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Band 114

Rideryon-Zyklus

Geißel des Kosmos

Herton IV entpuppt sich als Falle

Nils Hirseland

Cover

Prolog – Countdown zum Chaos

»Du tickst ja nicht richtig!«

Mit einer Mischung aus Verärgerung und Bewunderung ihrer Schönheit starrte ich sie an. Sie tickte nicht richtig, lief nicht ganz rund. Mein verständnisloser Blick bewirkte nichts. Ich tippte dreimal mit dem Finger an meine Stirn.

Sie täuschte mich! Spielte mir falsche Tatsachen vor. Dreist log sie mir mit ihrer Anmut ins Gesicht, als sei dies das Normalste auf der Welt.

»Bei dir muss ein Rad ab sein«, sagte ich, doch sie schwieg, wie immer, gab nur sekündlich ihre typischen Geräusche von sich. Es hörte sich für mich wie ein »Klick-Klack« an. Bezaubernd war das! Gleichgültig machte sie weiter. Es störte sie keineswegs, dass ich ihre Lügen entlarvte. Nein, sie tat so, als wäre nichts passiert. Sie ignorierte meine Gefühle, einfach so, und tat noch so, als sei alles normal und schön.

Friede, Freude und Eierkuchen, bäh!

Ich schaute sie festen Blickes an, öffnete den Mund und fuhr mit meiner Zunge über ihre nackte, kalte Haut. Sie tat gleichmütig, dabei wusste ich, dass es sie erregte. Oh ja, das tat es bestimmt. Sie spielte nur die Kühle. Doch ich durchschaute sie! Denn auch wenn sie mich belog und es sekündlich aufs Neue tat, so hatte ich sie lieb. Sie war so schön und war einst ein Geschenk gewesen.

Ich drückte sie fest an mein Herz.

»Warum hast du mich nur hintergangen? Ich war doch immer gut zu dir, habe dich gut behandelt, dich geliebt und gehegt. Ich war dir stets ganz nah, habe dich niemals allein gelassen. Das ist der Dank, du dummes Ding?«

Ich hielt sie auf Armeslänge von mir, hob sie hoch und starrte sie traurig an. Wieso nur? Warum? Weshalb tat sie mir das nur an?

»Wir sind soweit«, sagte mein Begleiter.

Dann blieb er stehen und starrte auf sie.

»Stimmt was nicht?«

»Sie tickt nicht ganz richtig, hm …«

»Hol dir eine Neue«, sagte der andere verständnislos.

»Eine Neue? Nein! Sie ist unersetzbar. Verstehst du?«

»Nein.«

»Dann hilf mir aus. Wie spät haben wir es? Du merkst ja, meine Uhr tickt nicht mehr ganz richtig.«

»Deshalb sagte ich ja, beschaffe dir ein anderes Chronometer. Nach so vielen Jahren solltest du die Messbarkeit der Zeit geringer achten. Und nun … es ist so weit. Brechen wir nach Herton IV auf.«

Das freilich war ein Programm, das sich lohnte! Ich lachte fröhlich und klatschte heiter in die Hände. Er warf einen Blick auf das Chronometer an seinem Handgelenk. Ich schüttelte meine Uhr. Blödes Ding! Das hast du nun davon, mich so zu hintergehen – die Zeit überrundet dich! Ob du nun richtig tickst oder nicht. Es geht los, wir gehen los. Der Countdown des Chaos hat begonnen!

Inspektion

13. April 1308 NGZ

Quarteriumsmarschall Cauthon Despair an Bord der EL CID im Som-Ussad-System (Siom Som)

Der Weltraum lag in seiner grenzenlosen Weite, Stille und Kälte vor uns. Ein dunkles Meer des Nichts, nur durch das Glitzern unzähliger Milliarden und Abermilliarden von Sternen erhellt.

So bot sich mir trotz der Kälte des Alls ein wunderschöner Anblick. Er war so gewaltig und voller Perfektion.

Die Kälte des Leerraumes wirkte auf mich beruhigend und friedlich. Doch jedem Raumfahrer war bewusst, wie tödlich das Weltall sein konnte. Es gab kein Überleben im leeren Raum zwischen den Planeten und Sternen.

Auch wenn das Universum friedlich aussah … der Eindruck täuschte. So viele Regionen in unzähligen Galaxien waren Schauplätze von Tod und Zerstörung gewesen. Sorgte nicht das Universum mit Supernovae, Schwarzen Löchern, Gammablitzen, Hyperstürmen und Sternenkollisionen für Katastrophen, so taten es die Lebewesen mit ihren Kriegen und mit schrecklichen Waffen, die ganze Sonnensysteme auszulöschen vermochten.

Das Som-Ussad-System hatte solche Schlachten bereits gesehen, denn es war Zeuge des ersten bewaffneten Konflikts zwischen dem Quarterium und den Saggittonen geworden. Zweieinhalb Jahre waren seitdem vergangen, und das Glück war uns nicht treu geblieben. War das Quarterium in den estartischen Galaxien und M 87 Druithora noch von Sieg zu Sieg geeilt, hatten wir in der Lokalen Gruppe schwere Niederlagen erlitten.

Wir hatten zu viel gewollt. Beide Galaxien, Andromeda und die Milchstraße, sollten dem Quarterium einverleibt werden. Uwahn Jenmuhs wollte in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung Perry Rhodan und Imperator Bostich besiegen. Er wollte das Erbe der Meister der Insel antreten und ganz Andromeda unterjochen. Die Gier nach der absoluten Macht war uns beinahe zum Verhängnis geworden.

Es glich einem Wunder, dass wir nicht schon Ende 1307 NGZ untergegangen waren. Die Angriffe der Entropen in Cartwheel und die Vertreibung aus der Lokalen Gruppe hatten unserer Flotte große Verluste zugefügt. Doch Perry Rhodan hatte auf Verhandlungen gesetzt. Es war das Mirakel von Som, dass das Quarterium sich am 13. März 1308 NGZ an den runden Tisch setzen durfte.

Durch die Zerstörung des Sternenportals elf Tage später, also am 24. März, hatte sich das Kräfteverhältnis wieder zu unseren Gunsten verändert. Das war nun drei Wochen her. Der LFT fehlte ein großer Teil der Terranischen 8. Flotte, und auch die Hälfte der alyskisch-saggittonischen Kosmokratenflotte NESJOR befand sich in der Lokalen Gruppe. Zweifellos würde Perry Rhodan die Flottenteile über den herkömmlichen Weg nach Siom Som entsenden, doch viele Monate würden vergehen, ehe diese Verbände ihr Ziel erreichten.

Es war über einen Monat her, dass ich zuletzt in Siom Som war. Nach der Friedensverhandlung und Constances Betrug an mir war mir nicht danach gewesen, diesen Schauplatz erneut zu betreten.

Cartwheel lag mit seinen fünfhundert Millionen Lichtjahren Entfernung von der Milchstraße außer Reichweite. Es gab nur den Weg über das Sternenportal nahe Paxus und die Portale in der Nachbargalaxie Seshonaar. Doch die Pforten in Seshonaar wurden durch die XII. Quarteriale Flotte unter dem Kommando von Admiral Shormar und der 761. Barymflotte unter dem Larsaar Torytak geschützt. 21.000 Schlachtschiffe und unzählige Raumforts sicherten Seshonaar ab. Auch das Sternenportal nahe Paxus war vor einer Invasion geschützt.

Die dorgonischen Kaisertruppen hielten sich an ihr Bündnis mit uns. Dieser Status quo erhielt den Frieden und die Macht der Besatzer in den estartischen Galaxien. Ich war hier, um die Truppen zu inspizieren. Doch ich war nicht allein auf meiner Inspektionsreise. Der Emperador hatte eine ganze Reihe seiner »Vertrauten« mitgeschickt, die meine Reise noch deprimierender machten, als sie es ohnehin schon war.

Einige Meter abseits von mir stand die Brut. Die glorreichen Bonzen des Quarteriums, die ihm mehr schadeten als nutzten. Sie waren mir zuwider, weil sie ehrlos, verlogen und egoistisch waren. Allen voran der fette Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs. Nach seiner Schlappe in der Lokalen Gruppe rang er um Wiedergutmachung.

Der Emperador hatte ihn zum Quarteriumsführer Artenbestandsregulierung ernannt, eine eigens für Jenmuhs geschaffene Stelle. Der Arkonide übernahm somit die Kontrolle der Artenbestandsregulierung. Er sollte nicht nur die Vernichtung von Leben vorantreiben, sondern sie auch effektiv gestalten. Gerade jetzt, wo es uns an Material fehlte, war Sklavenarbeit sehr wichtig.

In einer »Task-Force« hatten Michael Shorne, Jenmuhs, Diethar Mykke, Werner Niesewitz und Reinhard Katschmarek beschlossen, die Vernichtung der Extraterrestrier und Reichsfeinde vorerst auszusetzen, um deren Arbeitskraft zu nutzen. Deshalb waren sie hier: Um die Maßnahmen in Siom Som umzusetzen, wurden die Mitglieder der »Task-Force« mitgeschickt. Niesewitz wurde durch seinen Speichellecker Trybwater vertreten. Eine Verbrecherbande, wie sie im Buche stand.

Natürlich geschah dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur die Dorgonen sollten informiert werden.

Trotzdem fühlte ich mich sowohl dem Quarterium als auch MODROR weiterhin verpflichtet. Es gab auch keine andere Aufgabe für mich. Es war mein Schicksal, dem Chaos zu dienen, bis aus ihm eine neue Ordnung des ewigen Friedens entstehen würde.

Ich blickte auf den Panoramabildschirm, welcher mithilfe von Außenbordkameras die Flotte des Quarteriums im Weltraum darstellte.

Als die kleinen SUPREMO C-Raumer an der EL CID vorbeizogen, war ich stolz auf das Imperium, welches wir geschaffen hatten, denn es war stark und besaß Werte. Doch es hatte seine Schattenseiten. Gegen einen Expansionskrieg war nichts einzuwenden, gegen die Ermordung von unschuldigen Zivilisten schon. Aber es war MODRORS Wille, Billionen Lebewesen in den Entsorgungslagern auszulöschen. Wieso, das blieb uns verborgen, doch Subjekte wie Jenmuhs und die CIP-Kommandeure führten seine Befehle willig und mit großem Eifer aus.

»Quarteriumsmarschall, wir haben Position im Orbit von Som-Ussad bezogen. Generalmarschall Toran Ebur hat einen Empfang vorbereitet.«

»Gut, Oberst Tantum! Informieren Sie unsere Gäste und bereiten Sie eine Fähre vor.«

Der Kommandant der EL CID verneigte sich gebührend vor mir und teilte Jenmuhs und seiner illustren Truppe meine Instruktionen mit. Eine Viertelstunde später setzte das Space-Shuttle auf dem Raumhafen der alten Festung von Som-Ussad auf. Auf dem mächtigen Berg über der Stadt war das Abwehrgeschütz »Kleine Claudya« zu erkennen. Imposant und tödlich zugleich.

Zu preußischen Präsentiermärschen empfingen uns drei Kompanien quarterialer Soldaten des Estartukorps. Jenmuhs ließ sich natürlich feiern, als wäre er der größte Raumherr aller Zeiten. Dieses pompöse, affektierte Gehabe widerte mich an.

Generalmarschall Ebur begrüßte uns salutierend. Nach der offiziellen Zeremonie wurden wir in den luxuriösen Sitz des Kommandanten des Estartukorps gebracht. Ebur hatte diesen Posten erst seit Kurzem wieder inne, da sich Leticron nach Erendyra zurückgezogen und den Oberbefehl über das Estartukorps abgegeben hatte.

Selbst mir war es nicht gelungen, von Emperador Siniestro nähere Informationen über die Mission des Überschweren zu erhalten. Entweder war dieser selbst nicht informiert, oder der Quarteriumsfürst und Sohn des Chaos handelte im direkten Auftrag meines Vaters MODROR. Innerhalb der Führung zirkulierten unzählige Gerüchte über die neuen, unüberwindlichen Waffensysteme, die in Erendyra entwickelt werden würden. Allerdings hätte ich als Oberbefehlshaber aller quarterialen Streitkräfte darüber informiert werden müssen.

In der Zwischenzeit konnten wir die Verluste der vergangenen Monate mit den Resten der Truppen ausgleichen, denen der Rückzug aus Druithora und der Lokalen Gruppe gelungen war, nachdem die dortigen Fronten zusammengebrochen waren. Alle diese Einheiten wurden in das Estartukorps eingegliedert und verstärkten unsere Position in der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS.

Die Veranstaltung war garantiert nichts, was meiner Vorstellung von Vergnügen entsprach. Im etwa achtzig Quadratmeter kleinen Empfangssalon des Generalmarschalls servierten uns blonde Frauen in arkonidischen Trachten reichlich Speis und Trank. Im Hintergrund spielte Musik. Ein uraltes Volkslied mit dem tumben Titel »Du, du liegst mir im Herzen« dudelte.

»Denkt an den Strohhalm für den Ritter«, meinte Reinhard Katschmarek und lachte über seine Anspielung am meisten. Dabei schunkelte er mit einem Bier in der Hand zu der Melodie, die zweifellos in seiner Jugendzeit im terranischen 20. Jahrhundert ein Hit gewesen war.

»Ah, endlich ein Bier«, freute sich Diethar Mykke.

Shorne grinste.

»Nach der anstrengenden Reise haben wir uns das auch verdient. Sehr aufmerksam, Generalmarschall.«

Ebur knallte die Hacken zusammen und sprach einen Toast auf die erneute Wende des Krieges und den totalen Sieg des Quarteriums aus. Parolen, die mich beunruhigten.

»Auf den Sieg«, stimmten die anderen ein.

Jenmuhs lachte schrill. Während er sich ein Wurstschnittchen nach dem anderen in den Mund schob, erklärte er, wie dieser Sieg noch zu erreichen war. Jenmuhs schwärmte von einer gigantischen Entscheidungsschlacht in Siom Som. Die Feinde würden vernichtend geschlagen werden.

Er hob belehrend den Finger.

»Sie werden sehen, meine Herren! Ich arbeite bereits an einem neuen Schlachtplan, welcher gerade durch das Militär verifiziert wird.«

»Ich bin das Militär!«, entgegnete ich barsch, da ich nichts von solch einem Plan wusste.

Jenmuhs wiegelte lachend ab.

»Ich meine damit die arkonidischen Generäle. Ich vertraue nur meinem eigenen Stab. Zu gegebener Zeit werde ich Sie darüber in Kenntnis setzen, Despair.«

»Sie vergessen, dass Sie von allen militärischen Aufgaben entbunden sind, Jenmuhs! Überschreiten Sie noch einmal Ihre Grenzen …«

»Nun, die Rostbratwürstchen und der Krautsalat sind ausgezeichnet«, wechselte Shorne das Thema.

»Bestes quarteriales Kraut nach zalitischer Art. Für die Herren ist mir doch nichts zu schade«, schmeichelte Toran Ebur.

Er bat seinen neuen Adjutanten zu sich, der den Generalmarschall in administrativen Fragen unterstützte und zeitweilig für die Artenbestandsregulierung mitverantwortlich war. Der hagere, bieder wirkende Mann war mir nicht unbekannt.

Erich Village war ein Winkeladvokat gewesen, ehe er dem Ruf Cartwheels gefolgt war und sich dort mehr schlecht als recht durchgeschlagen hatte. Dann wurde er Mitarbeiter der Cartwheel Intelligence Protective und machte Karriere als Adjutant von Generalkommandeur da Reych, bis dieser vom Widerstand getötet wurde.

Nun schien Village eine neue Aufgabe gefunden zu haben. Reinhard Katschmarek als Sonderbeauftragter und Reynar Trybwater als Generalkommandeur der CIP waren seine direkten Vorgesetzten. Village bat uns, Platz zu nehmen. Er salutierte mit ernster Miene vor den Regierungsmitgliedern.

»In Absprache mit dem Corun von Paricza habe ich ein Programm für Sie entworfen. Es beinhaltet die Truppenbesichtigung, ein Besuch auf Som, Inspektion des Entsorgungslagers Beschryr. Danach werden Sie mit der Verlobten des Kronprinzen, Uthe, und dem Anführer der Prettosgardisten sowie meiner Wenigkeit nach Herton IV reisen. Dort werden Verhandlungen mit dem lokalen Paten Caatu geführt. Anschließend erfolgt eine esoterische Lehrstunde des kosmogenialen Sektenführers Caphorn.«

Ich las mir das Programm durch. Das Entsorgungslager Beschryr konnten wir uns sparen. Ich hatte keine Lust, mir das anzutun. Ich legte den Reader beiseite und blickte Village schweigend an. Er konnte meine Langeweile nicht bemerken. Meine Maske war unleserlich für meine Untergebenen. Offenbar wusste mein Gegenüber jedoch, dass er fortfahren sollte. Village räusperte sich, richtete sich den Kragen und begann mir ausführlich zu erklären, was sich hinter dem lokalen Paten verbarg.

»Caatu ist ein steinreicher Somer, der mit vielen undurchsichtigen Geschäften sein Geld verdient. Eine Art Mafiosi von Siom Som. Doch sehr mächtig und einflussreich. Er hat sowohl das Kaiserreich als auch das Quarterium immer wohlwollend unterstützt. Caatu verfügt über eine beträchtliche Anzahl an Raumwerften und zeigt sich sehr interessiert, die Produktion von SUPREMO-Raumern mit Hilfe von billigen Arbeitskräften zu forcieren.«

War das nicht eher der Aufgabenbereich von Michael Shorne und Diethar Mykke? Was hatte das mit mir zu tun?

»Ist meine Anwesenheit dort nötig?«, fragte ich schroff.

Village nickte eifrig.

»Natürlich, zumal Corun Leticron abgesagt hat. Caatu ist der mächtigste Somer in dieser Galaxie. Stellen wir uns mit ihm gut, das erspart uns viel Arbeit. Er ist aber exzentrisch und esoterisch veranlagt, das erklärt diesen Sektenheini Caphorn. Und wir werden nicht die einzigen Gäste sein …«

Nun wurde ich doch neugierig.

»Wer kommt noch?«

»Roi Danton und der Chronist Jaaron Jargon, unter anderem«, berichtete der CIP-Kommandeur mit belegter Stimme.

»Hah! Hervorragend! Mit Glück kriegen wir Danton und die ganze Brut und verschiffen sie gleich nach Beschryr«, freute sich Jenmuhs. Er leerte sein Glas Nettoruna-Wein und rülpste.

Ich war froh um mein Visier. So musste ich meinen Gesichtsausdruck nicht kaschieren. »Nun, dann würde Caatu brüskiert sein und die Allianz mit uns aufkündigen.«

»Dann kommt der gleich mit in den Konverter. Klappe zu, Vogel tot!«

Jenmuhs lachte schrill über seinen eigenen Witz. Dabei wabbelten das Doppelkinn und sein Fettwanst im Takt.

»Seine Anhänger, zumeist Pterus, würden einen langwierigen Guerillakrieg gegen uns führen, ihre Anlagen sprengen und viel Arbeit bereiten«, wandte Village ein.

»Das können wir uns derzeit nicht leisten. Wäre nicht das erste Mal, dass ich mit einem Rhodan feiern muss«, fügte ich hinzu und erinnerte mich dabei an das Weihnachtsfest vor fünfzehn Monaten. Damals waren mir erstmals Entropen und Rideryonen begegnet.

»Es ist also beschlossen«, meinte Michael Shorne. »Despair und ich fliegen mit der Scorbit und Kruppus und flirten mit dem Feind.«

Shorne lachte zynisch. Dem Finanzminister des Quarteriums würde es wohl am wenigsten Probleme bereiten, mit dem Feind an einem Tisch zu sitzen. Ich machte mir Sorgen wegen dieser Begegnung. Es war ein sonderbares Gefühl, dass kosmische Ereignisse wie diese Weichenstellung, die MODRORS ewigen Ruhm und Sieg befördern sollte, so sehr in den Händen dieser schmierigen Gestalten lag. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie mehr oder weniger hasste als unsere Feinde … doch war es nicht gerade dieser Zwiespalt, der uns zu Dienern und Söhnen des Chaos machte? Des Chaos, das ewig war wie der Raum und ebenso kalt? Jenmuhs biss in eine fettige Bratwurst und rülpste. Welche Erhabenheit!

