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D O R G O N

Fan-Projekt des Perry Rhodan Online Clubs

 

MORDRED-ZYKLUS

Band 4

 

Nils Hirseland

Titelbild von Raimund Peter

 

 

Der Flug der LONDON

Rhodans Odyssee beginnt

 

Was bisher geschah

Wir schreiben Anfang Oktober 1285 NGZ. Es sind dreieinhalb Jahre seit dem Zwischenfall auf Mashratan vergangen, bei dem unter ungeklärten Umständen ein Feuerbefehl ausgelöst wurde und es zu einer Bombardierung des Regierungs-viertels von Oberst Kerkum gekommen war. Perry Rhodan hatte damals den schmerzlichen Verlust von Cauthon Despair und fünf weiteren Camelotern hinnehmen müssen.

Die Situation in der Milchstraße ist weiterhin angespannt, da sich die Sternenreiche mit Misstrauen begegnen.

In dieser Zeit will die angeschlagene Kosmische Hanse mit einem neuen Luxusraumschiff der Superlative auf sich aufmerksam machen und lädt zur großen Reise ein. Es ist DER FLUG DER LONDON …

Hauptpersonen

Perry Rhodan – Der Unsterbliche beginnt eine Odyssee.

Rosan Orbanashol – Die junge Halbarkonidin befindet sich in einem »Kristallkäfig«.

Wyll Nordment – Ein draufgängerischer Offizier der LONDON.

Sam – Ein Diplomat aus Siom Som.

James Holling – Kapitän der LONDON.

Vater Dannos – Der Sektenguru will zur Materiequelle aufsteigen.

Attakus, Spector und Thorina Orbanashol Rosans schreckliche Familie.

Arno Gaton – Der Hansesprecher ist der Initiator der LONDON-Reise.

 

 

 

 

1. Aus den Chroniken

Anfang des Jahres 1283 NGZ trauerte ich um eine verstorbene Freundin. Gazh Ala Nagoti el Finya war bei einem Bombardement über Mashratan gestorben. Mit ihr auch ihr vermeintlicher Retter Cauthon Despair, ein Junge von gerade einmal achtzehn Jahren, auf dessen Initiative Gazh Ala 1275 NGZ einst aus den Klauen von Oberst Kerkum gerettet worden war.

Die tödlichen Salven waren von dem Flottenverband der LFT und den 24 Raumschiffen Camelots ausgegangen. Im Nachhinein hatte es sich als Versehen herausgestellt. Es war bisher nicht geklärt worden, wer den folgenschweren Befehl gegeben hatte. Durch die Logbücher der beiden Flotten wurde belegt, dass Cistolo Khan und noch viel aberwitziger, Perry Rhodan, die entsprechenden Befehle gegeben hatten. Doch kein Besatzungsmitglied konnte sich an einen entsprechenden Befehl erinnern. In den folgenden Monaten wurden die Syntroniken genauestens untersucht. Im Abschlussbericht gingen sowohl die LFT als auch Camelot von einer Fehlfunktion aus.

Das Scharmützel hatte 127.348 Mashraten das Leben gekostet. Die Verluste der LFT betrugen 63 Seelen. Zahlreiche Raumforts der mashratischen Systemverteidigung waren vernichtet worden. Die LFT hatte die Gelegenheit genutzt, erweiterte Angriffe gegen militärische Anlagen durchzuführen, während Camelot nach einigen Momenten das Feuer eingestellt hatte.

Homer G. Adams hatte mir im Vertrauen berichtet, dass er von einer Sabotage ausging. Doch wer dahinter steckte, konnte bisher nicht ermittelt werden. Auch nicht, wieso der Angriffsbefehl gegeben wurde.

Seit dieser Zeit galt ein Embargo gegen Mashratan, zumindest vonseiten der LFT und dem Forum Raglund. Das Kristallimperium hingegen unterstützte Mashratan weiter und pochte auf dessen Neutralität. Oberst Kerkum, der den Angriff überlebt hatte, gab sich nicht mehr so kämpferisch, wie zuvor. Es war still um ihn geworden. Die Sanktionen und die Aufkündigung der Handelsbeziehungen mit der Kosmischen Hanse und Shorne Industries bedeutete einen empfindlichen finanziellen Schlag für den Despoten.

Und auch die terranischen Unternehmen mussten hohe Verluste einstecken. Die Märkte waren nicht erfreut über die Kündigung der Zusammenarbeit mit Mashratan. Auch die sozialen Reformen auf unterentwickelten LFT-Mitgliedern oder assoziierten Welten wurde von den Märkten mit sinkenden Aktienkursen quittiert. Was für ein Wahnsinn! Da tat die LFT-Regierung endlich etwas Gutes und stärkte die Rechte anderer und das führte zu Verlusten bei den ominösen Märkten, die in den Augen einiger Galaktiker wie Superintelligenzen zu betrachten waren. Ich hoffte, dass der Profit als Wohlstandsgradmesser, schon bald wieder an Bedeutung verlor.

Die Hanse versuchte sich nun, mit einem neuen Projekt zu sanieren. Der Bau der LONDON wurde im April 1285 NGZ beendet. Das große Luxusraumschiff sollte Geld in die Kassen der Hanse spülen und ihren Ruf als galaktische Handelsmacht wieder stärken. Ich selbst lehnte eine Reise darauf ab, doch ich wusste, dass jemand von Camelot ganz wild darauf war, dort mitzufliegen, weil er sich um die Zusammenarbeit mit einem besonderen Diplomaten bemühte.

Im Oktober 1285 war es so weit. Der Jungfernflug der LONDON quer durch die Lokale Gruppe stand kurz bevor.

Jaaron Jargon

 

2. Camelot

4. Oktober 1285 NGZ

Die Sonne Ceres verzog sich langsam hinter dem Firmament. Der Himmel über Camelot, der einstigen Freihändlerwelt Phönix, wurde schwarz. Die Sterne jedoch spendeten Licht in das Dunkel. Die beiden Monde Charon und Styx hingen sichelförmig am dunklen Himmel.

Ab und zu durchbrachen Raumfähren oder Jäger den idyllischen Anblick, den das nächtliche Firmament bot.

Perry Rhodan saß auf der Terrasse seines Bungalows in einem alten terranischen Schaukelstuhl. Gucky hatte ihm diesen Stuhl vor vielen Jahren geschenkt. Rhodan schmunzelte. Er musste daran denken, was der Ilt damals zu ihm gesagt hatte: »In deinem Alter braucht man nun einmal so etwas.«

Guckys freche, aber zugleich liebenswerte Art war doch immer wieder einmalig.

Der Unsterbliche schaute in den Himmel. Er beobachtete, wie eine Fähre zum Raumhafen in Port Arthur flog. Sie war diskusförmig und hell erleuchtet. Die Antigravfelder wurden aktiviert, als der Antrieb verstummte. Langsam glitt die Fähre vom Horizont zum Raumhafen, auf das von blinkenden Lampen umgebene Landefeld herunter. Ein dumpfes Geräusch war noch bis zum Bungalow Rhodans zu hören, als der Raumer aufsetzte. Einige Sekunden später stiegen zwei Hunter-Jets in den Himmel auf, um auf Patrouille zu gehen.

Im Hintergrund der Stadt ragten die gigantischen Bergspitzen empor.

Rhodan musste oft an die Berge auf der Erde denken, wie den Kilimandscharo, das Matterhorn oder den höchsten Berg Terras, dem Mount Everest. Er vermisste seinen Heimatplaneten. Auch wenn er es nicht offen zugab, das undankbare und ablehnende Verhalten der terranischen Bevölkerung seit nunmehr fünfzig Jahren hatte ihn tief getroffen.

Jedoch war er nicht der Mann, der sich weinend und resignierend irgendwo hinsetzte. Zusammen mit seinen Gefährten hatte er das Projekt Camelot gegründet.

Rhodans Beweggründe waren unterschiedlicher Natur gewesen. Einerseits wollte er wieder eine Aufgabe haben, zum anderen misstraute er der Kompetenz der LFT, des Kristallimperiums und des Forum Raglunds. Camelot sollte zu einem Schutz für die Milchstraße werden.

So war Camelot eine neue Heimat für die Unsterblichen geworden. Doch viele von ihnen hatte Rhodan seit Jahren nicht gesehen.

Rhodan starrte in den Himmel, die Sterne funkelten. Er genoss diesen Augenblick, während er ein Glas Milch trank. Bully hätte sich über diesen Anblick sicher lustig gemacht, doch Rhodan war, im Gegensatz zu Reginald Bull, auch nicht so häufig betrunken. Der Zellaktivatorchip verhinderte zwar eine Alkoholvergiftung, jedoch nicht alle Nebenwirkungen des Rauschmittels, wenn genug davon konsumiert wurde.

Außerdem war Perry Rhodan schlichtweg nicht danach, einen Vurguzz zu trinken. So leerte er das Glas Milch und erhob sich. Da es auf der Terrasse langsam kalt wurde, begab er sich in sein Wohnzimmer. Ein Hauch von Wehmut überkam ihn. Er war allein. Sein Sohn Michael war seit fast 50 Jahren zusammen mit Julian Tifflor verschollen. Seine Tochter Eirene war mit ihrer Mutter Gesil hinter die Materiequellen verschwunden. Er würde sie vermutlich nie wieder sehen.

Rhodan ging in einen kleinen Nebenraum, wo eine Trivideoanlage stand. Er gab etwas in den Syntron ein und ein Bild von einer Frau erschien.

Sie war wunderschön. Das lange weiße Haar bedeckte ihre Schultern. Die Augen der Arkonidin funkelten feuerrot. Ihr Körper war atemberaubend und ihr Gesicht war verführerisch und unschuldig zugleich. Die Frau auf dem uralten 3D-Photo war Thora.

Er betrachtete das Hologramm noch eine Weile, dann deaktivierte er die Anlage. Der Interkom summte auf und riss ihn aus seiner Melancholie. Rhodan leitete die Verbindung in sein Arbeitszimmer um. Dort erschien das hagere Gesicht von Xavier Jeamour, des Kommandanten des schnellen Kreuzers FREYJA.

»Was gibt es, Jeamour?«

»Entschuldige die Störung. Ich wollte nur vermelden, dass die FREYJA für morgen früh einsatzbereit ist.«

Rhodan schmunzelte über die Korrektheit des Kommandanten. Xavier Jeamour würde eines Tages das Kommando über das 1.000 Meter durchmessende Raumschiff IVANHOE erhalten, welches zusammen mit ihrem Schwesterschiff TAKVORIAN im Orbit über Phönix gebaut wurde. Jeamour war ein gewissenhafter Terraner, der aus der Region Belgien stammt und auch Wert darauf legte, nicht mit einem Menschen aus dem Bundesstaat Frankreich in einen Topf geworfen zu werden.

»Danke. Ist das Objekt bereits auf der Erde?«

»Ja, Sir! Der Vogel ist im Nest! Und das im wahrsten Sinne des Wortes.«

»Sehr gut! Die Kabine auf dem Luxusliner ist gebucht? ID-Karte erstellt?«

»Der Geheimdienst hat alles fertiggestellt. Du bist unter dem Pseudonym Refrald Bollk eingetragen. Ein Journalist, der den Diplomaten aus Somer interviewen will und einen Artikel über die Jungfernfahrt schreibt.«

»Wenn der gute Galaktikumspreisträger wüsste, dass wir ihn für Camelot einspannen wollen ...«, überlegte Rhodan. »Nun, ich danke dir, Xavier Jeamour. Wir sehen uns morgen. Gute Nacht!«

»Gute Nacht«, verabschiedete sich der Kommandant mit der Halbglatze und beendete die Verbindung.

Rhodan dachte noch eine Weile über das Unternehmen am nächsten Tag nach. Er hatte den Plan gefasst, den einzigartigen somerischen Diplomaten Sruel Allok Mok für Camelot zu gewinnen.

Mok war ein Somer mit blauem Gefieder. Sein Aussehen erinnerte an die längst ausgestorbenen amerikanischen Seeadler, die er noch in seiner Jugend bewundern konnte. Damals hatte er davon geträumt, sich wie die großen Adler in die Lüfte zu schwingen, um die uneingeschränkte Freiheit zwischen den Wolken genießen zu können. Sein Traum vom Fliegen war zwar in Erfüllung gegangen, aber die uneingeschränkte Freiheit war für ihn ferner denn je. Einen Moment ließ er sich zurücksinken und schloss die Augen. Nochmals drängte sich die Person des Somers in sein Bewusstsein. Seine Initialen waren S.A.M. – daher wurde er auch von vielen Terranern Sam genannt, was ja auch der Name des amerikanischen Seeadlers gewesen war. Mok hatte nichts gegen diese Bezeichnung, im Gegenteil, er stellte sich oft selbst als Sam vor.

Ihm wurde dieses Jahr der Galaktikumspreis für außergewöhnliche kulturelle Verdienste verliehen. Sam war für die Völkerverständigung sehr wichtig und versuchte die Aktivitäten des Galaktikums wieder anzukurbeln. Er hatte lange Zeit in der Milchstraße verbracht und fühlte sich sowohl als Galaktiker als auch als Estarte.

Oft gab es Reibereien zwischen den Handelskarawanen der neuen estartischen Föderation und LFT-Konzernen.

Sam war es bis dato immer gelungen, solche Differenzen beizulegen. Außerdem bekundete der Somer öffentlich Sympathie zu Perry Rhodan. Oft genug hatte er die Unsterblichen in den Schutz genommen. Er hielt offenbar viel von den Zellaktivatorträgern. Auch das war ein Grund, warum Perry Rhodan selbst den Somer rekrutieren wollte. Atlan und Bully hatten ihm schon mehrmals davon abgeraten.

Perry lächelte. Er musste an Bullys Worte denken. Sein ältester Freund meinte, es sei zu gefährlich, ohne Schutz auf einem Luxusraumer der LFT quer durch die Lokale Gruppe zu schippern. Doch Perry Rhodan liebte die Konfrontation und das Abenteuer.

Schon viel zu lange hatte er nichts mehr getan. Er hatte Camelot vom Schreibtisch her aufgebaut und war nur sehr selten außerhalb des Systems gewesen.

Er war durstig nach einem kleinen Abenteuer und zudem noch neugierig auf die neueste Errungenschaft der Kosmischen Hanse, die LONDON.

Dieses gewaltige Schiff sollte das neue Flaggschiff der Hanse werden. Mit über 15.000 Passagieren an Bord hatte es eine beachtliche Kapazität. Dabei war es mit den modernsten Metagrav-Projektoren ausgestattet.

Daher verfügte die LONDON über eine hohe Geschwindigkeit und eine große Reichweite. Der leitende Hansesprecher Arno Gaton hatte bereits angekündigt, dass dieses Schiff Geschichte schreiben würde.

Homer G. Adams hatte die Nachricht von dem ultimativen Kreuzfahrtschiff mit weniger positiven Gefühlen aufgenommen. Er war der Meinung, dass Gaton und der Hanse damit ein Erfolg garantiert sei. Als Leiter des Konkurrenzunternehmens TAXIT musste Adams deshalb besorgt reagieren. Rhodan war es egal. Er gönnte der Hanse einen Erfolg. Warum auch nicht? Schließlich waren die Terraner der LFT nicht die Feinde der Unsterblichen, auch wenn man sich im Moment nicht gut verstand.

Sam nahm an dem Jungfernflug teil. So kam es, dass sich auch Perry Rhodan einbuchte. Genau dort, an Bord der LONDON, wollte Perry Rhodan ihn für Camelot gewinnen.

Der einzige Grund, der jedoch Atlan und Bully schließlich überzeugte, war, dass Sam jegliche Gespräche mit Unterhändlern von Camelot kategorisch ablehnte. Er gab klar zu verstehen, dass er sich nur Rhodan persönlich anschließen würde.

Rhodan kam diese Einstellung nur recht. Es zog ihn wieder hinaus. Eine Reise durch die Lokale Gruppe war genau das Richtige für ihn.

Rhodan war entschlossen, selbst den Somer nach Camelot zu holen. Sam war ein friedvoller und fähiger Botschafter Estartus. Er war selbst im Kristallimperium hoch angesehen. Rhodan war der festen Ansicht, dass so einer als Verbündeter von Camelot wichtig war.

 

3. Die LONDON

Das war die Stunde des Hansesprechers Arno Gaton. Auf solche Momente hatte er lange hingearbeitet, viele Kompromisse geschlossen, Prinzipien beiseitegelegt und die Gunst der Stunde genutzt. Er war überwältigt von der Anzahl der Besucher, die sich zu dieser Zeit im Festsaal in der Raumwerft SUSSIX eingefunden hatten.

Etwa 3.000 bis 4.000 Ehrengäste waren an diesem 5. Oktober 1285 NGZ eingeladen, um dem Spektakel beizuwohnen. Die Raumwerft SUSSIX im Orbit von Terra war mit Politkern, Reportern, Künstlern, Sportlern, Schauspielern, Unternehmern, Aristokraten und weiteren Honoratioren aus allen Teilen der Milchstraße gefüllt.

Auf einem Podium präsentieren sich die Ehrengäste des Abends. Die Erste Terranerin Paola Daschmagan und der LFT-Kommissar Cistolo Khan saßen an einem Tisch und ließen sich von den Reportern ablichten. Unzählige Hanseaktionäre versammelten sich um die beiden. Sie alle wollten ein Stück von dem Ruhm abhaben, den sich Arno Gaton schon längst erworben hatte.

Dann kam der große Auftritt des führenden Hansesprechers. Arno Gaton betrat unter stürmischen Applaus das Podium.

Er ließ die Euphorie etwas auf sich einwirken. Er war stolz auf sich selbst. Lange hatte er daran gearbeitet, ganz nach oben zu kommen. Nun hatte er es durch die LONDON geschafft.

Der 94-jährige Terraner war inzwischen der Vorstandsvorsitzende der Kosmischen Hanse geworden. Somit trat er in die Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls ein Hansesprecher gewesen war. Nach dessen Tod hatte er, als einziger Sohn, das gesamte Vermögen geerbt und war über die Aktienanteile seines Vaters Großaktionär der Hanse geworden.

Mit achtzig Jahren war er in den Aufsichtsrat gewählt und schließlich Hansesprecher geworden. Nur zehn Jahre später hatte er dann den Sprung nach ganz oben geschafft und war der Vorsitzende des Aufsichtsrates und somit der bedeutendste Hansesprecher geworden.

Auch die negative Publicity der Mashratan-Affäre hatte ihm nicht wirklich geschadet. Gaton wusste, dass ihn niemand an der Spitze der Hanse gefährden konnte. Dazu war er zu mächtig.

Er fuhr mit der Hand über sein schütteres Haar und stellte sicher, dass die übrigen Haare richtig lagen.

Von ihm stammte die Idee der LONDON. Er hatte etliche Billionen Galax dafür investiert, war sich aber über den Erfolg der LONDON vollkommen sicher. Für ihn zählte an erster Stelle nur der Profit. Und die LONDON würde der Marke »Kosmische Hanse« einen ganz neuen Glanz verleihen. Nach all den schlechten Jahrzehnten und dem Druck der Märkte, den konkurrierende Unternehmen, gleich ob es nun um Shorne Industries, für Arkons Macht und Wirtschaft oder die TAXIT handelte, die LONDON würde auf einer Hyperwelle die Kosmische Hanse wieder an die Top-Position katapultieren.

Heute war die Taufe der LONDON und somit sein Tag!

Allmählich wurde es ruhiger im Raum. Gaton wandte sich dem Mikrofon zu und begann seine Rede.

»Meine Damen und Herren, ich begrüße euch alle recht herzlich zur Einweihung des Hanseraumschiffes LONDON! Die LONDON ist nicht nur irgendein Sternenschiff der Kosmischen Hanse, es ist das ultimative Kreuzfahrtraumschiff in der gesamten Lokalen Gruppe! Die besten Techniker, Konstrukteure, Architekten und Ingenieure der Liga Freier Terraner und aus dem Hause der Kosmischen Hanse haben zwölf lange Jahre an der Fertigstellung der LONDON gearbeitet. Das zeigt, wie zuverlässig und flexibel unser Unternehmen ist. Weder die TAXIT noch andere Unternehmen können es mit der Kosmischen Hanse aufnehmen. Durch die LONDON wird die Hanse ihre erstrangige Position in der galaktischen Wirtschaft untermauern!«

Beifall brandete von den Terranern entgegen, während sich Arkoniden, Springer, Blues und Topsider eher bedeckt hielten. Sollten sie nur, fand Gaton. Sie mussten irgendwann ihre Niederlage eingestehen.

»Vor zwölf Jahren hatte ich eine Vision! Diese Vision war ein Raumschiff, das den Reisenden alles bietet, was man sich wünschen kann. Eine Insel des Luxus zwischen den Sternen. Und dieser Traum wird heute in Form der LONDON-Realität!«, fuhr Gaton fort.

Alex Moindrew, der leitende Ingenieur und damit Erbauer der LONDON, ging zu Arno Gaton auf das Podium und übergab ihm eine elektronische Tafel, auf dem die wichtigsten Daten zur LONDON eingetragen waren.

Gaton schenkte dem unscheinbaren Ingenieur einen kurzen Blick. Moindrews grauschwarzes Haar war streng gekämmt. Der bartlose Olympier wirkte adrett und nicht so verwahrlost, wie es viele Wissenschaftler taten. Moindrew war präsentierfähig.

Rechts von Gaton standen der Kapitän der LONDON, James Holling, ein 175 jähriger Plophoser und der junge, terranische Erste Offizier Wyll Nordment. Sie waren ein ungleiches Paar, fand Gaton. Der Plophoser Holling mit seinem weißgrauen Vollbart und der Knollennase strahlte Würde und Erfahrung aus. Wyll Nordment hingegen wirkte wie ein Milchbubi mit seinen halblangen, braunen Haaren, den blauen Augen und dem jugendlichen Gesicht. Freilich, der Terraner aus dem Bundesstaat USA war mit seinen 22 Jahren noch nicht grün hinter den Ohren. Auch wenn er durch eine brillante Ausbildung hervorstach und sich Hoffnungen auf die Nachfolge als zukünftiger Kommandant der LONDON machte, so wusste Gaton ihn nicht richtig einzuschätzen. War der Mann schon geeignet für diesen Posten? Wenn es nach Holling ging, schon und Gaton ließ die beiden in dem Glauben. Vorerst zumindest.

Arno Gaton lächelte in die Menge.

»Alex Moindrew, der Konstrukteur der LONDON hat mir soeben eine Tafel gegeben mit etlichen technischen Details über die LONDON. Im Interesse von allen, erspare ich euch technisches Gebrabbel und komme zu den wesentlichen Dingen.«

Hinter Gaton befand sich ein großes Panoramafenster. Die Scheiben waren schwarz getönt. Dahinter verbarg sich die LONDON in ihrer Werft. Die Konstruktion der LONDON war unter höchster Geheimhaltung durchgeführt worden. Selbst auf einen Testflug hatte die Hanse verzichtet, damit die Medien nicht schon vorzeitig über das Aussehen des Raumers berichten konnten.

»Die LONDON ist mit 1.600 Metern das längste Kreuzfahrtschiff in der Geschichte der Menschheit. Sie hat eine Breite von 554 Metern und eine Höhe von 787 Metern. Die LONDON ist mit den modernsten Metagrav-Projektoren ausgestattet, hat einen Paratronschirm, die besten Orter- und Funkanlagen, die es im dreizehnten Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung gibt. Das Design des Raumschiffes ist einem Seekreuzfahrtschiff nachempfunden. Die LONDON bietet mehr Luxus- und Freizeitangebote, als die besten Vergnügungsparks in der Milchstraße.«

Die dunkle Tönung der Fenster verblasste und langsam wurde die LONDON sichtbar. Eine ruhige symphonische Melodie erklang, die sich langsam steigerte und zu einer majestätischen Hymne für die LONDON entwickelte.

»Der Anblick der LONDON wird für sich selbst sprechen. Ich bin stolz, der Milchstraße das größte Kreuzfahrtschiff im Universum präsentieren zu können: Die LONDON«, beendete Gaton schreiend seine Rede.

Die Zuschauer bekamen den sichelförmigen unteren Teil der LONDON als Erstes zu sehen. In roten Lettern prangte der Name daran. Das Mittelteil war eine flache Scheibe im klassischen »Untertassendesign«. Der obere Bereich der LONDON war von einer gewaltigen Glaskuppel überzogen und glich einem alten terranischen Seefahrtschiff.

Drei Türme, die wie Schornsteine auf einem alten Luxusseeschiff wirkten, ragten in die Höhe. Zwischen dem Turm B und C befand sich die Sternenhalle, eine runde Halle von 400 mal 400 Metern und einer Höhe von 137 Metern.

In den Türmen A und B selbst, waren sowohl Passagierkabinen der verschiedenen Preiskategorien in Form von Decks eingebaut, als auch Gärten, Freizeiteinrichtungen, Holodrome und Speisesäle. Turm C mündete ins Heck der LONDON. Dort befanden sich die technischen Einrichtungen, die Räume der Syntronik und Teile des Maschinenraums, der sich bis tief in die LON-DON erstreckte und in den Antrieb mündete.

Zwei Hypertrop-Zapfer waren an Bug und Heck des Schiffsrumpfes integriert. Gaton bemerkte die vielen staunenden, begeisterten Gesichter.

In diesem Moment fühlte er sich am Ziel seiner Bestrebungen. Er fragte sich, wie die Märkte auf die LONDON reagieren würden? Waren sie zufrieden? Sie mussten es sein. Der terranische Aktien Index schoss vermutlich genau in diesem Moment dank der Hanse-Aktie in die Höhe.

Nachdem sich die Masse beruhigte, kündigte Gaton die Taufe der LONDON durch Paola Daschmagan an.

Eine Flasche edelsten Weins wurde in eine stilisierte Abschussrampe gesteckt. Die untersetzte Erste Terranerin hielt eine kurze Ansprache und lobte die Kosmische Hanse und deren Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie äußerte ihre Bewunderung über das Schiff und ließ noch einige übliche politische Seitenhiebe gegen ihre Kontrahenten los.

Dann ging sie zum feierlichen Akt über und drückte auf den Auslöser der Rampe, während sie die obligatorische Formel »Ich taufe dich auf den Namen LONDON« sprach. Die Flasche wurde aus der Rampe katapultiert und steuerte direkt auf den Bug der LONDON zu, wo sie schließlich an der grauen Außenhülle der LONDON zerbarst. Das Publikum fing wieder an, zu applaudieren.

Im nachfolgenden Programm wurde auch Kapitän James Holling, sowie der Konstrukteur interviewt.

Beide lobten das Schiff und untermauerten die Besonderheit dieses Schiffes.

»Die LONDON wird quer durch die Lokale Gruppe fliegen. Wir haben sechs Wochen für diese Kreuzfahrt angesetzt. Wir wollen den Passagieren eine lange und ereignisreiche Reise bieten«, erklärte Gaton zum Abschluss.

Sein großer Tag verlief zur vollsten Zufriedenheit und die LONDON war startbereit.

 

4. Der Kommandant

7. Oktober 1285 NGZ

Die majestätische LONDON schwebte neben der SUSSIX-Raumwerft im Orbit von Terra.

Über den Passagierbereich der LONDON spannte sich eine durchsichtige Kuppel. Der obere Bereich war so konstruiert worden, dass sich die Passagiere »an Deck« begeben konnten. Es wurde auf Hologramme und Holo-Etagen verzichtet. Die Passagiere sollten echte Sterne am Himmel sehen, wenn die LONDON aus dem Hyperraum fiel. Es waren viele kleine Zwischenstopps eingeplant, damit die zahlenden Gäste die kosmischen Wunder der Lokalen Gruppe sehen konnten.

