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D O R G O N

Fan-Projekt des Perry Rhodan Online Clubs

 

MORDRED-ZYKLUS

Band 3

 

Nils Hirseland

Titelbild von Gaby Hylla

 

Der Silberne Ritter

Der Sohn des Chaos erfüllt seine Bestimmung

 

Was bisher geschah

Im Jahre 1277 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist die Situation in der Milchstraße angespannt. Die Liga Freier Terraner, das Kristallimperium Arkon und das Forum Raglund sind die wichtigsten Machtblöcke in der Galaxis. Sie misstrauen einander und die Völkergemeinschaft des Galaktikums ist zerstritten.

Die Zellaktivatorträger unter Perry Rhodan haben sich auf die ehemalige Freihändlerwelt Phönix zurückgezogen und die Organisation Camelot gegründet.

In dieser argwöhnischen Zeit wächst ein kleiner Junge auf, dessen Geburt vor etwas mehr als zwölf Jahren für Aufsehen sorgte. Seine Eltern und ihre Mitstreiter – ein Wissenschaftlerteam von Camelot – wurden brutal ermordet. Das war Teil eines Plans, denn der Junge soll ein Sohn des Chaos werden. Sein Schicksal ist es, der Silberne Ritter zu werden …

Hauptpersonen

Cauthon Despair – Ein besonderer Junge wird zum Silbernen Ritter.

Perry Rhodan – Der Zellaktivatorträger verliert einen Freund und hat einen neuen Feind.

Zantra Solynger – Die Cameloterin wird zu Cauthon Despairs ersten großen Liebe.

Oberst Ibrahim el Kerkum – Der Herrscher über Mashratan stellt die Weichen für die Mordred.

Wirsal Cell – Der Ausbilder an der Raumakademie Port Arthur wird immer mysteriöser.

 

 

 

 

Prolog

Der 17. November 1275 NGZ begann mit einer tragischen Nachricht. Der wohlhabende und anerkannte terranische Unternehmer Glaus Mulltok war tot. Er starb bei einem Gleiterunfall auf Arkon. Mulltok, der gerade erst in diesem Jahr lukrative Geschäftsbeziehung mit der Handelsorganisation TAXIT eingegangen war, hinterließ seine arkonidische Frau Thorina und seine zehnjährige Tochter Rosan.

Die Aktienkurse der Glaus Mulltok Arkon & Terra Cooperation gingen an diesem Tag in den Keller. Sein Tod war nicht nur ein tragisches Einzelschicksal einer Familie, er hatte weitreichende Konsequenzen für die Mitarbeiter und die Politik der Firma. Mulltok galt als ein Mann, der Arkon und Terra verband. Nicht nur war seine Familie terranisch-arkonidisch, sondern er versuchte den »Kalten Krieg« zwischen den beiden Großmächten, ein wenig zu deeskalieren. Sein Kontakt zum Projekt Camelot, der Organisation der Zellaktivatorträger unter der Ägide von Perry Rhodan, hatte ihm jedoch viel Kritik von beiden Seiten eingebracht.

Perry Rhodan bekundete in einem Communiqué sein tiefstes Beileid und beschrieb Mulltok als einen mutigen Mann mit Ehre und Anstand.

Das Jahr neigte sich dem Ende zu und ich feierte mit meinem Bruder Borrom, meiner Schwägerin Anne-Lee und der kleinen Nataly das Weihnachtsfest in meiner Villa. Es war ein frohes Fest. Ich hatte meine Bediensteten und ihre Familien ebenso eingeladen.

Einige Tage später traf ich eher zufällig bei einem Studienbesuch in Rom einen ehemaligen Schüler namens Roland Kreupen. Vor vielen Jahren hatte ich in der Kunstakademie in Terrania City unterrichtet. Das war auch ein Grund gewesen, wieso ich später auf Terra sesshaft geworden war. Die Reisen zwischen Lingora und Terra waren zu zeitaufwendig und strapaziös gewesen.

Doch in letzter Zeit hielt ich weniger Vorträge und unterrichtete nur noch als Gastdozent an der Kunstakademie. Ich widmete mich lieber der Schreiberei.

Der untersetzte und schüchterne Junge war zu einem Mann herangewachsen, der einen Verwaltungsposten im Außenministerium übernommen hatte.

Kreupen seufzte über seine Arbeit. Es war die übliche Story eines gestressten Arbeitstages. Er deutete an, eng mit dem Terranischen Liga Dienst zusammenzuarbeiten. Jedoch wollte er mir keine weiteren Auskünfte geben. Eine Agentengeschichte wollte ich schon immer schreiben. Leider verlor sich der Kontakt wieder sehr schnell, da Kreupen nach Terrania City versetzt wurde.

Die kalten Wintermonate hatten zwar ihren romantischen Reiz, doch ich freute mich auch wieder auf den Frühling. Anfang März 1276 NGZ überraschte mich eine Meldung aus Arkon.

Spector Orbanashol heiratete die Mulltok Witwe Thorina. Damit ging das Erbe als auch der Aktienanteil in die Hände von Orbanashol. Darauf kam es den Arkoniden wohl an, denn die Aktien waren seit Monaten auf Talfahrt gewesen. Nach der Heirat und der Fusion von Glaus Mulltok Arkon & Terra Cooperation mit der »Für Arkons Macht und Wirtschaft« stiegen die Kurse prompt.

Wenige Tage später verkündeten die Medien eine Kooperation mit dem Planeten Mashratan. Die Handelsbeziehungen zur TAXIT hingegen kündigte das Unternehmen unter großem Jubel der terranischen und arkonidischen Presse auf.

Die Antipathie gegenüber Perry Rhodan, Atlan und ihre Gefährten war noch immer sehr groß. Zumindest redeten uns das die Medien und Regierungen ein. Ich bezweifelte, dass ein intelligenter Bürger Terras tatsächlich eine Antipathie gegen Perry Rhodan hegte.

Mashratan! Wieso trieben die LFT und das Kristallimperium nur mit solchen Systemen Handel? Oberst Ibrahim el Kerkum war ein Despot, wie er im Buche stand. Das Volk wurde unterdrückt oder lebte teilweise auch freiwillig in einer archaischen Welt ohne Aufklärung.

Weiß Gott, ich hatte nichts gegen die Religionen. Im Bundesstaat Italien war Religion wichtig und die Gespräche mit dem Papst in Rom hatte ich als angenehm empfunden. Gleiches galt für meine Begegnungen mit muslimischen, hinduistischen und besonders buddhistischen Geistlichen. Es war aber auch nicht mit Mashratan zu vergleichen. Religion als auch Staat beschnitten die Freiheit der Mashraten und schränkten ihre Gedanken ein.

Die Reformen durch Perry Rhodan im ersten Jahrhundert NGZ waren nach der Monos-Ära endgültig gescheitert. Es kümmerte auf den modernen und freien Welten jedoch auch kaum jemand. Das Mashritun-System war reich an Hyperkristallen und die Planeten bargen viele weitere wichtige Rohstoffe. Jeder wollte etwas von dem Kuchen abhaben, deshalb akzeptierten Regierungen, Wirtschaft und Medien den Despoten und die »kulturellen Besonderheiten« dieser Welt.

Freilich hatte jede Welt ihr Recht, sich selbst zu bestimmen. Aber gab es nicht gewisse moralische Grundsätze und Grundrechte, die für jedes Intelligenzwesen in dieser Galaxis gleichermaßen gelten sollten?

Solche philosophische Diskussionen waren jedoch in der heutigen Zeit nicht gerne gesehen. Ich hatte vor kurzem einen Disput mit dem Trivid-Sender Terra Eagle One, weil ich in einer Nachbetrachtung die Thesen des Moderators Bekket Glyn verurteilt hatte. Dieser Mann predigte seit einigen Jahren gegen Extraterrestrier, Anhänger von Perry Rhodan und Sozialromantiker, wie er sie nannte.

Zum einen hatte ich ihm vorgehalten, seinen Beruf als Moderator zu missbrauchen, um seine Ideologien unter das Volk zu mischen, zum anderen war es nur dummes Geschwätz was dieser Typ wollte, dessen Chefintendant Guy Pallance übrigens hervorragende Kontakte zu Willem und Michael Shorne sowie den Jenmuhs-Brüdern und den Orbanashols unterhielt.

Es war nicht verwunderlich, dass Glyn deshalb in seinen Shows Welten wie Mashratan lobte und Oberst Kerkum als aufrechten Patrioten und Menschenfreund bezeichnete. Sowieso malte Bekket Glyn ein düsteres Szenario und drohte mit einer Apokalypse, sofern sich die Abkömmlinge der Lemurer nicht gegen das »Bluestum« und andere »gefährliche Nichthumanoiden« zusammenschlossen. Nach Glyns Ansicht würde bald an jeder Straßenecke, in jedem Garten und in jeder Wasserpfütze ein krimineller Blues hocken.

Nachdem ich ihm sachlich meine Ansicht dargelegt hatte, hatte mich Glyn in seiner nächsten Show als linguidische Schlangenzunge und kommunistischen Agenten der »rhodanistisch-bluesschen« Front bezeichnet. Ich wusste gar nicht, dass so etwas überhaupt existierte.

Mein Wunsch mit Perry Rhodan in Kontakt zu treten, wurde jedoch immer größer. Ich wollte den berühmten Mann kennenlernen, der in meinen Augen als Erster den Titel »Erster Terraner« verdient hätte. Ich ließ nun meine Beziehung spielen, um Kontakte zu den Camelot Büros auf Terra zu knüpfen.

Am 28. Juni 1276 NGZ bekam ich Besuch von einer attraktiven Frau. Sie trug ihr dunkles Haar lang und sah mich freundlich mit ihren braunen Augen an. Ihr Name war Gazh Ala Nagoti el Finya. Sie sendete Grüße von Camelot.

Es dauerte einige Wochen, ehe die junge Dame erneut auftauchte. Wir unterhielten uns und knüpften Vertrauen zueinander. So erfuhr ich, dass sie vom Planeten Mashratan stammte, dort jedoch auf Initiative eines kleinen Jungen, von Perry Rhodan und Gucky gerettet wurde. Ihre Schilderung der Unterdrückung der Frauen und der Freiheit im Allgemeinen schockierten mich.

Es war interessant, ihren Darstellungen zuzuhören. So berichtete sie außerdem, dass Glaus Mulltok, die Shornes, Uwahn Jenmuhs und Spector Orbanashol dort gewesen waren. Offenbar waren auf Geheiß der beiden Arkoniden, Rosan Mulltok und der junge Cauthon Despair entführt worden.

Ich erinnerte mich wieder an eine Meldung, die ich von meinem Gönner aus Camelot vor einigen Jahren über das Ableben einer ganzen Raumschiffs-Crew erhalten hatte. Der kleine Cauthon Despair war als Säugling der einzige Überlebende gewesen.

Der Tod von Glaus Mulltok erschien mir noch mysteriöser. Oder ergab es Sinn? War es gar kein Unfall gewesen, sondern ein eiskalt geplanter Mord?

Gazh Ala und ich hielten losen Kontakt. Ich musste offenbar erst einmal überprüft und getestet werden. Der Sitz von Camelot war geheim und Rhodan wollte es dabei belassen. Ich schrieb Perry Rhodan einen langen Brief und sprach darin auch über meine seltsame Erscheinung im Jahre 1263 NGZ, als mich ein alter Mann im Traum aufgefordert hatte, Kontakt zu Camelot herzustellen. Leider war neben meinem Gönner und alten Bekannten Homer G. Adams, der sich jedoch sehr selten meldete, Gazh Ala mein einziger Kontakt zu Camelot.

Vielleicht würde sich Perry Rhodan ja eines Tages doch noch bei mir melden.

Aus den Chroniken

Jaaron Jargon

 

1. Enttäuschungen

Wir schrieben den 17. November 1276 NGZ. Es war ein trauriges Datum, denn seit einem Jahr hatte ich nichts mehr von Rosan gehört. Sie hatte aufgehört, mir Hypernachrichten zu schicken.

Ich wusste, dass ihr Vater gestorben war, doch das war nun ein Jahr her. Ich verstand ihre Trauer. Jedoch nicht, wieso sie jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich war doch nicht schuld daran. Wieder einmal war ich enttäuscht worden.

Auch Gazh Ala meldete sich nur sehr selten bei mir. Ich dachte, ich wäre ihr kleiner Ritter? Aber seitdem sie auf Terra lebte, war ich offenbar in Vergessenheit geraten.

Eineinhalb Jahre nach meinem Abenteuer auf Mashratan war ich wieder derselbe unbedeutende, ungeliebte Junge wie vorher. Auch Perry Rhodan hatte sich kaum noch gemeldet. Es hieß, er war mit diesem oder jenem beschäftigt. Ich war nur noch Luft für alle!

Tante Ivy und Onkel Tuzz waren so lieblos und oberflächlich wie eh und je. Es hatte sie nach meiner Rückkehr ja nicht einmal interessiert, was ich erlebt hatte.

Nur Robbie war für mich da. Er war mein einziger Freund. Mein alter, kugelförmiger Servo- und Haushaltsroboter machte mir Mut. Doch es wurde immer schwieriger. Ich hasste die Schule und mein Leben. Ich fühlte mich bedeutungslos. Ach, könnte ich doch sofort zur Akademie wechseln. Ich hatte Wirsal Cell gefragt, doch er hatte nur gemeint, ich müsste eben den normalen Schulweg beschreiten. Ich hatte das Gefühl, dass Cell, Rhodan und Gucky von mir nur noch genervt waren, weil ich Kontakt mit ihnen haben wollte. Ja verstanden sie denn nicht, dass ich sie mochte und brauchte? Was hatte ich denn sonst außer ihnen und Robbie?

Wieso mochte mich eigentlich keiner? Ich dachte, das sei alles überwunden gewesen, doch so abrupt wie mein Leben damals auf Mashratan einen Sinn bekommen hatte, so hatte es nun keinen mehr. Würde überhaupt jemand Notiz davon nehmen, wenn ich tot war? Ich war doch nur eine Belastung für alle. Vermutlich würden sie sich innerlich sogar freuen.

»Cauthon, es ist Zeit. Du kommst sonst zu spät«, ermahnte mich Robbie.

Ich sah auf mein Chronometer und seufzte. Ja, es war wieder einmal Zeit für die Schule.

In der Schule hatte sich nichts verändert. Ich war immer noch das beliebteste Opfer für üble Scherze, Hänseleien und hier und da auch einmal einen Tritt. Für ein halbes Jahr nach meinem Abenteuer auf Mashratan war es ruhiger gewesen, doch danach waren meine ach so tollen Klassenkameraden wieder in ihre alten Gewohnheiten verfallen.

Natürlich allen voran Aleks Shyff und Krizz Hypp.

Sie hetzten die anderen auf und machten sich in jeder Pause über mich lustig. Die Schule war inzwischen die reinste Hölle für mich. Penetrant und gemein nutzten sie jede meiner vermeintlichen Schwächen aus, um sich Scherze zu erlauben.

Robbie konnte sich das immerhin nicht mehr mit ansehen. Er brachte mich nun immer zur Schule und holte mich auch wieder ab, damit ich nicht auch noch auf dem Heimweg von denen tyrannisiert werden würde.

Eigentlich wäre das die Aufgabe von Onkel Tuzz und Tante Ivy gewesen, doch die schafften es ja nicht einmal, mir ein Pausenbrot zu schmieren. Ich atmete tief durch, während wir die Straße Richtung Schule entlang gingen. Ich hatte keinen Blick für die Gebäude, Gärten oder vorbeizischenden Gleiter. Ängstlich starrte ich der Schule entgegen. Das unheilvolle Gebäude war aus der Ferne bereits an den drei hohen, rotgrauen Trichtertürmen zu erkennen.

Mit jedem Schritt wuchs meine Angst. Was ließen sich meine verhassten Klassenkameraden wieder einfallen, um mich kaputtzumachen? Sie genossen es. Doch ignorierte ich sie, war es auch nicht besser. Sie machten solange weiter, bis ihre Schikanen Wirkung zeigten.

»Hab keine Furcht, Cauthon! Irgendwann werden diese Narren aufhören, dich zu hänseln«, versprach Robbie. »Konzentriere dich auf den Unterricht, höre ihnen nicht zu und freue dich darauf, wenn ich dich abhole.«

Ich nahm mir den Ratschlag von Robbie zu Herzen. Während der gesamten Schulstunden ließ ich die Gemeinheiten von Aleks und Krizz an mir abprallen. Es kümmerte mich nicht. Im Unterricht ging es, doch die Pausen waren das Schlimmste. Meine Lehrer verstanden es nicht und wunderten sich immer darüber, dass ich allein und abseits auf dem Pausenhof stand. Sie gaben offenkundig mir die Schuld daran und sahen mich als Sonderling an, der sich nicht in die Klassengemeinschaft einfügen wollte. War auch klar, dass sie nicht auf meiner Seite waren.

Endlich war die Schule vorbei und ich stürmte hinaus. Robbie erwartete mich bereits und winkte mit seinem rechten Greifarm. Ich eilte zu ihm und drückte ihn. Für einen kurzen Moment wankte der Roboter ein wenig von links nach rechts, dann hatte er wieder sein Gleichgewicht gefunden.

»Na, Clothon«, rief Aleks Shyff hinter uns.

Er und Krizz Hypp folgten uns. Was sollte das? So dreist waren sie ja noch nie gewesen.

Krizz holte auf und stand neben mir. Plötzlich rempelte er mich an. Ich krachte unsanft zu Boden. Die beiden lachten.

»Verschwindet, ihr Giftzwerge!«, schnarrte Robbie.

Er streckte seinen Greifarm aus und half mir hoch. Ich klopfte den Schmutz von meiner Hose und Jacke.

Doch die beiden zeigten sich wenig beeindruckt. Sie lachten den Roboter aus. Erneut packten sie mich, doch diesmal griff Robbie ein. Seine Greifarme erhaschten die beiden am Kragen. Er hob sie einen Meter in die Höhe und ließ sie fallen.

»Jetzt wisst ihr, wie sich das anfühlt. Geht nach Hause, lernt und lasst Cauthon ein für alle Mal in Ruhe«, forderte Robbie.

Ich hob drohend die Faust.

»Genau!«, rief ich.

Dann bat ich Robbie, so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Wir sollten es nicht übertreiben.

*

Der nächste Tag war definitiv der Schlimmste in meinem bisherigen Leben. Ich verließ das Haus bereits mit einem unguten Gefühl. Ich fürchtete die Rache von Alks Shyff und Kriz Hypp.

Und ich behielt recht. Sie lauerten uns an einer Ecke auf. Ein Energiestrahl zuckte aus der Seitengasse und traf Robbie. Dünne, blaue Blitze zuckten über das Metall. Dann sackte Robbie zu Boden.

»Nein!!!«, schrie ich.

Da packte mich schon Krizz und zog mich in die Gasse. Er presste mich gegen die feuchte Wand und spuckte mir ins Gesicht.

»Hilf mir, das Ding ist schwer«, rief Aleks, der sich an Robbie zu schaffen machte.

Kriz boxte in meinen Magen. Mir blieb die Luft weg. Ich sackte auf die Knie, doch mein Blick war auf Robbie gerichtet. Krizz rannte zu Aleks.

»Schnell, schnell, bevor jemand etwas sieht«, sagte Krizz.

Die beiden hoben Robbie an und trugen ihn in die Gasse. Sie lachten und freuten sich über ihre Tat.

Robbie! Was hatten sie dir nur angetan?

»Du kommst dir wohl toll vor, wenn dein Roboter uns rumschubst. Jetzt zeigen wir dir mal, wer echte Macht hat«, blubberte Aleks und trat gegen das metallische Gehäuse von Robbie.

Krizz beugte sich herab und öffnete die Wartungsklappe. Er zückte wieder den Strahler. Woher hatte er nur diese Waffe? Er war ein Kind und durfte doch so etwas gar nicht besitzen.

»Lass mich«, forderte Aleks und wollte nach dem Strahler greifen, doch Krizz zog ihn zurück.

»Finger weg. Du machst ihn noch kaputt und dann kriege ich Ärger mit Daddy. Wenn der erfährt, dass ich ihm das Ding geklaut habe, kriege ich eine Tracht Prügel.«

Krizz hielt den Strahler in den Wartungsschacht und drückte ab. Funken sprühten, das Metall erhitzte sich und Rauch quoll aus Robbie heraus.

»Nein, lasst ihn in Ruhe«, rief ich, stand auf, doch Aleks trat mir in die Beine. Er setzte sich auf mich, packte mich am Schopf, sodass ich den Mord an Robbie mit ansehen musste.

Mit einem sadistischen Grinsen schnitt Krizz mit dem Strahler einmal um Robbie herum, bis die Halterung vom Oberteil abfiel. Aleks verpasste mir einen Schlag in die Seite. Dann rannte er zu Robbie, trat die Chips, Platinen und Boards aus dem Körper des Roboters heraus und trampelte darauf herum. Danach schoss Krizz darauf, bis alles zu einem verschmorten Einheitsbrei wurde. Auch vor der bionischen Komponente machten sie nicht halt.

Zum Abschied gaben sie mir lachend noch einmal einen Tritt und rannten davon.

Ich weinte!

Sie hatten Robbie zerstört. Er lag vor mir in seinen Einzelteilen. Verschmort, zerstrahlt, glühend und qualmend. Das war doch ein böser Albtraum. Das geschah nicht wirklich. Das durfte nicht sein!

Robbie!

Robbie war tot.

Mein einziger Freund war tot. In diesem Moment wünschte ich mir nur, ich wäre auch tot.

*

»Wer hat das getan?«, fragte das tellerköpfige Wesen mit schriller Stimme und legte seine sechsgliedrige Hand auf meine Schulter.

Ich schluchzte nur, hielt die Überreste von Robbie in der Hand.

»Du bist verletzt. Wir müssen dich versorgen. Bei allen Kreaturen, wo wohnst du?«, wollte der Jülziisch wissen.

Ich musterte den Blue, der mich mit seinem vorderen Augenpaar anstarrte. Der Kopf wippte auf dem dünnen Stielhals leicht von links nach rechts.

»Kannst du Robbie reparieren?«, fragte ich nur.

»Ich? Ich bin doch nur der Muurt-Wurmhändler von Gegenüber. Das müsste sich ein Kybernetiker ansehen. Soll ich dich nicht lieber nach Hause bringen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Robbie muss repariert werden. Mach ihn bitte wieder heil.«

Der Jülziisch half mir hoch und brachte mich in seinen Muurt-Wurmladen. Überall krabbelten die Viecher in transparenten Schachteln vor sich hin. Der Blue rief einen Techniker. Wenige Minuten später hielt ein Gleiter.

Ein weiterer Blue stieg aus. Auf seiner Schulter saß ein Swoon. Die gurkenförmigen Wesen von kleiner Gestalt galten als begnadete Mikrotechniker in der Galaxis.

»Günülly, was gibt es denn?«, fragte der Jülziisch seinen Artgenossen. Dieser wedelte mit beiden Armen.

»Ach, der kleine Junge hier ist völlig verstört. Offenbar hat jemand seinen Roboter kaputtgemacht. Ich dachte, dass du und Sycco mal danach sehen könnt.«

Die beiden Extraterrestrier blickten mich an. Vermutlich war es ein mitleidiger Blick. Ich ging zu ihnen.

»Bitte! Helft Robbie, er ist krank.«

»Gib dir einen Ruck, Yüsserk«, forderte Günülly.

Der andere Blue stimmte schließlich zu. Wir alle gingen über die Straße in die Seitengasse.

»Du meine Güte, da hat jemand ganze Arbeit geleistet. Die Speicher sind verschmort, die bionische Komponente zerstrahlt. Soviel mutwillige Zerstörung ist mir selten untergekommen«, erklärte der Swoon.

Er kletterte am Blue herunter und ging zu mir. Ich beugte mich herab. Er legte seine kleinen Hände auf meine Knie.

»Tut mir wirklich leid, kleiner Mann, aber sofern kein Backup von Robbies Speicher existiert, ist er kaputt. Wer immer das getan hat, wusste, wie man einen Servoroboter zerstört. Ich kann Teile auswechseln, aber der zentrale Prozessor ist völlig verschmort. Auch die Speicherplatinen sind zerstört. Ich müsste ein komplett neues Zentralmodul einsetzen und Robbie neu aufspielen. Es wäre ein neuer Robbie.«

Jetzt begriff ich. Robbie war wirklich tot. Krizz und Aleks hatten mir meinen einzigen Freund genommen.

Nun wusste ich, dass ich allein war.

*

»Was hat er angestellt? Die Schule hat schon gefragt, wo er bleibt«, fauchte Tante Ivy, als sie aus dem Haus stürmte.

»Nichts, Miss! Dein Kind hat Schlimmes erlebt. Jemand hat seinen Roboter zerstört und ihn verprügelt«, erklärte Günülly bedrückt.

Yüsserk und Sycco zeigten auf Robbies Überreste auf der Ladeklappe des Gleiters.

Tante Ivy seufzte nur.

»Tut mir leid, wenn der Junge Umstände bereitet hat.«

»Hat er nicht. Kümmere dich gut um ihn. Er ist sehr traurig«, erwiderte Sycco. »Mach‘s gut, kleiner Cauthon. Es kommen auch wieder bessere Zeiten«, verabschiedete sich der Swoon.

Die Blues winkten mir zu. Dann fuhren sie mit Robbie weg. Sie hatten mir versprochen, ihn würdevoll zu bestatten. Ich vertraute ihnen.