Der Weg nach Herton IV

14. April 1308 NGZ

Roi Danton im Orbit von Herton IV

Wieso tat ich das nur? Ich hätte mich heute schön mit Vurguzz volllaufen lassen und einen guten Film sehen können. Doch ich war neugierig geworden auf die Show des illustren und zwielichtigen Sektengurus Grimm T. Caphorn. Als Pyla und Jaaron Jargon von ihrer Einladung berichteten, wollte ich einfach mit.

Hoch die Tassen – so gab ich mich gern. Doch Gefahr hin oder her, es tat mir leid, dass ich bei der Erkundung auf Entropia nicht dabei gewesen war. Elyn wäre beinahe verbrannt worden, da hätte ein Begleitschutz mehr gute Dienste geleistet. Und ich hätte etwas Sinnvolles tun können. Die Geschehnisse um die Entropen waren kosmisch, es ging um fast ewige Wesen wie diesen Nistant, und um DORGON und MODROR.

Und ich war gespannt, was dieser Spinner Caphorn tatsächlich über das Rideryon wusste. Würde er uns neue Erkenntnisse bringen, oder würde das Treffen in Banalitäten versinken?

Ich musterte mein Team. Jaaron Jargon saß an einem tragbaren Rechner und tippte vermutlich die Ereignisse der letzten Tage hinein. Der Chronist der Insel hatte sich zum Sammler der »Chroniken DORGON und MODROR« entwickelt. Ehrgeizig hatte er damit begonnen, die Geschichte von vorn aufzurollen. Zusammen mit Pyla, der die Beschäftigung guttat, die aber sichtlich Probleme mit dieser Art von Arbeit hatte.

Mathew Wallace steuerte die Space-Jet, Jan Scorbit assistierte ihm dabei. Die Hexe Yvonne Rossh blickte arrogant und überheblich drein. Die lebenslustige Pyla wirkte wesentlich freundlicher, auch wenn sie derzeit deutlich gelangweilt dreinschaute. Historische Aufzeichnungen waren nicht ihr Ding. Wer sollte es ihr verdenken?

Jaaron Jargon reichte ihr einige Blätter. »Gleiche die beiden Versionen bitte ab, liebes Kind. Lass uns gleich damit beginnen.«

Pyla seufzte.

»Ich bin etwas müde, können wir nicht …«

»Nein, können wir nicht«, mahnte Jaaron.

»Na gut. Wo kommt das hier denn hin? Das kosmische Projekt haben wir ja bereits fertig.«

Sie rekapitulierte mit halblauter Stimme. Aus Eorthors Berichten hatten sie herausgearbeitet, wie die Alysker im Auftrag der Kosmokraten Sipustov und Amun die technische Umsetzung zur Vereinigung des Kosmokraten Solmath und des Chaotarchen Nachjul verwirklichen sollten.

Aus ihnen hatte ein Supergeschöpf entstehen sollen. Doch es wurden zwei. DORGON hatte alle positiven Eigenschaften des Chaotarchen und des Kosmokraten, während MODROR alle negativen Dinge in sich vereinte und somit wohl das böseste Wesen im Universum war.

Die beiden Kosmotarchen gingen ihre Wege, kämpften aber immer wieder um das Kreuz der Galaxien, bis es schließlich komplett von Rodrom, der einst ein Alysker war, im Namen MODRORS erobert wurde. Über die lange Spanne von 190 Millionen Jahren bis dato war bis auf die Kriege im Kreuz der Galaxien wenig bekannt.

Pyla schüttelte den Kopf und lachte auf, dann begann sie zu lesen. Eine blonde Strähne fiel aufs Papier. Ich erinnerte mich an unsere erste Party, damals, als die Leute aus ihrem Dorf noch lebten. Die neue Ernsthaftigkeit stand ihr gut.

Gleich darauf kam Anya Guuze zurechtgemacht aus dem Bordbad der Space-Jet.

»Der Nächste bitte«, sagte sie und sah wirklich hinreißend aus.

Das Herz der Sterne! Zumindest für Nistant. Ich hatte lange mit Anya gesprochen und ein wenig geflirtet. Ich wollte, dass sie mir vertraute, denn ich gedachte, sie noch öfter einzusetzen. Sie sollte an der Expedition ins Resif-Sidera teilnehmen. Es würde für uns kein Nachteil sein, wenn wir die Frau im Gepäck hatten, die Nistant für die Reinkarnation seiner großen Liebe Ajinah hielt.

»Fangen wir mit den Kemeten an«, meinte Jaaron. Pyla machte ein fragendes Gesicht.

»Du meinst Osiris und seine Leute, die vor über 300.000 Jahren im Dienst des Kosmokraten Amun standen und dann in die Milchstraße verbannt wurden, wo sie neben Atlan den Menschen in der Entwicklung ihrer Zivilisation geholfen haben?«

Jaaron nickte. Pylas Lippen formten eine Schnute.

»Ich frage mich, was dieser Amun noch so alles machen wird. Er erschafft Kosmotarchen, hat die alten Ägypter gemacht. Aber getroffen hat ihn noch keiner von uns, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. Pyla sprach weiter.

»Hm, na ist wohl auch kein netter Kerl, der Amun. Ich meine, wer einen MODROR erschafft und die netten Kemeten verbannt, kann ja nicht nett sein.«

Die Vergleiche zum irdischen Gott und seinem Verhältnis zur Schöpfung, die sich mir aufdrängten, sprach ich nicht aus. Gott war etwas anderes als die Kosmokraten, auch wenn sie turmhoch über uns standen – doch was exakt war der Unterschied? Amun war geheimnisvoll wie alle Kosmokraten, zumal er vor einem Jahr offenbar auch von MODRORS Falle am Sternenportal gewusst hatte, da er den Kemeten erschienen war. Oder war es auch ein falscher Amun gewesen, so wie ES nicht echt gewesen war?

Mir wäre diese Vorstellung lieber als ein Kosmokrat, der sein eigenes, gefährliches Spielchen trieb.

»Die Kemeten haben also Jahrtausende damit zugebracht, auf der Erde zu leben. Dabei sind sie Atlan so gründlich aus dem Weg gegangen, dass er sie nicht bemerkt hat. Sie haben die Kultur der Ägypter geformt und maßgeblich beeinflusst, und begaben sich in Tiefschlaf, als die letzte Pharaonin Kleopatra starb.«

Pyla nickte, während sie die Papiere betrachtete und in den Dateien auf ihrem Rechner stöberte.

»Vor rund zehn Jahren hat die Archäologin Denise Joorn dann Osiris entdeckt, der eh von seinem Fluch befreit wurde. Zuerst wollte er mit den anderen die Erde besetzen, aber Horus gelang eine friedliche Lösung mit seinem Vater und Perry Rhodan.«

Pyla schaute versonnen in die Runde.

»Horus erinnert mich an die Vögel daheim.«

Sie seufzte. Dann weiteten sich ihre Augen.

»Anubis ist auch sein Sohn? Dabei sieht er aus wie ein Hund. Wie ist das denn möglich?«

Jaaron schmunzelte gütig und erklärte, dass die Entstehung von Anubis und Horus auf künstlichem Wege geschehen war und wohl absichtlich die DNS der Hersi’Thor im Falle von Horus und Shak’Arit bei Anubis mit eingebracht wurde. Pyla merkte, dass sie wieder einmal nicht wusste, was den anderen selbstverständlich war, und wurde verlegen. Unsere Blicke trafen sich, und ich lächelte ihr zu. Sie hatte ja recht. Selbst mir leuchtete das nicht ein. Fremde Kulturen, fremde Sitten eben.

Jaaron und Pyla schrieben weiter, warfen einander Bemerkungen zu. Pylas Wangen röteten sich. Sie kämpften gegen SETH-APOPHIS und waren einst Bewacher des Kosmonukleotids UDJAT, welches rund drei Millionen Lichtjahre von Cartwheel entfernt lag. Cartwheel selbst trug noch vor 300.000 Jahren den Namen Chepri und war die Heimat der Kemeten gewesen.

Nachdem Amun sie unehrenhaft entlassen hatte und das Kemet-Sonnensystem in den Orion-Nebel der Milchstraße versetzt wurde, strandeten die Kemeten auf der Erde und mussten dort in Verbannung leben. Osiris selbst war zu dem Zeitpunkt von seinem Bruder Seth in ein Gefängnis mit einem Zeitschloss versetzt worden. Nach 10.000 Jahren hatte sich dieses Gefängnis geöffnet – im Jahre 1298 NGZ.

»Ohne die Kemeten wäre die Erde also schon vor zehn Jahren zerstört worden«, stellte Pyla fest. »Aber sie haben Rodrom mit dessen Kampfstation SONNENHAMMER in eine Falle gelockt. Als der in einer Sonne eine Supernova auslösen wollte, welche einen Dominoeffekt in allen Sonnen der Milchstraße ausgelöst hätte, hob Osiris das System in eine Hyperraumblase und alle verwehten. Stimmt das so?«

Jaaron nickte. Pyla starrte nachdenklich auf ihren Bildschirm.

»Wieso leben sie jetzt wieder?«

»Die Kemeten verstanden es seit Jahrtausenden, den Geist vom Körper zu trennen. Während ihr Körper verging, kehrten die Seelen – was die Kemeten Ka nannten – in die Amun-Ré-Pyramide auf Kemet zurück. Dort entwickelte sich die Superintelligenz Kemet. Doch das Bewusstsein von Osiris und auch die seiner Gefährten kehrten vor rund einem Jahr zurück, um Perry Rhodan zu helfen«, erklärte Jaaron.

Er berichtete über die Tessma-Technologie und die Körper, die extra für die Zeit während ihres »weltlichen« Besuchs erschaffen wurden. Pyla zog ihre hübsche Stirn in Falten. Zugegeben, das war ein schwieriges Thema.

Der restliche Flug blieb ähnlich informativ. Jaaron begann über den Flug und den Untergang der LONDON im Jahre 1285 NGZ zu schreiben. Er sah dieses Ereignis als den Beginn der Abenteuer für die Terraner, Saggittonen und ihre Verbündeten. Ich hörte aufmerksam zu, legte die Beine hoch und machte blöde Bemerkungen, um meinen guten Ruf zu wahren.

Herton IV

14. April 1308 NGZ

Cauthon Despair

Die Bedingungen von Caatu gefielen mir nicht. Allen Parteien war es nur gestattet, mit einem 100-Meter-Kreuzer in das Herton-System einzufliegen. Wir waren dem Somer und diesem Caphorn ausgeliefert. Caatu sah es als Zeichen von Frieden. Ich befürchtete einen Hinterhalt. Es ging um viel, und wir sollten einen auf Kindergarten machen.

Unsere quarterial-dorgonische Delegation bestand aus Uthe Scorbit, Kruppus, Michael Shorne und Erich Village. Was für eine illustre Truppe. Da keiner meiner verehrten Gefolgsleute in der Lage war, ein Raumschiff zu steuern, flog ich selbst die Space-Jet in den Orbit von Herton IV, während der SUPREMO-Raumer am Rand des Sonnensystems Position bezog.

Ich rief die Datei über Herton IV auf. Der Planet kreiste um die blaue Sonne Herton. Herton IV war der einzig bewohnbare Planet des siebzehn Planeten umfassenden Systems.

Auf Herton IV herrschten vorwiegend eisige Temperaturen, die Durchschnittswerte lagen bei drei Grad Celsius. Es gab nur wenige gemäßigte Zonen. Die besiedelten Kontinente waren zumeist mit Schnee bedeckt. Ansonsten war die Welt mit knapp einem Gravo für Terraner recht annehmbar. Die Flora und Fauna bestand aus sehr kälteresistenten Lebensformen.

Herton IV war mit etwa drei Millionen Bewohnern sehr spärlich besiedelt. Somer, Pterus, Ophaler und Elfahder stellten die große Mehrheit. Welch eine Mischung! Ich las weiter.

In der größten Stadt Hertonia lebten 400.000 Einwohner. Rund fünfhundert Kilometer abseits befand sich die Residenz von Caatu. Die Bediensteten dort – angeblich rund 500 – lebten wochentags auf dem Anwesen und kehrten am Wochenende zurück nach Hertonia. Nur eine kleine Stammmannschaft blieb dort zurück.

Die Residenz von Caatu war den Aufzeichnungen zufolge eine mittelalterliche Burg. Sie stammte aus den Anfängen der Kolonialzeit von Herton IV und hatte einige Jahre lang auch einem Ewigen Krieger als Sitz gedient.

Nachdem die Space-Jet den Atmosphäreneintritt unbeschadet überstanden hatte und die Wolkendecke durchbrach, erblickte ich eine weiße Winterlandschaft, wie sie im Märchen nicht hätte schöner sein können. Endlose Nadelwälder, alles in Weiß. Hier und da kleine Siedlungen und Dörfer.

Schließlich erreichten wir den Sitz des Caatu-Klans. Die Siedlung von wenigen Häusern war ringförmig um das große Schloss gebaut. Um das Dorf herum befanden sich dichte Wälder und Gebirge auf der einen, ein großer See auf der anderen Seite.

Ich erhielt von einem unfreundlichen Pterus die Order, auf dem Landeplatz östlich der Burg aufzusetzen. Dort befand sich bereits ein Raumschiff gleichen Bautyps, nur dass die Hoheitszeichen der LFT darauf prangten.

Behutsam und geradezu vorbildlich parkte ich das Vehikel zwischen der LFT-Space-Jet und einem Raumschiff von Caatu ein. Die Meute hatte sich bereits an der Schleuse versammelt.

Orlandos Verlobte Uthe wirkte wie eh und je unnahbar und spießig. Dennoch war sie eine Schönheit. Mit ihren hochgesteckten Haaren, der strengen Brille und dem perfekt sitzenden, aber nichts zeigenden Outfit wirkte sie wie ein kühles Zierbild von einer Frau. Eigentlich passte sie gut ins Bild des quarterialen Hofes. Sie war definitiv eine Frau zum Vorzeigen. Sie wirkte seriös und adlig. Aber konnte man ihr trauen?

Ihr Ex-Mann Remus Scorbit diente dem Feind. Er war ein enger Vertrauter von Aurec und Joak Cascal. Ihre Freunde Jonathan Andrews, Mathew Wallace, Jan Scorbit und all die anderen waren Anhänger Rhodans. Selbst ihre »beste« Freundin Rosan de la Siniestro, die widerwillig unseren Emperador geehelicht hatte, hasste das Quarterium wie die Zentrumspest.

Und diese Uthe fühlte sich bei uns am Hofe wohl? Oder war sie so sehr in Orlando verliebt, dass sie alles andere hinnahm? Die Situation war schwierig einzuschätzen, jedoch sprach ich der Scorbit jegliche Befähigung zur Agententätigkeit ab. Dazu war sie zu bieder. Letztlich wollte sie wohl nur ein stinknormales Leben in Reichtum und Luxus und mit gesellschaftlichen Anlässen führen. Als Weibchen an Orlandos Seite war ihr das vergönnt. Da hatte sie ihren Märchenprinzen, der ihr ein angenehmes Leben bot. Und offenbar konnte sie all das Blut, welches vom quarterialen Schwerte tropfte, bestens ausblenden.

Uthe und Shorne führten eine oberflächliche Konversation über irgendwelche weibischen Themen, die mich überhaupt nicht interessierten. Der Dorgone Kruppus zupfte derweil seine Uniform zurecht. Der Anführer der Prettosgardisten war eine undurchsichtige Gestalt. Silbergraue Haare, ein Kinnbärtchen, fleischiger Körperbau und schuppige Haut. Am auffälligsten waren seine Schweinsaugen. Sie schienen alles zu durchdringen.

Kruppus musterte Uthe Scorbit besonders auffällig. Er zog sie mit seinen Blicken regelrecht aus. Ich hatte kein Vertrauen in diesen Dorgonen. Zu frisch war die Erinnerung an die Verführungskünste seines Kaisers Volcus, der mir im wahrsten Sinne des Wortes Constance ausgespannt hatte. Und wenn sie tugendhaft geblieben war, so doch nur für ihren entropischen Emporkömmling Lydkor. Für mich war in Constances Leben auf jeden Fall kein Platz. Wie so oft erst lieb und nett, Hoffnung wecken und dann einen Rückzieher machen. Und da wunderte sich das Universum, dass ich ein Sohn des Chaos war?

Ich öffnete die Schleuse. Die Gangway fuhr herunter. Wir wurden von ein paar mit rotweißen Bändern geschmückten Somern mit grünen Zipfelmützen auf den Köpfen begrüßt.

»Wir wünschen einen guten Tag«, zwitscherte ein dicklicher Somer, der einen guten Thanksgivingbraten abgegeben hätte.

Ich bemerkte meine Gereiztheit, aber ich kam nicht dagegen an. Der ganze Hühnerhaufen wirkte lächerlich in den seltsamen Kostümen. Mir war der Anlass für die Maskerade nicht bekannt, und ich konnte mir keinen vernünftigen vorstellen.

Bisher wirkte das nicht sehr beeindruckend auf mich. Es sah hier nicht nach der Zentrale einer galaktischen Verbrecherorganisation aus, sondern wie ein Kindergeburtstag.

Schnell führten uns die Somer in den Innenhof, da Uthe in der Kälte fror.

Kleine Kinder estartischer Herkunft spielten vergnügt im Schnee. Wir betraten eine große Halle mit vielen Gemälden, Wandteppichen und Statuen. Leise beschauliche Musik wurde im Hintergrund gespielt.

Wenige Meter vor mir stand nun endlich die andere Gruppe. Ich war gespannt, wer sich die Ehre gab, und wurde wenig überrascht. Ein affektierter Mann, der mit Dreispitz und Uniform aus napoleonischer Zeit noch lächerlicher als die Somer wirkte, begrüßte mich mit einer galanten Verbeugung. Roi Danton alias Michael Rhodan bewegte sich auf mich zu.

»Bonjour, Marschall Despair, welch erwartetes Unvergnügen! Sind wir nun erneut gezwungen, mit Ihnen ein Fest zu verbringen? Und dann Ihre Begleitung noch dazu! Mon Dieu!«

Hinter meinem Visier grinste ich grimmig. Unrecht hatte er nicht.

Danton winkte seine Leute zu uns. Mathew Wallace, Jaaron Jargon und Jan Scorbit erkannte ich ohne Vorstellung. Auch Anya Guuze war mir bestens bekannt, hatte sie es doch auf Ednil gewagt, sehr offen mit mir zu reden. Dafür respektierte ich sie. Sie besaß ein gutes Herz und war eine außerordentliche Frau.

Zum ersten Mal war ich Anya Guuze irgendwann auf einer Feier im Schloss auf Siniestro begegnet. Ihr Ehemann Krizan Bulrich hatte versucht, in der High Society Fuß zu fassen, während sie zum Objekt der Begierde von diesem illustren Ian Gheddy geworden war. Er und sein Bruder hatten den Emperador, der damals nur Marquês de la Siniestro war, erpresst. Sie hatten gewusst, dass seine Kinder Klone waren.

So musste der Marquês damals die hässliche Mutter der beiden Gheddys heiraten. Das unfreiwillige Glück hielt nicht lange, denn die Gheddy-Brüder wollten de la Siniestro und seine Kinder töten, um an das Erbe zu kommen. Ich hatte das verhindert. Anya war damals ebenfalls als Geisel genommen worden. Sie sollte Ian Gheddy heiraten, doch im Kampf hatte sie den brutalen Erpresser in Notwehr erschossen.

Das war nun fast genau zehn Jahre her!

Irgendwann hatte sie dann Bulrich geheiratet, der Karriere bei der CIP machte und bei der Artenbestandsregulierung eingesetzt wurde. Anya wohnte einige Zeit auf Objursha und wurde so abgeschottet, dass sie lange nichts vom Massenmord mitbekam.

Doch irgendwann war sie dahintergekommen und hatte Sandal Tolk und Myrielle Gatto geholfen, Joak Cascal zu befreien. Einige Zeit hatte sie dann auf Kemet gelebt, bevor sie nach Terra zurückkehrte, um nur wenige Monate später unfreiwillig in M 87 zu landen. Ich fragte mich, was diese ungewöhnliche Frau hier machte.

Die beiden anderen Frauen waren mir unbekannt, vermutlich waren es Lilim. Die Blonde wirkte noch recht jung. Sie kam mit einem herzlichen Lächeln und leuchtenden Augen auf mich zu und reichte mir die Hand.

