Prolog
Atmen!
Du musst atmen!
Der Körper, in dem du die letzten dreißig Monate herangereift bist, hat dich soeben freigegeben. Du bist noch nicht zu bewusstem Denken fähig, Instinkte beherrschen dich. Du weißt, dass du den Mund öffnen und die Luft in die Lunge saugen musst, auch wenn du es noch nie getan hast. Der Vorgang schmerzt, und dieser Schmerz entlädt sich in einem ersten Schrei.
Instinktiv öffnest du die Augen, die du noch nie benutzt hast. Drei Bilder erreichen dein noch ungelerntes Gehirn. Du kannst sie nicht verarbeiten, weißt nicht, dass sie verschwommen deine beiden Erzeuger zeigen.
Deine Instinkte leiten dich auch weiterhin. Unbändig drängt ein erster Gedanke durch dein Bewusstsein. Auch wenn dies die ersten Augenblicke nach deiner Geburt sind und du noch nichts von der Welt gesehen hast – weißt du genau, dass du hier nicht hingehörst.
Ein genetisches Programm wird mit höchster Priorität abgearbeitet. Synapsen verbinden sich zwischen den Neuronen, innerhalb kürzester Zeit bildet dein Gehirn eine Fähigkeit heraus, die typisch für deine Art ist. Äußerste Eile ist geboten, denn die genetische Programmierung erlaubt es nicht, dass du weiterhin den Einflüssen dieser Region unterliegst.
Schon strecken sich dir die Arme eines Erzeugers entgegen. Dein Denken kann damit nichts anfangen, doch deine Instinkte wehren sich dagegen. Es wird noch lange dauern, bis du Mimik erkennen kannst. Im Nachhinein würdest du dann die Stimmung deines Erzeugers als Stolz bezeichnen, während deine Erzeugerin von einer tiefen Traurigkeit erfüllt ist.
Jedoch ist dies unwichtig. Sie haben dich zwar auf die Welt gebracht, doch du gehörst nicht zu ihrer Art.
Endlich stehen die Verbindungen der Nervenzellen. Du spürst den Hyperraum, entlädst die angesammelte Energie und springst zu dem Ort, an dem die Instinkte dich haben wollen.
Das genetische Programm gibt dich wieder frei. Die Teleportation hat den neugeborenen Körper so überanstrengt, dass du sofort in einen tiefen Schlaf fällst. Doch kurz bevor das Programm beendet wird, sorgt es noch dafür, dass Endorphine ausgeschüttet werden. Von tiefer Glücksseligkeit erfüllt, endlich zuhause angekommen zu sein, schließt du zum ersten Mal die Augen.
1.
»Was für eine wundervolle Gegend!«, entfuhr es Denise Joorn. Als sie merkte, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte, zuckte sie zusammen.
»Wir sind nicht hier, um Urlaub zu machen«, antwortete Feline Mowac und rümpfte die Nase. Sie deutete auf einen besonders hohen Vulkan, der zudem noch von kleineren Feuerschloten eingerahmt wurde. »Wie sollen wir bitte schön hier im Land des ›Ewigen Feuers‹ Maya ki Toushi finden? Hätte man auf uns gehört …«
Aurec schnitt der Staffelführerin der Zeros das Wort ab. »Die Diskussion ist gelaufen. Nur mit einer kleinen Gruppe haben wir eine Chance, sie möglichst unbemerkt zu befreien. Eine ganze Armee wäre nie unbemerkt geblieben.«
Denise sah, dass die Oxtornerin dunkel anlief und die Fäuste ballte. Wie gut, dass sich Feline und ihre Kämpfernaturen üblicherweise an Bord des anderen Gleiters befanden und sie sich nur kurz zu einer Besprechung getroffen hatten. Denise seufzte und beschloss, das restliche Streitgespräch zu ignorieren, da ohnehin immer wieder dieselben unvereinbaren Argumente ausgetauscht wurden. Sie wandte sich ab und ließ ihren Blick über die Landschaft gleiten.
Die Expedition hatte angehalten, da sie nach tagelanger Reise einen namenlosen Fluss erreicht hatten, der das Land der Buuraler und Husaaven voneinander trennte. Nach Tagen im Gleiter war allen danach gewesen, sich endlich an der frischen Luft die Beine vertreten zu können. Oder was hier so unter den Ausdruck »frische Luft« fiel. Denise wusste nicht, wer die Buuraler und wer die Husaaven waren, aber wenn Constance Zaryah Beccash sie so nennen wollte, dann war es halt so.
Eben diese Constance legte ihr soeben die Hand mitfühlend auf den Unterarm. Denise schaute überrascht auf und bemerkte den tröstenden Gesichtsausdruck der Hexe.
»Nein, es ist nicht wegen ihm …« Denise gab sich einen Ruck und raunte Constance zu: »Mich ödet einfach dieser permanente Streit zwischen Aurec und den Zeros an.«
Constance nickte. »Ich denke, selbst Feline sollte klar sein, dass eine kleine Gruppe besser ist, auch wenn sie lieber direkt mit Dutzenden ihrer Killer loszieht. Aber da sogar Sam und Jan Scorbit dieser Meinung sind, versucht sie jetzt wohl, absichtlich eine andere Meinung zu vertreten. Kann mir schon vorstellen, dass die kleine Gruppe Zero sich zwischen FES und USO ziemlich unwichtig vorkommt.«
Sie lächelte, und Denise kam nicht umhin, diese Geste nachzuahmen.
Die Hexe deutete auf die großen Vulkane. »Dieses Land ist uns unter dem Namen Maagan bekannt. Soweit ich weiß, leben lediglich Termetoren hier. Diese sogenannten Wächter des Rideryons sind wohl die Einzigen, die solch eine Landschaft attraktiv finden. Ihre Herren, die Jaycuul-Ritter, sollen am ewig brodelnden Lavaberg Keshruuv in ihrer Burgstadt Gatamas Saritol residieren.« Sie stutzte und schwieg.
Denise sah sich um und bemerkte, dass das Streitgespräch beendet war und alle interessiert an Constances Lippen hingen. Aurec munterte sie mit einer Geste auf weiterzusprechen.
»Ich dachte, das wäre bereits alles bekannt.« Constance wirkte sichtlich unsicher. »Mehr weiß ich leider nicht. Da niemand mit den Jaycuul-Rittern zu tun haben will, geht auch niemand in dieses Land. Mag sein, dass sie absichtlich dieses Land des Ewigen Feuers gewählt haben, um unnahbar zu erscheinen – oder vielleicht gefällt ihnen diese Landschaft einfach.«
Feline stieß betont die Luft aus. »Wir reden hier über mehrere Millionen Quadratkilometer! Und wir sind mit zwei lächerlich bewaffneten Gleitern unterwegs. Wie viele Jahre wolltest du noch einmal nach Maya suchen, Aurec?«
»So lange, wie es dauert«, ließ sich der Saggittone nicht aus der Ruhe bringen und ging demonstrativ zu seinem Gleiter zurück. »Wir fliegen weiter.«
*
Denise Joorn ertappte sich dabei, dass sie einmal mehr auf die schroffe und abweisende Landschaft hinausblickte. Seit der Überquerung des Flusses waren wieder zwei Tage vergangen, zwei Tage voller Ungewissheit und quälender Langeweile. Aurec versprühte zwar große Zuversicht, aber Denise war sich sicher, dass mit jedem ereignislosen Tag auch seine Unruhe zunahm. Hinzu kamen die endlosen Streitgespräche mit Feline Mowac.
Sie seufzte und fragte sich erneut, warum sie überhaupt mitgekommen war. Dieses Land Maagan wirkte nicht gerade so, als würde sie hier als Archäologin viel zu tun bekommen. Für einen Geologen wäre es bestimmt ein Fest gewesen herauszufinden, wie sich ein solches Gebiet auf einem künstlichen Himmelskörper bar jeglicher Tektonik entwickeln konnte, doch Denise fand es einfach nur trist und eintönig. Dann musste sie grinsen. Nachdem sie sich endlich von Johannes van Kehm lösen konnte, hatte sie eine kurze Affäre mit einem Geologiestudenten gehabt. Der schlaksige Typ mit dem Spitznamen Hesi, der auch im 14. Jahrhundert NGZ mit Vorliebe eine Brille mit dicken Gläsern trug und gern auf Freibier-Partys verkehrte, hatte sie mehrfach für Gesteinsproben begeistern wollen, doch letztlich damit nur erreicht, dass sie ihn verließ.
Das letzte Wort stieß einen Dolch in ihr Herz. Verlassen … Warum nur hatte es mit Alaska nicht gutgehen können? Immer noch konnte sie sich nicht erklären, wie urplötzlich dieses Gefühl in ihr entstanden war und noch viel weniger, dass sie tatsächlich Erfolg hatte, den unnahbaren Unsterblichen ins Bett zu bekommen. Doch während sie sich vergnügt hatten, war der Tod durch NESJOR gezogen und hatte sich viele der letzten Überlebenden der Alysker geholt. Denise erschauderte.
Es bringt nichts, immer wieder darüber zu grübeln, rief sie sich gedanklich zur Vernunft. Du hattest doch ohnehin nicht damit gerechnet, überhaupt Erfolg zu haben. Und auf einen One-Night-Stand mit einem Unsterblichen solltest du eigentlich stolz sein. Wer kann das schon von sich behaupten?
Sie spürte, wie eine einzelne Träne ihre Wange herab kullerte. Unter einem Vorwand eilte sie aus dem Cockpit, damit die anderen es nicht sehen konnten. In der winzigen Kabine, die sie sich mit Constance teilte, warf sie sich erst einmal eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
»Das muss aufhören!«, fuhr sie ihr Ebenbild im Spiegel an. »Komm endlich zur Vernunft, Denise Joorn!«
Lange Zeit starrte sie sich an, erst wütend, dann traurig, schließlich voller Trotz. Da ihr Gesicht inzwischen wieder trocken war, riss sie sich los und kehrte ins Cockpit zurück.
Dort überraschte sie eine völlig veränderte Situation. Sato Ambush war gerade dabei, die Beine der auf dem Boden liegenden Constance auf ein großes Kissen zu legen. Aurec hockte daneben und unterstützte ihn.
»Was …?« Bevor Denise ihre Frage beenden konnte, antwortete bereits Aurec:
»Sie ist urplötzlich einfach zusammengesunken. Als hätte sie irgendetwas überrascht.«
»Das ist kein Schockzustand«, stellte Ambush fest. »Eher eine Art Trance. Schaut her!«
Vorsichtig drehte er Constances Kopf zur Seite. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die Hexe fixierte aber niemanden, sondern schaute durch sie hindurch.
»Die Jaycuul?« Ambush blickte Aurec fragend an.
Dieser schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt sehr positiv denken würde, würde ich sagen, dass Constance soeben einen geistigen Kontakt zu Maya hergestellt hat.«
»Soll ich den anderen Gleiter informieren?«, fragte Denise unsicher.
Wieder verneinte Aurec. »Wer weiß, welche Verschwörungstheorien die dann wieder entwickeln. Solange keine eindeutige Bedrohung feststellbar ist, fliegen wir erst einmal weiter und tun so, als wäre nichts passiert. Denise, kümmere dich bitte um sie; ich muss wieder an die Kontrollen.«
Denise nickte und ließ sich neben der Hexe in den Schneidersitz sinken. Während sie die brünette Schönheit musterte, kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und hasste sich im selben Augenblick dafür, dass sie diese Marotte einfach nicht los wurde.
Nach endlos langen Minuten – oder waren es Stunden? –, in denen ihr nichts Sinnvolles einfiel, kam plötzlich Leben in Constances Augen. Ihre Pupillen zogen sich zusammen und die Augäpfel bewegten sich. Als Denise sicher war, dass sie angeschaut wurde, ergriff sie Constances Schultern und richtete sie sanft auf. Wie von selbst rutschten die Beine der Hexe vom Kissen.
»Sie ist hier …« Constances Stimme war nur ein leichter Lufthauch, gegen den sogar Flüstern laut gewirkt hätte.
Denise rückte näher und versuchte, das Ohr möglichst nahe an ihren Mund zu bringen, doch da schob Constance sie mit überraschender Kraft fort und sprang auf.
»Sie ist hier!«, wiederholte die Hexe nun mit solcher Lautstärke, dass Aurec erschrocken zusammenzuckte. Denise unterdrückte ein Lächeln. »Ich kann Maya spüren. Wir sind tatsächlich richtig. Als sich der unerwartete Kontakt ergab, versuchte ich, sie mental zu erreichen, doch es klappt leider nicht. Ich weiß aber genau, in welche Richtung wir fliegen müssen.«
Mit energischer Entschlossenheit wies Constance in eine Richtung, die etwa dreißig Grad rechts von ihrer aktuellen Flugrichtung lag. Einmal mehr wurde Denise bewusst, wie fremdartig die Hexen trotz der optischen Ähnlichkeit waren. So schnell hätte sich ein Mensch unmöglich erholen können.
Sie sind uns optisch nicht ähnlich!, korrigierte sie sich direkt danach innerlich. Was wir sehen, ist einfach nur eine Art Gestaltwandler. In Wirklichkeit sind die Hexen große, kräftige Wesen mit Schläfenhörnern und drei Augen, die nichts Menschliches an sich haben.
Denise fröstelte, wurde aber von der polternden Stimme Felines in die Wirklichkeit zurückgeholt.
»Was soll das heißen, Constance weiß, wo Maya ist?«, fuhr die Oxtornerin Aurec an.
Während Denise ihren Gedanken nachgegangen war, hatte der Saggittone direkt gehandelt und den anderen Gleiter kontaktiert. Einmal mehr merkte Denise, wie sehr sie die Sache mit Alaska Saedelaere aus dem Konzept gebracht hatte. Früher wäre sie nicht in Grübeleien versunken, wenn es etwas zu tun gab.
»Sie konnte geistigen Kontakt zu Maya herstellen und ist sich sicher, in welche Richtung wir fliegen müssen.«
Denise konnte sehen, wie sich Felines Abbild im Holokubus abmühte, die Hexe in ihr Blickfeld zu bekommen, doch Constance war nach vorn geeilt und gab Sato Ambush, der die Steuerung des Gleiters übernommen hatte, Kursanweisungen.
»Und falls das eine Falle ist?« Feline Mowac sprach gefährlich leise. Denise wäre nicht überrascht gewesen, wenn der tätowierte Drache, den sie statt Haaren trug, jetzt Feuer gespuckt hätte.
»Wollen wir uns jetzt wirklich auf dieses Niveau begeben?«, gab Aurec in demselben Tonfall zurück.
Feline verzichtete auf eine Antwort und unterbrach einfach die Verbindung, doch durch das Seitenfenster sah Denise, dass ihr Gleiter die Kursänderung mitmachte. Unwillkürlich atmete sie auf. Militärs hatte sie noch nie gemocht, aber diese Gruppe Zero war ihr wirklich unheimlich. Kaum vorstellbar, dass Maya ki Toushi jetzt formal sogar die Befehlshaberin dieses Haufens sein sollte.
*
Einige Stunden später fuhr Constance auf und deutete aufgeregt auf einen Berggipfel. »Hier, genau da drin muss es sein.«
Aurec blickte sie skeptisch an. »Da drin …?«, fragte er gedehnt.
»Ich kann dir nicht sagen, wie es passiert, aber ich spüre ganz deutlich, dass Maya sich irgendwo in diesem Gebirgsmassiv befinden muss.«
Aurec nickte und aktivierte den Funk. »Feline, Constance ist sich sicher, dass wir hier richtig sind. Irgendwo in diesem Berg muss sich Maya befinden. Wir werden hier landen und die Gegend auskundschaften.«
Feline bestätigte einsilbig, dann setzten die Gleiter zur Landung an. Denise musste unwillkürlich an schneebedeckte Bergflanken denken, doch die unzähligen Vulkane verhinderten die Bildung von Eis.
Aurec hatte währenddessen die Atmosphäre analysiert. »Die Luft ist atembar, enthält aber leichte Schwefelwerte.« Er grinste. »Also nichts, was wir nicht aushalten würden, oder?«
Denise wusste nicht, was sie von dieser Aussage halten sollte. Statt einer Antwort packte sie ihre wichtigsten Utensilien in einen Rucksack. Mit einem Seitenblick stellte sie fest, dass es der Rest genauso handhabte. Bereits nach wenigen Minuten war die Gruppe bereit, den Gleiter zu verlassen.
Als sie durch die Schleuse getreten war, rümpfte sie die Nase. Der Geruch war eine Mischung aus faulen Eiern, drei Wochen ununterbrochen getragenen Socken und jener in einem ländlichen Gebiet von Olymp kultivierten Käsesorte, deren Name sie aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte, um sich nicht an den Gestank erinnern zu müssen. Johannes van Kehm hatte sie jedenfalls geliebt.
Denise stutzte, als sie die Gruppe Zero sah. Sie war bereits dabei, ihren Gleiter durch ein Tarnzelt emissionsfrei zu verbergen. Trotz ihrer oft unberechenbaren und chaotischen Art handelte es sich bei der Oxtornerin mit ihrem Drachen-Tattoo, dem Arkoniden in dem skurrilen Gewand und dem vernarbten Oxtorner allesamt um Elitesoldaten.
Feline kam auf sie zugelaufen. »Umgebung gesichert. Wir befinden uns in nahezu 1700 Metern Höhe, keinerlei Feindkontakt.«
Aurec nickte langsam und fixierte einen Vulkan, der gerade eine Feuerlohe ausstieß.
»Wollen wir hoffen, dass es so bleibt.«
2.
Nervös trat ich von einem Bein auf das andere. Jeden Moment konnte sich die Tür öffnen und dann würde es beginnen. Ich schloss die Augen, um noch einmal mein Wissen durchzugehen. Das Rideryon … Die Mutter Lilith … Nistant … Seit wann regierten sie noch einmal zusammen?
Erschrocken riss ich die Augen auf. Mir fiel die Antwort nicht ein! Ich bemerkte, wie sich vor Nervosität meine Brüste verkrampften. Verzweifelt rieb ich die Hörner, als könnte ich dadurch die fehlende Erinnerung zurückholen.
Als könnte es nicht schlimmer kommen, öffnete sich genau in diesem Moment die Tür. Eine angehende Hexe in meinem Alter huschte heraus. Ihre Haut hatte vor lauter Aufregung einen ockerfarbenen Ton angenommen und ihre muskulösen Brüste hatten sich gleich den meinen verkrampft. Ein flüchtiges Lächeln glitt über ihr Gesicht, dann ließ sie sich neben mir auf einen leeren Sitz fallen und stieß die Luft aus.
»Und?«, versuchte ich ein Gespräch in Gang zu bringen. Ich hatte mich bemüht, den Prüfungstermin nach ihr zu bekommen, da wir immer gemeinsam unsere Psi-Kräfte trainiert hatten. Die Freude, sie wirklich anzutreffen, linderte deutlich meine Aufregung. Wie wir alle besaß sie noch keinen Namen, so dass ich sie insgeheim bei mir »Wasserfall« nannte, denn ihre blauen Haare flossen wie ein Wasserfall über ihre Schultern. Ich mochte es mir kaum einzugestehen, doch ich beneidete sie dafür, da ich meine rote Mähne nicht sonderlich leiden konnte.
Wasserfall machte die Geste des Unwissens, indem sie ihre Hörner antippte. Dann versuchte sie mit mäßigem Erfolg, mittels Dehnübungen ihre Brustmuskeln zu entspannen. Ich legte ihr die Hand auf den Oberschenkel, um sie zu beruhigen. Sie entgegnete die Geste und lehnte sich sanft an mich. Ich bemerkte, dass sie zitterte.
»Ich bin nach dir dran«, sagte ich und biss mir sofort auf die Lippen. Was für eine unnötige Aussage! Weshalb sollte ich sonst hier sein? Schnell setzte ich nach: »Leider fällt mir nicht mehr ein, seit wann Mutter und Nistant das Rideryon regieren.«
Nun schaute Wasserfall doch überrascht auf. »Das … das weiß doch niemand.«
Innerlich atmete ich auf. Also hatte ich doch nichts vergessen. Nichtsdestotrotz war ich sicher, dass mir irgendwo noch etwas Wissen fehlte. Nur wo?
»Ich hoffe, ich bestehe die Prüfung«, flüsterte Wasserfall unbehaglich. »Eine Rückkehr zum Pöbel würde ich nicht überleben.«
Ich nickte mitfühlend. Wie alle von uns hatte sich auch Wasserfall direkt nach der Geburt hier ins Land der Hexen teleportiert. Das Volk, das uns gebar, wurde von uns nur Pöbel genannt. Sie glichen uns nicht einmal äußerlich. Doch wer die Prüfung als Hexe nicht bestand, musste zu ihnen zurück und sich anpassen – oder dem unwürdigen Leben ein Ende setzen. Ich schüttelte mich. Dort gab es sogar Männer – erbärmliche Daseinsformen, verweichlicht und noch nicht einmal mit der Fähigkeit gesegnet, Leben hervorbringen zu können.
Wir zuckten beide zusammen, als sich die Tür wieder öffnete. Toushi ki Amareth, unsere gemeinsame Prüferin, stand im Rahmen und beorderte mit einer herrischen Geste Wasserfall in den Prüfungsraum zurück. Mit hängenden Schultern folgte diese der Aufforderung und schloss die Tür hinter sich. Wieder war ich allein.
Ich ließ meinen Blick durch den Warteraum schweifen. Schließlich blieb er an dem großen Fenster hängen. Der Ausblick hier von der Akademie, die sich weit oben auf den Bergen befand, war unglaublich. Ich konnte durch das Fenster nicht weniger als sieben Berggipfel ausmachen – und jeden einzelnen benennen. Monate hatte ich damit verbracht, mir alles an Wissen einzuhämmern, was irgendwie erreichbar war. Ich wollte nicht nur einfach die Prüfung bestehen und eine Hexe werden – ich wollte die Beste werden!
Nach einigen langen Minuten öffnete sich die Tür erneut. Wasserfalls Haut war noch blasser geworden, fast schon beige. Sie schloss das Stirnauge – ein Nein. Bevor ich nachfragen konnte, trat sie ans Fenster und sprang heraus. Ihr stand ein fast hundert Meter tiefer Absturz hervor – unmöglich, das zu überleben.
Schockiert wanderte mein Blick zur Tür zurück und traf den Toushis.
»Immerhin hat sie jetzt die richtige Antwort gewusst«, zischte die Prüferin verächtlich. »Als Pöbel hätte sie nur unseren Sauerstoff und unsere Nahrungsmittel vergeudet.« Sie wies auf mich. »Nun zu dir: Mitkommen!«
Als ich ihr folgte, schienen sich meine Knie in Butter zu verwandeln. Nie zuvor in meinem jungen Leben hatte ich eine solche Angst gehabt.
Ich musste unbewusst meinen Blick gesenkt haben, denn erst als sich jemand demonstrativ räusperte, fuhr ich erschreckt hoch. Sehr oft schon hatte ich mir in der Vergangenheit diese Situation ausgemalt und mich gefragt, wie es wohl sein würde, wenn ich erst einmal dort wäre. Doch so hatte ich es mir nicht im Geringsten vorgestellt.
Der Prüfungsraum war völlig leer und kahl. Lediglich ein langer Tisch, an dem alle meine Ausbilderinnen Platz genommen hatten, stellte das einzige Mobiliar dar. Mit einem flüchtigen Blick stellte ich fest, dass es für mich keine Sitzgelegenheit gab. Offensichtlich war nicht vorgesehen, dass es die Prüflinge bequem haben sollten. Schutzlos und allein stand ich in meiner kahlen Hälfte des Raumes.
Genau wie ich mir den Prüfungsraum vorgestellt hatte, hatte ich in Gedanken immer wieder meine ersten Worte zurechtgelegt, aber nun kam nichts über meine Lippen. Stattdessen fragte ich mich, ob die Ausbilderinnen wohl meine vor Angst verkrampften Brüste bemerkten und ob meine Haut eine ebenso bleiche Farbe wie bei Wasserfall angenommen hatte. Wasserfall … Ob ich auch den Mut hätte, mich nach einem Misslingen in den Tod zu stürzen?
»Auszubildende, gefunden am Lathi-Teich!«
Bei der Ansprache zuckte ich zusammen. Solange wir noch keine Hexen waren und Namen besaßen, wurden wir mit dem Ort angeredet, zu dem wir uns als Neugeborene teleportiert hatten.
»Was verlangst du von uns?«, sprach mich Toushi ki Amareth erneut an.
Dieser Satz löste meine Anspannung. »Ich verlange, in den Kreis der Hexen aufgenommen zu werden«, sprach ich die überlieferten und auswendig gelernten Worte. Wenn nur der Rest der Prüfung so einfach werden würde!
»Wie bist du auf diese Welt gekommen?«, stellte Toushi die erste Frage.
Ich stöhnte innerlich auf. Eine Fangfrage! Dennoch gelang es mir in Sekundenbruchteilen, eine passende Antwort zu finden: »Ich wurde durch Liliths Keim gezeugt und wuchs im Körper eines weiblichen Mitglieds des Pöbels heran. Direkt nach der Geburt jedoch teleportierte ich hier in die Welt, in die ich gehöre.«
Toushi ki Amareth gab mit keiner Regung zu erkennen, ob ihr die Antwort gefallen hatte. Stattdessen stellte sie direkt die nächste Frage: »Was weißt du über das Rideryon?«
»Das Rideryon ist ein künstliches Objekt, das von Nistant erbaut wurde«, sprudelte das Wissen aus mir hervor. »Er erbaute es im Namen von MUTTER, um einst in ihrem Auftrag in den Krieg gegen die hohen kosmischen Mächte zu ziehen.«
Eine peinliche Pause entstand, als ich meine Antwort beendet hatte, aber die Prüferin keine neue Frage stellte. Es war wohl besser, wenn ich weiterredete.
»Vor langer Zeit kam Lilith, unser aller Mutter, auf das Rideryon, um es künftig gemeinsam mit Nistant zu regieren.« Ich spürte, wie Übelkeit in mir aufzog. Wie konnte Lilith nur gemeinsam mit jemandem regieren, dazu noch mit einem Mann?
Toushi ki Amareth nickte kaum merklich. Offenbar war ihr meine Gefühlsregung nicht verborgen geblieben, doch wurde mir das anscheinend nicht negativ ausgelegt – ganz im Gegenteil!
Sie wies auf einen Stein, der auf dem Tisch lag und mir in meiner Aufregung bisher nicht aufgefallen war. »Der Anblick dieses Steins beleidigt mich. Ändere das!«
Nur mit äußerster Mühe unterdrückte ich ein überraschtes Aufstöhnen. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass in der Prüfung mein Wissen abgefragt werden sollte. Aber nun so eine Aufgabe! Sollte ich den Stein nehmen und aus dem Fenster werfen? Nach einem verstohlenen Seitenblick des linken Stirnauges stellte ich fest, dass die Fenster hier im Gegensatz zum Warteraum fest verschlossen waren. Ob Wasserfall genau an dieser Aufgabe gescheitert war? Hatte sie sich deshalb statt des Steins in die Tiefe gestürzt?
Dann fiel es mir endlich ein. Die Prüferin verlangte von mir, dass ich meine telekinetischen Kräfte einsetzte!
Jetzt, wo mir klargeworden war, was von mir erwartet wurde, fiel mir der Rest leicht. Ich konzentrierte mich kurz, ergriff den Stein mit meinen mentalen Kräften und zertrümmerte ihn zu Staub. Für einen kurzen Augenblick erinnerte ich mich an einen Nachmittag, an dem ich genau dies mit Wasserfall trainiert hatte. Ach, Wasserfall, dass sie nicht einmal den Rang Lu erreicht hatte …
Widerstrebend gestand ich mir ein, dass ihr Selbstmord mir mehr zu schaffen machte, als ich zugeben wollte.
Es folgten weitere Fragen zum Riff und unserer Gesellschaft. Ganz von allein sprudelte das Wissen aus mir heraus. Inzwischen hatte ich mich an die Prüfungssituation gewöhnt und meine Nervosität abgelegt. Doch dann kam plötzlich eine Aufgabe, mit der ich nicht gerechnet hatte.
»Jetzt möchten wir sehen, wie gut du deine Gestalt verändern kannst«, sagte Toushi ki Amareth.
Im ersten Moment war ich irritiert, da mich dies komplett aus dem Frage-Antwort-Spiel herausriss. Natürlich wusste ich, dass wir dazu fähig waren. Im Unterricht hatten wir so oft geübt, die Gestalt des Pöbels anzunehmen, dass ich dazu sogar im Schlaf in der Lage gewesen wäre. Aber ich hasste das. Ich verachtete das Aussehen des Pöbels und seine Art. Nach jeder Übung war ich zur Toilette geeilt und hatte mich übergeben. Nur Wasserfall war es gelungen, mich immer wieder zu den Übungen zu motivieren. Wasserfall …
Und jetzt sollte ich dessen Gestalt annehmen? Das konnten sie nicht von mir verlangen! Und falls dies genau die verlangte Aufgabe war? Aber was, falls ich mich jetzt übergeben musste? Vor allen Lehrerinnen? Fast unbewusst bemerkte ich, dass meine Schuluniform unordentlich an mir herab hing. Die ganze Ruhe war verflogen. Von einem Augenblick zum anderen hatte ich höllische Angst. Unbewusst wanderte mein Blick zum großen Fenster und in die Weite der Landschaft. Auf einem Spaziergang in die Weiten des Riffs war ich von einem wilden Tier angegriffen worden. Glücklicherweise hatte ich eine Waffe dabei gehabt und es erlegen können. Irgendwie hatte ich es bereut, es töten zu müssen, denn seine Eleganz und sein Aussehen hatten mich beeindruckt. Nie hatte ich versucht, eine andere als die vorgegebene Gestalt anzunehmen. Ob ich es probieren sollte?
Ich konzentrierte mich und versuchte, mich an jedes Detail des Tieres zu erinnern. In allen Einzelheiten stellte ich mir dessen seidiges Fell vor, die krallenbewehrten Füße, die sehnige, gedrungene Gestalt.
Dann merkte ich, wie sich mein Körper zu verändern begann. Die Hörner verschwanden, die Haut wurde weich und überzog sich mit Fell. Schließlich ließ ich mich auf die Vorderläufe fallen und streifte die nutzlos gewordene Kleidung ab. Unbewusst entglitt mir ein Fauchen, als ich die völlig überraschten Gesichter meiner Lehrerinnen erblickte.
»Die Prüfung ist beendet«, stieß Toushi hervor. »Nimm wieder deine normale Gestalt an und warte draußen, damit wir uns über das Ergebnis beraten können.«
Ein Dolch stach in mein Herz. Nun hatte ich es doch vermasselt! Warum nur hatte ich nicht das Aussehen angenommen, das der Unterricht vorsah? Ich verwandelte mich zurück und störte mich nicht im geringsten daran, mich vor meinen Lehrerinnen nackt zu zeigen. In aller Ruhe schlüpfte ich wieder in die Schuluniform und eilte nach draußen.
