aktuellen Geschehnisse an Bord informieren. Die Statusmeldungen kamen fast im Dreißigsekundentakt: »Die TOBRUK hat Fußtruppen ausgeschleust:« – welche Anarchisten Organisation unterhielt ein organisiertes Heer? – »Die Mordred-Truppen durchkämmen die BASIS.« »Laut Bordinformationen sind sie auf der Suche nach einer Person, die Nummer Vier genannt wird.«

»Ein Bluff«, erkannte Will Dean, als er seine Tarnmaskierung – eine hässliche Rasta Perücke – als letztes in seinen Rucksack stopfte und den altmodischen Reißverschluss verschloss. Er schulterte das Gepäckstück. Dann trat er endlich auf den Gang hinaus, wo Sam bereits auf ihn wartete und unruhig mit den Füßen scharrte.

»Sind Sie sich da sicher, Kollege?«

»Die können bestenfalls vermuten, dass ihre Nummer Vier dahinter steckt. Noch haben sie keine Möglichkeit, das Leck von uns über Shahira zu ihrem Herrn zurück zu verfolgen.«

Sam widersprach nicht. Er wollte dem Terraner glauben.

Schweigend eilten sie durch die Korridore, der TLD-Agent hatte Mühe, mit dem Vogelwesen schrittzuhalten. Zwei Mal versteckten Sie sich vor Mordred-Truppen, die in der Nähe patrouillierten. Hier und da hielten sie inne und lauschten dem Geschützfeuer, als die Sicherheitstruppen der BASIS auf die Eindringlinge trafen. Sam war klar, wer siegreich aus diesen Gefechten hervorgehen würde. Metustar würde dafür gesorgt haben, dass den Angreifern nicht allzu viel Widerstand entgegen gesetzt wurde. Es würde ein Blutbad werden. Ein Grund mehr, diese Sektoren zu meiden!

Davon abgesehen verlief die Flucht reibungslos. Passanten trafen sie kaum, die meisten hatten sich in ihren Quartieren oder in den Kasinos verschanzt. Und selbst, wenn ihnen jemand begegnete – wer wusste schon, dass sie zwei Agenten auf der Flucht waren? Für die meisten waren sie nur zwei Gäste, auf dem Weg zu ihrem Raumschiff.

Endlich langten sie vor dem Hangarschot an, das Shahira ihnen bezeichnet hatte. Sam verlangsamte den Schritt, schüttelte die überlangen Beine aus.

»Dahinter befindet sich die Space Jet. Die Flucht ist uns gelungen.«

Dean sah ihn mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck an. War es Furcht? War es Belustigung?

»Falls es sie wirklich gibt, diese ominöse Jet«, sagte er.

»Sie zweifeln, mein tapferer, terranischer Freund?«

»Vergeben Sie mir meine unehrenhafte Skepsis, Vogelmann«, feixte Dean und imitierte die gestelzte Sprechweise des Somers. »Jedoch denke ich nicht, dass diese vermaledeite Teufelskatze uns wahrhaft zur Flucht verhelfen will.«

Teufelskatze?, dachte Sam. Wirklich? Das war eine lahme Beleidigung selbst nach somerischen Standards. Er fühlte sich veräppelt.

»Sie schien mir aufrichtig in ihrem Handeln zu sein«, entgegnete er mit zittriger Stimme.

Will Dean warf seinem Begleiter einen langen, vielsagenden Blick zu. Wortlos hieb er auf den Türöffner.

Das Schott öffnete sich. Sam hielt den Atem an.

Und stieß ihn erleichtert wieder aus. Die Space Jet war da. ESTARTU sei Dank! Eine Sekunde lang hatte Sam tatsächlich gezweifelt.

Bis auf das Kleinstraumschiff war der Hangar leer. Es war niemand da, der sie gehindert hätte, an Bord der Jet zu gelangen.

Kaum hatten sie die winzige Kommandokapsel betreten, startete Dean den Bordsyntron und gab die Sicherheitscodes ein, die die Schimäre ihnen ausgehändigt hatte. Ein Grünes Kontrolllicht leuchtete auf. Im selben Moment glitt das Hangarschott vor ihnen auf.

»Kaum zu fassen«, sagte er, halb verblüfft, halb erheitert, »Ihre Schmusekatze hat uns nicht verraten, Vogelmann.«

Sam deutete nach draußen.