»Hallo, Herr Quarteriumsmarschall! Ich bin die Pyla.«

Ihre Stimme war hoch und leicht säuselnd, sie sprach aber sehr gedehnt und betont diese Worte. Ich war von ihrer attraktiven und natürlichen Erscheinung geradezu gebannt. Sofort ermahnte ich mich, Ruhe zu bewahren. Doch schon hatte ich ihre Hand ergriffen und genoss es ein wenig.

Nun räusperte sich Danton.

»Sie können wieder loslassen, sonst brechen Sie der armen Pyla noch etwas.«

Widerwillig ließ ich los und nahm wieder Haltung an. Es fiel mir schwer, mich von ihr loszureißen, aber die andere Frau drängte sich bereits ins Bild.

»Und das ist Yvonne Roger Rossh. Eine Hexe der Entropen«, stellte Danton die Dame vor.

Yvonne verzichtete darauf, mir die Hand zu geben. Sie war kleiner als die andere Lilim, hatte dunkles Haar, glänzend blaue Augen und volle Lippen. Ihr Gebiss war etwas hervorstehend, fast schon raubtierhaft. Mir fielen auch die dicken Augenbrauen auf.

»Nun, zwei Knusperhexen auf einem Märchenschloss«, meinte ich sarkastisch.

»Wenn du auf einen intimen Kampf zu zweit aus bist, werde ich dir die Haut in kleinen Fetzen vom Leib reißen, während ich dich zum Höhepunkt prügele«, erwiderte Yvonne und lachte laut, schrill und hysterisch.

So recht wusste ich nicht, wie ich das zu deuten hatte. Schließlich erwiderte ich:

»Nun, Katryna dachte wohl auch so in Bezug auf Quarteriale. Und verlor den Kopf dabei.«

Das Lächeln der Hexe verschwand. Ihre Artgenossin folgte eher teilnahmslos dem Gespräch. Als es still wurde, fragte Pyla schließlich: »Wer war Katryna?«

»Das sollten Hexen wie Sie am besten wissen«, gab ich zurück.

Pylas Augen wurden groß. »Ich bin doch keine Hexe!«

Yvonne gab in einer abfälligen Geste zu verstehen, dass Pyla nicht zu ihrem Volk gehörte. Ich war irritiert, denn ich hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass sie eine Entropin war. Woher kam diese schöne Unbekannte denn sonst? Ich wandte den Kopf zu Roi Danton. Meinen fragenden Blick konnte er natürlich durch mein Visier nicht sehen, aber er verstand mich trotzdem.

»Die gute Mademoiselle Pyla stammt vom Volk der Buuraler. Sie ist vom Rideryon und hat mich tatkräftig und auf ihre spezielle Art und Weise in den Abenteuern auf dem kosmischen Riff unterstützt.«

Eine Rideryonin! War sie eine Botschafterin von Nistant? Nein, jetzt fiel es mir ein. Irgendwo hatte ich ein Memo über sie von der CIP gesehen, aber nicht gelesen. Sie war die Assistentin von Jaaron Jargon.

»Ich hatte die Ehre, Nistant in M 87 während seiner Auferstehung kennenzulernen«, sagte ich schließlich.

»Er hat unser Leben gerettet, als wir von den Finsteren gejagt wurden«, erklärte Pyla.

»Die Finsteren?«

»Ihr nennt sie Ylors!«

»Und Ihr seid die Abgesandte von Nistant?«

»Wer, ich? Nein, ich bin einfach nur die Pyla vom Rideryon. Ich habe mich Roi und den anderen angeschlossen, als die Ylors alle im Dorf getötet hatten, und kann nun auch nicht mehr zurück.«

Ich musterte die hochgewachsene Blondine. Sie wirkte aufrichtig. War das eine Masche oder war sie wirklich so? Ihr wollte ich gern trauen, doch Roi Danton war ein Meister des Verwirrspiels.

Die Stille war ihr offenbar peinlich, denn sie sah mich nun fragend an und senkte immer wieder den Blick. Es war für meine Gegenüber immer schwer, mir standzuhalten. Das war der Vorteil, wenn man eine Maske trug.

»Ist Ihnen denn kalt?«, fragte sie plötzlich.

»Wieso?«

Sie lächelte.

»Naja, weil Sie so in voller Montur hier stehen. Kann ja sein, dass Sie etwas frösteln.«

Mir entging das Grinsen von Danton, Wallace und Jan Scorbit keineswegs. Ich blieb sachlich.

»Das ist meine Rüstung. Ich trage sie immer. Deshalb nennen mich die Wesen auch den Silbernen Ritter.«

»Ach so, verstehe. Ist das nicht etwas unbequem?«

Meinte Pyla das ernst oder wollte sie mich nur auf den Arm nehmen? Offenbar war ihr nicht bewusst, dass sie mit dem zweitmächtigsten Mann des Quarteriums sprach. Auf der anderen Seite gefiel mir ihre offene und vertrauliche Art.

»Ich werde Ihnen das später erläutern, Pyla. Wir werden nun vom Gastgeber erwartet. Lassen wir ihn nicht länger warten.«

Ich gab meinen Leuten ein Zeichen. Sie begrüßten nun auch die alliierte Delegation. Uthe wurde besonders freundlich von Mathew Wallace und Jan Scorbit empfangen, während Kruppus seine Schweinsaugen gierig auf Pyla und Anya Guuze richtete.

Danton war nicht besser. Er knutschte Uthes Hand fleißig ab. Nachdem wir uns alle gegenseitig vor den Kopf gestoßen hatten, kam ein hagerer Somer zu uns. Er trug eine rotgoldene, hochgeschnürte Kombination.

»Der erlauchte Caatu ist bereit, seine Gäste im Speisesaal zu empfangen«, sprach der Gefiederte hochtrabend. »Dort werden Aperitifs serviert.«

»Sehr freundlich. Ein kleines Glas Sekt könnte die angespannte Stimmung heben«, meinte Anya freudig.

Das war so direkt, dass alle zusammenfuhren und ihre Reaktion danach zu überspielen versuchten. Alle machten sich murmelnd auf den Weg. Wie einfach wäre es jetzt, Danton, Scorbit und Wallace zu töten. Doch wir hatten uns auf diesen Waffenstillstand eingelassen. Vielleicht war es nicht verkehrt, angesichts der Ereignisse am Sternenportal, einen moderaten Kurs mit Rhodans Leuten einzuschlagen, aber sie gingen mir so ungeheuer auf die Nerven. Außer Pyla natürlich.

»Ich könnte jetzt ein Bier gut gebrauchen«, meinte Jan Scorbit. »Oder ein Schnaps. Am besten beides.«

»Oh ja«, freute sich Pyla, die neben mir ging. »Gegen ein kleines Bierchen hätte ich auch nichts einzuwenden.«

Bildete ich es mir ein, oder war die Stimmung besser geworden?

Caatu und Caphorn

Cauthon Despair

Banson’Mam war der Haushofmeister von Caatu. Besonders höflich fand ich ihn nicht. Er führte die quarterial-dorgonisch-alliierte Gruppe durch einen langen Korridor, in dem dreidimensionale Bilder, teilweise auch Holografien in Rahmen angebracht waren. Alle zeigten Somer, die einander zum Verwechseln ähnelten. Zumindest unterschieden sie sich in der Länge und Farbe des Gefieders und der Größe der Schnäbel.

»Dies ist die Ahnengalerie der Familie Caatu. Schon zu Zeiten der Ewigen Krieger war das Geschlecht ein treuer Verbündeter der Upanishad«, erklärte Banson’Mam.

»Das ist aber eine ziemlich lange Ahnenreihe«, meinte Pyla.

Von der Seite bemerkte ich, wie Uthe Scorbit die Augen verdrehte und Michael Shorne halblaut zuflüsterte:

»Die scheint ganz schön hohl zu sein.«

Doch woher sollte die Rideryonin die Geschichte von Siom Som kennen? Da sie offenbar keine Botschafterin oder Agentin von Nistant war, sondern eher aus einfachen Verhältnissen stammte, gehörte eine Einweisung in estartische Geschichte sicher nicht zu ihren Vorbereitungen, als sie ihre Heimat verließ.

Am Ende des Korridors öffnete sich zischend eine große Tür.

Als Erstes sah ich einen orangefarbenen Tisch in gebogener Form. Jede Menge Kerzen und Kristalle standen darauf. Hinter ihm befand sich eine ganze Reihe seltsamer Gestalten, die irgendwie nicht ins Bild passten. Ein fleischiger Terraner in graugrüner Kombination kam auf uns zu. Er trug keine Schuhe. Sein Haar war lang, wirr und wirkte ungewaschen.

»Grüßle Gott. Isch bin der Grimm T. Caphorn. Isch bin Botle vom lieben Gott und verkündete desch Zeitalter vom Riff.«

Roi Danton machte nur ein kurzes »Huch«, als er diese Story hörte, während Wallace wieder mal schelmisch grinste und die anderen eher irritiert wirkten.

»Ah, die liebe Pyla und der liebe Onkel Jaaron schind meiner Einladung gefolgt. Dasch isch schö. Und dasch schind meine kosmogenialen Jünger. Wir schtreiten tun für die gute Sache und nennen uns Kosmogeniale Bewegung. Schie habe misch beschtimmt scho im Trivid geschaut tun.«

Dieser Terraner hatte einen furchtbaren Sprachfehler und schien einem seltsamen Glauben anzugehören. Doch man hatte mich ja vorgewarnt.

»Ach, Mensch! Das ist ja hoch interessant. Finde ich ja klasse«, meinte Uthe Scorbit plötzlich.

Offenbar wollte sie diesen Caphorn durch unser Schweigen nicht beleidigen.

»Und wo ist denn unser Gastgeber, Herr Caphorn?«, wollte sie dann wissen und lachte überzogen.

»Der isch da am Oranje-Table.«

Caphorn deutete auf einen kleinen Somer im rotgelben Gefieder. Um ihn herum standen ein Blue, ein Unither und eine humanoide Frau von befremdender Hässlichkeit.

Drei weitere humanoide Gestalten befanden sich auf der anderen Seite. Ein Mann, der an einen Clown erinnerte, ein Grufti in schwarzer Lederkluft mit einem reglosen Vogel auf der Schulter und eine Terranerin mit lockigem, braunem Haar und angeklebten Elfenflügeln auf dem Rücken.

»Ganz schön schaurig, nicht?«, meinte Pyla. »Roi glaubt, der dicke Prediger weiß mehr über meine Heimat.«

Jetzt verstand ich, wieso Danton hier war. Ihm ging es nicht um Caatu, sondern um Caphorn. Rhodans Sohn war nur an Informationen über das Riff interessiert, und das passte mir gut in den Kram. Sollte dieser Sektenspinner tatsächlich etwas wissen, würde ich es auch erfahren.

Ich blickte wieder zu den Gestalten am Oranje-Table. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich die Frau mit der gegerbten und doch irgendwie feucht wirkenden Haut betrachtete. Als Extraterrestrierin wäre sie gerade noch durchgegangen, doch als Mensch war sie hässlich wie eine vergammelte Bananenschale.

»Dasch hinter dem Herrn Caatu schind der Uchym, der Zütünnüü und die Debora-Zee.«

Als ihre Namen erwähnt wurden, trötete das unithische Elefantenwesen grimmig, winkte der tellerköpfige, vieräugige Blue freundlich und drehte sich das angedeutet weibliche Ungeheuer mit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse.

»Und desch da schind unser okkulter Magier Vincent Raabe«, Caphorn deutete auf den Typen im schwarzen Mantel, der zur Begrüßung seltsam krächzte. Dann zeigte Caphorn auf den Clown. »Dasch isch Leschter Cheschter Demon, unser jüngstes Mitglied. Und dahinter ist Jay-Fee, unser Herzilein.«

Dieser Demon lachte irre, während diese Jay-Fee mit einem breiten Lächeln herumhüpfte.

»Dies sind meine neuen Freunde und Berater«, erklärte Caatu.

Er erhob sich und war mit einer Mischung aus Hüpfen, Gehen und Fliegen in kürzester Zeit bei seinen Gästen.

Er begrüßte uns auf somerische Weise, einer Art langsames Rumtänzeln mit gurrenden und zwitschernden Lauten. Ich musterte derweil den großen Saal. Er glich mehr einem Spielzimmer, denn es standen Musikinstrumente, Trommeln, Zeichencharts und sogar Modelle von Raumschiffen herum.

Links neben dem Oranje-Tisch befand sich ein Kartentisch, über dem ein Hologramm von Siom Som schwebte. Mir fiel auf, dass Roi Danton bereits auf einen blinkenden Punkt starrte. Es war nicht schwer zu erkennen, was dieser Punkt darstellte: das Rideryon!

Caatu flatterte wild mit den Flügeln, bis er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Anschließend hüpfte der bunte Somer auf seinen orangefarbenen Tisch und verbeugte sich vor uns.

»Es ist mir eine Ehre, dass Sie bei uns sind. Wie Sie wissen, bin ich ein bescheidener, gottesfürchtiger Christ. Doch vor zwei Monaten traf ich den Reisenden Grimm T. Caphorn mit seinen kosmogenialen Jüngern. Sie lehren den kosmischen Energieausgleich und wollen einen intergalaktischen Trivid-Sender gründen. Bisher dürfen sie nur regional mit Channel »KosmoGenial« senden.

Caphorn ist ein von Gott erleuchtetes Wesen. Er kennt die Geheimnisse des Kosmos und spricht vom Zeitalter des Riffs.«

»Verzeihen Sie, ehrenvoller Caatu, doch so recht ist mir der Grund für Ihre Einladung noch nicht ganz klar geworden«, warf Roi Danton gedehnt ein und unterstrich seine Worte mit ausschweifenden Gesten.

»Ich bin der vielleicht mächtigste Mann in Siom Som, um das ihr kämpft. Bis vor wenigen Wochen hatte das Quarterium die Oberhand, doch nun sieht es anders aus. Ich möchte mir ein Bild von euch machen und euch auf die Ankunft des Riffs vorbereiten.«

Caatu sprach immer noch in Rätseln. Ich verstand schon, dass er sich beide Türen offenhielt, doch was hatte es mit dem Riff auf sich?

»Also für mich ist das Rideryon ja eher gegangen als gekommen«, meinte Pyla und kicherte leise.

Wieder fiel mir Uthe Scorbits seltsame Reaktion auf, die zuerst Pyla freudestrahlend ins Gesicht lächelte und anschließend die Augen verdrehte, als sie Blickkontakt mit Mathew Wallace hielt. Die beiden Frauen würden bestimmt keine Freundinnen werden.

»Oh ja, isch weisch! Schie ischt ein Kindle vom Riff. Schie ischt von Nistant gesegnet tun worde. Ay, die isch wasch Besondres.«

Vermutlich war dieser Grimm T. Caphorn ein irrer Sektenführer, der sich selbst zu wichtig nahm. Anscheinend sah er in der Ankunft des Riffs in Siom Som eine Art Offenbarung. Da Klanführer Caatu augenscheinlich sehr empfänglich für Esoterik war, ließ sich der Somer bereitwillig von dem Terraner bekehren.

Doch vermutlich wussten sie gar nichts über das Rideryon. Roi Danton und Pyla waren als Einzige von uns bisher dort gewesen. Und ich hatte immerhin die Ehre gehabt, Nistant persönlich zu begegnen. Es war nicht so lange her, als Nistant auf der Welt Ednil in Druithora in einem sehr bizarren Schauspiel aus seinen sogenannten Schatten Cul’Arc und Brok’Ton auferstanden war. Geheimnisvoll und doch auf eine gewisse Weise Ehrfurcht gebietend.

Diese Spinner jedenfalls wussten bestimmt nicht viel davon.

Nach einer Pause fuhr Caatu fort: »Nun, ich habe durch meinen neuen Mentor Grimm T. Caphorn erkannt, dass ich vieles falsch gemacht habe. Das Riff ist mächtiger als wir alle. Und es bringt den ewigen Frieden.

Deshalb seid ihr hier. Damit ich euch davon überzeuge!«

»Pah!«, zischte Kruppus dazwischen, der bisher recht ruhig gewesen war. In ruhigem Tonfall fügte er hinzu: »Ihr werdet es wohl kaum wagen, das dorgonische und quarteriale Imperium zu verraten. Ihr wisst, dass die Konsequenzen unangenehm wären! Und außerdem: Das Rideryon ist wohl kaum mächtiger als das vereinte Imperium des Quarteriums und Dorgons!«

Kruppus lachte schallend.

»Na, ich weiß nicht. Ich habe inzwischen gelernt, dass meine Heimat wohl ziemlich groß und stark ist. Und mit den Finsteren sollte niemand scherzen«, erklärte Pyla.

Kruppus wandte sich zu ihr und gaffte sie schwer atmend an. Dann schob er sich nahe an sie heran, so dass sie zurücktrat.

»Ich kann dir ganz was anderes Großes und Starkes zeigen, meine kleine Zuckerschnute«, raunte der schwere Mann lüstern.

Pyla starrte ihn erschrocken an und stellte sich hinter Roi Danton. Kruppus wirkte pikiert.

»Unfertiges Mädchen. Du hast noch viel zu lernen. Erst Signale aussenden und dann kneifen.«

»Welche Signale denn bitte?«, fragte Pyla irritiert, doch Roi Danton ging dazwischen, um diese sinnlose Auseinandersetzung zu beenden.

»Jedes intelligente, nicht bestechliche und anspruchsvolle weibliche Wesen versteht es, nicht dem Charme des Anführers der Prettosgarde zu erliegen. Wobei, mein lieber Kruppus, ich glaube, bei der dort hätten Sie Chancen.«

Danton zeigte auf die seltsame Frau unter den Gefolgsleuten von Caphorn. Sie registrierte das und entblößte ihr lückenhaftes, gelbliches Gebiss. Roi wandte sich mit sichtlichem Schaudern ab.

Kruppus grinste.

»Die hässliche Fresse? Naja, wobei sie ja ganz nett zu sein scheint!« Kruppus wandte sich wieder Pyla zu und sagte eiskalt: »Wähne dich nicht in Sicherheit. Ich kriege für gewöhnlich, was ich will. Und ich weiß, dass du es auch willst.«

Lasziv fuhr sich Kruppus mit der Zunge über die wulstigen Lippen und zwinkerte mehrmals. Pyla war kreidebleich und schüttelte langsam den Kopf.

»Kruppus, es reicht!«, mischte ich mich nun ein. »Die Dame wünscht keinen weiteren Kontakt mit Ihnen. Wir sollten dies respektieren.«

Der Dorgone winkte ab und trottete zum Büfett. Jaaron Jargon und Caatu unterhielten sich derweil angeregt über den aktuellen Zustand des Planeten Som. Wie ich mitbekam, war Caatu sehr gebildet und romantisch veranlagt. Dennoch war er ein Gauner. Ein Wirtschaftskrimineller, der durch den Krieg bestens profitierte. Er hatte in der Vergangenheit keine Skrupel gehabt, seine Artgenossen zu verraten. Wie mir Village berichtete, war Caatu über das Entsorgungslager Beschryr bestens informiert. Er bekam sogar kostenlose Zwangsarbeiter für Arbeiten, die er wiederum verbilligt an Dorgon und das Quarterium verkaufte.

In einem hatte Kruppus recht: Caatu würde es bitter bereuen, Verrat am Quarterium zu üben. Sollte sich Caatu mit den estartischen Separatisten verbünden, so wäre ihm vermutlich ein Platz auf Beschryr sicher. Uthes glattes Gesicht fiel mir auf. Sie gab sich überlegen, machte auf heile Welt. War ihr denn wirklich nicht klar, was die Männer um sie herum taten, und wie sehr sie für eine hübsche Maske vor der hässlichen Fratze des Massenmords sorgte? Ihre spöttischen Augen folgten Pyla, ihre Lippen kräuselten sich höhnisch. Die hatte es nötig!

Aus den Chroniken Cartwheels

Jaaron Jargon

Nach der anstrengenden Anreise und dem seltsamen Empfang durch viele seltsame Wesen, war ich froh, etwas Ruhe zu finden, bis wir das Abendessen bestritten.

Die Rast währte nicht lange, da Pyla ihren Schminkkoffer auf Som vergessen hatte und nun ständig zwischen dem angrenzenden Zimmer und dem von Anya Guuze auf der anderen Seite mit auf- und zugehenden Türen und unter ständigem Geplauder hin und her lief.