Tante Ivy schickte mich ins Haus. Sie begutachtete meine Wunden und schüttelte nur den Kopf.

»Wo hast du dich nur rumgetrieben? Jetzt müssen wir dir einen neuen Roboter kaufen. Auch das noch.«

Sie nahm eine Tube Sprühplasma und wollte es auf meine Wunde tun, doch da schlug ich ihr die Tube aus der Hand. Plötzlich war ich so zornig! Wie konnte sie nur so ignorant sein.

»Robbie ist tot! Ich will keinen neuen, du dumme Kuh!«

Ich schubste sie weg und rannte in mein Zimmer. Dort weinte ich. Tante Ivy kam nicht hinterher. Sie schimpfte nicht einmal mit mir. Auch das war ihr offenbar zu mühsam.

Ich war ihr völlig egal.

 

2. Rache

Ich saß wach auf dem Fensterbrett und starrte auf die leere, dunkle Straße.

Robbie war tot.

Und niemand würde Aleks und Krizz bestrafen. Onkel Tuzz war nach seinem Feierabend zu mir gekommen. Ich hatte ihm berichtet. Doch Tuzz wollte nicht, dass wir das zur Sprache brachten. Die Eltern von Krizz und Aleks waren Kunden von ihm. Onkel Tuzz hatte gemeint, das Geschäft ginge vor. Was für einen Eindruck würden sie von ihnen haben? Vielleicht hätte ich mir auch nur alles eingebildet.

Gönnerhaft hatte er mir angeboten, einen neuen, moderneren Roboter zu kaufen. Damit war für ihn die Sache erledigt. Er verstand nichts.

Krizz und Aleks hatten Robbie ermordet, – meinen einzigen Freund niederträchtig getötet.

Ich schloss die Augen. Tränen kullerten über meine Wangen. Ich musste ihn rächen. Doch was konnte ich schon tun? Sie würden mich wieder verprügeln.

Langsam öffnete ich wieder die verweinten Augen. Im Vorgarten stand plötzlich ein Mann. Konnte das sein? Ich wischte die Tränen aus den Augen, stand auf und öffnete das Fenster.

Das war er!

Cau Thon! Er hob die Hand. Wie von Geisterhand gesteuert schwebte er hoch an mein Fenster. Ein feines Lächeln umspielte die Lippen.

»Ich habe dir versprochen, dass wir uns wiedersehen«, flüsterte der Rothäutige. Dann wurde er ernst. »Doch leider haben sie dir wieder einmal großen Schmerz zugefügt.«

Ich wich zurück, doch Cau Thon machte keine Anstalten, mein Zimmer zu betreten.

Er schwebte vor meinem Fenster und legte die Hände auf den Fenstersims.

»Zieh dich an. Wir haben etwas zu erledigen.«

»Ich will nicht. Ich bin in Trauer. Lass mich!«

Cau Thon lachte heiser.

»Wie du wünscht, Cauthon Despair. Dann nehmen wir keine Rache an den beiden Jungen, die Robbie vernichtet haben.«

Ich wurde hellhörig. Rache nehmen? Ja! Sie hatten eine Bestrafung verdient. Ich hasste Aleks und Krizz. Cau Thon schien das zu wissen. Er wollte mir offenbar helfen.

Ich zog mir rasch warme Kleidung über und eilte zum Fenster. Cau Thon streckte eine Hand aus. Ich ergriff sie und stieg aus dem Zimmer, klammerte mich an seinem Rücken, ehe wir langsam auf den Boden sanken.

Ich wusste nicht wieso, aber ich spürte wieder diese große Vertrautheit.

»Wo gehen wir hin?«

»Zu meinem Gleiter«, sagte Cau Thon und deutete auf ein schmales, längliches Vehikel. Der tiefschwarze Gleiter besaß zwei Sitze hintereinander.

Ich nahm auf dem hinteren Sitz Platz und hielt mich an den Haltegriffen vor mir gut fest. Cau Thon stieg ein, da heulte der Motor auch schon auf und das Gefährt brauste durch die leeren Straßen von Port Arthur. Zumindest in unserem Bezirk war es zu dieser späten Stunde wie ausgestorben.

Ich kannte den Weg. Ich musste ihn jeden Tag bestreiten. Es ging zur Schule. Die drei trichterförmigen Türme erkannte ich trotz der Dunkelheit, da sie gut beleuchtet waren.

Das Geschäft des Blues war geschlossen. Wir hielten vor der dunklen Seitengasse. Wehmut und Wut überkamen mich. Hier war Robbie brutal ermordet worden.

Cau Thon stieg ab. Ich tat es ihm gleich. Wir gingen in die Gasse. Die schrecklichen Bilder schossen in meine Erinnerung. Ich würde sie niemals vergessen. Wir hielten an einem etwa zwei Meter langen und einen Meter tiefen Container.

Es war ein Hauskonverter. Der Abfall wurde über ein Röhrensystem hier hineingeworfen. War der Konverter voll, wandelte er automatisch den Müll in Energie um und speiste sie in die interne Stromversorgung des Gebäudes ein.

Cau Thon schmunzelte. Er drückte einen Knopf. Der Konverter öffnete die Luke. Meine Augen weiteten sich, als ich den Inhalt sah. Zwischen Essensresten und Müllbeuteln hockten Aleks und Krizz. Sie starrten mich aus ihren verweinten Augen an.

»Eure Konverter haben eine Sicherheitsschaltung, welche die Zerstrahlung von lebendem Organismus verhindert. Ich habe sie deaktiviert«, sagte Cau Thon kühl.

Wollte er? Nein! Er jagte ihnen nur Angst ein. Und sie fürchteten sich zu Tode. Ich spielte mit und blickte sie herablassend an. Die Wut und Verachtung in mir waren echt. Sie hatten mir meinen geliebten Robbie genommen.

»Nun seid ihr nicht mehr so mächtig. Wer ist hier der Stinker? Ihr müffelt ganz schön. Aber zumindest seid ihr jetzt dort, wo ihr hingehört«, rief ich und trat an den Rand des Konverters.

Sie winselten und schüttelten den Kopf. Ihre Münder waren zu grotesken Grimassen verzogen, doch kein Laut war zu hören. Ein energetisches Schalldämmungsfeld vor ihrem Mund verhinderte, dass ich, oder überhaupt irgendjemand, ihre Schreie hörte.

Ich genoss diesen Augenblick. Da kauerten Aleks und Krizz im Müll und weinten vor Angst. All die Jahre der Quälerei wurden gerächt. Ich fühlte nichts als grenzenlose Genugtuung.

Und doch: Was würde Morgen geschehen? Wenn Cau Thon nicht mehr da war, würden sie über mich herfallen. Das bereitete mir Sorge.

»Verabschiede dich von diesen törichten Kreaturen, Cauthon«, forderte der Rothäutige mich auf.

Ich vertraute ihm. Er würde sicher daran gedacht haben, mich vor zukünftigen Strafen der beiden zu bewahren.

Ich dachte wieder an Robbie und all die Demütigungen. Dann spuckte ich auf Aleks.

»Noch eine angenehme Zeit im Dreck. Das passiert, wenn ihr euch mit mir anlegt. Lasst mich für immer in Ruhe!«

Ich nickte, um mich selbst zu bestätigen. Cau Thon drückte einen Knopf. Die Luke schloss sich.

»Nun, Cauthon! Dieser zweite Knopf aktiviert den Konverter. Eine kleine Bewegung deines Fingers und deine Probleme in der Schule sind für immer gelöst.«

Ich sah Cau Thon an. Seine rotgoldenen Augen funkelten. Er meinte es ernst. Aleks und Krizz töten? Nein, das konnte ich nicht tun. Dazu hatte ich nicht das Recht, oder? Ich schüttelte den Kopf.

Ich erwartete einen harschen Wutausbruch von Cau Thon, doch er blieb ruhig.

»Du achtest sogar das Leben, welches dich quält. Leben und leben lassen heißt es bei den Terranern. Du wirst irgendwann die Erfahrung machen, dass leben und sterben lassen der Realität entspricht.«

Cau Thon legte den Finger auf den Knopf und blickte mich erwartungsvoll an.

Was sollte ich tun? Ihn davon abbringen? Wenn er sie umbrachte, war ich es ja nicht. Und sie würden mich wirklich niemals mehr quälen. Sie hatten den Tod verdient.

»Ich habe von einem Freund deiner Eltern gelernt, dass es bei euch Terranern auch Auge um Auge, Zahn um Zahn heißt. Ich nehme diese Phrase gerne wörtlich.«

Ein Freund meiner Eltern? Ich wusste so wenig über sie. Cau Thon schien offenbar viel über die Zeit meiner Geburt zu wissen. Ich wünschte, er würde mir mehr darüber erzählen.

»Willst du mich aufhalten?«

Das musste ich wohl. Aber wie? Er war doch viel stärker als ich. Und sollte ich meine Freundschaft zu Cau Thon wegen Aleks und Krizz aufs Spiel setzen? Nein!

Robbie! Sie hatten ihn ermordet, mich gedemütigt und verprügelt. Sie hatten doch dieses Schicksal verdient und sich selbst zuzuschreiben. Ich senkte den Kopf und schloss die Augen.

Ich hörte ein leises Lachen von Cau Thon, dann brummte der Konverter, schüttelte sich hörbar, bevor es wieder ruhig wurde. Nun öffnete ich die Augen. Cau Thon betätigte den Sensor, um ihn zu öffnen. Zaghaft trat ich näher und spähte hinein.

Er war leer!

*

Wir saßen noch einige Zeit im Garten hinter unserem Haus. Onkel Tuzz und Tante Ivy schliefen tief und fest. Ich schaute hoch zu den Sternen. Wie gerne wäre ich wieder auf einem anderen Planeten.

»Deine Eltern haben dich geliebt. Ihr Tod kam viel zu früh und ich konnte es nicht verhindern«, erklärte Cau Thon.

Ich bat ihn, mir mehr zu erzählen.

Cau Thon gab mir einen Datenträger.

»Bilder sagen mehr als Worte. Hier sind einige Aufzeichnungen aus ihren Logbüchern. Ich werde dich wieder besuchen und dir mehr bringen.«

Ich nahm den Datenträger, als wäre er mein heiligster Schatz. Cau Thon verabschiedete sich kurz darauf. Ich war traurig, dass er wieder ging, denn nun war ich schon wieder allein.

An Krizz und Aleks dachte ich nur flüchtig. Sie waren nun einmal tot und ich weinte ihnen keine Träne nach. Es war Cau Thons Entscheidung gewesen. Ich hätte nicht den Mut gehabt, den Konverter zu aktivieren, doch er schon.

Nachdem Cau Thon gegangen war, schlich ich in mein Zimmer und steckte den Datenträger in meinen Rechner. Wenig später erschien eine Aufzeichnung von meinem Vater und meiner Mutter.

Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben bewegte Bilder meiner Eltern.

Der Eintrag datierte auf den 29. Dezember 1263 NGZ. Sie sprachen über ihre Arbeit im Orbit des Planeten Neles, meinem Geburtsort.

Es war belangloses Gerede, doch ich klebte an ihren Lippen und genoss jede Silbe. Tränen rannen über mein Gesicht, so glücklich war ich. Ich speicherte ein schönes Bild von ihnen ab und kopierte es in den holografischen Bilderrahmen.

Ich stellte das Bild neben mein Bett, drückte einen Kuss darauf.

»Gute Nacht Mama, gute Nacht Daddy!«

 

3. »Terra Eagle One«

Terra, 1278 NGZ

Bekket Glyn weinte. Tränen liefen über seine Wangen.

»Medros Eavan, ein ganz Großer geht«, flüsterte der Moderator betreten und salutierte vor der Kamera.

In scheinbarer Niedergeschlagenheit ließ sich der untersetzte Terraner mit der kurzen, blonden Stoppelfrisur in seinen Sessel fallen. Nachdenklich nahm er sein Tischfähnchen mit dem Emblem der Liga Freier Terraner und starrte es an. Dann schüttelte er sich plötzlich und vergrub das Gesicht zwischen den Händen.

Nach einer Weile der traurigen Stille – nur unterbrochen durch das Schluchzen des Moderators von Terra Eagle One – blickte Bekket Glyn hoch, schüttelte den Kopf und rang vorgeblich immer noch nach Fassung.

»Meine lieben terranischen Mitbürger. Heute ist ein furchtbarer Tag. Heute wurde allen ehrlichen und fleißigen Menschen, eben jedem echten Terraner, ins Gesicht geschlagen. Gutgalaktiker, Ligaverräter und das Bluestum haben gewonnen. Ja, meine Freunde, sie haben gewonnen.

Paola Daschmagan ist zur neuen Ersten Terranerin gewählt worden. Die Ära Eavan ist zu Ende. 43 Jahre hat er mit Bravour die Geschicke der LFT geleitet. Alles aus und vorbei.

Die galaktische Kommunistenbande hat obsiegt. Alle Transmitter stehen nun topsidischen und bluesischen Schmarotzern und sonstigem extraterrestrischen Gesocks offen, um uns zu infiltrieren. Kaltblütige Echsen und muurtwürmerfressende Tellerköpfe an jeder Ecke. Das wird die neue LFT werden.

Was für eine Scheiße, meine lieben Terraner!«

Glyn brüllte sich den Frust von der Seele. Er nahm etwas von seinem Moderatorentisch und warf es gegen die Wand. Dann senkte er den Kopf, starrte auf den Boden und seufzte. Nachdem er sich beruhigte, sah er in die Kamera.

»In was für einer Welt leben wir eigentlich? Da bemühen wir uns wieder eine starke Nation zu werden, doch was passiert? Die Gutgalaktiker, Linksradikalen und Extraterrestrier sabotieren unsere Demokratie. Was erwartet uns nun mit Paola Daschmagan?«

Bekket Glyn setzte sich auf seinen breiten, schwarzen Sessel und blickte ernst in die Kamera. Neben ihm erschien eine unschmeichelhafte Holografie von Paola Daschmagan.

»Das ist unsere pfundige neue Erste Terranerin! Halleluja.«

Glyn nahm den LFT-Wimpel und wehte mit ihm lustlos hin und her.

»Ihr könnt euch schon auf etwas gefasst machen. Die LFT wird ihren Status wieder einbüßen. Wir werden auf Kuschelkurs mit Tellerköpfen, Echsen, Elefanten und Katzen gehen. Wir müssen uns wieder schämen, Terraner zu sein und unsere Freiheit wird eingeschränkt werden. Vermutlich müssen sich fleißige terranische Geschäftsleute wie Willem und Michael Shorne oder Arno Gaton auch noch dafür entschuldigen, dass sie Gewinne machen.«

Bekket Glyn winkte ab und lachte verbittert. Er raufte sich die Haare und drehte sich mit seinem Stuhl zweimal um die eigene Achse. Dann hatte er offenbar wieder Zeit für seine Zuschauer. Er hob drohend den Zeigefinger.

»Vielleicht kehrt auch Perry Rhodan wieder zurück? Der Verräter Nummer Eins an der Menschheit ist vielleicht der Meister von Daschmagan.

Perry Rhodan, der Terraner! Pah! Ein herrischer Diktator, der seine Untergebenen in die Fresse tritt und mit der Peitsche quält. Das ist der wahre Perry Rhodan. Ich sage es euch. Traut dieser Natter nicht. Er nutzt euch alle nur aus.«

Mit einem ernsten, warnenden Blick beendete Bekket Glyn seine wöchentliche Sendung »Nichts als die Wahrheit« auf Terra Eagle One.

 

4. Blog myMilkyway

Stimmen von Galaktikern

zur Wahl von Paola Daschmagan.

 

Es ist die Wende! Paola für immer. Raus mit dem faschistischen Mief nach über 50 Jahren. Wir brauchen Vielfalt und keine Grigors, Eavans oder Rhodans!

Ein Galaktiker

 

Als Jülziisch freue ich mich über eine moderate Regierung und setze große Hoffnungen in Paola Daschmagan. Es soll Schluss sein mit der Diskriminierung und dem Rassenhass, bei der pinkgelben Kreatur der Gerechtigkeit.

Üpüäöldy L’ääclrk

 

Ihr Terraner überschätzt euch maßlos, wenn ihr glaubt, dass auch nur ein Topsider vor Interesse den Schwanz hebt. Ihr nehmt euch wie immer zur wichtig.

Ein genervter Topsider

 

Wer ist Paola Daschmagan?

FAMUG!

 

Bringt auch Perry zurück!!!

Ein Terraner

 

Paola, ich will Sex mit dir!

Ein Plophoser

 

Da steckt doch Perry Rhodan dahinter. Daschmagan ist nur eine Marionette von Perry Rhodan, der eine Marionette der Meister der Insel ist. Und hinter allem steckt ES, der ein Doppelagent von Kosmokraten und sonstigen Entitäten ist. Ich sage es euch! Lasst euch nicht verarschen!

Der WARNER

 

Fdhghgfzusdgzfsipöddöyy1243+üäx

Die einjährige Tochter eines akonischen myMilkyway-Nutzers

 

5. Eine neue LFT-Ära?

Aus den Chroniken

Das vergangene Jahr 1278 NGZ stellte eine kleine aber vielleicht wichtige Wendung in der Politik der Liga Freier Terraner da. Medros Eavan war nach dreiundvierzigjähriger Regentschaft in vorgezogenen Neuwahlen vom Volk der LFT abgestraft worden. Überraschend hatte sich Paola Daschmagan durchgesetzt.

Die untersetzte Terranerin war noch bis vor wenigen Monaten gänzlich unbekannt gewesen. Zweifellos hatte sie einflussreiche Gönner, die offenbar mit der Politik von Eavan unzufrieden waren. Die letzten Jahre waren von inneren Krisen und Konflikten mit Kolonien und assoziierten Welten geprägt gewesen.

Der Kurs der letzten Jahrzehnte hatte die Bevölkerung der LFT gespalten. Während im Innensektor durchaus viele Anhänger einer expansorischen Großmachtpolitik Terras, der Ablehnung der auf Ausgleich zwischen den galaktischen Machtblöcken bedachten Politik Perry Rhodans und einer eher feindlichen Politik gegenüber Blues, Topsidern und anderen extraterrestrischen Völkern vertreten waren, fühlten sich die assoziierten Welten und Kolonien von Terra bevormundet und sympathisierten eher mit der auf Ausgleich und Gleichberechtigung bedachten Politik der Unsterblichen um Perry Rhodan.

Die Regierung Eavan war nicht gerade zimperlich mit den Grundrechten der Bürger umgegangen. Auf Druck der hinter ihr stehenden Kreise waren wesentliche soziale Rechte aufgehoben oder bis zur Unwirksamkeit beschnitten worden, während die Interessen des Militärisch-Industriellen Komplexes mehr und mehr in den Mittelpunkt der Regierungspolitik gerückt waren. Darin lag eine der wesentlichen Ursachen für den Unmut der Bevölkerung. Schließlich hatten betrügerische Geschäfte zum Fall von Eavan geführt. Als bekannt geworden war, dass die Kosmische Hanse auf Anweisung des Ersten Terraners unterentwickelte, mit der LFT assoziierte Welten und autarke Systeme ausgebaut hatte, um dort möglichst billig zu produzieren und Rohstoffe abzubauen, hatte sich das Blatt gewendet. Die Regierung hatte alles Erdenkliche versucht, um die Berichte zu vertuschen. Auf Druck von Regierungsbeamten waren Journalisten wegen angeblichem Geheimnisverrat entlassen worden. Nachdem ein Reporter-Team von Sol-TV auf dem Planeten Epirool durch gedungene Söldner ermordet wurde, war es zum Eklat gekommen. Einer der Reporter hatte überlebt und war mit dem gesamten kompromittierenden Material entkommen. In der von Sol-TV ausgestrahlten und von vielen solaren Networks übernommenen Reportage wurden die Machenschaften der Regierung Eavan schonungslos aufgedeckt.

Dies hatten die politischen Gegner von Eavan genutzt, um gegen seine Regierung zu Felde zu ziehen. Ob es ihnen dabei um Moral und Gerechtigkeit ging, oder letztlich nur die Chance genutzt worden war, den politischen Gegner zu diskreditieren, blieb dabei unklar.

Weite Teile der Bevölkerung der LFT waren empört gewesen und hatten politische Konsequenzen gefordert. Dabei hatte es sich herausgestellt, dass vor allem die Hanse und Shorne Industries an der Spitze des Konsortiums standen, das die Ausbeutung des Planeten Epirool betrieb. Eavan selbst sollte einen Deal mit der Welt Mashratan geschlossen haben, um von dort Söldner zu dingen, die für das Konsortium die Dreckarbeit machen sollten. Nachdem die mit der Mordoperation geplante Vertuschung schief gegangen war, hatten sich Hanse und Shorne Industries von Eavan distanziert und ihm alle Schuld in die Schuhe geschoben. Damit war die nationalistische Regierung am Ende gewesen, Eavan war nichts anderes übrig geblieben, als Neuwahlen auszuschreiben.

Aus den Wahlen vom 15. Januar 1278 NGZ war die als eher pazifistisch und sozialdemokratisch geltende Terranerin Paola Daschmagan als Siegerin hervor gegangen.

So hatte sich das Blatt für die nationalistischen Kreise gewendet und nun hatten wir mit Paola Daschmagan eine neue Erste Terranerin.

Doch würde sich viel ändern? Vielleicht würde ihr Kurs moderater sein, aber würde sie zum Beispiel die Macht Gia de Moleons, der Leiterin des TLD, beschränken und diesen unsäglichen Konflikt mit Perry Rhodan und dem Projekt Camelot beenden?

Könnte sie dem ruchlosen Treiben der Galaktischen Großmächte Einhalt gebieten, die Rechte der schwächeren LFT-Welten stärken und sich auch um bessere Verträge mit autarken Systemen bemühen? Würde sie die Zusammenarbeit mit zwielichtigen Planeten wie Mashratan einstellen?

Würde sie eine Lösung für Trokan finden?

Viele Bewohner der Milchstraße setzten große Hoffnung in die Politik der eher farblos wirkenden Daschmagan. Doch wie sollte sie es anstellen, sowohl die Hoffnungen ihrer Wähler auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage zu erfüllen und gleichzeitig den Gedanken der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit der verschiedenen galaktischen Machtblöcke mit neuem Leben zu erfüllen?

Sie war bestimmt kein Perry Rhodan …

Jaaron Jargon

 

6. Die Gefahren der Milchstraße

Eine TE-1-Dokumentation über die gefährlichsten Extraterrestrier in der Milchstraße. Zusammengefasst und kommentiert von Starmoderator Bekket Glyn.

Ein schonungsloser Bericht von Bekket Glyn von Terra Eagle One (TE-1)

»Ad Astra, Terraner! Mein Name ist Bekket Glyn und ich bringe euch nichts als die Wahrheit. Heute berichte ich euch über die kulturellen Besonderheiten unserer außerirdischen Freunde

Beim letzten Wort verzog der Terraner den Mund.

Bekket Glyn wanderte um einen Kochtisch herum. Dort standen transparente Behälter mit lebendigen Würmern.

»Seht sie euch an. Die kleinen süßen Muurt-Würmer. Sie winseln, sie betteln um ihr Leben.«

Nun wurde ein Hologramm eingespielt. Ein Jülziisch blickte gierig auf die Würmer herab. Er öffnete den Behälter nahm zwei Muurt-Würmer heraus.

»Doch ein Blue kennt kein Erbarmen. Er verspeist einen Muurt-Wurm lebendig. Voller Genuss und ohne Reue stopft er das arme Getier in seinen langen, nimmersatten Stielhals. Das ist die abscheuliche Kultur eines Blues. Bei ES, was bin ich stolz ein Terraner zu sein!«

Bekket Glyn schüttelte angewidert den Kopf. Er klatschte zweimal in die Hände und der Kochtisch und der Blue verschwanden. Um Glyn herum wurde es dunkel. Exotische Sträucher und Bäume sprossen aus dem Boden.

»Eine weitere Gefahr aus der Milchstraße bildet das Volk der Topsider«, begann Glyn, da erschien schon ein holografisches Abbild der Rasse. »Diese Echsen sind kalt. Sie kennen keine Liebe, keine Gnade und keine Freundschaft. Sie sind durchaus starke Kreaturen, aber ebenso brutal und gefährlich. Das Wort Terraner ist ein Schimpfwort. Eine Beleidigung für sie. Und so ein Dreckspack sollen wir auf Terra dulden? Sie verachten uns doch nur! Mir wird übel beim Anblick dieser aufrecht gehenden Krokodile. Der Herr nahm uns die Saurier vor Millionen von Jahren. Das war gut so. Verarbeitet sie zu Handtaschen, aber lasst nicht zu, dass sie uns nicht unsere Jobs wegnehmen oder für lau auf unsere Kosten leben.«

Glyn referierte weiter aufgeregt über die Vielfalt in der Milchstraße. Dabei rümpfte er die Nase.

»Die Vielfalt, die Multikulti-Ideologie der Rhodanisten und ihrer Helfershelfer ist gescheitert. Die Terraner hatten in den letzten 55 Jahren keinen Bock auf fremdartige Kulturen, die ganze Stadtteile okkupieren, ihre Götzenkreaturen überall aufstellen wollen und uns zutiefst ablehnen. Doch Rhodans Statthalterin Daschmagan will noch mehr kriminelle Aliens nach Terra holen.«

Es wurden Holografien von weiteren Völkern aus der Milchstraße eingeblendet. Zu jedem ätzte der Moderator eine verächtliche Bemerkung. Die Swoons gehörten auf ein Sandwich, die Naats konnten nicht bis drei zählen. Zu den Unithern fiel ihm »Trööt« ein. Beim Anblick der Cheborpaner schüttelte sich Glyn nur. Er zog weiter über Asporcos, Paramags, Mooffs, Dron und Gefirnen her.