Als ich die Tür hinter mir schloss, stieß ich die Luft aus. Jetzt, wo die Anspannung von mir abfiel, begann ich zu zittern. Erst viel zu spät bemerkte ich, dass auf dem Platz, auf dem ich vor einem gefühlten Augenblick noch gewartet hatte, inzwischen der Prüfling nach mir Platz genommen hatte. Auch mit dieser angehenden Hexe hatte ich im Rahmen meines Unterrichts einige Male zu tun gehabt. Auffälligstes Kennzeichen von ihr war, dass sie sich als Kind bei einem Unfall die Spitze ihres rechten Horns abgebrochen hatte. Ich mochte es nicht, sie anzusehen, denn meiner Meinung nach hatte eine Hexe ein perfektes Äußeres zu besitzen. Die fehlende Hornspitze war ein Makel ihres Äußeren, den auch ihre platinblonden Haare und das einigermaßen hübsche Gesicht nicht überdecken konnten. Von daher hatte ich sie bei mir immer nur Makel genannt.
Makel hatte mich offensichtlich seit meiner Flucht aus dem Prüfungsraum interessiert gemustert. »Und?«, fragte sie leise. Ihre Stimme zitterte.
Ich amüsierte mich nur den Bruchteil einer Sekunde darüber, dass es mir mit Wasserfall exakt genauso gegangen war, wenn auch mit vertauschten Rollen. Sofort krampfte sich mein Inneres zusammen. Ich verdrängte den Gedanken.
»Ging so«, antwortete ich und dachte gleichzeitig: Du schaffst doch sowieso höchstens einen Ra, vielleicht auch nur einen Lu, du Makel …
Ein Seufzer drang aus meiner Kehle. »Ich glaube, ich habe bei der Gestaltwandlung einen riesigen Fehler gemacht.« Warum erzählte ich ihr das eigentlich? Um mich selbst zu rechtfertigen? »Ich wollte nicht wie der Pöbel aussehen und habe mich für eine andere Gestalt entschieden.«
Makel nickte, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass sie wirklich verstand, was ich erzählte. Ich trat an das Fenster und bemühte mich nach Leibeskräften, nicht nach unten zu schauen. Was würde ich tun, falls ich mich jetzt ebenso wie Wasserfall ins Abseits manövriert hatte? Würde ich mich dann auch zu Tode stürzen? Nein, den Mut besaß ich nicht, das war mir bewusst. Doch eigentlich sollte mein Wissen reichen, um die Prüfung zu bestehen!
Aber dann fielen mir wieder die entsetzten Blicke meiner Lehrerinnen ein. Hatte ich es geschafft, durch diese impulsive Entscheidung sogar den Lu-Rang zu verspielen? Erneut seufzte ich. Insgeheim hatte ich mir immer ausgemalt, dass nur der Rang einer Ki mir angemessen wäre, doch zwischen Wunschtraum und Realität lag so viel …
Bei diesem Gedanken blickte ich nun doch nach unten. Auf den Felsen lag der zerschmetterte Körper Wasserfalls. Immer noch! Natürlich hatte bisher niemand den Leichnam geborgen.
Nein, so würde ich es nicht beenden. Dann halt zum Pöbel zurück. Meine Fähigkeiten waren mächtig genug, um eine herausragende Stellung zwischen ihnen einnehmen zu können. Ich drehte mich wieder um, mein Blick traf Makels Augen und sie zuckte zusammen. Schnell zwang ich mich dazu, das gehässige Lächeln aus meinem Gesicht zu entfernen. Gerade noch rechtzeitig genug, denn genau in diesem Augenblick öffnete Toushi ki Amareth die Tür.
»Mitkommen!«, befahl sie eisig, ohne auch nur einen Blick an Makel zu verschwenden.
Ich zwang mich dazu, mit erhobenem Haupt in den Prüfungsraum zu treten. Vorhin hatte ich noch nicht gewusst, was auf mich zukommen würde, doch nun hatte ich mein Wissen und meine Fähigkeiten präsentiert und würde das Ergebnis tapfer entgegen nehmen.
Zumindest versuchte ich, mir das einzureden.
Toushi hatte inzwischen Platz genommen, und die Situation präsentierte sich exakt genauso, wie sie bei der Prüfung gewesen war.
»Wir haben uns beraten«, erklärte sie unnötigerweise, denn dass sie nicht getratscht hatten, war überaus klar. »Du hast überzeugendes Wissen präsentiert und auch bewiesen, dass du in der Lage bist, dieses anzuwenden und eigene Rückschlüsse zu ziehen, anstatt es einfach nur auswendig gelernt herunterzubeten. Auch die Vorführung deiner telekinetischen Kräfte war durchaus – beeindruckend. Aber dann kam die Gestaltwandlung …«
War ich zuvor bei jedem Satz ein kleines bisschen stolzer geworden, griff nun eine Eishand nach meinem Herz. Ich bemerkte, wie sich die Brustmuskeln erneut verkrampften. Beinahe hätte ich eine perfekte Prüfung abgelegt und dann hatte ich es mit der letzten Aufgabe versaut. Das war’s. Ich war einfach nur Pöbel!
Ich sah, wie sich die Lippen von Toushi ki Amareth bewegten, doch kein Laut drang in meinen Verstand vor. Mit äußerster Konzentration zwang ich mich, den Kloß, der sich in meiner Kehle gebildet hatte, herunterzuschlucken und erneut zuzuhören.
»… sind nur wenige von uns Hexen in der Lage, eine andere Gestalt als die des Pöbels anzunehmen.«
Hatte ich da gerade richtig gehört? Hatte sie von uns Hexen gesprochen? Aber das bedeutete ja, dass …
»Du hast die Prüfung bestanden. Gratulation! Deine überzeugenden Leistungen erlauben es mir, dir den Rang einer Ki zu verleihen. Wir haben auch schon eine Aufgabe für dich. Jetzt, nach Abschluss deiner Schulausbildung, wirst du direkt an das Zentralkommando unter Lilith versetzt und dort deine weitere Ausbildung erhalten.«
Ich schloss den Mund wieder, den ich ungläubig geöffnet hatte. Ich hatte es geschafft! Und dazu noch die beste Note bekommen! Ich war jetzt eine richtige Hexe, und dazu noch eine Ki!
»Nun zu deinem Namen. Aufgrund deiner beeindruckenden Gestaltwandlung werden wir dir den Namen Zauberin geben – natürlich in der Sprache SI KITUS. Da ich den Vorsitz geführt habe, trägst du von nun an ebenfalls meinen Namen, damit jeder sehen kann, von wem du ausgebildet worden bist. Herzlich willkommen im Volk der Hexen, Maya ki Toushi!«
3.
Schweigend standen Denise Joorn und Sato Ambush vor dem Hügel. Es war kein Zufall, dass ihr Fachwissen angeschlagen hatte, denn wenn sie es nicht besser wissen würde …
»Sieht aus wie Ruinen«, sprach Ambush aus, was sie zuerst auch gedacht hatte. Sie hatten sich von der erneut streitenden Gruppe abgesetzt, um diese Struktur zu untersuchen.
»Unmöglich«, widersprach sie. »Schau her, der Aschetuff befindet sich auch hier überall, sogar auf dieser Formation. Selbst wenn es nur ein paar Millimeter sein sollten und wir Erosion auf ein Minimum beschränken, muss das Gestein darunter bereits viele Millionen Jahre alt sein.« Sie zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von etwa einem Millimeter. »So viel bleibt selbst von der Lemurertechnologie nach einem solchem Zeitraum übrig. Nein, dieser nahezu runde Kreis muss einen anderen Ursprung haben …«
Ambush hob seinen Desintegrator, doch Denise schlug seine Hand zur Seite. »Nein, viel zu unpräzise!«
Nachdenklich ließ sie sich zu Boden sinken und packte ihren Hammer aus. Innerhalb einiger Minuten gelang es ihr, eine Kante des hellen Gesteins freizulegen. Erstaunt stieß sie die Luft aus. Der Fels war von makellosem Weißblau und die Kante bildete nahezu einen perfekten Neunzig-Grad-Winkel. Das konnte unmöglich natürlichen Ursprungs sein!
Sie blickte zu Ambush hoch, ihre Blicke trafen sich und er zückte ohne ein Wort sein Funkgerät. »Kommt alle her! Denise hat etwas gefunden!«
*
Feline Mowac protestierte aufs schärfste, doch alle anderen ergaben sich in ihr Schicksal und rückten dem Tuff nur mit kleinen Desintegratoren zu Leibe. Denises Innerstes krampfte sich zusammen, als sie die Energiestrahler sah, doch das war der notwendige Kompromiss mit den Elitekriegern gewesen. Sie atmete auf, als die Energiestrahler dem weißblauen Gestein nichts anhaben konnten. Der Gruppe Zero war hingegen sichtlich anzusehen, dass ihr ein Material nicht geheuer war, das ihren Waffen widerstand.
Shan Mogul zückte seinen Impulsstrahler, doch Denise stellte sich ihm entschlossen in den Weg.
»Nein!«, fauchte sie ihn an. »Man zerstört nicht blindlings Hinterlassenschaften einer vergangenen Zivilisation!«
Der Oxtorner verdrehte die Augen, steckte den Strahler jedoch nach kurzem Zögern wieder weg.
Nach einigen Stunden war auch für die anderen deutlich erkennbar, dass im Inneren der Struktur ein Weg korkenzieherartig nach unten freigelegt werden konnte. Nun war auch Feline mit Eifer dabei.
Denise weigerte sich standhaft, einen Desintegrator anzufassen, und beschränkte sich darauf, die Arbeiten penibel zu beobachten. Schließlich wurde ihre Aufmerksamkeit belohnt. Mit einem Aufschrei eilte sie nach vorn und versuchte, Feline zur Seite zu schieben, doch die Oxtornerin stand dort wie ein Fels. Kurzerhand schlüpfte Denise neben ihr durch und untersuchte die Felswand.
»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte Feline, sichtlich am Ende ihrer Geduld.
Die Archäologin winkte ab. Wenn ihr Gefühl sie nicht trog, hatte sie gerade die Entdeckung des Tages gemacht. Behutsam arbeitete sie sich mit Hämmerchen und Meißel weiter vor und achtete darauf, die fragile Grenze zwischen Gestein und Fund nicht zu beschädigen.
Ein überraschtes Ausatmen hinter ihr bewies, dass es ihre Begleiter inzwischen auch erkannt hatten.
»Das ist ein Knochen«, stellte eine männliche Stimme hinter ihr fest. Sie vermutete, dass sie zu Corph de Trajn gehörte. »Ein humanoider Knochen!«
Langsam drehte sie sich herum und blickte die anderen Mitglieder der Expedition an. Sie versuchte gar nicht erst, ihren Triumph zu verbergen. »Ob er wirklich humanoid ist, kann ich jetzt noch nicht bestätigen. Aber er ist versteinert und über zweihundert Millionen Jahre alt. Doch es wird noch besser: Bei dieser länglichen Struktur daneben handelt es sich ganz sicher um die Überreste einer Energiewaffe!«
*
Aurec atmete unwillkürlich auf. Seit den Vorfällen in NESJOR – so tragisch sie auch sein mochten – war Denise Joorn kaum auszuhalten gewesen. Egal was nun in der Zeit geschehen war, die sie gerade mit Sato Ambush allein verbracht hatte, sie schien zumindest momentan wieder die Alte zu sein. Hoffentlich blieb das so.
Unter den skeptischen Blicken der drei Mitglieder der Gruppe Zero hatte Denise sich inzwischen einen Weg durch die letzte Schicht des Gesteins gebahnt. Mit einem lauten Krachen fiel der Rest in die Dunkelheit einer neu entstandenen Öffnung.
Denise stieß die Luft aus. »Eine Höhle!«
Aurec trat nach vorn und leuchtete mit seiner wohlweislich mitgenommenen Lampe in das Loch. »Das ist keine Höhle, sondern eher eine Kathedrale.«
Kurz entschlossen kletterte er durch die Öffnung und fand sich inmitten eines riesigen Raums wieder, den der Lichtschein nicht komplett erhellen konnte.
Nach und nach folgten die anderen Mitglieder der Expedition. Aurec bemerkte, wie Denise sofort zu einigen Felswänden eilte.
»Das ist genau dasselbe Material, das wir auch an der Oberfläche entdeckt haben. Offenbar ein extrem widerstandsfähiger Stoff, der diese Halle über Jahrmillionen hinweg stabil gehalten hat.«
Der Saggittone nickte fahrig. Was hier auch immer an Geheimnissen die Äonen überdauert hatte, momentan hatten sie eine ganz andere Aufgabe zu erfüllen. Sein Blick traf sich mit dem von Feline Mowac, deren in die Kopfhaut tätowierter Drache im Dämmerlicht zu glühen schien. Ohne ein Wort war beiden klar, dass eine Entscheidung getroffen werden musste.
Und dass Feline ihm diese Entscheidung überließ.
Seufzend trat er an die Archäologin heran. »Denise … Du weißt, warum wir hier sind?«
Die Angesprochene fuhr auf und kniff die Augenbrauen zusammen. Aurec sah, dass sie ihre bebende Unterlippe zwischen die Zähne nahm. »Das – das ist die Entdeckung des Jahrtausends!«
»Hattest du diesen Ausdruck nicht auch schon einmal auf Seshur gebraucht?«
Denise verschränkte die Arme. »Das war ja wohl etwas völlig anderes.«
Der ehemalige Führer der Saggittonen wusste nicht, ob sie die Geste missverstehen würde, immerhin hatte sie erst vor kurzem schlechte Erfahrungen gesammelt. Doch dann gab er sich einen Ruck und legte ihr einen Arm auf die Schulter. »Wir müssen Maya ki Toushi befreien! Genau deshalb sind wir hier und aus keinem anderen Grund!«
Sie hob ihre Ausgrabungswerkzeuge, als wollte sie ihn damit bearbeiten. »Das ist nicht fair! Seit Monaten hänge ich in irgendwelchen Raumstationen oder Schiffen herum und langweile mich zu Tode. Und jetzt gibt es endlich wieder etwas für mich zu tun und ich soll … soll … es ignorieren?«
Feline Mowac schnaubte, und Shan Mogul nahm eine drohende Position ein. Corph de Trajn schien derweil wieder in irgendwelchen fremden Sphären zu weilen.
Dann trat Sato Ambush demonstrativ an Denises Seite. »Wieso müssen wir schon wieder streiten? Schaut euch um, diese Anlage ist vermutlich seit Jahrmillionen verlassen. Denise und ich sind euch bei einer militärischen Operation ohnehin keine große Hilfe. Von daher sucht ihr doch einfach nach Maya, während wir hier weiter nach Überresten suchen. Möglicherweise bekommen wir mehr über die Vergangenheit des Riffs heraus – Informationen, die uns noch nützlich werden könnten.«
Aurec musste zustimmen. In wenigen Worten hatte der Pararealist die Situation analysiert und einen Kompromiss gefunden, mit dem auch die Gruppe Zero leben können sollte. Ohne den Soldaten einen Blick zu schenken, wandte er sich an Constance. »Kannst du Maya noch spüren?«
Die Hexe nickte und strich sich mit fahrigen Bewegungen eine Haarsträhne zurück. Langsam glitt ihr Zeigefinger durch das Dämmerlicht, bis er schließlich nach schräg unten weisend stehenblieb.
»Aufbruch!«, zischte Shan Mogul, und alle bis auf Denise und Ambush folgten dem Durchgang, der der angegebenen Richtung am nächsten kam.
4.
Der Gleiter landete auf dem Gipfel eines imposanten Gebirgsmassivs. Ich drückte mich an die Scheibe, um einen ersten Blick auf Maagan, die Hauptstadt der Hexen, werfen zu können, doch zeigte sich mir nur eine idyllische Landschaft aus schneebedeckten Gipfeln. Von einer Stadt war nichts zu sehen.
»Aussteigen!«, befahl unsere Pilotin.
»Hier?«, wollte ich zurückrufen, konnte mir die Bemerkung aber zum Glück verkneifen.
Wir drängten uns nach draußen. Die anderen Hexen hatten wie ich erst vor wenigen Tagen ihre Prüfung bestanden und wussten ebenso wenig, was uns hier erwarten würde. In der engen Schleuse spürte ich vor Aufregung verkrampfte Brustmuskeln und bekam sogar schmerzhaft ein Horn ab, doch die Neugier trieb uns auf das Plateau.
Als ich endlich den Wind spüren konnte, stellte ich mich schnell in die lange Reihe der jungen Hexen, die wie in der Akademie üblich angetreten waren. Uns gegenüber stand eine einzelne Hexe in Uniform, die eine Liste in der Hand hielt und wartete, bis auch die Letzte ihre Position eingenommen hatte. Ich spürte durch einen Luftzug, dass der Gleiter hinter uns wieder gestartet war. Also konnte es nicht mehr lange dauern.
»Lilim!«, donnerte uns völlig unerwartet und überraschend laut die Stimme der Hexe entgegen. Vor Schreck fuhr ich zusammen und stellte erleichtert fest, dass ich nicht die Einzige war. »Willkommen in Maagan. Mein Name ist Apala ra Jayani, und ich werde euch nun euren Quartieren und Arbeitsstellen zuweisen.«
Ich verzog angewidert das Gesicht, was zu meinem Glück unbemerkt blieb. Anweisungen von einer Ra entgegennehmen? War dies nun die Hauptstadt oder nicht? Was hatten dann Ra hier zu suchen? Womöglich lebte sogar der Pöbel hier …
Als mich die Hexe neben mir anstieß, wurde mir bewusst, dass mein Name aufgerufen worden war. Ich musste mich erst noch an ihn gewöhnen.
»Hier, Apala!«, rief ich und trat einen Schritt vor.
»Das heißt Apala ra Jayani«, zischte die Hexe und wies auf eine Gruppe von vier Lilim. »Du gehörst zur Gruppe 1.«
Hoch erhobenen Hauptes schritt ich meinen neuen Kameradinnen entgegen. Wenn ich mich recht erinnerte, handelte es sich bei ihnen samt und sonders um Ki. Logisch, dass es sich dabei um die erste Gruppe handeln musste und ich dazugehörte.
Wir mussten noch etwa eine halbe Stunde warten, bis Apala alle Hexen aufgeteilt hatte. Dann erstarrte ich, als ich sah, wer gekommen war, um uns abzuholen. Es handelte sich immerhin um eine Frau, aber das war auch das einzig Positive, was man über dieses Geschöpf sagen konnte. Im Vergleich zu ihr sah sogar der Pöbel hübsch aus. Völlig glatte und weiche, dunkelblaue Haut spannte sich um die viel zu kleine und viel zu schlanke Gestalt, die an den unpassendsten Stellen ekelhafte Fettrundungen aufwies. Auch ihre Brüste bestanden nicht aus Muskeln, sondern offenbar ebenfalls aus Fettquaddeln. Am fremdartigsten war jedoch das Gesicht. Es wurde zwar von schönen, kupferfarbenen Locken umrahmt, aber von lediglich zwei winzigen, orangenen Augen mit senkrecht geschlitzten Pupillen und einer mickrigen Nase dominiert. Hörner fehlten hingegen ganz.
Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel der Frau, als würde sie sich über meine Musterung amüsieren. »Ich bin Lona ki Mala und ab heute für eure Ausbildung zuständig. Bitte folgt mir.«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwendete keinen Blick daran, ob wir tatsächlich ihrer Forderung nachkommen würden. Ich wechselte überraschte Blicke mit den anderen Hexen meiner Gruppe. So eine Missgestalt sollte eine Ki sein? Unfassbar!
Schweigend folgten wir ihr zu einem Kreis aus einem mir unbekannten, weißblauen Metallplastik, der eine Wendeltreppe in die Tiefe einfasste. Jetzt erst verstand ich – die gesamte Hauptstadt Maagan befand sich im Inneren dieses Berges!
Die Treppe führte uns in einen kuppelförmigen Saal, von dem aus Gänge in alle Richtungen abzweigten. Große Lichtpaneele tauchten alles in ein sanftes, leicht rötliches Gelb. Unterwegs kamen uns unzählige Hexen, aber auch hin und wieder eine dieser kleinen Dunkelblauen entgegen. Letztere grüßten Lona und uns freundlich, worauf ich immer wegschaute, was diese wiederum zu amüsieren schien.
Schließlich blieb Lona Mala – ich weigerte mich, ihren Titel auch nur innerlich zu verwenden – vor einer Tür stehen und ließ diese durch einen Druckknopf auffahren. »Hier ist euer Quartier. Waschräume und Kantine findet ihr am Ende des Korridors. Ich werde euch morgen um 6 Uhr zu eurem ersten Arbeitstag abholen. Noch einen schönen Abend.«
Wir mussten uns alle sechs einen Raum mit drei Etagenbetten teilen, aber das war ich bereits von der Akademie gewohnt. Nur die Lehrerinnen und hohe Hexen besaßen Einzelquartiere. Kaum waren die Betten aufgeteilt, ließ ich mich auf meines fallen und blickte meine Mithexen an.
»Was geht hier vor?«, fragte ich eindringlich. »Wie kann eine solche … solche … Missgeburt eine Hexe im Rang einer Ki sein?«
Fünf Hexen tippten sich ratlos an die Hörner und eine sagte: »Ich bin sicher, das werden wir noch herausfinden.«
Ich schloss das Stirnauge und ließ mich nun vollends auf das Bett sinken. Am besten wäre es zu schlafen, denn die nächsten Tage versprachen anstrengend zu werden.
5.
Mit voller Wucht schlug Felines Faust gegen die Wand. Unwillkürlich zuckte Aurec bei diesem Ausbruch zusammen, denn seine Knochen hätten der geballten Kraft der Oxtornerin nichts entgegensetzen können. Er war sich sicher, dass sie ihren Spitznamen »Dragon« nicht nur wegen der Tätowierung trug.
»Können wir nicht einfach einen Desintegrator verwenden, anstatt stundenlang ziellos durch diese Tropfsteinhöhlen zu laufen?«
Aurec schüttelte den Kopf. »Wir haben schon an der Oberfläche festgestellt, dass unsere Desintegratoren diesem Material nichts anhaben können.«
Mogul hob kommentarlos seinen Impulsstrahler und feuerte einen Schuss auf die nächstbeste Wand ab, doch außer dem Abplatzen der Kalkschicht erreichte er damit nichts – nicht einmal ein dunkler Fleck blieb auf dem weißblauen Material zurück.
Aurec stemmte die Fäuste in die Hüften. »Sonst noch irgendwelche unnötigen Experimente, oder wollen wir nun weitergehen?«
Die drei Anführer der Gruppe Zero blickten ihn an, als wäre er für die Widerstandskraft des unbekannten Materials verantwortlich, fügten sich dann aber. Er hoffte, dass die nach wie vor ungeklärte Frage, wer denn nun im Zweifelsfall das Kommando innehätte, nicht noch zu Problemen führen würde.
Constance hatte den Streit unbeteiligt verfolgt, den Blick nach wie vor in unergründliche Ferne gerichtet. Ohne die letzten Minuten in irgendeiner Weise zu kommentieren, hob sie stumm ihren Finger und gab damit die Richtung an.
Seufzend folgte Aurec weiter der Richtung, die er nach wie vor für die richtige hielt, doch bereits wenige hundert Schritte später gelangten sie an eine Kreuzung, wie bereits unzählige Male vorher.
Feline blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin mir sicher, dass wir hier bereits waren.«
Aurec schüttelte abwesend den Kopf; er hatte etwas Interessantes entdeckt. »Ich habe jede Kreuzung mit einem Farbstoff markiert. Schaut mal hier!«
Er trat an den Durchgang und leuchtete mit seiner Lampe hinein. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Ein langer, schmuckloser Korridor führte einige Dutzend Schritte geradeaus, bis er an einer eingebrochenen Decke endete. Offenbar hatte selbst das weißblaue Material nicht überall den geologischen Kräften des Berges standhalten können. Viel interessanter waren jedoch die unzähligen kleinen Kammern, die links und rechts abzweigten.
»Sieht aus wie die Kammern, in denen wir beim TLD hausen mussten«, kommentierte Shan Mogul Aurecs Entdeckung.
Aurec nickte. »Das bestätigt das, was ich schon die ganze Zeit vermutet hatte. Eine unterirdische Anlage in einem Bergmassiv, ein immens widerstandsfähiges Baumaterial – wir befinden uns in einer gigantischen, militärischen Bunkeranlage!«
»Und?« Feline schaffte es wieder einmal, ihrer Stimme einen sowohl gelangweilten, als auch aggressiven Unterton zu geben.
»Da Maya ki Toushi sich hier aufhält«, Aurec gelang es, Ruhe zu bewahren, »ist sie entweder wirklich viel älter, als wir alle dachten … Oder aber jemand hat sie in das sicherste Verlies gesteckt, das er finden konnte.«
Felines eisiger Blick streifte Constance, dann griff sie nach ihrer Waffe. »Also Variante zwei. Das heißt, Arbeit für uns.«
Aurec unterdrückte ein Seufzen. Die Weigerung der Gruppe Zero, über eine eventuelle Vergangenheit von Maya als Hexe auch nur nachzudenken, konnte gefährlich enden. Aber fürs Erste musste er Feline zustimmen. Sie sollten davon ausgehen, hier nicht allein zu sein. Das war momentan viel wichtiger.
Schweigend marschierten sie weiter die düsteren Gänge entlang. Nun konnte Aurec viel öfter Deckendurchbrüche erkennen. Durch sie war oftmals Wasser eingedrungen und hatte im Laufe der Äonen bizarre Tropfsteinlandschaften erschaffen. Dazu kamen versteinerte Knochen und andere Überreste. Vor Äonen schien hier ein Krieg gewütet zu haben.
Immer wieder mussten sie umkehren und einen neuen Weg suchen, oder aber sich mit Desintegratoren einen Weg bahnen, so hoch waren Stalaktiten und Stalagmiten gewachsen. Aurec spürte, dass die Gruppe Zero immer ungeduldiger wurde, vor allem Feline.
Constance hingegen wirkte immer abwesender. Seit einiger Zeit bewegte sie sich nur noch wie eine Schlafwandlerin vorwärts und er fürchtete den Moment, in dem sie eine Unebenheit oder Wand übersah und sich verletzte.
Dann öffnete sich der schmale Gang, durch den sie gerade schritten, urplötzlich zu einer riesigen Halle. Aurec regelte das Licht seiner Lampe auf Maximum, doch es reichte selbst jetzt nur für ein leichtes Dämmerlicht, das mehr verbarg als verriet. Der Schein fiel über unzählige kleine Hügel, die in einem regelmäßigen Muster den Boden bedeckten. Aurec trat näher heran und tatsächlich, auch diese bestanden zum Großteil aus dem geheimnisvollen weißblauen Material, das sie schon so lange begleitete. Und dazwischen befand sich …
»Technik!« Aurec rief es unwillkürlich aus. »Das ist in Stein gegossene, uralte Technik. Wir haben wohl die Kommandozentrale gefunden!«
»Und?« Feline schaffte es exakt, ihren Tonfall von vor einigen Stunden nachzuahmen. Aurec begann langsam, sie für ihre abweisende Art zu hassen.
»Wenn wir irgendetwas über den ursprünglichen Zweck dieses Ortes herausfinden können, dann hier.« Er leuchtete ein großes Gebilde an, das die Mitte des Saals dominierte. »Schaut, ist das nicht wie ein Thron geformt?«
»Wir sind hier, um Maya ki Toushi zu befreien!«, schaltete sich nun Shan Mogul ein. Der Oxtorner wirkte ebenso ungehalten wie seine Ziehtochter. »Soll sich doch die Heulsuse um den Schrott hier kümmern.«
Aurec stöhnte auf, griff dann jedoch nach seinem Funkgerät. Abmachung war Abmachung. In knappen Worten unterrichtete er Denise und Ambush über ihre Entdeckung, dann fixierte er einen Peilsender, damit die Wissenschaftler den Raum schnell finden konnten.
»Bist du endlich fertig?« Felines Stahlklaue riss ihn auf die Beine und zwang ihn, auf Constance zu blicken. Diese stand völlig stocksteif da und starrte wie halluziniert den Thron im Zentrum des Saals an.
»Constance?« Aurec versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, was ihm nicht gelungen wäre, wenn die Oxtornerin nicht freiwillig losgelassen hätte. Schnell eilte er zu der Hexe und schüttelte sie. »Komm zu dir, wir brauchen dich!«
Wie in Zeitlupe wendete sie sich ab und starrte Aurec mit einem Blick an, der ihn frösteln ließ. Ihre Lippen formten lautlos ein Wort, das »Göttin« lauten könnte, aber er war sich nicht sicher. Dann hob sie wieder ihren Zeigefinger und ging los, als wäre nichts geschehen.
»Hexen!«, zischte Feline abfällig.
Aurec verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass sich Maya exakt genauso verhalten hatte, bevor sie spurlos verschwunden war. Langsam aber sicher wurde ihm sehr mulmig zumute.
*
»Keine Spur von ihren Gleitern.«
Goshkans Finger zuckten nervös. Cauthon Despair hoffte, dass er sich bald austoben konnte, sonst musste er zu viel Zeit damit verschwenden, ihn unter Kontrolle zu halten.
»Du solltest deine Aggressionen zügeln«, forderte nun auch Cau Thon gefährlich leise. »Es war nicht meine Idee, dich hier mitzunehmen.«
Despair ging einige Schritte weiter und deutete demonstrativ auf den Nachbarhügel. »Beim Anflug haben wir ein Loch entdeckt. Falls sie irgendwo abgeblieben sind, dann ja wohl dort drin.«
Goshkan ließ Tuffstein zwischen seinen Pranken zerbröseln. »Worauf warten wir?«
Ohne zu antworten, aktivierte Despair den Antigrav seiner Rüstung und ließ sich zu den Loch gleiten. Wie er es erwartet hatte, führte ein offensichtlich mit Desintegratoren gefräster Gang in das Innere des Berges. Er ließ seinen Blick schweifen und entdeckte in einiger Entfernung zu Schlacke gebackene Metallreste.
»Da sind ihre Gleiter«, stellte er lapidar fest. »Allzu einfach kommen sie hier also nicht mehr weg.«
»Sehr gut.« Cau Thon lachte und wies mit seinem Caritstab in den dunklen Gang. »Dann wollen wir mal verhindern, dass sie mit Maya ki Toushi hier wieder lebend herauskommen.«
Mit einem eleganten Sprung verschwand der letzte der Xamouri in dem Loch. Goshkan folgte ihm auf dem Fuß und stieß dabei ein Geräusch aus, das fast wie Jauchzen klang.