Ich alter, armer Mann kam nicht zum verdienten Müßiggang. Ich versuchte, mir die Notizen über den Flug der LONDON, die wir während der Reise nach Herton IV angefertigt hatten, durchzulesen.

*

Chronik von Cartwheel – Notiz 117a

Vor 23 Jahren kam es zum ersten Kontakt mit Dienern MODRORS, aber auch mit den Saggittonen. Damals war die Freundschaft zwischen Aurec und Perry Rhodan entstanden.

Aurec war damals Prinz in M 64 Saggittor gewesen. Die Saggittonen hatten eine monarchistische Demokratie und expandierten mit Forschungsreisen bis in die Lokale Gruppe.

Perry Rhodan hatte zu seiner Zeit viel mit der Organisation Camelot zu tun gehabt. Um den einflussreichen somerischen Diplomaten Sam auf seine Seite zu ziehen, war er als Passagier – natürlich unter einem Künstlernamen – auf dem neuen Luxusraumschiff LONDON mitgereist. Die LONDON war ein beeindruckendes Raumschiff gewesen. Über 12.000 Wesen aller Arten hatten dort ihren Platz gefunden.

Der dreiwöchige Flug sollte quer durch die Lokale Gruppe führen, doch daraus wurde nichts, weil der Sektenführer Dannos – seine Gruppe hieß Kinder der Materiequelle – die LONDON entführte und damit zur nächsten Materiequelle reisen wollte.

Die Saggittonen wiederum hatten die LONDON entführt und nach M 64 gebracht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatten Perry Rhodan und Aurec Freundschaft geschlossen. Dann hatte sich Rodrom eingemischt. MODRORS Hilfsvolk, die Kjollen, hatten das Zentrum von M 64 okkupiert und eine abgeschottete Enklave gebildet. Rodrom hatte sich offenbar dort befunden und dem machthungrigen Admiral Dolphus geholfen, einen Putsch gegen Aurecs Vater durchzuführen. Dabei waren alle Familienmitglieder von Aurec zu Tode gekommen. Die LONDON war in der Folgezeit in die Vergangenheit eines Paralleluniversums versetzt worden. Perry Rhodan lernte eine alternative Erde des Jahres 1998 kennen. Mit Hilfe von Sato Ambush konnten sie wieder zurückkehren und Aurec wieder an die Spitze der Republik Saggittor bringen.

Beim Rückflug wurde die LONDON von Rodroms Flaggschiff abgeschossen und stürzte über einem Wasserplaneten ab. Bei dem Unglück waren über 11.000 Lebewesen gestorben.

Zu den Überlebenden zählten neben Rhodan und Sam auch Rosan Orbanashol und Wyll Nordment. Beide hatten später geheiratet, doch Nordment wurde 1297 NGZ ermordet. Nun war Rosan – 23 Jahre nach den Ereignissen auf der LONDON – wieder Gefangene in einem Käfig – dem des Quarteriums.

Damals hatte keiner geahnt, dass dies erst der Auftakt für einen langwierigen und schier endlosen Konflikt sein würde.

*

Pyla stürmte in mein Zimmer.

»Hast du meine Tasche gesehen?«

»Welche, mein liebes Kind?«

»Na die, die mir fehlt …«

»Farbe?«

»Wenn ich das nur wüsste. Ich weiß, dass da auf jeden Fall meine Sachen für den Abend drin sind. Verdammt …«

Sie rannte wieder raus und schloss die Tür mit einem Knall. Ich verdrehte die Augen und betete zu DORGON, dass sie ihre Tasche schnell finden würde.

Dann widmete ich mich wieder den Aufzeichnungen. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Die LONDON!

*

Chronik von Cartwheel – Notiz 117b

Nach dem Untergang des Raumschiffs, bei dem übrigens auch Aurecs neue Freundin Shel Norkat gestorben war, herrschte fünf Jahre Ruhe. Zumindest vor MODROR.

Obgleich ich nicht vergessen sollte, dass Cauthon Despair 1281 NGZ ein Protegé von Rhodan war. Durch die Beeinflussung von Wirsal Cell wandte er sich jedoch gegen Rhodan. Despair war bei einem Angriff auf die Welt Mashratan schwer verletzt worden. Seitdem trug er diese Rüstung. Rhodan dachte, Despair wäre umgekommen, doch ab 1281 NGZ baute der Silberne Ritter zusammen mit Wirsal Cell die Terrororganisation Mordred auf, die ab 1291 NGZ Camelot terrorisieren sollte.

Wie man später herausfand, wurde Mordred von den Dorgonen gefördert, die wiederum von Cau Thon rekrutiert worden waren.

1290 NGZ wurde die LONDON II Mittelpunkt der Chronik um DORGON und MODROR. Zu dieser Zeit hatten die Tolkander Einzug in der Milchstraße gehalten, und Goedda war vernichtet worden.

Die barbarischen Dscherro hatten Terrania verwüstet. Im Juni 1290 NGZ bestritt die LONDON II mit großem Medienrummel ihren Jungfernflug in Richtung »LONDONS Grave«, dem Planeten, der das Wrack der ersten LONDON bewahrte.

Doch der finstere arkonidische Mascant Prothon da Mindros hatte die LONDON II gekapert. Seine Familie war bei dem Untergang der ersten LONDON gestorben. Atlan hatte letztlich die Vernichtung der zweiten LONDON verhindert und Mindros in einem Unterwasserkampf getötet.

Die Geschichte hatte einige Besonderheiten.

Joak Cascal und Sandal Tolk wurden in einer Raumzeitfalte gefunden. Ihnen wurde der Rückweg in die Normalzeit ermöglicht. In ihrer Welt war die Zeit langsamer vergangen, deshalb hatten sie relativ jung die vielen Jahrhunderte überstanden. Nach dem Abenteuer auf der LONDON II hatten sie sich Camelot angeschlossen.

Rosan Orbanashol-Nordment war notgedrungen auch an Bord der LONDON II gewesen, die übrigens von Michael Shorne gebaut worden war. Shorne, der zum Zeitpunkt der Niederschrift Finanzminister des Quarteriums war, hatte mit seiner Shorne Industries Gesellschaft oftmals seine schmutzigen Finger im Spiel gehabt.

Auch das junge Pärchen Remus und Uthe Scorbit wurde damals in ihr erstes Abenteuer gestoßen. Remus und Uthe hatten zusammen mit dem Wissenschaftler Timo Zoltan bei der Flucht von der LONDON II die Raumzeitfalte entdeckt, in der Tolk und Cascal lebten.

Und zu guter oder übler Letzt war der Zwillingsbruder von Uwahn Jenmuhs auf der LONDON II unter teilweise ungeklärten Umständen gestorben. Es hieß jedoch oft, dass Rosan Orbanashol-Nordment und Uthe Scorbit vor 18 Jahren aus Notwehr den Bruder des Gos’Shekur umgebracht hatten.

*

Die Tür öffnete sich wieder.

»Hab sie gefunden!«, rief Pyla stolz und verschwand wieder.

Ich seufzte und las das soeben Geschriebene noch einmal durch. Da klopfte es erneut an der Tür.

»Ja, bitte?«

Es war Banson’Mam!

»Sir, in einer halben Stunde wird das Essen serviert.«

»Danke, Banson … Sir …«

»Banson’Mam!«

»Wie? Ach ja.«

»Banson’Sir war mein Vater.«

Der Somer schloss pikiert die Tür.

Nun, ich machte mich an die Geschichte der Mordred.

*

Chronik von Cartwheel – Notiz 118, Beginn der Mordred

Die Mordred war eigens dafür gegründet worden, um Camelot das Leben schwer zu machen. 1291 NGZ hatte die Mordred gezielt Büros von Camelot angegriffen und zerstört.

Es war wohl ein glücklicher Zufall gewesen, dass zu dieser Zeit Aurec Perry Rhodan einen Besuch abstatten wollte, der jedoch in den Fernen des Universums weilte.

Aurec hatte Camelot trotzdem geholfen. Zum ersten Mal war Cauthon Despair für Mordred in Erscheinung getreten und hatte eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Ihm war die Vernichtung der Kolonialwelt Sverigor zuzuschreiben. Zwei Milliarden Wesen hatten den Tod gefunden. Auch wenn dies 17 Jahre her war, so lastete diese Untat noch immer auf seinen Schultern.

*

Ich ließ meine Aufzeichnungen sinken. Ja, das war der Grund für mein Unbehagen. Jeder vernünftige Mensch betrachtete Despair mit sehr gemischten Gefühlen. Wohl war mir bei seiner Anwesenheit nicht. Mir war es auch nicht entgangen, dass er und Pyla sich angeregt unterhalten hatten. Eine groteske Vorstellung. Despair war nicht der Mann für Pyla und Pyla nicht die Frau für Despair. Würde sie das merken, ohne dass ich sie auf ihren Irrtum hinwies? Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder der Mordred zu.

*

Chronik von Cartwheel – Notiz 119a, Dorgonen

Im späteren Verlauf des Konflikts stellte Rhodan fest, dass die Mordred von einer ihm bisher unbekannten Macht gefördert wurde: Den Dorgonen! Ein Adlerraumschiff der Dorgonen war schon schwer zu vernichten gewesen, wie stand es da mit einer ganzen Flotte? Nachdem die Mordred untergegangen war und ausgerechnet Cauthon Despair den Anführer Wirsal Cell getötet hatte, um Perry Rhodan zu retten, konnten die Wissenschaftler die Koordinaten der Heimatgalaxie der Dorgonen herausfinden: Es war M 100.

Noch im selben Jahr waren zwölf Raumschiffe aufgebrochen, darunter auch Aurecs Flaggschiff SAGRITON, um mehr über die Macht im Hintergrund zu erfahren. Erstmalig mit dabei war auch die IVANHOE und ihre Crew gewesen. Ich musste lächeln. Ja damals, da war Mathew Wallace noch ein junger Space-Jet-Pilot gewesen und Jeamour hatte mehr Haare auf dem Kopf gehabt als heute.

*

Wieder stürmte Pyla ohne zu klopfen ins Zimmer.

»Es gibt Essen! Wie sehe ich aus?«

Sie trug ihr Haar offen und hatte eine grüne Kombination an, mit goldenen Knöpfen am Kragen, in der sie sogar etwas elegant aussah. Nun, ich erhob mich und war gespannt, was uns dieses Mahl bieten würde. War sich Pyla bewusst, mit was für Leuten sie hier zu tun hatte? Wohl kaum. Hoffentlich konnte wenigstens sie den Abend genießen.

Das Abendessen

14. April 1308 NGZ, 19:30 Uhr

Roi Danton

Was sich mir hier bot, war höchstens mit einer Geisterbahn zu vergleichen. Eigentlich hatte ich mit einer Runde übel dreinschauender Somer und Pterus gerechnet, doch stattdessen schienen Gaukler und Kasperle in die Hallen des ach so berüchtigten Caatu Einzug gehalten zu haben.

Freilich, von der Crew des Riffpiratenkapitäns Fyntross war ich einiges an Albernheiten gewöhnt, doch diese Wesen, die bedauerlicherweise zum Teil auch noch meiner eigenen Rasse entsprangen, waren schon besonders seltsam.

Daran mochte auch das 5-Gänge-Menü nichts ändern, welches von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Die Tischreihenfolge trennte die Fronten bereits klar ab. Caatu und Grimm T. Caphorn saßen an den Enden der Tafel. Die Alliierten auf der einen, die Quarterialen und Dorgonen auf der anderen Seite. So hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, nahe dem Prediger Caphorn Platz zu nehmen. Zu meiner Rechten saß Pyla, zur Linken Jan Scorbit.

Uns gegenüber hatten Despair, Kruppus und Uthe Scorbit Platz genommen, die ja neuerdings irgendwie zum Quarterium gehörte. Kruppus gaffte Anya und Pyla weiterhin an, was zu einem starken Alkoholkonsum bei der Rideryonin führte, die sich sichtlich unwohl fühlte. Bei ihrem einen Bierchen war es nicht geblieben. Eilig hatte sie zwei weitere getrunken und sie mit zwei hochprozentigen Vurguzz hinuntergespült.

Nun erst kam die Vorspeise.

Grimm T. Caphorn erzählte derweil von seinen Visionen. Mit dem Trivid-Kanal »Götter Trivid« hatte er bereits in der Milchstraße einen Sender gegründet. Irgendwann zog es Caphorn dann nach Cartwheel, wo er auch wieder auf Sendung ging, doch der Kanal »Universal« wurde vom Quarterium aufgrund jugendgefährdender und ideologischer Inhalte verboten. Caphorn hatte fortan auf SOLARIS STATION am Sternenportal der Lokalen Gruppe gearbeitet.

Dann war ihm ein alter Mann mit Bart erschienen und hatte gesagt, er sollte nach Siom Som reisen, um die Ankunft des Resif-Sideras zu erwarten. Mit dessen erstem Auftauchen erschien dieser alte Mann erneut. Er hatte Caphorn in die Geheimnisse des Riffs eingeweiht und ihn zu seinem Jünger und Boten ernannt. Seitdem predigte Caphorn vom kosmogenialen Ausgleich des Universums und dem Zeitalter des Riffs.

Während ich versuchte, irgendetwas Sinnvolles aus den unzusammenhängenden Ausrufen Caphorns zu erfahren, waren Pyla und Jan Scorbit bereits in Höchstform. Die Rideryonin wurde immer alberner.

»Stößchen! Wollen wir um die Wette trinken? Wer am längsten durchhält?«, fragte sie Scorbit, der davon recht angetan war, obgleich beide wohl nicht mehr lange durchhalten würden.

Deshalb mischte sich Mathew Wallace ein und meinte, dass beide erst einmal genug hätten.

»Ach, ich kann noch trinken! Wir wollen schließlich dem Quarterium zeigen, dass wir mehr vertragen als die«, rief Jan provozierend.

»Aber Heidewitzka, das lasse ich nicht auf mir sitzen«, rief Kruppus dazwischen, und auch der sonst eher zurückhaltend wirkende Erich Village wollte sich dem Trinktrio anschließen.

Uthe Scorbit quittierte das mit einem genervten Kopfschütteln und achtete peinlich genau darauf, die Vorspeise nach der Etikette zu sich zu nehmen.

»Na, wenn Sie mit Ihrem Heidewasauchimmer kommen, sage ich aber Holla, die Waldfee und trinke mit«, erwiderte Pyla trotzig und schwang ihren Arm umher. Dabei stieß sie ihr volles Bierglas um, welches sich über ihre Hose ergoss.

»Ups, ich Nudel …«

Ich lehnte mich nach hinten und suchte Blickkontakt zu Mathew Wallace.

»Mon ami, du bleibst nüchtern, nespa?«

Der Gute fragte nicht nach, was denn »nespa« bedeutete. Es war ein olympisches Wort, erwachsen aus dem französischen »n’est-ce pas« und bedeutete so viel wie »alles klar« oder »nicht wahr«. Ich grinste ihn an, und er prostete mir zu.

»Ja, ist wohl besser so!«

»Très bien, dann genehmige ich mir eine Flasche Vurguzz, sonst ertrage ich das hier nicht.«

Wallace seufzte.

»Ist ja schon gut. Tut mir leid, ich trinke jetzt nichts mehr«, meinte Pyla, während sie ihre Hose säuberte. Sie sah mich betreten an.

»Ich schon!«, sagte Scorbit und grinste in berauschter Glückseligkeit vor sich hin.

»Isch spüre hier eine Menge negative Schwingungen, da wo ihr sitzen tut. Dagegen werde ich etwas unternehmen. Und zwar singen!«

Caphorn stand auf. Immer noch barfuß watschelte der beleibte Terraner mit den ungepflegten Haaren in eine Ecke mit Musikinstrumenten. Der Unither Uchym, der Blue Zütünnüü, die Terranerin Jay-Fee und das Ding Debora-Zee begleiteten ihn. Caphorn schnappte sich eine Gitarre und fing an zu singen. Er stimmte einen Blues an.

»Früh um Sechse bisch abends bisch um Viiier bin isch richtig froho. Das sowiesoho. Denn wenn isch scheissle auf dem Klo, singe ich ooh, hoho. Denn isch bin der Caphorn.

Mei Schreibtisch isch wie mei Frau. Manschmal schlafe ich druf nüchtern, manchmal blau.«

Ich fragte mich, wie viele bewusstseinserweiternde Drogen wohl zur Komposition dieses Textes nötig gewesen waren. Debora-Zee und Jay-Fee tanzten zum Rhythmus der Laute, während Uchym und der Blue irgendwelche Instrumente benutzten.

Vincent Raabe und Lester Chester Demon hingegen saßen recht still am Tisch und konzentrierten sich auf ihr Essen. Ich bekam jedoch mit, dass Raabe sich an Anya wandte.

»Ich halte Kontakt zu den Toten. Der Kot meines Raben gibt mir Kunde.«

Anya starrte ihn skeptisch an.

»Ihr Rabe bewegt sich ja gar nicht.«

Behutsam tippte sie das schwarz gefiederte Tier an, das auf den Tisch knallte. Anya blickte das leblose Federbündel mit einer gewissen Überraschung an.

»Er hat einen tiefen Meditationsschlaf«, sagte Raabe mit dunkler Stimme.

»Tulatulatul-lala. Desch isch terranisches Volksgut, singet deshalb mittle. Tulatullatul!«

Nun machte Caphorn eine Pause und schnaufte durch die Gegend. Anschließend wiederholte er seinen geistreichen Refrain.

Wallace wechselte einen vielsagenden Blick mit Danton, während Jan Scorbit sich mit verzerrtem Gesicht über sein Vurguzzglas beugte. Despairs Mimik war sowieso nicht zu lesen, aber Uthes Gesicht sprach Bände. Anya versuchte höflich, das alles zu ignorieren. Auf der anderen Seite des Tisches murmelte Jaaron so etwas wie »Beethoven würde sich im Grabe umdrehen«.

Pyla stupste mich an.

»Darf ich jetzt bitte wieder was trinken? Sonst überlebe ich das hier nicht!«

Caphorn hatte endlich aufgehört zu singen. Nun stellte er sich an die Trommeln und fing an, darauf herumzuhämmern. Zütünnüü spielte eine Flöte, während Uchym leise zu den Trommeln summte und stöhnte. Debora-Zee tanzte lasziv mit Schleiern um den Esstisch. Dabei fing sie an, sich zu entkleiden, bis sie in einem Bikini vor uns stand. Das war nun wirklich zu viel! Ich nahm die Vurguzzflasche, schenkte Pylas Glas voll und stieß mit ihr an. Mochte das Grauen schnell vergehen!

Die Quarterialen schauten ziemlich angewidert drein, obwohl Kruppus offenbar Gefallen an der Tänzerin fand, die mit der Schönheit eines verfaulenden Hauris durch die Gegend hüpfte.

»Davon kriege ich bestimmt Albträume«, meinte Pyla. »Dagegen waren ja die Piraten auf Thol2727 noch richtig normale Kumpels.«

»Nun, meine Liebe, immerhin wollen die uns wohl nicht die Kehle durchschneiden«, wandte ich ein.

»Nein, aber unser Gehirn zum Platzen bringen«, erwiderte sie trocken und leerte ihr Vurguzzglas.

Nun lächelte sie fröhlich. Man konnte der Rideryonin gut ansehen, wenn der Alkohol seine Wirkung tat.

Ich beobachtete weiterhin die dorgonisch-quarteriale Delegation. Sie waren erstaunlich desinteressiert an mir. Keine Fragen zum Rideryon, obwohl es wohl bekannt war, dass ich dort gewesen war. Oder trieben sie nur ein Spiel mit uns?

Michael Shorne und Kruppus ließen sich durch das Gedudel jedenfalls nicht den Appetit verderben. Hin und wieder warf der Anführer der Prettosgarde einen eindeutigen Blick zu Pyla, die sich dann bemühte, so ernst wie möglich zu gucken und den Blickkontakt mit ihm zu meiden. Aber man sah ihr an, dass sie keine Angst mehr hatte.