Die LONDON verfügte trotz ihrer Größe nur über einen kleineren Hangar, in dem Space-Jets und Beiboote untergebracht waren.

Die Inneneinrichtung der LONDON war auf Luxus getrimmt, man hatte sich darauf vorbereitet, alle denkbaren Wünsche der Passagiere zu erfüllen. Die Kabinen hatten eine Mindestgröße von fünfzig Quadratmeter Fläche und waren speziell auf die Rasse des Gastes angelegt. Die Luxussuiten hingegen waren um die 200 Quadratmeter groß. Mit weniger würden sich die Eliten auch nicht zufriedengeben. Zahlreiche Restaurants und Bars waren auf dem Schiff verteilt. Viele Holosuiten, Freizeiteinrichtungen, wie Swimmingpools, Sonnendecks mit Kunstsonnen und vieles mehr hatte die LONDON ihren knapp 15.000 Passagieren zu bieten. Diverse Künstler, Musiker und Theatergruppen präsentierten sich in Ausstellungen und Bühnenstücken.

Auch die galaktische Technik- und Wirtschaftsmesse präsentierte zahlreiche Stände mit technologischen Innovationen und Infoständen der vielen Unternehmen. Der Bau der LONDON hatte für viel Aufsehen gesorgt. Kritiker gab es genug, die meinten, dass die LONDON ein Fiasko werden würde. Doch die Unkenrufe waren seit zwei Tagen verklungen. Die LONDON war das Ereignis im Oktober 1285 NGZ! An diesem 7. Oktober war es nun so weit. Die LONDON sollte ihre Reise beginnen.

*

Der Kapitän James Holling las auf dem Display des Mediareaders einen Artikel über Arno Gaton, der als »Unternehmer des Jahrhunderts« bezeichnet wurde. Holling schüttelte den Kopf. Gaton heimste den Ruhm ein, bevor die LONDON überhaupt das Solsystem verlassen hatte.

Um Politik und Ruhm machte sich Hollings Crew wenig Gedanken. Sie waren stolz an Bord der LONDON zu dienen und bereiteten sich auf die Ankunft der Gäste vor. Sie alle wollten ihre Aufgabe so gut wie möglich erledigen.

Die Brückencrew bestand auf Anweisung der Kosmischen Hanse ausschließlich aus Raumfahrern der Liga Freier Terraner. Für die minderqualifizierten Arbeitsplätze, wie Bedienungen, Zimmermädchen, Maschinisten und Servicemitarbeiter waren auch extraterrestrische Wesen angestellt worden, die wesentlich billiger als Terraner waren.

Nur Arkoniden waren nicht eingestellt worden. Die Hanseleitung wollte einen Skandal verhindern, denn das Kristallimperium hätte sich beschwert, wenn ein arkonidischer Kellner etwa einen Terraner hätte bedienen müssen.

Für den Kommandanten James Holling sollte es sein letzter Flug sein. Der im Jahre 1110 NGZ auf Plophos geborene vollbärtige Mann hatte bereits während der Monos-Diktatur als junger Leutnant auf der QUEEN LIBERTY gedient, dem WIDDER-Flaggschiff von Homer G. Adams.

Holling musterte sich in einem Spiegel, der in einer Nische der Kommandozentrale stand. Er zupfte die Enden des Oberlippenbartes zurecht, fuhr mit der Hand über sein grau meliertes, kurz geschorenes Haar und prüfte, ob der Bauch nicht zu sehr über die Hose schwappte.

Das Haar und die Uniform saßen. Er richtete die Orden an der rechten Brust. Fertig!

Nach der Pensionierung des Plophosers bei der LFT hatte er als Kommandant für Kreuzfahrt- und Handelsraumschiffe der Kosmischen Hanse angeheuert. Ebenso bildete er junge Raumpiloten und Kadetten der Hanse aus. Das Kommando über die stolze LONDON sollte der krönende Abschluss seiner langen Berufslaufbahn sein.

Den Ruhestand hatte er auch dringend nötig. Zunehmende Alterserscheinungen machten sich mit seinen 175 Jahren immer mehr bemerkbar. Zwar artete es noch nicht in Senilität aus, doch Holling war sich auch selbst darüber im Klaren, dass nach dem Jungfernflug der LONDON Schluss sein musste.

Als designierten Nachfolger wünschte sich Holling seinen ersten Offizier Wyll Nordment. Der Plophoser warf einen Blick auf den schlaksigen, mit 1,75 Meter eher kleinen Terraner aus dem Bundesstaat USA. Nordment war erst 22 Jahre alt und doch hatte er mit viel Ehrgeiz und Geschick die Ausbildung zum Navigator hinter sich gebracht. Vielleicht hatte er in Holling auch nur den besten Lehrer gehabt, sinnierte der Plophoser mit einer gewissen Selbstironie.

Wyll hatte es in seinen jungen Jahren nicht leicht gehabt. Er war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und musste mit 15 Jahren schon den Tod seines Vaters verkraften. Es hatte die Familie auseinandergerissen. Der Kontakt zu seiner Mutter war abgebrochen und Wyll hatte sich als Tagelöhner zwei Jahre lang quer durch die LFT durchgeschlagen. Als er genügend Geld gesammelt hatte, hatte er sich an der Hanseakademie eingeschrieben. Dort war Holling dem jungen Terraner begegnet und hatte sich seiner angenommen. Wyll war jemand, der einen starken Willen besaß und etwas unbedingt erreichen wollte, wenn er es sich vorgenommen hatte. Und dennoch war Nordment kein rücksichtsloser Karrieretyp. Er hatte einen ausgeprägten Charakter und vertrat seine Prinzipien. Und überdies war er ein exzellenter Navigator und verstand sich blendend mit der Crew.

Das prädestinierte den jungen Nordment in Hollings Augen als seinen geeigneten Nachfolger.

Nordment trug eine adrette schwarz-weiße Uniform, die teilweise auch an die Matrosen aus Zeiten erinnern sollte, in denen es nur Kreuzfahrtschiffe auf dem Wasser gab. Einige Crewmitglieder fühlten sich wie auf einer Maskerade und nahmen die altertümlichen Kombinationen mit Humor. Holling fand, es sah gut aus.

Holling ließ seinen Offiziersstab in der runden, hell beleuchteten Kommandozentrale mit den graumetallischen Wänden antreten. Er erhob sich von dem Kommandantensessel im Zentrum des Raumes und blickte auf die Monitore, Hologramme und Konsolen. Anachronistisch wirkte das Steuerungsmodul. Ein altes, rundes Ruder aus Holz, verziert mit goldenen und silbernen Plättchen und im Kreis angeordnete Handgriffe. So hatten die Menschen früher also ihre Schiffe gesteuert, bevor mit der modernen Technik weitaus bequemere Methoden entwickelt wurden.

Holling fasste das Ruder an und drehte es ein wenig nach links und rechts. Zu Präsentationszwecken konnte er tatsächlich eine Verbindung zur Steuereinheit aktivieren. Damit sollten Besucher auf der Brücke beeindruckt werden, wenn die LONDON durch Steuerung mit dem Ruder den Kurs änderte. Jedoch hatte er es deaktiviert. Die meiste Zeit würde die Syntronik die LONDON steuern.

Wyll oder seinem Stellvertreter Evan Rudocc, dem Zweiten Offizier, oblag die genaue Kursplanung unter Berücksichtigung der von Gaton gewünschten Sehenswürdigkeiten. Der klein gewachsene Ire war ein korrekter und fähiger Mann, den Holling schätzte. Nur im äußersten Notfall konnte die LONDON durch die Brückencrew manuell geflogen werden.

Holling betrachtete »seine« Offiziere. Allesamt Männer, worauf er persönlich großen Wert legte. Was hatte er sich immer wieder anhören müssen, wenn er die Bewerbung von Frauen abgelehnt hatte. Er sei ein Chauvinist, Macho und Sexist. Holling nahm es gelassen. Frauen lenkten die Crew nur ab, so fand er, und, das würde er jedoch nie öffentlich aussprechen, hatten einfach auf der Brücke eines Raumschiffes nichts zu suchen. Er hatte sich nie mit anderen Kommandantinnen und Offizierinnen verstanden. Das war ihm auch gleich.

So musterte er »seine Jungs« mit Stolz. Der hagere und hochgewachsene Garl Spechdt war zusammen mit dem untersetzten Olympier Jon Maskott für die Ortung verantwortlich.

Die restliche Kommandocrew bestand aus dem Reserveoffizier High Gellar, dem Funker Mugaba Sparks sowie den Sicherheitsspezialisten Bogo Prollig und Uto Lichtern. Der Epsahler Prollig war von beeindruckender Gestalt und jemand, mit dem man sich besser nicht anlegte. Sein Stellvertreter Lichtern stammte, wie Holling, von Plophos. Lichtern galt als zynisch und steif aber ebenso korrekt wie gewissenhaft.

Das war also seine Brückencrew, mit der er die nächsten sechs Wochen die Lokale Gruppe durchstreifen würde.

Er sah sich noch einmal in der Kommandozentrale um. Sie wirkte mit den metallgrauen Wänden, dem Ruder und den Konsolen mit Holzbeschlag wie aus einem anderen, längst vergangenen Jahrtausend. Die Hologramme sowie die anderen technischen Elemente der Moderne machten sie jedoch zu einer wohl einmaligen Brücke. Holling gefiel dieser »Retro-Look« auf jeden Fall. Dieser Stil durch durchzog das ganze Raumschiff.

Holling blickte auf die Holoprojektion, die ein breites Panoramafenster nachahmte und sah, wie die vielen kleinen Transporter die Passagiere zur Orbitalstation brachten. Die genaue Anzahl der Passagiere würde bei 15.022 liegen.

Eine riesengroße Anzahl, dachte der Kommandant.

Die meisten würden in großen Luxuskabinen untergebracht werden. Es haperte an nichts auf der LONDON.

Er blickte auf Terra hinab. Die Andockvorrichtungen zur SUSSIX wurden ausgefahren, während jede Menge Zubringerschiffe an der Orbitalstation andockten.

Die LONDON war erst gestern zum ersten Mal getestet worden. Sie hatte das Dock der Werft SUSSIX verlassen und war quer durch das Solsystem geflogen.

Dabei waren die Hypertrop-Zapfer, die Grigoroff-Projektoren und die Gravitraf-Speicher getestet worden. Die LONDON erreichte einen Überlichtfaktor von 79 Mio. und hatte außerdem mit 1.317 km/sec2 eine größere Beschleunigung, als die modernen Kugelraumer der NOVA-Klasse erreichten.

Damit hatten die Hansesprecher recht; die LONDON war zurzeit das beeindruckendste Raumschiff in der Milchstraße.

Auf der Andockrampe herrschte ein reger Verkehr. Die Zubringer und Orbitalgleiter brachten das Gepäck und oft auch die Passagiere selbst, bis zu den Terminals. Die Aristokraten, Politiker und anderen »VIP« checkten an einem Extraterminal für Passagiere Erster Klasse ein.

Die Einteilung in verschiedenen Klassen gefiel der Öffentlichkeit weniger, jedoch waren die Preise für Kabinen Erster Klasse astronomisch hoch.

Holling betrachtete von der Zentrale aus den großen Auflauf. Die Botschafter von Topsid und Archetz kamen mit einem großen Gefolge und einem ebenso großen Aufwand an Eskorte. Auch glaubte er eine Raumyacht mit arkonidischen Insignien zu erkennen. Dies war wahrscheinlich die Raumfähre der Orbanashols.

Die ersten Passagiere betraten nun das riesige Raumschiff. Der Kommandant wandte sich seinem Ersten Offizier zu.

»Wyll, es ist so weit. Ein geschichtsträchtiger Tag beginnt heute für uns und für die Kosmische Hanse.« Er machte eine kurze Pause und lächelte. »Nach dem Jungfernflug wirst du wohl das Kommando übernehmen und ich kann in den wohlverdienten Ruhestand gehen und auf die zweihundert zusteuern ...«

Auch Nordment grinste. »Ich bin mir bewusst, welche Ehre das für mich sein wird, aber ich werde wohl nie ein so guter Kommandant werden, wie du es bist.«

»Abwarten, spätestens mit 175!«, entgegnete Holling. »Aber nun meine Herren, lasst uns die Passagiere begrüßen!«

»Ja, Sir!«, antwortete sein Offiziersstab einheitlich.

 

5. Die Passagiere

Die Kommandocrew begab sich in das riesige Foyer – die Sternenhalle.

Diese war das Herzstück der LONDON. Sie befand sich in der Mitte des diskusförmigen Schiffskörpers zwischen den Türmen B und C. Die kreisrunde Halle maß bis zum Zenit 137 Meter und hatte an der Basis des Zylinders einen Durchmesser von etwa 420 Metern. Darüber wölbte sich eine frei gespannte Glaskuppel, die den gesamten Komplex überspannte.

An der Innenseite des Zylinderkörpers verlief spiralförmig eine Galerie, die zu den jeweiligen Etagen führte und mit ihren fast 70 Metern Breite ein mannigfaltiges Angebot von Attraktionen bot und in einer Empore unterhalb der Kuppel endete. Da jede Etagenebene durchschnittlich eine Höhe von vier Metern erreichte, um selbst einem Haluter Platz zu bieten, erstreckte sich die Sternenhalle über 30 Decks.

Die Mitte der großen Halle war leer. Hologramme von Planeten, Wundern aus der Milchstraße und der Lokalen Gruppe wechselten sich ab und sollten die Passagiere ins Staunen versetzen.

Galerie und Empore bargen zahlreiche Kunstschätze, darunter Gemälde von namenhaften galaktischen Malern. Dazu kamen Statuen aus Gold und mit Howalgonium überzogene Plastiken, diverse Stände, Shops, Parkanlagen und Holodrome, Eingänge zu Schwimmbädern und Sporteinrichtungen. Die Empore im Zenit der Halle bildete schließlich den Übergang zu den Vergnügungseinrichtungen und Restaurants sowie Durchgänge zu den Passagierbereichen. Vom Foyer aus erreichte der Besucher somit alle wichtigen Anlaufpunkte für die Passagiere.

Die Sternenhalle ging an der Basis in die Außendecks über, die von einer weiteren Glaskuppel überspannt wurde. Die besonderen Gäste begrüßte die Schiffsführung persönlich. Die reichen Aktionäre der Kosmische Hanse, aristokratische Arkoniden, Unternehmer und Politiker.

Als einer der Ersten traf Arno Gaton zusammen mit seiner Frau Delia ein. Holling musterte den kleinen Mann mit der Halbglatze und dem unscheinbaren Dutzendgesicht.

Neben ihm stolzierte seine Frau Delia. Sie war um einiges jünger als er und das typische Aushängeschild eines reichen Industriellen. Schön und unintelligent.

»Gaton, es ist mir eine Ehre dich an Bord der LONDON begrüßen zu dürfen«, begann der Kapitän freundlich.

»Danke, danke«, entgegnete der Hansesprecher knapp. »Du bist dir doch bewusst, welche Verantwortung du für dieses Schiff hast? Das ist eines der größten Projekte, das die Kosmische Hanse jemals finanziert hat. Etliche Billionen an Galax sind hier hineingeflossen.«

Holling nickte und antwortete: »Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren. Deshalb habt ihr ja auch mich als Kommandanten gewählt, weil ich der Beste bin.«

»Bescheidenheit täte dir ganz gut, Jim«, meinte Gaton schmunzelnd.

»Ich bin so bescheiden wie mein Brötchengeber«, konterte der Plophoser grinsend. »Deine Ansprache vorgestern hat aber durchaus Eindruck auf die Galaktiker gemacht. Wir haben sogar noch 1.230 Neubuchungen in letzter Sekunde bekommen. Damit sind wir ausgebucht. 15.022 Gäste werden wir an Bord haben, wenn wir abfliegen.«

»Hervorragend. Wie dem auch sei. Wir sprechen uns nachher. Delia ist ganz erschöpft von dem Flug hierher. Sag mir Bescheid, wenn wir starten ... komm, meine Teure.«

Holling senkte kurz den Kopf. Die Gatons gingen, geleitet von einem kleinen Roboter, zu ihrer Kabine.

Wyll stupste seinen Kommandanten und Mentor kurz an. »Sie mal, da kommen die Abgesandten des Kristallimperiums. Die sehen schon so richtig affektiert aus.«

Aus dem breiten Transmittertorbogen materialisierten fünf Arkoniden und zwei Naats. Offenbar war ihnen der Weg durch den Antigrav oder gar zu Fuß vom Hangar bis zur Sternenhalle zu beschwerlich gewesen. An allen wichtigen Punkten befanden sich Personentransmitter.

Holling wandte sich in Richtung der Arkoniden. Die über zwei Meter großen Naats mit dem klobigen Körperbau und den drei Augen flankierten die Adelsfamilie und waren offenbar zu ihrem Schutz gedacht.

Einer der Arkoniden trat an ihn heran. Sein weißes Haar war halblang, das Gesicht hart und kantig. Mit einem stechenden Blick aus den roten Augen musterte er Holling und Nordment abfällig. Der Arkonide machte einen vornehmen Eindruck, obgleich Holling klar war, dass es sich offenbar um einen Bediensteten der Familie Orbanashol handelte. Er hatte sich die Gesichter der wichtigsten Passagiere eingeprägt.

»Ich bin Hermon da Zhart. Ich bin der Haushofmeister und persönliche Sekretär der ehrenwerten Familie der Orbanashols.«

Er zeigte auf die vier Arkoniden, zwei Männer und zwei Frauen. »Das ist Spector Orbanashol, einer der angesehensten Bürger unseres Imperiums.«

Zhart deutete auf den hochgewachsenen und breitschultrigen Arkoniden, der lang wallende, silberne Haare trug. Dieser Arkonide hatte eine unsympathische und arrogante Ausstrahlung. Er sah die beiden Offiziere nur grimmig aus seinem faltigen Gesicht an und gab keinen Ton von sich. Seine Augen leuchteten tiefrot.

»Die anderen erlauchten Persönlichkeiten sind seine Gemahlin Thorina, sein Neffe Attakus und seine Tochter Rosan.«

Spectors Frau Thorina machte einen älteren Eindruck als Spector selbst. Holling wusste jedoch, dass sie jünger war. Sie hatte glattes, drahtig wirkendes, graues Haar und das Gesicht wirkte eingefallen und zerknittert.

Attakus war, ähnlich wie sein Onkel, hochgewachsen und hatte langes weißes Haar. Er war einer dieser jugendlichen Arkoniden, die in das Kristallimperium hineingeboren worden waren. Sein Interesse galt mehr dem Sport der Reichen sowie schönen Frauen. Ein Mann, der es genoss, reich und anerkannt zu sein.

Dessen Cousine Rosan machte hingegen einen unpassenden Eindruck. Holling erkannte sofort, dass sie nur Halbarkonidin war. Sie hatte zwar die roten Albinoaugen, jedoch – unpassend für Arkoniden – langes, rot gelocktes Haar. Holling überlegte, ob sie vielleicht eine halbe Terranerin war.

»Rosan ist die Stieftochter des edlen Zdhopanthi Spector Orbanashol«, ergriff Hermon da Zhart auch sogleich das Wort, da der Sekretär der Orbanashols offenbar den fragenden Blick von Holling bemerkt hatte.

»Seine Gemahlin ist zum zweiten Mal verheiratet. Bevor sie die Ehre bekam, mit Spector Orbanashol die Lebensgemeinschaft einzugehen, war sie mit einem terranischen Geschäftsmann verheiratet, der jedoch ... an den Folgen eines Unfalls dahinging. Rosan entstammt also aus erster Ehe von Thorina, jedoch liebt Spector sie wie sein eigenes Kind, auch wenn sie einige abartige äußerliche Merkmale trägt.«

Rosan schaute verlegen auf den Boden. Holling war überrascht, wie offen und ungeniert da Zhart die junge Frau demütigte. Rosan hatte offensichtlich keinen hohen Stellenwert in der Familie. Wyll Nordment räusperte sich. Holling warf einen Blick auf seinen Ersten Offizier. Oh, er kannte diesen Gesichtsausdruck. Am liebsten hätte sich Nordment auf den Haushofmeister gestürzt und ihm eine rechte Harke verpasst. Und da war etwas, ein gewisser Glanz in Wylls Augen, als er die schöne Halbarkonidin betrachtete.

Holling brach die peinliche Stille.

»Als abartig würde ich die Dame nicht bezeichnen. Sie haben eine wunderschöne Tochter, Thorina.«

Wyll hatte sich offenbar wieder gefangen und schmunzelte Rosan charmant zu. Er bestätigte das Kompliment seines Kapitäns.

Rosan sah beide verwundert an. Sie wusste wohl nicht, was sie davon halten sollte, jedoch lächelte sie den Ersten Offizier kurz an. Wyll war über das Funkeln ihn ihren Augen fasziniert, erkannte Holling.

Die anderen drei Arkoniden taten so, als hätten sie die Äußerung des Plophosers nicht vernommen.

»Soso, dies ist also das große terranische Raumschiff, das als unzerstörbar gilt«, stellte Attakus fest.

»Nun ja, man kann alles zerstören«, antwortete Holling, »aber die LONDON ist ein Passagier- und kein Kampfschiff, daher ist diese Frage rein rhetorisch.«

Attakus musterte Holling, dann nickte er leicht.

»Zumindest wurde es aus Arkonstahl hergestellt. Wenigstens etwas Beruhigendes«, kommentierte er dann.

»Ynkelonium-Terkonit-Stahl«, korrigierte Wyll.

Attakus quittierte den Einwand mit einem verächtlichen Seufzer.

Spector sagte immer noch nichts. Attakus sah sich etwas um, dann ging er auf Rosan zu.

»Meine Cousine scheint müde zu sein, wir begeben uns besser in unsere Kabinen.«

Er gab Zhart einen Wink. Der reagierte sofort.

»Das Gepäck der ehrenwerten Zdhopanthi ist noch in den Gleitern. Wir haben nur das Nötigste mitgenommen. Es wäre trotzdem ratsam mehrere Roboter hinzuschicken.«

Holling nickte. »Das werden wir machen.«

Wyll ergriff schnell die Initiative.

»Ich hoffe doch, dass ihr euch an den Kapitänstisch gesellen werdet. Es würde uns eine große Ehre sein.«

Holling schaute seinen ersten Offizier verwundert an. Eigentlich wollte er diese Einladung aussprechen, aber er gestand das wohl dem Eifer der Jugend zu. Insbesondere, da er auch mitbekam, wie fasziniert Nordment von der jungen Orbanashol war.

»Wir nehmen das Angebot an«, grollte Spector mit dunkler Stimme.

»Ja, sehr gerne!«, meldete sich auch Rosan zu Wort und lächelte Wyll an. Sie war 1,65 Meter groß und hatte eine gute Figur und eine graziöse Erscheinung. Sie wirkte auf Holling wie eine kleine, arkonidische Prinzessin. Jedoch auch traurig und unpassend in dieser Bande. Was Wyll wohl dachte? Vermutlich schlug sein Herz höher. Auf jeden Fall legte Rosan nicht diese Arroganz zutage, wie es der Rest der Orbanashols tat.

»Komm jetzt, Tochter«, krächzte die alte Thorina.

Hermon da Zhart winkte die zwei Naats herbei, die das Handgepäck der Adeligen trugen.

»Der Roboter wird euch die Kabinen zeigen. Sie sind im Elite-Deck, der komfortabelsten Etage«, erläuterte Nordment eifrig.

»Sie ist Arkonidin«, flüsterte Holling, als die Arkoniden sie nicht hören konnten.

»Aber nur zur Hälfte«, entgegnete Wyll und grinste schelmisch.

Holling nickte und wünschte seinem jungen Freund viel Glück.

In diesem Moment trat eine Schar von Reporten in das Foyer. Inmitten dieser Traube watschelte ein blauer Vogel. Es war ein Somer. Er beantwortete den Journalisten einige Fragen, bevor die Sicherheitsmänner Bogo Prollig und Uto Lichtern diese dezent von dem Somer trennten.

Holling machte eine salutierende Geste.

»Sruel Allok Mok! Es ist uns eine Ehre, Sie an Bord der LONDON willkommen zu heißen.«

Nun stieß auch Gaton dazu.

»Im Namen der Kosmischen Hanse und der LFT begrüße ich Sie ganz herzlich auf dieser Kreuzfahrt durch die Lokale Gruppe.«

Er reichte dem kleinen Somer, der wie ein amerikanischer Seeadler aussah, die Hand. Dieser ergriff sie auch und schüttelte sie.

»Es ist mir eine Ehre, an diesem Jungfernflug teilnehmen zu dürfen«, meinte der Somer schließlich mit tiefer, angenehmer Stimme.

»Sie dürfen mich aber Sam nennen. Die meisten Terraner – aber auch Galaktiker – tun dies. Es sind die Initialen meines Namens und zudem sehe ich einem terranischen Seeadler äußerst ähnlich. Überdies ist dieser Adler das Wappentier und Symbol des terranischen Bundesstaats USA, den sie dort eben Sam nennen.«

Gaton lächelte und nickte.

»Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht, wie ein Tier bezeichnet zu werden ...«, brachte er verlegen hervor.

»Tiere sind edle Wesen. Der Adler ist ein imposantes Geschöpf, welches die Freiheit liebt. Ich habe also einige Dinge mit ihm gemeinsam.«

Sam war Galaktikumspreisträger. Er hatte schon viele politische Konflikte gelöst. Der Somer war selbst im Forum Raglund und im Kristallimperium geachtet. Er war ein Liebhaber terranischer Klassik. Beethoven und Mozart hörte er genauso gerne wie ophalische Symphonien.

Eine weitere Marotte war, dass er darauf bestand, gesiezt zu werden. Er meinte, die Verwendung der dritten Stammform im Interkosmo sei mit mehr Respekt verbunden. Anfangs war es für die Delegierten und Reporter recht schwer, sich daran zu gewöhnen, jedoch mit der Zeit ging auch das reibungslos.

Sam repräsentierte die Somer und ganz Estartu in der Milchstraße. Es war sehr ruhig um die zwölf Galaxien geworden. Nach dem Zusammenbruch der Upanishad-Diktatur und dem Versagen der Enerpsi-Energie hatten die Völker der Galaxien lange Zeit Krieg gegeneinander geführt. Letztendlich hatten sie sich wieder geeinigt. Unter der Führung der Somer, Ophaler, Elfahder und Pterus war die estartische Föderation entstanden. Zentrum der Föderation bildete die Galaxis Siom-Som. Die Hauptwelt der Somer, Som, war zugleich auch der Sitz der Regierung, einem Großen Rat, bestehend aus allen Völkern der Galaxien.

Doch nicht alle Estartuvölker schlossen sich der Föderation an. Neben Siom-Som traten die Völker aus Erendyra, Absantha-Schad und Absantha-Gom sowie Trovenoor bei. Die anderen Galaxien suchten einen Weg ohne ESTARTU oder hatten sich bis heute nicht von dem Zusammenbruch erholt. Sam wollte auch gerade deswegen eine Annäherung an die Milchstraße erreichen. Er hoffte, dass die Galaktiker beim Aufbau der anderen sieben Galaxien behilflich sein würden.

Er musste jedoch schnell feststellen, dass die Völker der Milchstraße zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. So war der Somer zuerst unbewusst in die Rolle des Diplomaten und Friedensstifters geschlüpft, der dann seine Berufung darin sah, überall Konflikte zu lösen.

Der 1,20 Meter kleine Somer schaute sich im gewaltigen Foyer um und musterte das holografische Abbild des Solsystems über ihm.