»Hätte sie uns töten wollen, wäre das einfacher gewesen. Aber die große Herausforderung steht uns erst noch bevor. Wir müssen an der TOBRUK vorbei, ohne dass man uns unter Beschuss nimmt.«

Der Antigrav trug das Schiff aus dem Hangar, die Jet glitt ins All. Dean zündete den Impulsantrieb. Er beschleunigte, brachte Abstand zwischen sie und das ehemalige Fernraumschiff. Der Außenwulst der BASIS fiel hinter ihnen zurück, und der Kugelleib der TOBRUK tauchte hinter dessen Saum auf, wie eine aufgehende Sonne.

Fünfhundert Meter. Noch immer reagierten die Geschütze des Mordred-Raumers nicht. Dean beschleunigte weiter.

Ein Kilometer.

Zweieinhalb.

Die Funkanlage sprang an. Sie hatten vier Kilometer zurückgelegt, ein achtzehntel Lichtgeschwindigkeit erreicht. Sam zuckte zusammen. Zu früh. Wir schaffen es nicht.

»Das ist die TOBRUK«, stellte Will Dean mit trockener Stimme fest und presste die Lippen zusammen.

»Was tun wir?«

»Wir ignorieren den Anruf. Hoffen, dass sie sich mit den Mordred-Kennungscodes der Jet zufrieden geben.«

Acht Kilometer. Sam hielt den Atem an.

*

 

Zur selben Zeit

TOBRUK, Zentrale

»Was ist das für ein Schiff?«

General Eyke stand hinter dem Orteroffizier und deutete auf den Leuchtpunkt in dessen Anzeige. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Jemand versuchte zu fliehen, sich von der BASIS davon zu stehlen, und beinahe wäre es ihm gelungen. Erst im letzten Moment war das Pünktchen ihm aufgefallen, als es schon beinahe aus dem Erfassungsbereich verschwunden war.

Der Verräter!

»Eines von unseren Schiffen«, sagte der Orteroffizier arglos. Er tippte auf die entsprechenden Kennungssymbole im Display. Das Kleinstraumschiff sandte sie aus, identifizierte sich so als Einheit eines Mordred-Agenten.

»Ich habe ein routinemäßiges Kontrollgespräch angefordert, noch keine Antwort. Ich wollte die Jet aber ziehen lassen. Die Symbolgruppen passen.«

»Und es macht Sie nicht stutzig, dass sich unsere Leute mitten im Einsatz absetzen?«

Es war eine rhetorische Frage. Eyke rechnete nicht mit einer Antwort. Er bekam auch keine, lediglich einen Blick aus großen, verwunderten Augen. Der General verzichtete darauf, den Jungen zu maßregeln. Dafür war später Zeit. Wenn es ein später gab …

Wer bist du, Verräter?

Eyke überlegte. Es war überflüssig den Besitzer der Jet zu prüfen, sie konnte nur auf Nummer Vier registriert sein. Doch Nummer Vier war nicht länger an Bord der BASIS, war geflohen bevor die TOBRUK gelandet war. So viel hatten seine Truppen schon herausgefunden.

»Ich will wissen, wer da drin sitzt. Gebt mir diesen feigen BASIS-Mitarbeiter von eben an die Strippe, diesen Tellemaas«, befahl er und kehrte zu seinem Sessel auf dem COMMAND-Sockel zurück.

Wenige Sekunden später hatte der BASIS-Mitarbeiter das Gespräch angenommen. Diesmal machte Tellemaas einen verunsicherten, ängstlichen Eindruck. Eyke ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen:

»Ich benötige weitere Kameradaten. In einem Ihrer VIP-Hangars liegt eine Space Jet vor Anker, Kennung SJ-M-2213. Bitte die Daten der Kamerasonden aus diesem Hangar, die letzte …« – er linste auf die Zeitanzeige im Taktikglobus – » … Dreiviertelstunde sollte genügen. Meine Geschütze sind noch immer auf die BASIS gerichtet.«

Abrupt beendete er die Verbindung – bloß nicht in ein Gespräch verwickeln lassen – und wartete. Nervös trippelte er mit den Fingern, fixierte das Leuchtpünktchen im Orterholo. Mach schon!

Seine Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt. Die Übertragung der BASIS kam prompt, mitsamt einer Protestnote der BASIS-Geschäftsführung, sich über den Vorfall beim Galaktikum zu beklagen. Eyke schmunzelte. Sollen sie mal machen.