»Sie haben uns noch gar nicht mit Ihren Heldentaten auf dem Rideryon ergötzt, Danton«, warf Despair nun wie aufs Stichwort ein. »Nach unseren Informationen sind Sie nicht mit der VIPER zurückgekehrt. Auch frage ich mich, wo Aurecs Braut Kathy Scolar ist und Jonathan Andrews Ehefrau Nataly?«

»Die Finsteren haben sie getötet. Kathy wurde von Nataly getötet, die nun eine Ylors ist.«

Inzwischen fing der Blue an, schrille Beschwörungsformeln zu pfeifen, während Debora-Zee sich immer wieder um die eigene Achse drehte. Ich warf Pyla einen bösen Blick zu. Ich hatte Despair diese Informationen nicht geben wollen, aber es ließ sich nun nicht mehr verhindern.

»Die Ylors?«, hakte Despair nach.

»Ja, Vampire! Sie haben meine …« Nun stockte Pyla. »Egal. Trinken wir noch einen. Trinken Sie denn gar nicht, Silberner Ritter?«

Über den Verlust ihrer Familie und all ihrer Freunde zu sprechen, fiel ihr sichtlich schwer. Das war in diesem Fall auch sehr gut, denn das Quarterium sollte nicht zu viel über die Verhältnisse im Riff erfahren. Dafür kippte sie viel zu viel Alkohol in sich hinein. Oh, wenn jemand dieses monotone Getrommel beenden würde!

»Nein, ich trinke nicht in der Öffentlichkeit. Und Sie sollten das auch nicht tun. Trunkenheit ist eine Schwäche!«

»Och, Sie sind aber ein Spießer! Mein Vurguzzchen und ich sehen das ganz anders. Er will, dass ich ihn trinke und den Gefallen tue ich ihm auch.«

»Soll mir nur recht sein, wenn ihr euch alle betrinkt.«

»Und mir erst«, mischte sich Kruppus ein. »Trink nur, mein Liebchen. Trink und werde willenlos!«

Kruppus schnaufte begierig. Ich fürchtete, dass dies noch ein heiterer Abend werden würde.

Als hätte es nicht schlimmer kommen können, betrat nun eine dritte Tänzerin das Feld. Eine etwa hundertachtzig Kilogramm schwere Epsalerin, die mehr zeigte, als es allen guttat. Ihr Tanz beschränkte sich auf Handbewegungen von links nach rechts, oben und unten sowie etwas Gewirbel mit den Händen vor ihrem Gesicht. Caphorn trommelte mit einem entrückten Grinsen auf dem Instrument herum. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirn.

»Mir gefällt diese Gesellschaft hier gar nicht. Das muss ich mal sagen«, meinte Pyla. »Ich geh mal raus eine rauchen. Kommt jemand mit?«

»Ich rauche für mein Leben gern«, meinte Kruppus und wollte aufstehen, doch Cauthon Despair erhob sich, woraufhin der Dorgone in seiner Bewegung verharrte, um wieder auf seinen Sitz zu plumpsen.

»Ich werde Pyla begleiten. Etwas Abwechslung tut auch mir gut. Kommen Sie!«

Der Silberne Ritter schien wohl auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, sich das Trommeln Caphorns nicht länger anhören zu müssen. Ich seufzte und wandte mich an Jan Scorbit.

»Lange halte ich das nicht mehr durch«, meinte der Chef der USO völlig entnervt. »Das ist schlimmer als jede Raumschlacht!«

Wir stießen an. Ein Tisch kippte um, was Lachen und Grölen zur Folge hatte. Ich leerte auch dieses Glas in einem Zug.

Die Schöne und das Biest

Cauthon Despair

Ich war froh, diesem Irrenhaus für ein paar Minuten zu entfliehen. Allen Ernstes fragte ich mich, was ich hier tat. Würde dieser nervtötende Schwachsinn weitergehen, so würde ich die 501. Division auf diese öde Welt schicken und alle abschlachten! Sollten doch die Anhänger dieses infantilen Somers mit seinem nach Schweiß stinkenden Guru aufbegehren. Ich würde sie nach Objursha in den nächsten Konverter schicken.

Endlich wurde es ruhiger, obgleich das Gegröle auch draußen zu hören war. Trotzdem gab die Winterlandschaft in der Dämmerung ein schönes und beruhigendes Bild. Pyla zündete sich eine Zigarette an.

»Eigentlich will ich ja damit aufhören, aber nicht heute.«

»Sie haben sich Danton also auf dem Rideryon angeschlossen?«

»Ja, ich wollte zu den Sternen reisen. Die sind so schön. Ich wollte schon immer dahin. Und hier gibt’s auch viel mehr als zuhause. Nun bin ich es, aber es ist irgendwie anders.«

Sie seufzte und nuckelte an ihrem Bier.

»Ich bin Pyla. Einfach nur Pyla!«

Sie lächelte und wollte offenbar auf Brüderschaft mit mir anstoßen. Für einen Moment war ich versucht, dem herzlichen und warmen Lächeln, welches ihr Angebot begleitete, nachzugeben.

»Cauthon Despair, Silberner Ritter und Quarteriumsmarschall. Einfach nur Quarteriumsmarschall«, erwiderte ich etwas schroff. Sie erschrak, dann warf sie den Kopf zurück.

»Oh. Dann geziemt es sich wohl nicht. Naja, dann eben nicht. Pöh!«

»Ich wollte Sie nicht verstimmen. Dich … nicht verstimmen!«

Das war das höchste an Gefühlen, was ich mir erlaubte. In ihren Wangen bildeten sich Grübchen.

»Trägst du eigentlich immer dieses Ding?«

Sie deutete auf meinen Helm, dann tapste sie mit dem Finger darauf. Ich musste an mich halten. Hätte das ein anderer gewagt, hätte ich ihn vermutlich enthauptet. Doch sie war eine Frau, und dazu noch wunderschön und jung und sehr nett. Nein! Ich musste mich beherrschen!

»Nun, ich trage meine Rüstung in der Öffentlichkeit. Sie ist ein Zeichen meiner Macht und flößt Respekt und Ehrfurcht ein.«

»Ja? Naja, ich möchte auch mal respektiert werden. Verstehe mich nicht falsch, die sind alle sehr lieb und nett zu mir. Roi, Mathew und so. Aber die denken doch alle, ich bin ein Blondchen vom Lande. Dabei war ich die Klügste vom ganzen Dorf!«

Wie niedlich! Ihr Dorf war wohl ihre ganze Welt gewesen. So war das bei primitiveren Wesen. Aus ihrem Wunsch, zu den Sternen zu reisen, schloss ich, dass ihr Volk die Raumfahrt nicht beherrschte. Da war es immerhin beachtlich, dass sie diesen Kulturschock gut überstanden hatte.

»Ich werde denen noch zeigen, was ich draufhabe. Aber sag mal, was macht ein Quarteriumsmarschall eigentlich so den ganzen Tag über, wenn ich fragen darf?«

»Ich führe die quarteriale Armee an. Falls es dir nicht bekannt ist, lagen wir im Krieg mit der LFT, USO, den Saggittonen. Eben all deinen Freunden.«

»Ohhh«, sagte sie gedehnt. »Dann sind wir ja Feinde?«

»So gesehen ja. Obgleich ein Waffenstillstand herrscht, wie du sicherlich weißt.«

»Jo, wäre schade, wenn wir Feinde wären, denn du bist ja recht nett. Im Gegensatz zu diesem Molch mit den silbernen Haaren …«

Sie fand mich nett! Sie kannte mich eben nicht. Würde sie mehr über mich wissen, würde sie mich hassen. So wie Myrielle oder Brettany.

»Nun, im Vergleich zu Kruppus ist MODROR zumindest ein gesittetes Wesen. Ich entschuldige mich im Namen des Quarteriums für das Verhalten unseres Bündnispartners!«

»Schon gut. Wieso bekriegt ihr euch denn?«

Das waren ja Fragen! Wie sollte ich ihr das erklären?

»Es gibt höhere Wesen, wie deinen Gott Nistant, die unser Handeln immer wieder lenken und uns in solche Situationen treiben. Perry Rhodan ist an sich ein guter und großer Mensch, doch es geht um das Schicksal aller Menschen. Wir sind überzeugt, dass unser Weg der richtige ist. Deshalb kämpfen wir!«

Pyla machte einen nachdenklichen Eindruck.

»Ich finde, ihr solltet lieber miteinander reden. Krieg ist grausam. Meine Familie ist dabei gestorben. Die Finsteren haben sie alle getötet. Alle im Dorf …«

»Das tut mir leid.«

Und doch wollte ich wissen, wer diese Finsteren waren. So widerwärtig es auch war, was Pyla beschrieb – wenn sie Verbündete von Roi Danton bekriegten, waren es potenzielle Verbündete des Quarteriums. Pyla würde das natürlich nicht verstehen. Von ihrem Standpunkt aus gesehen auch verständlich. Und doch, gerade wenn ich solche Menschen wie sie sah, überkam mich ein schlechtes Gewissen. Eine junge, unbedarfte Frau wurde zum Opfer des kosmischen Schachspiels zwischen MODROR und DORGON. Ihre gesamte Welt war ihr brutal entrissen worden. Und wofür? Vermutlich war es ein Zufall, denn das Leben ihrer Dorfleute war keine Bedrohung für MODROR gewesen. Oder ein Leckerbissen?

»Ich wäre auch beinahe gestorben, aber Roi hat mir zweimal das Leben gerettet. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Auch, wie mich alle aufnehmen und gut behandeln.«

»Es war schon immer eine Eigenschaft der Rhodans, sich der Schwächeren anzunehmen.«

»Das ist auch edel. Das will ich auch mal tun. Anderen helfen. Das ist doch schön. Hilfst du auch deinen Leuten viel? Bestimmt doch?«

Was sollte ich ihr entgegnen? Dass viel Blut an meinen Händen klebte? Dass ich einst einen ganzen Planeten auslöschte und unzählige Leben vernichtete? Dass ich ein Sohn des Chaos war? Würde sie das verstehen? Vermutlich nicht! Also schwieg ich. Sie nahm das wohl als Zustimmung.

»Ich rauche noch eine. Ist hier draußen viel schöner als da drinnen bei den ganzen Irren. Fehlt nur ein neues Bierchen. Aber …«

Sie setzte sich auf eine Bank, kramte in ihrer großen Handtasche herum und holte freudestrahlend ein neues Getränk heraus.

»Ich habe mir einen kleinen Vorrat angelegt. Das war wohl ziemlich weitsichtig von mir, finde ich.«

Pyla öffnete das Bier, wobei sie sich etwas bekleckerte. Doch sie schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Passierte ihr wohl häufiger.

»Auch einen Schluck, Herr Quarteriumsmarschall?«

Wieso eigentlich nicht? Wenn schon alle durchdrehten, dann konnte ich mir auch einen Tropfen genehmigen.

»Aber dann musst du die Maske abnehmen.«

Das war also ihr Plan gewesen. Ich seufzte und lehnte ab. Dann bat sie mich, neben ihr Platz zu nehmen. Zumindest das konnte ich wohl bedenkenlos tun. Ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe. Das überraschte mich. Eigentlich empfand ich in Anwesenheit von schönen Frauen eher ein gewisses Unbehagen. Doch dieses Geschöpf war irgendwie anders. Vielleicht lag es an ihrer seltsamen, aber herzlichen Art.

Vermutlich war sie aber sowieso nur freundlich zu mir, weil sie betrunken war und kein anderer in ihrer Nähe verweilte. Sicher würde sie lieber mit Mathew Wallace hier sitzen als mit einem dunklen Ritter.

»Hach, schönes Wetter. Dieses Siom Som ist interessant. Schade, dass Krieg war. So recht verstehe ich auch die ganzen Zusammenhänge nicht. Wobei ich viel lerne, dank Onkel Jaaron. Ich hab schon viel erfahren! Nur was meine Heimat da für eine Rolle spielt, verstehe ich nicht so ganz.«

»Das verstehe ich auch nicht. Vermutlich niemand. Das Rideryon ist geheimnisvoll. Es wirkt umso rätselhafter, wenn nicht einmal seine Bewohner die Bestimmung des Riffs kennen.«

Pyla nahm einen kräftigen Schluck. Für eine Frau war sie ziemlich trinkfreudig. Für einen Mann auch, korrigierte ich mich.

»Ach, Roi würde jetzt sicher wieder nörgeln, weil ich trinke. Er bevormundet mich ganz schön, dabei bin ich alt genug, um zu wissen, was ich tue!«

»Wenn du meinst …«

»Ja! Pass auf, du warst doch mal mit Joak auf einem Abenteuer in dieser Dorgon-Galaxie unterwegs, richtig? Onkel Jaaron erzählte davon, als wir auf dem Weg zum Speisesaal waren.«

Das war nun schon siebzehn Jahre her. Und doch erinnerte ich mich sehr gut daran. Es war die Zeit, bevor ich zu MODROR gerufen wurde.

»Ja, damals wurde ich rehabilitiert und half der terranisch-saggittonischen Expeditionsflotte, Dorgon zu erkunden.«

»Wovon rehabilitiert, wenn ich fragen darf?«

»Von einigen Straftaten …«

Pyla schwieg.

»Und dann?«

Ich erinnerte mich an das dorgonische Kaiserreich, an Sanna Breen und an Kaiser Nersonos, der mich zu seinem Berater gemacht hatte. Ich hatte ihn verraten, denn ich wollte damals wirklich den Terranern helfen. Außerdem hatte ich Arimad beschützt. Welche Ironie, dass sie sechzehn Jahre später durch meine Hand gestorben war.

Und auch, dass Sanna Breen durch mein Schwert gestorben war.

»Wir erlebten einige Abenteuer und konnten Dorgon kurzzeitig zu einer Demokratie verhelfen. Dann ging ich auf eine weite Reise und kehrte nach fünf Jahren zurück.«

»Wo warst du denn die ganze Zeit? Urlaub oder Fortbildung?«

»Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich war bei einem höheren Wesen. Mehr kann ich dir nicht sagen.«

»Schon in Ordnung, ich wollte ja nicht respektlos sein …«

Plötzlich fing jemand an zu schreien. Zuerst dachte ich, es käme von drinnen und Caphorn würde zu einem neuen musikalischen »Höhepunkt« ansetzen, doch es kam von draußen. Pyla sah mit großen Augen um sich. Ich stand auf. Nun war es still. Wir gingen die Treppe hinab zur unteren Ebene. Natürlich trug ich mein Caritschwert bei mir. Ich legte es nie ab. Naja, fast nie.

Ich ging mit gezogenem Schwert voraus. Pyla folgte mir wortlos. Wir erreichten eine Nische, in der eine Hängelampe leicht hin und her schwang. Abgesehen von der Tatsache, dass so eine primitive Beleuchtung mich erstaunte, schien sie wohl angestoßen worden zu sein, denn es war relativ windstill.

»Ist das Blut?«

Pyla zeigte auf einen roten, lang gezogenen Fleck an der Wand. Ein weiterer war auf dem Boden. Das Blut war eher pink als rötlich, es kam also nicht von einem Menschen.

»Da ist noch mehr. Sollen wir nicht lieber die anderen holen?«

Pyla schien besorgt zu sein, doch für mich war so etwas nichts Ungewöhnliches. Wir folgten der Blutspur. War es womöglich eine Falle? Würden wir zu Danton und den anderen zurückkehren, würde sich die Spur vermutlich verwischen. Wir mussten ihr folgen, solange sie frisch war. Wer auch immer blutete, schien es nicht zu stören, eine unübersehbare Fährte zu hinterlassen.

So lernten wir immerhin das Schloss näher kennen. Dafür, dass es recht groß und verwinkelt war, lebten hier nur sehr wenige Wesen. Zumindest waren uns bisher keine begegnet. Wo waren die ganzen Somer und Pterus? Wo war das Wachpersonal von Caatu? Alles sehr sonderbar.

Alles wirkte rustikal und urig. Holztüren an den Eingängen zu den Quartieren, verzierte Laternen und jede Menge Zierwerk. Es wirkte einfach alles sehr idyllisch. Vielleicht etwas zu malerisch.

Eine lange Treppe führte in die nächste Ebene vom Schloss. Wir befanden uns jetzt in der zweiten Etage.

»Sag mal, müsste so ein blutendes, lebendes Wesen nicht eigentlich Fußspuren im Schnee hinterlassen?«, fragte die Rideryonin.

Damit hatte sie recht. Entweder vermochte das Wesen zu schweben, was auf einen Roboter schließen ließ, oder es war sehr trickreich.

Wir erreichten einen kleinen Vorhof am Ende der Gasse. Hier gab es weder Spuren noch Blutreste. Leider hatte ich keinen Scanner bei mir.

Pyla atmete tief durch und sah sich um. Sie lehnte sich gegen die Wand, und fuhr mit einem Schrei auf, als ein Tropfen Blut auf ihren Arm fiel.

»Iiih!«

Wir sahen beide nach oben. Ich hielt dem Wesen mein Schwert entgegen. Es fauchte und warf uns einen blutverschmierten Kadaver vor die Füße. Pyla schrie erneut. Was dort vor uns lag, waren die Reste eines Pterus. Das andere Wesen krabbelte die Decke und die Wände entlang und verschwand. Deshalb also gab es keine Spuren im Schnee!

Zur Sicherheit kontrollierte ich in alle Richtungen, damit dieses fremde Wesen, vielleicht ein wildes Tier, uns nicht von hinten angriff.

Pyla starrte entsetzt auf das tote Echsenwesen. Für sie war es in zweifacher Hinsicht ein ungewöhnlicher, fürchterlicher Anblick. Es kostete mich alle Überwindung, doch ich legte meine Hand auf ihre Schulter.

»Ist schon gut. Es ist schrecklich, so etwas anzusehen.«

»Der Hals, die Kehle. Siehst du die Wunden?«

Der gesamte Halsbereich des Pterus war übel zugerichtet. Es sah so aus, als hätte dieses Raubtier dort herzhaft reingebissen.

»Das sind die Finsteren! Sie sind hier«, jammerte Pyla. »Ich kenne diese Wunden nur zu gut. Er hat dem armen Wesen das Blut ausgesaugt und dann die Kehle herausgerissen.«

Einer dieser Ylors? Was waren das für Wesen? Hielten sie nun Einzug vom Riff nach Siom Som?

»Gehen wir bitte zurück zu den anderen«, bettelte Pyla und ergriff meine Hand.

Mir war das einerseits peinlich, auf der anderen Seite empfand ich das als sehr schön. Plötzlich kam eine Sturmböe auf. Innerhalb weniger Sekunden wirbelte der Schnee uns entgegen. Wir beeilten uns, in ein Quartier zu gehen. Die Tür war nicht verschlossen. Doch als wir drinnen waren, bot sich uns auch hier ein Bild des Schreckens.

Der Kosmogeniale Ausgleich für das Universum

Roi Danton fragte sich, was Pyla und Despair so lange draußen machten. Gut, die Rideryonin war manchmal ziemlich offen und stürmisch, aber Despair doch nicht!

Er war auch nicht sehr gesprächig, Pyla dafür umso mehr. Seltsam. Draußen tobte inzwischen ein Schneesturm. Und drinnen war dieser musikalische Erguss des kosmischen Ausgleichs Gott sei Dank beendet. Grimm T. Caphorn schwitzte und schnaufte nach seiner Ertüchtigung.

Schließlich setzte er sich wieder.

»Und jetzt lasse wir die positive Energie durch den Körperle ströme. Wir spüren den Moralische Kodle von der Zehenspitze bisch zur Nase. Ja, ja, ja!«

Caphorn schloss die Augen, breitete die Arme aus und schnaubte wie ein Walross während des Geschlechtsaktes. Seine Jünger taten es ihm nach. Sie kauerten auf dem Boden im Schneidersitz und meditierten mit ihrem großen Meister, dessen Ziele Danton immer noch nicht klar waren.

»Ähm, sagen Sie, Caphorn, was genau erwarten Sie jetzt eigentlich von uns?«, wollte Jan Scorbit wissen.

»Impulse für den kosmischen Energieausgleich unserer kosmogenialen Kinder des Channel »KosmoGenial«. Eine Spende, ein Mitgliedsbeiträgle oder positive Energie, um unseren Geist im Kosmos zu öffnen.«

»Dass wir nicht gleich darauf gekommen sind«, meinte Wallace.

Schließlich waren sie mit dem Essen fertig. Pyla und Despair hatten es wohl vorgezogen, ohne sie den weiteren Abend zu verbringen. Danton war ziemlich überrascht, und auch wenig begeistert. Jetzt blieb ihm die Gesellschaft der zwar etwas biederen, aber durchaus attraktiven Uthe Scorbit sowie der finster wirkenden Hexe Yvonne.