»Ein beeindruckendes Sternenschiff!«, stellte er fest. »Viele Kunstschätze und kulturelle Höhepunkte sind hier ausgestellt und alle Galaktiker an Bord können sie bewundern. Ich danke Ihnen Mister Gaton, dass Sie so etwas Wundervolles erbaut haben!«

Der Hansesprecher grinste. »Aber, aber ... das war doch selbstverständlich. Ich wollte etwas für die Galaxis tun und dieses Raumschiff soll für alle Galaktiker da sein. Für jedermann. Das beste und größte Kreuzfahrtschiff in der Lokalen Gruppe und die Kosmische Hanse hat es möglich gemacht.«

Sam gurrte sanft. Holling konnte sich nur mühsam einen Kommentar zu Gatons Rede verkneifen. Nicht die Völkerverständigung war Gaton wichtig, sondern der Galax und die Kurse an der Börse.

»Ich begleite Sie natürlich persönlich zur Kabine«, sagte Gaton anbiedernd und ging mit Sam los.

Nordment räusperte sich.

»Was?«, wollte der Hansesprecher ungehalten wissen.

»Die Kabine liegt auf der anderen Seite. Folgt doch besser dem Droiden«, meinte der erste Offizier und dirigierte einen der kleinen runden Roboter in die Richtung der Kabine.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, folgte Gaton zusammen mit Mok dem Servoroboter.

»Der verirrt sich noch in seinem eigenen Schiff«, scherzte Holling.

Hinter sich hörte er ein Räuspern. Eine trostlos wirkende terranische Gestalt stand vor ihm und blickte ihn fragend an.

»Ja, bitte?«

»Entschuldigung. Ich bin Ulryk Wakkner von der Galaxiskasse, der größten galaktischen Bank in der Galaxis!«

»Aha«, machte der Kommandant.

Im Inneren seufzte er. Ein Banker. Wieder ein arroganter Schnösel, der sich für absolut wichtig hielt.

»Ja, nicht. Schön hier. Ich bin Syntronik Kontrolleur. Ich überprüfe die Tagesabläufe der Bankenrechner und Mitarbeitereingaben auf Fehler. Spannende Sache. Letztens, da hatte ich …«

Holling räusperte sich genervt.

»Wie kann ich dir helfen?«

Er musste sich korrigieren. Dieser Wakkner war kein arroganter Schnösel, eher die Langeweile in Person mit einem Hang zur Geschwätzigkeit.

»Ich finde mich hier nicht zurecht«, wisperte der Banker schließlich.

Er war wirklich eine traurige Gestalt. Wakkner hatte eine Schimpansen ähnliche Kopfform und eine hohe Stirn. Seine Haut war ziemlich blass und von Pickeln übersät.

Holling rief einen der Roboter.

»Gib dem Roboter deine Zimmernummer oder den Namen, dann führt er dich direkt dorthin«, erklärte der Kommandant der LONDON freundlich.

»Hmm ... danke«, machte Wakkner. »Nett hier. Wir haben in unserer Filiale nicht so eine schöne Halle. Ich habe die Reise beim Preisausschreiben gewonnen. Ich gewinne sonst nie. Aber etwas kalt hier, oder?«

»Der Roboter wartet«, erwiderte Holling genervt.

»Ach so ja. Dann noch Guten … ihr wisst schon.« Wakkner lachte. »Tag noch!« Dann folgte er dem Roboter.

Wyll verdrehte die Augen. Holling wusste nicht, wie sich dieser Kerl zum Gateway für die VIPs verirrt hatte. Er war nur froh, dass diese komische Person jetzt weg war.

Holling und sein Erster Offizier begrüßten noch weitere Honoratioren. Darunter der Botschafter des Forum Raglunds. Terek-Orn repräsentierte die Topsider. Zuletzt folgte der reiche Springerpatrich Koliput.

»Ich glaube, das wären laut Hanseliste alle wichtigen Gäste«, vermutete Holling und warf einen prüfenden Blick auf das Display.

»Gehen wir zurück auf die Brücke, Kapitän?«, wollte Wyll wissen.

»Genau dorthin, denn da fühle ich mich immer noch am wohlsten! Erster Offizier, wir haben jetzt die Pflicht, das Schiff zu steuern!«

Beide verließen die Sternenhalle über den Personentransmitter, der sie in den Transmitterraum neben der Kommandozentrale brachte.

 

6. Seltsame Passagiere

Die Schiffsmanagerin Terna Ambyl übernahm die Begrüßung der Gäste. Ihr zur Seite standen zwanzig weitere Stewards und Stewardessen der LONDON.

Eine junge Terranerin trat ihr entgegen. Sie war etwa 1,70 Meter groß, schlank und wohlproportioniert. Sie hatte schulterlanges blondes Haar, blaue Augen und eine glatte, weiche Haut. Sie trug eine Kombination aus einer schwarzen Jeans-Hose und Jacke. Terna fand die Terranerin sehr attraktiv.

»Hallo, mein Name ist Shel Norkat«, stellte sie sich freundlich vor.

»Herzlich willkommen an Bord, Shel!«

Shel guckte etwas verlegen, als sie fragte: »Das Schiff ist ziemlich groß, könntest du mir vielleicht sagen, wo sich Deck C-08, Kabine 6-III-789 befindet?«

»Aber natürlich. Folge einfach diesem Serviceroboter. Er bringt dich an dein Ziel und trägt sogar dein Gepäck. Ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt an Bord der LONDON!«

»Vielen Dank. Ich habe lange dafür gespart.«

Sie bemerkte den Droiden, der ihre Taschen anhob. »Oh, ich werde der kleinen Kugel dann mal folgen«, meinte sie lächelnd und stieg mit dem Droiden in einen Antigravschacht.

Kaum war Shel gegangen, tauchte eine Gruppe von etwa zwanzig Leuten auf – die Mehrzahl waren Terraner. Es gehörten aber auch zwei Hasproner, ein Ertruser, ein Topsider und ein Volater dazu.

Eine Touristengruppe, schoss es Terna durch den Kopf. Sie atmete tief durch. Solche Gruppen waren immer besonders anstrengend.

Einer der Leute schritt auf die Schiffsmanagerin zu. Er war vielleicht etwa hundert Jahre alt und kahlköpfig. Neben seiner Glatze waren sein braunes Gewand, die dunkle Sonnenbrille und die immens große Goldkette sehr auffällig an ihm. Eine ruhige Ausstrahlung ging von diesem Menschen aus.

Er wurde von dem Topsider, dem Volater und einem Ertruser begleitet.

»Guten Tag, mein kosmisches Kind. Ich bin Vater Dannos und das hier sind meine Jünger.«

Er zeigte auf die anderen aus der Gruppe. Terna begrüßte ihn freundlich und ließ sich ihre intuitive Abneigung nicht anmerken.

»Wir sind die kosmischen Brüder und Schwestern der Materiequelle«, fuhr Dannos mit erheiterter Miene fort.

Terna lächelte schwach. Sie wusste zuerst nicht, ob es sich um einen Scherz handelte. Schließlich fasste sie sich wieder und suchte auf der Liste nach der Kabinenaufteilung.

»Sie sind mit zwanzig Leuten hier«, stellte sie fest. »Zwei Paare sind darunter, also achtzehn Kabinen, richtig?«

»Korrekt, meine kosmische Tochter! Darf ich dir meine wichtigsten Mitglieder vorstellen? Dies hier sind Martha Wobbisch, Hulga Imoll sowie Brunde Galfesch.«

Er zeigte auf drei ältere, wohlgenährte terranische Frauen. Diese grüßten die Managerin freundlich und folgten dem Roboter. Mit einer gewissen Unbehaglichkeit starrte Terna die drei Wesen um Dannos an, die offenbar seine eigene Eskorte darstellten.

»Oh, das sind meine persönlichen Sekretäre. Die Brüder U-ululu-U, Cech-Nor und Toss.«

Dannos zeigte dabei vom insektoiden Volater mit der grün-braunen Farbe über den Topsider zum Ertruser.

Eines der Paare schritt auf Terna zu. Der Mann war von gedrungener Statue, die Frau zierlich und labil wirkend.

»Ich bin Tett Chowfor, das ist meine Frau Stellara.«

Der Mann ergriff die Hand der Managerin und küsste diese. Terna zog sie instinktiv wieder zurück.

»Nun hör mal, Kleines, ich wollte bloß nett zu dir sein. Außerdem bin ich hier Passagier. Also sei ruhig freundlicher, ansonsten beschwere ich mich!«

Nun ergriff auch seine Frau das Wort: »Liebling, lass doch die arme Frau in Ruhe!«

»Halt die Klappe. Hier, nimm den Vurguzz und sei still!«

Er drückte ihr eine Flasche des grünen Getränks in die Hand. Bevor sie etwas entgegnen konnte, mischte sich Vater Dannos ein.

»Meine Kinder, benehmt euch!« Er machte eine kurze Pause und sprach daraufhin bedacht: »Ihr seid sicher müde. Folgt doch dem Roboter und begebt euch in eure Kabinen.«

Die beiden folgten den Anweisungen des Gurus. Zwar war die Unverschämtheit von Tett Chowfor nicht mehr zu überbieten, doch auch das zweite Ehepaar wirkte wenig freundlich. Die an Faunen erinnernde Hasproner hießen Herban und Hiretta Livilan Arkyl.

»Es ist so trocken hier. In unseren Kabinen ist es doch feucht, ist es doch, oder habt ihr nicht an uns arme Hasproner gedacht, hm?«, fragte der zottelige Herban Livilan Arkyl, ohne es wohl wirklich böse zu meinen. Die Sprachweise der Hasproner wirkte nörgelnd.

»Selbstverständlich haben wir die Luftfeuchtigkeit in eurer Kabine erhöht und einen kleinen Pool installiert«, beruhigte Terna.

»Schön, schön! Ich brauche einen klaren Kopf und muss arbeiten. Nimm es nicht als Kompliment, aber danke danke, Terranerin«, fuhr das nur knapp 1,40 Meter kleine Geschöpf fort und zuckte mit der vierlöchrigen Nase.

»Gehe in kosmischer Harmonie«, verabschiedete sich Dannos von der Raumschiffmanagerin. Der Rest der Gruppe folgte ihrem Guru.

Terna war froh, dass diese Bande auf dem Weg zu ihren Kabinen war. In dem Moment ertönte das Signal zum Start der LONDON.

»Halt, halt ... ich will noch mit!«, hörte Terna eine männliche Stimme rufen.

Ein 1,85 Meter großer, schlanker Terraner mit blondem Haar rannte die Gangway hinab und gelangte in das Foyer. Keuchend blieb er vor der Managerin stehen, die die Arme verschränkte und ihn tadelnd musterte.

»Da hast du aber noch einmal Glück gehabt.«

Der Terraner nickte. »Ja, denke ich auch«, sagte er, immer noch schwer atmend. »Mein Name ist Refrald Bollk. Ich bin Journalist der Terrania Post und habe die Absicht den Somer Sam zu interviewen.«

»Aha«, machte Terna.

Sie fragte sich, wieso sich jeder hier so ausführlich bei ihr vorstellen musste? Nun holte sie einen weiteren Roboter. »Folge einfach dem Droiden. Er bringt dich zu deiner Kabine. Guten Flug.«

*

Perry Rhodan bedankte sich als Refrald Bollk und ging hinter dem Roboter her.

Er schmunzelte unauffällig. Das war ja doch recht einfach, dachte er und betrat den transparenten Antigravschacht. Von hier aus konnte man zumindest über die Hauptdecks das gesamte Foyer betrachten. Den Konstrukteuren der LONDON war ein Bravourstück gelungen.

Der Roboter führte ihn entlang der Empore zu Deck 21. Rhodan schritt an einem Xisrapen vorbei. Das amöbenartige Wesen erklärte einem Servoroboter, dass es doch einige Änderungen in seiner Kabine wünschte, da sie nicht für Xisrapen ausgelegt sei. Der Servo versprach verständnisvoll die umgehende Änderung. In scheinbarer Zufriedenheit schaukelten die Pseudopodien von links nach rechts.

Rhodan wurde in einen breiten Korridor geführt. Es dauerte eine Weile, dann waren sie endlich am Ziel.

»Hier ist die Kabine, Sir«, gab der Droide monoton von sich.

Seine Kabine war sehr komfortabel ausgestattet. Sie bot alles, was man sich wünschen konnte.

Die Mischung aus Retro-Look und moderner Architektur des 13. Jahrhunderts NGZ gestaltete Rhodans Quartier in einer einzigen Art und Weise.

Rhodan ging durch den kleinen Flur mit den weißen, schimmernden Wänden und betrat sein Schlafzimmer.

Das kreisrunde Bett mit den geglätteten Kanten und dem schwarz glänzenden Rahmen schwebte etwa fünfzig Zentimeter über dem mit einem blauen, flauschigen Teppich belegten Fußboden. Der große Schrank aus braunem Holz mit den goldenen Griffen wirkte wie aus einem anderen, vergangenen Jahrtausend, während die Trivideoanlage ein fabrikneues Erzeugnis war.

Das Wohnzimmer wurde von einem großen Fenster bestimmt, von dem aus Rhodan die Erde sah und auf niedere Etagen, die unter der gewaltigen Glaskuppel lagen, hinab blicken konnte. Die LONDON wirkte wie eine kleine Stadt im Weltraum.

Auch dieses Zimmer bestand aus echten Möbeln. Rhodan fiel die Sitzecke aus schwarzem Leder auf, davor ein schwebender Glastisch. Die Schränke und Sideboards waren aus hellem Holz und mit goldenen Scharnieren und Griffen beschlagen.

Perry beschloss, seine Koffer vorerst nicht auszupacken. Er entschied auf »das Deck« zu gehen und sich die »Promenade« genauer ansehen.

Durch die gläserne Kuppel hatte man den Eindruck als würde man mit einem terranischen Luxusliner Boot quer durch die Sterne fliegen.

Rhodan warf einen Blick auf Terra. Da war er endlich mal wieder in der Nähe seiner Heimat, aber besuchen konnte er sie nicht. Doch irgendwann würde es wieder so weit sein. Da war er zuversichtlich. Ebenso, was die Reise der LONDON anging.

Langsam setzte sich die LONDON in Bewegung.

»Zu den Sternen, Terraner«, flüsterte Rhodan zu sich selbst und beobachtete, wie die Erde kleiner und kleiner wurde.

 

7. Der Start der LONDON

»Erster Offizier, bringen sie uns auf Kurs«, kam der Befehl von Holling.

»Gerne, Sir!«, entgegnete Wyll und gab die Befehle weiter. Wyll selbst lümmelte sich mit großer Vorfreude in den Navigator Sessel und aktivierte den zentralen Holoschirm, der von der Brückencrew scherzhaft als »Panoramagalerie« bezeichnet wurde und die sonst üblichen zentralen Holokuben ersetzte. Die Syntronik war für den Rest zuständig. Die torähnlichen Schleusen des Foyers wurden geschlossen und die Gangway abgekoppelt.

Die LONDON verließ den Erdorbit und nahm Kurs auf den interplanetaren Raum. Dieser war so gewählt, dass den Passagieren ein kurzer Ausblick auf Trokan gewährt wurde. Als das Schiff die Umlaufbahn des neuen vierten Planeten, der gegen den von der Abruse befallenen Mars ausgetauscht wurde, passierte, schaltete der Gravopulsantrieb des Metagravs auf volle Leistung.

»Sehr gut«, lobte Arno Gaton und applaudierte der Crew.

Holling machte ein vergrämtes Gesicht.

»Die LONDON wird jetzt zum ersten Mal in den Hyperraum gehen. Metagrav-Frequenzwandler aktivieren«, befahl er.

»Sind aktiviert«, meldete Rudocc.

Das Metagrav-Triebwerk wurde von Terranern und anderen Galaktikern seit 420 NGZ als Hauptantrieb benutzt.

Im Kontakt mit den Laren und den Wyngern hatte die terranische Technik gelernt, sich Energie durch Anzapfen energetisch übergeordneter Kontinua, also aus dem Hyperraum, zu beschaffen. Ungleich den Fahrzeugen der Laren oder Wyngern war jedoch ein mit Metagrav ausgerüstetes terranisches Raumschiff nicht dauernd damit beschäftigt, Energie aus dem Hyperraum abzusaugen, sondern tat dies nur in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen, etwa so, wie ein Gleiter Treibstoff tankte. Das Absaugen erfolgte mithilfe eines Aggregats, mit dem entropieärmere Kontinua energetisch angezapft werden konnten und das als Hypertrop bezeichnet wurde. Die abgesaugte Energie wurde für den späteren Gebrauch gespeichert.

Die LONDON war mit Dreien der größten Gravitraf-Speicher ausgestattet, die bisher von der Industrie der LFT gebaut wurden, und hatte somit eine riesige Speicherkapazität. Die Gravitraf-Speicher bewahrten die Energie aus dem Hyperraum so lange auf, bis diese von irgendwelchen Verbrauchern benötigt wurde.

Die beiden Hypertropzapfpole am Bug und Heck der LONDON wurden von Nordment aktiviert und sie begannen die Energie aus dem Hyperraum zu saugen und die Gravitraf-Speicher »vollzutanken«.

Um die LONDON herum entstand eine trichterförmige Leuchterscheinung, die für den Hypertrop typisch war. Es schimmerte blau-weiß um das Schiff herum.

Nachdem das Raumschiff aufgetankt war, gab Holling den Befehl die Grigoroff-Projektoren zu aktivieren und das Metagrav-Triebwerk zu starten. Die LONDON beschleunigte auf Überlichtgeschwindigkeit und tauchte in den Hyperraum ein.

Die Erde schrumpfte auf der Holodarstellung zu einem winzigen Punkt, bevor sie endgültig aus dem Blickwinkel verschwand und die Sterne eine längliche Form annahmen, bis auch sie nicht mehr zu sehen waren.

Der Jungfernflug der LONDON hatte begonnen.

 

8. Der Flug der LONDON

8. Oktober 1285 NGZ

Die LONDON schwebte majestätisch durch den Weltraum. Sie hatte gerade eine Hyperetappe hinter sich und erreichte Gatas. Zweihundert Jülziisch kamen noch an Bord der LONDON. Darunter auch ein hoher Politiker des Forums Raglund, der Apaser Türkalyl Öbbysun.

Der geplante Aufenthalt des Raumschiffes sollte nicht mehr als zwei Stunden dauern.

Perry Rhodan saß in seiner Kabine und kramte in einem seinem Koffer herum. Er holte eine recht schwere Kombination heraus – einen Serun, eine Spezialanfertigung der Cameloter. Der Serun war leichter konstruiert, verfügte nur über die Minimalanforderungen, war dafür aber handlicher und unauffälliger zu transportieren. Trotzdem wog das Ding einiges und Rhodan hatte ohne Antigrav seine Mühe. Eines der wichtigsten Utensilien war das Kommunikationsmodul.

Er aktivierte den Pikosyn und sprach: »Stelle mir eine Hyperverbindung zur FREYJA her!«

Der Pikosyn befolgte seine Anweisung. Er sendete ein codiertes Signal zum Camelot Büro auf Gatas, das dann eine Relaisschaltung zur FREYJA herstellte. Ein ungefähr fünf Zentimeter großes Hologramm des Arkoniden Atlan erschien auf dem Tisch, auf dem der Pikosyn ruhte.

»Na, Barbar. Amüsierst du dich auf der netten Luxusjacht?«

Der Unsterbliche lächelte und antwortete seinem alten Freund: »Bisher hatte ich noch keine Zeit dazu. Aber das hole ich sicher heute Abend nach.«

Atlan lachte.

»Hast du schon mit Sam Kontakt aufgenommen?«, fragte er anschließend.

»Nein, noch nicht. Ich werde aber heute Abend beim Essen mit ihm reden. Ich habe einen Platz am Kapitänstisch ergattert.«

Der Zellaktivatorträger machte eine kurze Pause, schaute grinsend auf den Boden und dann wieder Atlan an. »Das Kristallimperium wird auch am Tisch vertreten sein. Spector Orbanashol und sein Clan.«

Der Arkonide verdrehte die Augen.

»Blamiere uns nicht vor den Zdhopanthi. Im Ernst, dieser Spector ist ein furchtbarer Kerl. Arrogant und affektiert. Aber hüte dich auch vor Thorina. Die alte Schachtel ist gefährlich.«

Rhodan wusste, dass der Rat von Atlan ernst zu nehmen war. Er hatte Spector Orbanashol vor etwas mehr als zehn Jahren auf Mashratan kennengelernt. Auch der verstorbene erste Mann von Thorina, Glaus Mulltok war mit seiner Tochter Rosan dort gewesen.

Rhodan war gespannt darauf, wie sich Rosan entwickelt hatte. Ihm war klar, dass Thorina und Spector den armen Mulltok ermordet hatten, um die Macht über dessen Firma zu erlangen. Ihr Plan war aufgegangen und niemand kümmerte sich im Kristallimperium um die Wahrheit.

»Spectors Neffe Attakus ist in puncto Eitelkeit nach seinem Onkel geraten. Jedoch ist er nicht so ambitioniert. Außer Sportgleitern und Frauen interessiert ihn nicht viel. Zumindest ist das der offizielle Anschein. Aber auch Attakus ist sehr gerissen. Er würde über Leichen gehen, solange er einen eigenen Vorteil für sich daraus schlagen konnte.«

Rhodan packte seine Sachen aus und sortierte sie in die silbernen Schränke, während Atlan seinen Monolog über die Orbanashols hielt.

»Rosan kennst du ja bereits«, stellte der Arkonide fest.

»Kennen? Naja, ich habe sie vor zehn Jahren gesehen, als sie noch ein kleiner Pumuckel war.«

Rhodan hielt inne. Er dachte an Cauthon Despair. Damals war Cauthon das erste Mal auf Mashratan gewesen und zusammen mit Rosan von Unbekannten entführt worden. Gucky war es zu verdanken gewesen, dass die beiden Kinder gerettet wurden.

Doch nun war Cauthon schon seit fast drei Jahren tot. Rhodan plagten noch immer Gewissensbisse. Hätte er ihn damals nicht retten können? Und wer hatte diesen verdammten Feuerbefehl gegeben? Rhodan war unwohl bei dem Gedanken, dass sich ein Verräter in den Reihen von Camelot befand.

»Sie ist inzwischen zumindest eine wahre Augenweide«, warf Atlan ein.

Schwerenöter, dachte Rhodan.

»Hm ... armes Ding. Ich passe schon auf. Du kennst mich doch, Beuteterraner.«

»Eben«, konterte Atlan trocken.

Rhodan schaute auf seinen Chronometer. »Ich werde jetzt mal an Deck gehen und mir ein Bild von den Passagieren machen.«

»Gut, mach das. Ach ja ... Homer meint, wenn du eine Möglichkeit findest, Gaton und seine LONDON zu blamieren, dann solltest du das tun. Wäre gut für die TAXIT.«

Rhodan blickte Atlan vorwurfsvoll an. »Dafür muss Homer schon selbst sorgen. Eigentlich solltest du ihm klarmachen, dass wir nicht gegen die Hanse arbeiten. Ich melde mich morgen wieder.«

»Du hast ja recht. Ich werde es dem alten Knauser ausrichten. Famal Gosner, Perry!«

Atlan beendete die Verbindung. Das kleine Hologramm erlosch. Rhodan zog sich eine leichte Kombination an und begab sich auf das Deck.

*

Auf dem Deck unter der Glaskuppel bot sich ihm ein wunderbarer Blick auf Gatas, der Zentralwelt der Jülziisch. Die Wasserwelt mit ihren zwei Dutzend Kleinkontinenten war der Ursprung der Blues, die zu den wichtigsten Völkern in der Galaxis zählten. Rhodan bedauerte die Antipathie zwischen der LFT und den Jülziisch. Immerhin hatte es sich in den letzten sieben Jahren ein wenig gebessert.

Drei Raumfähren flogen zur LONDON und brachten die neuen Passagiere. Darunter waren Blues-Politiker, die als terranerfreundlich einzustufen waren, aber auch der apasische Botschafter des Forums Raglund, der wenig von der LFT hielt.

Rhodan musterte die Passagiere auf dem Deck. Er sah Akonen, Arkoniden, Terraner, Topsider, Jülziisch und viele andere Wesen.

Wie friedlich sie doch zusammenleben könnten, dachte er in sich hinein.

Er konnte die tief verwurzelte Verantwortung für jeden einzelnen Galaktiker einfach nicht ablegen. Tief im Inneren fühlte er sich jedem Einzelnen verpflichtet.

Wenn nicht ich, wer dann?

Kaum waren die Unsterblichen aus dem Geschehen der Milchstraße verschwunden, war es bergab gegangen. Raglund und das Kristallimperium hatten sich gebildet. Auch die LFT hatte sich ein halbes Jahrhundert lang von seiner dunklen Seite präsentiert.

Nationalismus und Militarismus hatten unter den Ersten Terranern Buddico und Eavan wieder an Macht gewonnen.

Unter Daschmagan herrschte eher eine endlose Bürokratie mit wirtschaftlicher Gier und allgemeine Korruption vor. Paola Daschmagan hatte zwar einen friedlicheren Kurs eingeschlagen, jedoch wusste Rhodan, dass sie im Ernstfall nicht den Problemen gewachsen wäre, die vielleicht noch auf die Menschheit warteten.

Es gab Momente, da bereute er es, dass er nicht damals für das Amt des Ersten Terraners kandidiert hatte, nachdem Julian Tifflor abgetreten war. Vielleicht hätte es der Menschheit besser gedient, warf er sich vor.

Er stützte seine Arme am Geländer ab und verschränkte sie. Die Orbit-Shuttles luden die neuen Passagiere ab und flogen wieder zurück. Die LONDON würde wohl in den nächsten Minuten wieder in den Hyperraum gehen.

Rhodan sah sich auf dem Schiff um. Auf den »A-Decks« tummelten sich die wohlhabenden Passagiere. Die Leute, die glaubten mehr wert zu sein, als die normalen Galaktiker. Rhodan war innerlich sehr frustriert, dass solche Eigenschaften wieder Oberhand gewonnen hatten. Zur Gründungszeit der Kosmischen Hanse hatte er es geschafft, solche Vorurteile abzubauen und sogar beinahe auszumerzen. Doch nichts schien von Dauer zu sein.

Die Klassentrennung wurde durch die hohen Preise perfektioniert. Es war nachvollziehbar, dass jemand, der mehr zahlte, auch eine größere Kabine bekam. Dass es jedoch eine Etikette an Bord gab, die die Passagiere voneinander absichtlich trennte, empfand Rhodan als bedauerlich.

Es wurde peinlich genau darauf geachtet, dass die Passagiere der Ersten Klasse nicht von Gästen anderer Klassen »gestört« wurden. Über Geheimdienstberichte hatte Rhodan erfahren, dass sogar eine Rassentrennung aufgrund der innergalaktischen Anspannungen geplant gewesen war. Diese Wahnsinnsidee war jedoch wieder fallen gelassen worden. Die Galaktiker würden sich schon nicht die Köpfe einschlagen, dessen war sich Rhodan sicher.

Zwei Decks weiter unten sah er wieder etwas, was ihn erfreute. Ein terranisches spielte zusammen mit einem unithischen Kind. Sie spielten Verstecken. Es war für Rhodan ein drolliger Anblick, dem kleinen Elefantenwesen und dem Menschenkind dabei zuzusehen. Der Unither suchte sich die unmöglichsten Verstecke aus. Er versteckte sich unter der Tischdecke eines automatischen Servowagens. Doch der kleine Terranerjunge sah das noch rechtzeitig und stoppte etwas übermütig den Servo. Dann war er dran, sich zu verstecken.

Wenn es sich schon nicht für die dort oben lohnt, dann für die da unten, dachte Rhodan, als er dem Spiel der beiden Kinder zusah.

All die Mühe, die seine Freunde und er für die Menschheit und alle Zivilisationen in der Milchstraße aufgenommen hatten, war nicht sinnlos gewesen.