Despair schritt gemächlich hinterher. Er brauchte diese Art der Bewegung nicht, um sich gut zu fühlen. Während er in den korkenzieherartig gewundenen Gang mit den hellblauen Wänden herabstieg, zog er ebenfalls seine Klinge.
6.
Wenige Wochen später hatte ich mir meinen Platz unter den Hexen in Ausbildung erkämpft. Ich war mittlerweile sehr gut darin, nur einzelne Teile meines Körpers zu verwandeln – und wem ich einmal die Kralle durchs Gesicht gezogen hatte, wagte es kein zweites Mal aufzubegehren. Selbst im Waschraum hatte ich meine private Ecke, in der keine andere etwas zu suchen hatte.
Ein Jahr verging wie im Flug.
Schließlich war es soweit und ich durfte zum ersten Mal in die große Kommandozentrale der Stadt. Von hier wurde das Rideryon gesteuert; ich war endlich im Zentrum der Macht angekommen und würde heute noch Lilith gegenübertreten.
Es gab keine Bilder Liliths, da wir Hexen es als Gotteslästerung empfanden, sie als unsere Schöpferin irgendwo hinein zu bannen. Voller Spannung erwartete ich den Moment, in dem ich sie zum ersten Mal erblicken und von ihr meine Belobigung entgegennehmen durfte. Nur ein Jahr hatte ich gebraucht, wofür selbst Ki-Hexen üblicherweise drei brauchten – alles zu lernen, was den Innendienst ausmachte. Daher sollte jetzt die nächste Phase meiner Ausbildung beginnen und ich zukünftig in verschiedenen Gestalten die Völker des Rideryons beobachten und sie im Sinne Liliths beeinflussen.
Als ich die Zentrale an der Seite von Lona Mala betrat, stockte mir der Atem. Monatelang hatte ich nur das Innere des Berges gesehen, denn mein Ehrgeiz ließ keine zeitverschwendenden Ausflüge in die Umgebung mehr zu. Und so kam mir die gewaltige Kathedrale vor, als würde ich mich wieder an der Oberfläche befinden. Wäre ich jetzt losgerannt, hätte ich sicherlich über eine Minute gebraucht, um die gegenüberliegende Seite zu erreichen. In der Mitte des Saals erhob sich ein gewaltiger Thron, der nur unserer Schöpferin gehören konnte. Ansonsten war alles mit Bürozellen, Terminalkonsolen und anderen Arbeitsplätzen gefüllt, an denen unzählige Hexen arbeiteten. Unwillkürlich atmete ich auf – dieser Raum gehörte eindeutig uns Lilim, nicht einmal Nistants Jaycuul-Ritter hatten hier etwas zu suchen.
Doch dann bemerkte ich, dass auch hier die kleinen Dunkelblauen das Sagen hatten. Wie ein Krebsgeschwür schienen sie ganz Maagan zu durchdringen. Hoffentlich konnte ich das bald ändern.
Ich spürte einen Stoß in die Seite und wollte schon mit einer Kralle zurückschlagen, konnte mich aber im letzten Moment stoppen. Lona hatte die Bewegung durchgeführt und ich wagte nicht, gegen meine Ausbilderin, diese Missgeburt, aufzubegehren. Zumindest noch nicht. Wie gut, dass ich wenigstens in meinen unwürdigen Stubenkameradinnen ein Ventil gefunden hatte. Deren im letzten Jahr eingesammelte Narben würden sie ein Leben lang daran erinnern, wer das Sagen hatte. Offiziell handelte es sich natürlich immer nur um »Unfälle«. Einmal hatten sich fünfzehn von ihnen zusammengetan und wollten mich gemeinsam töten. Nun – hier war die Aufgabe meiner Abschlussprüfung, einen Stein zu zertrümmern, sehr hilfreich gewesen …
»Beeindruckend, nicht wahr?« Lona hatte meine wahren Gefühle nicht bemerkt, wie immer. »Stell dich vor den Thron in der Mitte der Zentrale und warte ab. Die nächsten Minuten gehören ganz allein dir.«
Ohne eine Antwort schritt ich los und malte mir aus, wie ich hier bald das Kommando übernehmen würde. Meine Fähigkeiten überstiegen die der anderen Hexen bei weitem, das musste auch Lilith schnell bemerken und mich zu ihrer Stellvertreterin machen. Als Erstes würde ich erst einmal die Missgeburten entfernen und dann …
Ich war so in Gedanken verloren gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass sich alle Hexen von ihren Plätzen erhoben hatten. Solche Ehre hatte ich nicht erwartet. Erst dann bemerkte ich, dass die Lilim mich völlig ignorierten und gebannt an mir vorbei blickten. Ich seufzte. Nur einmal hatte ich es gewagt, meine Pläne mit einer anderen Hexe namens Talmith ki Oghbartha aus dem dritten Lehrjahr zu teilen, von der ich den Eindruck hatte, zumindest sie verstand meine Gedankenwelt. Doch sie hatte mich nur entsetzt angestarrt und irgendetwas von Größenwahn gesagt. Seitdem zierte eine gewaltige Narbe Talmiths linke Gesichtshälfte, und sie ging mir aus dem Weg.
Alle Hexen um mich herum waren ehrfürchtig in die Knie gegangen und ich beeilte mich, es ihnen gleich zu tun. Gleich würde ich Lilith zum ersten Mal sehen und sogar von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Ich war von einer Aufregung gleich der erfüllt, die ich kurz vor meiner Abschlussprüfung in der Akademie verspürt hatte. Wie groß Lilith wohl war? Sicherlich eine hohe, beeindruckende Gestalt mit gewaltigen Hörnern und starken Muskeln, gegen deren Kraft niemand ankam.
»Erhebe dich, Maya ki Toushi«, erklang dann eine Stimme direkt vor mir, die ich sofort erkannte. Abbildungen von Lilith mochten zwar verboten sein, ihre Stimme und ihre Ansprachen waren jedoch überall zu hören. Sie hatte einen für eine Hexe sehr hohen Klang, besaß dafür aber ein Volumen, das eine sofort in den Bann zog.
Ich stand auf und nahm mir vor, der Göttin direkt und ohne Furcht in die Augen zu blicken, doch dann musste ich mit meiner Fassung ringen, um nicht vor Schreck ein paar Schritte rückwärts zu machen. Lilith reichte mir gerade einmal bis zur Brust. Da waren keine gewaltigen Hörner und auch keine starken Muskeln. Eine zierliche Gestalt mit dunkelblauer Haut, Fettrundungen und glatter, weicher Haut stand mir gegenüber, gehüllt in ein schwarzes Gewand, das nur zu erahnen war. Ich zwang mich, der Schöpferin direkt in die Augen zu sehen. Sie leuchteten orangerot und wiesen senkrecht geschlitzte Pupillen auf. Aber als mein Blick den ihren traf, verschwand mein Ekel, denn in diesen Augen lagen Äonen an Lebenserfahrung und eine Ausstrahlung, wie ich sie noch nie wahrgenommen hatte.
Lilith lachte auf. »Du hast dir mich bestimmt anders vorgestellt, oder? So wie dir geht’s allen Hexen. Deshalb wahre ich auch das kleine Geheimnis meines Aussehens.«
»Aber …« Nie zuvor hatte ich dermaßen die Fassung verloren. Da stand ich meiner Schöpferin gegenüber und konnte ihr endlich alles mitteilen, von ihr alles erfahren – und brachte kein Wort heraus.
»Es wurde nie behauptet, dass ich die Hexen nach meinem Vorbild erschaffen hätte.« Lilith nahm mich sanft an der Hand und führte mich zum Thron. »Die Lilim, wie ihr euch nennt, entstanden ganz nach meinen Plänen als starkes und mächtiges Volk, das gänzlich ohne diese erbärmlichen Männer auskommt.«
Inzwischen hatten wir die Treppe zum Thron erreicht und sie ließ mich los. Mit schwingender Hüfte schritt sie die Stufen empor und ließ sich dann in ihren Herrschaftssitz sinken. Alles war eine gleitende Bewegung gewesen, die sie nun vollendet fortsetzte, indem sie ein Bein über das andere schwang. Sie hatte jeden einzelnen Muskel unter Kontrolle. Nie zuvor hatte ich eine solche Körperbeherrschung wahrgenommen.
»Dir kommt meine Gestalt sicherlich schwach und unvollkommen vor. Vielleicht ist sie es auch, aber sie hat ihre Vorteile.« Wie beiläufig fixierten ihre beiden Augen mich, doch gerade dadurch zog sie mich noch stärker in ihren Bann. Gleich einem Puppenspieler kontrollierte sie jede meiner Regungen, sogar meine Gefühle. »Probiere es einmal aus. Ich weiß, dass du dazu fähig bist, sonst wärest du jetzt nicht hier.«
Alle Zweifel und Überraschung fielen von mir ab. Jetzt konnte ich meiner Göttin beweisen, was in mir steckte. Ich konzentrierte mich kurz und zwang meinen Körper, die Gestalt Liliths anzunehmen. Meine Perspektive wandelte sich, als mein Körper schrumpfte und das Stirnauge verschwand. Ich fühlte, wie meine Kleidung zu rutschen begann, als mein Volumen abnahm. Schnell riss ich die Hände nach oben, um den Stoff festzuhalten, und griff genau in widerlich weiche Pusteln, die vor wenigen Augenblicken noch stattliche Brustmuskeln gewesen waren. Doch das war nicht wichtig; ich hatte die Gestalt Liliths angenommen, das Aussehen einer Göttin. Stolz erfüllte meine Seele.
Lilith nickte beiläufig, als hätte sie so etwas schon Tausende von Malen gesehen, was vermutlich auch zutraf. »Deine Ausbilderin Lona ki Mala hat dich in den höchsten Tönen gelobt und angeregt, deine Ausbildung nach nur einem Jahr zu beenden und dich direkt mit echten Aufträgen zu betrauen.«
Eine Eishand griff nach meinen Herzen. Lona besaß genau das Aussehen, das ich nun als das Liliths erkannt hatte. Das hieß, dass es sich bei ihr auf keinen Fall um eine Missgeburt handelte, sondern sie eine sehr mächtige Hexe war, wenn sie so lange eine andere Gestalt behalten konnte. Ich bemerkte, dass wegen meiner Aufregung nicht die kompletten Brüste, sondern nur irgendetwas an ihren Spitzen hart wurde. Was das genau war, wusste ich angesichts dieses ungewohnten Körpers nicht. Ich beschloss, der Sache später auf den Grund zu gehen und schob diese Gedanken zur Seite. Ob Lilith eine Antwort erwartete? Oder sollte ich mich lieber zurückhalten?
»Ich muss zugeben, dass ich anfange, mich für dich zu interessieren«, sprach Lilith weiter und ersparte mir damit eine Antwort. »So eine ehrgeizige und begabte Hexe gab es seit vielen Jahrhunderttausenden nicht.«
Mein Stolz kehrte zurück. Wie gern hätte ich jetzt Talmiths Gesicht gesehen. Von wegen größenwahnsinnig!
Liliths Blick verließ mich nun endlich und wandte sich einem Punkt hinter mir zu. »Lona ki Mala, sie wird ab sofort mir persönlich unterstellt. Veranlasse, dass ihre Habseligkeiten in eine angemessene Unterkunft gebracht werden. Ich werde mich bei Gelegenheit um unser Wunderkind kümmern.«
Damit war der kurze Moment der Magie vorbei. Lilith wandte sich einigen Holodarstellungen zu und konferierte mit verschiedenen Hexen. Für mich hatte sie keinen Blick mehr übrig, ich war nicht einmal mehr vorhanden.
Wahrscheinlich hätte ich trotzdem noch Stunden wie angewachsen hier ausgeharrt, wenn nicht eine Hand von hinten meinen Oberarm umfasst und mich mit sanfter Gewalt umgedreht hätte. Der Druck der Finger auf meiner nun weichen Haut fühlte sich ungewohnt, fast schmerzhaft an.
Als die Bewegung beendet war, blickte ich in Lonas Gesicht, das sich nun genau auf meiner Augenhöhe befand.
»Glückwunsch«, flüsterte sie mir zu. »Ich hatte damit gerechnet, dass sie dir erlaubt, ihr Aussehen anzunehmen, aber dass du jetzt direkt unter ihr dienen darfst …«
Sichtlich von Ehrfurcht ergriffen, ließ sie den Satz unvollendet und zog mich mit sich. Erst nach einigen Schritten wurde ihr bewusst, dass ich nun nicht mehr ihre Auszubildende war, und sie ließ mich los. »Ich werde mich noch um ein neues Quartier für dich kümmern, aber dann trennen sich leider unsere Wege. Viel Glück und mach so weiter, wie du es in deinem ersten Jahr in Maagan angefangen hast.«
Täuschte ich mich oder hatten sich ihre Augen tatsächlich mit Tränen gefüllt, als sie sich schnell umdrehte und forsch ausschritt?
7.
Zwei Stunden nach Entdeckung der vermeintlichen Kommandozentrale hatte sich an ihrer Situation immer noch nichts geändert. Endlose Gänge hier, Tropfsteinhöhlen dort. Dazwischen eine Schlafwandlerin und drei Killer, die immer mehr die Geduld verloren. Und natürlich er, Aurec, gefangen zwischen allen Fronten. Er ertappte sich dabei, dass er sich fragte, warum er nicht bei Denise Joorn und Sato Ambush geblieben war.
Nein, maßregelte er sich sofort gedanklich. Zwischen den Wissenschaftlern wärst du dir sehr schnell unnütz vorgekommen. Außerdem muss irgendwer die Zeros im Auge behalten.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Soldaten. Ob er vorschlagen sollte, über ein Nachtlager nachzudenken? Aber die beiden Oxtorner wirkten so frisch, als wären sie erst vor zehn Minuten aufgebrochen, und selbst der Arkonide zeigte keinerlei Anzeichen von Müdigkeit.
Schweigend folgte er weiter Constance. Die Hexe war mittlerweile völlig in Trance gefallen und reagierte auf nichts und niemanden mehr. Sie ging monoton weiter und wich dabei wie von Geisterhand gesteuert allen Hindernissen aus. Aurec vermutete, dass sie bereits ganz in der Nähe von Maya ki Toushi waren und die mentale Kraft ihrer vermeintlichen Artgenossin ihr Bewusstsein lähmte.
War da nicht gerade eine Bewegung gewesen?
Sofort war Aurec hellwach. Bevor er genauer hinsah, reagierten seine Instinkte und er warf sich nach vorn, genau auf Constance zu. Kaum waren sie beide auf dem Boden aufgekommen, zischte bereits ein Energiestrahl über sie hinweg.
Verdammt!
Er hätte wissen müssen, dass sie hier nicht allein waren. Damit stand fest, dass Maya tatsächlich festgehalten wurde.
Bevor er seine eigene Waffe in die Finger bekam, hatten die drei Mitglieder der Gruppe Zero bereits gehandelt und das Feuer eröffnet. Nun waren die Elitekämpfer in ihrem Element.
Aurec suchte nach Deckung, doch der Angriff hatte sie mitten in einem freien Stück Korridor überrascht. Keine Abzweigungen oder Tropfsteine weit und breit. Offenbar hatte der Gegner ihnen aufgelauert. Der Saggittone schob sich etwas nach vorn, um Constance mit seinem Körper zu schützen. Die Hexe lag völlig schlaff unter ihm, hatte entweder das Bewusstsein verloren oder war immer noch in Trance gefangen. Doch um das herauszufinden, war später noch Zeit.
Seine Lampe hatte sich ihrer Automatik entsprechend beim Aufprall abgeschaltet, so dass ihn nun völlige Dunkelheit umgab, die alle paar Sekunden von Energiestrahlen blitzartig erhellt wurde. Inzwischen hatte er seine eigene Waffe im Anschlag. Mit dem Daumen legte er den Schalter von Desintegrator- auf Thermomodus um. Hier galt es, das eigene Überleben zu sichern.
Fieberhaft suchten seine Augen nach Zielen in der Dunkelheit. Da zuckte ein Strahl genau auf ihn zu und traf ihn an der Schulter. Die Automatik fuhr im selben Augenblick den Individualschirm hoch, trotzdem stach die Hitze wie Nadeln in sein Fleisch. Er unterdrückte den Schmerz und feuerte in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war. Hatte er getroffen? Keine Zeit, darüber nachzudenken. Aurec gab sicherheitshalber noch weitere Schüsse ab. Damit verriet er zwar endgültig seine Position, aber die war dem Angreifer wohl ohnehin bekannt.
»Aufhören!« Aurec brauchte einige hämmernde Herzschläge lang, bis er Felines Stimme erkannte. »Schon alles erledigt.«
Irritiert nahm er den Finger vom Abzug und lauschte – tatsächlich: Es war völlig still.
»Das war kein Angriff, das war einfach nur lächerlich«, durchbrach schließlich Moguls Stimme die Dunkelheit. Der Oxtorner schaltete seine Lampe wieder an.
Langsam erhob sich Aurec und unterdrückte den Impuls, die schmerzende Schulter zu reiben. Besser keinerlei Schwäche vor diesen Kampfmaschinen zeigen. Ohnehin sollte der Einsatzanzug alles Schädliche abgehalten haben.
Er bückte sich und zog Constance auf die Beine. Ihre Augen waren wie zuvor in unergründliche Ferne gerichtet. Den Kampf hatte sie anscheinend gar nicht wahrgenommen. Sofort wollte sie sich wieder in Bewegung setzen, doch Aurec hielt sie fest.
»Wir müssen erst herausfinden, mit wem wir es zu tun haben.«
Feline Mowac verstand die Aufforderung und rannte los. Nur Augenblicke später meldete sie sich bereits über Funk. »Das wird dir nicht gefallen, Aurec.«
Aurec hatte gerade seine eigene Lampe aufgelesen und unterdrückte angesichts dieser nichtssagenden Aussage einen Fluch. Er folgte den anderen, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatten.
Die Oxtornerin hatte sich über einen halb verschmorten Körper gebeugt, doch diese Art von Wesen war so einzigartig, dass auch die Verbrennungen nichts am Wiedererkennungswert ändern konnten. Ledrige, ausgedorrte Haut spannte sich über einen knochigen Schädel, der nur halb aus der Kutte herausragte.
Aurec verkniff sich den Fluch nun nicht mehr.
»Termetoren!«, zischte Corph de Trajn. »Dieser ganze Scheißberg ist voll mit Termetoren.«
»Und sie haben Maya!«, fügte Feline bebend vor Zorn hinzu.
*
Aufgrund des zurückgelassenen Peilsenders stellte es für Denise Joorn und Sato Ambush kein Problem dar, die von Aurec entdeckte Halle zu finden.
»Irgendwie ist mir so ein Peilsender doch lieber als diese nebulöse Wegweisung durch Constance«, versuchte Denise einen Scherz.
Doch Ambush ging nicht darauf ein, sondern ließ den Strahl seiner Lampe durch die vermeintliche Kommandozentrale gleiten. »Ich verstehe immer noch nicht, was Maya hier will. Sieht nicht so aus, als wäre in den letzten Jahrtausenden jemand hier gewesen. Alles ist tot.«
»Gerade von einem Pararealisten hätte ich etwas mehr Phantasie erwartet«, entgegnete Denise schnippisch. »Schau mal hier. Es ist zwar alles von einer versteinerten Staubschicht überzogen, aber …«, sie förderte ihren Hammer zutage und schlug einen Brocken aus dem Boden, »… wenn mich nicht alles täuscht, ist das hier ein Datenkristall.«
Er blickte sie verständnislos an. »Beim Eingangsbereich hast du ein großes Theater gemacht, von wegen Andenken bewahren, und nun zerstörst du einfach fahrlässig erhaltene Datenspeicher?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Archäotechnologie ist nicht mein Spezialgebiet, aber glaube mir, hier noch etwas Verwertbares herauszuziehen, ist völlig unmöglich. Speicherkristalle sind zwar die robustesten Datenmedien, die wir kennen, aber falls die früheren Bewohner dieser unterirdischen Stadt auch nur eine ähnliche Informationsdichte wie wir verwendeten, genügt schon eine Verschiebung des umgebenden Gesteins von Bruchteilen eines Millimeters, um die enthaltenen Daten weitestgehend unlesbar zu machen.« Sie leuchtete den Kristall, den sie inzwischen vom Gestein befreit hatte, mit der Lampe an. »Hier schillert nichts. Falls das also ein holographisches Speichermedium war, ist die Information unwiederbringlich verloren. Falls die Daten in der Kristall- oder gar Atomstruktur abgelegt waren, sind die Chancen auch nicht besser.«
Ambush schaute nach wie vor skeptisch und streckte fordernd die Hand aus. Seufzend übergab ihm Denise den Datenspeicher.
»Ich werde mich mal umsehen«, sagte sie und wandte sich ab. »Durch Untersuchung der Überreste werde ich schon was über die früheren Bewohner erfahren.«
Sie ließ Sato Ambush einfach stehen und trat weiter in die Kathedrale hinein. Die Überreste sämtlicher Einrichtungsgegenstände gruppierten sich ringförmig um das Zentrum, das von einem thronartigen Hügel dominiert wurde. Denise löste behutsam das Deckgestein an einigen Stellen und stellte fest, dass die technischen Artefakte darunter an vielen Stellen regelrecht zusammengebacken waren. Dies konnte unmöglich durch Korrosion oder andere Prozesse erklärt werden, sondern nur durch große Hitzeeinwirkung. Das hieß, dass hier vor Äonen gekämpft worden war.
Dazu passten die unzähligen Skelette, die versteinert überall herumlagen. Hier war Denise sich sicher, dass die Ureinwohner humanoid gewesen sein mussten. Dem breiten Becken nach zu urteilen außerdem höchstwahrscheinlich samt und sonders weiblich. Ein Matriarchat? Aber auch in von Frauen dominierten Kulturen sollten sich selbst in einem Machtzentrum wie diesem zumindest einige Männer finden lassen. Sie suchte und suchte, fand jedoch kein einziges Skelett, das schmale Hüften, dafür aber eine ausgeprägte Schulterpartie aufwies.
»Merkwürdig«, murmelte sie im Selbstgespräch. »Das einzige humanoide Volk, von dem wir nur weibliche Vertreter kennen, stellen die Hexen dar. Aber …«
Nein, der Gedanke war zu absurd. Das würde ja bedeuten, dass die Entropen eines der ältesten Völker im bekannten Universum darstellten. Aber bisher hatten sich alle so hochstehenden Kulturen entweder im Laufe der Jahrmillionen vergeistigt – oder waren wieder untergegangen. Beides traf auf die Entropen nicht zu. Abgesehen davon fehlten hier auch sämtliche Hinweise auf die anderen Völker wie etwa die Denker oder Tertiärentropen.
»Denise?«, wurde sie von Ambush aus ihren Gedanken gerissen. »Ich glaube, du solltest dir das hier mal ansehen.«
Sie drehte sich um und stellte anhand der Position des Lichtkegels fest, dass der Pararealist die fruchtlosen Bemühungen eingestellt hatte, aus dem Kristall irgendetwas zu extrahieren, und weitergegangen war.
»Was ist los?«, fragte sie, als sie ihn erreicht hatte.
Ambush deutete wortlos auf eine Stelle, an der das allgegenwärtige hellblaue Baumaterial von etwas Dunklerem abgelöst wurde. Es handelte sich um eine Metallstruktur, wie sie sie schon fast überall hier entdeckt hatte.
»Ja, und?« Skeptisch stemmte sie die Fäuste in die Hüften. »Ehemalige Technik. Ich habe dir doch schon gesagt, dass sie nach solchen Zeiträumen nicht mehr funktionsfähig sein kann.«
»Warte!« Seine Lippen bewegten sich leicht, als würde er stumm die Sekunden zählen. »Jetzt!«
In dem schwarzen Block blinkte ein Kontrolllicht auf und erlosch wieder.
»Das … das ist völlig unmöglich!« Denise verstand die Welt nicht mehr. Was sie eben gesehen hatte, widersprach ihrer gesamten Erfahrung.
Sie ging in die Hocke und wischte mit der Hand über den dunklen Block. Ihre Finger hinterließen deutliche Spuren. »Staub.«
»Das sehe ich«, kommentierte Ambush. »Aber was hat das mit der Tatsache zu tun, dass dieser Computer, oder um was es sich auch immer handelt, noch funktioniert?«
Denise erhob sich wieder. »Sehr viel. Im Laufe der Jahrmillionen hat sich sämtlicher Staub hier zu Stein verfestigt, und nur an einigen wenigen Stellen ist dieses Metallplastik eingebrochen, so dass ich keinen Grund sehe, wo frischer Staub von selbst herkommen sollte. Das bedeutet, dass sich diese Technik noch nicht so lange hier befindet. Vielleicht schon seit einigen hundert Jahren, vielleicht auch erst seit ein paar Monaten. Ganz sicher aber nicht seit Jahrmillionen.«
Sie blickten sich vielsagend an.
»Das heißt«, sprach Sato Ambush langsam, »dass dieser Berg doch nicht so tot ist, wie wir anfangs dachten.«
»Und das wiederum spricht für die Entführungstheorie der Zeros.«
Denise griff nach ihrem Funkgerät und versuchte, Aurec zu erreichen. Vergeblich. »War ja klar, keine Verbindung. Offenbar sind sie schon so weit in den Berg vorgedrungen, dass mein Ruf nicht mehr durchkommt. Ich bekomme nicht einmal ein Kontaktsignal rein.«
Ambush hatte sich derweil im Schneidersitz niedergelassen und kramte einige Utensilien aus seinem Rucksack hervor. »Die Gruppe Zero weiß schon, was sie tut. Immerhin haben wir jetzt einen guten Ansatzpunkt, tatsächlich an Informationen zu kommen. Wer weiß, vielleicht gibt es hier sogar ein Netzwerk, über das wir den Aufenthaltsort von Maya ki Toushi erfahren.«
Denise beschloss, sich die Skelette einmal genauer anzusehen. Immer noch wollte sie nicht an die Idee glauben, dass es sich um Hexen handelte. Zu viel sprach dagegen.
Millimeter für Millimeter entfernte sie das Gestein um ein Skelett. Vielleicht gab es ja irgendwelche Hinweise auf Kleidung oder Ausrüstung, die diese Frauen bei sich gehabt hatten. Stück für Stück arbeitete sie sich die Wirbelsäule hinauf, dann endete diese plötzlich. Denise erschrak. Es war zwar nichts Ungewöhnliches, dass Fossilien vor ihrer Versteinerung auseinanderbrachen, jedoch musste sich der Kopf dann irgendwo finden lassen.
Sie blickte sich ratlos um. Das Skelett befand sich genau in einer dieser fast rechteckigen Kammern, von denen es hier unzählige gab. Sie fand keine Hinweise darauf, wo der Schädel hingefallen sein könnte, und entschloss sich dazu, den letzten Wirbel genauer in Augenschein zu nehmen. Der Knochen endete völlig glatt, wie mit einem Rasiermesser abgeschnitten. Das konnte nicht natürlichen Ursprungs sein. Denise fragte sich, welche furchtbaren Kämpfe hier getobt haben mussten.
Sie ließ die sterblichen Überreste liegen und wandte sich dem Thron im Zentrum des Saals zu. Schon seit einiger Zeit meldete sich ihr untrüglicher Instinkt, dass sie, wenn überhaupt, dort etwas Bedeutendes finden würde.
Der versteinerte Staub, der sich in den unzähligen Jahrmillionen auf die ehemaligen Stufen gelegt hatte, machte das Erklimmen zu einer wahren Kletterpartie, doch Denise hatte sich auch in all der Zeit im Weltall durchaus fit gehalten, so dass sie nicht einmal schneller atmen musste, als sie oben angekommen war.
Der Thron wies an seiner Spitze eine kreisrunde Plattform auf. Vermutlich hatte sich hier einstmals ein beeindruckendes Sitzmöbel befunden, doch Denises geschulter Blick fand auf Anhieb nur klägliche Überreste davon. Dafür weckte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Unmittelbar neben dem eigentlichen Thron machte sie deutlich dunkleres Gestein aus. Sie trat näher und stellte fest, dass die Umrisse grob humanoid waren, doch nirgends konnte sie Knochen erkennen.
»Das wird ja immer mysteriöser«, murmelte sie und löste behutsam das bedeckende Gestein. Die dunkle Schicht war nur den Bruchteil eines Millimeters dick, als hätte jemand Kleidung zusammengepresst. Lediglich in der Mitte der Form schien die Schicht etwas dicker zu sein. Sie klopfte mit der stumpfen Seite ihres Hammers über unterschiedliche Stellen des fossilen Kleidungsstücks. Tatsächlich klang es an der erhobenen Stelle anders.
Denise seufzte. Es gehörte immer zu den schwierigsten Entscheidungen bei einer archäologischen Ausgrabung, einen Fund zu opfern, um etwas Bedeutenderes zutage zu fördern. Schweren Herzens meißelte sie die dunkle Kleidungsschicht weg. Nach und nach legte sie dadurch eine nahezu quadratische Platte frei, die aus einem ebenso robusten Metallplastik wie das Hauptbaumaterial dieser Stadt zu bestehen schien. Der größte Unterschied stellte allerdings die Tatsache dar, dass dieses Baumaterial völlig schwarz war.
Und dass jemand Schriftzeichen eingeprägt hatte.
8.
Ich beschloss, vorerst das Aussehen Liliths beizubehalten. Wie die Göttin gesagt hatte, besaß dieser Körper tatsächlich einige Vorteile. Die weiche Haut erlaubte mir Sinneseindrücke, wie ich sie durch Tasten vorher nie wahrgenommen hatte. Außerdem waren die Brüste fast unbeweglich, so dass ich meine Mimik viel besser kontrollieren und meine Gefühle verbergen konnte. Das Einzige, was an den Brüsten noch meine Anspannung verriet, verbarg ich wie die anderen Hexen in Göttinnengestalt unter der Kleidung. Einige Lilim, vor allem Ki, musterten mich abfällig, doch das kümmerte mich nicht. Ich hatte ja auch erst selbst zu der Erkenntnis kommen müssen.
Ich kehrte nicht in den Ausbildungstrakt zurück. Wozu auch? Zum einen wollte ich meinen neu gewonnenen Körper nicht damit beschmutzen, dass diese unwürdigen Kreaturen ihn betrachten konnten, zum anderen gab es dort keine, die ich vermissen würde.
Nachdem ich mich in Ruhe einige Tage in meiner neuen Unterkunft hatte einleben können, sollte am nächsten Tag mein erster Außeneinsatz bevorstehen. Lona ki Mala hatte sich völlig überraschend bei mir gemeldet und mir das mitgeteilt. Mehr wusste ich nicht, aber ich sprühte vor Tatendrang.