Doch die verstand sich bestens mit Mathew Wallace und kicherte über jede Bemerkung des smarten Schotten. Die beiden tuschelten schon die ganze Zeit miteinander. Blieb Danton also nur die gute alte Uthe.

Nun, der Abend wurde in Grüppchen fortgeführt. Caatu diskutierte mit Michael Shorne, Kruppus und Erich Village über heikle Themen wie die Artenbestandsregulierung und der Einsatz von Häftlingen in den Raumschiffwerften. Offenkundig und ohne Scham erklärte Shorne, das Reich benötigte neue Raumschiffe. Um diese schnell zu produzieren, war auch Menschenmaterial notwendig.

»Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir zerstrahlen sie in einem Konverter im Entsorgungslager oder sie arbeiten effektiv in einer Werft, bis sie tot umfallen«, meinte Kruppus.

»Die Wirtschaftlichkeit muss nach der Niederlage gegen die LFT im Vordergrund stehen. Ihre Raumwerften und Fabriken profitieren von billigen Arbeitskräften und wir von einer schnellen Produktion und günstigen Preisen«, erklärte Shorne.

Caatu schien dem nicht abgeneigt zu sein. Wo war denn hierbei sein kosmogenialer Anspruch? Seine positive kosmische Energie?

»Sie sollten überlegen, eine Aktiengesellschaft zu gründen. An der Börse könnten Sie enorme Gewinne dadurch erzielen.«

Caatu nickte nachdenklich. Shorne lachte herzlich.

»Ich hatte sogar mal die Idee, eine ABR-Aktie auf den Markt zu bringen, aber der Emperador hielt das für geschmacklos. Dabei sage ich, gerade jetzt: Mehr Mut zum Kapitalismus!«

»Nun«, meinte der Somer schließlich. »Ihr Angebot ist sehr verlockend. Wir alle profitieren davon. Aber ist es im Sinne des Riffs? Ich muss Grimm dazu befragen.«

»Diesem Spinner werden Sie doch nicht solche wichtigen Entscheidungen überlassen?«

Shorne war sichtlich angefressen.

»Nun, ich werde in Ruhe mit Grimm darüber beraten und Sie morgen meine Entscheidung wissen lassen. Auch die USO hat mir ein lukratives Angebot unterbreitet.«

Nun, fand Danton, war die Zeit gekommen, sich in das Gespräch einzumischen.

»Möglicherweise sind unsere Angebote verlockender für die estartische Bevölkerung. So ganz ohne bis zum Tod arbeiten oder in einem Konverter zerstrahlt zu werden.«

Er wurde noch deutlicher.

»Ich wusste, dass es heute Schwein zu essen gab. Dass ich mich jedoch mit Schweinen danach auch noch unterhalten muss, hatte ich zwar befürchtet, dass die quarterialen und dorgonischen Herrenmenschen sich jedoch so offenkundig im Dreck suhlen, hatte ich nicht erwartet.«

Die Gruppe sah ihn grimmig an. Roi lächelte.

»Oh, wenn ich Sie mir so ansehe, muss ich die lieben Schweine um Vergebung bitten. Der Vergleich ist für die Tiere eine Beleidigung.«

Kruppus grunzte wütend, doch Shorne versuchte, ihn zu beruhigen. Die beiden zogen davon. Caatu suchte wieder das Gespräch mit Jaaron Jargon, der willig auf die Ablenkung einging.

Danton atmete tief durch. Disziplin. Es würde die Zeit kommen, um mit diesen Typen abzurechnen. Er spielte den unnahbaren, zynischen Freibeuter weiter. Ein Schutz für ihn selbst, denn wenn er sie hier und jetzt aufmischen würde, würde Caatu vermutlich das Angebot der Quarterialen und Dorgonen annehmen.

Er verließ die Festhalle und wanderte durch die Räumlichkeiten des Schlosses. Vielleicht entdeckte er etwas von Interesse. Immerhin hatten sie es hier mit einem, im wahrsten Sinne des Wortes, seltsamen Vogel zu tun.

Es mutete seltsam an, dass es hier kaum Personal gab. Hier und da huschten mal vereinzelte Somer, Ophaler oder Pterus vorbei. Danton hörte ein Poltern. Dann erstickte Schreie. Je näher er kam, desto mehr hörte es sich an, als würde jemand geschlagen werden. Dumpfes, festes, brutales Knallen einer Faust auf nacktes Fleisch. Ja, so konnte man es wohl am besten beschreiben. Jemand wurde gefoltert oder misshandelt! Danton schlich bis zur Tür, hinter der die Geräusche zu hören waren. Vorsichtig und nahezu lautlos öffnete er sie, nur um sofort inne zu halten.

Im fahlen Schein eines gedämpften Lichtes ritt die Hexe Yvonne schreiend und in der Form eines Sukkubus ihren Liebhaber. Lustvoll schrie sie auf und schlug immer wieder die Fäuste auf seine Brust. Danton war nicht sicher, ob sie den armen Teufel unter ihr töten oder befriedigen wollte, doch sein Stöhnen klang nicht unzufrieden. Langsam schloss Danton die Tür und hüllte den Mantel des Schweigens über diese Szene.

Einen Gang weiter versteckte er sich spontan vor dem Unither Uchym, der aus einem Büro trottete. Danton betrat den Raum, nachdem der Unither außer Sichtweite war.

Er entpuppte sich als eine Art Kommunikationszentrale. Danton erkannte Hyperorter und -taster, Interkomanlagen und einen Kartentisch. Er aktivierte den Schalter am Rand des Tisches. Vor ihm baute sich das Hologramm des Rideryons auf. Das riesige Eiland mit den zahlreichen Bergen, Schluchten und Ozeanen, darüber die beiden Kunstsonnen und dann die 7999 Tholmonde.

Eine sehr detaillierte Abbildung des Rideryons war das! Verblüffend, da nur Sato Ambush bisher mit dem Kartografieren des Riffs begonnen hatte. Woher hatte der zwielichtige Caatu diese Informationen? Oder woher hatte Grimm T. Caphorn sie?

Irgendwo im Süden war ein Gebiet markiert. In kleinen Lettern prangte als holographischer Schriftzug: »Das Caphornland der Kosmogenialen Kinder.«

Offenbar wollte Caphorn mit seinen kosmogenialen Anhängern das Riff besiedeln. War er womöglich von Nistant kontaktiert worden? Aber warum so ein pseudoesoterischer Schwachkopf?

Danton deaktivierte die Karte und kehrte geschwind in den Festraum zurück. Dort musizierten Caphorn und seine kosmogenialen Freunde wieder für ein spirituelles Universum.

Danton suchte und fand Jan Scorbit bei einem Glas Vurguzz. Er wollte nicht erzählen, was er beobachtet hatte.

»Hast du Wallace gesehen?«

»Der hat gerade Spaß mit der Hexe.«

»Oh! Nun, sofern er das überlebt, soll er sich bei mir melden. Ich habe eine dreidimensionale Karte vom Rideryon gefunden, mit Details, die keiner kennen dürfte, der nicht dort gewesen ist. Sie gehört offenbar Caphorn, denn er hat bereits sein gelobtes Land abgesteckt.«

Scorbit wurde trotz des Alkohols ernst.

»Hinter Caphorn und seinen Stadtmusikanten steckt viel mehr, als wir ahnen. Vermutlich wird dieser Caatu als Geldgeber benutzt.«

»Étrange, mon ami! Ich werde mit unseren quarterialen Freunden sprechen. Zumindest mit Despair und Uthe. Vielleicht den einzig zugänglichen. Halte Ohren und Augen offen. Irgendetwas ist hier nicht ganz koscher!«

Danton stakste so affektiert, wie er nur konnte, zu Uthe Scorbit, bei der Anya stand.

»Ah, Roi! Gefällt Ihnen der Abend?«, grüßte Uthe ihn mit jenem oberflächlichen Smalltalk, das sie mit größter Entschlossenheit durchzog.

»Pas de tout, ma chérie! Dieser spirituelle Hokuspokus hat mich ganz echauffiert. Du kennst diesen Caphorn näher, nespa?«

»Oh, ich? Nein«, erwiderte Uthe und schüttelte den Kopf. »Der ist doch nicht ganz dicht. Aber ganz ehrlich, diese Pyla ist ja auch unmöglich. Ziemlich unreif, naiv und leichtfertig. Und hast du gesehen, dass Wallace mit dieser Hexe abgezogen ist? Was für Leute sind das denn!«

Uthe schien zu überlegen, über wen sie noch lästern konnte.

»Wie geht es Madame Orbanashol?«, wechselte Danton das Thema.

»Bestens! Uns allen geht es bestens«, plauderte Uthe und lachte aufgesetzt. »Wir werden sehr gut behandelt und fühlen uns sehr wohl.«

»Im goldenen Käfig des Regimes«, erwiderte Danton spitz. Anya kommentierte Dantons Sarkasmus mit einem feinen Lächeln.

Roi konnte nicht glauben, dass eine willensstarke und gute Frau wie Rosan Orbanashol-Nordment sich beim Quarterium wohlfühlte. Er konnte auch nicht glauben, dass Scorbits Ex-Frau derart abgestumpft war, nur um sich in einem mörderischen Regime ein heiles Nest zu bauen, doch er sah den Beweis vor sich.

»Keinerlei Fluchtpläne? Ich könnte euch helfen zu entrinnen!«

»Ach, das ist gut gemeint, aber ich fühle mich dort wohl und werde bald heiraten, und dann werden wir eine neue Dynastie der de la Siniestros gründen. Vielleicht hilft das, den Krieg endgültig zu beenden. Doch dazu muss auch die LFT dem Quarterium ein Stück weit entgegenkommen. Sie behandeln das Quarterium wie eine Terrorclique. Es ist doch kein Wunder, dass die de la Siniestros den Frieden mit Ihnen nicht wollen! Rhodan ist sehr arrogant und glaubt, nur weil er über 3000 Jahre alt ist, ist er der Größte!«

Danton war über Uthes Ansichten überrascht. Sie gab sich nicht nur so, sondern sie hatte sich wirklich mit der Rolle der braven Ehefrau des Kronprinzen am Hofe von Paxus abgefunden. Gut, zuweilen war Rois Vater manchmal etwas von sich überzeugt und glaubte, nur sein Weg war der richtige. Damit hatte Roi auch seine Schwierigkeiten, aber im Fall des Quarteriums lagen die Dinge doch klar. Das Quarterium war eine diktatorische, faschistische Monarchie, die ihre Macht auf den Gebeinen von unzähligen Toten aufgebaut hatte.

Allein die Artenbestandsregulierung war so verachtenswert, dass man mit dem Quarterium nie wirklich Frieden schließen durfte. Zumindest nicht, solange die Massenvernichtung von Leben dort fortgeführt wurde. All das schien Uthe komplett aus ihrer heilen Welt auszublenden. In ihrer Vorstellung war alles schön und gut, und die anderen hatten die Schuld. Das waren typische Komplexe einer unsicheren Person, die sich zwar nach Werten wie Frieden, Harmonie und Liebe sehnte, aber nicht die Kraft oder den Willen besaß, darum zu kämpfen.

Ließ sich Uthes Wandel mit ihren Ängsten begründen? War sie ein schlechterer Mensch, weil sie schwächer war als andere? Nein, sicher nicht. Sie war ein schlechterer Mensch geworden, weil sie das Morden des Quarteriums akzeptierte und mit den Verantwortlichen unter einem Dach lebte.

Zumindest den Verantwortlichen aus Fleisch und Blut. Danton durfte nicht vergessen, dass über allen der finstere Kosmotarch MODROR stand und die Geschicke des Quarteriums, der Dorgonen und seiner eigenen Horden lenkte.

Roi wandte sich wieder Uthe zu.

»Nun, ich wünsche Ihnen dann noch viel Spaß mit Ihrem neuen Leben. Mögen Sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wie einst Marie-Antoinette, Madame!«

Roi verbeugte sich höflich und ging wieder zu Jan Scorbit, der stetig weiter trank, dabei jedoch nur kleine Schlucke nahm und die anderen Gäste im Auge behielt.

»Ich hatte angenommen, dass ich ernsthafte Verhandlungen führen würde, doch stattdessen wimmelt es hier von Geisteskranken. Wo ist denn unser anderer Sorgenfall? Ist sie immer noch mit Despair unterwegs? Nicht, dass Pyla den Silbernen Ritter zu unüberlegten Taten bewegt«, ätzte Scorbit.

Jan hatte recht. Die beiden waren schon lange fort. Roi fand die Konstellation recht seltsam. Die Schöne und das Biest! Wie aufs Stichwort platzten beide in diesem Moment in den Saal. Pyla war kreidebleich.

»Wir haben einen verstümmelten Leichnam gefunden. Er wurde übel zugerichtet und zerfetzt«, berichtete die Buuralerin verstört.

»Mon Dieu! Der arme Mathew Wallace«, stieß Danton spontan hervor.

»Was denn, Sir?«, fragte Wallace am anderen Türeingang.

Neben ihm stand Yvonne.

»Ah, nichts!«, meinte Roi.

»Die Leiche gehört einem Pterus. Wir haben in einem anderen Haus drei weitere Leichen von Somern gefunden. Sie wurden allesamt zerfetzt und das Blut wurde ihnen ausgesaugt.«

Ein Raunen ging durch die Besucher, die sich ratlos ansahen.

»Das sind die Finsteren«, klagte Pyla leise. »Sie sind nun auch hier und wollen uns töten.«

Der unbekannte Gegner

Cauthon Despair

Mit unserer Rückkehr und den schlechten Nachrichten hatten wir die ausgelassene Stimmung der kosmogenialen Party gedämpft. Es war erstaunlich, dass ausgerechnet der Klanführer Caatu teilnahmslos auf die Meldung reagierte.

»Ach Mensch, da musch aber ein Raubtierle unterwegs sein«, vermutete Caphorn. »Lascht uns ein Kreisle bilden und zum lieben Gottle beten, dasch der Dämon bald wieder vorbei gehen tut.«

»Ich bezweifle, dass dies hilft«, erklärte ich. »Caatu, informieren Sie Ihr Wachpersonal. Mit Ihrer Erlaubnis rufe ich Truppen herbei.«

»Ich lege mein Veto ein«, meinte Scorbit. »Quarteriale Truppen stellen für uns eine Gefahr dar. Es sei denn, wir dürfen auch Soldaten entsenden.«

Caatu schüttelte sein buntes Gefieder und zirpte eigentümlich vor sich hin. Hilfesuchend sah er zu Caphorn hinüber.

»Im Interesche des Friedens schollte wir keine Truppen einlade. Caatus Wachmannschaft wird des Probleme löse tun.«

Das durfte doch nicht wahr sein! Was sollte ich jetzt tun? Danton und die anderen würden es natürlich nicht gern sehen, aber letztlich ging es auch um ihr Leben. Eine quarteriale Division wäre die beste Lösung.

Caatu rief seinen Haushofmeister Banson’Mam herbei. Der hochgewachsene, unter dem Federkleid ausgemergelt wirkende Somer musterte uns abfällig.

»Wir besitzen abzüglich der vier Toten drei Sicherheitsleute, einen Koch und drei Diener.«

Das war alles? Ich dachte, der Typ war ein bis an die Zähne bewaffneter Mafiosi! Etwas stimmte hier nicht.

»Wo sind Ihre Truppen? Haben Sie denn keinen Schutz? Ich habe hier Kinder und Familien gesehen, doch als Pyla und ich der Blutspur folgten, sahen wir niemanden.«

Caatu druckste vor sich hin.

»Nun, Meister Caphorn sagte, ich solle allen freigeben. Sie sind in die Stadt Hertonia gezogen. Dort leben sie eigentlich. Die Unterkünfte hier sind nur während der Arbeitstage für sie da. Hertonia ist fünfhundert Kilometer von meiner Residenz entfernt.«

»Um unserer aller Sicherheit wegen informiere ich mein Flaggschiff. Sie werden eine Kompanie zum Schutz entsenden«, entschied ich.

Dann wandte ich mich an Scorbit und Roi Danton.

»Ich garantiere Ihnen freien Abzug und respektiere die Bedingungen unseres Treffens.«

»Das klingt doch sehr fair von Cauthon«, meinte Pyla.

»Frisst der gefürchtete Silberne Ritter nun aus der Hand des leichten Mädchens?«, stichelte Uthe Scorbit mit angewidertem Gesichtsausdruck. Pyla schaute sie verwirrt an.

»Ausnahmsweise stimme ich mit Despair überein«, meinte Kruppus. »Eine Kompanie herzuschicken, finde ich gut, es geht schließlich um mein wertvolles Leben.«

Der Dorgone kicherte. Sein feistes Gesicht schwabbelte vor Erregung.

»Den Damen gewähre ich persönlichen Schutz …«

»Der spinnt wohl!«, fauchte Anya.

Yvonne musterte den Dorgonen aus ihren kalten, blauen Augen.

»Solltest du dich an mir vergreifen, werde ich dich ausschlachten wie ein gemästetes Schwein.«

»Das traue ich ihr zu«, ergänzte Wallace.

»Es reicht jetzt!«, rief ich dazwischen. »Mein Wort zählt. Eine Kompanie des Estartukorps und freies Geleit von Danton und den anderen nach dem Ende dieser grotesken Verhandlung.«

Nun wandte ich mich an Caatu.

»Und Sie sollten sich schnell entscheiden, ob Sie das Angebot des Quarteriums annehmen. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, dauerhaft Truppen auf diesen Planeten und bei all Ihren Fabriken zu stationieren!«

Caatu blickte wieder zu Caphorn, der vor sich hin schnaufte.

»Isch weiß net! Es ischt net Gottes Wille, dasch Soldate hier einmarschieren. Aber gegen die rohe Waffengewalt wird sisch meine Bewegung net widersetzen tue. Wir werden für den kosmogenialen Ausgleich trommeln und mit unserer positiven Energie den bösen Geischt vertreibe tue.«

Ich sah das als ein Einverständnis an und aktivierte meinen Hyperkom, um mit dem SUPREMO-Raumer am Rand des Systems Kontakt aufzunehmen. Doch nichts geschah. Die Verbindung wurde offenbar blockiert.

»Beschtimmt das Schneestürmle«, meinte Caphorn.

»Quatsch! Haben Sie eine größere Sendeanlage? Mit dem Minikom kann ich die EL CID nicht erreichen, dazu ist die Entfernung zu groß.«

»Der Schneesturm wird auch unsere große Anlage stören. Er wirkt polarisierend auf die elektromagnetischen Felder. Ich fürchte, Ihr Funkspruch wird den Hyperraum gar nicht erreichen«, erklärte Banson’Mam.

»Mathew, mon ami! Könntest du dich vielleicht um die Kommunikation kümmern?«

»Wieso gehen wir nicht einfach zu unseren Raumfähren und funken von dort aus unsere Raumschiffe an? Mit dem Hyperkom an Bord der Space-Jets können wir auch die anderen Schiffe kontaktieren«, schlug Wallace vor.

Wieso war ich nicht auf diese Idee gekommen? Wir begaben uns zu den Landeplätzen an der östlichen Spitze der Burg. Im dichten Schnee taten sich die meisten etwas schwer. Die Konstruktion dieser Burg war höchst seltsam, denn es gab kaum überdachte Wege und Gassen.

Als wir endlich die beiden Raumschiffe erreichten, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte, denn die Luken waren geöffnet. Wallace stürmte zu seinem Raumschiff und eilte hinein. Nach wenigen Momenten kam er wieder zurück. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

»Jemand hat das Schiff gründlich sabotiert. Funkanlage, Antrieb und die Energieversorgung wurden zerstört.«

Zusammen mit dem Ersten Offizier der IVANHOE II untersuchte ich unsere quarteriale Raumfähre. Dort bot sich uns das gleiche Bild. Auch Caatus Raumschiff war beschädigt. Jemand wollte uns auf diesem Planeten festhalten!

Wir gingen wieder zurück in die Festhalle und informierten die anderen. Die Situation wurde mir zu heikel. Wenn jemand systematisch das Wachpersonal ausschaltete und unsere Transportmittel zerstörte sowie den Funk blockierte, dann plante dieser Unbekannte auch etwas gegen uns.