Rhodan durfte das Ergebnis nicht an den Arroganten messen, die sich immer wieder selbst ins Rampenlicht stellen. Solche Wesen, wie die zwei Kinder dort unten, daran sollten die Galaktiker gemessen werden.

Forum Raglund spielte zusammen mit der LFT – so könnte man es wohlwollend ausdrücken. Allein so ein Anblick gab Rhodan den Willen und die Kraft alles für sie zu tun.

Das war sein Schicksal.

Dafür waren Perry Rhodan und seine Gefährten auserkoren worden. Und er wollte auch kein anderes Leben!

*

Rhodan genoss es, am Geländer zu stehen und die Galaktiker zu beobachten. Er fühlte sich wieder etwas freier. Nicht so eingeengt, wie auf Phönix. Noch hatte ihn niemand erkannt und er hoffte, dass es dabei blieb.

Obwohl er eigentlich damit rechnete, dass er schon bald irgendjemanden auffallen würde.

Hinter ihm schritten vier Personen vorbei. Es waren die Orbanashols. Thorina, die ihren Arm in den von Spector einlegte, dann Attakus und Rosan.

Ihre Gefolgschaft wanderte ein paar gebührliche Schritte dahinter. Der Sekretär Hermon da Zhart und seine beiden Naats.

Rosan wirkte traurig auf Rhodan. Atlan hatte wohl recht. Sie hatte es als Halbterranerin sicher nicht sonderlich leicht bei einer so arroganten Familie. Es wunderte Rhodan sowieso, warum sie nicht von Spector verstoßen wurde. Aber vielleicht hatte er noch Pläne mit ihr oder es gab irgendwelche Klauseln in dem Testament von Mulltok.

Mit einem hatte Atlan ebenso recht. Rosan war eine Augenweide. Wären die Dinger anders gelaufen, hätte sie vielleicht Cauthon Despair besser kennengelernt und er hätte in ihr seine große Liebe finden können.

Rhodan überkam wieder dieses traurige Gefühl, dass er für Cauthons Unglück verantwortlich war. Vielleicht auch für Rosans? Hätte er damals auf Mashratan nicht Glaus Mulltok in dessen Vorhaben, mit Camelot eine Handelsbeziehung einzugehen, bestärkt, wäre er vielleicht noch am Leben.

Wer vermochte darüber zu urteilen? War es besser, die Gewalttätigen regieren zu lassen, um Verluste zu vermeiden?

Das war eine der Schattenseiten im Leben der Unsterblichen. Die Gewissensbisse, die vergebenen Chancen, darüber nachzudenken, was man hätte anders tun können. Die Gesichter, die einen stumm und klagend anstarrten, weil sie für die eigene Sache gestorben waren. Dass man sich zwangsläufig immer die Frage stellte, hätte man nicht anders handeln können, um diese Opfer zu vermeiden?

Rosan musterte die Orbanashols. Die plagten sich bestimmt nicht mit solchen Gedanken.

Die faltige Thorina blickte in Rhodans Richtung und blieb stehen. Aus ihren roten Augen starrte sie ihn an. Rhodan spielte den Verwunderten und sah sich nach links und rechts um, als glaubte er, sie würde einen anderen beobachten.

»Ad Astra«, sagte er verlegen.

Somit hatte er die Aufmerksamkeit der Orbanasholfamilie.

»Ich bin Refrald Bollk, Reporter der Terrania Post«, erklärte Rhodan gemäß seiner Schein-identität.

Rhodan vermutete, dass Thorina ihn erkannt hatte.

»Ich bin hier, um den Somer Sam zu interviewen. Aber ich würde auch gerne mal mit euch und eurer Familie sprechen, wenn ihr nichts dagegen hättet.«

Spector musterte ihn in offenkundiger Erstauntheit und gab etwas von sich, was wie »Essoya« klang und ging mit seiner Familie weiter.

Rosan lächelte Rhodan jedoch an und blieb stehen. Sie erinnerte ihn an Thora und Mory. Die roten Augen, das rote Haar. Ja, wie eine Mischung aus seinen beiden ersten Ehefrauen.

»Weißt du, was Essoya bedeutet?«, fragte sie ihn.

Rhodan musste lachen und nickte. Natürlich wusste er das. Er kannte die arkonidische Sprache seit Jahrtausenden. Ihm war durchaus bewusst, dass Spector ihn als Stinkwurzel bezeichnet hatte.

Rosan grinste verlegen und entschuldigte sich bei Perry Rhodan für die Beschimpfung. Rhodan nahm die Entschuldigung an.

»Ich kenne leider die Terrania Post nicht. Auf Arkon gibt es das wohl nicht. Könnte ich vielleicht mal eine Ausgabe lesen?«, fragte sie dann.

Rhodan nickte.

»Aber gerne, arkonidisch-terranische Prinzessin. Vielleicht eine Ausgabe vom Juni 1275 NGZ? Da habe ich über Mashratan geschrieben«, flüsterte Perry und zwinkerte. Rosan erstarrte kurz. Ihre Augen weiteten sich. Sie begriff offenbar sehr schnell, dass sie Perry Rhodan vor sich hatte.

Thorina rief hinter ihrer Tochter her.

Ratlos starrte Rosan ihrer Mutter hinterher.

»Ähm, tut mir Leid, meine Mutter ruft mich. Ich … Famal Gosner, Pe … Reporter!«

Offenbar noch ziemlich überrascht stürzte Rosan los und rempelte dabei Wyll Nordment an. Der schien darüber sogar erfreut zu sein.

»He, warum bist du so in Eile?«, wollte der smarte Erste Offizier der LONDON wissen. Rhodan lehnte sich an das Geländer und beobachtete die Szene.

»Ich muss zu meiner Familie. Ich habe leider keine Zeit. Außerdem solltest du um Entschuldigung bitten, da du mich angerempelt hast. Ich dachte, ihr Terraner habt noch so etwas wie Anstand?«

Rhodan war amüsiert. Die arkonidische Arroganz beherrschte die junge Dame doch recht gut.

Wyll musste ebenso lachen.

»Was fällt dir ein, mich auszulachen?«

Rosan war offenbar erbost über das Benehmen des Ersten Offiziers. Oder sie spielte die beleidigte Adelige.

Wyll Nordment hob beschwichtigend die Hände.

»Keineswegs lache ich dich aus. Aber du hattest mich angerempelt, also müsstest du dich entschuldigen.«

Rosan war augenscheinlich peinlich berührt. Sie wusste sicherlich, dass Nordment im Recht war. Aber eine Arkonidin konnte sich nicht bei einem Nichtarkoniden entschuldigen. So eine demütigende Blöße durfte sich keine Arkonidin geben. Schon gar keine Orbanashol!

Rosans Mutter würde sicherlich einen Anfall bekommen, wenn Rosan sich entschuldigte.

»Wie dem auch sei, wir vergessen am besten den Vorfall«, sagte sie schließlich.

»Gut, aber wir sehen uns heute Abend!«

»Tun wir das?«, entgegnete sie irritiert.

»Ja, und zwar beim Essen. Die Orbanashols sitzen am Kapitänstisch und dort werde ich auch sitzen.«

»Ach so. Wie schön ... dann bis zum Abendessen«, verabschiedete sie sich knapp und folgte ihrer Mutter, die schon ungeduldig wartete.

Als Nordment an Rhodan vorbei ging, grüßte er ihn knapp aber höflich.

Ein interessantes Pärchen. Vielleicht gab es für Rosan doch noch Hoffnung.

In dem Moment spürte Rhodan einen Ruck durch das Raumschiff gehen und die Sterne verschwanden.

Die LONDON begab sich in den Metagravflug in Richtung Magellan.

 

9. Gefangen im Kristallkäfig

Rosan begab sich in ihr Zimmer und wollte etwas schlafen, bevor sie zum Abendessen ging.

Sie zog sich nicht um, sondern legte sich in ihrem Kleid auf das weiche Bett. Hinter dem Kopfkissen holte sie ein Plüschwesen hervor. Ihr Vater hatte es ihr zum vierten Geburtstag geschenkt. Es war eine Erinnerung an ihren geliebten Vater.

Attakus mochte das Plüschwesen nicht. Es war eine Stoffabbildung von Gucky, dem Mausbiber. Attakus empfand die Puppe als widerlich und unpassend, da Gucky in seinen Augen ein Verbrecher war.

Für Rosan hatte diese Puppe jedoch eine besondere Bedeutung. Nicht nur, weil sie ein Geschenk ihres Vaters war. Sie hatte Gucky vor zehn Jahren selbst getroffen und war von ihm auf Mashratan gerettet worden. Gucky war ihr Held. Genauso wie der Junge namens Cauthon Despair. Sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Erst viel später hatte sie erfahren, dass ihre Mutter ein Programm in ihrer Syntronik installiert hatte, der sämtliche Nachrichten von und an Cauthon automatisch gelöscht hatte. Sie wusste nicht, was aus Cauthon geworden war. Doch es gab jemand, der diese Frage beantworten konnte.

Und diese Person befand sich an Bord. Rosan war noch völlig perplex. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dieser komische Reporter war Perry Rhodan. Was suchte er hier?

Rosan kuschelte sich an den Plüschgucky. Vielleicht tat ein Nickerchen jetzt gut. Es war ihr egal, ob ihr teurer Fummel dabei zerknautscht wurde. Mehr als dreimal durfte sie als Orbanashol sowieso kein Kleid tragen, dann war sie dazu verpflichtet, das Alte wegzuwerfen. Eine Orbanashol durfte nicht so wirken, als können sie sich keine neuen Kleider leisten.

Rosan kam jedoch nicht dazu einzuschlafen, da Attakus den Raum betrat. Der hatte ihr noch gefehlt. Sie konnte ihren arroganten Stiefcousin nicht leiden, musste aber mit ihm auskommen. Rosan hatte Respekt vor ihm und besonders vor Spector. Sie fürchtete ihren Stiefvater und wusste, dass auch Attakus nur dem Anschein nach ein Gentleman war.

»Was willst du?«, erkundigte sie sich barsch.

»Ich möchte dir nur Gesellschaft leisten.«

Attakus hielt ein Glas arkonidischen Wein in der Hand. Er setzte sich zu ihr aufs Bett.

»Du hast ja immer noch dieses widerliche Vieh«, stellte er unzufrieden fest.

Rosan hielt wie ein trotziges Kleinkind den Gucky fest.

Attakus lachte sie aus.

»Kleines Dummchen, aber wenn du ihn unbedingt behalten willst«, spottete er gönnerhaft.

Dann wurde er schlagartig wieder ernst.

»Wer war der Kerl, mit dem du dich vorhin unterhalten hast?«

»Der Erste Offizier. Ich hatte ihn aus Versehen angerempelt. Wir haben nur eine belanglose Konversation geführt.«

»Also gut. Aber tue mir bitte den Gefallen und rede nicht mit jedem Pöbel.«

Rosan verdrehte die Augen.

»Ich bin müde, Attakus. Ich möchte schlafen.«

Der Arkonide grinste. »Dann schlaf schön, mein Kristallienchen!«

Er fuhr ihr mit seiner Hand über ihren Arm.

Sie hasste es, wenn er sie »Kristallienchen« nannte.

Seine Annäherungsversuche fand sie jedoch noch viel widerlicher. Doch sie konnte sich nicht mehr lange dagegen wehren. Irgendwann musste sie ihn vielleicht heiraten. Schon seit ihrer Kindheit war der Neffe von Spector Orbanashol hinter ihr her.

»Bis zum Abendessen«, zischte Rosan kühl und zog die weiche Satinbettdecke bis an ihr Kinn.

Attakus gab ihr zum Abschied noch einen feuchten Kuss auf die Stirn. Sie versuchte, das Gesicht nicht merklich zu verziehen. Dann ging er endlich aus ihrem Quartier. Sie hörte noch, wie er eine Bedienstete anschrie, weil sie seine Schuhe noch nicht geputzt hatte.

Rosan hasste Attakus. Auch wenn er zu ihr gönnerhaft und freundlich war, wusste sie, dass er im Grunde genommen ein Schwein war. Sie wünschte, ihr Vater würde noch leben. Dann hätte alles anders ausgesehen.

Rosan kam mehr nach ihrem Vater, der sie immer sehr gut behandelt hatte. Doch gerade diese Einstellung erschwerte ihr das Leben. Alles hatte sich nach dem Tod ihres Vaters vor fast genau zehn Jahren verändert. Ihre Mutter war strenger und herrischer geworden. Die Idylle war vorbei gewesen. Als Thorina dann einige Monate später Spector geheiratet hatte, war es von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Rosan hatte sich durch die arkonidische Adelsschule quälen müssen und die meiste Zeit ihrer Kindheit mit steifen Arkoniden verbracht.

Sie war in der Schule darauf vorbereitet worden, zu jederzeit eine unnahbare, würdevolle arkonidische Adlige darzustellen. Sie hatte die Etikette bis ins Detail auswendig zu lernen.

Ihr war auf der Schule immer wieder die Überlegenheit der arkonidischen Rasse eingetrichtert worden. Dabei war sie nur zur Hälfte Arkonidin, da ihr Vater Terraner gewesen war. Und auch das hatte sie vor Probleme gestellt.

Sie war stiefmütterlich behandelt und aufgrund ihrer terranischen Merkmale als Außenseiterin dargestellt worden. Zwar wehrte sich Rosan permanent gegen die sterile und arrogante Welt der arkonidischen Aristokratie. Jedoch ohne Erfolg.

Sie war eine stille Rebellin. Es waren kleine Regelverstöße, die sie sich leisten konnte. Sie wusste, dass es ihre Mutter und ihren Stiefvater ärgerte.

Und dann hegte Attakus große Gefühle für Rosan. Doch auch er verstand sie nicht. Für ihn war Rosan doch nur eine Trophäe.

Mit ihm verband sie rein gar nichts, bis auf den Namen. Sie hatten eine völlig unterschiedliche Mentalität.

Das machte Rosan so schrecklich einsam. Sie hatte niemanden im Leben, dem sie sich anvertrauen konnte. Bis auf den leblosen Plüschgucky, an den sie sich kuschelte, bis ihr die Augen zufielen und sie einschlief.

 

10. Das Dinner

Perry Rhodan hatte sich kurz in seiner Kabine hingelegt, um ein Nickerchen zu machen. Das Chronometer weckte ihn um 18:00 Uhr. Der Syntron seiner Kabine informierte Perry, dass das Abendessen in einer Stunde stattfinden würde.

Er zog sich eine elegante Kombination an, die einer Uniform glich und ging über das Foyer in der Sternenhalle in den großen Hauptspeisesaal. Eine breite Treppe führte hinab zu den Tischen der wichtigen Gäste. Offenbar war er einer davon, obwohl es ihm auch nichts ausgemacht hätte, eine gute alte Currywurst an einem Bistrotisch zu verspachteln.

Rhodan wurde zu Mozarts Kleiner Nachtmusik im Hintergrund von vornehmen Servierdamen begrüßt. Er ging in den Speisesaal hinein und sah sich um.

Die meisten, die hier saßen, waren reiche Bankiers, Hanseaktionäre, Adelige, Schauspieler oder Unternehmer. Die »gemeine Masse« speiste in den anderen Restaurants.

Rhodan war über diese Trennung nicht erfreut. Wieder zeigte es ihm, wie tief die Galaktiker seit der Monos-Tyrannei gesunken waren. Und ihm kam es so vor, als hatte Monos so etwas beabsichtigt. Die Folgen seiner Diktatur waren noch heute zu spüren. Monos warf noch lange nach seinem Tod einen dunklen Schatten über die Galaxis.

Einer der betont vornehm spielenden Stewards geleitete ihn zu dem Tisch. Dort saßen bereits James Holling und sein Erster Offizier Wyll Nordment. Beide standen zur Begrüßung auf und schüttelten Rhodans Hand im Glauben, er wäre ein Reporter der Terrania Post. Rhodan war erstaunt, dass ihn niemand erkannte. Nur Rosan Orbanashol hatte ihn vermutlich identifiziert. Auf der anderen Seite war Rhodan seit gut sechs Jahrzehnten nicht mehr offiziell in Erscheinung getreten. Ein wenig kratzte es an seinem Stolz, dass sein Gesicht so schnell vergessen wurde.

Obgleich auch Kapitän Holling den Eindruck machte, er wüsste, dass er in Wirklichkeit Rhodan war. Er kniff die Augen zusammen und sah ihm tief in die Augen, sagte jedoch nichts.

Der Raum war groß und glamourös ausgestattet. An der Decke hingen noch antiquierte Kronleuchter, die mit Howalgonium überzogen waren. Auf einem Podium stand eine zehn Mann Kapelle, die klassische Musik spielte. Inzwischen waren sie zu Brahms gewechselt. Sie waren auch sehr vornehm angezogen. Anscheinend gehörte das auch zur Pflicht des Personals. Alles wirkte hier so, als machten sie eine Reise in die Vergangenheit.

Rhodan musste unfreiwillig lachen, als er einen Jülziisch in einem terranischen Maßanzug sah. Es war ein recht komischer Anblick. Der arme Kerl fühlte sich bestimmt nicht wohl dabei.

Ein hagerer Mann mit kurzen Haaren und einem Bart ging auf den Tisch zu. Holling stellte ihn vor.

»Das ist Jakko Mathyl, ein angesehener terranischer Bankier.«

»Nabend«, sagte Rhodan knapp.

Der Mann sprach sehr hastig.

»Guten Abend, die Herrschaften.«

Er schüttelte jedem kurz die Hand und gab ein knappes Lächeln von sich. Er war höchstens vierzig Jahre alt, dachte Rhodan. Wohl ein junger aufstrebender Karrieremensch.

Die Kapelle spielte jetzt ein Stück von Johann Strauss. Rhodan genoss die schöne Musik und musterte die ganzen Leute am Tisch. Es wurden immer mehr.

Arno Gaton und seine Frau gesellten sich an die Tafel, genauso wie die Orbanashols. Sie wurden von den Naats und Hermon da Zhart begleitet. Zhart starrte Rhodan misstrauisch an. Woher kannte er den Mann nur? Jetzt fiel es ihm wieder ein. Der war ja auch auf Mashratan gewesen. Perry hatte nicht damit gerechnet, dass er so viele alte Bekannte wiedertraf. Hermon da Zhart delegierte die Naats aus dem Raum. Er selbst nahm an einem anderen Tisch Platz. Nordment erklärte, dass dieser speziell für Haushofmeister und persönliche Sekretäre arkonidischer Adeliger reserviert war.

Zhart warf wieder einen Blick auf Rhodan. Vermutlich erkannte er ihn. Rhodan erinnerte sich, dass da Zhart eine Ausbildung beim arkonidischen Geheimdienst absolviert hatte.

Irgendwann musste er sowieso die Maskerade aufgeben. Doch noch nicht jetzt. Er genoss die fragenden Gesichter.

Wyll Nordment begrüßte Rosan natürlich besonders euphorisch, was ihm finstere Blicke von Thorina und Spector Orbanashol bescherte.

Nordment hatte es offenbar so organisiert, dass Rosan genau neben ihm saß. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte.

Ein Patriarch der Mehandor namens Koliput setzte sich auch an die Tafel. Genauso wie der topsidische Botschafter Terek-Orn und der apasische Diplomat Türkalyl Öbbysun.

Zu guter Letzt erschien der Ehrengast Sruel Allok Mok. Sam begrüßte alle in der Runde sehr freundlich und diszipliniert.

Gaton stand auf und hob sein Glas.

»Auf die LONDON und diese Reise«, sprach er feierlich.

Die anderen hoben auch ihre Gläser und wiederholten seinen Trinkspruch.

Nun folgte die übliche Tischkonversation. Perry Rhodan fing sich böse Blick ein, als er ein Pils bestellte.

Spector murmelte etwas von »Typisch Terraner«.

Ansonsten benahm sich Rhodan eher unauffällig und lauschte der Konversation.

»Eine der wenigen Errungenschaften der Terraner ist ihre klassische Musik«, lobte Spector Orbanashol fast freundlich.

Die anderen stimmten ihm zu. Er nippte an seinem Weinglas und stellte es wieder hin.

»Natürlich liegt die Betonung auf Klassik. Dieses andere Barbarengeschrei ist eine Folter für die Ohren eines jeden Arkoniden«, fügte er in gewohnter Arroganz hinzu.

Der Mehandor lachte. »Deine Arkonidenmusik ist doch zum Einschlafen. Vielleicht ein Grund, warum ihr degeneriert seid.«

»Schweig still, elender Vasall. Ihr Springer habt doch nur uns zu verdanken, dass ihr wieder eine galaktische Größe darstellt. Ansonsten hätte die Kosmische Hanse euch schon lange geschluckt. Aber das Kristallimperium wacht schützend über euch!«

Das kann ja noch ein lustiger Abend werden, dachte Rhodan.

Sam mischte sich ein.

»Bitte, meine Herren. Wir sind hier, um uns zu amüsieren und nicht um uns in politische Konflikte zu stürzen.«

»Nun ja, man kann da zweierlei Ansicht sein«, warf Mathyl ein. »Die Börse der Springer ist zu unflexibel und sollte mehr an den TAX gekoppelt werden. Die Werte der Kosmischen Hanse hingegen laufen prächtig. Die Märkte sind zufrieden. Die Hanse hat die Krisen gemeistert.«

»Ganz recht«, stimmte Gaton zu. »Die Hanse ist seit über 1.000 Jahren das größte Unternehmen in der Milchstraße. Gerade in diesem Jahr haben wir viel Gewinn gemacht. Unsere Aktien und Fonds gehen am Markt ab. Wir surfen auf einer Hyperraumwelle.«

Gaton lachte schallend über seinen eigenen schlechten Witz. Er nahm einen kräftigen Schluck und fuhr mit seiner langweiligen Selbstbeweihräucherung fort: »Das ist auf unsere innere Struktur zurückzuführen. Wir haben eine gut durchdachte Organisationsplanung, eine hervorragende Personalpolitik, gute Finanziers und hervorragende Ideen und Produkte sowie ein prächtiges Qualitätsmanagement. Die LONDON ist das beste Beispiel dafür. Dieses Raumschiff wird in die Geschichte eingehen. Es wird wahrscheinlich länger bestehen als die BASIS.«

»Du vergisst die TAXIT«, warf Bollk alias Rhodan herausfordernd ein. »Dieses kleine Unternehmen von Homer G. Adams und den Camelotern macht dir und der Hanse doch arg zu schaffen. Ich kenne die Zahlen. So rosig sieht es mit der Kosmischen Hanse auch nicht mehr aus. Viele Geschäfte wurden euch von der TAXIT vor der Nase weggeschnappt.«

Gaton sah Rhodan/Bollk brüskiert an. Er griff nach seinem Glas und nahm einen weiteren kräftigen Schluck.

»Die TAXIT und ihre Anhänger sind Verbrecher!«, antwortete er gereizt.

Sam schüttelte sein Gefieder und gab ein dumpfes Krächzen von sich. »Zuletzt kooperierten doch terranische Unternehmen mit Gangstern.«

Gaton verzog das Gesicht und starrte Sam an, als wäre er ein Kosmokrat. Unbeeindruckt fuhr der Somer fort: »Die Unsterblichen sind Helden und keine Feinde der Galaxis. Nur der Undank der galaktischen Eliten hat sie verscheucht. Sie, Mister Gaton, wären ohne Perry Rhodan nicht Hansesprecher, denn ohne ihn würde es die Kosmische Hanse gar nicht geben.«

Rhodan gefiel Sams Argumentation natürlich prächtig. Genüsslich nahm er einen Schluck aus dem Bierglas und wartete auf Gatons Antwort. Die kam auch nach einer kurzen Phase der Irritation des Hansesprechers.

»Nun, das mag möglich sein«, beschwichtigte Gaton bedacht.

Er lachte falsch.

»Ich will ja gar nicht behaupten, dass die Unsterblichen früher nicht viel Gutes getan haben für die Menschheit, aber irgendwann läuft jedermanns Zeit ab. Und ich mag keine Leute, die länger leben, als es für sie und ihre Umwelt sinnvoll ist.«

Spector Orbanashol folgte sichtlich gelangweilt dieser Diskussion. Seine Frau musterte Rhodan sehr eindringlich, ebenso wie Sam. Rhodan fragte sich, ob die beiden seine wahre Identität kannten? Sie ergriff auch gleich das Wort.

»Dieser Rhodan und sein Spießgeselle Atlan sind Personen Non grata auf Arkon. Und wir sind stolz darauf. Aber man sollte aufpassen, diese Cameloter sind wie Kakerlaken, sie tauchen überall auf und sind genauso unerwünscht.«

Sie hielt ihren Blick genau auf Rhodan. Sam übernahm die Initiative.

»Herr Bollk, Sie wollten ein Interview mit mir führen?«

»Die Terrania Post wäre sehr daran interessiert, Ihre Meinung über die Organisation Camelot zu hören. Im gewissen Sinne wissen wir ja, dass Sie kein Feind der Cameloter sind, jedoch warum?«

»Weil ich weiß, dass Rhodan und seine Anhänger keine bösen, rücksichtslosen Wesen sind, sondern Heroen, die dazu auserkoren worden sind, der Galaxis beizustehen.«

Spector hustete echauffiert. Sicher hatte er gerade das nicht hören wollen.

»Hatten Sie schon Kontakt zu Perry Rhodan?«, forschte Rhodan/Bollk unverschämt nach.

Sam nickte.

»Das müssten Sie ja am besten wissen«, entgegnete er und bewies damit, dass er Rhodans Identität kannte.

Bevor Rhodan etwas entgegen bringen konnte, meinte Gaton: »Ahh ... das Essen!«

Die humanoide Bedienung, Rhodan hatte keinen einzigen Roboter im Speisesaal ausmachen können, servierte das gut aussehende und duftende Menü. Rhodan hatte sich ein Schnitzel Melbar Kasom mit plophosischen Bratkartoffeln und feinem zalitischen Gemüse bestellt.

Türkalyl Öbbysun freute sich lautstark über pochierte Darmzotten von Gluhechsen. Sein Tischnachbar Terek-Orn warf dem Apaser einen finsteren Blick zu. Doch der Jülziisch dachte sich nichts dabei. Rosan bekam einen großen Teller Spaghetti aufgetischt und erntete dafür ein Kopfschütteln von Thorina. Es entbrannte eine Diskussion zwischen Mutter und Tochter, dass Rosan ja darauf achten sollte, die Nudeln gemäß der arkonidischen Etikette zu verspachteln. Rosan gab sich sichtliche Mühe. Jedoch tropfte etwas von der Soße Bolognese auf ihren Schoß. Sie legte hastig die Serviette darüber und lächelte Rhodan verlegen an, der den Fauxpas als Einziger bemerkte.

Wyll hatte bisher wenig gesagt. Als die anderen in Gespräche vertieft waren, begann er sich mit Rosan zu unterhalten. Rhodan hörte mit einem Ohr hin.

»Schmeckt dir das Essen?«

Sie hatte den Mund voll und konnte so nicht antworten. Sie schmunzelte und nickte. Als sie den Happen herunter geschluckt hatte, bestätigte sie Wylls Frage auch verbal.

»Das freut mich«, gab Wyll etwas verlegen von sich.

»Wie lange bist du schon bei der Kosmischen Hanse?«, wollte die Halbarkonidin wissen.

»Noch nicht sehr lange«, antwortete er. »Erst seit fünf Jahren. Vorher habe ich in der ganzen Galaxis gejobbt. Holling war mein Mentor in der Akademie der Hanse. Ich habe alles von ihm gelernt und werde die LONDON auf ihrer zweiten Reise vermutlich kommandieren, wenn ich Glück habe.«

Sie sah ihn respektvoll an.

»Alle Achtung!«

Neben sich hörte Rosan ein Räuspern von ihrer Mutter.