»Syntron, die Kameradaten aus der letzten Funkübertragung bitte auf meine Anzeige. Wiedergabe mit dreifacher Geschwindigkeit.«

Es bestätigte sich, was Eyke längst geahnt hatte. Das Filmmaterial zeigte den leeren Hangar, die Space Jet stand unbeaufsichtigt darin. Nach einer Weile betraten zwei Personen den Raum. Einer von beiden war ein Terraner, dunkelhäutig und hochgewachsen. Eyke kannte ihn nicht. Im Schlepptau jedoch hatte der Unbekannte jenes Vogelwesen, welches mit Bostich am Garrabo-Tisch gesessen und ihm den Datenkristall überreicht hatte.

Hab ich dich!

Der Orteroffizier meldete sich, und Eyke schreckte von seiner Station hoch: »General, die Jet ist vor drei Sekunden im Metagrafvortex verschwunden.«

Da war er wieder dieser eisige Schreck. Der Verräter war entkommen, dieser Tölpel aus der BASIS-Zentrale war zu langsam gewesen und hatte ihm die Daten zu spät überstellt. Eyke würde ihn büßen lassen.

»Wissen wir, wohin sie unterwegs ist?«

»Nein. Aber die Jet sendet beständig unsere Kenncodes. Wir könnten sie jederzeit finden, wenn wir es darauf anlegen.«

»Ausgezeichnet«, sagte der General. Erleichtert lehnte er sich im Kommandosessel zurück. Seinem ersten Offizier befahl er: »Rufen Sie die Truppen zurück. Sagen Sie, wir hätten den Verräter eliminiert.« Er verschränkte die Finger ineinander und grinste boshaft.

»Warte nur, Kollman Dom«, flüsterte er. »Du entkommst mir nicht!«

 

Epilog: alea jacta est

BASIS, Krankenstation, eine Woche später

Der Patient lag auf dem Medobett und starrte ins Leere – seit Tagen schon, unverändert. Seine Kleidung war verdreckt und zerrissen, Speichel lief aus seinem Mund. Seine Körpermitte war grausam verstümmelt, zermatschtes und verbranntes Fleisch war alles, was von seinen Genitalien übrig geblieben war. Auch mit rekonstruktiver Chirurgie würde Zhellian da nicht mehr viel machen können. Wer auch immer ihm das angetan hatte, hatte seinen Hass voll und ganz ausgelebt.

Aber was tut man nicht alles für zahlende Kunden?

»Ein armes Schwein«, sagte jemand. Der Ara blickte sich um. Neben ihm am Medobett stand plötzlich Hybren Metustar, der stellvertretende Sicherheitschef, und machte ein betroffenes Gesicht. Zhellian ließ das Diagnosegerät sinken, mit dem er den Patienten ein weiteres Mal untersucht hatte.

»Ich habe dich nicht hereinkommen sehen«, sagte er fahrig und warf einen Blick auf die Zeitanzeige über der Eingangstür. 02:00 Uhr Bordzeit. Du musst ins Bett, ermahnte er sich. Müde Ärzte machen Fehler.

Metustar grinste.

»Ich bin schon eine Weile hier.« Er wies mit dem Kinn auf den Patienten. »Fortschritte?«

Zhellian bückte sich und hob die Decke vom Boden, die der Patient in einem seiner Tobsuchtsanfälle abgeschüttelt hatte. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, deckte er ihn wieder zu. Er antwortete nicht gleich. Vieles an diesem Patienten war mysteriös. Wie lange er schon so an Bord herumgeirrt war, wusste niemand. Was ihn trotz Blutverlust auf den Beinen gehalten hatte, blieb ein Rätsel. Der Sicherheitsdienst hatte ihn aufgegriffen, Metustar persönlich hatte ihn in der Krankenstation abgeliefert. In den Ersten Stunden hatte er noch gesprochen. Unverständliches Zeug, von der Schwarzen Mirona und einer Bestie, die ihm die Manneskraft genommen hatte. Nun war er gänzlich verstummt.