Der Interkom summte, als ich gerade wieder einmal versuchte, über das Informationssystem mehr über Lilith und ihr Verhältnis zum geheimnisvollen Nistant herauszufinden. Ich wusste genau, wie sinnlos das war, hoffte jedoch, etwas übersehen zu haben.
Verärgert, aus der Konzentration gerissen worden zu sein, nahm ich das Gespräch an und schimpfte los, doch bereits die zweite Silbe blieb mir im Halse stecken. Im Holokubus blickte mir das Antlitz Liliths entgegen. Die Schöpferin hatte gegen ihr eigenes Gebot verstoßen und ein Bild von sich übermittelt.
Sofort senkte ich meinen Blick und bat unterwürfig um Entschuldigung. Lilith ging nicht darauf ein, sondern beorderte mich in die Kommandozentrale, dann schaltete sie ab.
Ich ließ alles stehen und liegen und teleportierte ins Zentrum Maagans. So ein unverhofftes Auftauchen war zwar verpönt, aber ich hielt es der Situation angemessen.
Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch fand ich die Kathedrale völlig verlassen vor. Während ich mich noch darüber wunderte, materialisierten überall weitere Hexen in der großen Höhle. Es waren ausnahmslos Lilim, die die Gestalt der Göttin tragen durften. Nach der Menge zu schließen, die sich nach und nach einfand, mussten es alle 169 sein – die dreizehn mal dreizehn höchsten Hexen. Lilith selbst hatte mich hergerufen, also gehörte ich nun dazu, obwohl alle anderen mindestens dreimal so alt waren!
Irritiert suchte ich in der Menge nach Lona ki Mala und fand sie tatsächlich. Ein weiterer Teleportersprung brachte mich in ihre Nähe.
»Was ist hier los?«, fragte ich sie.
»Lilith … hat mich hierher gerufen!« Lona war ganz außer Atem. Sie hatte sich offenbar auch jetzt an die unnötige Etikette gehalten und war zu Fuß gekommen.
»Mich auch!«, unterbrach ich sie ungehalten. Und so etwas war mal meine Ausbilderin. »Ich wollte wissen, was hier los ist!«
Lona hielt ihre beiden Zeigefinger eine Handbreit über die Stirn. Auch wenn wir in dieser Gestalt keine Hörner besaßen, war die Geste, bei Unwissenheit deren Spitzen anzutippen, doch in Fleisch und Blut übergegangen.
Dann bemerkte ich eine Bewegung auf dem Thron und wies Lona darauf hin. Lilith war angekommen.
»Nistant hat einen furchtbaren Verrat begangen und ich muss ihn sofort aufhalten!«, donnerte die Stimme der Göttin durch die Kuppel und füllte sie bis in den letzten Winkel aus. »Ich habe euch zusammengerufen, weil ich nicht weiß, wie lange ich weg sein werde, oder ob ich jemals zurückkehren kann. Hiermit lege ich das Schicksal der Hexen und des gesamten Rideryons in eure Hände. Ordnet euch nicht den Jaycuul-Rittern unter! Sie sind nur dem Verräter Nistant gegenüber loyal und damit ab sofort eure ärgsten Feinde!«
Lilith machte eine Pause, und ich konnte spüren, wie Entsetzen sich unter den anderen Hexen ausbreitete. Ich selbst war von großem Stolz erfüllt, genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein zu können. Wäre der Verrat nur ein Jahr früher geschehen, hätte ich nichts tun können. Doch so konnte ich trotz meines jungen Alters die Geschichte des Rideryons ab sofort mitbestimmen!
»Fürchtet euch nicht«, fuhr unsere Schöpferin fort. »Ich musste immer mit so etwas rechnen. Dies war auch ein Grund, warum nur wenige mein wahres Äußeres kennen. Die meisten Lebewesen brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Wenn ich euch, meinem Volk, nicht mehr als solches dienen kann, müsst ihr euch neue Symbole schaffen. Vielleicht verratet ihr ihm auch einfach nicht, dass ich fort bin. Manchmal können sogar kleine Dinge Großes bewirken!«
Was faselte Lilith da? Ich hatte niemals Vorbilder gebraucht, da alle in meiner Umgebung schwach waren! Wenn, dann war höchstens Lilith selbst ein Idol gewesen – zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Erschrocken kämpfte ich diesen Gedanken nieder. Wer war ich trotz meines Talents schon, dass ich mich mit einer Göttin messen konnte?
Als ich wieder aufblickte, war Lilith verschwunden. Nur Augenblicke später brach ein infernalischer Lärm aus, als alle Hexen gleichzeitig das Gehörte diskutieren wollten. Ich selbst ignorierte den Krach und dachte lieber allein nach.
Die Schöpferin hatte von einem Verrat Nistants gesprochen. Aber seit Jahrhunderten regierten sie doch gemeinsam und einträchtig das Rideryon! Ich musste auflachen. Nistant war immer noch ein Mann und damit schon aus Prinzip unterlegen. Ich hatte bisher nie einen Jaycuul-Ritter gesehen, wusste jedoch, dass sie unter den Völkern des Rideryons als das männliche Gegenstück zu den Hexen galten. Das war natürlich lächerlich und nur deren schlichten Gemütern zuzuschreiben, denn es gab zu den Lilim nichts Gleichwertiges. Und erst recht nichts Männliches!
Eine Hexe schrie so laut auf, dass sie damit alle Diskussionen stoppte und auch mich aus den Gedanken riss. Sie tippte einige Felder auf ihrem Terminal, dann füllte übergangslos eine Bassstimme die Kommandozentrale aus.
»Hier spricht Karmoth, General der Jaycuul-Ritter. Eure Oberhexe Lilith hat Nistant, den rechtmäßigen Herrscher des Rideryons, heimtückisch ermordet und damit ihre wahren Absichten verraten. Damit habt auch ihr Hexen eure Lebensberechtigung verloren. Wir werden euch vernichten!«
Wie zur Unterstreichung seiner Worte begann der Berg zu beben. Einige Hexen schrien panisch auf und teleportierten weg. Lächerlich, denn nirgends waren wir sicherer als hier in der unterirdischen Stadt. Ich bewunderte Lilith für ihre Weitsicht.
Dann zog ich Lona ki Mala kurzerhand mit mir zu einer Bürozelle und schob einige Hexen zur Seite, die wieder zu diskutieren begonnen hatten. Bemerkten sie denn nicht, dass Worte hier nichts brachten? Oder wollten sie die Ritter totreden?
Ich blickte Lona an, die jedoch nur hilflos vor sich hin stammelte, und verpasste ihr eine Ohrfeige. Das brachte sie zur Besinnung.
»Du hast mir in der Ausbildung immer gesagt, dass man immer den Überblick behalten muss – vor allem im Kampf.«
Mit leiser Stimme bejahte sie. Ich drückte sie gewaltsam in den Sitz vor dem Terminal.
»Dieser Karmoth mag zwar ein Mann sein, aber selbst er sollte wissen, dass er Maagan nicht einfach vernichten kann, ohne die Struktur des Rideryons selbst zu beschädigen«, sprudelten die Wörter aus mir hervor. Ich beschloss, mich später darüber zu ärgern, dass niemand sonst darauf gekommen war. »Also werden sie früher oder später reinkommen. Verhindere das!«
Lona wandte sich an die Kontrollen. Mit der Zeit wurden ihre Befehle immer bestimmter. Auch in die anderen Hexen kehrte nach und nach die professionelle Ruhe zurück. Wenig später herrschte in der Zentrale wieder das gewohnte Treiben, und sogar einige Hexen in ursprünglicher Gestalt nahmen ihre Arbeit auf.
Ich selbst stand inmitten dieses Getümmels und wusste zum ersten Mal nicht, was ich tun sollte, denn alles geschah ohne mein Zutun und ich wusste nicht, wie man die Zentrale-Terminals bediente, da eine Einweisung erst nach Außenmissionen vorgesehen war.
Dann endlich kam mir eine Idee. Ich sammelte einige Hexen um mich, die gerade ebenfalls untätig waren. »Wir brauchen für den Fall der Fälle einen sicheren Rückzugsort. Helft mir, einen zu finden!«
9.
Noch bevor Despair das Ende des Korkenzieher-Gangs erreichte, vernahm er Kampfgeräusche. Ohne zu überlegen, ließ er sich einfach zu Boden fallen und rutschte den Rest der Rampe nach unten.
Dort war Goshkan bereits mit dem dritten Gegner beschäftigt. Wie ein Tornado wirbelte er durch die ausgemergelten Gestalten in Kutten, die ihm quasi nichts entgegenzusetzen hatten.
Despair stellte sich neben Cau Thon, dessen Mundwinkel leicht nach oben zuckten. »Es wäre besser, sie am Leben zu lassen und zu verhören.«
Cau Thons Caritstab knallte einmal auf den Boden. »Lass ihn doch und schau genau hin.«
Despair wollte aufbegehren, schluckte seine Erwiderung jedoch herunter und folgte der Anweisung. Die Termetoren hatten provisorische Barrikaden errichtet, die das Ende des Gangs abschirmten, aus dem er gerade getreten war. Goshkan musste sie aus dem Rücken überrascht haben. Sie hatten keine Chance.
»Sie lauerten nicht uns auf …«, murmelte Despair.
Nun zeigte Cau Thon doch ein kurzes Grinsen und streckte seinen Caritstab vor, als Goshkan vorbei huschte. Dieser stolperte und fiel brüllend hin. Ein, zwei Sekunden zappelte er wie ein Käfer auf dem Rücken, dann fiel die Anspannung von ihm ab. Glücklicherweise hatte dieser Kampf nicht ausgereicht, ihn in seinen Blutrausch fallen zu lassen.
»Lass das, Goshkan!«, forderte Cau Thon und half ihm auf. »Du wirst noch deinen Spaß bekommen. Dieser Hinterhalt galt nicht uns.«
»Das bedeutet …«, begann Despair und blickte Cau Thon in die Augen.
»… dass unser Saggittone und seine Leute Maya nicht gefunden haben«, beendete Cau Thon den Satz. »Weiter!«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, setzte sich der Sohn des Chaos in die Richtung in Bewegung, aus der deutliche Schleifspuren die Herkunft der Termetoren belegten. Dabei zertrümmerte er wie beiläufig einem noch zuckenden Termetor den Schädel.
*
Vorsichtig löste Denise die Platte endgültig aus dem Gestein. Sie war sich sehr sicher, dass das Material Desintegratoren ebenso wie das weißblaue Material Widerstand leisten würde, aber die Tatsache, dass sie bereits mehrere Deckendurchbrüche entdeckt hatten und vor allem die eingeritzten Buchstaben bewiesen, dass auch dies hier nicht unzerstörbar war.
Sie hatte bisher nicht viel Zeit gehabt, ihre durch Hypnoschulung erworbenen Kenntnisse der auf dem Riff gebräuchlichen Schrift anzuwenden. Hinzu kam, dass es sich hierbei offenbar um eine sehr archaische Form der Schriftzeichen handelte. Dennoch fiel ihr auf, dass es sich wohl um eine Namensliste handeln musste, deren Einträge immer genau aus drei Teilen bestanden und deren mittlerer Teil bei allen aus denselben Zeichen bestand. Falls sie sich nicht völlig täuschte, wurde die Glyphe mit den zwei Kreuzen und dem Querstrich »Ki« ausgesprochen.
Was Sato wohl gerade trieb? Denise schaute kurz herunter. Der Pararealist saß immer noch vor dem Computersystem, also hatte sie alle Zeit der Welt.
In ihrem Multifunktionsarmband fand sie glücklicherweise eine genaue Auflistung aller Schriftsymbole, die auf dem Riff gebräuchlich waren. Sie fertigte eine Fotografie der Zeilen an, dann verwendete sie eine Software, die nach Übereinstimmungen suchte und die Schriftentwicklung über die Jahrmillionen berücksichtigte.
Bereits nach wenigen Augenblicken listete der Pikosyn einen Text auf, dessen Interpretation er mit über neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit angab. Das war zwar immer noch eine potenzielle Fehlerquote von einem Zehntel, aber dennoch weit mehr, als Denise zu hoffen gewagt hatte.
Die erste Zeile wich vom Rest ab und lautete: »Wir gaben unser Leben, um Lilith zu rächen.«
Denise erstarrte. Konnte es wirklich wahr sein? Aber nein, das war völlig unmöglich, hier auf dem Jahrmillionen alten Riff auf einen Namen aus dem sumerischen Schöpfungsmythos zu stoßen. Die Namensgleichheit musste ein Zufall sein.
Darunter befand sich in der Tat eine Liste von Namen, die eine dreigeteilte Struktur aufwiesen und in der Mitte jeweils den Partikel ki trugen.
Fast wie die Namen der Hexen, die wir kennen, überlegte Denise und verdrängte den Gedanken lieber gleich wieder. Jetzt nur nicht irritieren lassen!
Doch dann fiel ihr Blick auf die letzten beiden Namen und alle Ruhe fiel schlagartig von ihr ab.
»Sato!«, rief sie und sprang auf. Sie rutschte mehr den Thron herunter, als sicher herabzuklettern. Die Tafel eng an sich gepresst, kam sie mit mehr Glück als Verstand unten sicher auf den Füßen auf.
Sofort rannte sie zum Pararealisten, übersprang alle Hindernisse.
Der hatte sich bereits erhoben und streckte ihr abwehrend beide Hände entgegen. »Jetzt beruhige dich doch. Was ist passiert?«
Denise hielt ihm die Tafel mit den Namen vors Gesicht, erst dann wurde ihr bewusst, dass er sie unmöglich lesen konnte.
»Maya ki Toushi war tatsächlich schon einmal vor Jahrmillionen hier!«, stieß sie hervor und ließ den Finger über den entsprechenden Namen gleiten. »Und schau hier, direkt darüber. Siehst du, dass ein Großteil der Schriftzeichen übereinstimmt? Dieser Name lautet Lila ki Toushi. Das heißt, Maya besaß oder besitzt eine Schwester!«
10.
Wir brauchten fast zwölf Stunden, bis wir ein halb vergessenes Archiv weit im Inneren des Berges entdeckten. Zwölf Stunden, in denen die Jaycuul-Ritter und ihr Fußvolk, die Termetoren, immer weiter in Maagan vorrückten. Im Zweikampf waren sie uns zwar hoffnungslos unterlegen, doch gegen ihre pure Überzahl waren sogar unsere telekinetischen Kräfte machtlos. Außerdem schienen sie eine Technik zu verwenden, die unsere Kräfte lahmlegte. Wie unzählige Rufe im Interkom besagten, war die Oberfläche des Berges durch Schüsse inzwischen völlig in Magma verwandelt worden, doch ich wusste nicht, ob diese Gerüchte der Wahrheit entsprachen oder gezielt vom Gegner gestreut worden waren.
In unzähligen Teleportationen brachten wir Archivschränke und Datenträger aus den Hallen. Was vergangene Jahrhunderte für die Ewigkeit konservieren wollten, war jetzt nichts mehr wert, sondern der Raum für das Überleben wichtiger. Gerade die schwächeren Hexen teleportierten bis zur Erschöpfung und viele kamen nicht zurück. Ich hoffte, dass sie dem Gegner nicht lebend in die Hände fielen, denn solange unser Unterschlupf unbekannt war, hatten wir eine Chance. Sobald sie erst einmal ihren Psi-Blocker in die Reichweite des Archivs gebracht hatten, würden wir in der Falle sitzen.
Ich selbst gönnte mir nur kurze Ruhepausen, in denen ich aber zum Nachdenken kam. Das Entsetzen über den Hass, mit dem die Jaycuul-Ritter uns verfolgten, wuchs von Stunde zu Stunde. Ich wusste nicht, was Nistant zu seinem Verrat getrieben hatte, aber offenbar war er von langer Hand vorbereitet gewesen und der Völkermord an uns spielte in seinen Plänen eine wichtige Rolle. Nur gut, dass Lilith das rechtzeitig erkannt hatte und noch Schlimmeres verhindern konnte, denn mit Nistant als Gegner wäre unsere Lage völlig aussichtslos gewesen.
Dann endlich war es soweit. Die ehemaligen Archivräume waren freigeräumt und als notdürftige Unterkünfte eingerichtet worden. Auch an ausreichende Nahrungsvorräte hatten wir gedacht.
Ich nahm die Sprengladungen, die ich schon vor Stunden besorgt hatte, und brachte sie am Eingang an.
»Was tust du da?«, fragte mich eine Hexe mit langen, blauen Haaren. Wie Wasserfall …
Ich verdrängte den Gedanken und zeigte in Richtung der Notunterkunft. »Wir können teleportieren.« Ich wies in die andere Richtung. »Die nicht!«
Sie gab mir zu verstehen, dass sie verstanden hatte, und zog sich zurück. Wenig später zündete ich die Ladungen und zerstörte so den einzigen Zugang zum ehemaligen Archiv.
Als sich der Staub gelegt hatte, wandte ich mich an die anwesenden Hexen. Knapp über zweihundert hatten sich inzwischen eingefunden. »Wir haben zwar noch für etwa fünfzig Hexen Platz, aber ich verlange, dass ihr hier bleibt! Der Feind darf nicht von diesem Ort erfahren, denn nur so lange sind wir sicher. Mit ihren Psi-Blockern können sie uns jederzeit den Rückweg versperren und uns dann foltern. Sobald eine uns verrät, sind wir alle tot.«
Niemand widersprach, was wohl bedeutete, dass sie meine Führung akzeptierten. Ich deutete auf drei Hexen, darunter auch die Blauhaarige. »Du, du und du. Ihr werdet mit mir noch ein letztes Mal in die Kommandozentrale teleportieren. Vielleicht können wir noch einige Anführerinnen retten.«
Sie nickten und wir fassten uns an den Händen, um den Sprung zu koordinieren. Als die Zentrale um uns auftauchte, gingen wir sofort in Deckung. Keine Sekunde zu spät, denn hier waren gerade ein Jaycuul und eine große Zahl Termetoren dabei, die letzten Hexen zu ermorden.
Ich ballte die Fäuste, doch egal mit welcher Waffe und egal in welcher Gestalt – hier konnten wir nichts mehr tun. Wer nicht in den letzten Stunden zu uns gestoßen war, war nun tot! Ich versuchte zu teleportieren, doch wie ich befürchtet hatte, waren unsere Kräfte wirkungslos. Ich unterdrückte einen Fluch und gab den anderen drei Hexen per Handzeichen zu verstehen, dass wir aus der Kommandozentrale schleichen mussten. Auf dem Weg zu einem Ausgang kamen wir an der Bürozelle vorbei, in die ich Lona ki Mala bugsiert hatte. Sie hing tot in dem Sitz. Bis zur letzten Sekunde ihres Lebens hatte sie die Stadt verteidigt. Selbst nach ihrem Tod hatte sie nicht ihre ursprüngliche Gestalt angenommen. Vielleicht lag es auch daran, dass ihr ein Impulsstrahler den Kopf weggeschossen hatte. Mochte sie zwar im entscheidenden Augenblick versagt haben, rang mir ihr Heldentod einigen Respekt ab.
Endlich hatten wir einen Ausgang erreicht und stolperten fast über einige Hexen, die sich dort versteckt hielten. In ihren Augen flackerte Todesangst. Ohne zu zögern, riss ich sie mit mir und gab meinen Begleiterinnen zu verstehen, dass sie mich ebenfalls wieder berühren sollten.
Jeden Schritt versuchte ich ins Archiv zu teleportieren, doch es war weiterhin unmöglich. Nun unterdrückte ich meinen Fluch nicht mehr. Hätte ich doch selbst auf meinen eigenen Befehl gehört und wäre in Deckung geblieben, dann wäre ich jetzt sicher. Womöglich lag es jetzt an mir, dass Nistants Schergen das Versteck fanden.
Gehässig lachte ich auf. Wenn ich nicht mehr lebte, was kümmerte mich dann der Rest?
Eine der Hexen krallte sich plötzlich an mich und riss mich so aus meinen Gedanken. Genau vor uns waren einige Jaycuul-Ritter und Termetoren aufgetaucht. Instinktiv versuchte ich meine Arme in Krallen zu verwandeln, doch das klappte natürlich nicht. Die Ritter waren hochgewachsene, muskulöse Männer mit kantigem Gesicht und kurzen, straff gekämmten Haaren. Irgendwas an ihrem Äußeren zog mich an, und genau deshalb hasste ich sie spontan.
Ich riss einer der Hexen, die wir im Korridor gefunden hatten, einen Strahler aus der Hand. Instinktiv wusste ich, dass der große Kasten, den einer von ihnen auf dem Rücken trug, der Psi-Blocker war. Ohne langes Zielen schoss ich auf den Ritter, der mich erst in diesem Moment bemerkte und seinen Schild aktivieren wollte. Zu spät – schreiend verglühte er.
Nun reagierten die Jaycuul-Ritter und Termetoren. Individualschutzschirme flackerten auf und Waffen wurden gehoben. Ebenfalls zu spät!
Ich teleportierte ins Archiv zurück. Bei Gelegenheit würde ich über einen passenderen Namen nachdenken, doch nicht jetzt. Wir waren zwar haarscharf dem Tod entkommen und hatten sogar noch fünf weitere Hexen retten können, doch jetzt war die Zeit zur Trauer. Nur knapp über zweihundert Hexen hatten den Untergang von Maagan überlebt. Vielleicht waren wir die Letzten unseres Volkes.
Auch wenn niemand ein Wort sprach, hing doch jede Einzelne diesen Gedanken nach, während über uns die Hauptstadt der Hexen in den Schüssen der Energiestrahler verging.
Ich war die letzte Hexe, die noch das Aussehen Liliths bewahrte.
11.
»Die Luft ist rein.« Feline machte eine winkende Bewegung mit ihrer Waffe.
Aurec nickte und ließ Constance los. Diese schritt sofort wie eine Schlafwandlerin aus und ging um die Ecke des Ganges. Er fühlte sich inzwischen fast wie ein Kindergärtner, da er sowohl die völlig apathische Hexe als auch die Gruppe Zero, die am liebsten alles kurz und klein geschossen hätte, irgendwie unter Kontrolle halten musste.
»Ja, Maya, wir sind gleich da.« Constance hatte vor etwa einer Stunde begonnen, vor sich hin zu murmeln. »Nein, das denke ich nicht.«
Aurec war es immer noch ein Rätsel, wie dieser Kontakt zwischen Constance Zaryah Beccash und Maya ki Toushi zustande gekommen war – immerhin konnte Constance nach eigenen Angaben lediglich Gefühlslagen spüren –, doch so, wie sich die Situation immer mehr herauskristallisierte, konnten sie wohl Maya fast alles zutrauen.
Umso erstaunlicher, dass diese sich bisher nicht selbst befreit hatte.
Oder war das alles nur eine sehr perfide Falle der Ylors? Äußerlich konnte man den Jaycuul-Rittern und Termetoren einerseits sowie den zu Ylors mutierten Alyskern andererseits eine gewisse Ähnlichkeit nicht absprechen. Wer wusste schon, ob nicht dieser ominöse Fürst Medvecâ Maya durch Geistesbotschaften in die Falle gelockt hatte und nun den Entropen vorspielte, die Terranerin ohne Vergangenheit würde eine von ihnen sein. Aber dazu passte wiederum nicht, dass Eorthor und Elyn große Gemeinsamkeiten zwischen der DNA der Hexen und der von Maya entdeckt hatten. Andererseits trugen die Hexen auch wieder einen nicht unbeträchtlichen Anteil an terranischen Genen in sich.
Aurec seufzte. Er konnte so lange darüber nachdenken, wie er wollte, ohne auch nur ein bisschen weiterzukommen. Die Einzige, die ihnen hier helfen konnte, war Maya selbst.
Völlig unerwartet war Shan Mogul stehengeblieben. Aurec stieß gegen ihn und hatte das Gefühl, direkt gegen eine Wand gelaufen zu sein, da die Muskeln des Oxtorners hart wie Stahl waren.
»Mir reicht es!«, brummte der Adoptivvater von Feline Mowac mit Bestimmtheit. »Im derzeitigen Zustand können wir dieses Hexenweib nicht einfach vor uns herlaufen lassen. Außerdem fehlt mir langsam die Geduld, ständig die von ihr eingeschlagene Richtung zu sichern. Corph und ich werden gemeinsam die Gegend auskundschaften, denn weit kann es ja nicht mehr sein. Feline, du bleibst hier und bewachst unseren Saggittonenprinz und dieses grenzdebile Weibsstück.«
»Aber ich …«, wollte Feline aufbegehren, doch der Oxtorner und der Arkonide waren bereits mittels ihrer Deflektorschirme verschwunden. Wütend gab sie der wieder vor sich hin murmelnden Constance einen Kinnhaken, der diese bewusstlos zu Boden schickte, und ließ sich selbst daneben sinken. »Endlich Ruhe!«
Fassungslos bückte sich Aurec nach der Hexe und untersuchte ihr Gesicht. So eine unnötige Brutalität hatte er selten erlebt.
»Der fehlt nichts«, knurrte Feline mit sichtlich mäßigem Interesse. »Denk daran, in was für ein Tier sich diese Entropen verwandeln können. Da wird Constance so ein leichter Klaps schon nichts ausmachen.«
Aurec war sich sicher, dass ihm dieser leichte Klaps vermutlich den Kiefer gebrochen hätte, aber der Hexe schien in der Tat nichts zu fehlen. So setzte er sich ebenfalls auf den Boden und nutzte die Wand des Gangs als Rückenlehne.
Mit Constance konnte er nicht reden, mit Feline wollte er nicht reden – also blieb wieder einmal nur das dumpfe Herumbrüten. Wenn doch wenigstens Kathy hier gewesen wäre, doch seine terranische Liebe war auf der IVANHOE II zurückgeblieben.
*
Er musste wohl eingenickt sein, denn Moguls »Wir haben etwas herausgefunden!« erschreckte ihn fast zu Tode. Der Oxtorner stand unmittelbar vor ihm – und Aurec hatte sein Kommen nicht bemerkt.
Feline hatte sich nicht überraschen lassen. »Ihr wisst endlich, wo Maya ist?«
»Fast«, schränkte Corph de Trajn ein. »Ich konnte mich ins lokale Netzwerk einhacken.«
»Lokales Netzwerk?« Aurec meinte, sich verhört zu haben. »Ich dachte, dieser Komplex wäre Jahrmillionen alt und sämtliche Technik versteinert und damit unbrauchbar.«
Moguls eisiger Blick schien ihn aufspießen zu wollen. »Und wo kommen dann die Termetoren her?«
»Das ist aber noch nicht alles«, fuhr de Trajn fort und ignorierte damit Aurecs Einwand. »Sato Ambush ist ebenfalls der Zugriff gelungen. Er hat uns eine Nachricht hinterlassen und genau beschrieben, wo wir Maya finden können. Und …«
Feline und Aurec musterten ihn interessiert, doch der Arkonide hatte sichtliche Mühe weiterzusprechen.
»Denise Joorn hat eine Gedenktafel entdeckt«, gab er schließlich zu, »auf der der Name Maya ki Toushi steht.«
Feline winkte ab. »Eine zufällige Namensgleichheit oder einfach nur eine plumpe Fälschung. Wo befindet sich unsere geschätzte Mitkriegerin denn?«
»Es handelt sich um einen schwer befestigten Abschnitt, den die Jaycuul-Ritter ›Zitadelle‹ nennen. Laut den Daten, die Ambush abrufen konnte, existiert nur ein einziger Weg hinein, der optisch, energetisch und psionisch überwacht wird.«
Aurec ballte die Fäuste. Wären sie nur nicht entdeckt worden, dann hätten sie zumindest das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt. Durch den kurzen Kampf mit den Termetoren war der Gegner aber nun mit Sicherheit gewarnt – und ihre Chancen erheblich kleiner.
»Tja«, machte Feline und baute sich unübersehbar vor ihm auf. »Wenn unser Saggittonenprinz auf uns gehört hätte, dann bräuchte die komplette Gruppe Zero jetzt nur einfach hineinmarschieren und die Sache wäre erledigt.«
»Und Maya aller Voraussicht nach tot.« Aurec hatte keinerlei Lust, diese Diskussion ein weiteres Mal zu führen. »Mir wird schon eine List einfallen, wie wir dort hineingelangen.«
»Also die harte Tour.« Mogul streichelte seinen Strahler.
»Ich traue euch ja einiges zu«, entgegnete Aurec, »aber gegen so eine Übermacht kommt ihr zu dritt nicht an. Was macht ihr denn, falls sie da drinnen einen Paratron aktivieren?«
»Hast du hier auf dem Rideryon schon irgendwo einen Paratronschirm gesehen?«
Felines simple Denkweise ließ manchmal keine Gegenargumente zu – und trieb Aurec dadurch zur Weißglut.
»Wenn ihr unbedingt wollt, dann rennt doch in euer Verderben«, brüllte er die Oxtornerin an. »So sorgt ihr wenigstens für Ablenkung, damit Constance und ich Maya befreien können.«
»Falsch.« Feline hielt ihm die Mündung ihres Kombistrahlers genau unter die Nase. »Constance und du sorgen für Ablenkung, damit wir Maya befreien können.«
Wie auf ein geheimes Kommando drehten sich die drei Anführer der Gruppe Zero nahezu völlig synchron um und verschwanden in der Dunkelheit des Ganges.
Aurec raufte sich die Haare. Bald würden sie hier ein Blutbad anrichten, und er hatte als einzige Hilfe eine seltsame Frau, die jederzeit wieder in Trance verfallen konnte.
Das Kommandounternehmen Maya ki Toushi war an seinem Tiefpunkt angelangt.
12.
Seit dem Angriff der Jaycuul-Ritter und ihrer Termetoren waren bereits einige Jahre vergangen, und wir hatten uns an das Leben in der Zitadelle gewöhnt. Diesen Namen hatte ich kurz nach unserer Rückkehr aus der Zentrale gewählt und er hatte sich sehr schnell durchgesetzt – wie alles, was ich tat oder sagte.
Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass mich die Situation zum ersten Mal in meinen Leben überforderte. Hatte ich zuvor immer gegen die bestehende Ordnung rebelliert und wollte an die Spitze der Macht gelangen, um diese zu ändern, zeigte mir das Ende aller Strukturen, dass ich sie doch unbewusst verinnerlicht hatte. Schneller als wohl jede Hexe vor mir hatte ich mich in der Hierarchie nach oben gearbeitet und war nun die Einzige, die zu bestimmen hatte. Wie viel hätte ich noch vor wenigen Jahren für diese Situation gegeben, doch nun wünschte ich mir sogar, Lona ki Mala wäre jetzt hier und würde mich zumindest unterstützen.
Aber es gab nur noch Hexen, die mir hoffnungslos unterlegen waren und jedes meiner Worte wie ein Schwamm aufsogen. Alles Verachten brachte nichts, ich musste mit ihnen auskommen, denn nur so konnten wir überleben.