»Irgendwann werden wir die Sklaven all dieser Ekelkreaturen werden. Denkt daran. Während wir Rhodans staubige Füße küssen, wird er uns mit einer Peitsche in die Fresse schlagen.

Ad Astra, Terraner!«

Am Ende wehte Bekket Glyn mit seinem LFT-Wimpel. Dann folgte die Werbung. Der folgende Spot warb für Muurt-Würmer in Tunke nach jülziischer Art.

 

7. Galaktische Politik

Aus den Chroniken

Es tat sich nicht sehr viel im Jahre 1279 NGZ. Paola Daschmagan legte zwar einen moderateren Kurs ein, der Tonfall wurde vorsichtiger, doch die Verhältnisse innerhalb der Galaxis verbesserten sich keineswegs.

Und doch gab es in dieser Zeit Hoffnung und ein Kapitel der Menschlichkeit.

Eine von den Linguiden initiierte Friedensflotte war durch die Milchstraße gezogen, um auf die Zustände in der Galaxis und den bereits absehbaren Zusammenbruch des Galaktikums aufmerksam zu machen. Als die Flotte arkonidisches Hoheitsgebiet erreicht hatte, hatte eine Flottenkommandantin des Kristallimperiums den Befehl erhalten, das Feuer auf die einhundert unbewaffneten Schiffe verschiedener Völker zu eröffnen. Sie hatte den Befehl verweigert und wurde wegen Feigheit vor dem Feind zum Tode verurteilt. Doch sie wurde rechtzeitig von Unbekannten gerettet.

Ich war stolz, dass meine linguidischen Brüder den Versuch unternahmen, die Galaxis wachzurütteln. Und ich war froh, dass es offenbar noch Arkoniden gab, die ihre Prinzipien und ihren Anstand über die Befehle des Kristallimperiums setzten. Und ich war positiv überrascht, dass es offenbar auch im arkonidischen Hoheitsgebiet eine Widerstandsbewegung gab. Der Name IPRASA fiel des Öfteren. Ob sie wohl etwas mit Camelot zu tun hatten?

Anfang 1280 NGZ stattete »Der Oberst«, wie er sich nannte, Terra einen Staatsbesuch ab. Ibrahim el Kerkum, der Herrscher von Mashratan war eine schillernde und ebenso zwielichtige Person. Paola Daschmagan empfing diesen Tyrannen mit allen Ehren und zeigte sich gut gelaunt auf der Pressekonferenz.

Offenbar hatte die Erste Terranerin nicht aus den Fehlern ihres Vorgängers gelernt. Sie lobte die vielfältige Kultur der Tigernation Mashratan. Mir kräuselten sich die Nackenhaare bei solchen Aussagen.

Doch Kerkum war für die LFT ein wertvoller Verbündeter. Seine Truppen sicherten autarke Welten und ermöglichten der Kosmischen Hanse und Shorne Industries dadurch lukrative Geschäfte. Durch das Netzwerk von Kerkum, welches über Arkon bis nach Fornax zu den Galactic Guardians reichte, buhlten sowohl die LFT als auch das Kristallimperium sowie kleinere Sternenreiche um die Gunst des so offensichtlichen Despoten.

Kerkum trug während der anschließenden Stadtrundfahrt eine lindgrüne Uniform aus Zeiten des Solaren Imperiums. Vor dem CREST-Mausoleum machte er einen Kniefall und sang anschließend ziemlich unmelodisch das terranische Raumfahrerlied »Ad Astra, Terraner!«

Es hieß offiziell, man bemühte sich um einen Beitritt von Kerkum zur LFT und wolle die Handelsbeziehungen ausbauen. Offenbar sträubte sich der Oberst jedoch gegen einen Beitritt. Wieso sollte er auch? Als unabhängige Nation war Mashratan besser dran, da alle galaktischen Machtblöcke bestrebt waren, möglichst gute Beziehungen mit dem mashratischen Regime zu unterhalten. Kerkum konnte also die verschiedenen Machtblöcke gegeneinander ausspielen, den er hatte etwas, was alle wollten: Hyperkristalle in rauen Mengen. Und der »Oberst« beherrschte das Spiel mit den Bällen perfekt, zumindest bis jetzt.

Zudem müsste er vermutlich die Menschenrechte auf Mashratan grundlegend achten, da die LFT gewisse Bedingungen an ihre Welten stellte. Hierbei ging es vor allem darum, das Grundgesetz der Liga anzuerkennen.

Doch das hätte umwälzende Veränderungen auf Mashratan hervorgerufen. Kerkum stellte freundlich aber unmissverständlich klar, dass das Volk von Mashratan keine Einmischung von außen duldete.

Das Thema wurde dann schnell abgehakt. Natürlich gab es keine unangenehmen Fragen. Im Gegenteil, Mashratan wurde aufgrund seines großen Wirtschaftswachstums – von dem jedoch das Volk nichts hatte – als wirtschaftlich aufstrebende Welt betitelt. Als Vorbild für die Wirtschaft. Dass dieses Wachstum zu einem großen Teil aus Ausbeutung der eigenen Bevölkerung und zwielichtigen Aktionen auf anderen Planeten stammte, wurde dabei wohlwollend übersehen.

Fühlte sich denn kein Journalist mehr der Wahrheit verpflichtet? Natürlich gab es aufgrund der Fülle an unabhängigen Publikationsmöglichkeiten viele kritische Berichte, doch die renommierten Medien gaukelten dem Zuschauer eine heuchlerische Harmonie vor.

Den Gipfel der Unverfrorenheit bildete jedoch wieder mein wenig geschätzter Kollege Bekket Glyn. Dass dieser Mann Woche für Woche seine wahnsinnigen Hasstiraden über Terra Eagle One senden durfte, war ein Tiefpunkt terranischen Journalismus.

Bekket Glyn tanzte und jubelte in seiner Sendung und sah in Oberst Kerkum ein Musterbeispiel eines terranischen Patrioten. Glyn im Original: »Von Oberst Kerkum könnt ihr faulen, rhodanistischen Sozialromantiker euch mal eine Scheibe abschneiden.«

Glyn lobte natürlich die Tatsache, dass Nichtmenschen auf Mashratan unwillkommen waren. Glyn war der Überzeugung, wenn es mehr Kerkums in der LFT gäbe, würde die Liga zu einer Nation von fleißigen, wohlhabenden und starken Terranern zusammenwachsen.

Dem widersprach ich natürlich. Natürlich traute ich den Terranern Fleiß, Wohlstand und Stärke zu. Doch Kerkum war gewiss kein Vorbild. Dieser ganze Nationalismus in der Milchstraße brachte uns an den Rand des Chaos. Es war dabei gleich, von wem er ausging, denn Blues, Topsider oder Arkoniden waren ebenso keine unbeschriebenen Blätter. Eines verband sie miteinander: Das Gefühl der Überlegenheit der eigenen Rasse.

Die Galaktiker mussten wieder zusammenwachsen, doch es sah nicht danach aus.

Im September dieses Jahres ernannte Paola Daschmagan den Terraner Cistolo Khan zum LFT-Kommissar und somit zum ausführenden Organ. Über die politische Haltung des hochgewachsenen Mannes war wenig bekannt. Er galt jedoch als absoluter Profi.

Nach langer Zeit meldete sich im April 1281 NGZ die gute Gazh Ala wieder bei mir. Sie sagte, es wäre an der Zeit, dass die Organisation Camelot und ich gemeinsame Wege beschritten. Sie bat mich, ihr meine Aufzeichnungen zu geben, damit sie diese Perry Rhodan übermittelte. Es freute den Zellaktivatorträger etwas über das Stimmungsbild auf Terrania zu lesen. Dabei betonte sie, dass Rhodan großen Wert auf vernünftige Ansichten legte, die sich kritisch mit der Situation auseinandersetzten. Sie bot mir auch an, nach Camelot umzusiedeln, doch ich wollte lieber auf Terra bleiben. Leider hatte dies zur Folge, dass ein Treffen mit Rhodan aus Sicherheitsgründen weiterhin nicht möglich war.

Doch ich war mir sicher, dass ich eines Tages mit Rhodan persönlich in Kontakt treten würde.

Jaaron Jargon

 

8. Raumakademie

Juni 1282 NGZ

Als Erstes fiel mir der Raumjäger auf dem Platz vor der Raumakademie auf. Es handelte sich um einen Moskito-Jet, einer geradezu legendären Baureihe aus Zeiten des Solaren Imperiums.

Hier also würde meine neue Heimat sein. Mit siebzehneinhalb Jahren gehörte ich zu den jüngsten Kadetten. Doch nachdem ich meine Schulzeit aufgrund außergewöhnlicher Leistungen verkürzt hatte, war es mir möglich, jetzt anzufangen. Ein Interkomanruf bei Wirsal Cell hatte genügt, der sich hocherfreut gezeigt hatte, dass ich die lange Wartezeit überstanden hatte und noch immer Willens war, mich in die Dienste von Camelot zu stellen.

Ja, das wollte ich!

Es war schon komisch. Während ich durch das große, metallische Tor schritt und mir den Park vor dem quadratischen Gebäude ansah, dachte ich über die vergangenen Jahre nach.

Nach dem Tod von Aleks und Krizz war vieles besser geworden. Es hatte zwar Untersuchungen und Befragungen gegeben, doch die Polizei hatte keinerlei Hinweise auf mich oder Cau Thon finden können. Aleks und Krizz galten offiziell als vermisst. Sie hatten Abschiedsbriefe hinterlassen, in denen sie von einem Aufbruch in eine neue Welt geschrieben hatten. Zweifellos ein Werk von Cau Thon. Zwar hatte die Polizei die Echtheit bezweifelt, doch es waren niemals Beweise für einen Mord gefunden worden.

Obwohl ich ein Motiv hatte, aufgrund des Mordes an meinen Servoroboter Robbie, hatten sie mir so etwas nicht zugetraut.

Die Zeit danach war einfacher gewesen. Die Klassenkameraden hatten mich nicht mehr gehänselt.

Cau Thon hatte mich noch zweimal besucht und weitere Videoaufzeichnungen meiner Eltern überreicht. Sie hatten mir Kraft gegeben. Onkel Tuzz und Tante Ivy kümmerten mich wenig. Wir kamen miteinander aus, weil wir uns mieden.

Der Weg zur Raumfahrtakademie von Port Arthur war ein wichtiger Schritt für mich.

Ich zuckte kurz zusammen, als plötzlich zu einem Marsch angestimmt wurde. Erst jetzt sah ich das Dutzend Militärmusiker, die sich just auf dem Weg machten, über das Gelände zu marschieren.

Über mich hinweg rauschte ein Geschwader Raumjäger. Mein Herz schlug höher. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, so toll war das. Ich fühlte mich irgendwie anders. Über mir kreisten die dröhnenden Jäger, rechts von mir trommelten die Soldaten zum Marsch.

Ich war sofort fasziniert. Dieses Szenario vermittelte mir Stärke, Würde und symbolisierte eine gewisse Macht Camelots.

Ich blickte mich um. Einige Personen in Zivilkleidung traten durch das Eingangstor. Vermutlich waren auch sie neue Rekruten. Es waren insgesamt knapp zwanzig Leute, darunter ein Blue, ein Epsaler, ein Unither und zwei Ertruser.

Eine Terranerin fiel mir sofort ins Auge. Sie sonderte sich schon durch die Farbgebung ihrer Kleidung ab. Während alle in gemischten Farben erschienen, trug sie nur schwarze Klamotten. Ihr rotblondes Haar, es war offensichtlich gefärbt, hing glatt bis zum Rücken. Als sie näher kam, sah ich in ihre blauen Augen. Sie blickte mich nicht unbedingt freundlich an, doch etwas an ihr faszinierte mich. Vielleicht waren es gerade ihre blauen Augen? Oder das makellose Gesicht? Möglich, die Art, wie sie sich bewegte? Scheinbar neugierig musterte sie den Hof und blieb vor dem Moskito-Jet stehen.

Ich überlegte, ob ich nicht zu ihr gehen sollte.

»Was steht ihr nutzlosen, schwachsinnigen Leffa-Echidnas so einfach in der Gegend herum?«, brüllte jemand hinter mir. Ich zuckte zusammen. Das Organ war laut.

Ich drehte mich entsetzt um. Vor mir stand ein Berg von einem Mann. Seine Muskeln schienen aus der Uniform zu springen. Der fast quadratische Schädel wurde von einer dicken Nase, der Zigarre im Mund und dem blauen Irokesenkamm auf dem sonst haarlosen Kopf bestimmt.

»Habt ihr nicht gehört?«, rief der Hüne.

»Was hast du denn für einen Umgangston«, erwiderte einer der Rekruten. Er war ungefähr so groß wie ich, hager und hatte einen Oberlippenbart. Der Ertruser stemmte die Arme in die Hüfte und schaute finster auf meinen neuen Kameraden herab.

»Wie war das?«

»Naja, du kannst uns doch nicht einfach so anbrüllen. Wir sind doch hier nicht bei den Arkoniden.«

Der Ertruser nahm die Zigarre aus dem Mund und blies den Rauch dem Cameloter ins Gesicht.

Dieser fing an zu husten.

»Das … das werde ich melden«, keuchte er.

Nun lachte der Ertruser so laut, dass mir die Ohren wehtaten.

»Was sagt man dazu? Heult rum wie ein Vurgizzel. Weißt wahrscheinlich nicht einmal, was das ist, nicht wahr? Jetzt sei mal ein Kerl oder hau ab und heul dich an Mamis Röckchen aus.«

Der Andere hustete noch. Die Rotblonde mit den schwarzen Klamotten ging zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken. Der Cameloter bedankte sich.

»Fertig?«, fragte der Ertruser ungeduldig. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort.

»Also ich bin hier der Schleifer. Wenn ich mit euch fertig bin, seid ihr entweder Spitzmausragout oder echte Raumfahrer im Dienste von Camelot. Es liegt an euch.

Mein Name ist Arlo Rutan. Und mein Motto lautet: Sei ruhig wie der Wald, unbewegt wie der Berg, kalt wie der Nebel, schnell im Entschluss wie der Wind und im Angriff so heftig wie das Feuer!«

Ich sah zu den anderen Rekruten. Sie blickten sich allesamt verständnislos an. Mir war der Spruch neu, aber ich verstand, worauf Arlo Rutan hinauswollte. Immerhin war er ein Veteran und hatte unter Rhodan auf der BASIS zu Beginn des Jahrhunderts gedient.

»Jetzt stellt euch mal in Reih und Glied auf, wie es sich für echte Raumfahrer gehört, ihr Jammerlappen!«

Wir folgten dem Befehl. Ich hatte das kurzweilige Vergnügen, direkt neben der Rotblonden Schönheit zu stehen. Sie sah kurz zu mir herüber. Ihr Blick war fest, die blauen Augen tief und faszinierend. Ich starrte wieder zu Arlo Rutan. Hinter ihm trat ein Terraner aus dem Gebäude. Ich erkannte ihn sofort. Wirsal Cell! Ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen. Cell sah mich und nickte mir schwach zu.

»Willkommen auf der Raumakademie von Port Arthur. Wir bilden euch zu fähigen Raumfahrern, Wissenschaftlern, Beamten oder Agenten der Organisation Camelot aus. Euch stehen viele Möglichkeiten offen.«

Cell trug eine blaue Uniform, die bei Führungskräften auf Camelot üblich waren. Wie in der LFT gab es keine genauen Ränge. Ich fand das dümmlich. Dem Pazifismus sollten Grenzen gesetzt werden. Das Militär war nun einmal durchorganisiert. Sollten wir vor jedem Schuss erst einmal diskutieren, ob es sinnvoll war oder nicht? Bis dahin hätte unser Gegner uns schon lange abgeschossen.

Mir fiel just in diesem Moment eine Sendung von Bekket Glyn ein. Ich sah seine Dokumentationen gerne, auch wenn einiges übertrieben war und er am Rande des Wahnsinns wandelte. Doch in einigen Dingen hatte der Moderator von Terra Eagle One recht. So hatte er auch in einer Sendung die Rückkehr zu einer starken Raumflotte und Armee in der LFT gefordert. Darin stimmte ich mit ihm überein.

Nun war Anfang des letzten Jahres die PAPERMOON vom Stapel gelaufen. Ein Raumschiff der NOVA-Klasse und der neue Stolz der LFT. Lächerliche 800 Meter Durchmesser. Das war doch eine kleine Murmel im Vergleich zu den alten Ultraschlachtschiffen.

»Rekrut Despair, bist du bei der Sache?«

Ich zuckte zusammen. Wirsal Cell stand vor mir und hatte wohl meine gedankliche Abwesenheit registriert. Die anderen lachten. Nicht schon wieder! Ich fühlte mich schon jetzt wie auf der Schule. Der Unterschied war, dass ich nun siebzehn war, aber Respekt zollten meine neuen Kameraden mir offenbar nicht.

Ich nahm Haltung an.

»Ja, Sir! Ich dachte nur gerade über eine Flotte im Dienst von Camelot nach, Sir!«

Cell winkte ab.

»Nicht so militärisch, Despair. Zwar wird der Gute Arlo Rutan euch nach alten Traditionen schleifen, aber wir vertreten hier auf Camelot immer noch die Prinzipien der Anfänge der LFT. Das bedeutet keine große Flotte, sondern kleine und feine Spezialeinheiten, die den Frieden sichern sollen. Wobei die GILGAMESCH da eine Ausnahme sein wird.«

Jeder auf Phönix hatte sicherlich schon von der GILGAMESCH gehört. Es war das neue Flaggschiff der Zellaktivatorträger und bestand aus mehreren Modulen. Jeder Unsterbliche hatte sein eigenes Raumschiff, welches sich zu einem Einzigen verbinden konnte. Ein wahres Wunderwerk an Technik. Hoffentlich setzten wir es auch ein. Der Bau war noch nicht abgeschlossen.

»Nun denn, meine Damen und Herren. Begebt euch zur Ordonnanz am Infoschalter, bezieht eure Zimmer. Um 1800 treffen wir uns zur Einweisung im Gemeinschaftsraum.«

Cell drehte sich um und ging schnellen Schrittes zurück in das große Akademiegebäude. Ich atmete tief durch. Offenbar war ich an einer Blamage noch einmal vorbeigeschrammt.

»Hast du auch einen Vornamen?«, fragte plötzlich die Schönheit neben mir. Ich erschrak. Sie redete mit mir. Ja, wirklich mit mir. Jetzt bloß nicht stottern oder wie ein Idiot wirken.

»Ja«, presste ich zwischen den Lippen hervor.

Sie sah mich erwartungsvoll an. Ein Blick zum dahinschmelzen oder weglaufen. Je nachdem.

»Willst du ihn wissen?«

Sie nickte und lächelte mitleidig.

Ich räusperte mich.

»Cauthon. Cauthon Despair. Das bin ich.«

»Okay. Hey Cauthon. Ich bin Zantra, Zantra Solynger.«

Sie schenkte mir ein Lächeln. Das Eis war gebrochen. Ich atmete tief durch. Als ich nun mehr über mich erzählen wollte, hatte sie sich jedoch schon auf den Weg ins Gebäude gemacht.

*

Die neunzehn Kadetten, Wirsal Cell, Arlo Rutan und ich saßen um einen großen, runden Tisch. Ich behielt mir nicht jeden Namen. Der Hagere mit dem Schnauzer hieß Antee Vamsar. Ein anderer Mensch wirkte ziemlich hippelig. Er trug wuscheliges Haar. Er stellte sich als Benyameen Pluzz vor. Zantra kannte ich bereits. Die Rekrutengruppe war eine bunte Mischung aus Galaktikern, die größtenteils auf Phönix aufgewachsen waren. Cameloter der zweiten Generation.

»Ihr solltet zuerst verstehen, wieso wir diese Ausbildung anbieten. Raumfahrer könnten auch an anderen Universitäten ausgebildet werden. Doch wir auf Phönix wollen die Besten der Besten. Ihr sollt die förderlichste Ausbildung genießen und eine geistige und ethische Reife erlangen, damit ihr würdig seid, die Ziele von Camelot zu vertreten«, referierte Cell.

Er räusperte sich, lehnte sich in dem breiten Sessel zurück und musterte uns mit halb geöffnetem Mund.

»Und was sind nun die genauen Ziele?«, wollte Vamsar wissen.

»Die Sicherheit der Milchstraße«, kam die prompte Antwort unseres Ausbilders. Dann sprang er auf und wanderte um den Tisch. »Wir können von Arkon, Terra, Gatas und all den anderen Welten keinen galaktischen Blick in diesen Zeiten erwarten. Das Galaktikum ist ein Schatten seiner selbst. Nationalistische Interessen schwächen die Gemeinschaft. Kleinere Sternenreiche begehren gegen die Mächtigen auf. Es kocht und brodelt unter dem Topf. Wir müssen das verhindern. Wir müssen für Stabilität sorgen. Und was keiner bedenkt, was ist, wenn mal wieder eine fremde, intergalaktische Macht auftaucht? Wer ist dann zur Stelle?«

»Camelot«, sagte Zantra leise.

»Richtig!«, rief Cell und zeigte auf Solynger. »Ganz genau! Wir sind es, die die Kastanien aus dem Feuer holen werden. Das ist Perry Rhodans Vision. Und wir helfen ihm dabei.«

Zustimmendes Nicken von allen. Wir arbeiteten für ein nobles Ziel und waren so eine Art Feuerwehr der Galaxis. Vergleichbar mit der USO in früheren Zeiten. Wer nicht mit Stolz für Camelot diente, dem war wirklich nicht mehr zu helfen.

»Es kommt auf jeden von euch an«, erklärte der Olympier, der im Vergleich zu seinem Auftritt vor mehr als sieben Jahren an der Schule viele Haare verloren, dafür aber reichlich an Bauchumfang dazugewonnen hatte.

»In der Akademie werden wir euch in Ethik und Moral unterweisen. Wir zeigen euch, wie ihr mit Waffen umgeht. Ihr werdet lernen, wie Raumschiffe zu bedienen sind, was die Aufgaben einer Raumschiffscrew sind, wie ihr mit Robotern umgeht, wie die einzelnen Völker in der Galaxis ticken, die Geschichte der Milchstraße lernen und vieles mehr. Wir werden eure beste Eignung herausfinden. Es liegt an euch, was ihr später werden wollt. Wissenschaftler? Mitarbeiter eines Camelot-Büros? Raumfahrer? Soldat? Agent?«

Cell schwieg und musterte jeden einzelnen Kadetten. Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ich wusste jedoch noch nicht, was ich selbst werden wollte. Es sollte etwas mit Raumschiffen zu tun haben. Wissenschaftler oder Büromitarbeiter waren nicht mein Ding. Raumfahrer, Pilot oder Kommandant eines Schlachtschiffes. Ja, das klang gut!

*

Die ersten Wochen vergingen wie im Hyperraumflug. Wir lernten zuerst, wie die Dinge in der Galaxis funktionierten. Wirsal Cell unterrichtete uns persönlich. Er hatte aber auch einen Assistenten, einen ziemlich alten und knöchrigen Historiker aus Kapstadt, Terra. Beide lehrten uns die Geschichte der Milchstraße, die Zusammenhänge zwischen Lemurern und Terranern, Arkoniden, Akonen. Sie berichteten uns von Rhodans Aufstieg, den Abenteuern und Konflikten.

Wirsal Cell lobte besonders die Zeiten des Solaren Imperiums, während Ulov Mutava von den Anfangszeiten der LFT schwärmte. Ich versuchte in den Wochen immer wieder mit Zantra zu reden, doch es war schwierig. Hier und da fragte sie mich zu den Geschichtsdaten, aber so recht fand ich keine Möglichkeit, sie näher kennenzulernen. Dabei war sie eine wirklich wunderschöne Frau. Doch sie war viel mehr als das. Sie wirkte intelligent und schien große Ziele zu haben. Sie wollte offenbar an etwas Bedeutendem teilhaben und wählte deshalb die Ausbildung auf der Akademie. Das imponierte mir.

Ich verspürte eine gewisse Sehnsucht nach einer Freundin. Ich hatte überhaupt keine Erfahrungen mit Frauen. Andere in meinem Alter waren da viel weiter, wenn ich da an die Gespräche der Kameraden in den Pausen dachte.

Nach acht Wochen stand die erste Prüfung in Geschichte an. Zantra und einige andere fragten mich kurz vor der Arbeit über alle möglichen Ereignisse aus.

Sie waren auf mich angewiesen und schätzten mich. Ich fühlte, dass sie mich respektierten. Das war ein gutes Gefühl. Oder nutzten sie mich nur aus? Das war mir nicht klar. Irgendwann würde ich es wohl herausfinden.

Noch immer steckte in mir diese Angst vor neuen Hänseleien. Ich war zwar nicht unbedingt beliebt bei den Kadetten, allerdings wurde ich nicht geärgert. Und doch fürchtete ich mich davor, dass sich das eines Tages ändern würde.

*

Den Test bestand ich mit Bravour als bester des Ausbildungsjahres. Es gab keine hämischen Sprüche und Zantra schenkte mir sogar ein anerkennendes Lächeln. Wenn ich doch nur den Mut gefunden hätte, mit ihr ein Gespräch anzufangen.