»Sein Zustand ist stabil. Aber noch immer hat er diese unerklärlichen Wutanfälle. Im Augenblick haben wir ihn sediert.« Der Ara zog die Stirn kraus, zuckte mit den Schultern. »Ein seltsamer Fall. Seine körperlichen Wunden kann ich versorgen. Ihn mit nachgezüchteten Komponenten vielleicht wieder ganz herstellen. Aber sein Verstand …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Gänzlich zerrüttet. Fraglich, ob da noch was zu machen ist.«

»Hm«, brummte Metustar. Er blickte auf eine kleine Datennotiz, die sein Armbandgerät ihm einblendete.

»Inzwischen konnten wir ihn identifizieren. Romano Nelder, Mashrate. Er ist hier unabhängig von Kerkums Delegation. Du findest alle Informationen in der Datenbank.«

»Danke.« Zhellian schaltete das Diagnosegerät ab. »Kann ich über seine Kontodaten verfügen?«

Metustar schnaufte. »Wie es aussieht scheint er eine Art Bettelmönch zu sein. Keine nennenswerten Besitztümer. Ein Tagesgeldkonto, dass du Pfänden könntest, aber darauf sind nicht mehr als ein paar Galax.«

»Was du natürlich gleich überprüft hast«, stellte der Ara emotionslos fest.

Metustar hob die Arme, wie um sich zu verteidigen, und fügte hinzu: »Das gehört zu meinem Job.«

Zhellian stellte die Diagnoseeinheit in den Ständer zurück und rieb sich die Augen. Da schlug er sich die Nacht um die Ohren, und für was? Die Gäste der BASIS waren üblicherweise gut betucht, sie konnten sich seine Dienste leisten. Er war es nicht gewohnt, Mittellose zu behandeln.

»Nun gut. Wer deckt meine Unkosten? Gibt es Angehörige?«

Metustar schürzte die Lippen, neigte den Kopf hin und her.

»Wohl nicht. Er wird für die Kosten selbst aufkommen müssen. Aber da wird sich etwas finden. Ich hörte, in den Stiftermann-Bergwerken werden Leute gesucht.«

»Wahre Knochenarbeit«, sagte Zhellian. »Bei geringem Lohn. Ob er das körperlich lange genug durchhält, um meine Rechnung zu begleichen?«

»Du bist Arzt. Sieh zu, dass er das schafft.«

Metustar verbeugte sich leicht. In seine Augen trat ein funkeln, als er auf Nelders verstümmelte Körperregionen zeigte. »Du entschuldigst mich. Ich muss herausfinden, wer ihm das angetan hat. Nicht, dass du noch mehr mittellose Patienten bekommst.«

Der Ara hob die Augenbrauen, musterte sein Gegenüber abschätzig.

»Gibt es schon eine Spur?«

»Oh ja«, sagte Metustar und zeigte die Zähne. Es war kein Grinsen. Es war eine Grimasse, abscheulich und voller Wut.

»Und er wird dafür zahlen.«

 

 

ENDE

Will Dean und Sruel Allok Mok ist die Flucht von der BASIS gelungen. Ebenfalls konnten sie – wenn auch Dank einer ungewöhnlichen Verbündeten – ein Attentat auf den arkonidischen Imperator Bostich vereiteln. Nun sind sie auf der Flucht vor der Rache der Mordred. »Jagd durch den Hyperraum« ist der Titel von Band 21, geschrieben von Ralf König und Dominik Hauber.

 

 

 

DORGON-Kommentar

Die Mordred zerfleischt sich selbst.

Der Anfang vom Ende der Mordred scheint bereits eingeläutet. Es war nicht das Kristallimperium, nicht die LFT und auch nicht Camelot, die der Mordred die schwerste Niederlage zufügten – es war sie selbst. Die Machtgier der Führungsmitglieder zum einen – und eine Wende der Ansichten von Cauthon Despair führten starke Risse zu.

Zunächst die Machtgier. Nummer Vier ist ein arkonidischer Adliger und war alles andere als begeistert darüber, dass Eron da Quertamagin auf den Kristallthron schielte. Aus diesem Grund – und wohl aus Furcht vor einem Fehlschlag des Attentats – wechselte er schnell die Seiten, um Imperator Bostich von seiner Unschuld zu überzeugen.

Hätte Rhifa Hun der Nummer Vier Hoffnungen auf den Titel des Imperators gemacht, wäre es wohl nicht dazu gekommen.

Viel schlimmer für die Mordred scheint die Sinneswandlung von Cauthon Despair zu sein. Nach der Zerstörung von Sverigor mit fast zwei Milliarden Toten war Despair längst nicht mehr so überzeugt von seiner Mordred. Wen wundert es auch? Mit Leuten wie Kerkum, da Quertamagin und Nummer Vier machte sich Despair keine großen Hoffnungen auf einen seriösen Nachfolgerstaat des Solaren Imperiums.