Immerhin ahnten Karmoth und seine Untergebenen bisher nicht, dass noch eine der 169 am Leben war und sich ihrer Kontrolle entzog. Einige Sammlertrupps waren auf überlebende Hexen im Umland der Ruinen von Maagan gestoßen. Anfangs hatten wir Zitadellenbewohnerinnen – und vor allem ich – uns darüber gefreut, doch diese Lilim waren von panischer Angst vor den Jaycuuls erfüllt und wagten nicht, uns in irgendeiner Weise zu unterstützen. Einmal war ich sogar persönlich aufgebrochen, um mit ihnen zu reden, doch meine Lilith-Gestalt hatten sie nicht ernst genommen. So hatte ich mich nach unendlich langer Zeit wieder zurückverwandelt – und sie damit endgültig eingeschüchtert.
Ich seufzte tief und spürte, wie sich Lila ki Toushi an mich schmiegte. »Wieder schlimme Gedanken?«
Zunächst war es mir gar nicht aufgefallen, dass ich ihre Nähe suchte. Seit dem kurzen, aber heftigen Vorstoß in die Kommandozentrale war die hübsche Blauhaarige nicht von meiner Seite gewichen. Anfangs hatte ich sie viel mit Wasserfall verglichen, doch außer ihrem Äußeren verband Lila nichts mit meiner Jugendfreundin. Sie hatte zwei Jahre vor mir die Akademie verlassen und – wie ihr Name sagte – dieselbe Prüferin wie ich gehabt. Ob Toushi ki Amareth noch am Leben war? Ich bezweifelte es. Auch Lila konnte mir bei weitem nicht das Wasser reichen, aber seitdem ich immer für alles verantwortlich war, schätzte ich ihren Rat aus einfacher Perspektive. Keiner anderen Hexe gegenüber war ich so offen und erschrak mich immer wieder, wenn ich ihr mein Innerstes ausschüttete.
Doch danach fühlte ich mich jedes Mal besser.
Wie vermisste ich es, Prügel auszuteilen, doch das war leider nicht mehr möglich. Ich konnte mich kaum noch dran erinnern, wie ich früher die Krallen ausgebildet hatte, doch hin und wieder – wenn ich nicht mehr konnte – teleportierte ich aus der Zitadelle irgendwo in die Maagan-Ruinen und zertrümmerte telekinetisch Metallplastik, bis die Decke einstürzte.
»Wie soll es weitergehen?«, antwortete ich Lila nun doch. »Tag ein, Tag aus immer dasselbe. Wir verstecken uns wie Ungeziefer und haben so gut wie keine Ahnung, was in den vergangenen Jahren auf dem Riff geschehen ist. Gut, hin und wieder können wir einige Termetoren erlegen, doch wie soll es weitergehen?«
Sie rückte noch näher an mich, und ihre raue Lilim-Haut schabte über meine. Ich wagte inzwischen gar nicht mehr, meine eigene Gestalt anzunehmen, sosehr hatte ich mich selbst und hatten sich auch die anderen Überlebenden daran gewöhnt. Durch Tests hatte ich herausgefunden, dass ein Dutzend Hexen zur allgemeinen Gestaltwandlung fähig war, darunter interessanterweise auch Lila, doch keine von ihnen wagte es, Liliths Aussehen anzunehmen.
»Die Späherinnen sind zurück«, versuchte Lila ein weiteres Mal, mich aus meiner Lethargie zu reißen, aber ich winkte nur müde ab.
»Zerstörte Städte, tote Hexen – ein Rideryon, in dem Lilith und ihr Volk immer mehr in Vergessenheit geraten und Männer die Herrschaft an sich reißen. Was sollen sie sonst herausgefunden haben?«
Plötzlich wurden ihre Brüste hart, dann richtete sie sich ruckartig auf. »Schau doch, wie erschrocken sie sind!«
Nun wurde ich doch neugierig. Ächzend richtete ich meinen Oberkörper auf und musterte die Lilim, die gerade aus den Weiten des Rideryons zurückgekommen waren. Lila hatte recht. Pures Entsetzen stand in ihren Gesichtern geschrieben. Ihre Augen waren geweitet und die Brüste verkrampft. Zwei von ihnen zitterten sogar die Knie.
Ich erhob mich nun endgültig aus meinem Bett, das direkt neben dem Lilas stand – vielleicht etwas zu nah – und baute meine ganze Autorität vor ihnen auf. Nahezu unbemerkt verschwand Lila aus meiner Nähe, denn sie wusste genau, was nun kommen würde.
»Was ist denn mit euch passiert?«, fauchte ich die Späherinnen an. »Manchmal glaube ich, ihr hättet die Zitadelle auch nicht erreichen sollen, so wie ihr euch benehmt. Haltet ihr euch für männlich, oder was?«
Betretene Blicke zu Boden, bis endlich eine zu antworten wagte. Auch wenn wir nicht mehr viele waren, wollte mir ihr Name partout nicht einfallen. »Sie … sie haben sich verändert …«
Bisher war es nur Show gewesen, aber nun wurde ich tatsächlich wütend. Telekinetisch zog ich sie an mich heran. Vor Schmerz schrie die Hexe auf. Was für ein Weichei!
»Irgendetwas ist da«, wimmerte sie. Noch immer hielt ich sie mit meiner Geisteskraft fest. »Eine Präsenz, ein Einfluss … Und es verändert die Termetoren.«
»Was?«, entfuhr es mir fassungslos. Ich entließ den Schwächling aus meinem telekinetischen Griff und wandte mich an Lila ki Toushi. Mit mäßigem Interesse vernahm ich, wie etwas zu Boden prallte. »Was hältst du davon?«
Sie tippte sich hilflos an die Hörner. »Ich weiß es nicht, Maya. Wirklich nicht.«
Lila war die Einzige, die mich mit Vornamen anreden durfte. Jede andere hätte es jetzt schon bereut.
Ich wandte mich wieder an den Spähtrupp. Mein Opfer hatte sich bereits wieder erhoben. Beinahe wäre es der Hexe gelungen, ein Stöhnen zu unterdrücken. Aber nur beinahe. Ich verzichtete darauf, sie dezent darauf hinzuweisen.
»Ich werde mir das persönlich ansehen«, eröffnete ich den Lilim, die unwillkürlich zusammenrückten. Schwächlinge! »Schickt mir die Gestaltwandlerinnen vorbei.«
Nur einen Atemzug später hatte sich mein gewölbeartiger Raum geleert. Nur Lila war geblieben. Jetzt fielen die Anspannung und die Wut von mir ab. Mit einem Mal kam ich mir schrecklich allein und hilflos vor. Ich warf mich in Lilas Arme, die sie mir geistesgegenwärtig entgegen gestreckt hatte. Was Lona jetzt wohl gemacht hätte? Lächerlich, vermutlich hätte sie wieder versucht, das Problem totzureden, genau wie die anderen der 169. Und Lilith? Seit Jahren hatten wir kein Lebenszeichen unserer Göttin vernommen. Immerhin – von Nistant ebenfalls nicht.
Lila zog mich sanft mit sich und nahm mit mir zusammen auf einer Bank Platz. Langsam löste ich mich von ihr. Wenn doch wenigstens sie meine Probleme wirklich verstehen würde, aber vermutlich vergötterte sie mich genauso wie der Rest – oder sie fürchtete mich.
Nein, für beides war sie viel zu sanft.
Das Eintreffen der Gestaltwandlerinnen riss mich aus meinen Gedanken. Mir war nicht bewusst, dass mehrere Minuten vergangen waren. Sofort rückte Lila wieder von mir ab. Nur einen Bruchteil einer Sekunde bedauerte ich das, aber da hatte ich mich schon erhoben und war vor die Hexen getreten.
»Lilim, etwas ist geschehen, um das ich mich selbst kümmern muss. Offenbar ist eine neue Partei auf dem Riff aufgetaucht. Wir sind die Einzigen aus der Zitadelle, die sich unerkannt unter die Völker da draußen mischen können. Wir werden uns tarnen und herausfinden, was es mit diesem mysteriösen Einfluss auf sich hat, von dem die Späherinnen berichtet haben.«
Wir hatten alle das Aussehen des Pöbels angenommen und materialisierten am Rande einer Stadt unseres Gebärvolkes. Interessanterweise ekelte es mich dieses Mal nicht an. Viel eher schienen meine Ausbildung und Prüfung bereits ein ganzes Leben zurückzuliegen.
Ich schenkte den Bauwerken des Pöbels nur einen kurzen Blick. Nie zuvor war ich in einer Stadt von ihnen gewesen, und es hatte mich auch nie interessiert. Dennoch erkannte ich die typisch turmartige Bauweise sofort wieder, da ich sie oft genug in Lehrbüchern betrachtet hatte.
Schweigend betraten wir die Stadt. Niemand nahm von uns Notiz. Alles ging seinen geregelten Gang, nichts war zu spüren von irgendwelchen mentalen Einflüssen. Ich ließ meine Hexen ausschwärmen und belanglose Gespräche mit den Eingeborenen suchen, um mehr herauszufinden, doch auch nach zwei Stunden hatten sie nichts erfahren, was auch nur im entferntesten mein Interesse weckte.
»Hier kommen wir nicht weiter«, fasste ich schließlich unsere Ergebnisse zusammen. »Falls es irgendwo etwas zu erfahren gibt, dann nur im Machtzentrum des Riffs. Ich denke, euch gefällt der Gedanke ebenso wenig, aber wir müssen uns damit abfinden, dass es sich dabei zurzeit um Gatamas Saritol, die Burgstadt der Jaycuul-Ritter handelt.«
»Du meinst, wir sollen die Gestalt von Jaycuul annehmen?«, fragte Lila, was bewies, dass sie endlich einmal einen Geistesblitz hatte. Sie schüttelte sich vor Ekel.
Ich machte eine verneinende Geste. »Es gibt nur sehr wenige Jaycuul-Ritter, viel weniger als die dreizehn mal dreizehn Hohen Hexen. Ich habe früher einige … Nachforschungen über Nistant betrieben. Alle Jaycuuls sind persönlich an Nistant gebunden und kennen sich gegenseitig. Nein, um nicht aufzufallen, müssen wir zu Termetoren werden.«
Alle Gesichter verzogen sich vor Abscheu, soweit es die Physiologie des Pöbelkörpers zuließ. Zwei Lilim würgten.
»Du willst wirklich, dass wir männlich werden?«, wagte es Lila als Einzige, auf meine Aussage zu reagieren.
»Nur äußerlich. Die Termetoren tragen Rüstungen, darunter kann man einiges verbergen. Wir sollten zuerst versuchen, genug dieser Rüstungen für uns zu erbeuten. Falls euch Termetoren anekeln, nun – wir brauchen nicht den Inhalt dieser Rüstungen …«
Damit hatte ich wieder alle Hexen auf meiner Seite, wie mir ihr gehässiges Grinsen bewies.
13.
Aurec und Constance folgten den drei martialischen Gestalten der Gruppe Zero und wären fast gegen sie geprallt, als sie urplötzlich stehen blieben. Bevor er den Mund öffnen konnte, gab ihm Feline mit einer herrischen Handbewegung zu verstehen, dass er still sein und in Deckung gehen solle. Die Elitesoldaten drückten sich ebenfalls hinter Tropfsteine.
»Termetoren!«, zischte sie.
»Sollten wir nicht wirklich eine andere …«, begann Aurec ebenso leise, als Corph Fakten schuf, indem er eine Granate über ihre Deckung in Richtung der Gegner warf.
Unwillkürlich hielt sich Aurec die Hände vor die Ohren, obwohl sein Schutzanzug ein Knalltrauma verhindern würde. Dennoch ging ihm die Wucht der Explosion durch Mark und Bein. Der Qualm pulverisierter Tropfsteine deckte sich wie Nebel über sie. Die Gruppe Zero nutzte dies als Aufbruchssignal und stürmte los. Nur Augenblicke später reichte seine Sicht gerade noch bis Constance. Dumpf vernahm er Kampfgeräusche.
Aurec ohrfeigte sich innerlich für die Anfängerfehler, die er bei dieser Mission begangen hatte. Schon die Auswahl der Teilnehmer war völlig falsch gewesen. Wieso hatte er nicht Scorbit um einige Leute der USO gefragt, anstatt auf die unkontrollierbaren Zeros zu setzen?
Weil er auf ihre Motivation gehofft hatte. Aurec seufzte. Ja, die hatten sie bewiesen.
Als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen, begannen nun auch wieder Constances Augenlider zu flattern. Sie erhob sich, als sei sie gerade am sichersten Ort der Welt.
Sofort zog er sie zu sich. »Hiergeblieben!«
Der Kampflärm schwoll an und es kam zu weiteren Explosionen. Wollten diese Psychos den ganzen Berg abreißen? Aurec hätte es nicht mal gewundert.
Constance öffnete die Augen. Völlig klar blickte sie ihn an. Ihre Mine verwandelte sich in Ärger. »Wir müssen sofort zu Maya. Es wird dringend!«
Aurec deutete in Richtung Kampflärm, wo durch den Qualm nach wie vor nur etwas zu hören war. »Du willst da durch? Das wäre Selbstmord!«
Die Hexe verschränkte die Arme vor der Brust. »Und dieser Frontalangriff der Gruppe Zero ist es nicht?«
»Hatte ich nicht versucht, sie davon abzubringen?«
»So kommen wir aber nicht weiter.«
»Das weiß ich doch!« Aurec raufte sich die Haare. »Und deshalb muss ich jetzt in Ruhe nachdenken.«
Constance ließ ihm diese Zeit nicht. Sie befreite sich aus seinem Griff und huschte in den Qualm davon. »Männer!«
Nun war es an Aurec, die Augen zu verdrehen. Reagierte die Hexe jetzt etwa noch zickig? Was war das nur für ein Tag. Erst die de facto Desertation der Zeros, dann die beiden Wissenschaftler, die lieber mit Pinsel und Spachtel spielen anstatt eine Mission durchführen wollten – und nun diese Constance.
Fluchend erhob er sich und eilte Constance hinterher. Wenn er doch nur etwas sehen könnte! Er probierte die Infrarotsicht seines Anzugs aus, doch bei den Explosionen und Thermostrahler-Schüssen konnte er sich noch weniger als zuvor orientieren.
Immerhin bekam er so die Position von Constance mit und folgte ihr. In traumwandlerischer Sicherheit hatte sie einen nicht ohne weiteres sichtbaren Spalt in einer gigantischen Barrikade entdeckt, die den überbreiten Gang vor ihnen ansonsten hermetisch abriegelte.
Soweit er das durch den Qualm beurteilen konnte, musste diese Barrikade ebenso steinalt wie der Rest der Anlage sein. Keine Zeit, weiter darauf zu achten, denn Constance war bereits aus seinem Blickfeld verschwunden. Woher wusste sie nur, wo sie diesen Geheimgang zu suchen hatte? Hatte Maya sie geleitet? Davon war auszugehen. Er zwängte sich ebenfalls durch den schmalen Durchlass und erreichte einen Raum, den der Qualm bisher nicht erreicht hatte. Dort lag Constance bewusstlos auf dem Boden.
Aurec fluchte. Genau damit hatte er gerechnet. Schnell hockte er sich ebenfalls hin, um potenziellen Gegnern keine Angriffsfläche zu bieten. Erst jetzt nahm er sich die Zeit, den Blick in die Umgebung schweifen zu lassen.
Der Name Zitadelle kam nicht von ungefähr. Der Raum, in dem sie gelandet waren, war gewölbeartig und klein, die Durchgänge führten durch meterdicke Wände. Auch hier musste vor Äonen ein gewaltiges Massaker stattgefunden haben, denn überall ragten Skelette aus dem versteinerten Staub. Er musterte ein nahegelegenes genauer und stellte fest, dass diese hier im Gegensatz zu den Knochen in der großen Kuppelhalle wenig Humanoides an sich hatten. Aurec erkannte drei Augenhöhlen und die Ansätze zweier Hörner. Insgesamt erinnerte ihn die Form sehr stark an die Succubi-Gestalt der Hexen. Ein weiteres Indiz, dass es dieses Volk bereits vor der »Erschaffung« im Galornia-System gegeben hatte?
Zumindest schien die Luft momentan rein zu sein. Er fasste Constance an den Schultern und versuchte, sie wachzurütteln. Alle ihre Muskeln waren verkrampft, die Augen nach innen gedreht und sie hatte Schaum vor dem Mund. Hier konnte er nichts ausrichten.
Aurec legte sie wieder auf den Boden und versuchte, die Ursache für ihren Schockzustand zu finden. Vielleicht hatte die Barrikade sie vor irgendetwas abgeschirmt, das hier in der Zitadelle nun voll seine Wirkung entfalten konnte. Ob ihr Betreten irgendeinen Alarm ausgelöst hatte? Er musste davon ausgehen. Inmitten dieser uralten Gemäuer war deutlich neuere Technik installiert worden, die voll funktionsfähig wirkte. Doch welcher dieser ganzen Apparate lähmte Constance?
Er stand auf und schlich zum nächstbesten Durchgang. Auch hier lagen Knochen, doch waren störende Teile abgeschnitten und der Boden so geebnet worden. Höchstwahrscheinlich zu dem Zweck, etwas Sperriges hier unkompliziert hindurch zu bekommen.
»Aurec, bitte kommen!«, erklang völlig unerwartet Felines Stimme in seinem Interkom. Wie gut, dass dieser nicht sonderlich laut eingestellt war. »Wir haben die Situation vorerst unter Kontrolle.«
»Constance und ich sind durch einen Durchschlupf in die Zitadelle vorgedrungen«, antwortete er flüsternd. »Leider gibt es wie erwartet Fallen, die Constance ausgeschaltet haben. Vermutlich eine spezielle Vorrichtung gegen Lilim. Ich hoffe, dass unser Eindringen ansonsten unbemerkt geblieben ist. Lenkt die Termetoren so gut wie möglich ab, während ich Maya suche.«
Ein undefinierbares Grunzen, dann ärgerlich: »Verstanden.«
Ein kurzer Piepton zeigte Aurec, dass Feline die Verbindung getrennt hatte. Er hoffte eindringlich, dass sie sich an sein Kommando halten und nichts Unüberlegtes tun würde.
Er schlich weiter durch den Durchgang und warf einen Blick in den dahinter liegenden Korridor. Mindestens zwanzig Kuttengestalten standen dort im Gang. Aurec huschte wieder zurück und jubilierte innerlich, dass er vorsorglich geflüstert hatte. Ihr Eindringen war tatsächlich unbemerkt geblieben.
Aurec kontrollierte den nächsten der insgesamt drei Ausgänge. Dieser führte in einen Raum ähnlich dem, in dem sie angekommen waren. Doch dieser war völlig leer und besaß auch keine weiteren Durchgänge. Blieb nur noch ein Gang übrig. Falls es dort genauso aussah, musste Aurec durch den Korridor mit den Termetoren.
Doch er hatte Glück. Zwar war diese Kammer ebenfalls ohne weiteren Durchgang, allerdings nicht leer. Dominiert wurde der Raum von einer gewaltigen Pritsche, auf der inmitten unzähliger Schläuche und Kabel Maya ki Toushi lag. Flankiert wurde die Rothaarige von zwei Termetoren, die genau in diesem Moment ihre Waffen hoben und schossen.
14.
Meine Lilim waren sogar so motiviert, dass wir binnen eines Nachmittages doppelt so viele Rüstungen wie benötigt zusammenhatten. Daher beschloss ich, die allzu sehr mit Blut und Körperteilen verunreinigten auszusortieren.
Dann kam der schwierigste Teil. Nicht nur mich kostete es einige Überwindung, das Aussehen eines Termetoren anzunehmen. So elend hatte ich mich seit den Übungen in der Akademie nicht mehr gefühlt. Einige Hexen übergaben sich sogar, aber das sah ich ihnen nach. Ich bildete bewusst weibliche Körpermerkmale heraus, um den anderen als Vorbild zu dienen, achtete aber darauf, dass diese gut in der Rüstung verschwinden konnten.
Schließlich war es soweit. Wir fassten uns an den Händen und teleportierten in die Region von Gatamas Saritol.
Obwohl keine von uns bisher auch nur in der Nähe von Nistants Residenz gewesen war, materialisierten wir glücklicherweise außerhalb der direkten Sicht der Stadt. Termetoren konnten nicht teleportieren, daher hätte unser plötzliches Auftreten doch für einige Irritationen gesorgt.
Gatamas Saritol lag nicht weit von unserer ehemaligen Stadt Maagan entfernt, und doch hätte sich die Gegend nicht stärker unterscheiden können. Die gesamte Landschaft war übersät von Vulkanen, die brodelnd ihr kochendes Gestein in die Luft stießen. Mich überkam ein mulmiges Gefühl, als mir bewusst wurde, dass die Jaycuul während ihres kurzen, aber heftigen Angriffs Maagan und die umliegenden Lilim-Dörfer in eine ebensolche Feuerwüste verwandelt hatten.
Gatamas Saritol selbst ragte wie ein Krebsgeschwür in diese von Glut dominierte Landschaft. Schwarze, abweisende Spitzen dominierten die Stadt, als wollten sie jeden aufspießen, der sich von oben her näherte. Alles bestand aus Türmen, organisch wirkenden Gebäuden und unzähligen rotglühenden Fenstern. Auf einigen Spitzen konnte ich sogar sichelartige Verzierungen ausmachen, die vermutlich messerscharf waren.
Zwischen diesen Albträumen irrer Architekten trieben Aschewolken der nahen Vulkane umher, ohne sich jedoch irgendwo abzusetzen und damit das schwarze Material aufzuhellen.
Dann spürte ich den Einfluss, von dem die Späherinnen berichtet hatten. Wie ein kalter Lufthauch zog er unter meine Rüstung und ließ mich frösteln. Hinzu kam ein sanftes Ziehen in meinem Kopf, irgendwo zwischen der Ermattung, die eine nach stundenlanger Konzentration überkam, und richtigen Kopfschmerzen.
Es bereitete mir wenig Mühe, dieses Gefühl zu überwinden. »Beeindruckend«, kommentierte ich zynisch.
Ich bemerkte an der Mimik zweier Hexen, dass es ihnen wohl stark zu schaffen machte, und baute mich vor ihnen auf. Zwar konnte ich nicht damit rechnen, als Termetor in irgendeiner Weise beeindruckend zu wirken, hoffte jedoch, dass sie meine Ausstrahlung und ihr Respekt mir gegenüber zur Vernunft brachte. Tatsächlich richteten die zwei sich schnell auf und taten so, als wäre nichts passiert.
Eine Gruppe Termetoren trat um die Ecke, doch außer einem gelangweilten Seitenblick widmeten sie uns keinerlei Aufmerksamkeit. Erleichtert atmete ich auf. Diese Termetoren hatten sich tatsächlich stark verändert. Nistants Krieger, die uns vor Jahren in Maagan angegriffen hatten, waren große, muskulöse Männer gewesen – respektable, wenn auch uns nicht ebenbürtige Kämpfer. Doch diese Wesen waren abgemagert, blass und ausgezerrt, als hätten sie seit Monaten in einem lichtlosen Verlies dahinvegetieren müssen. Ein Verlies wie unsere Zitadelle … Zwei von ihnen trugen nicht einmal mehr die typischen Rüstungen, sondern Kutten, die ihren Körper verhüllten, als wäre ihnen das Tageslicht unangenehm.
»Ihr seht, dass unsere Tarnung funktioniert«, flüsterte ich meinen Mitstreiterinnen zu. »Dann wollen wir mal weiter in diese idyllische Stadt vorstoßen. Wer weiß, vielleicht wird sich Karmoth bald nicht mehr an seinem Sieg über die Lilim erfreuen können.«
Unsere anfängliche Motivation sank sehr schnell, denn mit jedem Schritt, mit dem wir weiter in die Stadt eindrangen, wurde der schädliche Einfluss stärker. Inzwischen spürte auch ich starke, pochende Kopfschmerzen, die meine Gedanken verwirrten. Damit war ich aber noch gut dran, denn die anderen Lilim hatten ihre Termetoren-Gesichter vor Schmerz verzerrt und schleppten sich eher vorwärts, als das sie koordiniert gingen.
Dann brach die Erste zusammen. Sofort war ich bei ihr. »Steh auf … wir müssen weiter!« Ich musste bewusst nachdenken, damit mir die Worte einfielen.
Die Hexe gurgelte und würgte etwas hervor, das ich nicht verstand. Ihr Gesicht war inzwischen genauso eingefallen und blass wie das der Termetoren, denen wir am Stadtrand begegnet waren. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und hatten sichtliche Mühe, mich zu fokussieren. Ihr Körper begann zu zucken, dass ich schon fürchtete, sie würde sich zurückverwandeln, doch dann bäumte sie sich noch einmal auf und lag plötzlich ganz still da.
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich mich überwinden konnte, nach ihrem Puls zu fühlen. Nichts. Tot!
Schockiert erhob ich mich wieder. Die drückenden Kopfschmerzen hinderten mich daran nachzudenken. Die anderen Lilim waren inzwischen näher an die Tote herangerückt. Ich blickte in eingefallene, bleiche Gesichter.
»Müssen … weiter«, lallte ich und stieß die Nächstbeste an. »Macht … Zentrale … Karmoth!«
Zögernd und torkelnd setzten wir unseren Weg fort. Seit Stunden hatten wir kein lebendiges Wesen mehr erblickt, was mir aber erst jetzt in einem kurzen lichten Moment bewusst wurde. Täuschte ich mich, oder waren die Spitzen der Gebäude in Blut getränkt? Vor lauter Kopfschmerzen kam ich nicht dazu, genauer hinzusehen. Ich hielt die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und setzte mühsam einen Fuß vor den anderen. Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, dass sich die Rüstung langsam aber sicher mit Blei füllte.
Dann fiel eine weitere Hexe einfach um und blieb reglos liegen.
»Weiter!«, brüllte ich und versuchte, die Lilim neben mir weiter zu zerren, doch immer wieder glitten meine Finger ab. Ich geriet ins Straucheln und fiel hin. Wie in einer Kettenreaktion ließen sich auch die anderen Hexen zu Boden sinken.
»Wir werden alle sterben«, vernahm ich eine lallende Stimme. War es Lila? Diese Kopfschmerzen!
»Nein!«, brüllte ich und versuchte, auf die Beine zu kommen, doch sie versagten mir ein weiteres Mal den Dienst.
Urplötzlich ließ der Druck nach und die Kopfschmerzen verschwanden. Irritiert blickte ich mich um und stellte fest, dass die Hexen instinktiv einen Psi-Block gebildet hatten, um mich und sich selbst zu schützen.
Sollten wir abbrechen und uns aus dieser Stadt teleportieren? Aber was hätten wir dann gewonnen? Wer oder was auch immer für das hier verantwortlich war, würde seinen Einfluss nicht auf Gatamas Saritol beschränken, sondern nach und nach auf das ganze Rideryon ausdehnen. Irgendwann würde er auch uns in unserer Zitadelle erreichen. Wollte ich mich weiterhin verkriechen, oder hier und jetzt etwas bewegen? Vor allem brauchte ich dazu den Psi-Block der anderen. Irgendwie musste ich sie dazu bringen, sich für mich zu opfern …
Langsam löste ich mich aus der Rüstung. Wenn doch nur irgendeine meiner Ausbilderinnen hier gewesen wäre! Egal, wie ich sie verachtet hatte, jetzt hätte ich mich nach einem Rat oder auch nur nach einer Aufmunterung gesehnt. Der letzte Teil der Termetorenrüstung glitt zu Boden. Ich suchte Lilas Blick. Trotz ihrer Konzentration erwiderte sie ihn. Obwohl sie äußerlich ein Termetor war, sah ich tiefe Traurigkeit und Resignation in ihren Augen schimmern.
Nur eine kurzes Besinnen war nötig, dann hatte ich wieder Liliths Gestalt angenommen. Lilith, wo bist du? Ich erstarrte. Wie hatte unsere Schöpferin noch vor ihren Verschwinden gesagt? Die meisten Lebewesen brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Wenn ich euch, meinem Volk, nicht mehr als solches dienen kann, müsst ihr euch neue Symbole schaffen. Vielleicht verratet ihr ihm auch einfach nicht, dass ich fort bin. Manchmal können sogar kleine Dinge Großes bewirken!
Stöhnend kam ich nun endlich auf die Beine. Eine weitere Hexe spuckte Blut und brach gurgelnd zusammen. Ich brach telekinetisch ein rechteckiges Stück aus der nächstbesten Hauswand und ließ es über meinem Kopf schweben, so dass es alle sehen konnten.
»Lilim!«, rief ich und drehte mich langsam im Kreis, um nacheinander alle anzublicken. »Wir stehen an einem Scheideweg. Weichen wir zurück und überlassen unserem Gegner alles kampflos, oder stehen wir auf und kämpfen? Nie habe ich euch gesagt, was mit Lilith, unserer Göttin, geschehen ist …« Ich zögerte und suchte wieder Lila ki Toushis Blick. Er gab mir die Kraft weiterzusprechen. »Wir müssen davon ausgehen, dass sie tot ist. Sie hat ihr Leben gegeben, um uns vor Nistant zu retten. Und so, wie sie es getan hat, müssen auch wir jetzt den Mut aufbringen, den Letzten unseres Volkes die weitere Existenz zu ermöglichen.«
Ein dicker Kloß hatte sich in meiner Kehle gebildet und hinderte mich daran weiterzureden. Ich blickte reihum in entsetzte Gesichter. Zwei Lilim vertrugen den Schock nicht, gaben den Psi-Block auf und starben. Inzwischen waren wir nur noch neun – und bald alle tot.
Ich schüttelte diesen Gedanken ab. »Seht her! Ich habe wieder die Gestalt Liliths angenommen und bitte euch, das ebenfalls zu tun. Unsere Schöpferin hat uns verlassen, so ist es keine Ketzerei, ihr Äußeres zu tragen, sondern ein Andenken an sie! Falls ihr euch aber dennoch nicht überwinden könnt, verwandelt euch wieder zurück. Denn eines wollen wir nicht: Dem Gegner in Maskerade gegenübertreten!«
Nach und nach schälten sich die Hexen aus den Termetorenrüstungen und verwandelten sich. Tatsächlich ließen sich vier durch mich davon überzeugen, Liliths Äußeres anzunehmen, darunter auch Lila. Ich trat auf sie zu und nahm sie in den Arm. Nie hatte ich das zuvor in Gegenwart anderer Lilim gewagt, doch ich ging nicht davon aus, dass man mir das hier und jetzt als Schwäche auslegen würde. Momentan brauchte ich einfach nur die Energie, die mir diese Geste gab – und Lila erwiderte sie mit aller Kraft. Zum ersten Mal spürte ich körperliche Nähe zu einer, die ebenfalls Liliths Körper trug, rieb sich weiche Haut an weicher Haut. Es fühlte sich gut an.