Einige aus unseren Lehrgängen schnitten weniger gut ab. Allan Coohn und Sylka Dysh waren die Schlechtesten.

Wirsal Cell zeigte offen seine Verärgerung. So wütend hatte ich den sonst völlig ruhigen Olympier nie erlebt.

»Wenn ihr beiden Narren so weitermacht, werdet ihr nicht einmal am ersten Training teilnehmen. Ich bin kein Befürworter von dummen Gefolgsleuten. Ein Soldat muss in der Lage sein, allein nachzudenken und zu verstehen, wofür er kämpft, um zu unterscheiden, auf welcher Seite er steht!«

Diese Worte beeindruckten mich. Cell förderte die Intelligenz der Rekruten, ihr Verständnis für die Milchstraße und den Umgang mit der Historie der Galaxis.

»Aber wir kämpfen doch auf der guten Seite«, wandte Antee Vamsar ein.

Cell sah zu dem schmächtigen Cameloter mit dem Schnurrbart hinüber. Er ging ein paar Schritte auf ihn zu.

»Das denkt jede Partei von sich. Die Laren glaubten, es wäre Recht ihr Reich zu vergrößern und die Milchstraße zu unterwerfen. Die Meister der Insel fühlten sich, wie auch die Uleb, von uns bedroht. Wer entscheidet, was richtig und was falsch ist, Vamsar? Du musst dein Gehirn einschalten.«

Cell tippte mit seinem Zeigefinger an seine Schläfe.

Nun meldete ich mich zu Wort.

»Aber wie kann ich die gute Seite von der Schlechten unterscheiden?«

Cell war offenbar über diesen Einwand erfreut. Er lächelte mir zu.

»Eine gute Frage, Cauthon Despair. Ich will dir die Antwort geben. Du musst das Endziel vor Augen haben«, erklärte Cell.

Stille. Offenbar konnte keiner etwas mit dieser Antwort anfangen. Ich sah zu Antee, Benyameen und Zantra. Sie wirkten ähnlich verdutzt. Cell ließ ein anschauliches Beispiel folgen.

»Nehmen wir einmal an, Camelot würde sich dazu entscheiden, die Milchstraße zu besetzen und eine Regierung von Zellaktivatorträgern einzuführen. Welche Bewertung hätte dieses Endziel?«

»Eine Negative vermutlich«, meinte Zantra.

»Falsch! Es wäre ein positives Ziel«, widersprach Wirsal Cell. »Denn es wäre das Ziel, die Milchstraße zu vereinigen und so den permanenten Frieden zu sichern.«

Es herrschte eine Weile Still im Raum, bis ich wieder das Wort ergriff.

»Aber ist der Einsatz von Waffen und Gewalt in Ordnung, um den Frieden herzustellen? Sollte man nicht besser die Diplomatie und Politiker agieren lassen?«

Cell lachte laut auf.

»Diese Politik wird seit Anbeginn der Neuen Galaktischen Zeitrechnung betrieben. Sie hat wenig genützt und die Milchstraße in die dunkle Monos-Ära gestürzt. Passivität und ein ungesundes Übermaß an Toleranz können mehr Schaden anrichten, als ein entschlossenes Vorgehen!«

»Aber sind wir nicht zu einer gewissen Loyalität verpflichtet? Wenn ich bei der LFT wäre, müsste ich doch Camelot bekämpfen?«, wandte Antee ein.

Cell lachte abfällig und winkte ab.

»Wenn Perry Rhodan so gedacht hätte, hätte er vor 3.000 Jahren Crest den Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeliefert. Das meine ich mit Nachdenken. Durchdenkt die Situation, habt Ziele und Visionen. Wenn ihr dann noch das Herz auf dem rechten Fleck habt, kann nichts schiefgehen.«

Wirsal Cell beendete seine Lektion für heute. Ich dachte darüber nach. Die anderen diskutierten kurz darüber, dann verstreuten sie sich in alle Richtungen. Leider hatte ich wieder die Chance verpasst, mit Zantra zu sprechen.

 

9. Waffenausbildung

Nachdem wir weitere zwei Monate theoretische Ausbildung und Hypnoschulung hinter uns gebracht hatten, begann nun die Ausbildung an der Waffe.

Ich hatte ein wenig Angst davor. Die Theorie war doch wesentlich einfacher. Wir hatten die Struktur der Organisation Camelot kennengelernt, viel über die Arbeit in den Büros auf den verschiedenen Welten gelernt. Sogar Reginald Bull, Gucky und Atlan referierten als Gastdozenten. Leider war mir nicht entgangen, dass Zantra dem smarten Arkoniden schöne Augen gemacht hatte.

Den theoretischen Teil hatte ich als Bester abgeschlossen. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ich war nun einmal den anderen geistig überlegen, doch ich war viel zu schüchtern und bescheiden, um ihnen das auf die Nase zu binden.

Sogar Gazh Ala hatte sich wieder bei mir gemeldet. Ich fand heute Morgen eine verschlüsselte Hyperkomnachricht von ihr in meinem Postfach.

*

Lieber Cauthi, auf Terra ist heute ein schöner Herbsttag. Ich hoffe, du hast deinen 18. Geburtstag gut verbracht. Ein Geschenk von mir ist unterwegs, aber es wird wohl eine Weile dauern, bis es durch die ganzen Kontrollen ist. Doch es sollte schneller gehen, da ich das Geschenk einfach zusammen mit den Nachrichten von Jaaron Jargon an Perry Rhodan gepackt habe.

Ich freue mich darauf, dich endlich bald wieder persönlich zu treffen. Wir arbeiten derzeit an einem Plan, Jaaron Jargon Rhodan persönlich vorzustellen. Noch sträubt sich der alte Mann ein wenig. Er hat Angst vor Seren, die ihn die Koordinaten vergessen lassen. Wir müssen wohl ein paar Umwege für ihn nehmen. Ich werde ihn begleiten und dann treffen wir uns endlich. Du bist jetzt bestimmt ein junger, stattlicher Mann.

Mein Ritter, der mich vor Mashratan gerettet hat. Die Nachrichten über meine Heimat lese ich mit Sorge. Je mächtiger Kerkum wird, desto weniger Chancen auf Freiheit und Reformen bestehen auf Mashratan. Es ist tragisch, dass die LFT den Oberst auch noch unterstützt.

So, genug für heute. Ich wünsche dir viel Spaß bei deiner praktischen Ausbildung. Ich habe gehört, dass Arlo Rutan ein ganz schöner Menschenschinder ist. Aber er macht das nur, damit ihr was lernt. Du packst das schon. Lass dich nicht entmutigen.

 

Deine Gazh Ala Nagoti el Finya

Terrania, 08. Oktober 1282 NGZ

*

Ja, ich hatte ein wenig Angst vor dem ersten Tag der Ausbildung. Gazh Alas Worte ließen mich jedoch Mut schöpfen. Vier Jahre war es her, dass ich sie zuletzt gesehen hatte. Damals hatte sie mich überraschend besucht, weil sie dienstlich auf Camelot zu tun gehabt hatte. Lange war es her. Hoffentlich besuchte sie mich wirklich bald.

Von Rosan hatte ich leider nie wieder etwas gehört. Sie hieß nun Rosan Orbanashol und verkehrte mit dem arkonidischen Adel. Sie hatte mich bestimmt längst vergessen.

Ich atmete tief durch und zog den Kampfanzug zurecht. Jetzt noch den Helm aufsetzen und ich war bereit für das erste Training.

Und doch: Ich hatte Bammel vor Arlo Rutan!

*

»Ihr seid wie Mooffs. Schwabbelig, schleimig und schwach. Man muss euch erst einmal zu echten, harten Soldaten formen«, brüllte Arlo Rutan mit hochrotem Kopf.

»Sir, aber die Mooffs sind anerkannte Intelligenzwesen der Milchstraße. Es ist diskriminierend sich beleidigend über das Volk zu äußern«, wandte Antee Vamsar ein.

Rutan schnellte zu ihm. Vamsar schwankte und senkte den Kopf.

»Du jämmerliche, ausgetrocknete Kratzdistel hast wohl einen Zerecchie im Hirn? Wie wagst du es, mit mir zu reden? Ich bin dein Vorgesetzter, dein Gott. Mein Wort ist Gesetz! Wenn es dir nicht passt, dann strulle dir in deine Hosen und hau ab!«

Vamsar nahm zitternd Haltung an.

»Gut!«

Der Ertruser verschränkte die Arme hinter dem Rücken und musterte die Gruppe.

»Aus euch Weichlingen mache ich echte Dlas-Uhus! Das sind Raubvögel, die in einen Blutrausch verfallen. So will ich euch auch sehen. Und nun geht es los!«

Ein Dutzend Roboter verteilte die Thermo-strahler. Wir gingen zu einem Gleiter, der uns in einem unwegsamen Sumpf absetzte.

Unter meinen Stiefeln platschte es. Jeder Schritt musste mit Bedacht ausgeführt werden. Der Gleiter zischte ab. Von Rutan keine Spur. Wir waren auf uns allein gestellt.

»In Ordnung. Was passiert jetzt?«, fragte Zantra.

»Keine Ahnung. Wir warten auf Rutan«, sagte Vamsar.

Da tauchten plötzlich von allen Seiten TARA-UH-Kampfroboter auf. Sie eröffneten das Feuer. Ich duckte mich und wollte zurückschießen, doch die Waffe war noch gesichert.

Benyameen Pluzz fiel rücklings in den Sumpf. Vamsar ließ die Waffe fallen. Ein Strahl traf ihn. Er stürzte in den Matsch. Auch die anderen Kadetten purzelten einer nach dem anderen zu Boden. Ich legte mich flach hin. Zantra wurde getroffen. Sie brach zusammen und lag direkt vor mir.

Plötzlich zogen die Roboter ab. Ich hörte das Rauschen eines Gleiters. Langsam erhob ich mich. Arlo Rutan saß auf der vorderen Haube, die Zigarre im Mund und hielt einen Lautsprecher in der Hand.

»Neunzehn Verluste, ein Mann überlebt. Glückwunsch, Despair. Das nächste Mal die Waffe entsichern. Schön, die meisten wären jetzt tot. Das ist ein Vorgeschmack auf die kommenden Tage.«

Rutan sprang vom Gleiter. Ich hörte Hilfeschreie von links. Rutan ging darauf zu, beugte sich hinab und griff in den Matsch. Er zog Pluzz aus dem Morast.

»Danke, Sir«, flüsterte der Kadett.

Rutan kaute schweigend auf seiner Zigarre herum und blickte sich um. Nacheinander standen die Rekruten wieder auf. Endlich konnte ich mich bei Zantra auszeichnen und half ihr hoch.

»Das waren Schockstrahler. Hat mich glatt für ein paar Momente umgehauen«, sagte sie stockend.

Rutan klatschte in die Hände.

»Somit steht also das Programm. Umgang mit einem Thermostrahler, Hierarchie im Kampfeinsatz, Deckung suchen und mehr Beweglichkeit.« Er lachte. »Das wird ein Spaß!«

*

Es war ein Albtraum! Ich lag auf meiner Pritsche und alles tat weh. Wie sollte ich das die nächsten Wochen überstehen?

Arlo Rutan quälte uns nun schon seit drei Wochen. Die Schießübungen waren noch das Einfachste dabei. Heute mussten wir in einem defekten Serun trainieren. Nichts mit Muskelverstärkern, Antigravs und all der technischen Unterstützung eines Soldaten. Rutan scheuchte uns durch das Sumpfgebiet und erklärte, ein guter Soldat müsse sich zuallererst auf seinen Körper und nicht die Technik verlassen. Rutan berichtete, es gäbe viele Mittel und Wege Seruns außer Funktion zu setzen. Je moderner die Technik, desto ausgefeilter auch die Methoden, um diese zu sabotieren. Ein Soldat, der sich nur auf den Schutzschirm, das automatische Zieldisplay und die angenehme Klimaanlage im Serun verließe, sei des Todes.

Das leuchtete mir ein, auch wenn das Training auf die anderen Kadetten antiquiert wirkte. Allan Coohn hatte sich mit der Frage, ob man denn überhaupt persönlich in einen Kampfeinsatz gehen bräuchte, wenn man auch bequem vom Raumschiffsessel aus Drohnen und Kampfroboter steuern könnte, nicht beliebt bei Rutan gemacht.

Zur Strafe hatte Rutan meinen Kameraden selbst gejagt. Der Ertruser hatte sich an das Steuerungsmodul eines Kampfroboters gesetzt und Coohn quer durch den Sumpf gescheut.

Wahrscheinlich hatte Allan die Lektion verstanden. Ich war nur müde und fiel in einen tiefen Schlaf.

 

10. Zeit für die Liebe?

Ende November 1282 NGZ hatten wir endlich das Training als Infanterist überstanden. Wir bekamen drei Tage Erholungsurlaub, den ich nutzte, um Tante Ivy und Onkel Tuzz zu besuchen. Ich hätte zwar auch vorher die Möglichkeit gehabt, denn jedem Rekruten standen auch ein paar Stunden Freizeit zu, doch ich hatte nie den Drang verspürt, die beiden wiederzusehen.

Ich hätte es mir auch sparen können. Beide waren so oberflächlich wie eh und je. Onkel Tuzz fragte mich, da ich nun volljährig war, wann ich denn komplett ausziehen würde? Ich sprach ihn daraufhin auf das Erbe meiner Eltern an, doch beide meinten nur, wir würden später darüber reden.

Was bedeutete das?

Sie stotterten herum und lenkten immer wieder vom Thema ab. Ich hatte genug. Mein Besuch war vergeblich. Sie hatten mir die letzten achtzehn Jahre keine Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt, warum sollten sie es jetzt tun?

Ich ging wieder und streifte durch die Altstadt von Port Arthur.

»Hey, ich bin es Zantra«, rief mir jemand hinterher.

Ich drehte mich um. Das war Zantra Solynger. Sie winkte. Oh, sie winkte mir zu? Ich sah mich nach links und rechts um. Kein Irrtum. Sie meinte wirklich mich. Mein Herz pochte schneller.

Wir gingen aufeinander zu.

»Hey, was machst du hier?«, fragte sie und lächelte mich an.

Sie rauchte eine Zigarette und blies den Rauch aus. Beinahe hätte ich husten müssen, doch ich gab mir keine Blöße.

Ich schaute sie an. Ihre schönen langen, glatten und dunkelblonden Haare. Zantras Haut war eben und frei von irgendwelchen Unreinheiten. Ihre Figur war schlank, wenn auch nicht durchtrainiert. Doch sie besaß kein Gramm Fett zu viel. Selbst ihre etwas zu große Nase störte mich nicht. Im Gegenteil, denn es gab ihrem Gesicht eine unverkennbare Charakteristik.

»Was machst du denn nun hier?«

»Ach, tut mir leid. Ich weiß auch nicht. Komme gerade von meinem Onkel und meiner Tante. War nicht sehr angenehm. Nun bin ich einfach ziellos durch die Gegend gegangen.«

Sie nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette und stieß den Rauch aus. Irgendwie auch erotisch, wie sie da, mit halb geöffnetem Mund stand, die weißen Zähne blitzen halb unter den Lippen hervor. Gott, was hatte ich nur für Gedanken?

»Gehen wir doch ins Holodrom. Ich habe auch nichts vor. Vielleicht lenkt es dich ja ab von dem unangenehmen Besuch.«

Zantra wollte mit mir ins Holodrom gehen? Mit mir? Kein Traum? Was war nur los?

»Ja«, krächzte ich aufgeregt.

Wir sahen uns einen eher humorlosen Holofilm über zwei TLD-Agenten an, die eine Invasion von Extraterrestriern verhindern sollten und dabei einer Verschwörung auf die Spur kamen. Der Film war Nebensache.

Je mehr Zeit ich mit Zantra im Kino verbrachte, desto mehr mochte ich sie, doch ich war zu schüchtern, um mit ihr richtig zu reden. Außerdem hatte ich eben keine Erfahrungen mit Frauen. Ich wusste einfach nicht, was ich zu Zantra sagen sollte.

Zu meinem Bedauern kam von ihr auch keine große Initiative, um mich aufzulockern. Sie bemerkte, auch irgendwie erleichternd, meine Verkrampftheit nicht.

Nach dem Film schlenderten wir noch etwas durch die Stadt. Da ich nicht bei meinem Onkel und meiner Tante schlief, musste ich um Mitternacht wieder in der Akademie sein.

»Ha ... ha ...«

»Lachst du gedehnt oder willst du mir etwas sagen, Cauthon?«

Ich räusperte mich. Bei allen Göttern, Geistern und Entitäten. Gebt mir Kraft, nicht, wie der letzte Trottel dazustehen.

»Hast du, ich meine, musst du. Kaserne?« Ich hustete. Zweiter Versuch. »Musst du nachher auch in die Kaserne, oder bist du bei deinen Eltern?«

»Oh, jetzt verstehe ich. Nein, ich schlafe bei meiner Mutter und ihrem Lebensabschnittspartner.«

Was für ein grässliches Wort. Aber es gab zahlreiche solche zusammengeschusterten Bezeichnungen für Freund oder Freundin. Das Wort Partner hätte auch gereicht. Das andere klang so lieblos. So zeitlich begrenzt. Als ob man schon vorher festlegte, nicht auf Dauer zusammen zu sein. Welchen Sinn hatte dann eine Liebesbeziehung? Ich empfand auch Eheverträge als schlimm.

Ich war nun wirklich nicht der Romantiker vor dem Herrn, aber liebloser konnte man eine Hochzeit doch nun auch nicht gestalten, oder? Aber es gab eben auch viele Wesen, die keinen Wert auf Traditionen oder große Gefühle legten, an die sie sich am Ende doch nicht hielten.

Zantra und ich standen vor einem Holokubus, wo eine terranische Oper abgespielt wurde. Zantra schien sehr davon angetan zu sein. Ich verstand kein Wort, da es in der terranischen Ursprache Italienisch gesungen wurde.

»Wovon handelt das wohl?« fragte ich mich.

»Liebe ...« sagte sie leise.

Ich erwiderte nichts.

Liebe ... da konnte ich nicht mitreden. Mich hatte noch kein Mensch richtig geliebt. Zumindest keine lebende Person. Meine Eltern hatten mich sicher geliebt, doch sonst gab es niemand. Ivy und Tuzz hatten es mir heute wieder deutlich vor Augen geführt. Ich war allein. Dabei hatte ich auch Sehnsüchte und Bedürfnisse.

Ich schielte verstohlen zu Zantra herüber. Sie war sehr hübsch. Mein Herz schlug wieder höher. Ob sie mich lieben könnte? Ich hatte Angst sie zu fragen. Ich sollte mir Zeit mit ihr lassen, sie lief mir ja nicht weg.

»Ich … muss jetzt leider los. Kurz vor Mitternacht. Gibt sonst Ärger«, sagte ich leise.

Sie lächelte.

»Ich verstehe. War ein netter Abend. Sollten wir mal wiederholen. Wir sehen uns in der Akademie.«

Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich war wie paralysiert, schwor mir in diesem Moment niemals mehr mein Gesicht zu waschen. Aber würde sie mich dann noch einmal küssen?

Mehr als ein »Wiedersehen« brachte ich nicht hervor. Da war sie auch schon weg. Ich ärgerte mich über meine Schüchternheit und hoffte, dass wir diesen Abend wirklich bald wiederholen würden.

*

Schon am nächsten Tag rief sie an. Ich war völlig irritiert und glücklich zugleich. Wir verabredeten uns am späten Abend zu einem Spaziergang im Park hinter der Akademie.

»Übermorgen geht es wieder los. Dann beginnt das Raumtraining«, sagte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen.

»Ad Astra, Kadetten«, scherzte sie. »Bist du schon einmal mit einem Raumschiff geflogen?«

»Ja, vor acht Jahren zusammen mit Perry Rhodan und Gucky. Wir waren auf der Welt Mashratan.«

Sie blickte mich zweifelnd an.

»Auf diesem gefährlichen Planeten? Du flunkerst doch. Was wolltet ihr da?«

Ich erzählte ihr von meinem kleinen Abenteuer und der Entführung. Anfangs hatte ich das Gefühl, Zantra nahm an, ich wolle ihr einen Okrill aufbinden, doch schließlich glaubte sie mir und war sichtlich beeindruckt.

»Dann bist du mit Rhodan befreundet? Das hätte ich nicht gedacht.«

Ich lachte. Es war Zeit, etwas anzugeben. Ich kramte mein Pod hervor und zeigte ihr die Glückwunschnachricht von Perry von gestern.

 

 

Gut gemacht, Cauthon! Rutan ist ein zäher Hund, aber du hast etwas bei ihm gelernt. Nun streng dich mal mit den Flugstunden an, damit du rechtzeitig bei der GILGAMESCH anheuerst, wenn sie fertiggestellt wird. Aber wehe, du arbeitest dann auf Guckys Modul. Gib auf dich Acht.

Perry Rhodan

Zantra nickte anerkennend.

»Du willst also Raumfahrer werden?«

Ich bestätigte ihre Vermutung. Wir gingen zum Arthur-Tower im Zentrum des Parks. Mit seinen 570 Metern Höhe bot er den besten Ausblick über Port Arthur.

Der Antigrav brachte uns schnell nach oben. Zantra lachte und streckte die Arme hoch, während sie nach oben schwebte. Ich verharrte hingegen eher in einer verkrampften Pose.

Ich genoss jeden Augenblick mit ihr. Ja, ich hatte mich in sie verliebt. Ich wusste nicht exakt wieso, aber spielte das eine Rolle? Mein Herz schlug höher in ihrer Gegenwart und ich wusste nicht, ob ich mich übergeben oder vor Freude jubeln sollte, so verwirrt waren meine Gefühle.

Aber wie sollte ich ihr das nur sagen? Sie würde mich bestimmt auslachen und mir einen Korb geben. Dann konnte ich gleich vom Tower springen.

Zantra stellte sich an das Geländer und schaute in die Tiefe. Der Ausblick über Port Arthur war atemberaubend. Die Stadt leuchtete wie der Sternenhimmel. Trotz meiner Kreislaufprobleme fühlte ich mich zufrieden und geborgen bei Zantra.

Da war dieses Gefühl der Vertrautheit. So als ob ich sie mein Leben lang kannte. Dabei war es bisher nur ein halbes Jahr und erst seit gestern hatten wir uns richtig unterhalten. Dieses Gefühl hatte ich bisher nur bei Cau Thon gehabt.

»Ein wunderschöner Anblick«, sagte sie sanft und blickte mich dabei an. Ihre großen blauen Augen ließen mein Herz höher schlagen. Wenn das so weiterging, bekam ich noch einen Herzinfarkt. Ich musste mich zusammenreißen.

»Ja, Camelot ist eine schöne Welt«, antwortete ich verlegen.

»Es gibt noch schönere Welten. Dort werde ich bald sein, so hoffe ich«, meinte Zantra.

Hatte ich mich da eben verhört?

»Wie meinst du das?«

»Ich möchte nach Sverigor ziehen«, erklärte sie. »Ich war bereits als Kind dort. Es ist eine wunderschöne Welt. So friedlich. Ich bewerbe mich auf einen Posten im dortigen Camelotbüro.«

»Aber … aber …, deshalb die Ausbildung, ja? Doch du musst sie ja erst noch zu Ende bringen.«

Zantra sah mich wieder an. Am liebsten hätte ich sie auf der Stelle geküsst. Doch mir fehlte der Mut.

»Nun, nach der Raumfahrer-Ausbildung habe ich die Grundkenntnisse. In der Niederlassung würden dann weitere spezielle Unterweisungen erfolgen. Die könnte ich auch direkt auf Sverigor erhalten. Doch dafür brauche ich eine Sondergenehmigung.«

»Verstehe«, stellte ich enttäuscht fest.

»Ja!«

»Sverigor ist weit entfernt von Camelot. Du solltest nichts überstürzen ...«

»Es ist mein größter Wunsch, auf dieser wunderschönen Welt zu leben«, erklärte sie mit einem Leuchten in den Augen. »Vielleicht kann ich eines Tages das Camelotbüro leiten.«

Ich stellte mich an das Geländer und blickte auf die Stadt hinab. Ich beschloss, ihr vorerst nichts von meiner Liebe zu gestehen. Mir zuliebe würde sie sicher nicht von ihrem großen Traum ablassen. Es würde nur alles unnötig erschweren.

Wir setzten uns auf zwei bequeme Liegestühle.

»Erzähle mir mehr von dir«, bat ich Zantra.

Sie plapperte auch sogleich los. Sie war ein Jahr jünger als ich. Sie war mit acht Jahren nach Camelot gekommen. Geboren auf Terra hatten sie und ihre Eltern zwei Jahre auf Sverigor gelebt. Ihrer Aussage nach war es die schönste Zeit ihres Lebens gewesen.

Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte ihre Mutter sie mit nach Camelot genommen, um als Kosmopsychologin hier zu arbeiten. Offenbar hatte es wohl starke Differenzen zwischen ihren Eltern gegeben. Zantra hatte nie wieder etwas von ihrem Vater gehört. Wie auch? Kein Unbeteiligter kannte die Koordinaten von Camelot.

Für mich klang es nach Entführung durch die eigene Mutter, aber Zantra sah es offenbar anders. Ich wollte mich da nicht einmischen. Ihre Mutter hatte dann vor einigen Jahren einen Syntroniker geheiratet. Zantras Leben war nicht so düster, wie das meine. Es waren nur die ganz normalen Probleme einer Heranwachsenden.