Noch hält Despair offiziell seinem Mentor Rhifa Hun die Treue. Doch wie lange noch? Eine Rückversicherung hat er sich bereits angelegt. Es mutet seltsam an, dass diese nun in den Händen von Nummer Vier liegt, da nur er die codierten Daten entschlüsseln könnte.

Oder hat Rhifa Hun das alles in seinen Plan mit einbezogen? Was ist, wenn er die Mordred auch nur benutzt und ihm das Schicksal seiner »Nummern« völlig egal ist? Könnte es sein, dass Rhifa Hun noch ein Ass im Ärmel hat? Und vergessen wir nicht die Dorgonen.

Nils Hirseland

 

 

GLOSSAR

Bostich

Aus der Perrypedia:

Gaumarol da Bostich wurde am 13. Prago des Tartor 21.345 da Ark (entspricht dem 27. August 1212 NGZ) auf der Kristallwelt geboren. (PR 2039) Am 4. Prago des Tarman 21.369 da Ark (dem 5. März 1240 NGZ) wurde er als Bostich I. als Imperator des Kristallimperiums inthronisiert.

Erscheinungsbild

Der Arkonide ist 1,92 m groß, charismatisch, gut aussehend, elegant und durchtrainiert. Er hat ein kantiges, militärisch strenges Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen, einer langen und geraden Nase, schmalen Lippen, und einen stechenden Blick aus tiefliegenden, glühend roten Augen. Sein weißblondes Haar trägt er leicht gewellt und nur knapp kragenlang, kürzer als es im Adel üblich ist. Er setzt seine Gestalt und Stimme effektiv ein, um zu beeindrucken.

Zu offiziellen Anlässen trägt er meist eine weiße Paradeuniform, oft mit einem purpurnen, für Adlige typischen Schulterumhang oder Cape, auf dem als Edelsteinstaubmuster der Kugelsternhaufen Thantur-Lok aufgeprägt ist. (PR 1921, PR 2039, PR 2055) Zu anderen Zeiten verzichtet er jedoch bewusst auf sämtlichen Prunk und Pomp, je nachdem, welchem Publikum er gegenübersteht. (PR 2039)

Auf Aurora in seiner Eigenschaft als Erster Vorsitzender des Neuen Galaktikums trägt Bostich im Jahre 1463 NGZ eine schlichte, blaue Uniform mit dem stilisierten Symbol der Spiralgalaxis der Milchstraße auf der Schulter. (PR 2515)

Mehr unter http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Gaumarol_da_Bostich

Garrabo

Aus der Perrypedia:

Garrabo ist ein arkonidisches Strategiespiel für zwei Personen, es ist dem terranischen Schach vergleichbar.

Nach einer Aussage von Fartuloon existiert keine bessere Möglichkeit, um strategische Überlegungen zu lernen. (PR 2547)

Wörtlich übersetzt bedeutet Garrabo »Quadrat-Strategie«. Unbestätigten Gerüchten zufolge könnte das terranische Schach auch auf Garrabo basieren und eventuell von Atlan verbreitet worden sein.

Anmerkung: Im 4. Jahrhundert half ein weißblonder, breitschultriger, hochgewachsener Fremder Sissa ibn Dahir, das halbfertige Tschaturanga weiter zu entwickeln, das als Vorläufer des Schachspiels gilt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um Atlan handelte. (PR 2547)

Das Spiel

Spielfeld & Figuren

Garrabo wird auf einem Spielfeld mit zehn mal zehn Quadraten mit zwei mal zwölf Figuren gespielt, die den Zwölf Heroen entsprechen. In einer kleineren Variante werden nur acht mal acht Felder verwendet.