Nach einigen Herzschlägen der Ruhe zwang ich mich, in die Gegenwart zurückzukehren. »In dieser Tafel wollen wir unsere Namen verewigen, als Zeugnis, dass wir auch zuletzt nicht den Mut verloren haben.«
Ich rief nacheinander jede Hexe auf, ließ sie ihren Namen vor der kleinen Gruppe sagen und kratzte ihn dann telekinetisch in die Tafel. Als Letztes fügte ich Lilas und meinen Namen hinzu, dann ließ ich die Tafel in eine der nun nutzlos gewordenen Rüstungen schweben.
»Der Antigrav dieser Rüstung wird unsere Namen in Liliths Thronsaal bringen und unser Andenken dort für alle Zeiten bewahren.«
Ich programmierte die Rüstung und wir blickten ihr nach, wie sie in den Ascheschwaden verschwand. Noch einmal drückte ich Lila fest. Dann fassten wir uns alle wie auf ein unsichtbares Kommando gegenseitig an den Händen und sprangen.
Genau in Nistants Thronsaal.
15.
Aurec warf sich geistesgegenwärtig in Deckung, und die Energiebahnen verfehlten ihn um etwa eine Handbreite. Noch im Fallen zerrte er seinen eigenen Kombistrahler aus dem Holster und gab einige unkontrollierte Schüsse in den Durchgang ab. Falls jetzt die Termetoren im Korridor draußen aufmerksam wurden, hatte er keine Chance. Also musste er seine beiden Gegner so schnell wie möglich ausschalten.
Er rannte am Durchgang vorbei, zielte und schoss. Als er ihn fast passiert hatte, sah er bereits einen der beiden Termetoren zusammenbrechen. Insgesamt hatte alles nur wenig mehr als eine Sekunde gedauert. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich an der Mauer abfing. Da der Termetor zusammengebrochen war, konnte er keinen Schutzschirm tragen. Natürlich! Diese beiden Kuttengestalten hier waren vermutlich Ärzte, die Maya beobachten sollten. Inmitten des Gebirges und zwischen den Parafallen fühlten sie sich sicher.
Mit einem gewaltigen Satz sprang er vor den Durchgang und suchte seinen zweiten Gegner. Doch auch dieser hatte Zeit zum Reagieren gehabt. Der Termetor hatte Mayas Oberkörper angehoben und war dahinter in Deckung gegangen. Mayas Kopf hing schlaff herunter, doch das hinderte den Kuttenträger nicht daran, seine Waffe auf ihre Wange zu pressen.
»Wenn du näher kommst, töte ich sie«, zischte der Termetor, und dann lauter: »Alarm! Eindringlinge!«
Nun hatte Aurec keine Wahl mehr, es ging ums nackte Überleben. Seine Hand zuckte schräg nach unten, dann schoss er auf ein Aggregat, das sich in einer hinteren Ecke des Raums befand und sofort explodierte. Der Termetor wurde von mehreren Bruchstücken in den Rücken getroffen und brach zusammen. Aurec konnte nur hoffen, dass Maya möglichst wenig abbekommen hatte. Mit zwei Schritten war er bei ihr und riss Kanülen und Elektroden von ihrem Körper.
Das hinterließ mit Sicherheit Wunden, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er warf sich die Frau über die Schulter und eilte aus dem Raum, dann gab er noch weitere Schüsse auf die Technik ab, um auch den Rest zu zerstören. Irgendeines der Aggregate musste das Anti-Psi-Feld generieren, aber er konnte nicht danach suchen.
Bei Constance angekommen, zog er diese in Deckung und ließ Maya von seiner Schulter gleiten, bevor er einige Schüsse in den Durchgang zum Korridor abgab. Wenn die Termetoren da draußen Schutzschirme trugen, blieben ihnen nur einige Sekunden. Falls nicht, vielleicht ein wenig länger.
»Constance!« Er rüttelte den Oberkörper der Hexe durch und gab ihr einige Ohrfeigen. Bei Maya versuchte er erst gar nicht sein Glück. »Komm zu dir! Wir müssen sofort hier weg!«
Ein Schuss fauchte durch den Raum, noch ungezielt und meterweit daneben, aber das würde sich schnell ändern. Aurec feuerte auf der Stelle zurück. Die unfassbare Robustheit des Materials, die diese Räumlichkeiten in all den Jahrmillionen instand gehalten hatte, wurde ihm nun zum Verhängnis. Normalerweise hätten wenige Schüsse des Thermostrahlers gereicht, um die Decke einstürzen oder zumindest brennendes Gestein heruntertropfen zu lassen. Nicht aber hier – der hellblaue Stoff steckte die Energie weg, ohne auch nur zu glühen. Der Schmelzpunkt dieses unbekannten Materials musste unfassbar hoch sein.
Er hörte ein gurgelndes Geräusch und riskierte einen Blick. Constance schien zu sich zu kommen, in ihren Körper war Bewegung gekommen. Gleichzeitig tauchte der Körper eines Termetoren im Durchgang auf. Aurec schoss, ohne zu überlegen.
»Aufwachen, Constance!«, rief er der Entropin zu, während er den Gegner unter Beschuss nahm. »Gegen diese Übermacht haben wir keine Chance. Aber ich habe Maya gefunden, wir haben Erfolg gehabt! Hilf mir, wir müssen in den Durchgang!«
Diese Aussage brachte Constance endgültig zu Bewusstsein. Sie schleppten Maya durch den Spalt. Aurec hatte die hintere Position eingenommen und schoss immer wieder hinter sich. Als er erkannte, dass das Material der Barrikade seinen Thermoschüssen nicht standhalten konnte, jubilierte er innerlich auf. Mit einigen wohl dosierten Schüssen ließ er den Durchschlupf in sicherer Entfernung einstürzen. Nun hatten sie erst einmal Ruhe.
»Feline, wir haben es geschafft und Maya rausgeholt«, rief er in seinen Interkom. »Brecht euren Angriff ab und kommt uns abholen!«
Er trennte die Verbindung, und kaum hatten sie das Ende des Durchschlupfs erreicht, ließ er die Anspannung von sich abfallen und sank einfach stöhnend zu Boden. Sie waren nicht nur lebend dort wieder herausgekommen, sondern hatten sogar noch Maya befreien können!
*
Plötzliche Kampfgeräusche rissen Cauthon Despair aus seinen trüben Gedanken, die sich weitaus mehr um Constance drehten, als ihm lieb war.
Schnell legte er die letzten Schritte zurück. Unten öffnete sich der enge Gang zu einer großen Kammer, von der mehrere Korridore abzweigten. Hier hatten Termetoren erneut einen Hinterhalt gelegt, über die Goshkan nun herfiel. Knapp die Hälfte der Gegner hatte er bereits in dieser kurzen Zeitspanne zerfleischt.
»Goshkan, es reicht!« Cau Thons Stimme glitt schneidend wie ein Schwert durch den Saal. »Wir brauchen mindestens einen lebend.«
Doch Goshkan reagierte nicht, sondern stürzte sich auf den nächsten Termetor und riss ihm den Kopf von den Schultern. Despair ignorierte das hässliche Geräusch, das dabei entstand, und trat zu Cau Thon. »Es hat keinen Sinn. Er ist wieder in seinen Blutrausch gefallen.«
Cau Thon antwortete nicht, sondern katapultierte sich nach vorn, genau auf Goshkan zu. Dieser war bereits beim letzten Gegner angekommen, da schleuderte Cau Thon ihn zu Boden und hielt ihm die Spitze seines Stabes an die Kehle. Goshkan brüllte noch einmal auf, doch dann kam er zur Besinnung.
Despair widmete sich derweil dem letzten lebenden Termetor. Goshkan hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt und seine Eingeweide teilweise mit sich gerissen, als er von Cau Thon getroffen wurde. Die ausgemergelte Gestalt würde nur noch Minuten zu leben haben. Nun gut – für eine Befragung reichte es.
»Wo ist Aurec?«, fuhr er den Termetor an. »Wo haltet ihr Maya ki Toushi gefangen?«
Der Todgeweihte stieß ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen Gurgeln und Krächzen lag. Obwohl er höllische Schmerzen durchleiden musste, war sich Despair irgendwie sicher, dass er ausgelacht wurde.
»Ihr kommt zu spät«, bestätigte der Termetor seine Vermutung. »Sie haben Maya bereits mitgenommen.«
Cau Thon hatte den letzten Satz mitbekommen. Wütend stieß er dem Termetor die Klinge an der Spitze seines Stabes zwischen die Augen und zog sie erst wieder zurück, als das Zucken des Körpers aufhörte.
»Das werden wir ja sehen …«
*
Denise Joorn hätte zu gern weiter die Kommandozentrale untersucht, doch gleichzeitig platzte sie nun vor Neugier, was es mit Maya auf sich hatte. Abgesehen davon schien es sinnvoll, sich erst einmal an einen geheimen Ort zurückzuziehen, da die Termetoren im einstigen Zentrum der Stadt als Erstes nachsehen würden.
So wartete sie mit Sato Ambush, wie in der empfangenen Nachricht angegeben, inmitten von Tropfsteinen auf das Eintreffen der anderen. Der Pararealist hatte seit seinem Erfolg mit dem Computersystem der Jaycuul kaum noch ein Wort geredet, so faszinierend schien er die fremde Technik und die darin verborgenen Informationen zu finden.
Denise seufzte leise. Zwar bestanden auch über neunzig Prozent der Arbeit eines Archäologen aus Recherchen, doch nichts packte sie mehr, als hinauszuziehen in die Welt und die Fundstücke im wahrsten Sinne des Wortes zutage zu fördern. Fast zärtlich glitten ihre Fingerspitzen über die Gedenktafel, in der Mayas Name seit Jahrmillionen eingraviert war. Das waren Dinge, die sie spannend fand, nicht das Anschauen von Holokuben!
Beinahe hätte sie vor Langeweile wieder die Unterlippe bearbeitet, da tauchten ihre Gefährten auf. Die Oxtorner trugen Constance und Maya, während Corph de Trajn und Aurec sichtlich erschöpft hinterher trotteten. Letzterer ließ sich sofort stöhnend zu Boden sinken, während der Arkonide sich nichts anmerken lassen wollte. Denise zuckte innerlich mit den Schultern. Sollte er doch den starken Mann mimen, falls er das nötig hatte.
Dann fiel ihr Blick auf Maya ki Toushi und sie riss entsetzt die Hände vor den Mund. Die rothaarige Frau, die sie bis vor kurzem für eine Terranerin gehalten hatten, sah schlimm aus. Zwar waren ihre Blessuren bereits behandelt worden, doch überall übersäten Wunden und Schnitte ihren Körper. Was hatten die Rideryonen ihr bloß angetan?
Shan Mogul ließ sie sanft zu Boden gleiten und Feline Mowac tat es ihm mit Constance Zaryah Beccash gleich. Dann blieben die beiden Oxtorner ratlos stehen.
Denise hielt es hingegen nicht mehr auf ihrem Platz, sie eilte zu Maya und untersuchte ihren Körper. Auf ihren teils dramatischen Reisen hatte sie einiges über Erste Hilfe gelernt, aber die Gruppe Zero schien hier um einiges besser geschult zu sein. Sie musste neidvoll anerkennen, dass Maya in Anbetracht der Lage perfekt versorgt war. Aber wieso war sie dann ohne Bewusstsein?
Die Archäologin widmete ihre Aufmerksamkeit nun Constance. Der Hexe schien äußerlich nichts zu fehlen, doch auch hier zeigte der Körper keine Reaktion.
»Ich vermute, dass irgendeine Abwehrschaltung gegen Lilim sie geschwächt hat.« Aurec keuchte und fuhr sich fahrig durch die verschwitzten Haare.
Denise nickte. Also war Maya momentan eindeutig interessanter. Sie flößte ihr etwas von ihrem Trinkwasser ein und injizierte ihr ein stärkendes Präparat. Nun konnte sie ebenfalls nur warten.
Es dauerte geschlagene zwanzig Minuten, dann schlug Maya ki Toushi plötzlich die Augen auf. Stöhnend richtete sie den Oberkörper auf. Dabei musste ihr Blick auf die malträtierten Arme gefallen sein, denn sofort setzte sie sich auf und begutachtete ihre Hände ausgiebig.
»Wer von euch Arschlöchern war das?« Wütend huschte ihr Blick zwischen Sato Ambush und Aurec hin und her. »Und wo habt ihr mich hingeschleppt?«
»Das wollten wir eigentlich von dir wissen, Maya.« Aurec rutschte etwas näher heran, was Maya dazu motivierte, abwehrbereit die Fäuste zu heben. »Jetzt beruhige dich doch! Dein mentaler Ruf hat Constance erreicht und wir konnten dich aus den Händen der Jaycuul befreien.«
»Mentaler Ruf?« Maya wurde zusehends aggressiver. »Sehe ich etwa so aus, als wäre ich neuerdings eurem komischen Mutantenkorps beigetreten?« Sie lehnte sich mit dem Rücken an einen Stalagmiten und verschränkte die Arme vor der Brust. Zwei Sekunden saß sie ruhig, dann riss sie provozierend den Reißverschluss ihres Overalls bis etwa zum Bauchnabel auf. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass wir an Bord der DUNKELSTERN waren.« Sie fixierte zum ersten Mal Feline. »Was ist danach passiert?«
»Die behaupten alle, du wärst eine …«, ihre Hand ruderte hilflos in der Luft herum, bis Feline schließlich mit dem Finger auf Constance deutete, »… von denen.«
Mayas Augen weiteten sich entsetzt, dann begann sie zu kichern und hielt sich die ausgestreckten Zeigefinger wie Hörner an die Stirn. »Ich bin eine Hexe! Huhu … ich werde euch allen die Beulenpest an den Hals wünschen!«
Die anderen Zeros stimmten mit in ihr Lachen ein, während die übrigen Anwesenden einander ratlos musterte. Der Lärm weckte auch Constance auf, die sich mit sichtlicher Mühe hochstemmte und dann ebenfalls irritiert das Gesehen beobachtete.
»Dann wäre das ja endlich geklärt.« Feline wischte sich einige Tränen aus dem Gesicht.
»Nicht ganz …« Während der Lachattacke war Denises Hand suchend in ihren Rucksack geglitten. Sie hielt Maya ihr Fundstück unter die Nase und legte den Zeigefinger genau unter die letzte Zeile. »Du kannst mir doch sicherlich erklären, wie dein Name auf diese Jahrmillionen alte Gedenktafel kommt, oder?«
Maya sparte sich einen Blick darauf und zog lieber die Augenbrauen zusammen. »Das wird wohl eine zufällige Namensgleichheit sein. Ist doch nicht unwahrscheinlich, dass es eine ähnliche Lautfolge schon mal irgendwo gegeben hat.«
Sie seufzte theatralisch, warf die Haare mittels Kopfbewegung nach hinten und drehte den Oberkörper dabei wie unabsichtlich so, dass sich Aurecs Blick an ihrem Ausschnitt festsaugte. »Ich gebe ja zu, dass ich mich an meine Kindheit nicht erinnern kann, aber beim TLD haben sie mein Alter auf sechzehn Jahre geschätzt und festgestellt, dass ich Terranerin bin. Wie passt denn das zu deiner aberwitzigen Theorie?«
Sie nahm Denise die Tafel aus der Hand und wollte sie wohl kopfschüttelnd wegwerfen, doch dann blieb ihr Blick an den Schriftzeichen hängen und ihre Augen weiteten sich.
Denise war sich sicher, dass sie soeben den vorletzten Namen entdeckt hatte – und dass sie somit die Schrift lesen konnte.
»Da steht Lila ki Toushi«, konnte sie sich nicht verkneifen, der fassungslosen Maya mitzuteilen. »Du hast damals eine Schwester gehabt.«
»Lila …« Maya flüsterte den Namen nur und ließ ihre Fingerspitzen andächtig über die Schriftzeichen streichen, dann schossen ihr Tränen in die Augen. »Lila … war nicht meine Schwester …«
Sie ließ sich wieder zurückfallen, dabei den schwarzen Stein fest umklammert. Denise sah, dass Tränen in ihre Augen schossen.
»Maya, was ist mit dir?« Es war das erste Mal, dass Denise Feline so leise und unsicher reden hörte.
Alle zuckten zusammen, als Maya plötzlich die Tafel von sich schleuderte und aufsprang.
»NACHJUL!«
Ein Eisschauer jagte Denise über den Rücken. Noch nie hatte sie einen so hasserfüllten Schrei gehört.
16.
Nur Augenblicke nach unserer Rematerialisierung brach der Psi-Block zusammen. Fünf weitere Hexen starben auf der Stelle und schlugen dumpf auf dem Boden auf. Sofort brachen die Kopfschmerzen mit aller Gewalt über mich herein. Ich schrie und hörte auch die anderen Überlebenden schreien. Es drang durch meinen gesamten Körper, kroch in jeden Muskel, jede Nervenzelle. Mein ganzes Selbst, mein ganzes Empfinden war nur ein gigantischer Schmerz, der mir die Lebenskraft entzog.
Obwohl ich kaum etwas erkennen konnte, gelang es mir, die Hände der anderen Lilim zu erfassen. Unter Mobilisierung aller Reserven konnte ich den Psi-Block erneuern. Der Druck fiel nicht von uns ab, wurde aber erträglicher. Ich sah, dass meine Mitstreiterinnen aus Augen, Mund und Nase bluteten, und schmeckte ebenfalls einen metallischen Geschmack. Täuschte ich mich, oder war da ein Flüstern in meinen Gedanken, etwas, das Einfluss auf mich nehmen wollte?
»Wir – müssen – weiter – er – muss – hier – irgendwo – sein«, stieß ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und versuchte, zwischen all den Sinnestäuschungen den Raum zu erkennen.
Zweifaches Gurgeln, dann ein Aufprall. Nun hielt ich nur noch Lila in meinen Armen. Ihre zuvor so strahlend blauen Haare waren fahl und spröde geworden, das Gesicht nur noch eine Parodie von Schönheit.
»Nur – nur noch wir beide.« Ihre Stimme war kein Flüstern mehr, eher ein Hauch. Sie spuckte Blut und versuchte, eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, doch die Hand versagte ihr den Dienst. Ihre Augenlieder flatterten, dann schlossen sie sich.
»Lila!« Tränen schossen mir in die Augen und vermischten sich mit Blut zu einer rötlichen Flüssigkeit, die auf ihr Gesicht tropfte. Ich schüttelte sie, rüttelte ihren Körper durch. »Komm zu dir!«
Röchelnd kam sie wieder zu Bewusstsein. Ich sah einen Moment nur weiß in ihren Augen, dann blickte sie mich an. Ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
»Von diesem Moment habe ich schon lange geträumt«, hauchte sie und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, dann sackte ihr Kopf nach hinten und bewegte sich nicht mehr. Ihr Körper in meinen Armen erschlaffte.
»Lila!« Abermals schüttelte ich sie, doch Kopf und Arme schlugen wie die leblosen Extremitäten einer Puppe durch die Luft. »LILA KI TOUSHI!«
Ich ließ sie los, und ihr Körper plumpste wie ein Sack zu Boden. Ich fühlte nicht nach ihrem Puls, denn ich wusste genau, wie sinnlos es war.
Und ich wusste genau, wer dafür verantwortlich war.
Mit Lilas Tod war der Psi-Block endgültig zusammengebrochen, der Schmerz kehrte in meinen Körper zurück. Jede einzelne Zelle meines Körpers stand in Flammen und ich fühlte, dass mir die Lebenskraft entrann.
Alle Traurigkeit war aus meinem Körper gewichen, keine weitere Träne verließ meine Augen. Nur noch eine Emotion erfüllte mein Sein: Rache, Rache für den Tod Lilas und aller anderen, die Nistant und seine Schergen auf dem Gewissen hatten.
»KARMOTH!«, brüllte ich mit aller Kraft, zu der ich fähig war. »KARMOTH!«
Mein Fuß wog eine Tonne, und doch gelang es mir, ihn hochzuwuchten und einige Handbreit nach vorn zu schieben. Dasselbe mit dem anderen Fuß. Immer wieder rief ich den Namen des Monsters, das mit Lila einen Teil meiner Selbst getötet hatte. Nie zuvor hatte ich mir sehnlichster den Tod eines Lebewesens gewünscht und wollte es mehr leiden sehen.
Von einem Augenblick zum anderen versagten die Muskeln in den Beinen ihren Dienst, und meine Knie klappten wie Scharniere zusammen. Reflexartig wollte ich mit den Armen den Fall abfangen, doch auch hier gehorchten mir meine Glieder nicht. Die Pein, als meine Stirn auf den Boden schlug, übertraf sogar die allgegenwärtigen Schmerzen.
Irgendwie schaffte ich es, den Oberkörper wieder aufzurichten. Blut floss über meine Stirn, schränkte das Sichtfeld noch weiter ein, doch mein Hass trieb mich weiter.
Auf allen Vieren kroch ich in die Richtung, in der der tödliche Einfluss stärker wurde. Längst hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen und wollte nur noch Karmoth mit ins Verderben reißen.
Dann stand er vor mir. Nur noch wage erinnerte mich dieses Monster an den, der einmal Nistants General gewesen war. Er hatte sich auf groteskeste Art verändert, obwohl er im Gegensatz zu uns Hexen sein Äußeres doch gar nicht verändern konnte.
Was einmal ein markantes, männliches Gesicht gewesen war, ragte nun deformiert nach vorn, um einen stark vergrößerten Gebiss Platz zu bieten. Von der ebenfalls verlängerten Stirn bogen sich sechs rotglühende Hörner nach vorn, die nichts von der Anmut unserer Hörner besaßen. Seine Stirnpartie wurde von einem einzigen, blutunterlaufenen Auge dominiert, das mich verächtlich musterte. Immer wieder zuckte eine viel zu lange, gespaltene Zuge aus dem Maul hervor und drang in die Nasenlöcher.
In diesem Moment wurde mir klar, dass das hier nicht Karmoth war – oder zumindest nicht mehr. Irgendetwas hatte von ihm Besitz ergriffen und strahlte diese tödliche Energie aus. Ein Wesen oder eine Identität, die nicht in diese Welt, nicht einmal in dieses Universum gehörte. Eine Existenzform, die alles Leben verachtender nicht sein konnte. Ich versuchte, ihm den Kopf vom Hals zu reißen, doch meine telekinetischen Finger trafen ins Leere, als gäbe es dort nichts.
»Wer bist du?«, wollte ich ihm trotz aller Schmerzen entgegen schleudern, doch mein Rachen war voller Blut, so dass ich lediglich ein Gurgeln zustande brachte.
Das, was einmal Karmoth gewesen war, hatte mich dennoch verstanden.
»NACHJUL«, donnerte eine Stimme durch den Saal. Ich fühlte einen stechenden Schmerz, der mein Gehör vernichtete.
NACHJUL!, erklang die Stimme ein zweites Mal direkt in meinen Gedanken und bohrte sich wie tausend Messer durch den Schädel. Mein gesamtes Blickfeld füllte sich rot, dann sah ich nichts mehr. Kaum noch spürte ich, wie ich endgültig zu Boden knallte.
Mein Herz überlebte die Sinne nur wenige Augenblicke, dann stellte es ebenfalls seine Funktion ein.
Lila, ich komme!, war mein letzter Gedanke, bevor auch mein Körper starb.
17.
Irgendetwas geschah mit Mayas Körper. Ihr Gesicht veränderte sich, beulte sich aus. Ihr Oberkörper wurde größer und überzog sich mit ledriger, brauner Haut.
Instinktiv hatten Feline und Mogul ihre Strahler gehoben und auf das gerichtet, was bis vor kurzem noch die lebhafte Maya gewesen war. Da schnellte Constance hoch und warf sich in die Schussbahn.
»Nein!«, schrie die Hexe. »Maya wird sich gerade bewusst, was sie wirklich ist. Lasst sie!«
Teilweise mit Abscheu, teilweise mit nicht zu bezwingendem Interesse beobachteten sie, wie Maya endgültig die Gestalt eines Succubus annahm. Sie warf den hornbewehrten, dreiäugigen Kopf herum und brüllte erneut, jetzt im Bariton statt im Sopran:
»NACHJUL! Oder MODROR, wie du dich jetzt nennst. Du hast Lila auf dem Gewissen!«
Einige der Tropfsteine in der Umgebung barsten. Denise schauderte. Das, was sie da befreit hatten, war kein Wesen aus Fleisch und Blut, es war eine Naturgewalt.
Dann ließ sich der Dämon zu Boden sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Nach und nach verwandelte sich die verstörende Gestalt wieder in eine schluchzende Maya zurück.
»Lila konnte von SI KITU gerettet werden, weil die Hüterin uns vor NACHJUL schützte, doch ich werde sie nie wiedersehen, weil ich zu einem ganz bestimmten Zweck hier bin.«
Zum ersten Mal seit ihrer Verwandlung sah sie, nach Momenten des Zögerns, den anderen wieder in die Augen. Beiläufig schloss sie den Reißverschluss über ihrer Brust bis zum Hals. Wie durch ein Wunder hatte der Overall die Verwandlung unbeschadet überstanden.
»Ich kann mich wieder an alles erinnern. Und ich möchte euch an meinem ersten Leben teilhaben lassen, damit ihr versteht, warum ich damals scheiterte …«, sie ballte die Fäuste, »… und warum MODROR unbedingt vernichtet werden muss! Wo fange ich an? Am besten an dem Tag, an dem ich die Abschlussprüfung ablegte und meinen Namen bekam …«
*
Goshkan heulte auf, als er das Ende des Ganges erreichte. Wütend zerfetzte er einige Tropfsteine. »Das ist nicht fair!«
Despair ignorierte ihn und trat an eine der Leichen. Wer auch immer vor ihnen hier gewesen war, hatte kurzen Prozess gemacht, wie es Goshkan kaum besser hinbekommen hätte. Keiner der Termetoren war noch am Leben, und kaum noch einer war in einem Stück. Hier musste ein großes Gemetzel mit Thermostrahlern und Granaten stattgefunden haben. Er verzog das Gesicht; was für eine unelegante Kampfweise!
Fast hätte er nicht bemerkt, dass Cau Thon ihm einen Stofffetzen vor die Nase hielt. Unwirsch wollte er mit einer Handbewegung sein Blickfeld säubern, da erstarrte er. Statt Cau Thons Arm beiseite zu schieben, ergriff er das Tuch und wollte es verschwinden lassen.
Leider nicht schnell genug für Goshkan, der die Geste bemerkt hatte und sofort herbeisprang.
»Was ist es?«, grunzte er. »Beute?«
Hätte er keinen Helm getragen, hätte Despair ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt. »Das geht dich nichts an.«
Goshkan gelang es nun doch, einen Blick auf das Objekt zu erhaschen. Dann weiteten sich seine Augen, als er verstand. Selbst ein so simpel gestrickter Charakter wie er hatte hin und wieder seine Lichtblicke, wie Despair zugeben musste. Nur wäre es ihm hier lieber gewesen, er hätte sich geirrt.
»Constance!«, gluckste er. »Das gehört der Hexe. Dann haben die Termetoren sie wohl erwischt.« Aufgeregt hüpfte er von einem Bein aufs andere. »Das bedeutet noch mehr SPASS!«
Nur Cau Thons schnelle Reaktion konnte verhindern, dass Despair ihm seine Klinge in die Eingeweide rammte – und sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu: »Lasst das!«
Despair beschränkte sich daher darauf, mit einem Ruck an Goshkans Rüssel zu ziehen. »Ich will nicht, dass Constance etwas geschieht. Verstanden?«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, machte er sich in die einzige Richtung auf, die sie noch nicht untersucht hatten.
18.
Du wirst dir deiner selbst wieder bewusst, doch alles hat sich völlig verändert.
Du hast keine Augen, mit denen du sehen kannst, keine Ohren zum Hören, keine Haut zum Fühlen, keine Nase zum Riechen und keinen Mund zum Schmecken.
Und doch bist du existent und Teil von etwas Größerem, ein kleiner Aspekt des kollektiven Bewusstseins einer sehr viel mächtigeren Wesenheit. Dort sind andere wie du, ebenfalls kleine Bausteine dieses unfassbaren Kollektivs.
Du/Ihr/Wir/Ich bist/seid/sind/bin SI KITU!
Du schaffst Un-Ordnung im Multiversum, jedoch kein Chaos, und stehst damit zwischen Kosmokraten und Chaotarchen. Du bist die Hüterin des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik und damit die Herrin über die Entropie.
Nach und nach bekommst du Kontakt zu den anderen Wesenseinheiten in SI KITU. Irgendwann – du hast sämtliches Gefühl für Zeit verloren – trifft du auf andere Wir-sind-Si-Kitu, die dir ähnlich sind. Du erkennst, dass du in deiner körperlichen Existenzform zum Volk der Lilim gehört hast, einst eine von Ehrgeiz und Macht erfüllte Hexe warst.
Und gescheitert bist.
Du suchst und stellst Kontakt zu einem Bewusstsein her, das früher einmal den Namen Lila ki Toushi getragen hat. So wie dein Name irgendwann einmal Maya ki Toushi war. Da war etwas, was euch verbunden hat, doch du kannst nicht mehr sagen, was es war. Mit deinem Körper und all seinen Hormonen, Botenstoffen und Synapsen ist auch sämtliches Gefühl aus dir gewichen.
Da ist das Rideryon, auf dem du bisher dein Leben verbracht hast. Ein Chaotarch namens NACHJUL hat dort die Kontrolle übernommen. SI KITU betrachtet die Chaotarchen nicht als Feinde, und doch provozierte NACHJULS Verhalten in der Hüterin einen Aufruhr, dem körperliche Wesen das Gefühl Entsetzen zuordnen würden. Ähnlich, wie es AMUN bereits lange zuvor getan hatte.
Der Chaotarch veränderte die Jaycuul und Termetoren, machte aus ihnen unsterbliche Wesen, die jedoch eher lebenden Toten, als wirklich Lebenden gleichen. Das ist so nicht richtig, spürst du, obwohl Leben und Tod inzwischen für dich völlig abstrakt sind.
SI KITU hat die letzten Lilim aus den Zwängen ihrer körperlichen Existenzform befreit, denn etwas Ähnliches, was dich und Lila verband, empfindet SI KITU dem Hexenvolk gegenüber. Du erfährst aus der Gemeinschaft der Bewusstseine, dass Lilith auch einst Teil von SI KITU war, doch nun verschwunden ist.
Wie Lilith Nistant traf, welche Rolle SI KITU und AMUN dabei spielen – dies ist nun nicht mehr wichtig.