Liebeskummer. Sie sprach ungeniert darüber, dass ihr Freund sie vor einigen Monaten verlassen hatte. Nun, hoffentlich würde er nie wieder zurückkehren.

Am meisten imponierte mir ihre Einstellung. Zwar war ein Leben auf Sverigor ihr größter Traum, weil sie die Natur und die Lebewesen darauf so liebte, doch sie wollte sich vor einer Verantwortung nicht drücken.

»Ich möchte etwas bewirken in meinem Leben. Vielleicht wollte es das Schicksal, dass meine Mutter mit mir nach Camelot gezogen ist. Ich denke, hier wird Geschichte geschrieben. Es gibt keinen besseren Ort, um in dieser Zeit die Weichen für seine eigene Zukunft zu stellen«, erzählte sie, während sie wieder eine dieser unsäglichen Zigaretten rauchte.

Ich stimmte mit ihr überein. Wir teilten viele Ansichten.

Etwas bewirken wollte ich auch. Es wäre wohl das Schlimmste, zu sterben und nichts erreicht zu haben. Keinen Platz in den Chroniken der Geschichte gefunden zu haben.

All die Jahre war ich ein Niemand gewesen. Nur auf Mashratan hatte ich ganz kurz an der Geschichte geschnuppert. All die Jahre hatten sie über mich gelacht und mich verachtet.

Doch das würde sich ändern. Ich war der Beste meines Jahrgangs bisher. Und ich würde als Bester abschließen. Sie alle würden mir großen Respekt zollen und mich bewundern.

Und dann würde mich Zantra bestimmt auch lieben. Ich spürte es mehr und mehr. Wir gehörten zusammen.

 

11. Der erste Raumflug

Zantra und ich kamen in der darauffolgenden Woche gut miteinander aus und redeten viel. Wir verbrachten gemeinsam die Zeit beim Simulationstraining mit Raumjägern, Space Jets oder den kugelförmigen Modulraumern. Nur bei den Hypnoschulungen waren wir natürlich getrennt. Und wenn der Unterricht zu Ende war.

Mehr und mehr schlug mein Herz für sie. Ich musste endlich den Mut finden, ihr meine Gefühle zu beichten. Ich hatte das Gefühl, sie wartete nur darauf.

Weihnachten nahte und ich fragte mich, ob ich etwas als Geschenk kaufen sollte? Würde sie sich darüber freuen oder mich auslachen? Davor hatte ich Angst. Ich wollte nie wieder ausgelacht werden, wie es früher jeden Tag der Fall gewesen war.

Am 23. Dezember veranstaltete die Akademie ein großes Weihnachtsfest. Perry Rhodan war eingeladen. Endlich konnte ich Perry wiedersehen. Dieser Tag wäre die perfekte Gelegenheit, Zantra ein Weihnachtsgeschenk zu überreichen.

Wenn ich den Mut dazu finden würde …

Dazu war das, was uns heute bevorstand, das reinste Vergnügen. Der erste selbstständige Flug mit einem Raumjäger.

Unsere Gruppe trat durch den Transmitter und rematerialisierte auf der Akademieraumbasis II. Wirsal Cell führte uns in einen Hangar. Dort standen dreißig SH234/4 Hunter-Jets und zwanzig Nimrod-Raumjäger.

Die Hunter-Jets wurden zur terranischen Systemverteidigung eingesetzt und waren reine Kampfschiffe. Der Aufbau mit einem schmalen, in die Höhe gestreckten Rumpf, der keine aerodynamischen Eigenschaften aufwies, erinnerte an einen Piranha. Die Bewaffnung war mit drei Geschützen und einer Transformkanone mit der Abstrahlkapazität bis 500 Gigatonnen für einen Raumjäger gewaltig.

Neben dem Haupteinsatzszenario in der Systemverteidigung wurden diese Jäger auch für die Nahaufklärung eingesetzt. Die Reichweite reichte aus, um in der gesamten Milchstraße zu operieren.

Wir waren bestens instruiert. Ohne viel Worte zu verlieren, erteilte Wirsal Cell uns den Befehl, in einen Hunter-Jet zu steigen. Ich suchte mir den direkt vor mir aus. Der Einsitzer war etwa 12 Meter lang, drei Meter breit und sechs Meter hoch.

Ich kletterte die Leiter zum Cockpit hoch und stieg ein. Zwei Swoon vom Hangarpersonal erwarteten mich dort und checkten meinen Raumanzug. Bedächtig ließ ich mich in den bequemen Sitz hinabgleiten. Die Kuppel des Cockpits schloss sich. Die Swoon prüften den Verschluss und einer klopfte zweimal auf das Glas. Das war das Zeichen, das alles in Ordnung war. Der zweite Swoon winkte mir zu. Ich winkte zurück. Kam mir dabei irgendwie komisch vor.

Vor mir befand sich das Steuerungsmodul auf einer halbrunden Konsole. Der klassische Steuerungsknüppel inkl. Feuerknopf, diverse Displays zum Stand des Raumjägers, der Geschwindigkeit, Einsatzbereitschaft der verschiedenen Waffensysteme.

Ich drückte auf den grünen Sensor zum Start der Syntronik. Ein etwa fünfzehn Zentimeter kleines Männchen erschien links neben der Konsole.

»Guten Morgen, Sternenpilot. Ich bin die Syntronik. Du darfst mich C-8718 RA-II nennen.«

»Aha«, machte ich nur.

»Falls es dir noch nicht bekannt ist, verfügt der SH234/4 über einen Metagravantrieb mit einer maximalen Beschleunigung von 1350 Metern in der Quadratsekunde. Der höchste zu erreichende Überlichtfaktor ist 48 Millionen. Zudem besitzt der SH234/4 einen Gravopuls-Antrieb sowie einen Antigrav.«

»Das ist mir alles bekannt, Syntronik.«

»Ich habe auch einen Namen«, erwiderte das künstliche Geschöpf pikiert. »C-8718 RA-II«

Das konnte ja heiter werden. Ich aktivierte den Antrieb und die Startsysteme. Der Antigrav brachte den Jäger zum Schweben. Langsam drehte ich den Raumer in Richtung Hangartor.

Ich erhielt die Starterlaubnis. Der Raumjäger glitt Richtung Hangarschleuse. Im Schutzschirm bildete sich eine Strukturlücke. Ich beschleunigte mein Raumgefährt zaghaft. Als ich mir sicher war, dass der Gleiter auf exaktem Kurs zur Strukturlücke war, erhöhte die die Geschwindigkeit.

»Langsamer, Despair!«, gellte es aus dem Interkom. Doch es war zu spät. Ich rauschte mit dem Jäger durch die Lücke. Vor mir war der freie Weltraum. Sterne und andere kleinere Raumschiffe, die sich im Orbit befanden. Unendliche Größe. Ich zog eine Kurve um die Raumstation und sah Phönix. Es war wie vor acht Jahren. Ein beeindruckender Anblick des Planeten.

Die Steuerung des Raumjägers fiel mir leicht. Die Simulationen hatte ich perfekt gemeistert. Ich flog zu den Raumwerften. Dort wurden die Module der GILGAMESCH montiert. Einige zehntausend Kilometer entfernt, schwebte eine zweite Werft. Hier entstanden zwei 1.000 Meter durchmessende Kugelraumer, die den Namen IVANHOE und TAKVORIAN bekommen sollten.

»Wenn du mit deinen Extratouren fertig bist, schließe dich dem Pulk endlich an«, schnarrte es aus dem Interkom. Wirsal Cell klang ein wenig ungehalten. Ich schloss mich den anderen an. Unter den Anweisungen aus der Kommandozentrale vollführten wir diverse Manöver.

Über die interne Kommunikation wurde ich stets auf dem Laufenden gehalten. Cell und die erfahrenen Piloten in der Kommandostation brüllten einige Male im scharfen Tonfall Befehle. Benyameen wurde die manuelle Steuerung entzogen, als er zu nahe neben anderen Raumjägern flog.

Einige Kadetten mussten wieder zur Raumstation zurückkehren. Mir und einigen wenigen anderen war es noch vergönnt, in einem Asteroidenfeld markierte Ziele zu bekämpfen.

Das war wie in den alten Videospielen aus meiner Kindheit. Je länger ich mit der Hunter-Jet flog, desto mehr gefiel es mir und umso sicherer wurde ich in meinen Aktionen.

Dem Hunter-Raumjäger standen neben der 500 Gigatonnen Transformkanone noch Raketenwerfer mit Störraketen, ein MHV-Geschütz, ein Desintegrator und ein Paralysator zur Verfügung. Der zweifach gestaffelte HÜ- und Paratronschirm schützte die Maschine vor kleineren und größeren Asteroiden.

Die willkürlich durcheinander fliegenden Asteroiden stellten für mich eine Herausforderung dar. Ich genoss jede Sekunde, zwischen ihnen hindurch zu manövrieren. Ein Lichtblitz flammte links auf. Zantra hatte einen Asteroiden gestreift. Der Schutzschirm verhinderte einen Schaden, doch Zantra hatte leider ihr Ziel verfehlt.

Ich schloss am besten mit der Übung ab und war stolz auf mich. Endlich hatte ich etwas gefunden, wo ich meine Überlegenheit demonstrieren konnte.

Die Schmährufe gegen mich waren längst verstummt.

 

12. Krise

Aus den Chroniken

Die erste Dezemberwoche des Jahres 1282 NGZ war von einer humanitären, wirtschaftlichen und moralischen Krise geprägt, die durchaus die Regierung Daschmagan hätte zu Fall bringen können. Ich fühlte mich an die Regierungskrise von Medros Eavan erinnert. Seine dubiosen Machenschaften mit skrupellosen Unternehmern und der Administration von Mashratan hatten seinem Ansehen stark geschadet.

Ich war dank Homer G. Adams und Gazh Ala besser informiert, als die Medien der LFT. Es war der Organisation Camelot zu verdanken, dass die Wahrheit über die gefährliche Allianz zwischen Mashratan und der LFT ans Licht kam.

Camelot hatte diverse Berichte an wichtige Medien verschiedener Welten der LFT weitergeleitet und über unabhängige Plattformen auch selbst veröffentlicht. Die Presse wollte sich die Story dann doch nicht entgehen lassen, da sie um die Auflage fürchtete.

Mashratische Söldner unterstützen terranische Unternehmen bei der Ausbeutung unterentwickelter Planetensysteme.

Es klebt Blut an den Händen der LFT.

Mashratan und Kosmische Hanse versklaven Kolonialbevölkerungen.

Das waren nur einige der Überschriften des 03. Dezember 1282 NGZ. Was war geschehen? Agenten von Camelot hatten die Arbeitsbedingungen auf einigen assoziierten LFT-Welten und unabhängigen Planetensystemen dokumentiert. Schutztruppen von Mashratan als auch Söldner von Tochterfirmen, die in Verbindung mit Mashratan standen, versklavten die Bevölkerung. Unter unwürdigen Bedingungen schufteten die Intelligenzwesen für einen Hungerlohn. Doch am meisten entsetzte die Bürger der LFT, für wen die bedauernswerten Wesen ackerten: Es waren terranische und arkonidische Unternehmen.

Während das Kristallimperium diesen Machenschaften kaum Bedeutung beimaß, entrüsteten sich Wesensrechtler, sozial engagierte Ligabürger, die Kirchen und auch der ganz normale Bürger auf der Straße.

Zuerst dementierten die Hanse und Shorne Industries die Verbindungen. Der neue Geschäftsführer Michael Shorne, der seinen im letzten Jahr verstorbenen Vater Willem beerbt hatte, erklärte vor der Presse: »Ich habe ein absolut reines Gewissen. Wir haben Sicherheitsfirmen beauftragt, für das Wohl und die Sicherheit unseres Personals zu sorgen. Das schließt die fleißigen Arbeiter natürlich mit ein, die jederzeit einen fairen und ihren Lebensbedingungen angemessenen Lohn erhalten haben«, lautete die Stellungnahme von Shorne.

Doch die Recherchen ergaben etwas anderes. Mit Brutalität wurden die Wesen zu ihrer Arbeit gezwungen. Auf Terra hatte es so etwas seit den Tagen, als Perry Rhodan die Dritte Macht gegründet hatte, nicht mehr gegeben.

Die Kosmische Hanse bestritt natürlich jegliche Misshandlungen und deklarierte die Berichte als Fälschungen. Mein »Freund« Bekket Glyn witterte eine »rhodanistisch-jülziische« Verschwörung, die von »linksradikalen Sozialromantikern« auf Terra unterstützt worden sei. Rhodan inszeniere eine große Show, um die wirtschaftlichen Eckpfeiler und Eliten der LFT zu demontieren. Das wäre eine feindliche Machtübernahme durch die Rhodanisten, hatte Glyn in seiner Sendung erklärt.

Wieso war der eigentlich nicht schon längst entlassen? Aber gut, das war die freie Meinungsäußerung. Im Zweifelsfall sollte der Zuschauer selbst entscheiden, ob er diesen Stuss glaubte oder nicht. Das konnte man von einem raumfahrenden Intelligenzwesen doch eigentlich erwarten, oder?

Der Druck wurde in den nächsten Tagen nicht geringer. Paola Daschmagan rief eine Sondersitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein. Es war klar, dass sie um ihren Posten fürchtete. Dabei hatte sie vor nicht allzu langer Zeit Oberst Kerkum auf Terra noch hofiert.

Einige Stunden später folgte die offizielle Verlautbarung, die von der Ersten Terranerin höchstpersönlich vorgetragen wurde.

»Wir sind entsetzt über die Gräueltaten der sogenannten Sicherheitsfirmen und distanzieren uns von deren Brutalität. Nach intensiven Gesprächen mit den darin verwickelten terranischen Unternehmen versprechen wir eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen nach terranischem Vorbild. Wir werden Verhandlungen mit den Administrationen der betroffenen Welten führen, um sie an dem Fortschritt der LFT teilhaben zu lassen.

Im Einvernehmen mit den Vorständen der beteiligten terranischen Unternehmen werden die Verträge mit sämtlichen Sicherheitsfirmen aufgekündigt.

Unsere Handelsbeziehungen mit Mashratan müssen wir überdenken. Vorerst werden wir die Geschäfte auf Eis legen. Als moderne Demokratie müssen wir die Rechte eines jeden Individuums in der Galaxis achten und dürfen Vergehen gegen die Würde eines Intelligenzwesens keinesfalls gestatten.

Wir möchten die Regierung und das Volk von Mashratan zum Dialog und zu der Einführung einer Demokratie ermutigen.«

Das Motto hieß ganz klar Schadensbegrenzung. Ich zweifelte daran, dass den Verantwortlichen wirklich das Wohlergehen der ausgebeuteten Welten am Herzen lag. Sie hätten sonst schon längst die Beziehungen mit Mashratan abgebrochen. Doch war Mashratan wirklich der Alleinschuldige? Wurden seine Dienste nicht vielmehr von der LFT bezahlt? Es war aus rein ökonomischer Sicht für die terranischen und arkonidischen Unternehmen von Vorteil, je billiger die Produktionskosten waren. Wenn die Arbeiter auf den Planeten unter den gleichen Bedingungen wie auf Terra arbeiten würden, wäre der Vorteil dahin. Wenn eine demokratische Regierung, die nicht in die eigene Tasche wirtschaftete, sondern die Rohstoffkonzessionen fair im Interesse des eigenen Volkes aushandelte, würden die Geschäftemacher, die nur ihren eigenen Profit im Sinn hatten, ihre Felle davonschwimmen sehen.

Auf Kosten anderer zu leben war jedoch trotz aller eher negativen Veränderungen der Gesellschaft in der LFT verpönt. Das wusste Daschmagan und im Gegensatz zu ihrem Vorgänger hatte sie schnell gehandelt. Vielleicht steckte auch der starke Mann im Hintergrund dahinter. Der LFT-Kommissar Cistolo Khan galt für viele als Mann der Tat und der schnellen Entscheidungen. Vielleicht war die Auswahl von Khan zum LFT-Kommissar das bisher größte Glanzstück der Ersten Terranern gewesen.

Die Regierung der LFT hatte zumindest aus ihrer Sicht folgerichtig gehandelt. Sie distanzierte sich von diesen Aktionen, zwang die Unternehmen zu einer sauberen und fairen Partnerschaft mit den unterentwickelten Planeten und stempelte Mashratan zum Sündenbock. Doch die Manager der terranischen multigalaktischen Konzerne gehörten genauso geächtet. Aber dazu würde es natürlich nicht kommen. Zwar begrüßte die breite Mehrheit der Bevölkerung die Entscheidung, doch es gab auch kritische Stimmen aus dem nationalistischen Lager und den Wirtschaftsverbänden.

Der Präsident der Unternehmervereinigung Koether hatte sich wie folgt geäußert: »Es ist bedenklich und gefährlich, wenn die Regierung der LFT sich so tiefgreifend in die sozialen Verhältnisse fremder Welten einmischt. Aus ökonomischer Sicht schwächt es unsere Wettbewerbsfähigkeit, wenn utopische Forderungen zur Arbeitsverbesserung gestellt werden.«

Koether drohte außerdem damit, in der Produktion den Anteil von Robotern zu erhöhen, da diese weniger kostspielig seien, als Arbeiter mit »unverschämt hohen Gehältern«.

Dabei vergaß er jedoch, das Arbeiterschutzgesetz, welches besagte, dass ein Intelligenzwesen auf eigenen Wunsch jederzeit bevorzugt vor einem Roboter eingestellt werden musste. Allerdings wurden viele Jobs auch nicht gerne von Lebewesen übernommen. Und dieses Gesetz galt natürlich nicht auf jedem Planeten.

Nun, die Regierung Daschmagan hatte eine Krise abgewendet. Doch wie würde Oberst Kerkum auf die wirtschaftlichen Sanktionen reagieren?

Jaaron Jargon im Dezember 1282 NGZ

 

13. Am Ende doch allein

»Deine Freundin Gazh Ala hatte einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung von Kerkums Söldnertruppen geleistet«, sagte Perry Rhodan und lächelte mich an. »Sie konnte uns Namen nennen und hat einige Jahre mit uns intensiv zusammengearbeitet. Ohne dich wäre das nie möglich gewesen.«

Hoffentlich würde ich Gazh Ala bald wiedersehen. Sie hatte für Anfang Januar ihren Besuch angekündigt. Ich verstand, dass sie nicht beliebig zwischen Terra und Phönix hin und her reisen durfte. Doch ich vermisste sie.

Rhodan rückte meinen Anzug zurecht.

»Du willst doch Eindruck auf die jungen Damen bei der Weihnachtsfeier schinden.«

»Eigentlich nur auf Zantra Solynger«, erwiderte ich.

Rhodan seufzte, aber kommentierte es nicht weiter. Wir brachen zur Raumfahrtakademie auf. Ich war stolz, dass ich mit Perry Rhodan höchstpersönlich auf der Weihnachtsfeier erscheinen durfte.

Wir hatten uns lange nicht persönlich getroffen, doch Perry hatte regelmäßig den Kontakt mit mir gehalten. Er war auf meine Leistungen auf der Akademie stolz. Ich erzählte ihm von meinen Manövern mit den Raumjägern und schwärmte davon, eines Tages meinen Dienst auf der GILGAMESCH oder IVANHOE zu verrichten.

Und natürlich sprach ich mit ihm über Zantra. Naja, vielmehr hielt ich einen Monolog. Perry machte nur hin und wieder »Mhm« und »Ach?«. Ich fragte ihn, ob Zantra dann auch den Dienst auf der GILGAMESCH verrichten könnte?

»Schaun wir mal. Sprich am besten mit ihr darüber«, antwortete Rhodan knapp.

Wir erreichten die Akademie. Wirsal Cell empfing uns. Er trug einen Frack mit Fliege. So nannte man diese altertümlichen Anzüge. Der Festsaal war schön hergerichtet. Ein großer Tannenbaum in der Mitte der Halle, reichlich geschmückt und beinahe schon zu schrill beleuchtet, zog wohl jeden Besucher zuerst in seinen Bann. Cell klopfte mir auf die Schulter.

»Nun, Musterschüler, freust du dich schon auf den nächsten Raumeinsatz?«

Ich nickte und salutierte.

»Ja, Sir!«

Cell lachte herzlich.

»Rhodan, aus dem wird ein ganz Großer! Cauthon Despair hat das Zeug dazu, Geschichte zu schreiben«, fand Cell.

Rhodan winkte ab.

»Vorschusslorbeeren sind nicht gut für das Ego. Cauthon wird seinen Platz finden, aber er hat auch noch viel zu lernen.«

Wieso sagte Perry so etwas Gemeines zu mir? Ich war der Beste des Jahrgangs! Keiner reichte mir das Wasser! Wieso verkaufte mich Rhodan unter Wert? Hatte er kein Vertrauen zu mir? Pikiert zog ich davon und suchte Zantra. Ich fand sie an der Bar. Neben ihr so ein Schönling, der zwei Ausbildungsjahre über mir war. Er trug eine schillernde Uniform mit allen möglichen Auszeichnungen. Nun, Orden fehlten mir noch, aber das würde noch kommen.

»Hey«, begrüßte mich Zantra.

»Hey«, sagte ich knapp und musterte meinen Kontrahenten. Schlank, kurzes, volles Haar, rasiert wie ein Baby Popo und gut gebräunt. Ich mochte ihn nicht.

Sie wandte sich wieder von mir ab und unterhielt sich weiter mit dem smarten Typen. Ich war abgemeldet, stand verloren herum und brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass sich Zantra nicht zu mehr, als ein »Hey« hinreißen ließ.

Antee Vamsar und Benyameen Pluzz kamen vorbei. Immerhin stand ich so nicht allein, auch wenn ich die Anwesenheit der beiden nicht schätzte. Ich trank zwei Vurguzzcocktails, ehe Zantra endlich erneut von mir Notiz nahm.

»Alles gut?«, fragte sie mit einem Lächeln?

»Ja«, knurrte ich und dachte das Gegenteil.

»Lach doch mal, Cauthi! Das ist übrigens mein Freund Ygor. Er hat gerade die Akademie beendet und rate mal, wo er stationiert wird? Auf Sverigor! Er wird Sicherheitschef der Camelotniederlassung. Und nun …«

Sie kicherte. Ihre Augen glänzten.

Mir schoss nur ein Wort durch den Kopf. Freund! Sie betonte das Wort so, als meinte sie damit nicht einen guten Freund.

»Und ich werde die Akademie abbrechen und die Ausbildung auf Sverigor als Sachbearbeiterin beenden. Ygor wird mich ausbilden. Ich kann schon im Januar nach Sverigor.«

Sie nahm Ygors Hand. Beide sahen sich tief in die Augen und lächelten. Was geschah hier? Zantra hatte einen Freund? Sie verließ Phönix schon nächsten Monat? Sie verließ mich?

Für dieses arrogante Stück Weltraummüll?

Ich brauchte noch einen Vurguzz. Soviel Alkohol war ich nicht gewöhnt, doch, was sollte ich tun? Meine Hände zitterten. Ich brachte kein Wort heraus.

»Freust du dich nicht für uns?«

»Was?«, entgegnete ich verständnislos.

»Wir haben die Erlaubnis von Perry Rhodan persönlich erhalten. Das ist das Gute an diesem Mann. Er hat ein offenes Ohr für seine Leute und hilft ihnen weiter«, sagte dieser widerwärtige Ygor mit einem süffisanten Grinsen. Dann hob er das Glas. »Kannst uns ja mal besuchen kommen, Kleiner. Wenn du die Ausbildung fertig hast, natürlich.«

Kleiner?

Am liebsten hätte ich diesem arroganten Fatzken sein Glas in den Rachen gestopft, bis er daran erstickte. Doch ich lächelte nur und nickte. Wo war mein Mut? Ja, gut, ich konnte ihn verprügeln und dann? Ich fürchtete die Konsequenzen. Ich musste mich doch an die Regeln von Camelot halten und das tun, was Perry Rhodan von mir verlangte.

Perry Rhodan! Er hatte also Zantra eine Sondergenehmigung erteilt. Wie konnte er nur? Er wusste doch, dass ich Zantra liebte und sie zu mir gehörte. Nun nahm er sie mir weg.

Oh, ich Narr! Ich war zu zögerlich gewesen, hatte gedacht, ich hätte alle Zeit des Universums, ihr Herz zu erobern. Ja, ich hatte mir eingebildet, sie wollte es auch so. Doch sie hatte mich betrogen. Sie hatte mich die ganze Zeit hinters Licht geführt.

Da stand sie nun. Grinste dämlich vor sich hin und zeigte nicht den Anflug von Reue und Gewissensbissen. War es ihr egal oder war sie so ignorant, dass sie meine Gefühle überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte? Spürte sie denn nicht, dass mein Herz gebrochen war?

»Naja, du kannst ja noch hier rumstehen. Wir gehen jetzt tanzen.«

Zantra und Ygor ließen mich stehen. Als wäre ich Luft. Ich war keine Luft. Ich war Cauthon Despair! Sie konnte mich haben und nahm diesen aufgeblasenen Penner statt meiner.

Ich war intelligenter, moralisch hoch stehender und auch ein besserer Raumfahrer. Wirsal Cell hatte es gesagt. Ich würde Geschichte schreiben!

Ich … ich … brauchte erst nochmal einen Vurguzz!