Die Felder, Sektoren genannt, sind üblicherweise abwechselnd von schwarzer und weißer Farbe. Es sind aber auch Variationen dieses Designs bekannt. Arteryst da Quertamagin erhielt zum Beispiel von Bostich I. ein Garrabo-Spiel als Geschenk, das in Blau und Rot gehalten war. (Perry Rhodan-Extra 11, S. 56)

An der Grundlinie platziert man in der Mitte die zwei stärksten Figuren, Osmaá Loron und Vretatou. Um sie zu schützen, stehen Zhygor'ianta, die Lichtkämpfer, vor ihnen. Die Schwertkämpfer, Bogenschützen, Läufer und Barden nehmen in der Grundstellung links und rechts von Osmaá Loron und Vretatou die Grundlinie ein. (PR 2547)

Eröffnungsvariante

Ein möglicher Eröffnungszug ist nach Fartuloon, die Verteidigung um Vretatou aufzubauen. Danach zieht man Schwertkämpfer, Bogenschützen und Läufer. Erst nachdem alle Verteidiger in Stellung gebracht wurden, kann man sich einer Figur zum zweiten Mal widmen. (PR 2547)

Spielzüge

Rochade (PR 2547)

Naat'scher Zentralangriff (PR 2547)

Kristall-Konstellation (PR 2547)

Ein Zug mit einem Schwertkämpfer drei Felder voraus bedeutet einen direkten Angriff (PR 2655)

Ziel des Spiels

Ziel beim Garrabo ist es, den Vretatou seines Gegners zu schlagen, Vretatou-Lok genannt.

Mehr unter http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Garrabo

Kollmane

Kollmanen sind ein humanoides Volk in der Milchstraße. Sie gelten als Pechvögel der Galaxis. Ende 1290 NGZ war ein Vertreter des Volkes auf der BASIS und verspielte sein ganzes Vermögen. Zufällig geriet Sruel Allok Mok an ihn, als dieser in Selbstmitleid zerfloss und des Kasinos verwiesen wurde. Dabei bekam Sam eine Losnummer, die ihm ermöglichte, gegen Imperator Bostich im Garrabo anzutreten.

Sha-Hir-R’yar (Terranisch: Shahira)

Biologische Abstammung:

Durch die Methode der In-vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung) gezeugte Schimäre (Mischwesen) aus Mensch und Kartanin, wobei menschlichen Eizellen durch Injektion mit kartaninischen Spermien und befruchtet wurden.

Hintergrund:

In den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts NGZ befasste sich der Biogen-Trust, ein Tochterunternehmen von Shorne-Industries, mit Manipulationsforschungen am menschlichen Erbgut. Der damalige CEO des terranischen Multi-Konzerns Willem Shorne sollte im Auftrag der Mordred genetische Forschungen durchführen, deren Ziel es war, künstlich gezeugte und entsprechend konditionierte rein biologische Androiden-Genotypen zu schaffen, die dann im zukünftigen lemurischen Großreich der Milchstraße eine Art Sklavenkaste bilden sollten. Da solche Forschungen sowohl in der LFT, als auch im Kristallimperium nach dem Fiasko mit den Multi-Cyborgs innerhalb des NEI strengstens verboten waren, musste Shorne-Industries äußerst vorsichtig vorgehen.

Um die Forschung gegenüber der galaktischen Öffentlichkeit geheim zu halten, baute Shorne-Industries auf dem M-Klasse Asteroiden AX823P einen ausgedehnten Forschungskomplex auf, wo offiziell die Auswirkung hochfrequenter Hyperfelder auf biologisches Material, den genetischen Code und die DNA von Lebewesen erforscht werden sollte. Shorne gelang es durch seine guten Beziehungen zur LFT-Regierung unter Medros Eavan den Asteroiden zur rechtlichen Exklave erklären zu lassen, um so außerhalb der Gesetze der LFT agieren zu können. Begründet wurde diese, selbst für die damalige Regierung der LFT, einzigartige Begünstigung des militärisch-industriellen Komplexes dadurch, dass es nur auf diese Weise möglich gewesen wäre, die kostspieligen Grundlagenforschungen des Biogen-Trusts vor Industriespionage und Protestaktionen idealistischer Spinner zu schützen.