»Caatu, Sie werden ja wohl über Gleiter und weitere Raumschiffe verfügen?«

»Nun, Gleiter ja. Der nächste Raumhafen befindet sich in der Stadt. Dort stehen auch meine anderen Raumschiffe. Nur bei dem Schneesturm ist es gefährlich. In den Eisdünen lauern gefährliche Raubtiere, auch Flugechsen. Durch die magnetischen Felder könnten die Funktionen der Gleiter beeinträchtigt werden. Ich …«

Jetzt reichte es mir. Dieser Typ trieb ein seltsames Spiel mit uns. Ich packte die Hühnerbrust an der Kehle und hob ihn hoch. Caatu fiepte kläglich, während ich ihm die Luftzufuhr abdrückte.

»Sie sagen mir jetzt, was hier gespielt wird oder Sie werden Ihrem Gott gleich begegnen!«

Das Quieken des Vogelwesens war erbärmlich.

»Tue ihm bitte nicht so weh, Cauthon«, bat Pyla. Ihr angewiderter Gesichtsausdruck tat mir weh.

Ich atmete tief durch und ließ den Somer los. Wild gackernd flatterte er mit den Flügeln, während er zu Boden plumpste.

»Dasch wird der liebe Gott bestrafe tue. Der arme Caatu. Wir schind doch blosch friedlische Missionare!«

Pyla ging zum Somer und half ihm wieder auf die staksigen Beine. Ich kam mir vor wie ein Ungeheuer. Vermutlich hätte ich den Somer umgebracht, hätte sie nichts gesagt. Es überraschte mich, dass ihre Intervention Wirkung auf mich zeigte. Gewissensbisse und naive Humanität waren nicht mein Ding.

»Danton, wir müssen nun zusammenarbeiten«, sagte ich zu Perry Rhodans Sohn. Der nickte.

»Oui, ich habe das Gefühl, dass man uns in einen Hinterhalt gelockt hat. Diesem Caatu und seinem Guru ist nicht zu trauen. Mathew, Jan! Ihr durchsucht das Schloss. Ich werde mir mal den Kartenraum anschauen.«

»Das verbitte ich mir!«, warf Banson’Mam ein. »Sie dürfen nicht die Privatgemächer von Klanführer Caatu durchsuchen. Vergessen Sie nicht, dass Sie Gäste des erlauchten Caatu sind!«

»Gäste oder Gefangene?«, warf Danton ein.

Der Haushofmeister schwieg. Caatu selbst war noch von meiner Attacke benommen. Die wenigen Sicherheitskräfte des Somer konnten es weder mit mir noch mit Danton, Scorbit und Wallace aufnehmen. Es war also beschlossen.

Wir teilten uns in drei Gruppen. Wallace und Scorbit, Danton und Yvonne sowie Erich Village und ich.

»Der Rest bleibt hier. Kruppus, zeigen Sie ausnahmsweise mal Verantwortung gegenüber Ihren Mitmenschen. Sie liegen in Ihrer Obhut.«

Kruppus zupfte seine Uniform zurecht.

»Ich werde ihm lieber auf die Finger schauen«, meinte Anya skeptisch.

Ich trat zu Pyla. Sie blickte mich böse an.

»Das war ziemlich gemein von dir. Der Somer kann doch auch nichts dafür. Du hättest ihn beinahe getötet!«

Wie wagte sie mit mir zu reden?

»Diese Impertinenz mir gegenüber ist gefährlich«, herrschte ich sie an, lauter als gewollt.

Sie wich erschrocken zurück und starrte mich mit ihren wundervollen blauen Augen an. Doch in diesem Moment war ich weniger von ihrer Schönheit angetan als einfach nur wütend. Dieses Weib wusste nicht, wer ich war! Sie hatte mir mehr Respekt zu zollen.

Doch ich schluckte meinen Ärger herunter und sagte in ruhigerem Tonfall:

»Achte zusammen mit Jargon und Anya darauf, dass alle in diesem Raum bleiben. Seid wachsam und passt auf euch auf.«

Sie nickte und blickte verstohlen auf den Boden. Offenbar hatte ich sie gekränkt. Damit musste ich leben.

Ich gab Village ein Zeichen. Die drei Gruppen teilten sich auf, um nach Antworten in diesem obskuren Rätsel zu suchen.

Aus den Chroniken Cartwheels

Jaaron Jargon

Vier Morde, das hatte uns hier noch gefehlt. Während die anderen sechs sich auf den Weg machten, blieben wir hier mit dem Präfekt Tutum Kruppus, Michael Shorne und den Kosmogenialen Jüngern zurück.

Caatu hatte sich mit Banson’Mam auf den Weg gemacht, um für weitere Sicherheitsvorkehrungen zu sorgen.

Ich setzte mich mit Anya, Pyla und Uthe an einen Tisch. Mir war die Anwesenheit der Damen angenehmer als die von Kruppus oder Shorne.

Die Kosmogenialen Jünger rund um Caphorn drummten vor sich hin. Es hörte sich wie ein Klagelied an, vermutlich ihre Art der Trauer. Plötzlich erhob sich Vincent Raabe und schritt zu uns herüber. Raabe war Arkonide, obwohl er einen sehr terranischen Namen trug, was mich verwunderte. Vielleicht hatte er auch nur arkonidische Vorfahren. Mit künstlich tiefer Stimme krächzte er uns an.

»Ich bin der Meister des Okkultismus, Tor zur Unterwelt der Toten. Ich und mein Rabe Korax sind Medien zu den Toten.«

Seine roten Augen leuchteten fanatisch.

»Hat denn Ihr Korax inzwischen ausgeschlafen?«, fragte Anya sarkastisch.

In der Tat hockte der Vogel völlig starr auf der Schulter des Okkultisten und bewegte sich nur, wenn sein seltsamer Herr sich bewegte.

Behutsam legte Raabe seinen Raben auf den Tisch und versuchte vergeblich, ihn in richtige Position zu stellen. Dann nahm er eine Puppe mit blonden Haaren in die Hand.

»Sie spielen noch mit Puppen?«, fragte Pyla.

»Das ist eine Voodoopuppe. Voodoo ist ein Zauber von Terra, du naives Kind! Ich will dir die Macht von Voodoo beweisen. Nimm die Puppe!«

Pyla zögerte.

»Nimm die Puppe«, brüllte Raabe. Eine Träne lief ihm vor Erregung über die Wangen.

Anya verdrehte die Augen und nahm anstelle von Pyla das Ding. Dann zog Vincent Raabe eine große Nadel und erläuterte ihnen die Bedeutung der roten Kreuze an dieser Voodoopuppe. Er legte die Nadel auf den Tisch, drehte sich um und verlangte von Anya, sie solle in eine der roten Markierungen stechen, aber so, dass er es nicht sah.

Anya schüttelte den Kopf, nahm die Nadel und stach ins rechte Bein der Puppe. Raabe fing an zu wimmern und hielt sich den linken Arm. Irritiert blickte Anya in die Runde.

»Zieh es raus«, gellte Raabe, und Anya tat, was er von ihr wollte.

»Zieh es endlich raus, du Schlampe!«, brüllte Raabe weiter.

»Ist doch schon raus«, erwiderte Anya genervt.

»Ach so! Nun, nachdem du die Nadel in meinen linken Arm gestochen hast, suche dir ein neues Ziel aus.«

Anya zuckte die Schultern und stach in den Kopf. Sie vermutete zu Recht, dass sie dort keinen Schaden anrichten würde. Raabe blieb ruhig stehen.

»Nun stich schon endlich zu!«

Seine Stimme war krächzend.

»Steckt schon …«

»Lüge nicht, du dummes terranisches Dreckstück!«

»Also, ich lasse mich nicht länger von so einem Idioten beleidigen!«

Anya ergriff eine Gabel und rammte sie in die rote Markierung zwischen den Beinen der Puppe. Nun fing Raabe an zu schreien und zu klagen in unendlichem Schmerz. Er fasste sich dabei jedoch an die Brust. Zitternd drehte er sich um, flehte die Frauen an, die Nadel herauszunehmen. Als er sah, dass Nadel und Gabel woanders steckten, huschte er zu ihnen, zog die Utensilien heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Pikiert nahm er seinen Raben und die Puppe und zog schweigend davon.

»Naja, er hat sich Mühe gegeben«, meinte Pyla.

Uthe bedachte sie mit einem finsteren Blick. Ich wollte den Moment nutzen und mich mit ihr über den Quarterialen Hof unterhalten, doch sie blockte gleich ab und ergab sich in Oberflächlichkeiten. Uthe wirkte wie ein Mensch, der viel zu verbergen hatte.

Ein leises Lachen drang an mein Gehör. Von links kam dieser Lester Chester Demon angeschlendert. Er bot wahrlich einen schauderhaften Anblick. Das rote, filzige Haar hing wirr am Kopf, die Haut war aschfahl, die Lippen und Augenränder schwarz. Seine Augen leuchteten allerdings voller Leben.

»Darf ich mich setzen?«

»Na klar doch«, meinte Pyla und klopfte mit der Hand auffordernd auf den leeren Stuhl neben ihr.

»Danke«, flüsterte Lester, strich seinen rot-lila farbigen Frack glatt und nahm Platz. Dabei lachte er immer wieder unkontrolliert.

»Sie sind wie meine Familie, dabei kenne ich sie noch nicht lange …«

»Wer? Wir?«, fragte Pyla überrascht.

Demon lachte.

»Ne, Caphorn und seine kosmogeniale Gemeinschaft. Sie müssen wissen, dass …«, Lester fuhr sich mit der Zunge über die spröden, dunklen Lippen und schmatzte dabei, »… dass ich noch gar nicht lange bei ihnen bin. Ja, hm. Erst ein paar Wochen.«

»Und was haben Sie vorher gemacht?«, wollte Anya wissen.

Derweil fing Caphorn wieder an zu trommeln. Jay-Fee, die Epsalerin und Debora-Zee tanzten wild durch die Gegend.

Lester Chester Demon erklärte, er war ein Reisender durch die Milchstraße gewesen, bis er vor wenigen Wochen zum Sternenportal gereist war, um auf SOLARIS STATION nach neuen Inspirationen zu suchen.

»Dann sind Sie ein Künstler?«, wollte Pyla wissen.

»Ja, so in der Art. Ich bin ein freier Künstler der Magie des Chaos. Spontan und intuitiv.«

»Spontan bin ich auch immer«, stimmte Pyla zu.

»Spontane Anarchie ist die fairste Form der Existenz«, meinte Lester Chester und lachte laut.

»Ja, und irgendwann habe ich dann Grimm T. Caphorn getroffen. Ich habe schon früher seine Trivid-Kanäle verfolgt. Ich habe ihm all mein Geld gegeben, mich von den materiellen Lasten befreit und bin nun sein glücklicher Jünger.«

Wieder lachte Lester Chester Demon laut. Er bekam sich gar nicht wieder ein und schlug mit den Fäusten auf den Tisch. Die Frauen sahen sich entgeistert an. Nun bekam der komische Kauz einen Hustenanfall. Pyla klopfte ihm auf den Rücken, da wurde Demon schlagartig ernst.

»Fass mich nie wieder an! Hörst du? Nie wieder!«

Ruckartig zog Pyla ihre Hand zurück und schob sich mitsamt ihrem Stuhl etwas von dem Kerl weg.

»Ist ja schon gut …«

Lester schmatzte vor sich hin und nickte mit dem Kopf.

»Ich mag das nicht, hm? Verstanden? So! Und nun wünsche ich noch einen schönen Abend!«

Er stand auf und ging zu seinen kosmogenialen Freunden. Caphorn sang inzwischen den »Kosmogenial«-Song. Nachdem wir also zwei der illustren Caphorn-Anhänger kennengelernt hatten, wollte ich die Zeit nutzen, um weiter an der DORGON/MODROR-Chronik zu arbeiten. Vor dem Abendessen und diesen unsäglichen Unglücksfällen hatte ich den Rohentwurf für die Zeit bis 1292 NGZ beendet, und wollte mich nun mit der Zeit ab 1296 NGZ befassen.

Ich blickte zu Anya herüber.

»Für Sie begann das große Abenteuer ja im Jahre 1296, liebes Kind, nicht wahr?«

Anya lächelte.

»Ja, mit dem Überschweren Siddus fing mein Abenteuer an. Er war damals ein Klassenkamerad in der Berufsschule. Siddus arbeitete, soweit ich mich noch erinnere, bei der Shorne Industries Gesellschaft als Bürokaufmann.«

»Und was war so Besonderes an ihm?«, wollte Pyla wissen.

»Nun, einmal war er ein Mutant, und zum anderen ein Mann mit einem ziemlich großen Herz. Aber sehr einsam und allein. Keiner mochte ihn wirklich. Ein Riese, und doch fürchtete ihn keiner, weil er so zahm war.«

Wie Anya berichtete, hatte sich der Gigant mit der kindlichen Seele damals in sie verliebt. Sie erwiderte zwar seine Gefühle nicht, doch sie war ihm freundschaftlich verbunden gewesen, nicht ahnend, dass Siddus aufgrund seiner Fähigkeit der Metagruppierung vom Sohn des Chaos Cau Thon ausgewählt wurde, um der neue Körper für Leticron zu werden.

»Siddus fing an, sich zu verändern. Er war plötzlich selbstbewusst und wirkte überlegen. Später agierte er unter dem Namen Nor’Citel in Cartwheel und setzte sich für die Rechte der Pariczaner ein«, erklärte Anya, während sie einen Schluck Sekt trank und die restliche Flüssigkeit nachdenklich im Glas kreisen ließ. »Erst viele Jahre später lüftete Siddus sein Geheimnis: Er war Leticron geworden.

Krizan hatte mir mal verraten, dass Werner Niesewitz ihm vertraulich erzählt hat, dass Leticron vom Sohn des Chaos Cau Thon befreit worden war und dass sein Bewusstsein aus dem PEW-Metall auf Siddus überging. Dabei starb wohl Siddus’ eigene Seele. Traurig …«

Der junge Überschwere war nur ein Spielball für die Hohen Mächte gewesen. Ein sterbliches Bewusstsein war verweht, als ein stärkeres Wesen von quasi kosmischer Bedeutung in seinen Körper geschlüpft war. Wäre der Einfluss doch wechselseitig gewesen. So ein Körper musste doch eigentlich einen Einfluss ausüben, oder nicht? Ein Körper machte müde, machte hungrig … doch Leticron war siegreich geblieben.

Und er hatte sich versteckt gehalten! Viel war uns über die Machenschaften von Cau Thon nicht bekannt. Hätte Bulrich seine Frau nicht in diese Angelegenheit eingeweiht, wären wir wohl niemals dahintergekommen.

In dieser Zeit war DORGON vielen Völkern erschienen und hatte sie aufgerufen, nach Cartwheel zu pilgern. Viele Milliarden Galaktiker, aber auch Wesen aus M 87, M 100, M 64, Andromeda, Hangay und den estartischen Galaxien waren dem Ruf des Kosmotarchen gefolgt.

Damit hatte meine Arbeit als Chronist der Insel begonnen. Zwölf Jahre lang schrieb ich alle Ereignisse auf, die sich in Cartwheel zugetragen hatten. Ab 1305 NGZ hatte ich meine Arbeiten dann auf den intergalaktischen Krieg ausgeweitet.

»Und was hast du so für Abenteuer erlebt, Uthe?«, fragte Pyla freundlich.

»Ich? Och, mehr, als mir lieb sind«, erwiderte Uthe schroff und winkte ab.

Damit war das Thema für sie wohl erledigt. Pyla hakte nicht nach.

In der Tat hatte Uthe Scorbit viel erlebt. Nach dem unfreiwilligen Abenteuer auf der LONDON II war im Jahre 1290 NGZ das nächste Abenteuer gefolgt. Die THEBEN mit Uthe, ihrem damaligen Ehemann Remus, dem Abenteurer Jonathan Andrews und anderen Passagieren an Bord entdeckte ein verlassenes Raumschiff der Casaro.

Die Casaro waren ein reptiloides Volk gewesen, die Terraner, aber auch andere Wesen entführt und zu Studienzwecken in einer Raumzeitfalte gefangen gehalten hatten. Uthe und ihr Mann Remus hatten eine solche Raumzeitfalte einige Monate zuvor gefunden, Joak Cascal und Sandal Tolk kennengelernt und ihnen mehr oder weniger dabei geholfen, mit der VIVIER BONTAINER daraus zu fliehen und sie zu vernichten. Dabei hatten die Casaro einige Studienobjekte evakuiert – mit eben jenem Raumschiff. Sie befreiten den Marquês de la Siniestro, geboren 1761, Reinhard Katschmarek, geboren 1932, und Werner Niesewitz, geboren 1921, aus ihren Stasiskammern. Niemand hätte damals gedacht, dass diese drei Gestalten Konstrukteure eines neuen Imperiums werden würden, das die übelsten Ideologien ihrer Zeit wieder aufleben ließ.

Im Verlauf der Abenteuer waren die Scorbits und Andrews auf den Ritter der Tiefe Gal’Arn getroffen. Es hatte sich eine innige Freundschaft zwischen Jonathan und Gal’Arn entwickelt, sodass Jonathan beschlossen hatte, auch Ritter der Tiefe zu werden.

Auf ihrem Weg zurück in die Milchstraße waren sie von Cau Thon und Goshkan gejagt worden und dem Zechonen Prinz Prosperoh begegnet. Von dem wussten wir nun, dass er von Rodrom vergeistigt worden war mitsamt seinem Volk, um DORGON mit seiner negativen Seele zu infizieren.

Die Infektion hatte 1296 NGZ stattgefunden, als Rodrom in Saggittor gewütet hatte und mit seiner neuen Waffe, dem SONNENHAMMER, die Galaxie vernichtete. Dorgon hatte jene Saggittonen aufgenommen, die nicht gerettet werden konnten, dabei jedoch auch die Bewusstseine der Zechonen. Die negative Wirkung dieses Volkes schwächte DORGON.

Nach dem Exodus aus M 64 hatten sich die Saggittonen unter Aurec in Cartwheel angesiedelt. Der Marquês de la Siniestro hatte als Politiker des Terrablocks und Günstling von Michael Shorne seinen Aufstieg in der neuen Zeit erlebt.

Und ein in die Jahre gekommener Linguide hatte angefangen, im Auftrag von DORGON die Chronik zu verfassen. Ich seufzte. Nun saßen wir hier in einem Schloss und erlebten das nächste Abenteuer, welches sicherlich auch seinen Platz in der Chronik finden würde.

Das Schloss von Caatu

Danton war sich nicht sicher, ob er mit der Auswahl seiner Begleitung einen Glücksgriff gemacht hatte oder nicht. Ganz geheuer war ihm Yvonne nicht, nachdem er sie in Aktion gesehen hatte.

Die Entropen, vor allem die Hexen, waren eine seltsame Rasse. Sie tauchten urplötzlich vor einem Jahr auf und erklärten dem Quarterium und MODROR den Krieg. Als ein Hilfsvolk der Entität SI KITU standen sie offenbar auf der Seite der Terraner, aber richtig warm wurde niemand mit diesen Wesen, die so arrogant, zickig, herablassend und brutal waren.

Yvonne wurde zur Kontaktperson für die FES ernannt, da Niada offensichtlich Schwierigkeiten mit den Terranern, Saggittonen und Estarten hatte. Danton trauerte dieser Zicke keine Träne nach, schließlich war sie für seine Entführung zum Riff verantwortlich gewesen. Yvonne war zwar freundlicher, aber keineswegs vertrauensselig.

Sie entsprach durchaus dem mystischen Bild der Sukkubus. So hieß es, dass sie als liebliche Damen die Männer verführten, um ihnen beim sexuellen Akt schließlich in Dämonengestalt alles Leben auszusaugen oder sie zu willenlosen Zombies zu machen.

Gut, manch einer mochte denken, dass eigentlich alle Frauen so waren, aber es bestand schon ein gewisser Unterschied. Die Hexen gingen nicht subtil und suggestiv vor, sondern ziemlich offensichtlich. Danton hätte eher eine Horde Wimpern klimpernder Top-Models erwartet, die versuchten, die Männer zu bezirzen. Wer sich jedoch bei diesem negativen Image der Hexen in eine verliebte, war selbst schuld.