Ein Servo flog vorbei. Ich fischte ein Glas von dem Tablett und leerte es. Noch einen! Das konnte man doch nüchtern nicht ertragen. All diese blöden Narren. Die standen doch weit unter mir. Die wollten die Elite der Milchstraße sein? Was wussten die schon? Kannten sie den Schmerz der Einsamkeit, den ich mein ganzes Leben lang spürte? Wussten sie, wie es war, niemals geliebt zu werden und trotzdem zu versuchen, etwas aus seinem Leben zu machen?

Nein! Noch ein Vurguzz. Das Zeug schmeckte gut.

Sie wussten gar nichts! Da standen sie und kokettierten herum, als wären sie von ES persönlich auserwählt.

Vamsar kam schon wieder. Er hatte eine Frau und seinen Lebenspartner bei sich. Die kesse Blondine hieß Maryssa. Maryssa war wohlproportioniert und von natürlicher Schönheit. Ihre Weiblichkeit quoll beinahe aus dem engen, rotschwarzen Kleid. Ihre Beine schienen endlos zu sein. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Maryssa sucht noch einen Begleiter für heute Abend«, erklärte Vamsar und lachte. Arm in Arm verschwand er mit seinem Freund.

Wir blickten uns an. Mir war vom Vurguzz schlecht. Außerdem musste ich an Zantra denken.

»Möchtest du mich nicht zum Tanzen auffordern?«, fragte Maryssa und klimperte mit den Wimpern.

»Nein!«

Ihr Lächeln verschwand ebenso wie sie. Ich genehmigte mir noch einen Vurguzz. Ja, sie sah schon hinreißend aus, wie sie sich verrenkte und den Hintern beim Tanz schwang. Aber ich wollte nicht tanzen. Das war nichts für mich. Da machte ich mich ja zum Affen.

Ich lächelte Maryssa verlegen zu, als sie zurückkam. Plötzlich zog sie mich auf die Tanzfläche. Ich fühlte mich wie ein Trottel. Maryssa hopste aufreizend um mich rum, schäkerte dabei mit anderen Männern und Frauen, während ich mir entwürdigt und verloren vorkam.

Ich zuckte hier und da mit den Armen und Beinen. Offenbar ging es als Tanz durch. Nach dem Ende des Songs stolzierte die Blondine zur Bar. Vurguzz! Ja, eine gute Idee.

Maryssa war sofort von drei Kerlen umgeben. Tja, da war ich wohl wieder abgemeldet. Immerhin wusste der Vurguzz mich zu schätzen. Wo waren eigentlich Perry Rhodan und Wirsal Cell? Oder die treulose Zantra?

»Cheers!«, sagte Maryssa und prostete mir zu.

Da war sie ja wieder. Ich wusste nicht, wieso so eine Schönheit auf mich stand. Zantra hatte mich ja abblitzen lassen und es gab hier doch genügend Gigolos. Ob sie mich mochte? Oder ob Antee sie bezahlt hatte?

»Du bist mit Perry Rhodan gekommen. War das Zufall?« wollte sie wissen.

»Nein, wir kennen uns schon lange. Ich werde nach Ende der Ausbildung vermutlich auf der GILGAMESCH anheuern.«

Maryssa sah mich überrascht an. Sie lächelte.

»Du bist ja ein richtiger Star, Kleiner!«

Sie presste ihren Körper fest an meinen und hauchte: »Mich törnen solche Leute an.«

Ich fing an zu zittern. Ich lächelte nur kurz und hatte keine Ahnung, was ich erwidern sollte.

Sie leerte ihr Getränk schnell und rauchte eine Zigarette. Ich musste von dem Rauch husten. Wieso mussten nur alle Frauen rauchen, die ich kannte?

Sie lachte nur leise und bot mir auch eine an, doch ich lehnte ab. Maryssa legte ihren Arm um meine Schulter.

»So ein Star wie du, dem liegen die Mädchen bestimmt zu Füßen. Wie viele?«, fragte sie leise.

»Wie belieben?«

»Hattest du schon?«

»Frauen?«

»Frauen, Männer oder Extraterrestrier. Ich bin für alles aufgeschlossen.«

Sie starrte mich vielsagend an. Ich musste mich beherrschen. Mir war übel vom Vurguzz, ich musste an Zantra denken und doch konnte oder wollte ich mich dem Bann dieser Frau nicht entziehen. Sie mochte mich bestimmt. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals? Zantra ließ mich kläglich im Stich, während Maryssa sich anschickte, mein Herz zu erobern. Ich leerte den nächsten Vurguzz. Ach, noch einer hinterher. Sicher war sicher.

Ja, ich wusste, ich konnte dieser Maryssa vertrauen. Also war ich ehrlich zu ihr.

»Ich habe bis jetzt mit keiner Frau geschlafen, auch mit keinem Mann oder Extraterrestrier«, sagte ich mit einem Augenzwinkern.

Maryssa löste sich aus der Umarmung.

»Das ist ein Scherz!«

»Nein ... und?«

Sie begann laut zu lachen. Sie lachte mich aus. Sie lachte so laut, dass etliche Leute auf uns aufmerksam wurden.

»Entschuldige, aber das ist echt ein Hammer!« meinte sie breit grinsend.

Ich teilte ihr Amüsement nicht. Ich stand wie zu einer Salzsäule erstarrt neben der immer noch lauthals lachenden Blondine.

Sie machte sich über mich lustig. Sie respektierte mich nicht. Sie nahm mich nicht ernst. Ich griff ihr Handgelenk und drückte fest zu. Jetzt verging ihr das Lachen.

»Was bildest du hirnloses Flittchen dir eigentlich ein? Nur weil du dich wie ein Schwein benimmst, musst du dich nicht überlegen fühlen. Ich bin besser als du!«

Ich hatte es satt, dass jemand über mich lachte. Niemand hatte das Recht über mich zu lachen. Niemand! Ich hasste Maryssa. Diese billige Schlampe sollte vom nächsten Schwarzen Loch verschluckt werden.

Ich ließ sie los und ging. Oder versuchte es. Jeder Schritt fiel mir schwer. Was war nur los mit mir? Alles drehte sich und mir war so schrecklich übel.

Ich achtete nicht mehr auf die blöde Schrulle, sondern versuchte die Toiletten zu erreichen, ohne jemand anzurempeln.

Das war gar nicht so einfach. Plötzlich packte mich jemand am Oberarm. Es war Perry Rhodan. Der fehlte mir noch. Der hatte doch Zantra erlaubt, fortzuziehen.

»Du hast wohl zu tief ins Glas geschaut«, stellte Rhodan fest.

Ich gab irgendeinen Laut von mir. Rhodan geleitete mich auf den Balkon. Ich setzte mich auf einen Liegestuhl.

»Alle hassen mich«, sagte ich.

Das stimmte doch auch. Alle hassten mich und machten sich über mich lustig.

»Quatsch«, erwiderte Rhodan. »Du solltest ins Bett gehen und dich ausschlafen.«

Ich winkte ab. Am besten, ich starb heute. Mich vermisste sowieso niemand.

»Ich wünschte, ich hätte eine richtige Familie«, flüsterte ich. »Verstehst du, eine Mutter und einen Vater! Dann träume ich davon, dass ich das Mädchen fürs Leben treffe und sie mit nach Hause bringe und meinen Eltern vorstelle und, dass wir zusammen Weihnachten verbringen. Ich habe nie ein schönes Weihnachten verbracht!«

Ich fing an zu weinen. Die Welt war so ungerecht zu mir. Das Universum hasste mich.

»Zantra war das Mädchen meiner Träume, aber sie hat mich einfach so fallen gelassen. Einfach so!«

Der Unsterbliche legte seine Hand auf meine Schulter.

»Tut mir leid!«

Tat es ihm nicht, sonst hätte er ihr ja nicht gestattet, nach Sverigor zu ziehen. Der heuchelte doch auch nur Freundschaft vor. Wie alle anderen auch. Sie nutzten mich nur aus. Und wenn sie mich nicht mehr brauchten, war ich Sternenstaub für sie.

Eines Tages würde das Universum mich respektieren. Ich war keine Witzfigur. Jedoch war mir jetzt richtig übel …

 

14. Die Stunde der Wahrheit

Ich schämte mich noch bis nach den Feiertagen für mein Verhalten auf der Party. Wie hatte ich mich nur so gehen lassen können? Wie konnte ich erwarten, respektiert zu werden, wenn ich mich so aufführte?

Maryssa war mir dabei egal gewesen. Ich empfand nur Abscheu für sie. Genauso wie für Ygor.

Aber ich musste Zantra wiedersehen. Es hatte einige Tage gedauert, bis ich den Mut gefasst hatte, sie anzurufen. Aber sie wimmelte mich ab. Sie hätte keine Zeit für ein Treffen, da sie zu sehr in den Vorbereitungen steckte. Ich probierte es einige Tage, bis ich endlich den Mut aufbrachte, sie ohne Vorankündigung zu besuchen.

Zantra starrte mich überrascht an, als sie die Tür öffnete.

»Was willst du?«, fragte sie distanziert.

»Wissen, wieso du mich so behandelst. Ich dachte, wir wären Freunde. Ich hoffte, du würdest«, ich atmete tief durch, »mehr für mich empfinden und meine Gefühle erwidern. Doch dann das!«

Zantra blickte mich verständnislos an. Und nun? Wie sollte es weitergehen? Würde sie ewig schweigen. Sollte ich mehr sagen?

Endlich brach sie die Stille, doch vermutlich wäre es besser gewesen, sie hätte die Klappe gehalten.

»Tut mir leid, Cauthon. Aber du bist nun einmal nicht mein Typ. Außerdem liegt meine Zukunft bei Ygor auf Sverigor. Du hast da einiges missverstanden.«

So war das also. Was gab es denn falsch zu verstehen, als Zantra mich regelmäßig angerufen und getroffen hatte und mir so viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte? War ich nur ein Zeitvertreib für sie gewesen?

Ygor stellte sich plötzlich neben sie.

»Probleme?«

»Cauthon wollte gerade gehen«, sagte Zantra.

»Nein, wollte ich nicht!«

Ygor trat vor.

»Du hast sie gehört. Du hast hier nichts verloren. Belästige uns nicht weiter.«

Ygor stieß mich zurück. Ich hatte genug davon, herumgeschubst zu werden. Ich packte seinen Arm und zog ihn zu mir. Dann donnerte ich seinen Kopf gegen die Hauswand. Blutend sackte diese Zentrumspestbeule zu Boden.

Ich hatte gewonnen! Da lag er nun in seinem Blut. Er würde mich niemals wieder herumschubsen.

»Hau endlich ab, du Psycho!«, schrie Zantra, die sich sofort um Ygor kümmerte.

Psycho?

Erst jetzt realisierte ich, was ich getan hatte. Was war nur in mich gefahren?

»Es … es tut mir leid, Zantra! Bitte …«

»Hau ab!«, kreischte sie mit Tränen in den Augen. Ich zuckte zusammen. Sie hasste mich. Ich Idiot hatte das genaue Gegenteil erreicht, von dem, was ich mir von meinem Besuch erhofft hatte.

Ich hatte Zantra endgültig verloren.

*

Wie ein geprügelter Hund schlurfte ich zurück zur Akademie. Dabei war ich derjenige, der Gewalt angewendet hatte. Es störte mich dabei weniger, diesem eitlen Ygor eine blutige Nase verpasst zu haben. Doch Zantra hasste mich nun.

Wirsal Cell erwartete mich dort bereits.

»Du hast sie verloren, nicht wahr?«

Ich nickte.

»Zantra will nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich bin allein.«

»Nein, ich bin doch noch da. Du musst sehr weise wählen, wem du Vertrauen schenkst. Zantra Solynger hat deine Liebe und dein Vertrauen nicht verdient.«

Ich konnte dem nicht widersprechen. Doch ich liebte sie immer noch. Ich wäre bereit, ihr sofort zu vergeben. Wir gingen in das Büro von Wirsal Cell. Hier gefiel es mir immer gut. Es war antik eingerichtet mit Möbeln aus echtem Holz, echten Büchern aus Papier, Flaggen und Karten aus allen möglichen Epochen der terranischen Militärgeschichte.

Wir tranken einen Tee.

»Ich denke, du musst noch mehr schockierende Nachrichten erfahren«, sagte Cell ernst.

»Was?«

»Du bist jetzt alt genug, um die Wahrheit zu erfahren. Wir waren nicht ehrlich, was den Tod deiner Eltern anging. Perry Rhodan hält es immer noch für besser, dich zu belügen, doch ich kann das nicht mehr. Du bist ein stolzer Mensch und hast die Wahrheit verdient.«

Cell reichte mir einen Reader. Dort fand ich den Abschlussbericht der Untersuchung zum »Fall HAWKING«. Er war als streng geheim klassifiziert. Verwundert blickte ich Cell an.

»Ich habe natürlich Zugang dazu, doch für die Masse ist der Bericht nicht zugänglich.«

Ich las den Bericht. Es war kein Unfall. Die Vermutung lag nahe, dass entweder eine fremde Macht oder Agenten des Kristallimperiums die Roboter und die Syntronik der HAWKING manipuliert hatten. Es wurde auch die Überlegung erwähnt, Cau Thon könne dahinter stecken. Fakt war jedoch, dass das zögerliche Verhalten von Camelot gerügt wurde. Der rechtzeitige Einsatz eines weiteren Raumschiffes nach dem ersten Todesfall hätte womöglich weitere Todesopfer vermieden.

Das bedeutete im Umkehrschluss, hätte Perry Rhodan schneller reagiert und Hilfe nach Neles geschickt, würden meine Eltern noch am Leben sein. Es war klar, wieso der Saubermann des Universums mir niemals die Wahrheit erzählt hatte. Er und seine Clique hatten versagt. Wer auch immer hinter dem Mord an meiner Mutter und meinem Vater steckte, Perry Rhodan hatte tatenlos zugesehen. Er trug eine Mitschuld an ihrem Tod.

»Wieso jetzt?«, wollte ich wissen. »Warum zeigst du es mir gerade jetzt?«

Wirsal seufzte und legte seine Hand auf meinen Unterarm.

»Es wäre wohl nie der richtige Zeitpunkt gewesen. Ich wollte es dir schon lange sagen, doch habe ich es immer wieder vor mich hergeschoben.«

Ich verstand. Welche Rolle spielte Cau Thon nun in der ganzen Sache? Wieso wurde er verdächtigt? Das war doch nur eine Vermutung. Ich glaubte Cau Thon, dass er alles versucht hatte, um meine Eltern zu retten. Im Gegensatz zu Perry Rhodan.

Vielleicht hatte ja sogar ein Bekket Glyn recht, der von Rhodans Scheinheiligkeit und Selbstgefälligkeit sprach? Rhodan hielt sich für unfehlbar. Er hatte mir die Wahrheit über den Tod meiner Eltern verschwiegen. Er hatte Zantra erlaubt, sich von mir abzuwenden. Und dazu schien er auch kein Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben.

Der würde sich noch wundern. Ich würde diesem verstaubten Fossil noch beweisen, zu welch Taten ich in der Lage war.

Plötzlich stürmte der Adjutant von Wirsal Cell in den Raum. Der Ferrone war sichtlich aufgeregt.

»Was platzt du hier einfach so rein?«

»Ein Anschlag! Das Camelotbüro in Terrania City. Bombe!«

Cell stand auf und sah mich ernst an.

Das Camelotbüro in Terrania wurde angegriffen.

Bei allen Entitäten. Gazh Ala!

 

15. Terror

Aus den Chroniken

03. Januar 1283 NGZ

Der Schock saß tief. Ein Attentat in Atlan-Village, Terrania City erschütterte den Planeten. In einem Geschäftsviertel war eine Bombe detoniert und hatte siebzehn Menschen in den Tod gerissen. Über einhundert Lebewesen waren verletzt worden.

Was die Presse nicht wusste, mir jedoch bekannt war: Der Anschlag musste offenbar dem Camelotbüro gegolten haben. Schon einige Male war ich dort gewesen, um mit Gazh Ala Nigota el Finya zu sprechen.

Was aus ihr geworden war, wusste ich nicht. Wer dahinter steckte, lag im Verborgenen. Wer wusste, dass sich dort ein Camelotbüro befand? Bis auf Cameloter selbst und wenige Eingeweihte nur der Terranische Liga Dienst und vielleicht fähige Geheimagenten der Arkoniden.

Camelot nahm mit mir Kontakt auf. Ich war über die Hyperkomnachricht erstaunt, ja kurzzeitig sprachlos, als das Gesicht meines guten Bekannten Homer G. Adams auf dem Bildschirm erschien.

»Ich wünschte, wir würden uns unter besseren Umständen wiedersehen, alter Freund«, begrüßte mich Adams.

»Mein Beileid. Wie viele Angehörige Camelots sind gestorben?«

»Das wissen wir nicht genau. Es sind einige Mitarbeiter verschwunden. Sie wurden vermutlich entführt. Darunter auch deine Kontaktperson Gazh Ala. Wir wissen nicht, ob du in Siena sicher bist. Sollte der TLD dahinter stecken …«

»Aber Homer, glaubst du wirklich, dass der TLD dazu fähig wäre?«

»Ich hoffe nicht. Vielleicht wäre es besser für dich, unterzutauchen!«

Nach dem Gespräch dachte ich eine Weile nach, doch ich lehnte Adams Vorschlag ab, auch wenn ich seine Besorgnis zu schätzen wusste. Nein, wenn mich jemand umbringen wollte, hätte er es am selben Tag getan.

Gazh Ala war zumindest nicht tot, aber offenbar entführt. Machte es das besser?

Am nächsten Tag erhielt ich Besuch von einem gut aussehenden, gepflegten und sportlichen Terraner, der angeblich ein Beamter des Bürgermeisters von Siena war. Eine schlechte Ausrede von diesem Mann, der sich als Stewart Landry ausgab.

Ich konfrontierte Mister Landry mit meiner Vermutung: »Du bist vom TLD?«

Er war kurz überrascht, während er seinen schwarzen Kaffee trank, dann gab er es unverblümt zu. Er wusste, dass ich mit Camelot in Kontakt stand und bat um Unterstützung. Offiziell scheute die LFT natürlich eine Kooperation mit der Organisation der Unsterblichen, doch Landry wollte herausfinden, wer hinter dem Attentat stand.

Es mochte naiv sein, doch ich glaubte dem jungen Terraner, der einen ziemlich bekannten Agentennamen trug. Landry war sich dessen bewusst und verkündete stolz, dass Ron Landry ein Vorfahre von ihm gewesen sei und die Inspiration, wieso er in den Geheimdienst gegangen war.

»Unter uns erachte ich die Fehde zwischen der LFT und Camelot für Schwachsinn. Wir wissen, dass einige Mitarbeiter des Büros überlebt haben und entführt wurden. Was wir nicht wissen, ist von wem. Die Spur verliert sich auf dem Raumhafen«, erklärte Landry.

Intuitiv lautete meine Antwort: »Mashratan«

Landry trank vom Kaffee und stimmte mir schließlich zu. Ich erklärte ihm, dass Camelot die Möglichkeit nicht ausschloss, dass der TLD dahinter steckte, doch Landry versicherte mir, dass das nicht der Fall war. Ich glaubte ihm und informierte Homer G. Adams persönlich. Der TLD schien die Aktivitäten von Camelot mehr oder minder zu tolerieren. Sonst hätten sie mich festgenommen und mit einem Wahrheitsserum vollgepumpt. Möglich, dass dies noch zu Zeiten von Medros Eavan so gewesen wäre, doch mit Genugtuung erkannte ich einen kleinen aber feinen Wandel in der Struktur der LFT.

Von Entspannung konnte jedoch noch lange keine Rede sein. Es gab einen gemeinsamen Feind. Homer G. Adams informierte die Agenten von Camelot. Nach zwei Tagen erhielt ich Nachricht, dass am Tage des Attentates ein Frachter über Zwischenstationen von Terra nach Mashratan geflogen war. Eine geheime Aufklärungsmission hatte Hinweise gefunden, dass die Gefangenen tatsächlich auf Mashratan waren.

Ich informierte Landry, der die Nachrichten an Gia deMoleon, Cistolo Khan und Paola Daschmagan weitergab. Wieder einen Tag später meldete sich Landry. Der Terraner bestätigte den Verdacht. Aufnahmen von Atlan-Village und dem Raumhafen identifizierten Assassinen von Mashratan, die offensichtlich auch von der Hanse und Shorne Industries eingesetzt worden waren. Im Vertrauen erklärte mir Landry, dass sich die Unternehmen nun völlig von Mashratan distanzierten.

Am 10. Januar erklärte Daschmagan vor der Presse: »Die Hinweise führen nach Mashratan. Die nebulöse Rhodanorganisation Camelot ist involviert. Jedoch als Opfer. Der Anschlag war ein Racheakt von Oberst Kerkum für die Enthüllungen im vergangenen Jahr. Wir dulden keinen Terror auf terranischen Welten.

Da Oberst Kerkum zu keiner Stellungnahme bereit war, wird unter dem Kommando von LFT-Kommissar Cistolo Khan eine terranische Flotte von 200 Raumschiffen nach Mashratan entsandt, um eine Blockade durchzusetzen.«

Die Rede führte zu Kontroversen. Das Kristallimperium und das Forum Raglund legten im Galaktikum Protest ein, verzichteten jedoch auf einen offenen Konflikt. Offenbar waren dem Kristallimperium die Dienste von Oberst Kerkum doch nicht so viel wert.

Seine Freunde distanzierten sich vom Tyrannen, um ihre eigene Haut zu retten oder sich nicht noch mehr die Finger zu verbrennen. Arkon wollte keinen Konflikt mit der LFT wegen Mashratan riskieren und die LFT wollte einen unliebsamen Verbündeten zum Schweigen bringen und sich in der Öffentlichkeit als rechtschaffen darstellen.

Die wichtigste Frage war nun, was würde im Mashritun-System nun geschehen? Konnten Gazh Ala Nagoti el Finya und die anderen befreit werden oder würde es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen?

 

16. Ansprache Oberst Kerkum

Ihr elenden Refry! Schwächlinge! Feiglinge! Verräter, vergesst die Flotte nicht!

Das mashratanische Volk stirbt wegen euch. Wegen eurer Geldgier. Allesamt Mörder. Egal, ob Arkoniden oder Terraner. Schaut euch doch an. Ihr Hunde wedelt vor Rhodan mit dem Schwanz.

Wir nicht! Wir haben Terra von einem Camelotbüro befreit. Wir urteilen über die Verbrecher. Die Sonnenheiligen des Vhrato werden ihren Rechtsspruch fällen. Wir schützen euch Terraner, doch was macht ihr feigen Hundesöhne?

Ihr kneift vor den gehirnlosen Blues und Topsidern. Habt ihr Angst, dass sie eure Kinder fressen? Ja, das werden sie tun. Deshalb müsst ihr ihnen die Kehlen durchschneiden.

Werft Arkonbomben auf ihre Welten. Dann sind wir gerettet. Doch eure Jugend ist bekifft, versoffen und verdorben.

Deshalb mögt ihr Mashratan nicht. Wir haben den festen Glauben an die heilige Berufung der menschlichen Rasse! Wir haben Moral und Anstand! Ihr kriegt uns nicht klein.

Mashratan wird kämpfen! Mashratan wird siegen!

Gott ist groß – ich bin mächtig – Mashratan auf ewig!

13. Januar 1283 NGZ

 

17. Rückkehr nach Mashratan

Ihr schwarzes, wallendes Haar, die braunen Rehaugen und das charmante, herzliche Lächeln mit den nicht ganz symmetrisch gewachsenen Zähnen von Gazh Ala erschien wieder und wieder vor meinem geistigen Auge. Sie musste noch leben, durfte nicht tot sein!

Ungeduldig wanderte ich im Bereitschaftsraum umher. Wann erreichten wir endlich das Mashritun-System?

»Kommandant an Cauthon Despair. Einsatzbesprechung in zehn Minuten«, hallte eine feine Stimme aus dem Lautsprecher. Sie gehörte Xavier Jeamour, dem Kommandanten des 500 Meter Schlachtkreuzers FREYJA.

Ich eilte in den Besprechungsraum. Jeamour blickte mich an. Der kleinwüchsige Belgier mit der Halbglatze strahlte Autorität aus. Das gefiel mir. Ich nickte Wirsal Cell und Perry Rhodan zu. Ich war nach den vergangenen Ereignissen nicht gut auf Rhodan zu sprechen. Immerhin hatte er mir gestattet, an einer Rettungsmission der Cameloter teilzunehmen. Doch was war das für eine Operation? Gucky und Icho Tolot trieben sich irgendwo in Fornax herum. Niemand wusste, wann sie zurückkehrten. Vielleicht schon Morgen, doch wir hatten keine Zeit.

Oberst Kerkum hatte angekündigt, dass die Sonnenheiligen des Vhrato über Gazh Ala und die anderen richten wollten.

Welche Überlebenschance hatte die ehemalige Sklavin? Kerkum würde grausame Rache an ihr üben.

»Wir erreichen in wenigen Minuten das Mashritun-System. Dort warten bereits 200 Raumer der LFT. Es ist uns unbekannt, wie sie sich uns gegenüber verhalten werden«, erklärte Jeamour, während er mit einem Löffel den Süßstoff in seinem Tee umrührte.

»Was machen wir? Abwarten und Tee trinken?«, fragte ich in Anspielung auf die Prozedur des Terraners.

»Bleib ruhig, Cauthon! Jeamour wird mit der LFT sprechen. Wir halten uns zurück.«

Ich atmete tief durch. Das war alles? Fragend sah ich zu Wirsal Cell. Ihm schien das alles unangenehm zu sein. Er räusperte sich.