Die Wunder des Kosmos warten auf dich/euch/uns. Überall in diesen und anderen Universen muss die Entropie gemehrt werden, der Grad der Unordnung steigen. Kosmokraten wollen den Kosmos in Ordnung erstarren lassen, während das Leben an sich alles in feste Körper presst und die Chaotarchen blankes Chaos sähen, das nichts von der Anmut der Entropie besitzt. SI KITU muss sich zwischen all diesen Kräften behaupten – und ist damit völlig beschäftigt.
Nach einer unfassbaren Zeit hörst du wieder von NACHJUL und dem Rideryon. AMUN hat den Chaotarchen mit einem Kosmokraten vereinigt, um eine neue Kraft namens Kosmotarch zu erschaffen, die dir/uns/mir ähnlich wäre. Doch das Experiment misslingt und zwei Entitäten namens DORGON und MODROR entstehen. Diese haben andere Interessen als das Rideryon, so dass ein widernatürliches Volk, das sich selbst Ylors nennt, die Kontrolle darüber übernehmen kann und die Jaycuul in Bedeutungslosigkeit versinken lässt.
Weitere Äonen vergehen, die vollgestopft sind mit Entropie in all ihrer Schönheit. Inzwischen kannst du dir nicht mehr vorstellen, was eine körperliche Existenz ist und was dich damals bewegt und beschäftigt hat. Hatte es tatsächlich einmal Kasten im Hexenvolk gegeben? Warum? Und was sind Geschlechter? Das alles verstehst du nicht mehr.
Dann ein Kontakt mit einer ebenbürtigen Entität. Es ist DORGON, jenes Wesen, das aus den positiven Bestandteilen von NACHJUL entstanden ist. Jener Teil von SI KITU, der aus dir und anderen ehemaligen Einwohnern des Rideryons besteht, möchte den Kontakt vermeiden, doch der überwältigende Teil SI KITUS lässt sich überzeugen. DORGON schlägt eine Allianz vor, um die Bedrohung durch MODROR einzudämmen. Du/Ihr/Wir verstehen, dass MODROR eine viel größere Gefahr für das Multiversum darstellt als ursprünglich absehbar war, und dass das, was dich/euch/uns an NACHJUL anwiderte, nun MODROR ausmacht.
SI KITU stimmt zu und bietet an, eine Agentin zu jenen körperlichen Existenzen zu schicken, die im Konflikt eine entscheidende Rolle spielen werden. Die Wahl fällt auf dich, dein Bewusstsein, dass nun wieder in die engen Grenzen des Fleisches gepresst werden soll.
Du wehrst dich, aber die Wahl ist unumstößlich. Mit deinen Fähigkeiten kannst du SI KITU am ehesten von Nutzen sein, da du Lilith ähnlich bist und diese nicht zur Verfügung steht. Aber Lilith ist nicht tot, das hätte SI KITU bemerkt. So soll es deine Aufgabe sein, die Mutter der Hexen zurückzuholen.
Du entscheidest dich dafür, als Terranerin in die Welt der Lebenden zurückzukehren, denn dieses Volk und die Saggittonen spielen eine große Rolle in DORGONS Plänen.
Dein gesamtes Denken, dein Universum, dein SI KITU schrumpft auf einen einzigen Punkt zusammen und muss dann mit einem kleinen Haufen Zellen auskommen. Die Verknüpfung mit Milliarden anderen Entitäten, die in den letzten Jahrmillionen völlig selbstverständlich war, verschwindet plötzlich.
Stattdessen dominieren nun wieder jene chemischen Prozesse, die typisch für alle Körperlichen sind. Gefühle, Stimmungen, Instinkte stürzen auf dich sein. Man hat dir einen Leib gegeben, der kein Kind mehr ist, aber auch noch nicht völlig ausgewachsen, da man hoffte, dass du so den Schock am besten überstehen würdest.
Doch diese Annahme war falsch, erkennst du voller Entsetzen, denn dir gelingt es nicht, deine unglaubliche Erfahrung, deine Äonen umfassende Erinnerung in jene wenigen Nervenzellen zu packen, die jetzt das Zentrum deines Denkens darstellen.
Noch bevor du dir völlig deiner Körperlichkeit bewusst wirst, erkennst du, dass du/(ihr)/(wir) einen Fehler begannen hast. Dein großes Wissen wirst du nicht behalten können. Es ist zu viel für einen fleischlichen Körper. In Bruchteilen von Augenblicken sortierst du nach Priorität, bis sich ein Gedanke in deinen neuen Neuronen festsetzt und diese mit Leben füllt: deine Identität, dein Name – doch nun losgelöst von seiner Bedeutung als Kasten- und Prüferinnenname.
Ich bin Maya ki Toushi!
*
Maya ki Toushi hatte schonungslos offengelegt, was sie vor diesem unvorstellbaren Zeitraum erlebt hatte. Bei ihrer Erzählung schien sie die damaligen Ereignisse noch mal vor ihrem inneren Auge zu durchleben – besonders der Tod Lilas und ihre Konfrontation mit Karmoth packten sie dermaßen, dass Denise ihr am liebsten beigestanden hätte.
Nach ihrem vermeintlichen Tod wurden Mayas Schilderungen als Teil SI KITU sehr wirr und bruchstückhaft – bis sie schließlich mit den Worten »Ich bin Maya ki Toushi!« zusammensackte und reglos liegenblieb.
Denise wollte sofort nach ihr sehen, doch Constance war schneller.
»Sie schläft«, teilte die Hexe nach kurzer Untersuchung fest und bettete die Rothaarige bequemer auf den Boden.
Seit die Terraner zum ersten Mal auf Inkarnationen kosmischer Entitäten getroffen waren, waren sie mit einem Phänomen konfrontiert worden, das Transformsyndrom genannt wurde. War ein Wesen, das in Galaxien und ganzen Universen dachte, gezwungen, einen fleischlichen Leib zu tragen, erlebte es gewisse Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Ob so etwas Ähnliches auf Maya zutraf? Immerhin war sie über viele Millionen Jahre Teil von SI KITU gewesen. Vermutlich war das auch der Grund dafür, dass sie sich bisher an nichts vor ihrer Reinkarnation erinnern konnte und einige ihrer ältesten Charakterzüge wieder zutage getreten waren.
Denise setzte sich wieder bequem hin und ließ ihren Blick schweifen. Schweigend gingen alle in der kleinen Gruppe den eigenen Gedanken nach. Aurec und Ambush hatten ebenso wie sie selbst Mayas Erzählung aufgenommen und kümmerten sich anscheinend um die Analyse durch ihre Pikosyns. Die drei Zeros schwankten sichtlich zwischen Entsetzen und Faszination, um was es sich bei ihrer Kollegin wirklich handelte. Einzig Constance wirkte reichlich verwirrt.
Als sich ihre Blicke begegneten, kam die Hexe zu Denise und ließ sich neben ihr nieder.
»Wie passt das alles zusammen?«, fragte Constance flüsternd. »Maya hat in ihren Erzählungen nicht einmal die anderen Entropen-Völker erwähnt. Wie können die Hexen ausgestorben sein, wenn es uns seit Ewigkeiten im Entropia-System gibt?«
Die Archäologin wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte kurz vor ihrem Aufbruch gelesen, was der Alysker Eorthor und seine Tochter Elyn über die wahre Herkunft der Entropen-Völker herausgefunden hatten, doch offensichtlich hatte niemand die Hexe darüber informiert.
»Das willst du gar nicht wissen!« In diesem Moment richtete sich Maya stöhnend auf und wischte die letzten Tränen aus ihrem Gesicht. Denise stellte verwirrt fest, dass die meisten Wunden verschwunden waren. »Momentan gibt es etwas viel Wichtigeres zu tun: Wir müssen Lilith finden und befreien, damit sie die Hexen in den Kampf gegen MODROR schicken kann!«
»Aber Maya …« Constance ruderte hilflos mit den Armen herum. »Wie soll ich dir vertrauen, wenn du mir kein Vertrauen schenkst? Ich weiß doch gar nichts über diese Lilith …«
»Lass gut sein, Constance«, meldete sich nun Aurec zu Wort. »Glaube mir.«
Nun hielt es die Hexe nicht auf dem Boden. Sie sprang auf und ließ wütend ihren Blick kreisen. »Ihr verheimlicht mir doch alle etwas. Was wisst ihr?«
»Es würde dein Weltbild erschüttern«, meinte Maya und ließ sich von Feline einige Handwaffen geben.
»Das ist mir egal!«, schrie die Entropin. »Anscheinend wissen hier alle außer mir Bescheid. Das ist nicht fair!«
Maya hatte inzwischen die Waffen in den Taschen ihres Overalls verstaut und wandte sich mit nachdenklichem Blick der jungen Hexe zu. Denise zuckte zusammen, denn sie sah in ihrem Blick, dass Maya nun erzählen würde.
»Als ich auf die Erde kam, wurde mein Leib zwar mit terranischen Genen ausgestattet, so dass meine Hauptgestalt nun die einer Menschenfrau ist, aber ich kann immer noch die Urform des Lilim-Volkes annehmen, die sich von der Succubus-Gestalt der neuen Hexen etwas unterscheidet. Das wirst du sicherlich bemerkt haben.«
Auch Denise wurde es nach diesem Hinweis bewusst. Alle bisher bekannten entropischen Hexen hatten sich in dämonische Wesen verwandelt, deren Körperbau jedoch noch immer, bis auf das dritte Auge und die seitlichen Schläfenhörner, weitgehend humanoid war, während Maya sich zu einem Monster ohne Flügel und braun gefärbter, lederartiger Haut verwandelt hatte.
»Nach meiner Reinkarnation wollte die Hüterin ein geeignetes Sonnensystem auswählen, dies in eine Raum-Zeit-Falte legen und aus den einheimischen Lebensformen ein optimiertes, neues Hexenvolk und nützliche Vasallen erschaffen. Die gesamte Geschichte der Entropen hat sich in den letzten paar Jahren ereignet.«
Nach dieser Eröffnung Mayas wurde Constance ganz bleich. Sie trat entsetzt einige Schritte zurück und nahm dabei unwillkürlich ihre Succubus-Gestalt an. »Nein!«, brüllte sie. »Nein!«
Maya verwandelte sich ebenfalls. »Doch! Sieh es endlich ein. Ich gehöre zu denen, die euch gerettet haben! Du bist mit den Genen meines Volkes ausgestattet, deshalb wirst du mir gehorchen und mit mir zusammen Lilith suchen, unser aller Urmutter.«
Das unsichtbare Kräftemessen dauerte nur Sekunden, dann verwandelten sich beide wieder zurück.
»Ja«, machte Constance matt. Es klang sehr kleinlaut. »Ich folge dir.«
Maya blickte Constance mitleidig an und strich ihr über den Kopf. »Du musst dich nicht minderwertig fühlen, MUTTER hat den Völkern Entropias eine weitgehend natürliche Evolution geschenkt. Nachdem die Bestienhorden Torsors Galornia auf Befehl Siniestros in eine atomare Hölle verwandelt hatten, ermöglichte MUTTER dem Leben eine zweite Chance. Das gesamte Galornia-System wurde von ihr aus dem normalen Raum-Zeit-Kontinuum gelöst und einem abweichenden Zeitablauf unterworfen.
Während innerhalb des normalen Zeitablaufes wenige Jahre verstrichen, hatte die Evolution auf Galornia hunderttausend Jahre Zeit, die Völker der Entropischen Volksgemeinschaft hervorzubringen. MUTTER fügte den auf Galornia geretteten Arten nur noch den Genpool der Lilim hinzu und überließ der Natur die Arbeit. Dein Volk, Constance, ist genauso das Ergebnis einer natürlichen Evolution, wie beispielsweise die Terraner.«
Constance hatte der Lilim zuerst mit aufgerissenen Augen zugehört. Doch dann schien irgendetwas von ihr abzufallen, die ganze Mimik ihres Gesichtes drückte nur eines aus, Glück und Erleichterung. »Dann sind wir keine künstlich geschaffenen Wesen?«
Maya lachte laut auf. »Nochmals, genauso wenig wie Terraner, Saggittonen oder andere Völker!«
»Du sprichst immer von MUTTER«, mischte sich nun Aurec in das Gespräch ein. »Handelt es sich dabei um diese ominöse Lilith, die wir unbedingt suchen müssen?«
»Nein!«, antwortete Maya genervt. »Lilith ist zwar die Urmutter der Lilim und somit auch quasi die Urmutter von Constances Volk, aber MUTTER ist der Name SI KITUS, mit dem ihre Kinder die Hüterin rufen. Lilith werden wir jetzt suchen gehen.«
Sie gab den Zeros einen Wink und alle erhoben sich grinsend. Feline streichelte fast zärtlich ihre Waffe.
Denise fröstelte. Was stand ihnen in den nächsten Stunden noch bevor? Welche Erkenntnisse warteten in den Tiefen des Bergmassives noch auf sie?
*
»MAYA!«
Innerlich stöhnte Aurec. Dieser Tag wurde und wurde nicht besser. Kaum hatte dieses Biest seine Vergangenheit geklärt, hatte sie nichts Wichtigeres zu tun, als ein seit Jahrmillionen verschollenes Überwesen zu befreien. Und das zu viert!
»Das ist völliger Wahnsinn. Du weißt ja nicht mal, wo ihr hin müsst!«
Die Angesprochene ignorierte ihn komplett und schritt auffordernd an Constance vorbei.
»Worauf wartest du?«
Sie machte sich nicht einmal die Mühe sich umzudrehen.
Constance stand unschlüssig zwischen ihr und Aurec.
»Maya …!« Sato trat einen Schritt vor und stellte sich damit zwischen Constance und die ungeduldige Lilim. »Ich finde, Aurec hat recht! Wir wissen noch viel zu wenig. Bedenke, dass die Termetoren noch immer hinter uns her sein werden.«
»Na, und?« Gleichgültig zuckte sie mit den Achseln. »Sollen sie kommen! Jetzt, da ich mir meiner selbst wieder bewusst bin.«
Constance schob sich an Sato vorbei. »Maya wird sich nicht aufhalten lassen. Meine emphatischen Fähigkeiten verraten mir genug über die neue Maya. Sie wird nicht von ihrem Willen lassen.« Schweigend ließ sie die anderen hinter sich und ging in die Richtung, die Maya vorgegeben hatte.
»Wir werden uns erst den Kontrollraum zu Ende ansehen!« Auch Aurecs Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Entscheidung nicht ändern würde. »Lilith ist seit Jahrmillionen gefangen, da kommt es auf ein paar Stunden mehr wohl kaum an. Aber alles, was wir hier finden, kann für uns von großem Nutzen sein!«
Die beiden Frauen beachteten den Saggittonen nicht einmal. Gefolgt von der Gruppe Zero stolzierten sie davon, tiefer in den Berg hinein.
Aurec wandte sich abrupt um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Sato und die Archäologin folgten ihm schweigend. Denise war sichtbar zufrieden, dass sie zu den nicht ausreichend untersuchten Fundstücken zurückkehren konnte. Sato konnte er nicht ansehen, was er dachte, aber im Augenblick war das Aurec ziemlich egal.
Er ärgerte sich. Über Constance, die sich so bereitwillig Mayas Autorität unterwarf. Seine Anordnungen hatte sie immer wieder kritisiert oder gar ignoriert. Nur allzu gut erinnerte er sich noch an ihr Manöver, wo sie selbstmörderisch im Qualm verschwunden war. Und nun? Nur weil diese Maya plötzlich behauptete, eine der Uralten zu sein, stellte die junge Hexe ihr eigenes Denken ein.
*
»Ich will nicht, dass Constance etwas passiert!« Wenig erfolgreich äffte Goshkan Despairs Stimme nach.
Dieser ballte die Fäuste, bis sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handschuhe bohrten, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Stattdessen starrte er auf die kleine Gruppe, die weit unter ihm in einem Raum voller Schrott herumstolperte. Die Frau bearbeitete immer wieder einzelne Stellen mit einem kleinen Hammer, während der Nexialist Sato Ambush an einem der alten Computer rumfummelte. Sein Blick streifte den Saggittonen, der über eine Art Steintafel gebeugt stand.
»Warum tust du es nicht?«
Goshkans Stimme troff vor Gier nach Gewalt.
Erst jetzt wurde Despair sich bewusst, dass er seine Waffe auf den Saggittonen gerichtete hatte. Er brauchte nur den Abzug zu betätigen und der Exkanzler war Geschichte. Langsam ließ er die Hand sinken.
»Oh!« Goshkan tänzelte um ihn herum. »Darf dem guten Aurec jetzt auch nichts mehr passieren? Nützt er uns lebend auch mehr? Oder …«
Despairs Schwert brachte Goshkan zum Verstummen, obwohl die Klinge die Haut an der Kehle des Riesen kaum berührte. Er ließ sie wieder sinken, bevor Cau Thon eingreifen musste.
»Wir sollten den Hexen folgen!«, befahl dieser.
Despair nickte und steckte sein Schwert wieder ein.
»Was ist mit denen?« Goshkan starrte auf das Trio hinunter, das vollkommen in seine Arbeit vertieft war. Seine Stimme bebte vor Blutdurst.
»Überlassen wir sie den Termetoren«, bestimmte Cau Thon. »Du kannst dich bei Maya und der Gruppe Zero austoben.«
Goshkan setzte zu Jubel an, verkniff es sich aber im letzten Moment. Gut so!
Despair wurde sich bewusst, dass er unbewusst erneut seine Klinge gezogen und auf Goshkan gerichtet hatte. Zum Glück hatte es niemand bemerkt.
*
»Zur Hölle damit!« Wütend trat Despair den toten Körper beiseite.
»Was ist denn los?« Goshkan lachte. Ihm gefielen diese dauernden Überfälle.
Natürlich! Sie gaben ihm die Gelegenheit, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen. Despair biss die Zähne zusammen und strebte weiter den Schacht entlang, dem sie auf den Spuren der beiden Hexen und ihrer Begleiter folgten. Er machte sich Sorgen um Constance. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Hexen weniger oft belästigt wurden als er und seine Gefährten und die immer wieder deutlich sichtbaren Kampfspuren gaben ihm recht.
Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Dass er sich um eine Lilim sorgte, ärgerte ihn. Und dann Goshkans dauernde Frotzeleien! Mehr als einmal hatte er den verwirrenden Wunsch verspürt, dieses seelenlose Wesen zu erwürgen. Er spürte Cau Thon neben sich und beschleunigte seinen Schritt. Ihm war nicht nach Reden zumute, aber Cau Thon ließ sich nicht abschütteln. Seine schwarze Kutte flatterte, als er erneut an Despairs Seite kam.
»Kontrollierst du ihn, Cauthon?« Er fragte leise, damit Goshkan seine Worte nicht verstand.
Despair warf ihm von der Seite einen Blick zu. Dank seines Helms konnten die anderen beiden sein Gesicht nicht sehen. Trotzdem schien Cau Thon keine seiner Gefühlsregungen zu entgehen. Das fachte seinen Zorn weiter an. »Du …!«
Cau Thon blieb unvermittelt stehen. Seine Hand schoss unter der Kutte vor und hielt Despair fest.
Unwillig schüttelte der Silberne Ritter die Hand seines Mentors ab, blieb aber ebenfalls stehen.
Der erste Sohn des Chaos starrte angestrengt lauschend nach vorn.
»Was …?« Goshkan trampelte an seine Seite.
Jetzt hörte er es auch. Dort, eine große Strecke vor ihnen, wurde gekämpft! Constance! Er biss sich auf die Lippen. Es konnte nur ihre Gruppe sein. Aurec war mit seinen Leuten weit hinter ihnen. Das Schwert fand von selbst den Weg in seine Hand. Cau Thon nickte. Ihr Disput war so schnell vergessen, wie er begonnen hatte. Der erste Sohn des Chaos griff bedächtig in eine der tiefen Taschen seiner Kutte und zog einen kleinen, konisch geformten Apparat heraus. Despair erkannte einen Störsender. Was immer sie dort vorn erwartete, Verstärkung würde jedenfalls niemand mehr rufen, weder Hexen noch Termetoren.
Despair stieß die athletische Gestalt Cau Thons aus dem Weg und rannte los. Goshkan folgte ihm mit einem Jauchzen.
*
Feline Mowac streckte ihre massiven Muskeln. Diesmal war es ein Angriff von Robotern gewesen. Langsam spürte sie die ersten Anzeichen von Ermüdung. Je weiter sie in diesen verdammten Berg vordrangen, desto häufiger trafen sie auf Roboter und Termetoren. Ein-, zweimal waren sie auch nur knapp einer Falle entgangen und noch immer hatten sie keine Ahnung, wohin sie eigentlich gehen mussten. Bisher war es Constance nicht gelungen, Kontakt zu Lilith herzustellen.
»Ich kann Aurec nicht erreichen!« Constance ließ die Hand sinken.
»Na und?« Feline zuckte mit den Achseln. »Sie werden in ihre Studien vertieft sein.« Ihre Stimme brachte deutlich zum Ausdruck, was sie von den Untersuchungen der drei hielt.
»Nein!« Constances Stimme zitterte leicht vor unterdrückter Wut und Sorge. »Es gibt keine Verbindung!«
Feline zog ihr eigenes Funkgerät hervor. Die Hexe hatte recht. Störgeräusche brummten aus dem Gerät.
»Eine neue Taktik der Termetoren? Oder der Roboter?« Shan folgte dem Beispiel seiner Adoptivtochter und lockerte seine Muskeln.
»Warum sollten sie das tun?« Der Arkonide zog seine blasse Stirn kraus.
»Wen interessiert das!« Mayas Augen funkelten. »Constance, du …!«
Constance stand leicht vornübergebeugt. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Atmen flatterte.
Mayas Herz machte einen Sprung. War es ihr endlich gelungen, Kontakt zu Lilith aufzunehmen? Constances Lippen bewegten sich. Sie flüsterte einen Namen.
»Despair?« Der Arkonide stieß sich alarmiert von der Wand ab.
»Was?« Wild starrte Feline in die Richtung, in die Constances Gesicht gerichtet war.
»Sie hat eindeutig Despair gesagt!« Corphs Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen.
»Der fehlt uns gerade noch!« Feline tauschte einen Blick mit ihrem Ziehvater. »Das könnte den gestörten Funk erklären.«
Constance kehrte aus ihrer Trance zurück. »Cauthon ist hier!« Sie seufzte stumm. »Und er ist nicht allein!«
»Gut! Dann haben die Termetoren noch jemanden zum Spielen. Vielleicht gibt uns das etwas Luft.« Maya wandte sich an Constance. »Los jetzt! Konzentriere dich auf Lilith!« Unnachgiebig schob sie Constance vorwärts, weiter in den Berg hinein.
Shan und Corph wollten ihr folgen, zögerten aber, als sie sahen, dass Feline sich nicht vom Fleck rührte. »Was ist los?«
Feline spannte ihre Muskeln. »Mir gefällt es nicht, dass die Söhne des Chaos hier frei herumstreifen!«
»Dann geh und hindere sie daran!« Mayas Augen ließen keinen Zweifel daran, dass es ihr Ernst war.
Maya hatte sich sehr verändert. Die Oxtornerin musterte sie einen Augenblick. Schließlich zuckte sie mit den breiten Schultern und wandte sich in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. »Kommt ihr?«
Der Arkonide zögerte kurz. Er warf Maya einen unschlüssigen Blick zu. Die Lilim beachtete ihn nicht. Mit einem Achselzucken folgte er Feline und Shan, um den Söhnen des Chaos entgegenzutreten.
*
»Wunderschön!« Constance drehte sich wie eine Tänzerin um die eigene Achse. Der Raum war vollkommen aus Kristall. Alles, die Wände, die Konsolen und selbst die Maschinen waren aus einem klaren, leicht bläulich schimmernden Kristall.
Maya runzelte die Stirn, schwieg aber. Ganz Pragmatikerin machte sie sich ohne Umstände daran, die schillernden Maschinen zu untersuchen.
Constances Mut sank. Maya war kaum wiederzuerkennen. Aus der etwas wilden jungen Frau war eine Fanatikerin geworden, deren einziges Trachten sich darauf richtete, Lilith zu finden. Sie wandte sich ebenfalls einer Konsole zu, die wohl zu etwas ähnlichem wie einem Computer gehörte.
»Was machst du da?«, herrschte Maya sie an.
»Ich wollte …!«
»Gar nichts willst du!« Maya wischte Constances Antwort unwirsch beiseite. »Konzentriere dich auf Lilith! Das hier schaffe ich schon allein.«
Constance biss sich auf die Lippen. Gewaltsam musste sie den Impuls unterdrücken, ihre Gestalt zu wandeln. Maya ging ihr langsam auf die Nerven. Sie fragte sich, ob Lilith genauso war – herrschsüchtig und ungeduldig.
Schweigend lehnte sie sich an einen Block und hing ihren eigenen Gedanken nach. Sollte Lilith sich doch selbst anstrengen, den Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ihre Gedanken wanderten zu Aurec, Denise und Sato. Wie war es ihnen ergangen, seit sie sich getrennt hatten? Unbehaglich dachte sie an die Überfälle der Termetoren und Roboter. Hatten die drei überhaupt eine Chance, sich allein zu verteidigen? Ohne die Gruppe Zero, und ihre und Mayas Hilfe?
In ihrem Rücken begann es zu summen.
»Sie funktionieren!« Zum ersten Mal klang wieder so etwas wie Begeisterung in Mayas Stimme.
Um Constance herum erwachten immer mehr der Computer und Maschinen zum Leben.
»Wir sind so nah dran, Constance!« Maya fummelte an ein paar weiteren Knöpfen. »Aus meinen Erinnerungen weiß ich, was das hier ist. Durch diesen Raum gelangen wir zur Dunklen Mutter. Komm und hilf mir!«
Schweigend verließ die Hexe ihren Platz, um die ältere Lilim zu unterstützen. Gemeinsam beugten sie sich über Symbole und flackernde Holos.
»Warum funktioniert das hier noch?«, brachte Constance schließlich den Mut auf zu fragen. »Alles andere an alter Technik hier ist doch durch die Jahrmillionen zerstört worden.«
»Wir sind in einem Portalraum!« Mayas Augen funkelten vor Begeisterung. »Technik von SI KITU! Wir müssen nur das Portal aktivieren.«
Und dann? Constance sprach die Frage nicht laut aus. Maya würde alle anderen zurücklassen, wenn sie sich sicher war, dass dies der Weg zu Lilith war. Das konnte sie nicht zulassen. Wenn Aurec und die anderen noch lebten, hatten sie es verdient, dabei zu sein. Sie musterte Maya von der Seite. Sofern es ihnen gelang, das Portal zu aktivieren, musste es unausweichlich zu einer Konfrontation kommen.
*
»Noch immer nichts!« Aurec starrte das Funkgerät wie einen besonders niederträchtigen Feind an.
Denise seufzte. Seit geraumer Zeit versuchte er vergeblich, eine Verbindung zu den Hexen zu bekommen. Sie selbst verlor mehr und mehr die Lust, sich hier weiter umzusehen. Nach Mayas Erzählung wussten sie, was hier passiert war. Jeder weitere untersuchte Knochen bot allenfalls akademischen Wert. Sie beschlich das Gefühl, dass Aurec eher aus Trotz hierher zurückgekehrt war, um sich der Gruppe Zero nicht unterordnen zu müssen. Innerlich verdrehte sie die Augen. Männer und ihr Ego!
Fluchend schob Aurec das Gerät wieder in seinen Gürtel. »Und wenn die Hexen doch am Ende den Zugang zu Lilith gefunden haben?«
»Dann hätten sie uns doch informiert. Das alles gefällt mir nicht!« Sato starrte blicklos vor sich hin. »Auch über das Netzwerk der Termetoren kann ich nichts mehr senden. Die Zeros scheinen es irrtümlich beschädigt zu haben …« Sein Gesicht sprach Bände, welche Wörter er lieber verwendet hätte.
Denise runzelte die Stirn. »Vielleicht stören diese Termetoren den Funk!«
»Nein!« Der Japaner schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Das widerspricht völlig ihrer bisherigen Taktik.«
»Außer sie wollen, dass wir im Ungewissen bleiben, wie es unseren Freunden ergeht.« Die Archäologin strich sich eine Strähne ihres dunklen Haares aus der Stirn.
Aurec blickte von einem Gesicht ins nächste. Alle spürten, dass die Entscheidung längst gefallen war.
»Gehen wir!« Aurec setzte sich in Bewegung. »Der Kontrollraum kann auch warten. Irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass wir es mit einem neuen gefährlichen Gegner zu tun haben und dass die Hexen in höchster Not sind.«
Geduckt rannte er los. Denise und Sato folgten ihm.
*
Wie eine Naturgewalt stürmte Goshkan in den Raum, kaum dass er die Gruppe Zero erblickt hatte. Despair folgte ihm mit Abstand, das Schwert locker in der Hand wiegend. Die beiden Oxtorner und der Arkonide standen Schulter an Schulter und blickten ihnen ohne einen Funken Angst entgegen. Despair riskierte einen Seitenblick. Cau Thon folgte ihm in aller Ruhe, als hätte er alle Zeit der Welt. Von Maya und … Constance war nichts zu sehen. Unwillkürlich atmete Despair auf und konzentrierte sich nun vollends auf den Kampf.
»Überlasst mir Goshkan!«, brüllte der männliche Oxtorner. Das musste Shan Mogul sein.
»Ich übernehme Cau Thon!« Der Arkonide – Corph de Trajn – packte sein Schwert fester und wechselte den Platz in der Mitte ihrer Gruppe mit der Oxtornerin.
Diese zuckte gleichgültig mit den Achseln. Feline Mowac kümmerte es offenbar nicht, gegen wen sie antreten würde.
Goshkan brüllte unartikuliert. Offensichtlich fühlte er sich von Shan Moguls Blick provoziert. Ungestüm stürzte er vor, den Kopf mit den ausladenden Zähnen zum Angriff gesenkt.
Die Gruppe Zero wich, wie in einem lange eingeübten Tanz, auseinander. Goshkan stolperte zwischen Corph und Shan hindurch und wirbelte erstaunlich behände herum. Er riss seine Arme hoch und wollte sich auf Feline stürzen. Mogul wartete nicht länger, ließ seinen überschweren Impulsstrahler fallen und drängte sich zwischen seine Ziehtochter und den geifernden Katronen.
Despair musste unter seinem Helm grinsen. Sie ließen sich in den Nahkampf locken und verzichteten in ihrer Arroganz, perfekte Kämpfer zu sein, auf moderne Technik. Damit hatten sie ihr Schicksal besiegelt.
Er wirbelte unter einem Schlag hindurch und brachte sich in den Rücken der Oxtornerin. Dabei konnte er einen kurzen Blick auf die Tätowierung auf ihrer Kopfhaut werfen. Die Linien des roten Drachens pulsierten und verliehen dem Bild eine eigenartige Lebendigkeit.