»Fam, achte auf deine Aussprache! Eine Arkonidin drückt sich gewählter aus, als du dich in diesem Moment artikulierst!«

Rosan schaute verlegen auf den Boden und entschuldigte sich bei ihrer Mutter. Die Kapelle spielte einen Walzer. Wyll stand auf und bat Rosan um den Tanz.

Spector Orbanashol wäre beinahe sein Essen wieder hochgekommen, als er das hörte. Bevor er etwas sagen konnte, stand Attakus bereits auf.

»Das ist wohl ein Witz. Eine Orbanashol tanzt nicht mit einem Bras’cooi.«

Wyll setzte sich enttäuscht wieder hin, dann sah er Rosan an. »Ist das auch deine Meinung?«

»Meine Meinung ist auch ihre Meinung!«, zischte Attakus scharf.

Rhodan lehnte sich zurück und betrachtete die beiden Streithähne. Er bemerkte, wie sehr es die Orbanashols störte, dass Wyll offensichtlich ein Auge auf Rosan geworfen hatte.

»Hm ... eigentlich wären Wyll und Rosan ein ganz liebliches Paar«, provozierte Rhodan in Richtung der Zhdopanda.

Er wandte sich wieder Sam zu. »Was würden Sie machen, wenn Perry Rhodan Ihnen einen Posten auf Camelot offerieren würde? Als ein Berater, der Brücken zwischen Camelot und der Milchstraße schlägt.«

Sam dachte eine Weile nach, bevor er antwortete.

»Ich würde ihn wahrscheinlich annehmen, wenn er interessant wäre. Wenn ich damit für und nicht gegen die Galaktiker arbeite und mehr erreichen kann als jetzt, und mithelfen könnte, die Galaktiker in eine bessere Zukunft zu steuern, dann würde ich ohne zu zögern das Angebot annehmen.«

Rhodan trank sein Glas Bier leer.

»Und genau das ist es, was Camelot will.«

»Ich verstehe«, signalisierte der Somer.

*

Rosan wusste nicht wieso, aber sie spürte den Drang, mit Wyll Nordment zu tanzen. Dieser Terraner war ihr sympathisch. Außerdem hatte sie es satt, dass ihr alles verboten wurde, was irgendwie Spaß machte.

»Attakus, es ist doch nur ein Tanz. Möchtest du denn die terranische Schiffskommandantur beleidigen?«, fragte Rosan.

Er räusperte sich. »Natürlich nicht. Also bitte, dann tanze. Aber nur einen Tanz. Wir wollen es ja nicht übertreiben!«

Der junge Orbanashol grinste gequält. Ihr Plan hatte funktioniert. Manchmal war die strikte Einhaltung der selbst auferlegten Regeln auch zum Vorteil.

Sie stand auf und nahm Wylls Hand. Beide gingen auf die Tanzfläche und bewegten sich passend zum Rhythmus der Musik.

Sie bemerkte, dass Attakus eifersüchtig zu ihnen herüber starrte.

Wyll und Rosan tanzten nahe und doch hielt sie den gebotenen Abstand zu dem Terraner.

»Du tanzt sehr gut«, komplimentierte Wyll.

»Danke«, lächelte sie.

Dann wurde sie wieder ernst. »Bitte gehe mehr auf Distanz. Meine Eltern ...« Sie deutete mit dem Kopf auf die Orbanashols. »Sie sind nicht sonderlich erfreut darüber. Wir sollten jetzt besser wieder zum Tisch gehen.«

»Nur wenn wir uns morgen wiedersehen.«

Sie zögerte und wusste nicht, was sie antworten sollte. »Ich weiß nicht ...«

Wyll zuckte mit der Augenbraue.

»Dann tanzen wir eben weiter.«

Rosan wusste nicht, ob sie lächeln oder seufzen sollte. Sie tat beides. Wyll Nordment war offenbar ganz schön eingebildet. Glaubte er denn, er könne Rosan etwas diktieren, so wie es Attakus tat? Aber irgendwie war er anders. Er war sympathisch und wirkte ehrlich.

Wieso eigentlich nicht?

»Also gut, ich bin morgen auf dem A-Promenadendeck. Meine Familie ist in der Sportanlage im Turm A. Deshalb werde ich ausnahmsweise alleine dort sein. Wir können uns dann sehen. Aber ich weiß nicht, was du dir von diesem Treffen erhoffst.«

»Dich besser kennenzulernen.«

Er grinste schelmisch.

Rosan gefiel Wylls Lachen und seine blauen Augen. Sie räusperte sich und beendete den Tanz, bevor sie noch wüstere Gedanken hegte.

Beide gingen wieder zurück zu Tisch.

Spector sah sie scharf an. Die anderen interessierte das weniger. Gaton und Mathyl diskutierten über Aktienkurse, die Märkte und die »goldene« Zukunft der Hanse. Der Springerpatriarch leerte ein Glas nach dem anderen. Und auch der Blues Türkalyl Öbbysun wirkte ziemlich angeheitert, während er sein Milchglas trank. Auf Jülziisch hatte das eine beschwingende Wirkung. Holling redete mit den Gatons. Perry Rhodan, der sich noch immer als Journalist ausgab, und Sam beredeten etwas sehr leise.

Sie setzten sich wieder und Wyll schenkte ihr noch etwas Wein nach. Ihre Aufmerksamkeit wurde abrupt auf zwei andere Passagiere gelenkt.

Ein feister, rothaariger Terraner, der sich auffallend unpassend sportlich kleidete, versuchte eine blonde, dürre Frau zu beruhigen. Sie war betrunken und beschimpfte den Mann.

»Was sind das für welche?«, wollte Rosan wissen.

»Das sind irgendwelche Glaubensanhänger«, antwortete Wyll ihr. »Von einer Sekte oder Organisation namens Kinder der Materiequelle. Tett und Stellara Chowfor. Unsere Schiffsmanagerin hat schon einiges über die erzählt. Sie ist wohl ständig betrunken.«

»Skandalös so etwas!«, meinte Thorina voller Verachtung.

Sie sah Rosan an, um nach Bestätigung zu suchen. »Ja, Mutter. Du hast recht. Einfach skandalös.«

»Genau!«, quietschte Türkalyl Öbbysun und donnerte das Milchglas auf den Tisch. »Skandalös, dass ihr Menschen euch immer besaufen müsst! Mehr Milch, bitte!«

Ein glatzköpfiger Terraner, den Wyll als Vater Dannos vorstellte, ging auf die Chowfors zu und beruhigte sie wieder. Danach ging er zum Kapitänstisch.

»Gestatten, dass ich mich vorstelle. Ich bin Vater Dannos. Ich bin der Anführer unserer kleinen Gemeinde mit dem Namen Kinder der Materiequelle. Ich möchte mich persönlich für diesen peinlichen Auftritt bei euch allen entschuldigen.«

Sam akzeptierte die Entschuldigung als Erster. »Es war ja nicht Ihre Schuld, Vater. Jedoch sollten Sie versuchen das offensichtliche Problem, das diese Dame hat, zu lösen.«

Dannos verbeugte sich.

»Selbstverständlich. Wir werden sie wohl in ärztliche Behandlung geben müssen. Leider ist sie dem Alkohol zu sehr angetan. Doch das Universum liebt sie trotzdem, wie euch alle.«

Der Guru hatte eine ruhige aber auch bedrohliche Ausstrahlung. Er versuchte sich an einem Lächeln. Seine Augen verrieten jedoch das Gegenteil, sie zeigten einen unnatürlichen Fanatismus. Rosan war dieser Mann nicht geheuer.

Er setzte sich an den Tisch. Drei weitere Gestalten tauchten auf. Ein Ertruser, Topsider und Volater. Sie stellten sich hinter Dannos.

»Das sind Bruder Toss, Bruder Cech-Nor und U-ululu-U.«

Attakus stieß ein arrogantes Lachen aus.

»Was stellt ihre Sekte eigentlich dar? Wieder so ein lächerlicher fanatischer Haufen?«, fragte Attakus amüsiert.

Dannos musterte ihn streng. Dann schmunzelte er. »Mein Bruder ...«

Weiter kam er nicht, denn Attakus unterbrach ihn barsch.

»Ich bin nicht dein Bruder. Vergleiche niemals Arkoniden mit Terranern oder anderen Kreaturen aus der Milchstraße!«

»Mein Bruder«, fuhr Dannos unbeirrt fort. »Wir sind die Kinder der Materiequelle. Wir sind eine geistige Einheit und bestrebt, ein Kosmokrat zu werden.«

Attakus verdrehte die Augen. Rosan schämte sich für seine Ignoranz. Sicher, Dannos war wenig Vertrauen erweckend, aber Attakus sollte sich nicht über den Glauben anderer lustig machen. Aber Feinfühligkeit war ihm ja völlig fremd.

»Hatten die Terraner nicht schon einmal solche Schwachsinnigen? War das nicht dieser Erik Weidenburn? Der wollte auch mit seiner Gruppe eine Superintelligenz werden.«

Dannos verschränkte die Hände. »Nun, unsere Ziele sind andere als seine. Das kann ich durchaus versichern.«

Er blickte durch die Runde am Tisch. Sein Blick lag nun auf Rosan. Sie konnte ihm nicht lange in die Augen sehen, sie schaute statt dessen Hilfe suchend Wyll an. Dannos sah jetzt jedoch die anderen an und musterte sie mit einem aufgesetzten Grinsen.

Als er Rhodan ansah, machte er eine erstaunte Geste.

»Ich wusste nicht, dass wir so hohen Besuch haben.«

Rosan erschrak sich. Dannos schien offenbar zu ahnen, dass es sich um Perry Rhodan handelte.

Gaton fragte verblüfft: »Was meinst du? Der Mann ist doch bloß Reporter.«

»Ist er das?«, fragte Dannos herausfordernd.

Rhodan stand auf.

»Nein, bin ich nicht. Ich bin Perry Rhodan!«

*

Die Leute am Tisch waren auf einmal völlig still. Gaton saß mit weit offenem Mund an seinem Platz und brachte auch kein Wort heraus. Die Kapelle spielte noch weiter und nicht jeder hatte Rhodans Bekenntnis mitbekommen.

Mathyl sah Rhodan mit einem verachtenden Blick an, genauso wie die Orbanashols.

Sam brach dann das Schweigen.

»Ja, meine Herren. Das hier ist der Perry Rhodan. Er ist hier an Bord gekommen, um mit mir zu sprechen. Ich mache kein Geheimnis daraus. Perry Rhodan ist nicht der Verbrecher und Teufel, zu dem ihn die LFT schon seit rund sechzig Jahren stilisiert. Wäre er einer gewesen, dann hätte er die LONDON mit einem seiner Schiffe angegriffen. Aber er ist friedlich an Bord gekommen.«

Rhodan stimmte zu.

»Ich wollte tatsächlich nur mit Sam reden, aber auch diese Kreuzfahrt genießen, was ich auch tun werde.«

Gaton schluckte mehrmals. Er wusste immer noch nicht, was er sagen sollte.

»Ich hatte es gleich gewusst«, warf Thorina verbittert ein.

James Holling stand auf und salutierte.

»Sir, ich heiße dich an Bord herzlich willkommen. Ich war auf der QUEEN LIBERTY während der Monos-Diktatur und habe dich verehrt!«

Rhodan entgegnete den Gruß. »Ich danke dir, Kommandant.«

Jetzt endlich hatte sich Gaton wieder gefasst. Er lachte unangenehm laut auf.

»Tja, wenn das so ist, dann ... herzlich willkommen an Bord der LONDON, Perry Rhodan«

Man sah ihm genau den großen Respekt vor Rhodan an.

»Danke. Ich werde mich jetzt in meine Kabine zurückziehen. Ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend«, verabschiedete sich der Unsterbliche.

Sam stand auch auf. »Ich habe noch einiges mit Rhodan zu besprechen. Guten Abend!«

Die Runde löste sich so langsam auf. Holling und Nordment gingen auf die Brücke und auch die Orbanashols verließen den Saal.

Dannos ging auf Rhodan zu. »Es tut mir Leid, wenn ich dein Geheimnis gelüftet habe, mein Bruder!«

»Ich verzeihe dir…«

»Gut. Gott ist mit uns. Wir werden uns sicher bald sehen. Friede sei mit dir. Gehe in kosmischer Harmonie.«

Dannos ging mit seinen anderen drei Gestalten wieder zu den übrigen seiner Gruppe.

Gaton blieb als Einziger mit seiner Frau sitzen.

»Womit habe ich das verdient?«, konsternierte er.

»Was denn?«, fragte seine Frau leicht irritiert.

Er schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen, bevor er ein weiteres Glas Vurguzz leerte.

*

Rhodan und Sam saßen in Perrys Kabine. Sie hatten es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Perry goss Sam ein Glas 1251er Mouton Rothschild ein.

»Danke für die Ehrenrettung.«

»Ich habe nur gesagt, was ich für richtig hielt. Und deshalb werde ich auch Camelot beitreten. Ich bin der Auffassung, dass ich an eurer Seite viel mehr tun kann als im Moment.«

Rhodan war erleichtert über diese Entscheidung. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht sein würde, Sie zu überzeugen«, gab er ehrlich zu.

»Nun müssen Sie nur Ihr Versprechen halten, Rhodan. Wenn ich etwas bewegen kann, dann bin ich zufrieden.«

»Das werden Sie ... oder das wirst du«, sagte er und reichte dem Somer die Hand.

Dieser forschte in Rhodans Augen und ergriff schließlich die Hand.

 

11. Arkonidischer Familienzwist

Die Naats standen an der Kabinentür Wache. Spector hatte sich bereits zu Bett gelegt, während Thorina noch mit Rosan reden wollte. Sie gingen in eines der Wohnzimmer der großen Kabine. Die alte Frau bebte vor Erregung. Ihre straffe und ledrige Haut zuckte leicht auf den hohen Wangenknochen.

»Wie konntest du das wagen?«, schrie sie ihre Tochter an.

Rosan machte einen gleichgültigen Eindruck.

»Was denn, Mutter?«

Thorina blickte sie streng an. »Ich meine diesen Tanz mit dem Offizier. Was sollte das?«

Rosan verzog ihr Gesicht zu einem Schmollmund und zuckte mit den Schultern. »Er ist ein sehr netter Mann. Höflich, galant und gut aussehend.«

»Das sind Arkoniden auch!«

»Arkoniden sind arrogant!«

Rosan ging in das Badezimmer und zog sich um. Ihre Mutter musste lauter sprechen, was ihr jedoch wenig Mühe bereitete.

»Wir haben einen Namen und einen guten Ruf. Die Orbanashols gehören zu den mächtigsten Familien auf Arkon. Durch deine peinlichen Eskapaden gefährdest du diesen guten Ruf!«

Rosan hatte sich fertig umgezogen. Sie trug nun ein Nachthemd aus feinster Seide. Darüber hatte sie einen Morgenmantel gezogen, der aus demselben Stoff war. Sie verschränkte ihre Arme vor den Bauch.

»Mutter, ich habe bloß mit ihm getanzt. Eine reine Höflichkeit. Mehr nicht.«

»Umso besser!«, grollte eine tiefe Stimme. Es war Spector. »Bei diesem Lärm kann man nicht schlafen.«

Er ging auf Rosan zu. Er überragte sie um zwei Köpfe. Verächtlich schaute er zu ihr herunter.

»Du bist eigentlich keine richtige Orbanashol. Sieh dich doch an. Deine rotbraunen Haare! Dazu kommt dein Benehmen. Du ähnelst mehr diesen Barbaren als uns. Aber das Blut deiner Mutter fließt in deinen Adern und sie ist jetzt eine Orbanashol. Deshalb gehörst du wohl oder übel zur Familie. Benimm dich auch so!«

Seine Stimme klang bedrohlich. Sie stützte ihre Arme an der Hüfte ab.

»Wie ich schon sagte, ich habe bloß mit Wyll Nordment getanzt. Ich hatte nicht die Absicht ihn zu heiraten.«

Rosan schaute auf den Boden und grinste. »Obwohl es eine interessante Idee wäre. Ich meine, Mutter hat ja schon Erfahrung mit terranischen Männern.«

Das Lachen verging ihr jedoch ziemlich schnell. Spectors starke Hand packte sie an ihrem Hals und drückte zu.

»Jetzt höre mir zu, du elende Zayna! Du wirst nicht noch einmal an so etwas denken, geschweige denn aussprechen, verstanden? Du wirst heiraten, aber nicht diesen Wyll oder irgendeinen anderen Barbaren, sondern Attakus!«

Thorina blickte ihren Ehemann verwundert an. Rosan versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien. Ihr Kopf wurde rot und sie brachte nur ein Röcheln heraus. Dann ließ Spector den Griff los. Sie sank zu Boden und rang nach Luft.

»Haben wir uns verstanden?«

Sie nickte nur. Der Schock saß tief. Sie begann zu weinen und blickte verzweifelt ihre Mutter an. Diese gab auch prompt einen Kommentar von sich.

»Du hast deinen Stiefvater verstanden. Attakus wird dein Gemahl werden. Wenn es Spectors Wunsch ist, können wir uns nicht dagegen wehren.«

Sie verneigte sich vor ihrem Mann.

»Ich gehe jetzt zu Attakus und rede mit ihm. Habt eine angenehme Nacht, Weib und Stieftochter!«

Er verließ den Raum und lief in den anderen Teil der Kabine, in dem Attakus und Zhart saßen. Beide hatten das Gespräch natürlich mitbekommen. Attakus begrüßte die Idee seines Onkels.

Auch Thorina begab sich in ihren Schlafraum. Nur Rosan kauerte noch auf dem Boden und weinte. Doch niemand kümmerte das. Sie fühlte sich allein und verlassen. Sie stand auf und zog sich wieder an. Dann lief sie aus der Kabine heraus auf das Deck.

 

12. Wyll und Rosan

12. Oktober 1285 NGZ

Die LONDON trat aus dem Hyperraum. Sie befand sich im Leerraum zwischen der Milchstraße und den Magellanischen Wolken.

Der stellvertretende Ortungsleiter, John Maskott, ging auf Wyll zu, der die Sterne beobachtete.

»Wir erreichen Magellan morgen gegen zwölf Uhr.«

»Danke«, antwortete Nordment und studierte betrübt den Fußboden.

Holling trat auf ihn zu. Er stellte sich neben ihn und sah ihn an.

»Was ist los, Wyll?«

»Es ist wegen Rosan ...«

Holling nickte langsam.

»Ich verstehe.«

Wyll sah ihn ungläubigen Blickes an. »Tust du das wirklich? Ich habe noch nie ein so aufregendes Mädchen wie sie gesehen…«

Holling wehrte ab. »Du wirst noch andere aufregende Frauen sehen. Vergiss sie. Sie ist eine Arkonidin, eine Orbanashol. Sie ist so weit weg von dir, wie die Große Leere.«

Er legte die Hand auf Wylls Schulter. Er drückte einmal zu und schüttelte die Schulter etwas, dann ging er auf die Brücke.

Wyll sah ihm hinterher. Er wusste nicht, was er in diesem Moment tun sollte. Er beschloss, etwas auf dem Schiff herumzugehen.

Über sein Interkom wurde Wyll von Uto Lichtern informiert, dass sich jemand der Notschleuse in der A-Etage der Passagiere näherte. Lichtern schloss aus, dass es sich um ein Crewmitglied handelte, da diese ein Interkom mit sich trugen. Da Wyll am nächsten dran war, sah er sich um.

Er bemerkte, dass die Schleusenkammer bereits geöffnet war, und wollte nicht glauben, was er sah.

*

Er wunderte sich, dass die Syntronik nicht automatisch den Zugang für unautorisierte Personen sperrte. Es gab auf jedem Deck mehrere Notschleusen, die natürlich während eines Fluges nicht benutzt werden durften. Sie wurden automatisch während des Hyperraumfluges versiegelt. Die LONDON befand sich zwar im Normalraum, doch Wyll glaubte an eine Fehlfunktion der Syntronik, denn ein Passagier hätte auf keinen Fall die automatische Kontrolle überwinden können. Das ließ nur einen Schluss zu, diese war offensichtlich defekt.

Er sah, dass sich jemand im Zwischenraum befand und vor den Armaturen stand. Er hatte die Person bereits erkannt. Sie stand weinend vor der Apparatur und drückte hastig ein paar Knöpfe. Die Tür zur Dekompressionskammer öffnete sich. Bedacht trat er näher. Wyll wollte auf keinen Fall, dass sich die Person erschreckte und so vielleicht die Nerven verlor.

»Tue es nicht!«

Die Frau in der Schleusenzelle drehte sich erschreckt um. Es war Rosan Orbanashol.

»Verschwinde, oder ich öffne die Schleuse. Ich werde es tun!«

Das Make-up auf ihrem hübschen Gesicht war durch die Tränen zerlaufen. Ihre Stimme zitterte.

Wyll schaute auf den Boden und machte eine zustimmende Geste.

»Bitte, dann öffne die Schleuse. Ich denke, du bist dir darüber im Klaren, was mit dir passieren wird.«

Sie sah ihn entgeistert an.

»Natürlich weiß ich das. Dann habe ich es hinter mir!«, fauchte sie zynisch.

»Und ich auch.«

»Wie bitte?«

Rosan war ziemlich erstaunt über diese Aussage.

»Naja, ich werde versuchen dich davon abzuhalten. Ich denke, es wird dann damit enden, dass wir beide rausgerissen werden und dekomprimieren. Das heißt, natürlich nur, wenn die Tür richtig öffnet ...«

»Und was, wenn sie nicht öffnet?«, fragte Rosan genervt.

Wyll machte eine abschätzende Geste. »Nichts Schlimmes. Ich meine, du willst ja sowieso sterben, dabei kommt es ja nicht auf das Wie an, oder?«

Rosan verdrehte die Augen. »Was passiert, wenn die Tür sich nicht richtig öffnet?«, wiederholte sie in einem schärferen Ton.

»Ich habe das einmal miterlebt. Ein ekelhafter Anblick. Jemand hatte beim Wiedereinstieg die Schleuse nicht richtig geschlossen. Als er sich des Seruns entledigte, öffnete sich nur ein kleiner Scheit und der Druck des Schiffes presste ihn durch den Spalt. Das waren knapp zehn Zentimeter. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch sich so klein machen kann ...«

Rosan schluckte und prüfte, ob die Schleusentür noch fest verschlossen war.

»Aber ... aber ... Das sind doch bloß Schauermärchen. Ich meine, warum sollte hier die Tür nicht richtig zu öffnen sein?«

»Ich sagte ja auch nicht, dass die Tür defekt ist, nur sie könnte es sein.«

Er kam Rosan etwas näher und streckte ihr die Hand entgegen. »Hör zu, nichts kann so schlimm sein, dass man dafür sein Leben wegwirft. Komm bitte her, wir reden darüber.«

Rosan schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht. Mein ganzes Leben ist ruiniert. Alles ist vorbestimmt. Mein Leben dient nur noch dazu, meiner Familie zu gehorchen.«

»Das verstehe ich doch. Mich würde so etwas auch krankmachen, aber du darfst nicht aufgeben. Warte doch erst einmal ab, was diese Reise bringen wird«, beschwichtigte Wyll und versuchte so, sie von ihrer Idee abzubringen. »Außerdem kennen wir uns erst kurz und ich hatte eigentlich vor, mehr Zeit mit dir zu verbringen.«

Er meinte seine Worte ernst.

Rosan sah auf den Boden, dann wieder zu ihm. »Ich glaube, ich habe mich verhört. Das geht nicht so einfach, wie du dir das denkst. Bildest du dir nicht zu viel ein?«, erwiderte sie leicht brüskiert.

»Wie dem auch sei. Du kannst dein Leben ändern. Du musst es nur richtig anstellen. Komm jetzt bitte aus der Schleuse raus.«

Rosan dachte einige Momente nach. Dann nickte sie. »Also gut, du hast mich überzeugt.«

Wyll machte eine überraschte Geste.

»Ich hätte nicht gedacht, dass das so leicht geht«, scherzte er amüsiert.

Rosan guckte ihn betreten an. Sie ging auf ihn zu, stolperte aber über ihr langes Kleid, das sich an einer scharfen Ecke einer Stufe verhakt hatte.

Sie stützte sich an der Wand ab, allerdings direkt an der Konsole und drückte so einen Knopf. Ein Alarm summte auf und die Beleuchtung schaltete auf Rot um. Die Tür hinter ihnen schloss sich zischend.

»Was hast du gemacht?«, rief Wyll laut.

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich ... ich weiß nicht. Ich muss auf irgendeinen dieser Knöpfe gekommen sein. Es tut mir leid!«

Die Schleusentür öffnete sich. Wyll packte im letzten Moment Rosans Hand. Der Druck hätte sie schon beinahe herausgepresst. Sie schrie auf. Wyll hatte an einem Stahlträger Halt gefunden.

»Keine Angst, ich habe dich und lasse nicht los.«

Rosan starrte ihn jedoch weiterhin entsetzt an. Der Alarm musste auch auf der Kommandobrücke registriert worden sein.

Wyll hielt Rosans Arm eisern fest. »Rosan, du musst an die Konsole und den grünen Knopf drücken«, brüllte er mit großer Mühe.

Die Luft wurde langsam knapp.

Rosan versuchte es, kam jedoch nicht heran. »Ich kann nicht!«, schrie sie verzweifelt.

»Syntronik. Hörst du mich?«, rief Wyll in den Raum.

Doch er erhielt keine Antwort. »Verdammt, Syntronik. Schließ die Schleuse. Schnell!«

Doch nichts passierte. Die Syntronik antwortete nicht.

Rosan schien das Bewusstsein zu verlieren. Auch Wyll konnte nicht mehr lange durchhalten.

Plötzlich sank das Schott von alleine wieder herunter. Rosan krachte zu Boden. Sie war völlig bleich, keuchte und rang nach Luft. Wyll kümmerte sich sofort um sie.

Drei Männer rannten auf ihn zu. Einer von ihnen war der Sicherheitschef Bogo Prollig. Der schwere Epsahler schnaubte tief.

»Was ist passiert, Nordment?«

»Das erkläre ich später. Ruft erst einmal einen Medoroboter.«

Nach fünf Minuten erschien endlich ein Medoroboter. Er untersuchte Rosan kurz. Seine Diagnose war positiv.

»Die Dame ist, abgesehen von leichtem Sauerstoffmangel, in Ordnung. Ich verschreibe ihr ein Beruhigungsmedikament und rate ihr, sich die nächsten Tage zu schonen.«

Wyll nickte. Er sah sie besorgt an, doch die Orbanashol stand schon wieder auf. Sie taumelte etwas und musste sich wieder hinsetzten. Ein Grunzen und Stampfen ließ Wyll aufhorchen. Ein Naat näherte sich. Mit ihm natürlich Attakus Orbanashol und Hermon da Zhart.

»Bei Arkon, Rosan! Was ist hier vorgefallen?«, erkundigte er sich offenbar besorgt. Er musterte Wyll skeptisch.

»Ist dieser Offizier darin verwickelt?«

Rosan schüttelte den Kopf. »Nein, er hat mich gerettet. Es war alles ein Unfall ...«

»Ein Unfall?«, fragten Attakus und Wyll zugleich.

Rosan schaute Wyll verzweifelt an. »Ja, ein Unfall. Ich machte einen Spaziergang und wollte mir die ...«, stotterte sie.

»... die Schleusen ansehen!«, führte Attakus genervt ihren Satz fort.

»Ja genau, die Schleusen ansehen. Habe gehört, die sollen sehr hübsch sein. Dabei hatte sich mein Kleid an einer spitzen Kante an der Stufe verfangen, und ich bin ausgerutscht. Dann bin ich auf einen der Knöpfe gekommen und da öffnete sich die Tür. Ohne Wyll ... äh, den Ersten Offizier Nordment wäre ich tot, Attakus!«

»Frauen und Technik«, spottete Prollig.