»Plan B sieht vor, dass wir ein Kommando nach Mashratan schicken«, erläuterte mein Ausbilder. »Ich nehme an, du möchtest dich daran beteiligen?«

»Nichts kann mich davon abhalten«, sagte ich ernst.

In den letzten Wochen hatte ich schon zu viel verloren. Zantra und die Illusion, dass Rhodan mein Freund wäre. Nicht jetzt noch auch Gazh Ala!

Unsere Flotte bestand aus zwei Verbänden mit je zwölf Raumschiffen. Wahrlich keine große Übermacht, doch die Technologie von Camelot war die Beste in der Galaxis. Jeamour stellte die Verbindung mit dem kommandierenden Schiff des zweiten Pulks her, der CELTIC. Der Erste Offizier James Fraces, ein bärtiger Draufgänger, erschien als Hologramm. Jeamour wies ihn an, dass alle 24 Raumschiffe zeitgleich aus dem Hyperraum fallen und gebührenden Abstand zu den mashratischen Abwehrstationen und der LFT-Flotte halten sollten.

Wir gingen in die runde Kommandozentrale, wo verschiedene Besatzungsmitglieder an Kontroll- und Steuerkonsolen arbeiteten. Beinahe wäre ich gegen einen an mir vorbeieilenden Swoon getreten.

»Eintritt in den Normalraum«, meldete ein Epsaler.

Sofort wurde eine holografische Karte des Sektors in die Mitte des Raumes projiziert. Sie zeigte unsere Position, die der Mashraten und der Terraner.

»Funke die LFT-Flotte an«, befahl Jeamour. Er ging zu seinem Kommandosessel, zupfte seine Uniform zurecht und setzte sich hin. Rhodan hielt sich im Hintergrund. Er wollte offenbar nicht gesehen werden.

»Die NORTH CAROLINA meldet sich. Der Befehlshaber möchte mit uns sprechen«, meldete die ferronische Kommunikationsfrau.

»Durchstellen«, sagte Jeamour knapp.

Auf dem großen Bildschirm erschien das verlebte, strenge Gesicht des Kommandanten.

»Henry Portland, Oberbefehlshaber der 17. LFT-Flotille und Kommandant der NORTH CAROLINA. Mit wem habe ich die Ehre?«

»Flak, alter Trichterturm! Schön, dein faltiges Gesicht mal wiederzusehen«, erwiderte Jeamour lächelnd. Sein Gegenüber zuckte eine Augenbraue hoch.

»Du hast ja inzwischen noch weniger Haare. Da bist du also abgeblieben, du Beutefranzose. Camelot, mh?«

Jeamour bestätigte.

»Der große Mann ist auch da?«

Jeamour schenkte dem LFT-Kommandanten ein feines Lächeln und zuckte schelmisch mit den Schultern.

»Nun, ich darf euch darauf aufmerksam machen, dass ihr euch nicht in eine Militäraktion der LFT einzumischen habt. Allerdings kann ich euch auch nicht verbieten, euch hier aufzuhalten. Das ist kein Gebiet der LFT«, sagte Portland.

»Es ist dir vielleicht bekannt, dass die Mashratan Geiseln von Camelot festhalten. Uns geht es um das Leben dieser Wesen. Und natürlich auch darum, dass hier kein galaktischer Krieg entfacht wird.«

Was schwafelten die beiden nur solange? Gazh Ala war in Gefahr. Perry sollte endlich mit Oberst Kerkum reden. Die Zeit lief uns davon.

Ich trat ungeduldig vor.

»Habt ihr Kontakt mit dem Oberst hergestellt? Oder sitzt die LFT hier nur herum und quatscht?«, fragte ich gereizt.

Portland starrte mich mit verkniffener Miene an. Er wechselte einen genervten Blick mit Jeamour.

»In der LFT-Flotte ist es nicht üblich, dass sich ein unterer Dienstgrad einmischt, wenn sich die Kommandanten unterhalten«, rügte mich Portland. Auf dieses Geplänkel pfiff ich.

»Es gibt in der LFT keine echten Dienstgrade mehr. Eine Schande, wie ich finde.«

Jeamour stand auf und sah mich ernst an.

»Das ist mein Raumschiff, junger Mann! Noch gebe ich hier die Befehle.«

Diesen Blödsinn konnte ich mir nicht mehr länger mit anhören. Wenn niemand handeln wollte, tat ich es eben. Ich rannte aus der Kommandozentrale. Wirsal Cell und Perry Rhodan folgten mir.

»Wo willst du hin«, rief Cell außer Atem. Ich lief zum Antigrav und sprang hinein.

Rhodan blieb mir dicht an den Fersen. Beim Hangar schwang ich mich aus dem Antigrav. Mein Ziel war die Hunter-Jet.

»Warte, Cauthon! Ein Alleingang wird dir nichts bringen. So rettest du Gazh Ala bestimmt nicht.«

Ich aktivierte über den Pikosyn die Syntronik meines Hunter-Jets. Der Befehl lautete, den Raumjäger startklar zu machen.

Ich blieb stehen und drehte mich um. Entschlossener denn je sah ich Rhodan in die Augen.

»Es ist besser, als nichts zu tun. Ich weiß nicht, ob ich dir noch vertrauen kann. Ich kenne die Wahrheit über den vermeintlichen Unfall meiner Eltern. Es war Mord. Du hast es mir verschwiegen.«

Rhodan schwieg. Er hielt meinen Blick dennoch stand.

»Wenn du mir helfen willst, verhandle mit Oberst Kerkum. Verschaffe mir Zeit, damit ich die Cameloter befreien kann.«

»Ich könnte einfach den Befehl erteilen, den Schutzschirm nicht zu deaktivieren«, sagte Rhodan.

»Dann musst du zusehen, wie noch ein Despair stirbt«, antworte ich und rannte zum Raumjäger. Ehe Rhodan zu einer Antwort kam, saß ich bereits in dem Hunter-Jet und schloss das Cockpit.

Ich steuerte auf die Hangarschleuse zu. Der Schutzschirm bot mir nun eine Strukturlücke. Ich gab vollen Schub und aktivierte das Tarnfeld. Ich hoffte, dass die Technologie der Mashraten der von Camelot weit hinterher hinkte. Sonst würde es ein kurzer Flug werden.

 

18. Die letzte Heldentat

Die Mashraten entdeckten mich nicht. Nach acht Jahren kehrte ich auf diesen öden, heißen Wüstenplaneten zurück. Ich hatte die Mashraten nicht vergessen. Weder den exentrischen Despoten Kerkum, noch die in Energiefeldern gehüllten Frauen oder die perversen Tuffa-Jab-Jab Anhänger.

Auf einer gesicherten Verbindung erhielt ich eine Nachricht von Perry Rhodan.

Öffentlicher Prozess im Palastanwesen in wenigen Minuten. Verhandlungen vorerst gescheitert. Kerkum will Exempel statuieren. Vielleicht blufft er nur.

Ich brachte den Raumjäger in eine ruhige Position und kreiste über dem Palastkomplex. War ihre Verteidigung wirklich so schlecht, oder unsere Tarntechnologie so gut?

Ich aktivierte das Trivid, um den hiesigen Staatssender zu empfangen. Ich sah einen Hinweis, dass die Übertragung des Prozesses die Gemüter eines aufrechten Mashratan erhitzen könne, da extraterrestrische Dämonen gezeigt würden.

Wo waren sie nur? Ich überflog den Palast. Dann entdeckte ich sie auf einem gut gesicherten Hof mit einer großen Tribüne. In der Mitte war ein Podium aufgebaut. In einem grün leuchtenden Fesselfeld mussten sich die Cameloter und Gazh Ala befinden.

Ich rette dich, schoss es mir durch den Kopf.

Nur wie? Vielleicht … nein, das war zu waghalsig. War all der Mut, den ich mir einredete, nur eine Art der Selbstbetrug?

Ich beobachtete die Sendung. Drei Männer in einer roten, weißen und grünen Kutte wurden eingeblendet. Ich sah sie mit bloßem Auge von oben.

»Die drei Sonnenheiligen des Vhrato auf dem Weg zur Anklageverkündung. Oberst Kerkum und seine Familie wohnen der Gerichtsverhandlung aus ihrer Loge der Freiheit bei«, berichtete der Moderator.

»Wir klagen diese Wesen der Feindschaft gegen Mashratan, dem Pakt mit dem Teufel und dessen Dämonen und der Ketzerei an«, sagte der alte Priester in der weißen Robe.

Das Fesselfeld öffnete sich. Fünf Personen waren zu sehen. Ich war erleichtert, denn unter ihnen befand sich auch Gazh Ala. Daneben waren es ein Cheborpaner, ein Blue und zwei Terraner.

»Das Weib mit dem Namen Gazh Ala Nagoti el Finya ist der Schuld überführt, ihr Volk verraten zu haben. Sie paktierte mit dem Satan und kopulierte mit diesem dort, dem leibhaftigen Dämon.«

Der Vhratopriester zeigte auf den Cheborpaner. Was für ein Schwachsinn. Doch das beeindruckte das verdummte Volk natürlich.

»Sie ist eine unreine Hexe in Diensten der Schwarzen Mirona, eine Verräterin an Mashratan. Sie wird in allen Anklagepunkten für schuldig befunden und soll den Feuertod sterben«, verkündete der Priester im grünen Gewand.

Nun erhob sich der Rot bekleidete und hob die Hände.

»Der Dämon wird ebenfalls bei lebendigem Leib verbrannt. Mit den Terranern gehen wir gnädig um. Sie finden einen schnellen und schmerzlosen Tod durch Enthauptung. Das Blues-Monstrum wird – um die Einheit und Stärke der Bevölkerung gegenüber solchen Missgeburten zu bekräftigen – bis zum Halse eingegraben und dann gesteinigt, bis der Tod eintritt. Die Leiche wird desintegriert, damit die Gebeine nicht unsere heilige Welt besudeln.«

Die anwesenden Zuschauer, eine bunte Mischung aus Männern, Kindern und verschleierten Frauen jubelten ihren Priestern zu. Sie schrien, man soll das Urteil schnell vollstrecken. Andere blickten erwartungsvoll zu Oberst Kerkum.

Kerkum erhob sich von seinem Thron. Er legte sich ein wallendes, braunes Kostüm zurecht und erhob die Hand. Die Jubelrufe endeten abrupt.

»Wer bin ich, dass ich das Urteil der Vertreter Gottes auf Erden anzuzweifeln habe? Mashratan ist eine friedliche Welt, doch wir wurden verraten. Ja, einst, da lebte dieses Weib«, er zeigte auf Gazh Ala, »in meinem Palast, aß mein Essen, trank von meinem Wasser und aalte sich in meinem Garten. Der Dank war, dass sie mich und Mashratan im Stich ließ, um unreine, kranke und okkulte Sexrituale mit Aliens zu praktizieren und Lügen über Mashratan in der Galaxis zu verbreiten. Das sind ihre Helfershelfer und sie alle dienen Perry Rhodan. Rhodan ist die größte Enttäuschung für Mashratan. Er hat uns alle belogen und betrogen. Sie handelten auf seinen Befehl. Dafür ziehen wir sie nun zur Verantwortung. Ich bestätige das Urteil der Vhrato-Sonnenheiligen!«

Die Masse johlte vor Begeisterung. Ich musste jetzt handeln. Was sollte ich tun? Einfach drauf schießen? Ich war solch ein Narr. Ich konnte sie nicht retten. Nicht einmal Gazh Ala, denn mein Raumjäger war ein Einsitzer.

Es gab nur eine Möglichkeit. Ich senkte den Hunter-Jet, bis er nur wenige Meter über der Oberfläche war. Ich befand mich direkt über dem Podium. Dann deaktivierte ich das Tarnfeld.

*

Meine Waffen richtete ich auf Oberst Kerkum und seine Familie. So konnte ich zumindest sicher gehen, dass sie mich nicht angriffen. Die Zuschauer rannten in alle Richtungen davon. Auf dem Monitor sah ich, dass auch die Vhratopriester und ihre Handlanger das Weite suchten.

Nur Kerkum schien unbeeindruckt. Er hob die Hand, nahm Haltung an. Dann ging er langsam die Treppe der Tribüne hinunter. Er kam auf mich zu. Mit dieser mutigen Tat hatte ich nicht gerechnet.

Ich senkte den Raumjäger. Schließlich landete ich. Vielleicht war ein Dialog mit Kerkum noch nicht ausgeschlossen.

Kerkum blieb stehen. Ich öffnete das Cockpit. Nun kam der Oberst näher, bis er am Rumpf stand.

»Wer bist du tapferer Terraner, der den Mut hat, sein Leben für diesen Dreck aufs Spiel zu setzen?«, wollte er wissen.

»Cauthon Despair. Und ich bin hier, um die Cameloter zu retten. Verschont sie und ich verschone Euch!«

Kerkum lachte und streichelte den Rumpf meines Raumjägers.

»Schönes Raumschiffchen.«

Dann schwieg er.

»Was ist nun? Ich warte auf eine Antwort!«, drängte ich.

»Wie war die Frage?«

»Ich bitte um das Leben von Gazh Ala und den anderen Camelotern.«

Kerkum winkte ab. Er schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht. Das Gesetz ist unumstößlich.«

»224 feindliche Raumschiffe sind unweit vom Orbit von Mashratan, Oberst! Als Geiseln sind sie wertvoller«, versuchte ich ihn zu überzeugen.

Kerkum spuckte auf den Boden.

»Nein! Wir kämpfen und gewinnen!«

Was sollte ich nur tun?

»Ihr sterbt! Die Bewaffnung des Hunter-Jets reicht aus, um den ganzen Komplex in die Luft zu jagen«, drohte ich verzweifelt. Er musste einfach nachgeben. Er musste!

Doch Kerkum blieb gelassen.

»Dann stirbst du auch, mein Sohn! Genauso wie die Verurteilten. Was wäre damit erreicht?«

Kerkum klopfte auf die Außenhülle des Schiffes. Dann nickte er mehrmals eifrig vor sich hin. Ich konnte die Geste nicht deuten.

»Gut! Also gut! Ich schiebe das Urteil auf. Wir verhandeln neu. Ich respektiere deinen Mut. Du bist ein echter Terraner, mein Junge!«

Kerkum befahl den Wachen, die Fesseln der Cameloter zu lösen. Langsam kamen sie auf uns zu. Gazh Ala vorne weg. Sie schaute hoch zum Cockpit.

»Cauthon? Bist du es?«

Ich nickte.

»Du bist wirklich mein strahlender Ritter. Danke!«

Das tat gut, doch noch war nicht viel gewonnen. Was passierte als Nächstes? Fragend blickte ich zum Oberst, der an seinen Fingernägeln pulte.

Endlich blickte er wieder zu mir hoch. Er breite die Arme in einer ratlosen Geste aus.

»Was jetzt, Cauthon Despair? Genießen wir das schöne Wetter?«

»Ich beordere eine Space-Jet hierher. Wenn sie die Cameloter aufgenommen hat und unbeschadet zu ihrem Mutterschiff zurückgekehrt ist, ziehe ich ab.«

»Dann könnten wir dich abschießen.«

»So sterbe ich eben.«

Kerkum klatschte und lachte wie ein kleines Kind.

»Dieser Mut ist beeindruckend. Abgemacht. Ich warte hier natürlich, mein junger Freund!«

Ich versuchte eine Verbindung zur FREYJA herzustellen, doch niemand antwortete. Da wurde ich von einer gewaltigen Explosion aus dem Cockpit geschleudert.

*

Was war passiert? Überall Feuer. Ich sah, wie Oberst Kerkum davon lief. Ein Gleiter zischte an mir vorbei und hielt beim Oberst. Er stieg ein und brauste davon. Meine Hand war vom Sturz gebrochen.

Gazh Ala!

Ich sah mich um. Weitere Explosionen. Die Energiestrahlen kamen aus dem Himmel. Fernbeschuss von Raumschiffen. Was zum Teufel? Sie griffen Mashratan an!

Wieso taten sie das? Perry wusste doch, dass ich hier war. Dieses verdammte Schwein hatte mich im Stich gelassen.

Ich rappelte mich auf. Gazh Ala kauerte unter dem Podium. Zwei der Cameloter waren tot.

»Kommt, hier ist es nicht sicher. Zum Turm«, rief ich.

Der Blues und der Cheborpaner rannten los. Gazh Ala wartete einen Moment auf mich. Das rettete uns das Leben, denn die nächste Energieentladung zerfetzte die beiden vor uns.

Überall war Feuer. Das Podium brannte. Der nächste Einschlag. Ich wurde zu Boden geschleudert. Unter starken Schmerzen stand ich auf. Splitter des zerborstenen Podiums hatten sich in meinen Körper gebohrt. Es raubte mir beinahe die Sinne.

»Renn zum Turm«, hauchte ich.

Gazh Ala eilte zu dem Turm, doch da wurde er getroffen. Das Metall schmolz. Alles Brennbare kam herunter.

»Nein!«, brüllte ich. Doch zu mehr war ich nicht mehr imstande. Das Gebäude sackte in sich zusammen. Gazh Ala schrie auf und wurde von den Massen begraben. Ich kroch zu der Stelle, wo sie verschüttet wurde. Meine Kräfte ließen nach.

Endlich entdeckte ich sie.

»Gazh Ala?«

Doch sie antwortete nicht mehr. Ihre braunen Rehaugen starrten mich leblos an.

Die nächste Detonation sprengte den Rest des Turms auseinander. Eine Feuerwelle erwischte mich. Dieser Schmerz. Ich schrie auf, fühlte, wie meine Gliedmaßen zerfetzt wurden. Ich fiel zu Boden und blickte in den Himmel. Dunkle Rauchschwaden zogen vorbei. Ich sah, wie Trümmerreste auf mich hinabstürzten.

Das war also das Ende!

 

19. Der Silberne Ritter

Der Schmerz war immer noch da. Er signalisierte mir, dass ich noch lebte. Wo war ich? Ich öffnete die Augen, doch alles um mich herum war schwarz. Die Luft war ungewohnt stickig. Es fühlte sich so an, als würde etwas auf meinem Kopf lasten. Langsam bewegte ich die Finger. Ich spürte sie und sie gehorchten meinen Befehlen, doch etwas stimmte nicht. Sie waren größtenteils taub. So als wären sie eingeschlafen. Dieses unbequeme Gefühl umgab meinen gesamten Körper.

Was war nur geschehen?

Ich hörte ein Surren. Doch ich sah nichts. Es war finster. War ich blind? Oder verdeckte mir etwas die Sicht? Das Atmen fiel mir schwer. Es war nicht nur diese stickige, sonderbare Luft, es kam mir so vor, als läge ein Felsbrocken auf meiner Brust. Ich hob die Hände und versuchte, die Brust abzutasten. Da war nichts, auch wenn ich nur bedingt das Ergebnis spürte.

Etwas strich über meinen Arm. Ich zuckte. Wer oder was war das? Ich fühlte mich schwach und müde.

Langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Die Bilder von Gazh Alas totem Körper. Die Feuerhölle. Die herabstürzenden Trümmer! Wieso hattest du das nur getan, Perry Rhodan?

Ich hätte Gazh Ala retten können, doch deine Kampfraumschiffe haben alles zerstört. Sie war tot und dann stürzte alles ein. Ich sah, wie der Beton auf mich fiel, spürte, wie meine Knochen brachen, ich begraben wurde, spürte das brennen. Nein!!

Ich schreckte hoch.

»Ruhig«, sagte eine Stimme.

»Wer … wer ist da?«

»Euer Lebensretter, Cauthon Despair. Ihr müsst tapfer sein. Der Angriff von Perry Rhodans Raumschiffen hat nicht nur das Leben vieler Mashraten gefordert, es hätte auch um ein Haar das Eure ausgelöscht. Eure Verletzungen waren sehr groß.«

Wieder erklang das mechanische Surren.

Jemand injizierte mir etwas mit einer Spritze. Ich fühlte keinen Schmerz, nur ein vages Pieken an meinem Arm.

»Die Müdigkeit und die Taubheit werden nun vergehen«, sagte ein metallisches Wesen. Ich vermutete, es war ein Medoroboter.

Es vergingen Minuten. Offenbar wartete mein unbekannter Gesprächspartner meine Reaktion oder Genesung ab. Ich atmete tief durch. Die Luft war immer noch dünn. Doch langsam kehrte Leben in meinen Körper zurück, der sich dennoch fremd anfühlte. Ich fühlte nun die Handschuhe an meinen Fingern, den schweren Anzug auf meiner Brust, ja mehr eine Art Rüstung.

Jemand drückte auf etwas an meiner Hüfte. Ich trug wohl einen Gürtel. Plötzlich wurde mit einem leisen Zischen und Summen Licht. Ich sah das grelle, gelbe Licht einer Deckenbeleuchtung. Doch im nächsten Moment wurde es dunkler, angenehmer. An der Seite meines Auges erschienen Daten, die ich nicht zuordnen konnte. Jetzt begriff ich erst. Ich trug offenbar einen Helm. Meine Hände tasteten meinen Kopf ab. Ja, es war eine Art Raumhelm mit einem großen Sichtfenster auf Augenhöhe.

Die Luft im Helm wurde klar und frisch.

Ich sah mir nun meine Hände an. Ich trug silberne Handschuhe. Obwohl die Betäubung nachließ, war mir mein Körper fremd.

Ich stieß einen Wehklang aus, als ich mich erhob. Langsam richtete ich mich auf und drehte die Beine zur Seite. Ich betrachtete meinen Körper. Der komplette Raumanzug oder Kampfanzug war silbern. Er war aus hartem Material, dennoch elastisch und für mich weich und angenehm. Die Beine schwangen zur Seite und stellten Kontakt mit dem Fußboden her. Auch meine Füße fühlten sich ungewohnt an. So wie meine Arme, Hände und Beine.

Behutsam drückte ich die Beine durch und stand auf. Die Knie wurden weich, mir war schwindelig, doch im nächsten Moment fing ich mich wieder.

»Ihr werdet eine Weile benötigen, um euch an die neuen Körperteile zu gewöhnen«, sagte der mir noch Unbekannte. Er siezte mich.

»Oberst Kerkum!«, lautete meine Schlussfolgerung.

»Nein«, kam die Antwort.

Vor mir baute sich eine lebensgroße Holografie auf. Sie war humanoid, doch das Gesicht war verzerrt, verwischt. Eine blaurote Aura umgab dieses Wesen.

»Wer bist du?«, wollte ich wissen.

»Wie ich schon sagte, euer Lebensretter, Despair! Ich bin der Anführer der Mordred und Sie werden sich uns anschließen.«

Was war die Mordred? Und wer verbarg sich hinter diesem verschleierten Hologramm. Gewiss keine Frau von Mashratan.

»Ihr müsst viele Fragen haben, Silberner Ritter.«

»Silberner Ritter?«, wiederholte ich.

»Korrekt. Der Junge namens Cauthon Despair, der schwache Cameloter, der Perry Rhodan und zweitklassige Mädchen anhimmelte, ist tot! Er wurde im Feuer der Raumschiffe der LFT und Camelots getötet. Nun lebt der Silberne Ritter Cauthon Despair. Ihr werdet mein wichtigster Verbündeter.«

Ich verstand nicht.

Die Tür öffnete sich mit einem leisen Zischen. Das Hologramm befahl mir, die Medostation zu verlassen. Vor mir lag ein spärlich beleuchteter Korridor. Ich ging dort entlang, gewöhnte mich an meine Bewegungen.

»Ihr wurdet verschüttet und habt Verbrennungen erlitten. Eure Knochen waren zerbrochen, die Gliedmaßen abgetrennt. Die Mediziner mussten euren Skelettaufbau komplett erneuern und Beine und Arme ersetzen. Leider ist euer Gesicht entstellt. Es wird lange Zeit dauern, bis Ihr Euch komplett erholt. Doch die neuen Körperteile haben Vorteile. Ihr seid stärker und widerstandsfähiger als je zuvor.«

Ich blieb mehrmals stehen, um diese Hiobsbotschaften zu verdauen. Teile von meinem Körper waren ersetzt worden? Mein Gesicht entstellt? Widerstandsfähiger? War ich nun gezwungen, diese silberne Rüstung auf ewig zu tragen?

Die Tür am Ende des Korridors öffnete sich. Ich betrat einen verspiegelten Raum. Nun sah ich mich in meiner neuen Erscheinung.

Mein neuer Körper hatte mehr Muskelmasse, war schlank und durchtrainiert. Die silberne Rüstung verstärkte den Eindruck. Mein Helm war verspiegelt. Ich sah beeindruckend aus. Wie ein Ritter aus dem Mittelalter Terras.

Und doch war ich offenbar ein Monster. Sollte ich immer in dieser Rüstung wandern? Was würde Zantra denken? Dass ich überhaupt noch an sie dachte. Sie hatte mich verraten und betrogen.

Ich wollte wissen, wie ich unter der Maske aussah. Ich tastete meinen Hals ab und fand den Verschluss des Helms. Ich nahm ihn ab. Das Hologramm des Anführers der geheimnisvollen Mordred hinderte mich nicht daran. Wie auch?

Ich hatte Angst und zögerte, dann nahm ich den Helm ab. Was ich im Spiegel sah, schockierte mich. Mein Gesicht war entstellt, die Nase gebogen, die Haut hing in tiefen Falten lappig herab, kahle Stellen auf meinem Kopf, Narben. Ein Anblick zum Schreien. Das war ich unter der Maske.