In den folgenden Jahren gelang es, nach mannigfaltigen Rückschlägen, zwei Projekte bis zur »Serienreife« zu entwickeln. Am 07.04.1256 NGZ präsentierte Dr. Randolph McNair, CSO von Shorne-Industries, einer Versammlung von »Persönlichkeiten«, die dem Umfeld der Mordred zugerechnet werden konnten, das erste Exemplar der Zuchtlinie »KS-M«, eine weibliche Schimäre mit menschlichen und kartaninischen Genen, die den Namen »Shahira« erhielt. Zwei Monate später folgte die Zuchtlinie »UE-B«, wobei es sich um genetisch manipulierte und ebenfalls durch In-vitro-Fertilisation gezeugte männliche Überschwere handelte, die als eine Art »Berserkersoldaten« eingesetzt werden sollten. Eine dritte Zuchtlinie scheiterte, da die genetisch manipulierten oxtornischen Follikel nicht lebensfähig waren. Anschließend wurden von jeder Zuchtlinie jeweils weitere 20 Zuchtexemplare gezeugt, wobei deren psychische und physische Entwicklung genauestens protokolliert wurde. Ziel war die exogene Konditionierung beider Zuchtlinien durch spezielle Simulation des vegetativen Nervensystems zum unbedingten Gehorsam. Später war dann geplant durch Klonverfahren in die »Massenproduktion« zu gehen.

Am 26.09.1269 besucht die Führung der Mordred den Astroiden, um sich über den aktuellen Stand des Projektes zu informieren. Die bisherigen Ergebnisse sind unterschiedlich zu bewerten, die Zuchtlinie »UE-B« scheint ein voller Erfolg zu werden, während bei »KS-M« Probleme auftreten.

Während des Besuchs werden beide Zuchtlinien der Mordred-Führung vorgeführt, wobei Nummer Vier vor allem von den weiblichen Schimären fasziniert ist und er die Erstgeborene der Linie zum persönlichen Geschenk erhält. Zwei Tage später reist Nummer Eins mit unbekanntem Ziel ab und nimmt die manipulierten Überschweren mit.

Dr. McNair führt nun sein neuestes Projekt vor, die Züchtung des Homo Superior. Hierzu hat er seine schwangere Lebensgefährtin Catherine Deverous auf die Forschungsstation gebracht, hält diese unter Drogen und manipuliert den Embryo. Die Mischwesen verhelfen der werdenden Mutter zur Flucht, nachdem diese versprochen hatte, dafür zu sorgen, dass die Behörden der LFT dem Martyrium ein Ende setzen. Durch ihre engen Verbindungen zum Sicherheitsapparat der LFT gelingt es der Mordred, die Meldung von Deverous zu unterdrücken. Allerdings ist das Projekt in den Augen der Mordred zu unsicher geworden und wird deshalb abgebrochen, was die Elimination der Mischwesen bedeutet. Doch Nummer Vier widersetzt sich der Anweisung und rettet »seine« Schimäre. Als diese ihr Schicksal begreift, gibt sie sich selbst den kantaninischen Namen Sha-Hir-R’yar und schwört Rache. In den folgenden Jahren ermöglicht er ihr eine umfassende Bildung, macht sie zu seiner Gespielin und gleichzeitig zur tödlichen Henkerin und Assassinin der Mordred.

Besondere Fähigkeiten

Verhörspezialistin, umfassende Dagorausbildung, körperlich jedem Normalterraner überlegen, hat wie die Kartanin ausfahrbare Krallen an Händen und Füßen, die jedoch bei ihr aus einer speziellen Terkonitlegierung bestehen und in ihre Finger implantiert sind.

Emotio-Refektor, d. h. sie kann starke Gefühle wie Hass, Angst, Liebe oder Gier fühlen und verstärkt auf den Sender zurückspiegeln.

Persönlichkeit

Shahira hasst die Terraner bis aufs Blut, denn nach ihrem Verständnis wurden sie und ihre Schwestern von ihnen verraten. Nummer Vier ist ihr Herr und Meister, dem sie bedingungslos vertraut, da er sie vor dem Tode gerettet hat. Ansonsten hasst sie die gesamte Mordred genauso wie die Terraner.

Steckbrief

− Geboren: 07.04.1256 NGZ (Tag der Entnahme aus dem Inkubator)

– Geburtsort: Asteroid AX823P (Asteroidenring zwischen Mars und Jupiter)

– Größe: 1,92 Meter

− Gewicht: 81 kg

− Aussehen: Mischung menschlicher und kartaninischer Physionomie

− Augenfarbe: goldbraun

− Haarfarbe: braun, auf dem Hinterkopf mähnenartiger Haarschweif

− Besonderheit: geflecktes, kurzhaariges Fell am ganzen Körper, ausfahrbare Krallen


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.  —  Copyright © 1999-2015

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 20, veröffentlicht am 15.05.2015 —

Titelillustration: John Buurman Lektorat: Jürgen Seel • Digitale Formate: Jürgen Seel