Attakus verstand nun.

»Wenn das so ist.«

Er wandte sich Wyll zu und reichte ihm die Hand.

»Ich bin dir zu Dank verpflichtet ... Zhart!«

Er gab seinem Handlanger einen Wink. Der nickte nur und holte einen Beutel aus seiner Jackentasche.

»Komm Rosan, wir gehen jetzt. Du bist sicher völlig echauffiert und der Medodoktor hat dir Ruhe verordnet.«

Attakus nahm den Arm seiner Verlobten und ging mit ihr wieder zurück in seine Kabine. Auch Prollig und die anderen beiden verließen den Ort des Geschehens. Nur Zhart blieb noch eine Weile. Er holte aus dem Beutel einige Hundert Galax heraus.

»Attakus Orbanashol dankt dir herzlichst für die Errettung seiner Cousine. Dies ist ein Zeichen seiner Anerkennung!«

Er drückte dem verdutzten Wyll das Geld in die Hand. Der winkte ab.

»Nein, nein. Hier!«

Er gab Zhart das Geld wieder zurück.

»Es war meine Pflicht als Crewmitglied Rosan zu retten und zudem noch ein Vergnügen.«

Er lächelte. Im Gegensatz zu Zhart. Dieser musterte Wyll misstrauisch. Der Naat hinter ihm stampfte unruhig hin und her.

»Der muss wohl gefüttert werden?«, meinte Nordment.

Zhart hob die Augenbrauen.

»Er kommt wieder zurück in seinen Käfig, wo er hingehört. Dann bekommt er seine abendliche Ration. Aber das tut nichts zur Sache. Nur eines ist merkwürdig: Wenn du auf Rundgang warst und die ehrenwerte Orbanashol die Schleuse – natürlich aus purem Ungeschick – öffnete, dann frage ich mich, wie du sie so schnell retten konntest, wenn du nicht direkt neben ihr gestanden hast?«

Zhart machte in dieser Situation einen nachdenklichen Eindruck. Er gab dem Naat ein Zeichen und beide verließen den Raum. Wyll blieb zurück und atmete erst einmal tief durch.

 

13. Die Kinder der Materiequelle

»Meine Kinder, unser Plan hat sich geändert«, wisperte die ruhige Stimme des Vaters.

»Perry Rhodan ist an Bord der LONDON. Dieser Mann ist sehr gefährlich. Wenn wir unseren Plan ausführen wollen, dann jetzt mit äußerster Vorsicht!«

»Wir sind zu allem bereit«, bestätigte eine weibliche Stimme beschwörend. Andere Stimmen schlossen sich dieser Äußerung an.

»Sehr gut, meine Kinder. Lasst den kosmischen Energieausgleich durch euch fließen«, flüsterte der Vater zufrieden.

»Bald werden wir am Ziel unserer Reise sein. Wir werden endlich ins Paradies kommen. Die LONDON wird uns dorthin bringen. Doch jedem ist klar, dass wir sie dafür erst einmal unter unsere Kontrolle bringen müssen. Und das um jeden Preis!«, sprach der Vater eindringlich zu seinen Kindern der Materiequelle.

Die Stimme gehörte einem Mann und neben ihm waren rund zwanzig andere Kinder der Materiequelle in dem Quartier versammelt.

»Schon bald«, beschwor er seine Leute, »wird die LONDON in unserem Besitz sein und in Richtung Paradies fliegen.«

Sie setzten sich auf die Knie und berührten sich an den Händen. Er sprach eindringliche Worte und ein Gebet.

Er grinste und sah die anderen an. Dieser Mann war Vater Dannos und er war zu allem entschlossen.

In dem Raum waren die Arkyls, die Chowfors, seine drei »Brüder« und die drei Frauen und ihre Söldner. Diener, die ihnen der Silberne Ritter geschickt hatte.

Einer von diesen meinte: »Und wer nicht spurt, bekommt eine Freikarte ins Jenseits.«

Dannos schüttelte den Kopf. »Nur im äußersten Notfall. Aber du hast recht. Nichts darf den kosmischen Plan gefährden. Wir sind 200 Kinder der Materiequelle an Bord und schon bald haben wir ein Raumschiff, um in unser Paradies zu fliegen, meine Brüder und Schwestern.«

Eine der Frauen, Martha Wobbisch stand auf einmal auf. Sie fing an zu zittern und gestikulierte wild.

»Nein, ich kann das nicht mehr. Ich will nicht mehr. Wir haben nicht das Recht dazu«, schrie sie.

Sie ging zu Dannos und fasste ihn an beiden Armen. Sie sah ihm entsetzt in die Augen.

»Ich steige aus. Hörst du? Ich will nichts mehr damit zu tun haben!«

Er blieb ruhig. »Denk doch an den Plan. Willst du denn nicht ins Paradies?«, fragte er sie eindringlich.

»Nein, nicht um diesen Preis. Ich will wieder zurück nach Missouri und zu meinen Enkeln! Es war falsch, dir zu folgen. Du bist doch wahnsinnig! Wir können keine Galaktiker töten. Dazu haben wir nicht das Recht!«

Eine der anderen Frauen, Hulga Imoll entgegnete: »Diese Gewissensbisse kommen aber reichlich spät.«

Wobbisch sah Imoll an.

»Besser spät als nie!«

Dannos hob beschwörend die Hand. »Wenn es dein Wille ist, meine Tochter, dann werde ich ihn respektieren. Aber du verstehst, dass wir jetzt alles ohne dich besprechen müssen. Komm, ich bringe dich in deine Kabine.«

Er und Martha verließen das Quartier und gingen den Gang entlang. Sie trafen einige Passagiere, doch beide sagten nichts.

Sie kamen an der Nahrungsbereitungsanlage vorbei, dann bogen sie in einen Gang links ein.

»Das ist aber nicht der Weg zu meiner Kabine«, stellte Martha verwundert fest.

Dannos antwortete nicht. Sie folgte ihm. Das Vertrauen in den Vater war trotz der Meinungsverschiedenheit noch sehr groß.

Sie betraten einen Raum, in dem die Essensreste und sonstiger Müll aufbewahrt wurden. Dannos las ein Schild auf dem Stand: Konverter.

Er musterte Martha ein letztes Mal. »Lebe wohl, meine Tochter. Gehe in kosmischer Harmonie!«

Sie sah ihn entgeistert an, dann schlug Dannos zu. Sie fiel bewusstlos zu Boden. Dannos umklammerte ihren Kopf und drehte ihn so lange nach rechts, bis er das Knacken des Genicks hörte. Er fühlte ihren Puls. Martha war tot. Er betete zu den Materiequellen und Gott, dass er ihrer Seele gnädig sein würde.

Dannos nahm einen Müllsack und steckte sie dort hinein. Er warf den Sack zu den anderen Abfällen in den Konverter.

Dann verließ er den Raum.

Er wartete noch, bis jemand vom Personal das Zimmer betrat. Es dauerte etwa fünf Minuten, dann hörte Dannos wie der Konverter aktiviert wurde und den Abfall sowie Martha Wobbisch in Energie verwandelte. Sie bewirkte nun selbst einen kosmischen Energieausgleich.

Er ging wieder zurück zu den anderen.

»Martha ist nun bereits in ihrem Paradies.«

Andächtig hielten sie eine Schweigeminute für ihre verlorene Schwester. Sodann fuhr Dannos fort: »Wie ich schon mitteilte, nichts wird unseren Plan gefährden, nichts!«

 

14. Auf dem Weg nach Magellan

12. Oktober 1285 NGZ

Die LONDON befand sich im Leerraum zwischen der Milchstraße und den beiden Magellanischen Wolken. Das Schiff würde wohl noch innerhalb des heutigen Tages die Welten der Gurrads erreichen.

Alles verlief ruhig. Es war zehn Uhr morgens. James Holling stand auf der Brücke und betrachtete die Magellanischen Wolken, die schon sichtbar waren. In der rechten Hand hielt er seine Tasse Earl Grey Tee.

Wyll kam in die Zentrale, noch recht müde wirkend. Er begrüßte den Kommandanten, dieser grüßte zurück.

»Na, mein junger Freund. Du wirkst etwas erschöpft«, stellte der 175-jährige Plophoser fest und rührte mit einem Löffel in seiner Teetasse herum.

»Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen«, begründete Wyll.

»Seltsam. Du bist schließlich ein Held. Du hast die kleine Rosan vor ihrem sicheren Tod gerettet.«

Wyll kaute auf seiner Lippe herum.

»Ja, das habe ich wohl …«

»Der alte Gaton hat mich deshalb heute Morgen zur Rechenschaft gezogen. Wir sollen jetzt die Räume besser kontrollieren«, erklärte Holling.

»Dafür ist die Syntronik zuständig«, entgegnete Wyll.

Er gab einige Kommandos und schüttelte schließlich den Kopf, nachdem er die von der Syntronik ausgegebenen Meldungen auf dem Holokubus geprüft hatte.

»Die Selbstprüfungsroutinen scheinen durch irgendetwas geblockt zu werden. Ich habe keinen Zugriff auf die Ereignisprotokolle. Bereits gestern, als ich Rosan gerettet habe, hätte die Syntronik automatisch die Schleuse schließen und den Vorgang als sicherheitsrelevant an die Schiffsführung melden müssen.«

Holling aktivierte nun ebenfalls sein Terminal, das normalerweise einen Überrangzugriff auf die zentrale Syntronik hatte. Nachdem er immer hektischer versucht hatte, Zugriff auf die Sicherheitsroutinen zu erhalten, resignierte er schließlich. Er konnte Wylls Aussage nur bestätigten. Anschließend beorderte Holling den leitenden Konstrukteur Alex Moindrew, der während des Jungfernfluges die Funktion des Chefingenieurs ausübte, auf die Brücke. Nach fünf Minuten kam der Terraner mittleren Alters in die Kommandozentrale. Holling schilderte ihm den Vorfall. Moindrew versuchte ebenfalls über das Terminal des Kommandanten Zugriff auf die Syntronik zu erhalten, jedoch ohne Erfolg.

Leise vor sich hin fluchend wandte er sich ab. Die Beiden sahen sich fragend an. Dann wandte sich Holling an den Chefingenieur.

»Alex, kannst du mir bitte mal erklären, was das soll?«

»Was das soll …, das fragst du noch? Ich habe keine Zeit für lange Erklärungen. Wenn das stimmt, was ich vermute, dann werden wir gewaltige Probleme bekommen, das garantiere ich dir. Ich muss unbedingt in die Maschinenzentrale und etwas überprüfen. Wenn ihr wollt, dann könnt ihr mitkommen, ich erkläre euch das dann vor Ort.«

Mit diesen Worten wandte sich der Terraner ab. Nach einem kurzen Blick des Einverständnisses folgten Nordment und Holling ihm.

Moindrew hastete in Richtung Bordtransmitterzentrale, die genau unterhalb der Kommandozentrale lag. Das bordeigene Personen-Transmitternetz bot die schnellste Möglichkeit, die wichtigsten Stationen des Schiffes zu erreichen. Der Kommandant und sein Erster Offizier folgten dem Konstrukteur der LONDON in den aktivierten Torbogentransmitter.

Einen Lidschlag später standen sie im Kontrollstand des Maschinenraums im Turm C. Moindrew eilte in sein abgetrenntes Büro und nahm ein kleines Gerät aus einem Schrank, den er mit einem Codegeber öffnete.

Interessiert beobachteten Nordment und Holling, wie der Chefingenieur eine Kontrollkonsole aktivierte. Wenig später baute sich das bekannte Holo eines uralten Bauwerkes auf, das wie sie wussten, das ehemalige Wahrzeichen der alten Metropole des terranischen Bundesstaates Großbritannien darstellte: die Towerbridge. Moindrew gab einige Kommandos ein und schüttelte frustriert den Kopf. Nach einem weiteren Befehl erlosch das Holo wieder.

»Nun was ist los, Alex?«, fragte Holling.

Moindrew sah genervt auf.

»Nichts ist los, das siehst du doch!«, antwortete er. »Ich bekomme einfach keinen Zugang zu den zentralen Programmroutinen des symmunativen Systems, das als Schnittstelle zu dem im Hyperraum liegenden Kernel der syntronischen Einheit dient. Aber, wir haben da ja noch diese Hintertürchen …«

Mit diesen Worten aktivierte er das kleine Gerät, das er während der ganzen Zeit in seiner Hand gehalten hatte. Wyll trat interessiert näher. Er verstand genug vom technischen Aufbau eines Syntrons, doch von »Hintertürchen« im Symmunikator hatte er noch nie gehört. Gespannt schaute er Moindrew über die Schulter. Das kleine Gerät, das von den Abmessungen einem altertümlichen Buch glich, hatte auf der Oberseite einen Bildschirm, auf dem im Moment verschiedene Buchstaben des Alphabets abgebildet wurden. Moindrews Finger huschten im rasenden Stakkato über die einzelnen Symbole des Interkosmo, wobei er nach wie vor Verwünschungen vor sich hinmurmelte. Über den oberen Teil des Bildschirms flackerten in kurzen Abständen kurze Textmeldungen, die Wyll jedoch völlig unverständlich blieben. Schließlich gab er sein hektisches Tun auf und warf das kleine Gerät resignierend auf den Tisch.

»Keine Chance, meine Befehle werden abgeblockt.«

Holling trat nun auf Moindrew zu und schüttelte den Chefingenieur.

»Alex, erklär mir endlich, was hier los ist!«

Moindrew warf Wyll einen kurzen Blick zu und wandte sich dann an den Kommandanten.

»James, es ist ganz einfach. Dank der Genialität unseres hochverehrten Hansesprechers, hat irgendjemand die Kontrolle über die Syntronik und somit letztendlich über die LONDON übernommen.«

»Bitte entschuldige mal, soweit ich weiß, liegt der Kernel eines Syntrons im Hyperraum. Wie kann da jemand, so mir nichts, dir nichts, die Kontrolle übernehmen?«

Moindrews Gesicht überzog ein bitteres Grinsen, bevor er antwortete.

»Du hast es erfasst, James. So mir nichts, dir nichts ist das natürlich nicht möglich. Genauer gesagt, brauchst du Insiderwissen, um das zu erreichen. Und genau hier kommt der alte Gaton ins Spiel. Als das syntronische System der LONDON durch Shorne Industries geliefert wurde, habe ich es vor der Installation getestet und dabei festgestellt, dass innerhalb der positronischen Schutzschicht um das symmunative System Lücken bestanden.«

»Wieso das …, und was ist dieses symmunative System eigentlich?«

Diese Frage des Kommandanten nutzte Wyll, um sich in das Gespräch einzumischen.

»James, weißt du genau, wie so eine Syntronik funktioniert?«

Holling schüttelte den Kopf.

»Nein, meine Ausbildung liegt mehrere Jahrzehnte zurück und, das muss ich zugeben, für dieses ganze Computerzeugs habe ich mich nie besonders interessiert. Mir genügte es immer, dass sie funktionieren und genau das tun, was ich ihnen sage.«

Kurz zog ein jungenhaftes Grinsen über Wylls Gesichtszüge, bevor er sich des Ernstes der Lage erinnerte.

»Nun James, bei einer Syntronik handelt es sich um ein Computersystem, dessen Kernkomponenten, die man früher als Zentraleinheit bezeichnet hat, komplett in den Hyperraum ausgelagert sind. Damit ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten dieser Zentraleinheit überlichtschnell und somit jeder herkömmlichen Positronik überlegen. Grundlage des gesamten syntronischen Systems sind dabei hyperenergetische Strukturfelder, die die Funktion der materiellen Komponenten einer Posi-tronik, wie Prozessoren, Arbeitsspeicher oder Massenspeicher wahrnehmen. Dabei sind die einzelnen Syntronchips durch einen Inertfeld-generator, der eine in sich geschlossene Raumkrümmung erzeugt, in einem eigenen Mikro-Universum zusammengefasst, das, zumindest theoretisch, eine unendliche Speicherkapazität zur Verfügung stellt. Intern ist dieses System aus Syntronchips als neuronales Netz organisiert, wobei die einzelnen Recheneinheiten als syntronische Neuronen bezeichnet werden. Diese spezialisieren sich selbst und übernehmen die klassischen Funktionen einer Zentraleinheit. All dies läuft im Normalraum ohne messbaren Zeitverlust ab, da diese Neuronen wie gesagt, überlichtschnell miteinander kommunizieren.«

Wyll machte eine Pause und fragte den Chefingenieur: »Soweit richtig?«

Moindrew lächelte kurz und bemerkte: »Ich hätte es bis jetzt nicht besser erklären können.« Danach wandte er sich an Holling: »Hast du alles verstanden, James?«

Zögernd nickte dieser.

»Nun denn, junger Freund, sie können weitermachen.«

Wyll nickte und fuhr fort.

»Wir haben nun ein Problem. Die ganze Syntronik liegt also im Hyperraum und ist für uns, ohne eine entsprechende Verbindung, nicht zugänglich. Gleichzeitig besteht auch die Gefahr, dass, falls es zum Ausfall des Inerters kommt, alle Informationen, alle gespeicherten Daten, selbst die Programmroutinen, die sich innerhalb dieses Mikro-Universums befinden, für immer verloren sind. Deshalb ist es notwenig, dass ein Back-up-System im Normalraum genau diese Daten in Echtzeit sichert. Genau diese Aufgaben übernimmt das sogenannte symmunative System. Es handelt sich dabei um ein speziell entwickeltes Positronik-System, das quasi den Flaschenhals der gesamten Syntronik darstellt. Alles was in das Mikro-Universum hinein oder auch wieder heraus soll, muss durch dieses System, das eine Verbindung zwischen dem Normaluniversum und dem individuellen Mikro-Universum des Syntrons herstellt und dafür sorgt, dass der Anwender überhaupt mit dem Computer kommunizieren kann.«

Wyll beendete seinen Vortrag und sah seinen väterlichen Vorgesetzten fragend an. Holling nickte und bemerkte:

»So in etwa habe ich das jetzt verstanden. Der Schwachpunkt des gesamten Systems ist also die Schnittstelle zwischen unserem normalen Universum und diesem eingelagerten künstlichen Mikrokosmos.«

»Richtig, genau darum geht es«, bestätigte Moindrew, »eine Manipulation ist nur auf der Ebene des Symmunikators möglich und genau das ist unser Problem.«

»Was hat nun Gaton und Shorne Industries damit zu tun?«, fragte Holling weiter.

»Nun, wie ich eingangs gesagt habe, musste ich feststellen dass in der Schutzschicht, die das symmunative System vor Manipulationen oder unbefugten Zugriffen schützen soll, Lücken bestanden. Ich bin auf diese nur durch Zufall gestoßen und habe dann sofort unseren großen Vorsitzenden benachrichtigt. Der liebe Arno ist dann auch gleich angereist. Ich bekam dann die direkte Anweisung, das System, so wie es geliefert wurde, einzubauen und die Sicherheitslücken innerhalb der Firewall zu ignorieren. Andernfalls würde er mir fristlos kündigen und mir einen Schadensersatzprozess anhängen, der sich gewaschen hätte.«

»Das ist wirklich ein starkes Stück«, bemerkte Holling, »und du hast es natürlich dabei belassen?«

»Natürlich habe ich es dabei belassen, was sollte ich auch machen? Gaton sitzt am längeren Hebel und ich hätte gar nichts erreicht, wenn ich Krach geschlagen hätte. Aber ich habe nachgeforscht und bin auf das hier gestoßen.«

Mit diesen Worten deutete Moindrew auf das kleine Gerät, das er achtlos auf den Tisch geworfen hatte.

»Das ist im Prinzip ein uraltes Kommunikationsgerät mit dem man über eine heute nicht mehr gebräuchliche Schnittstelle, die im Infrarotspektrum arbeitet, Verbindung mit Computersystemen aufnehmen kann. Der Vorteil dieses Gerätes liegt in seiner Unscheinbarkeit. Niemand würde Böses vermuten, wenn jemand ein wenig damit spielen würde. Allerdings sind die Möglichkeiten dieser Technik sehr begrenzt, die zur Verfügung stehende Bandbreite im Infrarotbereich reicht nur für wenige Befehlsfolgen aus. Darin liegt auch der Grund, warum man diese Schnittstelle aufgegeben hat. Langer Rede kurzer Sinn, irgendjemand muss bereits während der Grundprogrammierung des Symmunikators entsprechende Programmroutinen auf den physikalischen Speicherbänken hinterlegt haben. Dieses Ding«, dabei deutete er wieder auf das kleine Pad, »dient nur dazu, über entsprechende Befehle die Schadroutinen auszulösen. Allerdings kann das von überall her geschehen, denn unser unbekannter Freund hat über das gesamte Schiff entsprechende Infrarotschnittstellen eingebaut, durch die ich erst auf die Angelegenheit aufmerksam wurde. Er kann nun jederzeit die entsprechenden Viren auslösen und wir können nur zusehen.«

Moindrew setzte sich nun an den Tisch und zog aus einer Schublade eine Flasche mit einer gelben Flüssigkeit, aus der er sich ein großes Glas einschenkte.

»Prost James, ich bin froh, dass ich das endlich los bin. Nun weißt du Bescheid, jetzt ist es dein Problem!«

»Was machen wir nun?«, fragte Holling wütend.

»Seien wir doch ehrlich, wir können gar nichts machen. Die Viren breiten sich aus, ohne dass wir wissen, was sie bewirken. Das Einzige, was wir tun können, ist das Umfeld genau zu beobachten. Vielleicht finden wir heraus, wer hinter dem Ganzen steckt. Kontrolliert auch alle Maßnahmen der Syntronik, soweit es möglich ist.«

»Gut Alex, versuch bitte, ob du nicht eine Möglichkeit findest, wieder die Kontrolle über das ganze System zu erhalten und diese verdammten Viren loszuwerden.«

Das Interkom summte auf. Holling ging zum Wandbildschirm. Das Gesicht von Arno Gaton erschien. Er machte einen wütenden Eindruck.

»Ah ... gut, dass du dich meldest, Arno. Es ist etwas passiert«, begann Holling.

»Das kann man wohl sagen«, entgegnete der Hansesprecher.

Er ließ Holling nicht aussprechen. »Hast du vergessen, dass du und Moindrew an der Schiffsbesichtigung für die Orbanashols teilnehmen solltet? Die Herrschaften warten bereits ungeduldig. Also los!«

Er beendete das Gespräch, ohne auf Antwort zu warten.

»Verdammte Arkoniden!«, fluchte Moindrew. »Ich denke wir haben jetzt Wichtigeres zu tun, als diesen Spießern die LONDON zu zeigen!«

»Da hast du recht. Aber Gaton hat uns den Befehl gegeben. Also müssen wir ihn befolgen. Wyll, du überprüfst erst einmal, ob irgendwelche Fehler in der Ortung oder Navigation vorliegen«, schloss der Kommandant die Besprechung und ging mit Moindrew an Deck.

*

Wyll hoffte eigentlich, auch an der Besichtigung teilnehmen zu können, allein um Rosan wiederzusehen, doch er konzentrierte sich auf seine Arbeit.

Er ging in die Kommandozentrale und informierte dort die diensthabenden Offiziere Rudocc, Sparks und Spechdt.

Spechdt fand tatsächlich einen Fehler in der Koordinationsberechnung.

»Die abweichenden Daten wären nicht fatal gewesen, hätten uns jedoch um einige Tage zurückgeworfen«, berichtete er.

»Vielleicht Saboteure von der Konkurrenz?«, vermutete Evan Rudocc. »TAXIT oder Ähnliches? Die wollen doch sicher nicht, dass die LONDON einen neuen Rekord aufstellt. Vielleicht Rhodan?«

»Quatsch. Das können wir ausschließen. Ich werde mich mal unter die Passagiere mischen. Vielleicht finde ich etwas heraus«, beschloss Nordment. »Rudocc, du hältst so lange die Stellung.«

Er verließ die Brücke und sah die Orbanashols zusammen mit Gaton, Moindrew und Holling und diesen Vater Dannos zwei Decks über ihn. Er schloss sich der Besichtigung an.

*

Rosan war gelangweilt. Sie hatte gehofft, dass Perry Rhodan mit zur Besichtigung kommen würde, doch bis jetzt war er nicht aufgetaucht. Stattdessen erläuterte der Chefkonstrukteur die technische Beschaffenheit des Raumschiffes und den Aufbau des Metagrav-Triebwerkes.

Ihr Wunsch ging doch noch in Erfüllung. Perry Rhodan und der Somer Sam kamen der kleinen Gruppe entgegen.

Gaton begrüßte beide überschwänglich. Es war ihm anzusehen, dass es reine Diplomatie war und nicht ernst gemeinte Hochachtung vor Rhodan.

Vater Dannos verhielt sich noch sehr ruhig. Er stellte nur einige technische Fragen an Moindrew.

»Sag mir, Bruder. Wie weit könnte die LONDON fliegen?«

»Oh, ziemlich weit. Sie könnte sich ja immer wieder neu aufladen«, antwortete Moindrew. »Bis die Metagrav-Triebwerke verbraucht sind, kann es einige Jahre dauern. Wir könnten theoretisch innerhalb von ein paar Jahren zur Großen Leere fliegen und wieder zurück.«

»Ich danke dir«, sagte Dannos friedlich. »Das bedeutet, sie könnte jetzt also noch eine Weile unabhängig von irgendwelchen Versorgungsstationen durch das All fliegen?«

»Ja, durchaus. Natürlich würde es auf Dauer Probleme mit dem Proviant geben, aber die LONDON ist auch als Fernraumschiff konstruiert worden.«

»Sehr beeindruckend, Bruder«, stelle Vater Dannos fest.

Sein Blick fiel nun auf Perry Rhodan und den Somer.

»Ah, Perry Rhodan und Sam. Ich bin froh, Sie zu sehen.«

»Vater!«, grüßte Rhodan ironisch. »Wo sind Ihre Brüder?«

»Oh, sie sind etwa fünfzig Meter hinter uns. Sie sind ja so sehr um mein Wohl besorgt. Daher sind sie immer wie ein Schatten.«

»Verstehe«, meinte der Cameloter knapp.

Die Gruppe ging weiter durch das Raumschiff. Gegen Ende der Besichtigung entschied Spector: »Es ist Zeit, dass wir golfen gehen. Attakus, kommst du?«

»Selbstverständlich, Onkel!«

Er sah sich nach Rosan um.

»Ehrenwerte Cousine, was wirst du machen?«

»Du weißt doch, ich mache mir nichts aus Golf«, erklärte Rosan. »Ich gehe noch etwas an Deck spazieren. Wir durchfliegen gleich einen rotgelben Nebel. Das möchte ich mir ansehen.«

»Na gut, wie du meinst. Sei aber diesmal etwas vorsichtiger als gestern.«

»Natürlich ...«

Ihre Mutter ging zu Delia Gaton. »Ich werde mich etwas mit Delia unterhalten, Rosan!«

»Geht in kosmischer Harmonie, Brüder und Schwestern«, verabschiedete sich auch Dannos.

Rhodan und Sam gingen wieder in Rhodans Kabine, um dort über verschiedene Dinge zu beraten.

Rosan schlenderte das Deck entlang.

»Hi!«, hörte sie jemanden hinter sich sagen. Als sie sich umdrehte, stand Wyll Nordment vor ihr und lächelte.

»Hallo«, begrüßte sie ihn. »Ich muss mich nochmals bei dir bedanken. Vor allem wegen deiner Diskretion.«

»Nein, Rosan. Das war meine Pflicht als Crewmitglied ... und als Freund.«

»Als Freund?«, wiederholte sie und lehnte sich an das Geländer. Sie betrachtete den Nebel.

»Er ist wunderschön«, stellte sie fest.