»Es wird viele Operationen benötigen«, erklärte das Hologramm. »Ihr müsst Geduld aufbringen.«

Ich setzte den Helm wieder auf. Ich konnte meine Fratze nicht mehr ertragen und der Anführer der Mordred sollte meine Tränen nicht sehen.

»Ihr wünscht sicher mehr über die Gründe eures Schicksals und die Mordred zu erfahren. Die Antworten befinden sich im nächsten Raum.«

Das Hologramm deutete auf die Tür mir gegenüber. Ich ging hindurch und fand dort die Holografie wieder. Ich befand mich in einer Art Kommandozentrale. Zahlreiche Monitore und Projektionen von Sektoren des Mashritun-Systems waren zu sehen. Einige Techniker in einer mir unbekannten Uniform saßen an den Kontrollen.

Der Mann, der auf dem breiten Kontursessel saß und von vier uniformierten Gardistinnen bewacht war, war mir bestens bekannt.

Oberst Kerkum.

*

»Despair, Sie sind wohlauf. Welche Freude, mein Bruder«, begrüßte mich Kerkum, stand auf und ging mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich hob abwehrend die Hand und der Oberst verstand.

»Wie ich sehe, habt Ihr den Angriff überlebt«, stellte ich fest. »Was ist geschehen?«

Kerkum lachte seltsam.

Er zeigte auf einen Monitor. Ich sah die Verbände Camelots und der LFT. Ein Pulk von camelotischen Kugelraumern eröffnete das Feuer auf die Raumforts. Die LFT-Kreuzer beteiligten sich an dem Angriff. Aus einer anderen Perspektive wurde der Beschuss von camelotischen Raumschiffen auf das Regierungsviertel gezeigt.

Perry Rhodan!

Wieso nur? Warum hatte er das getan? Er wusste doch, dass ich mich auf Mashratan befand, um Gazh Ala zu befreien.

»Wir alle wurden von Perry Rhodan enttäuscht«, stellte Kerkum fest. »Ich hätte ihm die Milchstraße zu Füßen gelegt, doch er hat Mashratan geopfert. Er hat dich geopfert und Gazh Ala. Die LFT hat uns verraten. Doch Rhodan …«

Kerkum stockte und schüttelte den Kopf.

»Der Schmerz, den uns Rhodan zugefügt hat, ist sehr groß.«

Ich konnte und wollte Kerkum nicht widersprechen. Perry Rhodan hatte meinen Tod in Kauf genommen, um Mashratan zu schwächen. Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Militärschlag an sich verurteilte. Ich hätte ähnlich gehandelt, doch Rhodan wusste doch, dass ich da war! Warum hatte er den Befehl erteilt, Mashratan zu bombardieren? Wollte er mich loswerden?

Vermutlich! Ja, er wollte, dass ich sterbe. Möglicherweise, weil ich ihn infrage gestellt hatte. Das war also das wahre Gesicht von Perry Rhodan.

Hatte Bekket Glyn am Ende doch recht und Rhodan war nicht mehr derselbe Mann wie früher?

Rhodan ging offenbar über Leichen.

»Perry Rhodan hat nicht nur dich geopfert, sondern auch deine Eltern«, erklärte das Hologramm des Anführers der Mordred.

Ja, das war mir inzwischen bekannt. Er hätte jederzeit Entsatz nach Neles schicken können, doch er hatte sie allein und ihrem Schicksal überlassen. Gleich, ob es nun mutwillig oder fahrlässig war, doch das Resultat war dasselbe: Meine Eltern waren tot! Perry Rhodan hätte es verhindern können.

»Was ist nun die Mordred? Wieso sollte ich euch dienen?«

»Wir haben euer Leben gerettet. Die Mordred ist eine wahre Widerstandsbewegung. Wir haben die Vision eines neuen Imperiums der Menschheit. Terraner, Arkoniden, Akonen, Tefroder – alle vereint zum Wohl der Milchstraße und des Universums.«

Die Mordred war also eine Widerstandsgruppe. Offenbar hatte sie ihren Sitz auf Mashratan. Oder wo befand ich mich? Ich wusste es nicht, doch anhand der ganzen Sternenkarten vom Mashritun-System konnte ich nicht weit entfernt sein.

»Hör zu, Junge! Wir haben ein Netzwerk zu Gleichgesinnten aller möglichen menschlichen Völker aufgebaut. Wir haben mächtige Verbündete«, erklärte Kerkum.

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Es klang seltsam aus dem metallischen Helm mit seinen Akustikverstärkern.

»Mashratan ist am Ende. Die LFT und Camelot werden euch sanktionieren und kontrollieren. Operationen sind aus diesem Sonnensystem heraus kaum mehr möglich.«

»Abwarten, Despair! Bevor wir Ihnen mehr über die Mordred und unsere Verbündeten berichten, möchten wir von Ihnen eine Zu- oder Absage«, forderte das Hologramm des Mordred-Anführers.

Ich dachte nach. Wieso sollte ich mich diesen Leuten anschließen? Doch wo sollte ich hin? Nach Camelot wohl kaum. Ich würde aus lauter Wut vermutlich Perry Rhodan umbringen wollen.

»Ich brauche Bedenkzeit«, bat ich.

»Eine Stunde. Wandert auf dem Planeten umher. Es ist zwar kein Paradies hier, doch Ihr Anzug ist der modernste Serun in der Milchstraße«, erklärte Kerkum und deutete auf den Ausgang.

Wortlos verließ ich den Raum. Ich war ratlos. Mein Leben hatte abrupt aufgehört. Alles, wofür ich gelebt hatte, war umsonst gewesen. Mein Heldenmut hatte Gazh Ala nicht retten können. Zantra hatte mich zur Hölle geschickt und mein Weltbild war zerbrochen, nachdem ich von Perry Rhodan verraten worden war.

Nachdem ich die Station durch eine Schleuse verließ, war mir klar, dass ich mich nicht auf Mashratan befand. Der Sternenhimmel lag über mir. Ich befand mich auf einer öden, dunklen Welt inmitten einer Wüste aus schwarzem Geröll.

So wie es hier aussah, so sah es auch in meinem Inneren aus. Trostlos und leer.

Mein neuer Anzug zeigte eine weitere Funktion. Er war in der Tat ein tadelloser Raumanzug. Eine Atmosphäre herrschte hier nicht vor. Die Schritte fielen leicht, da hier weniger Schwerkraft herrschte als auf Mashratan.

Ich entfernte mich von der kuppelförmigen Raumstation. Anhand der Konstellation der größeren Gestirne wusste ich, dass ich mich noch immer im Mashritun-System befand.

Vermutlich in der Nähe des Braunen Zwerges. Vielleicht auf einem Asteroiden zwischen Mashratan und dem Zwerg. Oder auf einem seiner Monde, dessen Seite ihm gerade abgewandt war.

Ich hatte nicht einmal die einfachsten Fragen an Kerkum oder diesen Mordred-Anführer gerichtet. Wie lange war ich eigentlich schon hier? Ich betrachtete meine Rüstung und spannte meine offenbar neuen, künstlichen Muskeln. Das hatten die doch nicht innerhalb eines Tages erschaffen.

Die Sonnen Mashritun A und B strahlten weit entfernt und waren dennoch die größten Objekte am Himmel.

Ich war allein. Einsam im Herzen. Verlassen von allen. Entstellt und zu einem Kunstwesen zusammengesetzt. Ich war ein moderner Frankenstein.

Von weitem erkannte ich ein sich bewegendes Objekt. Es kam näher. Es war kein Asteroid, sondern ein Raumschiff. Die Sterne wurden auf der Außenhülle reflektiert.

In der Mitte lag eine Kugel zwischen den Flügeln, die offenbar die Geschütze und Antriebe darstellten. Es war groß. Nicht so groß wie ein Kugelraumer der NOVA-Klasse, aber vielleicht 400 oder 500 Meter insgesamt.

Das Raumschiff landete unweit von mir. Staub und Geröll wurden aufgewirbelt. Ich ging neugierig darauf zu. Der Schiffstyp war mir unbekannt.

Eine Luke öffnete sich. Der bläuliche Strahl eines Antigrav-Transportfeldes fuhr von dem Schiffsrumpf bis zum Erdboden hinunter. Ein Wesen befand sich darin. Ich blieb stehen und ließ den Fremden den nächsten Schritt machen. Er trat aus dem Strahl heraus und ging langsam, als hätte er alle Zeit des Universums, auf mich zu.

Das Wesen trug einen schwarzen Raumanzug. Erst als es nur wenige Meter von mir entfernt war, erkannte ich den rothäutigen Kopf mit der markanten Tätowierung von drei in sich gewundenen Sechsen auf der Stirn hinter der transparenten Scheibe des Raumhelms.

Cau Thon!

*

Er tauchte immer dann auf, wenn ich Beistand am Nötigsten hatte, wenn ich mich verloren fühlte.

Etwa zwei Meter vor mir, blieb Cau Thon stehen.

»Ich fühle deinen Schmerz und deinen Zorn, Cauthon Despair«, sagte Cau Thon. Ich hörte ihn gut. Mein Helm verfügte über ein Interkom. Offenbar kannte Cau Thon die Frequenz. Doch es überraschte mich nicht. Cau Thon wusste immer sehr viel.

»Verzage nicht, es ist dein Schicksal. Du wirst in einigen Jahren mehr über deine kosmische Bestimmung erfahren.«

»Wieso erst in ein paar Jahren? Ich habe die Geheimnisse und Rätsel satt.«

Cau Thon lachte freundlich.

»So ist das Spiel der Hohen Mächte. Auch ich bin nur ein Bote. Doch so viel sei dir verraten, dir steht eine glorreiche Zukunft bevor. Der Silberne Ritter Cauthon Despair ist von kosmischer Bedeutung. Du bist ein Auserwählter.«

Mir fiel es schwer, daran in diesem Moment zu glauben.

»Wer bist du wirklich? Wer steht hinter dir?«

»Ich bin der Diener einer Macht, die das Universum in seinen Grundfesten verändern wird!«

Ich hatte so viele Fragen, doch es war sinnlos. Cau Thon würde nur weiter orakeln. Was sollte ich also nun tun? Vielleicht wäre es das Beste, den Raumhelm zu öffnen und zu sterben. Welchen Sinn hatte mein Leben noch?

»Ich spüre deine Zweifel. Doch gib dich nicht auf. Dann hat Perry Rhodan gewonnen. Du wolltest doch Geschichte schreiben und ein Leben führen, in dem du respektierst wirst, in dem du an etwas Bedeutsamen teilhaben kannst. Die Zeit dazu ist gekommen.«

»Wie?«, krächzte ich verzweifelt.

»Nimm dein Schicksal an. Du bist kein Gefolgsmann von Perry Rhodan, du bist sein Widersacher. Schwäche Camelot, die LFT, Arkon – die gesamte Milchstraße, um selbst die Kontrolle zu erlangen.«

Ich? Ich sollte die Milchstraße beherrschen? Ein verlockender Gedanke. Ich würde so vieles ändern, wenn ich nur die Macht dazu hätte. Doch die besaß ich nicht.

»Und wie soll ich das bewerkstelligen? Mit diesen verrückten Mashraten vielleicht?«

Ich konnte mir den Spott nicht verkneifen. Wieder lachte Cau Thon.

»Nein, die sind Mittel zum Zweck. Genauso wie die Mordred. Die Mächte, die dahinter stehen, sind entscheidend.«

Doch die wollte er mir ja nicht nennen! Wir drehten uns im Kreis. Ich wurde ungeduldig. Cau Thon schein dies zu bemerken.

»Du wirst vorerst den Anweisungen der Nummer Eins der Mordred Folge leisten. Er ist fähig und reich an Erfahrung, um Rhodan zu trotzen. Fällt Rhodan, fällt die Milchstraße. Die Zellaktivatorträger sind wie immer der Schlüssel«, fuhr Cau Thon fort.

Ein Lichtblitz erhellte für einen kurzen Moment das Firmament. Ich blickte nach oben und sah ein weiteres Raumschiff auf den Asteroiden oder Mond zusteuern.

»Das sind eure Verbündeten. Ein mächtiges Volk aus einer fernen Galaxis.«

Das Raumschiff war in der Tat gewaltig. Es glich einem stählernen Adler. Die Spannweite musste über tausend Meter betragen, ebenso die Länge des fremden Raumschiffes.

Ja, es wirkte wahrlich mächtig.

»Die Dorgonen werden euch im Aufbau unterstützen, bevor euer Krieg mit Camelot ausbricht«, erläuterte Cau Thon.

»Und was ist mit dir?«

»Nun, ich werde die Milchstraße verlassen. Doch ich habe ein Abschiedsgeschenk für dich.«

Cau Thon zückte ein langes, goldenes Schwert und überreichte es mir. Welche Ironie. Zu einem Ritter gehörte natürlich auch ein Schwert. Ob mir die antiquierte Waffe jedoch nützlich sein würde, bezweifelte ich.

»Trage dieses Schwert mit Stolz und Würde. Es ist aus Carit, einer Legierung des Ultimaten Stoffes. Dieses Schwert wird dich stets im Kampf unterstützen.«

Ich nahm es. Es war trotz der Größe und Länge federleicht. Es hieß, Ultimater Stoff würde von Kosmokraten benutzt. Dieses Schwert war ein Zeichen von Cau Thons Macht. Ich vertraute ihm nun. Er hatte mir mit dem Auftauchen des dorgonischen Adlerraumschiffes und der Übergabe des Schwertes eindrucksvoll demonstriert, dass nicht nur leere Worte hinter seinen Aussagen standen.

Cau Thon packte mich an den Schultern.

»Bruder! Wir sehen uns wieder. Ich zähle auf dich. Bekämpfe Rhodan und verändere das Schicksal deiner Heimatgalaxis zum Besseren. Wenn deine Mission beendet ist, kreuzen sich unsere Wege erneut.«

Ich wollte noch etwas erwidern, doch Cau Thon verschwand von einer Sekunde zur anderen. Der blaue Strahl erlosch und das H-förmige Raumschiff verließ den Asteroiden.

Ich betrachtete das Caritschwert und wiegte es in der Hand, während das imposante Adlerraumschiff der Dorgonen nun direkt über der Raumstation schwebte.

Meine Entscheidung war gefallen. Ich würde fortan der Mordred dienen und Rache an Perry Rhodan und seinen Vasallen üben.

Das war also nun mein Schicksal. Der Cameloter Cauthon Despair war tot. Vergangen im Feuer, welches durch die eigenen Leute verursacht wurde. Alle die mir einst etwas bedeuteten waren tot oder hatten mich verraten.

Doch ich lebte. Der neue Cauthon Despair lebte.

Der Silberne Ritter.

ENDE

 

 

Das Schicksal von Cauthon Despair hat eine tragische Wende genommen. Aus dem jungen, deprimierten Jungen ist der Silberne Ritter geworden. Damit hat er endgültig seinen Weg zum Sohn des Chaos eingeschlagen.

Im nächsten Roman wird die Handlung im Jahre 1285 NGZ fortgeführt. Es geht um den Jungfernflug des neuesten Luxusraumschiffes der Kosmischen Hanse.

DER FLUG DER LONDON ist der Titel von Dorgon 4, welcher ebenfalls von Nils Hirseland geschrieben wurde.

 

 

 

Kommentar

Mit diesem Roman ist die Kindheit und Jugend unseres »Silbernen Ritters« abgeschlossen. Aus dem unglücklichen und unsicheren Kind wird, unter der manipulativen Führung seines »Bruders im Geiste« Cau Thon, ein gnadenloser Gewaltmensch werden, der, zumindest vorläufig, voll hinter den scheinbaren Idealen der Mordred stehen wird. Und, da plaudere ich bestimmt kein Geheimnis aus, die Person des neuesten »Sohn des Chaos« wird uns in die Zukunft begleiten.

In den nächsten Romanen steht die Geschichte eines ehrgeizigen Projektes der Kosmischen Hanse im Vordergrund, das vor Erscheinen der »alten« Dorgon-Serie als Prequel erschienen ist. Der »Flug der London« wird ebenfalls von Nils inhaltlich und stilistisch überarbeitet und an die künftige Entwicklung des Dorgon-Kosmos angepasst.

Freuen wir uns gemeinsam auf die nächsten Romane und folgen wir Perry Rhodan und dem Somer Sam, sowie vielen alten und neuen bekannten Charakteren, auf eine Reise, die als touristisches Ausnahmeerlebnis beginnen sollte und dann als absoluter Albtraum enden wird.

Jürgen Freier

 

 

GLOSSAR

Cauthon Despair

Cauthon Despair wurde am 02. Oktober 1264 NGZ auf dem Planeten Neles geboren. Seine Mutter Selina stammt von Terra, sein Vater Ivan von Nosmon. Cauthons Eltern waren Wissenschaftler auf Camelot und mit Entwicklungshilfe auf Neles beschäftigt, als er geboren wurde.

Vor seiner Geburt wurde die DNS von Cauthon durch den Sohn des Chaos Cau Thon manipuliert, der jedoch offiziell als Freund und Lebensretter von Cauthon Despair auftrat. So entschlossen sich die Eltern, ihren Sohn nach dem fremden Gönner zu taufen. Der Name wird jedoch englisch-terranisch ausgesprochen.

Von seinem Schicksal weiß das kleine Kind natürlich nichts. Angeblich soll es ein Sohn des Chaos sein. Cau Thon ermordet das Wissenschaftlerteam, darunter auch Despairs Eltern. Jedoch weiß niemand, dass Cau Thon der Mörder ist. Cauthon kehrt alleine – von Medorobotern versorgt – im November 1264 NGZ nach Camelot zurück. Dort wird er in die Obhut der Schwester von Selina Despair, Lesla Genero, gegeben, die zusammen mit ihrem Ehemann Tuzz den Jungen aufziehen soll.

Die ersten Lebensjahre verlaufen für den schüchternen und einsamen Jungen alles andere als liebevoll. Für seinen Onkel und seine Tante ist er ein Klotz am Bein und von seinen Mitschülern wird der achtjährige Cauthon Despair gehänselt. Der kleine Junge fühlt sich einsam und verlassen.

1273 NGZ

Als Achtjähriger wird Cauthon stiefmütterlich von seinem Onkel und seiner Tante behandelt und in der Schule gehänselt. Der einzige Freund des Jungen ist ein Servoroboter namens Robbie.

1275 NGZ

Cauthon trifft in der Schule auf Perry Rhodan, der in der Schulaula eine Ansprache hält. Wirsal Cell, der Hauptausbilder der camelotischen Raumfahrtakademie, nimmt sich Despair an und überzeugt Rhodan, den Jungen zur Reise nach Mashratan mitzunehmen, da der Administrator die Jugend von Camelot kennenlernen will. Rhodan stimmt – nach anfänglichen Bedenken – zu.

Mitte 1275 fliegen Cauthon Despair, Perry Rhodan und der Mausbiber Gucky nach Mashratan. Dort lernt Cauthon die Halbarkonidien Rosan Mulltok kennen und wird zusammen mit ihr von Unbekannten entführt, allerdings von Gucky befreit. Auf Bitten von Cauthon befreien Gucky und Rhodan die mashratische Sklavin Gazh Ala Nagoti el Finya, die Cauthon deshalb als "ihren Ritter" bezeichnet.

1276 NGZ

Cauthons Servoroboter Robbie wird von seinen Schulkameraden zerstört. In der Nacht darauf sucht Cau Thon den Jungen auf und bestraft die beiden, indem er sie tötet. Cauthon will zwar sie nicht selbst töten, lässt es aber zu, dass Cau Thon sie tötet.

1282 NGZ

Cauthon Despair schreibt sich an der Raumfahrtakademie ein und überzeugt in der Theorie und Praxis. Er lernt die Kameradin Zantra Solynger lieben und kennen, doch sie erwidert seine Liebe nicht, trotz viel Aufmerksamkeit ihrerseits. Für Cauthon bricht eine Welt zusammen. Kurz danach erfährt er von Wirsal Cell, dass Rhodan unaufrichtig in Bezug auf den Tod von Cauthons Eltern gewesen ist.

1283 NGZ

Bei einer Befreiungsaktion von Gazh Ala Nagoti el Finya stirbt diese und Despair wird durch »Friendly Fire« der camelotischen und terranischen Raumschiffe auf Mashratan schwer verwundert. Diverse Körperteile werden ausgetauscht und ihm wird die Silberne Rüstung angelegt. Fortan trägt er den Beinamen der Silberne Ritter.

Cau Thon rät Despair, sich der Terrororganisation Mordred anzuschließen, um eine neue Ordnung in der Galaxis zu schaffen.

 

Zantra Solynger

Geboren am 31.12.1265 NGZ verbrachte sie die ersten Jugendjahre auf Terra, später auf der Welt Sverigor. Nach der Scheidung ihrer Eltern war sie zusammen mit ihrer Mutter im Alter von acht Jahren nach Camelot gezogen.

Zantra ist 1,66 Meter groß, hat langes, glattes rotblondes Haar, tiefblaue Augen und eine große, markante Nase.

1282 NGZ beginnt sie ihre Ausbildung an der Raumfahrtakademie in Port Arthur, Camelot. Dort lernt sie Cauthon Despair kennen, der sich in Zantra verliebt. Doch Zantra verbindet nur eine Freundschaft aus Langeweile mit Cauthon. Sie verliebt sich in einen Raumkadetten namens Ygor und erklärt im Dezember 1282 NGZ, dass sie mit ihm nach Sverigor zieht, um im dortigen Camelotbüro ihre Ausbildung zu komplettieren. Nachdem Cauthon Despair ihren Geliebten verprügelt, schickt sie ihn fort und will nichts mehr von ihm wissen.

Gazh Ala Nagoti el Finya

Gazh Ala ist 1247 NGZ auf Mashratan geboren worden. Sie ist mit 1,59 Meter und 51 Kilogramm von zierlicher Statur. Sie trägt ihr dunkles Haar sehr lang, die Augen sind braun.

Die Haremsdame Gazh Ala Nagoti el Finya gehört zum »Inventar« von Oberst Kerkum. Als geborene Mashratin hat sie einen höheren Sklavenstatus im Vergleich zu Sklavinnen, die von anderen Planeten stammen. Gazh Ala ist in ihrer Kindheit auf dem Tuffa-Jab-Jab Fest missbraucht worden. Nachdem ihre Jungfräulichkeit verloren gewesen ist, gilt sie als unrein auf Mashratan und ist somit keine gute Partie als Ehefrau. Deshalb ist sie in den Sklavenstatus gekommen.

Gazh Ala kümmert sich 1275 NGZ zusammen mit Yasmin el Kerkum um die beiden Kinder Cauthon Despair und Rosan Mulltok. Sie wird Zeuge der Entführung von Cauthon und Rosan. Ihr soll später die Schuld in die Schuhe geschoben werden. Sie wird gefoltert, doch das überzeugt Perry Rhodan nicht.

Nach erfolgreicher Befreiung von Cauthon und Gucky bittet Despair seinen Mentor Rhodan, dass Gazh Ala ebenfalls befreit wird. Rhodan und Gucky kehren nach Mashratan zurück und helfen der Mashratin bei ihrer Flucht.

Sie bekommt eine Ausbildung auf Camelot und wird seither als Mitarbeiterin der Camelotniederlassung in Terrania eingesetzt. Dort hat sie zum Beispiel den Kontakt mit dem Schriftsteller und Chronisten Jaaron Jargon hergestellt.

Gazh Ala wird Ende 1282 NGZ Opfer eines Terroranschlages von Oberst Kerkum auf Terrania. Das Camelotbüro wird angegriffen und Gazh Ala entführt. Auf Mashratan wird sie des Hochverrats und der Unzucht mit dem Teufel angeklagt. Kurz vor ihrer Exekution rettet Cauthon Despair sie. Doch während eines Bombardements camelotischer und terranischen Streitkräfte stirbt Gazh Ala Nagoti el Finya im Januar 1283 NGZ.

Hunter-Jet

Der Hunter-Jet wurde zur terranischen Systemverteidigung eingesetzt und war ein reines Kampfraumschiff. Der Aufbau mit einem schmalen, in die Höhe gestreckten Rumpf, der keine aerodynamischen Eigenschaften aufwies, erinnerte an einen Piranha. Die Bewaffnung war mit drei Geschützen und einer Transformkanone mit der Abstrahlkapazität bis 500 Gigatonnen für einen Raumjäger gewaltig.

Neben dem Haupteinsatzszenario in der Systemverteidigung wurden diese Jäger auch für die Nahaufklärung eingesetzt. Die Reichweite reichte aus, um in der gesamten Milchstraße zu operieren.

Der SH234/4 verfügte über einen Metagravantrieb mit einer maximalen Beschleunigung von 1350 Metern in der Quadratsekunde. Der höchste zu erreichende Überlichtfaktor war 48 Millionen. Zudem hatte der SH234/4 einen Gravopuls-Antrieb sowie einen Antigrav.

 

Beschreibung: C:\Users\Juergen\Documents\PROCeBook77x48.pngDas DORGON-Projekt – Mordred-Zyklus – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.

Special-Edition Band 3, veröffentlicht am 20.11.2011 • Autor: Nils Hirseland • Titelillustration: Gaby Hylla • Lektorat: Jürgen Freier, Jens Hirseland und Jürgen Seel • Layout: Jürgen Seel • Internet: www.proc-community.de • E-Mail: info@proc-community.de Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf • Copyright © 1999-2012 • Alle Rechte vorbehalten!