Feline fuhr mit der Eleganz eines gereizten Nashorns herum. Seine Taktik ärgerte sie sichtbar. Anstatt sich ihren wuchtigen Hieben zu stellen, wich er aus, tanzte zur Seite und duckte sich unter ihren Schlägen durch. Despair grinste unter seinem Helm. In einem direkten Nahkampf hätte er gegen diesen Koloss von Frau keine Chance gehabt. Sie würde ihn mit ihrem umweltangepassten Körper einfach zerquetschen. Aber solange er auf Distanz blieb, waren ihre Muskelberge ihr Nachteil. Mochte sie noch so reaktionsschnell sein, sein Körper war geschmeidiger.
Erneut streifte Despairs Klinge die Oxtornerin, zerfetzte ihren Anzug und fügte der massiven Haut einen leichten Schnitt zu. Feline fluchte. Sie musste nun wissen, dass die Klinge seines Schwertes, die aus Carit bestand, sie verletzen konnte.
Seine Taktik ging auf. Sie wirbelte herum und versuchte ihn an die Wand zu drücken. Er musste sich fallen lassen, um ihrem Angriff zu entgehen. Sofort stampfte einer ihrer Füße in seine Richtung. Er rollte sich darunter weg. Sie trat weiter nach ihm. Die Wut hatte endgültig die Oberhand über Feline gewonnen. Schnell rollte er ein paar Mal hin und her, immer knapp ihren zutretenden Füßen entkommend. Ein solcher Tritt würde ihm die Rippen zermalmen.
Schließlich hatte sie ihn in eine Ecke getrieben, so dass er weitgehend seiner Bewegungsfreiheit beraubt war. Ein rascher Tritt prellte ihm das Schwert aus der Hand. Das Gesicht mit der Drachentätowierung war nun genau über ihm.
Mit finsterer Miene setzte sie ihren Fuß in der Halsgegend auf seine Rüstung. Noch schützte ihn der Körperschirm, doch zunehmende Überschlagsblitze zeugten davon, dass der Schirm kurz vor der Überladung stand. Das würde dann sein Ende sein. Allein das Gewicht der Umweltangepassten würde ausreichen, ihn zu zerquetschen.
Despair hoffte, dass es schnell gehen würde. Vor seinem geistigen Auge sah er die unzähligen Opfer, die er im Dienste seines Herrn MODROR ermordet hatte. Jetzt war er endlich am Ende seines Weges angekommen und würde vielleicht den ersehnten Frieden finden.
Doch nichts geschah! Das Antlitz des Todes hatte sich abgewendet!
Dann durchbrach ein Schrei ungeheuerlicher Qual die Stille, die sich über dem Schlachtfeld ausgebreitet hatte. Mühsam hob er den Kopf und erblickte Cau Thon, wie er den Kampfstab aus dem Rücken von Goshkans Gegner riss. Die Gigantin über ihm stand erstarrt und schien ihn vergessen zu haben.
Langsam begriff er, dass das Schicksal ihm noch eine zweite Chance einräumte. Seine Hand tastete nach dem entfallenen Schwert und bekam den Griff zu fassen. Die Schmerzen seiner geprellten Hand ignorierend umfasste er die Waffe mit beiden Händen. Dann stieß er mit der ihm noch verbliebenden Kraft nach oben. Er wusste, dass er nur diese eine Chance hatte. Die Caritklinge durchdrang den Körperschirm und drang bis zur Hälfte in den mächtigen Leib der Oxtornerin.
Erstaunen, Überraschung und Schmerz wechselten sich in schneller Folge auf ihrem Antlitz ab. Despair zog sein Schwert zurück und wälzte sich zur Seite. Feline fiel schwer auf alle Viere. Verzweifelt rappelte sie sich wieder auf, taumelte einige Schritte, dann stürzte sie erneut.
Mit einer letzten Kraftanstrengung kam Despair auf die Beine. Er hatte gesiegt und gegen die oxtornische Gigantin bestanden. Aus einem Gefühl übermächtiger Gefahr ließ er seinen Blick erneut über das Schlachtfeld streifen. Nichts! Cau Thon hatte Goshkan an einem Arm ergriffen und zog den Katronen in seine Richtung. Doch das Gefühl einer unsichtbaren Gefahr schien sich noch zu verstärken. Unwillig schüttelte er die Beklemmung ab, die ihn erfasst hatte. Er würde nicht noch anfangen, an Gespenster zu glauben. Sein Blick suchte die Leiche der getöteten Oxtornerin und erstarrte. Dort, wo der mächtige Körper seiner Gegnerin niedergestürzt war, befand sich nur eine riesige Blutlache, die von seinem Sieg kündete. Doch die Oxtornerin mit der geheimnisvollen Drachentätowierung war verschwunden. Einen Moment lang drohte ihn Panik zu überschwemmen. Mit äußerster Willensanstrengung verdrängte er dieses Gefühl.
Es war nicht seine Aufgabe, das Geheimnis des Roten Drachen zu lüften, sondern er musste endlich Constance finden. Sie würde ihn, da war er sich sicher, zu dieser von allen Sternengöttern verfluchten Lilith führen. Und dann konnte er endlich den Auftrag erfüllen, den er von seinem Vater erhalten hatte.
*
Gebannt starrte Maya auf den Ring, der im Boden eingraviert war. Nichts geschah! Mit einem Fluch wandte sie sich wieder der Konsole zu.
Constance hatte keine Ahnung, wie lange sie schon an diesen uralten Maschinen herumfummelten, um das Portal zu öffnen, bisher jedoch ohne den geringsten Erfolg.
»Wo mögen die anderen jetzt sein?«, fragte sie Maya.
»Sie kommen schon klar«, murmelte diese abwesend. »Du wirst sehen, Zero macht mit diesen Chaossöhnen ein für alle Mal ein Ende!«
Constance biss sich auf die Lippen. Cauthon Despair erschien vor ihrem inneren Auge. Der unnahbare Silberne Ritter. Der finstere Helm, hinter dem er sein Gesicht verbarg, wurde von einem anderen Antlitz überlagert. Deutlich hörte sie Aynahs Stimme, die sie ermahnte, auf Despair zu achten. Aber das konnte sie Maya ki Toushi wohl kaum mitteilen. Mit einem Seufzen probierte sie eine weitere Einstellung aus.
Maya wandte sich wieder dem Ring zu und erstarrte. Constance folgte ihrem Blick, nichts Gutes ahnend und atmete erleichtert auf, als sie Aurec entdeckte. Der Saggittone hatte den Portalraum aus einem höher gelegenen Gang erreicht. Denise Joorn und Sato Ambush standen hinter ihm.
»Maya!« Seine Stimme klang ehrlich erfreut und erleichtert. »Seid ihr beide wohlauf?«
Er sprang auf den Boden, mitten in den gravierten Kreis hinein, ohne diesen überhaupt wahrzunehmen. Sato und Denise folgten ihm.
Constance drängte sich an Maya vorbei. Glücklich begrüßte sie die drei Rückkehrer. Maya stand unschlüssig daneben, als würde sie nicht dazu gehören. Wenigstens wussten sie nun, was sie von den anderen trennte.
Constance erklärte, wohin die Gruppe Zero verschwunden war. Maya kommentierte es nur mit zustimmenden Grunzen. Sie war längst wieder mit den Kontrollelementen beschäftigt.
»Die Söhne des Chaos?« Aurecs Stimme schwankte zwischen Resignation und Ärger. »Seid ihr sicher?«
Constance zuckte die Achseln. »Feline, Shan und Corph überprüfen das gerade.«
»Wie lange sind sie schon weg?« Eine lange Falte zog sich über Satos Stirn.
»Ich weiß es nicht genau!«
»Wenigstens wissen wir jetzt, wer unseren Funk gestört hat!«, warf Denise ein. »Sollen wir sie suchen?«
»Nein!« Aurec schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn, durch die Gänge zu streifen und …«
»Wie wahr! Wie wahr!«
Niemand hatte die drei Söhne des Chaos bemerkt, die am Eingang der Kristallhöhle standen. Goshkan, der gesprochen hatte, fuhr genüsslich fort: »Eure Freunde braucht ihr nicht länger zu suchen.« Er schnalzte mit der Zunge. »Trotzdem werdet ihr bald wieder miteinander vereint sein.«
Bestürzt musterten sie die blutbesudelten Rüstungen der Chaosritter. Natürlich konnte das Blut auch von Termetoren stammen, aber etwas verriet ihnen, dass das eine vergebliche Hoffnung war.
Maya taumelte zurück. Zero! Die ganze Gruppe tot!
Goshkan zog seine Waffe. Die rotschwarzen Augen des Riesen blitzten wild. Sie schrien nach Blut und Mord.
Maya gab ihren Instinkten nach. Ihre Haut verfärbte sich braun, während ihr wahres Ich sich nach außen stülpte. Schweigen folgte ihrer Verwandlung. Für einen Augenblick waren die Söhne des Chaos verwirrt. Sogar der Riese Goshkan blieb stehen. Auch wenn sich Maya äußerlich kaum von einer modernen Lilim unterschied, wirkte sie ungleich mächtiger.
Constance nutzte die Ablenkung und winkte Denise und Sato zu sich. »Irgendwie muss es mit dieser Steuerkonsole möglich sein, ein Portal zu aktivieren.« Ängstlich warf sie einen Schulterblick zu den Söhnen des Chaos. Gern hätte sie sich verwandelt, doch dazu blieb keine Zeit. Mayas und Aurecs Kampfkraft mussten erst einmal reichen. »Es ist unsere einzige Chance, sonst werden sie uns töten …«, sie schluckte, »… oder Schlimmeres.«
Goshkans Grölen verriet ihr, dass sich zumindest dieser gefangen hatte. Kampflärm kam auf. Constance wusste nicht, wie lange Maya ihnen widerstehen konnte, aber wenn sie sogar die beiden Oxtorner besiegt hatten, standen ihre Chancen wohl eher schlecht.
»Macht schon!«, brüllte Aurec über ihnen und wehrte einen Angriff ab.
Ratlos starrten die drei die Kontrollen an. Unsicher drückte Denise einen Knopf. Nichts passierte.
Keuchend schoss Aurec über ihnen auf Cau Thon, der den Schuss einfach an seinem Caritstab abprallen ließ. Aurec machte einen Schritt zur Seite und stand so mit einem Fuß auf dem Kontrollfeld.
Constance fluchte und Denise wollte ihn zur Seite zerren, als Sato geistesgegenwärtig ihre Arme ergriff. Dann sah Constance es auch. Die Anzeige war von Gelbtönen zu tiefem Blau gewechselt. Wie auf Kommando ruckten ihre Köpfe herum und starrten in wabernde Finsternis, die sich auf der Kreisfläche aufgebaut hatte.
»Es ist offen!«, brüllte Constance und war bereits aufgesprungen. Instinktiv duckte sie sich unter einem Schlag von Goshkan hinweg. »Ins Portal!«
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass ihre Mitstreiter ebenso reflexhaft reagierten. Denise war schneller als sie und verschwand mit einem Lichtblitz im Portal, danach Maya, Sato entmaterialisierte, dann hatte sie selbst das schwarze Wabern erreicht und warf sich hinein. Sie vernahm noch einen Lichtblitz und schloss unbewusst die Augen. Geschafft!
Nur einen Herzschlag später kam sie auf. Immer noch vernahm sie Kampflärm, immer noch das hässlich klingende Organ von Goshkan, der sich prächtig amüsierte. Hatten die Söhne des Chaos sie etwa verfolgt?
Sie öffnete die Augen. Nein, sie waren immer noch am selben Ort. Zumindest sie und Aurec – vom Rest fehlte jede Spur. Sie konnte nicht mal einen Blick mit dem Saggittonen wechseln, denn Goshkan war bereits heran.
»Darf das kleine Hexlein nicht durchs Portal?« Seine Stimme sprühte vor Hohn. »Dann gibt es wohl heute Lilim-Frikassee.«
Er hob seine Waffe zum Schlag und Constance schloss erneut die Augen. Das war’s!
Doch der Schmerz blieb aus. Sie schaute irritiert nach ihrem Gegner und erkannte Cauthon Despair, der mit seinem Schwert den finalen Schlag Goshkans verhindert hatte. Der Silberne Ritter hatte die Seiten gewechselt!
Dann geschah alles ganz schnell. Wie ein Inferno tobte der Kampf zwischen den beiden Söhnen des Chaos, bis eine Stimme durch den Raum donnerte.
»ES REICHT!« Cau Thon schlug seinen Caritstab mit voller Wucht in Goshkans Kreuz.
Dieser hielt tatsächlich inne, was auch Despair dazu brachte, seine Waffe einzustecken.
»Das wirst du noch bereuen, Despair!«, zischte Cau Thon. »Sehr bereuen!«
Er zog Goshkan mit sich und verschwand.
Constance blickte ratlos zu Despair, der wie immer seinen Helm trug, sodass keine Regung zu erkennen war. Doch an den Körperbewegungen war zu erkennen, wie sehr es in ihm arbeitete.
»Kommt, wir müssen hier weg, bevor er sich das anders überlegt.« Despair machte sich daran, ihr aufzuhelfen.
»Moment!«, mischte sich nun Aurec ein. »Was soll dieses Spielchen? Glaubt ihr wirklich, wir fallen darauf herein? Als wenn dich Cau Thon einfach so die Seiten wechseln lassen würde. Und wo sind die anderen? Was habt ihr mit denen gemacht?«
Der Silberne Ritter wandte sich dem Schwarzen Wabern zu, das in diesen Momenten in sich zusammen fiel. »Wir sind einfach nicht würdig …«
»Despair!« Aurec schien sich nun wirklich wieder gefangen zu haben, denn er hatte eine Energiefessel-Manschette zutage gefördert.
Der Silberne Ritter verstand und streckte ihm die Arme entgegen. Anstandslos ließ er sich festnehmen.
Constance starrte zur Kreisfläche, auf der das Portal existiert hatte, dann zu Despair, Aurec und schließlich zu dem Gang, in dem Cau Thon und Goshkan verschwunden waren. Sie verstand gar nichts mehr.
Epilog
Atmen!
Du musst atmen!
Du schlägst die Augen auf, weißt nicht, wo du bist. Doch du weißt, wer du bist und was du zu tun hast. Es schmerzt, die große Geborgenheit von SI KITU verlassen zu haben, doch es ist nötig. Du hast eine sehr, sehr wichtige Mission.
Interessiert musterst du deinen neuen Körper, bewegst die Glieder probehalber. Irgendwie tut es doch gut, nach all den Äonen wieder Körperlichkeit zu spüren. Ja, überhaupt etwas zu spüren. Dieser Körper ist anders als der, den du gewohnt warst, aber da er ohnehin nur noch eine dumpfe Erinnerung ist, spielt das keine Rolle.
Urplötzlich durchzuckt dich ein gigantischer Kopfschmerz. Verzweifelt presst du deine Hände gegen deine Schläfen, doch das lindert nicht den Schmerz. Dann bemerkst du, wie das Wissen deinen Körper verlässt.
»Nein!«, brüllst du, doch es lässt sich nicht aufhalten. Irgendwas ist schief gegangen, wird dir bewusst.
Warum warst du noch mal hier? Was musstest du tun? Alles entschwindet dir.
Brüllend wirfst du dich zu Boden, versuchst wenigstens noch deinen Namen zu behalten, während dir alles andere entrinnt. Die Lilim, MUTTER, NESJOR, … Was?!
»Hier liegt jemand!«, hörst du jemanden rufen, während sich die Kopfschmerzen allmählich in dumpfes Klopfen abschwächen. Auch wenn du nichts mehr weißt, verstehst du doch die Sprache. »Ein Mädchen. Sie ist … nackt!«
Langsam lässt du die Hände sinken. Das Licht sticht nicht mehr und aus dem Klopfen ist nur noch ein sanftes Pochen geworden.
»Wo, wo bin ich?«, hörst du dich fragen.
»Terrania«, erfolgt die Antwort, als wäre es das selbstverständlichste überhaupt, diesen Namen zu kennen. »Wie heißt du und warum liegst du nackt und schreiend hier herum?«
Wie heiße ich?, durchzuckt es dich. Wo sind meine Erinnerungen? Wie bin ich hierhergekommen?
Doch da ist es wieder, das kleine bisschen deiner Identität, das du festhalten konntest.
»Ich heiße Maya ki Toushi.«
Ende
Im nächsten Roman kehren Constance, Aurec und Despair zur IVANHOE II zurück, als sich die Ereignisse überschlagen und Nistant eine große Ankündigung macht. Der Titel von Band 118, geschrieben von Nils Hirseland, lautet
DER WEG ZUM STERNENPORTAL
DORGON-Kommentar
Im aktuellen Roman von Aki Alexandra Nofftz erfahren wir mehr über die alten Lilim. Vor über 200 Millionen Jahren (vermutlich um die 210 Millionen Jahre) waren die Lilim unter der Führung von Lilith eine starke Fraktion auf dem neuen Rideryon. Lilith schien eine Partnerin von Nistant zu sein. Doch diese Partnerschaft endete in einem Duell, bei dem beide am Ende verloren. Offenbar wollten die Lilim Nistant stürzen. Sie vermuteten, dass der Einfluss der negativen Superintelligenz NACHJUL zu groß wurde.
Es gibt dazu natürlich zwei Meinungen. Aus Sicht von Nistant und seinen Anhängern war es ein großer Verrat. Nistants Inkarnationen oder auch Schatten, Cul’Arc und Brok’Ton, wurden von den Lilim entführt und mit Hilfe von SI KITU in ewige Gefängnisse gesperrt. Wie wir wissen, dauerte es bis ins Jahr 1306 NGZ, ehe sie befreit wurden. Als Nistants Körper starb, hätte er sich mit Hilfe seiner beiden Schatten wiederbeleben können. Doch das blieb aus und seine ÜBSEF-Konstante trieb in den Hyperraum und blieb dort, ehe die Ereignisse auf Ednil in M 87 eintraten, wo er wiedererweckt wurde. Die Lilim wurden nach ihrem Putschversuch vernichtet und Lilith offenbar auch in ein ewiges Gefängnis gebracht. Ihr Schicksal ist ungewiss.
Aus Sicht der Lilim ist NACHJUL eine große Gefahr. Und sie haben nicht ganz unrecht. Wir wissen, dass NACHJUL sich innerhalb von dann vermutlich 20 Millionen Jahren zu einem Chaotarchen entwickelt hat. Der Chaotarch Nachjul war zusammen mit dem Kosmokraten Blomath zentraler Bestandteil des kosmischen Projektes der Hohen Mächte und Alysker, aus denen DORGON und MODROR entstanden sind. Man könnte also sagen, dass NACHJUL der Vorfahre oder gar der Vater/die Mutter von DORGON und MODROR ist.
Diese Erkenntnis zeigt auch die zentrale Bedeutung des Rideryons in diesem ganzen kosmischen Konflikt.
Nils Hirseland
GLOSSAR
Gruppe Zero
Bei der Gruppe Zero handelt es sich um eine Eliteeinheit des Quarteriums, die 1306 NGZ, nach der »Linguiden-Krise«, zuerst wegen Insubordination auf Lingus interniert wurde und schließlich, nach der »endgültigen« Lösung des »Galornia-Problems« durch Torsor, unter Mitnahme der FLASH OF GLORY desertierte (siehe hierzu DORGON Band 128 ff.).
Nach einem Katz-und-Maus-Spiel mit der quarterialen Heimatflotte und der CIP schloss sich die Gruppe 1307 NGZ, unter Vermittlung von Roi Danton, dem Widerstand gegen das Quarterium an. Jedoch kam es nie zu einer echten Integration der Elitetruppe in die Neue USO Cartwheel, zu unterschiedlich waren die Ideale und der Werdegang der Gruppe von den üblichen Regelungen, wie sie innerhalb der LFT und der Neuen USO vorherrschten.
Die aktuelle Situation im Sommer 1308 NGZ ist dadurch gekennzeichnet, dass die Vorbehalte, um nicht von Vorurteilen zu sprechen, immer tiefgreifender werden. Die Neue USO Cartwheel und vor allem die zur Verstärkung abkommandierten Verbände der LFT blicken mit Verachtung auf die »schwarzen Totschläger« aus dem Quarterium herab, was die gegenseitige Abneigung weiter verstärkt. Der Eindruck verfestigt sich dadurch, dass die Führung um Aurec die Frauen und Männer der Gruppe Zero vor allem als Kanonenfutter ansieht, was natürlich innerhalb der Gruppe dazu führt, dass das Bündnis mit den Alliierten zunehmend in Frage gestellt wird.
Geschichte
Die Gruppe Zero wurde 1303 NGZ als Sondereinheit der CIP aufgestellt und war ursprünglich nur Marschall-Kommandeur Niesewitz direkt unterstellt. Niesewitz schwebte vor, für die CIP eine eigenständige Kampftruppe aufzubauen, mit der er später Jenmuhs und Siniestro ausschalten wollte. Hierzu rekrutierte er vor allem Veteranen aus der LFT und der Neuen USO, die mit der Politik Perry Rhodans unzufrieden waren, wobei er eine besondere Vorliebe für umweltangepasste Terraner wie Oxtorner, Epsaler und Ertruser entwickelte. Schließlich umfasste die Gruppe Zero das zahlenmäßig größte Kontingent an Oxtornern außerhalb der Praesepe-Koalition.
Geprägt wurde die Gruppe Zero vor allem durch Shan Mogul, einem ehemaligen Mitglied des Terranischen Liga-Dienstes, der später mit Monkey die Neue USO aufbaute und nach Differenzen mit diesem schließlich dem Ruf DORGONS nach Cartwheel folgte. Mogul sieht in der Gruppe Zero die Chance, seine Vision einer unabhängigen militärischen Machtorganisation zum Schutz der Menschheit zu verwirklichen, wobei er langfristig den Konflikt mit dem Quarterium in Kauf nimmt.
Die Gruppe Zero untergliedert sich in vier Staffeln, denen jeweils 250 Mitglieder angehören. Dazu kommen noch etwa 70 wissenschaftliche Spezialisten. Innerhalb der Gruppe ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen, was sich auch in der Kommandeursstruktur widerspiegelt. Innerhalb einer Staffel herrscht eine flache Hierarchie vor, da jedes Mitglied mehrfach spezialisiert ist und deshalb in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt werden kann.
Kommandostruktur Führungsebene 1306 NGZ
Roland Meyers | Gruppen-Kommandeur, Oberbefehlshaber († November 1307 NGZ) |
Maya ki Toushi | Kommandeur, Stellvertretende Befehlshaberin |
Shan Mogul | Kommandeur, Leiter des Stabes |
Corph de Trajn | Kommandeur, Waffensystemanalytiker |
Feline Mowac | Kommandeur, Staffelführerin |
Josh Hondro | Kommandeur, Staffelführer |
Natasher | Kommandeur, Staffelführer |
Sirani Persul | Kommandeur, Hyper- und Hochenergiephysikerin |
Catherine Deverous | Kommandeur, Staffelführerin |
Maya ki Toushi
Jugend und Ligadienst der LFT
Über Geburt, Kindheit und frühe Jugend liegen keinerlei Informationen vor, angeblich weiß sie selbst nichts darüber. Im Jahre 1284 NGZ taucht sie plötzlich in den Slums von Neu-Amsterdam auf Terra auf, gründet eine Mädchen-Gang, die sich auf Raubüberfälle, Erpressung und Entführungen reicher Geschäftsleute spezialisiert, zwei Jahre später Zerschlagung der Gang durch die City-Police Neu-Amsterdam, Eingliederung in das Resozialisierungsprogramm für straffällige Jugendliche. Dabei wird ihr biologisches Alter auf ca. 17 Jahre geschätzt.
Nach Tests ihres Aggressionspotenzials wird der Liga-Dienst der LFT auf sie aufmerksam, Übernahme in die Abteilung Null. Über Einsätze keine Informationen, nach zwei Jahren desertiert und untergetaucht, über den weiteren Weg liegen keine Informationen vor.
Cartwheel Gruppe Zero
1296 NGZ taucht sie in Cartwheel auf, durchläuft die Ausbildung am Redhorse-Point in Rekordzeit. Lernt dabei Shan Mogul, Feline Mowac und Roland Meyers kennen. Abschluss als Jahrgangsbeste mit höchsten Auszeichnungen, jedoch schon bald disziplinarische Probleme, ordnet sich niemandem unter. Laufbahn durch mehrere Degradierungen unterbrochen, nach Gründung des Quarteriums Dauerkonflikte mit Vorgesetzten, Verurteilung zu Straflager, 1304 NGZ auf Betreiben von Meyers Übernahme in die CIP, Mitglied der Gruppe Zero, Kommandeur, Erste Stellvertreterin Meyers.
Rideryon vor Millionen Jahren
Maya kann als eine Art Konzept SI KITUS angesehen werden und gehört in Wirklichkeit dem Volk der Lilim an. Die Lilim beherrschten vor etwa 250 Millionen Jahren unter der Führung von Lilith das Rideryon und wurden nach dem Verrat von Nistant von den Jaycuul-Rittern und Termetoren geschlagen und völlig aufgerieben. Während des Überlebenskampfes der Lilim, kurz nach dem Verschwinden von Lilith, steigt Maya zur Nummer Eins innerhalb der Lilim auf. Ihre ÜBSEF-Konstante wird nach ihrem Tod von SI KITU aufgenommen. Maya verfügt, neben weiteren Psi-Fähigkeiten, über die Fähigkeit der Gestaltwandlung.
Shan Mogul
Geboren: 1222 NGZ
Geburtsort: Oxtorne
Größe: 2,12 m
Gewicht: 720 kg
Augenfarbe: braun
Haarfarbe: keine (haarlos)
Bemerkungen: Ruhig, besonnen, handelt immer unter genauer Abwägung der Umstände.
Shan Mogul ist von den Narben unzähliger Kämpfe gezeichnet. Der Veteran der LFT verlässt den Liga-Dienst und wird nach dem Tode seiner Lebensgefährtin Rovina Mowac als freier Söldner tätig.
Nach den Wirren um Shabazza und MATERIA gründet er zusammen mit Monkey aus den Resten Camelots die Neue USO. Dabei kommt es jedoch schnell zu immer schwerwiegenderen Differenzen mit diesem, da er nicht mit Monkeys Kurs der weitgehenden Interessengleichheit mit der LFT einverstanden ist. Shan Mogul will das Know-how Camelots dazu nutzen, die Neue USO als absolut unabhängigen Machtfaktor innerhalb der Milchstraße aufzubauen und zu etablieren. Deshalb scheidet er bereits 1294 NGZ im Streit mit Monkey wieder aus der Neuen USO aus und folgt 1297 NGZ, zusammen mit seiner Adoptivtochter Feline, dem Ruf DORGONS, wird Ausbilder am Redhorse-Point und Lehrer von Roland Meyers und Maya ki Toushi.
Nachdem Roland Meyers zum Befehlshaber der Gruppe Zero ernannt wird, tritt Mogul auf eigenen Wunsch in den aktiven Dienst der CIP im Range eines Kommandeurs ein. Er wird Chef des Stabes und prägt in der Folgezeit den besonderen Corpsgeist der Elitetruppe.
Shan Mogul wird im Frühjahr 1308 NGZ von Cau Thon auf dem Riff getötet, als er zusammen mit Feline Mowac und Corph de Trajn den Söhnen des Chaos gegenübertritt.
Corph de Trajn
Geboren: unbekannt
Geburtsort: unbekannt
Größe: 1,89 m
Gewicht: 82 kg
Augenfarbe: rot
Haarfarbe: weiß
Bemerkungen: absolut undurchsichtiger Charakter, Dagor-Meister, gibt jedoch keinerlei Informationen zu seiner Person preis, vollzieht in unregelmäßigen Abständen religiöse Rituale. Hat umfassende Kenntnisse in sämtlichen Waffensystemen.
Über den Arkoniden liegen fast keine Informationen vor. Er taucht nach der Gründung des Quarteriums plötzlich auf Paxus auf. Auf welche Weise er in die CIP aufgenommen wurde, bleibt rätselhaft. Hat innerhalb der Gruppe Zero Kommandeursrang und die Funktion des Waffensystemanalytikers. Gilt allgemein als religiöser Spinner. Corph de Trajn ist ein Dagor-Hochmeister und kämpft vor allem in der Art der Dagoristas mit dem Katsugo, dem Dagorschwert.
Corph de Trajn wird im Frühjahr 1308 NGZ von Cau Thon auf dem Riff getötet, als er zusammen mit Feline Mowac und Shan Mogul den Söhnen des Chaos gegenübertritt.
Feline »Dragon« Mowac
Geboren: (vermutlich) 1276 NGZ
Geburtsort: (vermutlich) oxtornische Kolonie Taulus, 9. Planet der Sonne Catherine-well
Größe: 2,04 m
Gewicht: 604 kg
Augenfarbe: grün
Haarfarbe: keine (haarlos), jedoch in die Kopfhaut tätowierter roter Drache
Bemerkungen: Gilt charaktermäßig als eiskalt, kompromisslos und unnahbar. Über irgendwelche Beziehungen liegen keine Informationen vor.
Über Felines Herkunft liegen keine Informationen vor. Als Findelkind wird sie von Rovina Mowac, der Kanzlerin von Taulus, und Shan Mogul, ihrem Lebensgefährten, adoptiert. Sie erhält bereits in jungen Jahren eine breit angelegte Ausbildung.
Im Alter von 10 Jahren verschwindet sie und kehrt nach 2 Monaten, biologisch um 6 Jahre gealtert, wieder zurück. Verfügt über ein umfassendes Wissen und überragende körperliche Fähigkeiten. Besonders fällt ein in ihre Kopfhaut tätowierter roter Drache auf. Über die Zeit ihres Verschwindens weiß sie nichts. Es scheint, als ob dieser Zeitraum komplett aus ihrem Gedächtnis gelöscht wurde. Nachdem ihre Mutter Rovina Mowac bei einem Attentat tödlich verletzt wird, indem sie Feline mit ihrem Körper vor einer explodierenden Fusionsladung schützt, folgt sie Shan Mogul, der als freier Söldner tätig wird.
Als Mogul 1297 NGZ dem Ruf DORGONS nach Cartwheel folgt, schließt sie sich ihm an. Zuerst, wie Mogul, Mitglied der Flotte, dann Übernahme in die Gruppe Zero im Kommandeursrang und als Staffelführerin.
Feline Mowac wird im Frühjahr 1308 NGZ von Cauthon Despair auf dem Riff getötet, als sie zusammen mit Shan Mogul und Corph de Trajn den Söhnen des Chaos gegenübertritt. Dabei verschwindet ihr Körper spurlos, nachdem sie durch das Caritschwert Despairs eine tödliche Wunde erhalten hat. Über ihren weiteren Verbleib liegen zurzeit keine Informationen vor.