Wyll gesellte sich zu ihr. »Ja, das ist er. Aber es gibt noch etwas Schöneres hier an Bord.«

Sie sah ihn an. »Und das wäre?«

»Du!«

Sie wurde rot und schaute verlegen zu Boden. »Ich glaube, du weißt nicht, was du sagst, Erster Offizier!«, brachte sie stockend hervor.

»Doch das weiß ich nur zu gut.«

Sie lief zu einem Liegestuhl und setzte sich hinein. Eine Jülziischfamilie trappelte an ihnen vorbei.

»Ich bin eine arkonidische Aristokratin. Mir ist ein völlig anderes Leben als dir vorherbestimmt«, wich Rosan aus.

»Ja, ich weiß. Ein Leben, das so furchtbar gewesen sein muss, dass du dich dafür töten wolltest.«

Rosan machte einen nervösen Eindruck. »Wyll, du verstehst nicht. Ich habe keine andere Wahl. Man kann sich nicht gegen die Familie der Orbanashols auflehnen. Das ist unmöglich.«

»Doch man kann es. Die sind nicht allmächtig. Du bist doch unglücklich. Deine Mutter ist eine alte Wachtel, dein Stiefvater ein Monster und dieser Attakus ein arroganter Pis ...«

»Vergreif dich nicht im Ton, Wyll!«, mahnte sie zornig.

Sie stand auf und ging einige Meter, um dann wieder zum Geländer zu gehen. Sie vergrub ihr Gesicht unter ihren zarten Händen. Wyll vernahm ein leises Schluchzen. Er berührte sie an ihren Schultern. Rosan wehrte ab.

»Du darfst mich nicht in der Öffentlichkeit berühren.«

Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah ihn an. Ihre roten Augen strahlten Traurigkeit aus.

»Auch wenn du recht hast. Meine Mutter ist eine alte ... Wachtel. Aber ich bin ab heute Abend offiziell mit Attakus verlobt. Das hat Spector gestern entschieden.«

Wyll schaute sie bedrückt an. »Du wirst ihn also heiraten?«

»Nur der Tod hätte mich davon abhalten können. Deshalb war ich gestern bei der Schleuse.«

Wyll schüttelte den Kopf. Er fasste sie bei ihren Händen.

»Nein! Es gibt immer mehr als nur einen Ausweg. Mein Gehalt bei der Hanse ist zwar nicht berauschend, aber es könnte für uns beide reichen. Lauf weg von ihnen. Du bist keine Arkonidin. In deinem Herzen bist du eine Terranerin.«

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Rosan erkannte, dass Wyll im Grunde recht hatte. Doch sie bezweifelte, ob alles so einfach gehen würde.

»Ich kenne dich ja nicht einmal richtig, Wyll Nordment. Woher soll ich wissen, dass du nicht irgendein Hochstapler bist?«

Wyll verschränkte die Arme. »Dann frage mich alles, was du wissen willst und ich werde dir ehrlich antworten.«

Sie machte einen ratlosen Eindruck. »Mir fällt auf Anhieb nichts ein«, beichtete sie und musste loslachen.

»Ich habe eine Idee. Wir wäre es, wenn wir uns etwas sportlich betätigen? Vielleicht Prallsquash oder so«, schlug er vor.

»Ja, gerne«, sagte sie prompt.

Beide begaben sich ins Sportdeck und kleideten sich um. Rosan trug einen eng anliegenden Dress, die Beine waren frei. Wyll war von dem Anblick recht angetan. Beide spielten das vom Tennis abgewandelte Spiel. Wer mit dem Ball die immer nur kurz aufleuchtenden Prallfelder traf, bekam Extrapunkte. Rosan hatte viel Spaß daran, sie lachte viel und ihre Augen strahlten wieder Fröhlichkeit aus.

Nach einer halben Stunde waren beide schon recht verschwitzt. Rosan versuchte an den Ball zu kommen, rannte dabei allerdings über Wyll. Beide verloren das Gleichgewicht und fielen aufeinander. Plötzlich lag sie in seinen Armen. Wyll war nun versucht sie zu küssen, doch ein »Rosan« aus einer krächzenden Kehle ließ ihn hochschrecken.

Es war Thorina. Beide standen schnell auf.

»Mutter! Das ist Wyll Nordment, der Erste Offizier an Bord der LONDON. Du erinnerst dich? Er war der Mann, der mich gestern gerettet hat.«

Wyll reichte Thorina freundlich die Hand. Sie hingegen nahm nicht mal Notiz davon.

»Ich danke dir für die Errettung meiner Tochter, Wyll Nordment«, sprach sie ohne ihn anzusehen.

Dann erst begann sie ihn eingehend zu mustern. Er war verschwitzt und machte keinen sehr vornehmen Eindruck.

Rosan wusste genau, was ihre Mutter jetzt dachte. Sie sah Wyll so an als wäre er ein lästiges Insekt, das sie am liebsten zerquetschen wollte.

»Komm jetzt Tochter. Dein Verlobter Attakus wartet auf dich«, befahl die Alte.

»Gleich Mutter, ich muss mich nur noch duschen.«

Thorinas Augen weiteten sich. »Hier?« Ihre Stimme bebte.

»Ja, wo sonst?«, antwortete Rosan verständnislos.

»In deiner Kabine! Hier wirst du dich nicht duschen. Nicht in einer gewöhnlichen Nasszelle, wo bereits Hunderte von Terranerinnen oder gar Bluesweibchen sich mit ihren dreckigen Körpern hinbegeben haben. Hier holt man sich sicher noch Fußpilz!«

Wyll glaubte nicht richtig gehört zu haben.

»Thorina, die Roboter reinigen die Nasszellen jede Stunde«, verteidigte er die Einrichtung.

»Immer noch zu wenig, Terraner«, erwiderte sie verachtend. »Komm jetzt endlich, Tochter. Oder soll ich erst deinen Stiefvater holen?«

Rosan schreckte sichtlich zusammen.

»Nein, bitte nicht!«

Sie hatte große Angst vor ihm. Das blieb auch Wyll nicht verborgen. Rosan ging zu Wyll und gab ihm den Squashschläger.

»Danke für das Spiel. Es hat mir viel bedeutet, einmal richtig Spaß zu haben«, flüsterte sie.

»Wir sehen uns dann heute Abend beim Essen«, rief er laut, sodass auch Thorina es hörte.

»Ja, bis dann«, verabschiedete sich Rosan und verließ den Spielraum.

 

15. Konflikte

»Die Arkoniden sind ein großes Problem!«, stellte Sam bitter fest.

Neben ihm saß Perry Rhodan in einem Sessel. Er machte einen nachdenklichen Eindruck.

»Du brauchst dir nur die Orbanashols anzusehen«, fuhr der blaue Somer fort. »Spector und Thorina sind ein typisches Beispiel für die Art der Arkoniden. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigen, um sie zu ändern.«

»Atlan arbeitet daran«, versicherte Rhodan.

Sam winkte ab. »Seine Erfolge sind bisher nur dünn gesät. Er gilt als Mörder von Theta von Ariga und als Anführer der IPRASA, die nicht als Freiheitskämpfer, sondern als Terroristen angesehen werden.«

Rhodan stand auf und lief im Kreis. Er sah den Somer an. »Die Lage in der Milchstraße gefällt mir auch nicht. Noch geht alles gut, aber ich habe immer noch die Prophezeiungen von Ernst Ellert in meinen Kopf.«

Sam sah den Unsterblichen verwundert an. »Was für eine Prophezeiung?«

»Es geht um eine sogenannte Brücke in die Unendlichkeit, auf die ich angeblich gehen werde. Danach würde ich das Volk der Galornen und Helioten treffen.«

»Aha«, machte Sam. »Also wieder ein kosmischer Auftrag für dich?«

Rhodan setzte sich wieder und lehnte sich in den Sessel zurück. »Gut möglich. Jedoch sagte Ellert noch etwas anderes. Falls alles zur rechten Zeit kommt, dann würde es ein Segen für die Menschheit werden, falls zu früh oder zu spät, dann würde es zur Katastrophe kommen und unendliches Leid würde über die Terraner kommen.«

Sams Miene verfinsterte sich. »Das klingt nicht sonderlich beruhigend.«

»Falls wirklich Leid über die Menschen kommt, können Daschmagan und Khan damit fertig werden?«, fragte Rhodan.

Sam breitete beide Flügelarme aus und ließ sie schlaff auf die Lehne seines Stuhls fallen. »Ich weiß es nicht. Es kommt auf die Stärke der Bedrohung an. Aber ich gebe dir einen guten Rat: Es sollten genügend Zellaktivatorträger in Daschmagans Nähe sein, falls wirklich eine galaktische Bedrohung im Anmarsch ist.«

Rhodan sah das genauso.

»Außerdem muss ich mir noch um einen galaktischen Krieg Sorgen machen. Wie lange wird es mit dem Kristallimperium noch gut gehen? Ich hege zwar immer noch die Hoffnung, dass es nie dazu kommen wird, aber ich traue diesem Bostich und seinen Zhdopandas nicht.«

»Nun, Perry Rhodan, deshalb hast du mich ja angeheuert, wenn ich das so ausdrücken darf. Damit ich mit meinem diplomatischen Geschick versuchen kann, einen Krieg zu verhindern.«

*

Sie versammelten sich in ihren Kabinen und fassten sich an den Händen. Sie knieten nieder und bildeten im Geiste einen imaginären Kreis. In einer der Kabinen fing ein Mann an zu sprechen. Er war ihr Gott, ihr Vater und Herr.

Und Dannos sprach: »Meine Kinder! Spürt den kosmischen Energieausgleich. Nicht mehr lange und unser perfekter Plan wird ausgeführt werden. Bis auf das kleinste Detail. Dann werden wir auf dem kosmischen Pfad wandern und unser Paradies finden. Niemand wird uns daran hindern.

Wir sind eine Einheit, ein kosmisches Wesen und werden bald in die ultimative Lebensform übergehen. Wir werden mit diesem Schiff zur Materiequelle fliegen und uns dort zu einem Kosmokraten weiterentwickeln. So ist unser Schicksal.«

Die anderen beteten mit Dannos mit. uns alle. Amen, meine Kinder!«, beendete der Vater das Gebet.

Sie standen auf. Dannos war in ein braunes Gewand gekleidet. An seinem Hals befand sich ein goldenes Amulett mit dem Galaxisanhänger. Dazu trug er seine obligatorische Sonnenbrille.

»Vater, es ist Zeit, dass wir unsere Waffen holen«, riet einer seiner Anhänger.

Es war Craig Anbol, einer der Söldner des Silbernen Ritters.

»Mein Bruder, du kannst alles veranlassen. Morgen Abend wird die Entführung der LONDON beginnen! Gehet hin in kosmischer Harmonie«, schloss der Guru seine Andacht.

*

Der Speisesaal füllte sich gegen neunzehn Uhr. Auch der Kapitänstisch war wieder gut besetzt. Die Sitzreihenfolge war diesmal anders. Perry Rhodan saß an dem einen Kopfende und Holling an dem anderen. Zu Rhodans rechten saßen Rosan und Thorina Orbanashol sowie Delia Gaton, Wyll Nordment und Vater Dannos. Zu seiner linken Seite saßen Attakus, Spector Orbanashol, Arno Gaton, Jakko Mathyl und Sam.

Die Stimmung war gedämpft. Einigen sah man den Respekt vor Rhodan genau an. Ausgerechnet Rosan stand auf und sprach einen Toast aus.

»Auf den größten Terraner in der Geschichte der Galaxis - auf Perry Rhodan!«

Es herrschte einen kurzen Moment Ruhe am Tisch, bevor Wyll, gefolgt von Holling und Sam den Spruch wiederholten. Schließlich standen alle auf und stießen auf Perry Rhodans Wohl an. Spector nuschelte irgendetwas vor sich hin, jedoch war es unverständlich. Die Stimmung wurde lockerer.

Attakus ergriff das Wort. »Wir wollen nochmals Wyll Nordment für seinen heroischen Einsatz gestern Abend danken. Ohne ihn wäre mir ein wertvoller Besitz für immer verloren gegangen.«

Allein das Wort »Besitz« regte Wyll auf, jedoch ließ er sich dies nicht anmerken. Er lächelte und meinte: »Es war mir eine Ehre.«

»Nun, Perry, wie findest du die LONDON? Gab es schon schönere Schiffe in der Geschichte der Hanse?«, schmeichelte sich Gaton ein.

»Ich würde sagen, es ist schon das beeindruckendste Schiff in der Geschichte der Hanse. Du hast gute Arbeit geleistet, Arno. Ich hoffe, sie wird auch ihren Zweck erfüllen und für alle Galaktiker ein Hort des Vergnügens sein, egal ob Arkonide, Terraner oder Blue, egal ob arm oder reich«, entgegnete Rhodan ermahnend.

Gaton lachte.

»Aber natürlich!«

Jakko Mathyl begann dann eine langweilige Diskussion über Wirtschaftswachstum und die Vorteile einer ungeregelten, freien galaktischen Marktwirtschaft.

Wyll hingegen konnte seinen Blick von Rosan nicht abwenden, was natürlich auch Thorina bemerkte.

»Wo genau sind wir jetzt?«, wollte Sam wissen.

Holling nahm einen Schluck aus seinem Glas und stellte es wieder auf den Tisch.

»Wir haben die Magellanischen Wolken passiert und ändern nun den Kurs in Richtung Andromeda. Dort werden wir in etwa zehn Tagen ankommen«, berichtete er stolz.

Vater Dannos schwieg auffallend.

»Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Vater?«, wollte Sam wissen.

»Natürlich mein Bruder. Ich lausche nur der angeregten Konversation«, antwortete der Guru.

Wyll stocherte in seinem Essen herum. Attakus notierte das und fing sofort an, Wyll damit zu kompromittieren.

»Schmeckt dem Retter meiner teuren Rosan sein Essen nicht? Es ist doch eine terranische Spezialität«, spottete er und legte seine Hand auf Rosans.

Wyll schaute zu den beiden hinüber. »Oh, ich habe heute keinen großen Appetit«, entschuldigte er sich.

»Onkel, meinst du nicht es ist Zeit, die frohe Botschaft allen mitzuteilen?«, fragte Attakus.

Spector Orbanashol stand auf. »Du hast ganz recht«, hörte man ihn mit seiner tiefen Stimme sagen.

Er blickte zu Wyll und lächelte überlegen, dann sah er zu Rosan und Attakus. Rosan guckte auf den Tisch, während Attakus erwartungsvoll grinste.

»Ich möchte heute die Verlobung von Attakus und Rosan bekannt geben. Beide mochten sich schon seit ihrer frühesten Kindheit, nun wollen beide sobald sie wieder zu Hause sind in den Bund der Ehe treten.«

Er nahm sein Glas. »Auf Attakus und Rosan!«

Die anderen begrüßten diese Entscheidung und gratulierten den beiden. Rhodan hingegen musterte Rosan und Wyll. Beide machten einen unglücklichen Eindruck. Wyll kauerte auf seinem Stuhl. Man konnte ihm seine innerliche Anspannung genau ansehen. Rosan lächelte zum Schein, als sie die Hände der Gratulanten schüttelte.

Holling fasste Wyll an den Arm. »Tue jetzt nichts Unüberlegtes, Junge!«, ermahnte er ihn.

Wyll sah ihn an. Seine Augen verrieten Frust und Enttäuschung.

»Ich bin sicher, dass Schwester Rosan und Bruder Attakus bis in den Tod miteinander vereint sein werden«, betonte Vater Dannos seltsam.

Attakus verdrehte die Augen. Er sagte leise so etwas wie »Spinner«.

Sam hingegen war weniger begeistert.

»Inzest!«, brummte er scharf zu Rhodan.

Der hob beschwichtigend die Hände. »Streng genommen nicht. Besonders im Adel ist es üblich gewesen, auch Cousinen oder Cousins zu heiraten. Aber Rosan ist gar nicht blutsverwandt mit den Orbanashols. Es ist trotzdem besser, wenn du deine Meinung den Orbanashols nicht direkt auf die Nase bindest.«

Sam schwieg und gratulierte auch nicht. Zu seinen Marotten gehörte seine konservative Einstellung zu manchen Dingen. Sam war zwar ein hervorragender Diplomat, doch in manchen Dingen auch ein ziemlicher Exzentriker.

»Eine Frage habe ich jedoch«, warf Rhodan ein.

»Es ist schon seltsam, wenn zwei Orbanashols sich verheiraten. Das erbringt ja keine Vorteile. Die Heirat in eine andere Familie, wie zum Beispiel in die der da Quartamagin würde doch lukrativer für die Orbanashols sein.«

Thorinas Gesicht verzog sich zu einer verachtenden Grimasse.

Spector ergriff das Wort. »Attakus hegte schon immer ... starke Gefühle für Rosan. Deshalb erfülle ich ihm diesen Wunsch. Was Rosan angeht, würde sie aufgrund ihrer Abnormitäten keinen anderen Arkoniden vom Hochadel ehelichen können.«

Attakus lächelte erhaben. »Aber Rosan wird es gut bei mir haben. Sie ist zwar nicht so schön und attraktiv wie eine Arkonidin, aber sie hat sicherlich ihre Qualitäten auf anderen Gebieten«, erklärte er anzüglich grinsend, dabei wohl wissend, Rosan verletzt zu haben.

»Du verdammtes Arkonidenschwein, ich poliere dir die Fresse«, schrie Wyll auf einmal.

Er nahm die heiße Tasse Tee von Holling und schüttete den Inhalt Attakus ins Gesicht, der vor Schmerzen aufschrie. Danach sprang Wyll auf den Tisch und packte den verwunderten Orbanashol. Er schlug ihm zweimal mit der Faust ins Gesicht. Die Nase von Attakus fing an zu bluten.

Sofort griff Zhart zusammen mit den Naats ein. Auch Rhodan hielt Nordment zurück.

»Du und deine ganze Familie gehört zurückgeschickt zu eurem Bostich-Bastard! Lasst Rosan doch endlich in Frieden! Sie will euch nicht«, brüllte Wyll in den Saal.

Die Kapelle hatte schon lange aufgehört zu spielen. Die Leute an den anderen Tischen verfolgten entsetzt das Geschehen.

»Beruhige dich, Wyll!«, forderte Holling energisch.

Der junge Terraner war jedoch völlig aufgebracht. Zhart und die beiden Naats stellten sich schützend vor den verletzten Attakus. Zwei Mitglieder des Sicherheitsdienstes kamen in den Speisesaal und umklammerten Wyll.

Rosan ging zu ihm und versuchte ihn zu beruhigen.

»Hör bitte auf. Damit machst du alles nur viel schlimmer, bitte, Wyll«, bat sie ihn eindringlich.

Nordment hörte endlich auf sie. Er gab seinen Widerstand auf.

Gaton ging auf den Ersten Offizier zu. Er hatte einen knallroten Kopf. Mit bebender Stimme sagte er: »Das wird ein Nachspiel haben, Nordment. In zehn Minuten sehen wir uns in der Kabine von Holling. Und nun, raus mit ihm!«

Die Wachen folgten seinem Befehl und brachten Wyll unsanft heraus.

»Es ... es ...«, versuchte Gaton zu sagen, doch die Leute waren noch viel zu laut und aufgeregt.

»Bitte etwas Ruhe!«, schrie Holling.

Die Leute wurden ruhiger.

»Danke ...«, begann der Hansesprecher, »Ich möchte mich für das, was passiert ist, entschuldigen. Wahrscheinlich ein Raumkoller.«

Er lachte glucksend. Die Situation war ihm schrecklich peinlich. Er gab der Kapelle wieder ein Zeichen und sie spielten einen mehandorianischen Schlager, dann wandte sich der Hansesprecher Attakus zu, der von einer Medoschwester behandelt wurde. Aus seinem linken Nasenflügel floss Blut.

»Es tut mir ja so unendlich leid«, versuchte sich Gaton zu entschuldigen.

»Du kleiner, terranischer Wurm ...«, begann Attakus zu fauchen und stieß die Medoschwester weg.

Spector legte seinen Arm auf Attakus Schulter.

»Sachte, mein Junge!«, beruhigte er ihn. Dann wandte er sich Gaton und Holling zu. »Dieser Nordment hat nicht nur Attakus persönlich angegriffen und die Ehre unserer Familie beschmutzt, er hat auch unser Imperium und den Imperator beleidigt. Dafür würde er auf Arkon exekutiert werden!«

»Wir sind aber nicht auf Arkon«, entgegnete Perry Rhodan.

»Schweig!«, knurrte ihn Spector an. »Ich fühle mich durch die Anwesenheit eines Renegaten belästigt. Diese Reise ist sehr schlecht für die terranisch-arkonidischen Beziehungen.«

Die Orbanashols gingen.

Gaton befahl einer Ordonnanz ihm etwas zu trinken zu bringen. Er leerte das Glas in einem Zug. Dann sah er zu Holling hinüber.

»Komm jetzt, Kommandant. Wir haben noch mit jemanden zu reden!«, befahl er erbost.

*

Vater Dannos näherte sich Rhodan. »Die Abende an Bord dieses Schiffes scheinen immer besonders interessant zu sein. Mal sehen, was uns morgen Abend beim Dinner serviert wird, mein Bruder!«

Rhodan schaute ihn entgeistert an. Er musterte den Priester, oder was Dannos auch darstellte, von oben bis unten. Dannos bedachte den Unsterblichen mit einem seltsamen Grinsen.

»Wie du meinst, Vati«, erwiderte Rhodan rasch.

Dannos ignorierte Rhodans Spott. Noch war es nicht so weit, die Masken fallen zu lassen. Für einen kurzen Moment, glaubte Dannos mit dem Kosmos zu kommunizieren. Von dort holte er sich Kraft. Diese Energie konnte nur ein wahrer, gläubiger Erleuchteter des Universums beziehen.

Nur wenige Wesen waren in der Lage, den Kosmischen Energieausgleich zu spüren und für die eigne Weiterentwicklung zu nutzen. In unzähligen Selbstversuchen mit seinem Bruder im Geiste, Grimm T. Caphorn, hatte er bewusstseinserweiternde Drogen von Apas genommen, bis sie endlich den Fluss des Energieausgleichs durch ihren Körper fühlen konnten. Er bedauert es, dass Caphorn nicht mit an Bord war, sondern seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte.

Schon bald würde sein perfekter Plan in Erfüllung gehen, ermutigte sich der Sektierer selbst. Der Aufstieg zu den Wesen hinter den Materiequellen lag vor ihnen. Dannos fühlte sich wie einst Moses. Auch der wollte sein Volk in das gelobte Land führen, fernab von den verständnislosen Unterdrückern ihrer Religion.

Und auch ein Perry Rhodan würde sehr schnell seinen Spott gegenüber den Kindern der Materiequelle verlieren. Doch noch war die Zeit dafür nicht reif. Allerdings handelte es sich nur noch um eine Frage von Tagen.

Dannos verabschiedete sich mit den Worten »Gehet in kosmischer Harmonie« von Perry Rhodan und Sam.

*

Wyll wurde von den beiden Sicherheitsbeamten in die Kabine von James Holling gebracht. Fünf Minuten später kam Gaton an, gefolgt von Holling.

Gaton setzte sich auf den Sessel von Holling. Er atmete immer noch schwer.

»Was hast du dir dabei gedacht, du Tölpel?«, wollte er wissen.

Wyll guckte betrübt auf den Fußboden. »Mister Gaton, es tut mir sehr leid. Ich weiß, dass ich im Grunde genommen falsch gehandelt habe.«

Seine Worte waren ehrlich gemeint.

»Im Grunde …?«, äffte Gaton ihm lauthals nach. »Dafür gibt es keine Entschuldigung! Keine!«

Nordment blieb ruhig. »Ich mag Rosan sehr. Das ist meine einzige Entschuldigung.«

Gaton lachte schrill auf. »Der ist bekloppt. Wir haben einen Schwachsinnigen als Ersten Offizier!«

Er stand auf und gestikulierte wild. Holling versuchte vergebens ihn zu beruhigen.

»Ein Hanseangestellter verliebt sich in eine arkonidische Adelige. Wie romantisch! Aber völlig fehl am Platz dieses Schiffes!«, fauchte der Hansesprecher.

»Es wird nicht wieder vorkommen!«

»Nein, da hast du recht! Das wird es nicht. Du bist gefeuert. Fristlos entlassen. Du wirst die Reise in einer Kabine der dritten Klasse fristen und ich gebe dir den persönlichen Rat, sie niemals zu verlassen!«

Wyll sah ihn verwundert an. »Das kann doch nicht wahr sein. Du weißt ganz genau, dass dieser Drecksack sie gedemütigt hat. James, bitte sag ihm, dass ich ein fähiger Offizier bin und du mich brauchst.«

Doch der Kommandant schüttelte nur den Kopf. »Ich habe dich gewarnt, Junge! Ich kann da auch nichts mehr tun.«

»Ganz recht!«, untermauerte Gaton das Urteil.

»Rudocc!«, rief er.

Damit meinte er den Zweiten Offizier der LONDON.

Er kam in die Kabine.

»Ja, Sir?«

Holling wandte sich ihm zu. »Ab sofort bist du der Erste Offizier. Wyll ist von seinem Posten enthoben.«

Rudocc blickte Wyll erstaunt an.

»Aber warum?«, wollte er wissen.

»Das erkläre ich später, du hast deine Befehle«, wehrte Holling ab.

»Jawohl«, entgegnete der neue Erste Offizier und verließ wieder die Kabine.

*

Nordment wurde gezwungen, seine Kombination abzugeben. Er tat dies nur sehr widerwillig, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Er wurde aus seiner bisherigen Kabine zu einem weit weniger luxuriösen Quartier in der untersten Etage gebracht. Diese befand sich direkt neben der Aufbewahrungshalle für die Haustiere der Passagiere. Die Kabine war vier mal vier Quadratmeter groß. Eine kleine Lichtquelle, ein Bett, ein Schrank und ein Tisch mit Stuhl bildeten die spärliche Einrichtung. Nicht einmal ein Anschluss für die Bordsyntronik war vorhanden.

»Na toll«, brummte Wyll resignierend, als er sich auf sein Bett setzte. Er vergrub sein Gesicht zwischen seinen Händen. Seine Karriere bei der Hanse war ruiniert.

Im Grunde genommen verfluchte er seine unüberlegte Tat. So konnte er Rosan auch nicht weiterhelfen. In seinen Augen hatte allerdings Attakus den Streit provoziert. Jedoch konnte Nordment wohl kaum von Arno Gaton Verständnis erwarten.

Er hörte draußen ein Stampfen.

Er öffnete die Tür und die zwei Naats standen ihm gegenüber. Er wich automatisch zurück.

Hinter den Naats tauchte eine weitere Gestalt auf. Es war Hermon da Zhart. Er musterte Wyll abfällig.

»Endlich bist du dort, wo du hingehörst«, frohlockte er mit großer Genugtuung und lief weiter. Er verstaute die Naats in ihren »Kabinen« und ging wieder zurück. Wyll starrte ihn an. Zhart blieb stehen.

»Gibt es noch etwas?«, fragte er.

»Ich gebe noch nicht auf, das kannst du deinem Herren ausrichten!«, drohte Nordment mit fester Stimme.

»Soso!«, machte Zhart. »Ist der junge Barbar immer noch unbelehrbar. Wie lange soll das noch so gehen? Bis zu deinem Tod?«

»Ich habe keine Angst vor euch Orbanashols«, wehrte Wyll mutig ab.

Zhart grinste arrogant. »Die solltest du aber haben.«

 

16. Die Kinder der Materiequelle

Es war Vormittag. Die Passagiere amüsierten sich auf den Decks.

Die Syntronik stellte die Temperatur höher, damit sich die Leute in den großen Swimmingpools vergnügten. Wer nicht in das kühle Nass hüpfte, sonnte sich auf der großen Terrasse. Eigens dafür, hatten die Ingenieure eine kleine Kunstsonne im Zenit der Kuppel installiert. Sie wirkte im Grunde genommen, wie die Bestrahlung in einem Solarium. Nur viel gewaltiger.

Vater Dannos lief mit seiner braunen Robe bekleidet auf dem Deck entlang und grüßte einige seiner Kinder, wie das Ehepaar der Arkyls. Herban Livilan Arkyl stand an der Bar und rubbelte sein Fell mit einem Handtuch trocken.

Seine Hiretta nippte an einem Cocktail, verzog das Gesicht und stellte demonstrativ das Glas mit dem gelben Schirmchen weg.

Rosan Orbanashol schlenderte am Deck entlang. Sie wollte auch gerne in den Swimmingpool und dort vergnügt planschen. Es war ihr jedoch nicht erlaubt. Eine Arkonidin durfte nicht mit dem gemeinen Volk in Kontakt treten. Es war verpönt, so viel Haut und Freude minderbemittelten Rassen gegenüber zu zeigen.

Seufzend gesellte sie sich zu den beiden Haspronern und Vater Dannos. Sie bestellte einen Rum-Vurguzz. Der dunkelhäutige Terraner ihr gegenüber starrte sie verwirrt an. Vurguzz allein war schon ein hartes Gesöff. Kombiniert mit vierzig prozentigem Rum, vermutete der Barkeeper, dass die blasse Arkonidin aus den Schuhen kippen würde.

Rosan war das egal. Am liebsten hätte sie sich schon aus Frust besinnungslos betrunken. Aber sie wusste haargenau, dass dies nur Ärger mit sich gebracht hätte.

Sie lächelte gequält den drei Kindern der Materiequelle zu und nahm zaghaft einen Schluck des Teufelsgemischs. Rosan stellte schnell fest, dass sie wohl etwas übertrieben hatte und bat den Barkeeper, das Getränk zu verdünnen.

Der hagere Terraner schüttelte amüsiert den Kopf und goss das Zeug weg. Anschließend mixte er Rosan einen Alaska Sunset Cocktail. Es gab unbestätigte Gerüchte, ein Unsterblicher hätte irgendwie an der Erfindung des Getränkes teilgehabt.

Aus den Lautsprechern erklang ein Lied von Zodiak Goradon, einem bekannten Sänger aus dem 35. Jahrhundert.

Sie kostete vom Cocktail, nahm kurz darauf einen kräftigen Schluck und starrte dann in das Glas hinein.

Vater Dannos verabschiedete sich von den Arkyls mit seiner üblichen Formel. Das haspronische Ehepaar wandte sich Rosan zu. Rosan blickte auf sie herab. Immerhin war sie knapp 25 Zentimeter größer als die beiden.

»Dieser Vater von euch ... was sagt seine Religion überhaupt aus?«, wollte Rosan neugierig wissen.

Hiretta erklärte der Orbanashol das universelle Weltbild der Bürger des Universums. Dannos wandelte demnach auf einem kosmischen Pfad, der ihm die Erleuchtung durch einen kosmischen Energieausgleich brachte. Er hatte begonnen, sich für wohltätige Zwecke zu engagieren und so seine Kinder der Materiequelle um sich gesammelt. Dannos war der festen Absicht, dem Zwiebelschalenmodell zu trotzen, indem er und seine Kinder in ein gelobtes Land reisen würden, wo sie den Weg zur Superintelligenz und später zum Kosmokraten antreten konnten.

»Oh«, machte Rosan und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, für wie bekloppt sie diesen Glauben hielt.

Herban lachte. Er richtete seine Brille und pochte mit dem Zeigefinger auf seine Stirn.

»Es geht nicht nur um den Glauben, sondern auch um das Wissen.«

»Und dafür bist du zuständig?«, kombinierte Rosan.

Herban nickte grinsend. Er führte aus, ehemals Syntroninformatiker gewesen zu sein, bevor er Dannos kennengelernt hatte. Beide verstanden sich auf Anhieb und beschlossen den Weg der Universellen Harmonie und des Kosmischen Energieausgleiches gemeinsam zu beschreiten.

Die Hasproner waren für ihr technisches Verständnis und ihren analytischen Verstand in der ganzen Milchstraße bekannt.

»Hältst du Dannos denn auch für deinen Vater oder für deinen Gott?«, erkundigte sich Rosan.

»Weißt du, es waren einmal ein paar Menschen, die bauten die komplexeste Syntronik und übertrugen sämtliches ihnen bekannte Wissen. Dann fragten sie ihn, ob es einen Gott gebe. Der Computer antwortete: jetzt schon.«

Herban lachte. Der sonst so brummelig wirkende Hasproner war heute gut aufgelegt. Rosan blickte ihn verständnislos an. Alle diese Kinder der Materiequelle schienen einen leichten Dachschaden zu haben. Die Arkyls verabschiedeten sich zu Rosans Erleichterung recht schnell.

Die Halbarkonidin blieb zurück und grübelte über ihre Verlobung mit Attakus nach. Natürlich dachte sie auch an ihn. Es war so romantisch, wie er sich für sie einsetzte. Doch es bereitete ihr ein schlechtes Gewissen, dass er Ärger wegen ihr bekommen hatte.

Sie seufzte und nahm wieder ein Schluck von ihrem Cocktail.

»He Baby!«, hörte sie jemanden hinter sich rufen.

Sie drehte sich um.

»Wie bitte?«, fragte sie verwirrt.

Ein Mann setzte sich neben sie. Es war dieser Tett Chowfor, noch einer von Vater Dannos Begleitern. Er war dick und unansehnlich. Seine Haare waren rot und fettig. Sein buntes Hemd war weit geöffnet. Rosan sah mehr, als sie jemals sehen wollte.

Nicht noch so ein Spinner, dachte sie genervt.

Sie hatte diesen Chowfor und seine Frau einige Male beobachtet. Er war ein Gigolo, der jeder Frau hinterher stieg. Seine Frau hatte damit offensichtlich ihre Probleme und schüttete pausenlos Vurguzz in sich hinein.

»Du sitzt hier so ganz allein, Zuckerpuppe. Wie kommt das?«

Rosans Mund öffnete sich vor Erstaunen.

»Hör mir genau zu: Ich bin eine Orbanashol! So redet man nicht mit einer Arkonidin, die dem Hochadel angehört. Bagger irgendeine andere an!«

Tett lachte. Anscheinend nahm er Rosan nicht ganz ernst oder hatte ein unendliches Vertrauen in seinen imaginären Charme.

Er bestellte einen doppelten Vurguzz und leerte das Glas in einem Zug. Mit seiner Zunge leckte er auffallend lasziv an der Unterlippe.

Während es ihn wohl anregte, erfüllte Rosan dieser Anblick nur mit Ekel. Plötzlich betatschte er ihren Oberschenkel. Schnell versuchte sie, Abstand zu gewinnen, doch dann packte er sie am Arm.

»He, Kleines! Ich weiß doch genau, wie gern du von einem echten Mann wie mir genagelt werden möchtest.«

Rosan versuchte sich zu befreien, doch es gelang ihr nicht.

»Also Puppe, in wessen Kabine wollen wir?«

»Die ehrenwerte Rosan Orbanashol wird wieder in ihre eigene Kabine gehen! Was dich betrifft, elender Bras’cooi, so wirst du in deine Kabine kriechen und dich nie wieder hier sehen lassen«, stellte jemand hinter den beiden fest.

Es war Hermon da Zhart. Hinter ihm standen die beiden Naats.

Chowfor schluckte. Er ließ Rosan sofort los, als die Naats in Ringerposition gingen. Die Halbarkonidin war zum ersten Mal froh, dass sie das grimmige Gesicht des ehemaligen Kristallagenten sah. Immerhin hatte Zhart mehr Manieren als dieser Chowfor.

»He, Freunde. Das war doch alles nur ein Gag. Alles okay!«, entschuldigte er sich.

»Ich assoziiere dich nicht als einen Freund. Falls du noch einmal die Absicht äußerst, die ehrenwerte Rosan Orbanashol zu nageln, werde ich dich höchstpersönlich an den Bug dieses Raumschiffes annageln, jedoch ohne Raumanzug. Haben wir uns verstanden?«, antwortete Zhart ruhig und gelassen.

»Ja, klar, alles klar!«, stammelte Chowfor rasch hervor. Dann stand er auf und wollte gehen.

»Einen Moment bitte«, rief Rosan.

Chowfor sah sie an.

»Was denn noch?«

»Könntest du dich bitte an den Rand des Swimmingpools stellen?«

Der Anhänger von Vater Dannos schaute sie verwirrt an. In seinem feisten Gesicht stand ein großes Fragezeichen.

»Oder soll ich die beiden Naats auf dich hetzen?«, wollte Rosan provozierend wissen, als er ihrer Bitte immer noch nicht nachkam. Schließlich tat er, was sie verlangte.

»Und zu was soll das gut sein?«, fragte er.

»Dazu!«, meinte Rosan und gab ihm einen heftigen Tritt.

Er verlor die Balance und platschte, sehr zum Amüsement von Rosan Orbanashol, ins Becken.

»Das reicht jetzt. Attakus erwartet dich«, forderte Zhart anschließend.

Sie verließen zusammen mit den Naats das Deck. Chowfor stieg japsend aus dem Becken. Hasserfüllt sah er den Arkoniden nach.

»Das wird euch noch leidtun. Schon bald tanzt ihr nach unserer Pfeife!«

 

Epilog

Vater Dannos blickte in die Runde.

Was er sah, war Entschlossenheit. Es macht ihn stolz. Seine Jünger waren bereit für ihre kosmische Aufgabe. Dannos nahm das kleine Fläschchen mit der blauen Flüssigkeit aus seiner Hemdtasche und öffnete es. Mit Genuss trank er das göttliche Wasser.

Die psychodelische Wirkung setzte sofort ein. Vor seinem geistigen Auge tanzten die Frauen mit den drei Brüsten auf Wolken. Über ihnen drehte sich die endlose Scheibe des Seins. Durch sie strömte das Licht und die Energie aller Multiversen.

Dannos nahm den Kosmischen Energieausgleich in Demut entgegen. Sein Geist und sein Körper wurden von der Macht des Kosmos durchströmt. Nun war er unverwundbar.

Er öffnete die Augen und sah zu seinen Brüdern und Schwestern der Materiequelle.

Craig Anbol entsicherte den Thermostrahler. Der kosmokratische Plan der Vollendung funktionierte. So wie es der Silberne Ritter aus der Sterneninsel Mordred vorausgesagt hatte, so trat es ein. Der Syntronikvirus hatte die Überwachungssysteme gestört. Die versteckten Waffen waren nicht entdeckt worden. Das Sicherheitsnetz der kosmischen Hanse vermochte dem Willen Gottes nichts entgegenzusetzen. Gott rief nach Vater Dannos, tief hinter den Quellen der Materie und des Seins.

Dannos lächelte zufrieden. Er breitete die Arme aus. Seine Kinder, seine Brüder und Schwestern, sollten die Kosmische Energie seiner Physis auch spüren. Und sie taten es.

»Es ist soweit«, sprach der Vater der Materiequelle. »Gehen wir hinaus und verkünden die frohe Botschaft, die da heißt: Die LONDON gehört nun uns!«

 

ENDE

 

 

Das modernste Luxusraumschiff der Milchstraße ist noch auf Kurs Richtung Andromeda. Perry Rhodan ist es gelungen, den Somer Sam für Camelot zu gewinnen. Doch Unheil droht von den Kindern der Materiequelle.

Die weiteren Ereignisse schildert Nils Hirseland in DORGON Band 5

DIE ENTFÜHRUNG DER LONDON

 

 

 

 

Kommentar

Am 5. Oktober des Jahres 1285 NGZ beginnt unsere Geschichte mit der Taufe eines Schiffes, wie es noch nie auf einer terranischen Werft gebaut wurde. Die LONDON, das neue Flaggschiff der Kosmischen Hanse, soll die Größe und den Anspruch der LFT auf eine Führungsrolle in der Milchstraße für alle Völker zum Ausdruck bringen. Der Erste Hansesprecher Arno Gaton hat dadurch seine Vision eines Raumschiffes, das alle Konventionen des Raumschiffsbaues durchbricht, gegen alle Widerstände verwirklicht. Die vorliegende Geschichte führt uns mitten in die Intrigen und Machtkämpfe einer Gesellschaftsschicht, die normalerweise weitgehend außerhalb der in der Erstauflage geschilderten Ereignisse bleibt und von Arroganz, Rassendünkel und grenzenloser Machtgier geprägt ist. Die Schönen und Reichen strömen in Scharen und folgen der Devise: sehen und gesehen werden. Alles scheint genau nach dem Drehbuch der in allen Networks der Milchstraße so beliebten Herz-Schmerzschnulzen zu verlaufen, einschließlich einer tränenreichen Liebesgeschichte, die die gesellschaftlichen Schranken zu durchbrechen scheint.

Aber, und das ist das Fazit dieses Romans, wir befinden uns eben nicht auf dem Set irgendeiner werbefinanzierten Glamour-Soap Produktionsstätte, sondern in der Wirklichkeit, – und die kann, selbst für die Reichen und Schönen des 13. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung, brutal und mörderisch sein.

*

Mit dem 4. Band der Neuausgabe der DORGON-Serie wird das Prequel zum Mordred-Zyklus in die Hauptserie integriert, in dem bereits nach dem »Silbernen Ritter« Cauthon Despair weitere spätere Hauptpersonen das schriftstellerische Licht der Welt erblicken werden. In den beiden LONDON-Bänden der ursprünglichen Fassung, bei denen schon damals Nils Hirseland als Autor zeichnete, kommt die Menschheit zum ersten Mal in Konflikt mit einer dunklen Macht, deren wahre Natur jedoch erst viel später nach und nach erhellt wird. Aber das wird Gegenstand der nachfolgenden Bände der DORGON-Serie sein …

Das Schicksal der LONDON-Kreuzfahrtschiffe wird uns dabei bis Band 10 beschäftigen, im ersten Teil der Saga (Band 4-7) wird Perry Rhodan im Mittelpunkt der Handlung stehen, während im zweiten Teil (Band 8-10) der »alte« Arkonidenadmiral diesen Part übernehmen wird.

Jürgen Freier

 

 

 

GLOSSAR

LONDON

Die LONDON ist nach ihrer Indienststellung 1285 NGZ das Flaggschiff der Kosmischen Hanse. Erste Studien für das »Schiff der Wunder« wurden bereits 1271 NGZ begonnen und mündeten in der Kiellegung des Schiffskörpers im Jahr 1273 NGZ.

Bedingt durch das außergewöhnliche Design, ist eine planetare Montage des Schiffskörpers nicht möglich, deshalb wird die LONDON komplett auf der SUSSIX-Werft im Orbit über der Erde zusammengebaut.

Die Kosmische Hanse hat das Projekt angeblich komplett in Eigenregie entwickelt. Alles sollte dabei »Made in Terra« sein, ein Anspruch, dem die Hanse jedoch in keiner Weise entsprechen kann. Arno Gaton übertrug die Projektleitung an ein Konsortium unter der Federführung von Shorne Industries, das aus einer Vielzahl von quer über die Milchstraße verteilten Unternehmen bestand.

Durch die LONDON soll das angeschlagene Image der Hanse verbessert und das Luxus-Kreuzfahrtschiff, als Träger einer neu entwickelten Marketingstrategie, dem alten Wirtschaftskonzern zu neuem Glanz verhelfen. Arno Gaton hoffte, dass der Erfolg der LONDON, den Kurs der Hanse-Aktien an den galaktischen Börsen in ungeahnte Höhen katapultieren und er schließlich zum »Manager des Jahrhunderts« gekürt werden würde.

Technische Daten

Länge: 1.600 Meter

Breite: 554 Meter

Höhe: 787 Meter

Antrieb: Metagrav-Triebwerk

Beschleunigung: 1.317 km/sec2

Überlichtfaktor: 79 Mio. Lichtjahre

Offensiv- und Defensivbewaffnung: 1 MHV-Geschütz am Bug, Paratronschutzschirm

Weitere Daten

Sternenhalle: 137 Meter hoch, ca. 430 x 430 Meter breit, tief.

Türme: 117 Meter (Turm A), 187 Meter (Turm B) 217 Meter (Turm C)

Besatzung: 1.200

Passagiere: 15.000

Die Crew der LONDON

Kommandant: Kapitän James Holling

1. Offizier: Wyll Nordment (Navigation)

2. Offizier: Evan Rudocc (Navigation)

3. Offizier: Garl Spechdt (Ortung)

4. Offizier: Bogo Prollig (Sicherheit)

5. Offizier: Mugaba Sparks (Kommunikation)

6. Offizier: Hostav Tablot (Bordarzt)

7. Offizier: High Gellar (Reserveoffizier)

Sonstige Besatzungsmitglieder

Kreuzfahrtmanagerin / Passagierbetreuerin: Terna Ambyl

Konstrukteur / Wissenschaftlicher Leiter: Alex Moindrew

Stellvertretender Sicherheitschef: Uto Lichtern

Design

Die LONDON ist einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff aus dem Zeitalter der Seeschifffahrt Terras Ende des 20. Jahrhunderts (siehe auch nachfolgenden Abschnitt) nachempfunden. Der Aufbau folgt dabei dem gleichen Prinzip, nach denen diese Schiffe konstruiert wurden:

Strikte Trennung der »einfachen« Besatzungsmitglieder von den (zahlungskräftigen) Passagieren.

Schon durch die Konstruktion des Schiffes sollte gewährleistet werden, dass die Superreichen unter sich bleiben konnten. Allerdings, und das wird in der Werbung als herausragendes Merkmal des neuen Flaggschiffes der Kosmischen Hanse herausgestellt, wird bei der Betreuung »menschlicher« Passagiere ausschließlich Personal eingesetzt, das dem lemurischen Genpool entstammt. Extraterrestrische Wesen werden nur für niedrige Arbeiten eingesetzt und kommen normalerweise mit den Passagieren nicht in Berührung. Nur bei der Betreuung von nichtmenschlichen Wesen wird dieses Prinzip durchbrochen, so ist beispielsweise ein Blue als Chefsteward für die Mitglieder des Forums Raglund zuständig.

Dabei befinden sich die Passagierkabinen oberhalb des Hauptdecks, während die gesamte Technik in den »Bauch« des Schiffskörpers verbannt wurde. Um den Eindruck eines »Sternenschiffes« zu verstärken, ist der gesamte, für Passagiere zugängliche Bereich, durch eine »Glasverkleidung« gegenüber dem Weltall abgeschirmt. Dieser Bereich ist mit einer Sauerstoffatmosphäre geflutet, sodass für die Passagiere der Eindruck entsteht, ohne Schutzkleidung auf Deck im freien Weltraum spazieren gehen zu können.

Als Juwel der gesamten Konstruktion kann jedoch das zentrale Foyer des Schiffes gelten, das hochtrabend als »Sternenhalle« bezeichnet wird. Bezeichnend ist, dass die gesamten Kabinendecks, die aufgrund der Preise ausschließlich für vermögende Passagiere infrage kommen, von dieser Halle ausgehen. Hier ist das kulturelle Zentrum des Schiffes, hier sollen geschäftliche Kontakte geknüpft und Milliarden und Abermilliarden von Galax kreuz und quer über die Milchstraße verschoben werden, immer auf der Suche nach den Planeten, wo der erzielbare Profit am höchsten ist.

Geschichte

Das Design der LONDON geht auf Vorstellungen zurück, die Hansesprecher Arno Gaton während seines Studiums an der Intergalactic School of Economy in der alten Handelsmetropole London auf Terra entwickelte. Gaton war fasziniert von der Eleganz und dem Design alter Jachten und Kreuzfahrtschiffe aus dem Prä-Raumfahrtzeitalter seines Heimatplaneten. Er durchstreifte in seiner Freizeit die Museen Londons und begann sein »Traumschiff« als stilisierten Nachbau der alten Schiffe zu skizzieren. Nachdem die väterlichen Kapitalanteile ihm seinen raschen Aufstieg innerhalb der Hierarchie der Kosmischen Hanse ermöglichten, suchte er nach Wegen, seinen Jugendtraum zu verwirklichen. In der Person des genialen, aber als völlig verschroben geltenden Ingenieurs und Physikers Alex Moindrew fand er den Konstrukteur, der bereit war, sich über alle Prinzipien und Erfahrungswerte des modernen Raumschiffsbaues hinwegzusetzen. Zusammen mit Moindrew entwickelte der Hansesprecher eine Designstudie, mit der er auf Terra nach weiteren Investoren suchte, lange vergeblich, da das ambitionierte Projekt jeden finanziellen Rahmen zu sprengen drohte.

Erst als er 1272 NGZ in Kontakt mit dem mashratischen Machthaber Oberst Kerkum kommt und während einer »Vergnügungsreise« nach Mashratan dem terranischen Wirtschaftsmagnaten Willem Shorne vorgestellt wird, wendet sich das Blatt. Shorne ist an dem Projekt äußerst interessiert und verspricht, genügend Risikokapital zur Finanzierung des »Monuments terranischer Genialität« lockerzumachen. Doch die immensen Entwicklungskosten brachten die Hanse an den Rand des finanziellen Ruins. In dieser Situation war es wieder Shorne, der Gatons Kopf rettete, indem er seine Verbindungen zur politischen Führung der LFT unter dem Ersten Terraner Medros Eavan spielen ließ, der dann das Konzept eines völlig neuartigen Kreuzfahrtschiffes zum Prestigeobjekt der Liga erklärte und die Hanse durch großzügige Kredite vor dem Ruin bewahrte. Gleichzeitig warb er unter den Großindustriellen, die seiner Regierung nahestanden, dafür, sich am Bau der LONDON finanziell zu beteiligen.

Damit war die einst von Perry Rhodan als Garant der politischen Einheit und Instrument der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Völker der Milchstraße gegründete Kosmische Hanse endgültig zu einem rein terranisch geführten Konzern geworden, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass das HQ-Hanse seit Buddcio Grigor zum Sitz der Regierung der LFT geworden war.

In den folgenden Jahren wird das Projekt des »Schiffes ohne Beispiel« mit der Unterstützung Eavans und der hinter ihm stehenden Kreise forciert und Gaton beginnt endgültig seinen Aufstieg, der schließlich in seiner Wahl zum Ersten Sprecher der Hanse enden sollte.

1285 NGZ glaubt sich Gaton am Ziel seiner Träume, der erfolgreiche Stapellauf und der ausverkaufte Jungfernflug der LONDON scheint alle Hoffnungen zu erfüllen und die Hanse wieder zu einem respektablen und erfolgreichen Unternehmen zu machen.

Arno Gaton

Arno Gaton ist im Jahre 1285 NGZ der Erste Sprecher der Kosmischen Hanse und somit das wichtigste Vorstandmitglied des intergalaktisch agierenden Konzerns. Gaton wurde 1191 NGZ auf Terra geboren. Er studierte an den besten Universitäten Betriebswirtschaft und Sozioökonomie und promovierte als Master of Science mit seiner Doktorarbeit »Galaktische Makroökonomie – der Weg zu realem Wirtschaftswachstum und wachsendem Wohlstand in der Milchstraße«.

Nach dem Tod seines Vaters erbte er dessen Aktien und wurde als Hansesprecher Mitglied des Vorstandes. Gaton schleimte sich die Etagen hoch und schreckte auch vor dubiosen Machenschaften nicht zurück. Er galt als der Hauptverantwortliche für die zusammen mit dem mashratanischen Machthaber Oberst Kerkum erfolgte ökonomische Ausbeutung unterentwickelter Planeten. Er überstand diese Krise jedoch dank seiner guten Beziehungen zur Führung der LFT und wurde zum Ersten Hansesprecher gewählt.

Gatons persönliche Vision war die LONDON, die im Jahre 1285 NGZ fertiggestellt wurde.

Attakus Orbanashol

Attakus Orbanashol wurde 1255 NGZ auf Arkon I als Mitglied des arkonidischen Hochadels geboren. Er hat langes, wallendes weißblondes Haar, ist schlank, durch-trainiert und 1,85 Meter groß.

Dem reichen Sohn eines Orbanashol fehlte es an nichts. Er besuchte die besten Schulen und schloss Freundschaft mit den Jenmuhs-Zwillingen. Zusammen mit den Zhdopanda genoss Attakus alle Freuden und Vorzüge der arkonidischen Elite. Sein Interesse gilt hauptsächlich sich selbst, – Gleitern, Partys und Frauen.

Obwohl es ihm an Angeboten und Gelegenheiten nicht mangelt, hat er sich in die Stieftochter seines Onkels Spector verliebt. Attakus sucht deshalb den Kontakt zu Spector und arbeitet als Vorstand in dem Unternehmen seines Onkels.

Attakus hat wenig Interesse an Politik und der Arbeit generell. Dennoch sieht er den Arkoniden als die Krönung der Schöpfung und ist stolz auf das Kristallimperium.

Wyll Nordment

1262 NGZ geboren, Terraner (USA), 1,75 Meter, braunes, halblanges Haar, blaue Augen, Überflieger aber Prinzipientreu.

Nordment war bei der Indienststellung der LONDON erst 22 Jahre alt und doch hatte er mit viel Ehrgeiz und Geschick die Ausbildung zum Navigator bereits hinter sich gebracht. Vielleicht hatte er in Holling auch nur den besten Lehrer gehabt, sinnierte der Plophoser mit einer gewissen Selbstironie.

Wyll hatte es in seinen jungen Jahren nicht leicht gehabt. Er war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und musste mit 15 Jahren schon den Tod seines Vaters verkraften. Es hatte die Familie auseinandergerissen. Der Kontakt zu seiner Mutter war abgebrochen und Wyll hatte sich als Tagelöhner zwei Jahre lang quer durch die LFT durchgeschlagen. Als er genügend Geld gesammelt hatte, schrieb er sich an der Hanseakademie ein. Dort war Holling dem jungen Terraner begegnet und hatte sich seiner angenommen. Wyll war jemand, der einen starken Willen besaß und etwas unbedingt erreichen wollte, wenn er es sich vorgenommen hatte. Und dennoch war Nordment kein rücksichtsloser Karrieretyp. Er hatte einen ausgeprägten Charakter und vertrat seine Prinzipien. Und überdies war er ein exzellenter Navigator und verstand sich blendend mit der Crew.

James Holling

Plophoser, 175 Jahre alt (1110 NGZ geboren), kurz vor der Pensionierung, diente früher sogar im Monos-Krieg auf der QUEEN LIBERTY als Leutnant. Nach dem Ruhestand bei der LFT wurde Holling Ausbilder und Kommandant diverser Raumschiffe in der Kosmischen Hanse.

Holling ist ein freundlicher, älterer Mann, dem bewusst ist, dass er bald in den Ruhestand muss. Trotz seiner sympathischen Art hat er einige verschrobene Ansichten, so zum Beispiel, dass Frauen nichts auf der Kommandobrücke eines Raumschiffes zu suchen haben. Seine Fähigkeiten liegen nicht unbedingt im technischen Bereich, insbesondere für den Aufbau und die Funktionsweise von Syntroniksystemen hat er sich nie besonders interessiert. Sein Motto lautet hier: Hauptsache sie funktionieren und tun, was man ihnen sagt.

 

Beschreibung: C:\Users\Juergen\Documents\PROCeBook77x48.pngDas DORGON-Projekt – Mordred-Zyklus – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.

Special-Edition Band 4, veröffentlicht am 15.12.2011 • Autor: Nils Hirseland • Titelillustration: Raimund Peter • Lektorat: Jürgen Freier, Jens Hirseland und Thomas Gruber • Layout: Jürgen Seel • Internet: www.proc-community.de • E-Mail: info@proc-community.de • Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf • Copyright © 1999-2011 • Alle Rechte vorbehalten