Das brachte Danton auf die seltsame Konstellation zwischen Cauthon Despair und Pyla. Roi hatte das Gefühl, dass Despair die kesse Rideryonin bereits zu nahe an sich herangelassen hatte. Danton wusste nicht, ob es ein Vor- oder Nachteil wäre, wenn sich beide miteinander verstanden. Obgleich diese Sympathie nicht von Dauer sein konnte. Die Schöne und das Biest wurden in diversen literarischen Werken zu Papier oder auf die Leinwand gebracht.

Die Jahrtausende alten Werke »Der Glöckner von Notre-Dame« von Victor Hugo, der Film »King Kong« oder »Das Phantom der Oper« von Gaston Leroux waren die wohl bekanntesten Geschichten um ein tragisches Monster, das sich in eine Schönheit verliebte. Letztlich bedeutete das stets das Ende der Bestie. Freilich, Despair war oft vergeblich schönen Frauen zugetan, doch Pyla schien die Mischung zu besitzen, an der Männer verzweifeln und zerbrechen konnten. Gerade jemand instabiles wie Cauthon Despair.

Auf jeden Fall würde diese Liaison Despair schwächen, was natürlich gut für den Kampf gegen das Quarterium war. Denn eines war Danton klar: Pyla würde sich niemals in Despair verlieben. Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der ohnehin schon melancholische Despair würde aber die Freundlichkeit von Pyla als Liebe missverstehen oder sich an die Hoffnung klammern wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Die Folge wären Depressionen und ein seelisches Chaos, wenn es geschickt angestellt wurde. Despair würde Fehler begehen und damit wäre der vielleicht gefährlichste Mann im Quarterium ausgeschaltet oder einstweilen paralysiert.

Danton ermahnte sich, dass seine Gedanken moralisch nicht ganz in Ordnung waren. Sein Mitleid mit dem Silbernen Ritter hielt sich allerdings in Grenzen. Dazu hatte Despair zu viele Verbrechen begangen.

Und Pyla?

Natürlich würde Roi ihr nichts von seinen Plänen erzählen. Er würde sie einfach ermuntern, freundlich und aufmerksam gegenüber Despair zu sein. Dann würde die Sache ihren Lauf nehmen. Wenn Despair Pyla dann Avancen machen würde, würde sie sich automatisch zurückziehen. Zumal sie in wenigen Tagen sowieso wieder voneinander getrennt sein würden. Danton musste nur sichergehen, dass der Funken bei Despair schon sehr bald übersprang.

Vielleicht kam es auch zum Streit zwischen Despair und Kruppus, denn der Anführer der Prettosgarde schien auch Gefallen an dem Mädchen gefunden zu haben. Bestenfalls schlug Despair in einem Wutanfall dem feisten Dorgonen den Kopf ab und sie hatten noch einen Gegner weniger.

Wenn Rois Vater seine Gedanken wüsste! Er würde ihn ermahnen, doch wegen solch einer allzu fairen Haltung zog sich der Krieg auch in die Länge. Hier und da ein verschlagener Plan konnte helfen. Schließlich handelte es sich hier nicht um unschuldige Lebewesen, sondern intergalaktische Mörder und Despoten. Das Risiko für Pyla war gering. Despair würde ihr nichts tun, obgleich das Schicksal von Zantra Solynger und Sanna Breen wenig erfreulich verlaufen war. Doch Roi würde schon auf die kecke Rideryonin aufpassen.

»Wo ist denn nun dieser Kommunikationsraum?«, wollte Yvonne wissen.

Roi legte seinen Plan erst einmal beiseite. Sie hatten den Raum erreicht und er deutete darauf. In dominanter Art drängte sich Yvonne vor und öffnete die Tür. Vor ihnen erstrahlte die holografische Karte des Riffs.

»Das sind wertvolle Informationen. Die Hohe Hexe wird darüber sehr erfreut sein«, meinte Yvonne. »Diese offensichtlich harmlosen Sektierer haben demnach einen Informanten von dem Riff. Jemand, der Siom Som infiltrieren will.«

Yvonnes Überlegungen waren logisch. Doch wieso dieser Caphorn? In Dantons Augen war der Kerl nur ein Spinner. Caatu als einflussreicher Pate von Siom Som war natürlich logisch. Vermutlich wurde Caphorn benutzt, um den esoterisch angehauchten Somer zu beeinflussen. Yvonne und Danton suchten nach Hinweisen auf den Ursprung dieser Technologie. Stammte sie vom Riff? Es war ihnen nicht möglich, das herauszufinden. Teilweise war sie somerischen Ursprungs, doch andere Bauteile waren fremd. Besonders interessant war eine Hyperkom-Anlage mit visueller, holografischer Übertragung. Die Technik war beiden unbekannt und ließ sich von ihnen nicht aktivieren.

Offenbar wurden mit dieser Anlage nur Botschaften empfangen, jedoch nicht versendet. Zumindest fanden sie keine Vorrichtung, um jemanden anzuwählen.

»Warum kooperieren Sie mit dem Quarterium?«, fragte Yvonne.

»Wir sitzen derzeit im selben Boot. Das macht uns jedoch nicht zu Freunden. Auch wenn die Entropen und Terraner im Moment das gleiche Ziel haben, sind wir alles andere als herzliche Freunde, nespa?«

Yvonne lachte gellend.

»Das stimmt, wobei nicht alle so ablehnend gegenüber den Hexen sind.«

Das erinnerte Danton daran, Mathew Wallace anzufunken. Er bat um einen Bericht.

»Die Gleiter wurden auch sabotiert. Wir haben keine Lebewesen hier angetroffen, das Schloss ist wie ausgestorben. Ich versuche, die Vehikel zu reparieren. Ich muss etwas improvisieren.«

Danton und Yvonne kehrten in den Festsaal zurück. Dort meditierten Caphorn und seine Jünger, um kosmogeniale Schwingungen zu erzeugen, wie Jaaron hilfsbereit erklärte. Roi ging zu Pyla.

»Na, Schnuckelchen?«

Sie lächelte sehr kurz.

»Wieso so betrübt? Hier …« Er ging zur Bar, nahm zwei Flaschen Vurguzz und gab ihr eine. »Trinken hilft doch.«

»Aber du hast gesagt, ich soll mich nicht besaufen.«

»Das habe ich nicht so gemeint. Wir können heute sowieso nichts tun, müssen hier übernachten, und da die anderen Wache halten werden, kannst du deinen Kummer ertränken. Muss doch schrecklich gewesen sein, die Leichen zu sehen.«

Sie nickte.

»Es erinnerte mich an meine Leute aus dem Dorf. Die Erinnerungen kamen wieder hoch.«

Pyla seufzte und trank einen tiefen Schluck.

»Mir gefällt es gar nicht hier. Ich will wieder zurück nach Som. Alle sind hier entweder irre oder gemein. Selbst Cauthon. Ich dachte, dieser Herr Quarteriumsmarschall wäre eigentlich ganz nett, aber dann hat er mich dermaßen angegiftet.«

Roi verwünschte sich für die kommenden Worte.

»Eigentlich ist er auch nett«, meinte er.

»Er hätte aus dem Somer beinahe Hühnerfrikassee gemacht …«

»Hast du dich denn schon einmal gefragt, wieso er das tut?«

Sie schüttelte den Kopf und trank weiter. Das kam Danton entgegen.

»Weil er unser Leben schützen wollte. Ganz besonders das von dir. Er ist eben ein kämpfender Ritter. Die zeigen ihre Sympathie auf brachialem Wege.«

»Du meinst, er kann mich gut leiden?«

»Aber ja. Das sieht man ihm doch an, nespa?«

»Nein! Er trägt ja ne Maske.«

»Naja, aber an seinem Verhalten. Du solltest dich etwas mehr mit ihm unterhalten. Ruhig recht viel. Vielleicht werdet ihr ja noch gute Freunde? Ich meine, nur gute Freunde. Und womöglich trägst du mit deiner beherzten Art zu einem Umdenken im Quarterium bei.«

»Wie denn?«

»Wenn du für ihn da bist, weckst du die guten Seiten in ihm. Weißt du, der arme Cauthon ist eine traurige Gestalt. Keine Freunde, keine Familie, völlige Einsamkeit. Kein Wunder, dass er so ist. Ihr seid euch sogar ähnlich. Du hast auch keine Familie mehr …«

Pyla machte einen nachdenklichen Eindruck und spielte mit ihrem grünen Halstuch.

»Ich weiß nicht. Er machte nicht den geselligsten Eindruck auf mich. Vermutlich findet er mich ziemlich dumm.«

»Das glaube ich nicht. Vertrau mir. Ich habe große Lebenserfahrung. Außerdem wäre es ein wichtiger Auftrag. Möglich, dass du mehr über Despair erfährst, wenn du Zeit mit ihm verbringst.«

»Ich soll ihn bespitzeln? Nein, das mache ich nicht!«

Danton biss sich auf die Lippe.

»So habe ich das nicht gemeint. Aber rede mit ihm. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir zusammenhalten. Außerdem ist Despair ein wirksamer Schutz gegen Kruppus für dich.«

Pyla warf einen angewiderten Blick auf den Dorgonen. Sie atmete tief durch und nickte schließlich.

»Na gut. Dann werden meine Flasche Vurguzz und ich mal den Silbernen Ritter suchen. Und du bist sicher, dass ich das Richtige tue?«

»Aber natürlich! Völlig davon überzeugt, ma chérie!«

Pyla stand auf und machte sich auf die Suche nach Despair. Roi blickte ihr hinterher, bis sie den Saal verlassen hatte. Inzwischen überkam ihn ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.

Der Schrecken in der Nacht

Cauthon Despair

Erich Village und ich hatten keine außergewöhnlichen Funde gemacht. So beschlossen wir, die Quartiere für die Nacht auszuwählen. Es lag mir daran, dass alle Personen in einer Etage schliefen. So brauchten wir nur wenige Zugänge zu bewachen.

Während wir nun die Räumlichkeiten aussuchten, kam mir Pyla schwankend entgegen. In ihrer Rechten hielt sie eine halbleere Flasche Vurguzz, in der linken Hand glomm eine Zigarette.

»Na Sie!«

»Was tust du denn hier? Hatte ich nicht ausdrücklich die Instruktion gegeben, dass jeder in dem Festsaal bleiben sollte? Ein Mörder geistert durch die Gegend!«

»Pff! Mir passiert schon nichts. Bist ja jetzt da. Ich wollte einfach mal schauen, ob es dir gut geht. Und, geht es dir gut?«

Ich atmete tief ein und aus. Nun, angesichts ihrer Art und ihres freundlichen Lächelns konnte ich ihr nicht böse sein. Ob es mir gut ging? Es war lange her, dass jemand mich so etwas fragte. Im Grunde genommen kümmerte es ja nie jemanden, wie es mir ging.

»Ja, mir geht es gut. Dir offenbar auch.«

Ich betrachtete die Vurguzzflasche. Pyla hatte einen ganz schönen Zug am Leibe.

»Meinem Vurguzz und mir geht es prima, danke der Nachfrage! Willst du nicht auch noch ein Schlückchen? Roi meint, wir sollen uns den Kummer von der Seele trinken!«

»Unser Feind wird vermutlich nüchtern sein«, erwiderte ich trocken.

»Och! Der soll nur kommen. Du besiegst ihn schon. Da habe ich gar keine Sorge. Du ziehst dein Schwert …« Sie tat so, als sei die Vurguzzflasche mein Caritschwert und schwang damit herum, bis sie sie mir aus Versehen gegen die Brust donnerte. Die Flasche ging am Brustpanzer zu Bruch.

»Hoppla! Der schöne Vurguzz …«

Reizend!

Sie torkelte in den nächsten Raum. In der Mitte blieb sie stehen, stemmte die Arme in die Hüften und sah sich um. Dann entdeckte sie freudestrahlend eine Minibar. Sie nahm sich eine Flasche.

»Was auch immer das ist. Ich probiere es mal.«

Ich sah mich im Zimmer um.

»Ich werde dir dieses Quartier zuweisen.«

»Für mich allein? Ich weiß nicht, aber was ist, wenn das Ding durch das Fenster kommt nachts? Ich will nicht allein sein. Vielleicht kann ja jemand bei mir schlafen? Ich frage mal Mathew oder Roi.«

Die würden das bestimmt gern machen, wie ich diese Weiberhelden kannte. Nein! Das ließ ich nicht zu. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich zu dieser Frau hingezogen. Vielleicht war es diese naive, erfrischende und freundliche Art. Sie wirkte unbekümmert und versetzte mich in einen ruhigen, ausgeglichenen Zustand. Ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe! Ein Gefühl, das ich nicht kannte. Außerdem fühlte ich mich für sie verantwortlich. Diesem zarten Wesen durfte nichts geschehen!

»Nun, dann werde ich bei dir übernachten.«

»Wirklich? Das ist aber nett. Sie setzte sich auf das Bett und grinste. Mit ihrer rechten Hand klopfte sie auf den freien Platz neben ihr. Meinte sie das ernst? Wir sollten in einem Bett schlafen? Ich wusste gar nicht, was ich jetzt tun sollte. Zuerst setzte ich mich neben sie. Ich war plötzlich aufgeregt wie ein kleiner Schuljunge.

»Möchtest du auf der linken oder rechten Seite schlafen?«, fragte ich schließlich und war von mir selbst überrascht.

»Och, mal schauen. Und du? Auf dem Boden oder in dem Stuhl?«

Meine Welt brach kurzzeitig zusammen.

»Ich wähle den Stuhl. Vermutlich werde ich sowieso die Wache übernehmen. Dann werde ich an der Tür bleiben.«

»Gut. Hm, das Zeug schmeckt seltsam. Irgendwie wird mir schlecht davon.«

Sie betrachtete die Flasche und versuchte, das Etikett zu entziffern.

»Dann solltest du dich jetzt schlafen legen. Ich informiere Village, dass er die anderen holen soll.«

»Der wirkt etwas spießig …« Sie kicherte.

»Was auch immer«, erwiderte ich leicht gekränkt und verließ den Raum. Village kehrte von seiner Inspektion der Räume zurück.

»Genügend Schlafplätze vorhanden. Es gibt nur zwei Treppenzugänge.«

»Gut. Bitte informieren Sie die anderen und bringen Sie die Meute her. Ich bleibe hier, um den Korridor zu bewachen.«

Village warf einen Blick in den Raum. Pyla saß angeschlagen auf dem Bett und hatte leichte Schräglage. Missmutig betrachtete sie den somerischen Schnaps und schüttelte den Kopf.

»Es ist in ihrem Zustand besser, wenn ich sie beaufsichtigte. Ich fürchte, mit diesem illustren Haufen werden wir eine unruhige Nacht haben.«

Village nickte und stimmte mir zu. Er machte sich auf den Weg, um den Rest zu holen. Ich durchsuchte meinen Gürtel. Ein Abtaster gehörte zur Standardausrüstung. Ich montierte ihn in der Mitte des Korridors, sodass er nach beiden Seiten scannte und ein Signal an meinen Pikosyn sendete, sobald jemand den Korridor betrat. Ich ging zurück in Pylas Raum. Sie saß im Bett und hatte die Flasche im Arm. Als sie mich bemerkte, grinste sie fröhlich und hob die Schnapspulle zur Begrüßung hoch. Dann seufzte sie.

»Allein trinken macht keinen Spaß. Hm, wo sind eigentlich Mathew und Jan?«

»Sie versuchen, die Gleiter oder die Raumfähren wieder instand zu setzen.«

»Das ist richtig so! Denn ich will weg von diesem Planeten. Wenn die Finsteren hier sind, ist es nicht schön. Sie jagen besonders gern nachts.«

»Erzähle mir mehr über die Ylors. Danton hält sich bedeckt.«

Anfangs zierte Pyla sich. Offenbar war der Schmerz über den Verlust ihrer Familie noch zu groß. Letztlich fing sie aber doch an zu reden.

»Die Finsteren galten früher als namenlose und gesichtslose Schrecken. Sie lebten in den Wäldern, hieß es. Doch erst als ich das Dorf verließ, begriff ich, dass sie über das ganze Rideryon herrschten. Sie sind Untote, Vampire. Ihr Herr ist Fürst Medvecâ. Ihm hat sich diese Nataly angeschlossen und die arme Kathy angeblich umgebracht. Kathy war nett.«

Fürst Medvecâ! Dieser Name würde noch von Bedeutung sein. Ich hatte ihn bereits gehört. Angeblich jagten die Ylors bereits in Siom Som, doch die Berichte wurden von Seiten der LFT sehr geheim gehalten. Die CIP hatte nicht viel Informatives herausgefunden.

»Nataly hingegen«, fuhr Pyla fort. »Ich hasse sie. Sie hat alle getötet. Meinen Vater, meine Schwester und meine Freunde. Ich habe noch nie jemanden gehasst, aber die hasse ich wirklich.«

Sie nahm wieder einen Schluck. Erstaunlich, wie viel sie vertrug. Sie tat mir nun auch leid. Noch vor einer Weile lebte sie in ihrer kleinen, heilen Welt. Dann waren wohl Danton und die anderen gekommen und alles hatte sich verändert. Doch Pyla schien eine gewisse Stärke in sich zu tragen. Sie hatte Jahrtausende des Fortschritts innerhalb weniger Momente verdaut. Das gelang nicht jedem Lebewesen. Dazu musste ein Wesen einen offenen und klugen Geist besitzen. Auch wenn sie jetzt nicht unbedingt diesen Eindruck machte, da sie auf dem Bett mit ihrer Flasche Alkohol kauerte.

»Irgendwann räche ich meine Familie …«

Mein Sender meldete sich. Die Ersten trafen ein. Ich vergewisserte mich kurz, dass es sich dabei um unsere Leute handelte. Village führte Caphorn und seine Gestalten hoffentlich ins letzte Zimmer. Roi Danton kam vorbei und grinste.

»Ich übernehme die erste Wache, mon ami! Leisten Sie nur Pyla Gesellschaft. Tata!«

Danton schloss die Tür von außen. Mir kam das seltsam vor. Pyla gähnte nun herzhaft. Gut, sie wurde müde.

»Ich muss nun schlafen. Du wachst ja über mein Wohl. So, nun werde ich mich bettfertig machen.«

»Tue das!«

Sie sah mich erwartungsvoll an. Was war nun? Oh, ja natürlich. Ich verließ das Zimmer. Draußen saß Danton auf einem Schemel und spielte mit seinem Degen.

»Süß, die Kleine, oder?«

»Sie ist nett.«

»Ach, kommen Sie, Cauthon! Sie mögen Pyla! Und soll ich Ihnen etwas verraten? Die gute Pyla mag Sie auch. Das hat sie mir vertrauensvoll berichtet. Sie ist zwar etwas schüchtern zuweilen, doch sie fand Sie auf Anhieb sympathisch.«

Wirklich? Ich schwieg, doch innerlich klopfte mein Herz vor Freude. Es geschah nicht oft, dass mich jemand sympathisch fand. Und wenn, dann hielt es nicht sehr lange.

»Pyla weiß, dass Sie eigentlich ein böser Bube sind, doch irgendwie macht es ihr wohl nichts aus. Etwas naiv, wie ich finde, aber so sind Frauen zuweilen.«

Man musste nicht gleich naiv sein, nur weil man mich mochte. Was bildete sich dieser pseudofranzösische aufgeblasene Gockel eigentlich ein?

»Cauthon? Bin fertig«, hörte ich dumpf aus dem Raum.

»Viel Spaß«, wünschte Danton.

»Achten Sie lieber darauf, dass sich kein Ylors einschleicht.«

Ich kehrte in den Raum zurück. Pyla lag in ihrem Bett und hatte die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Sie sah wirklich hinreißend so aus. Ich ließ Gefühle zu, die ich besser vermeiden sollte.

»Danton übernimmt die erste Wache. Ich werde es mir also auf dem Stuhl bequem machen.«

»Willst du dich denn gar nicht erleichtern?«

In der Tat war es wenig komfortabel in der schweren Rüstung. Ich nahm den Brustpanzer, Arm- und Beinschoner ab. Ich wusste nicht wieso, aber dann nahm ich zögerlich den Helm ab. Als sie mein Gesicht sah, schmunzelte sie.

»Ist doch gar nicht so schlimm. Nun werde ich müde. Ich glaube, ich schlafe gleich ein.«

Ihre Stimme wurde leiser und sie sprach langsamer. Dann legte sie sich zur Seite, kuschelte sich ins Kissen und war auch schon prompt eingeschlafen.

Ich setzte mich in den Sessel und betrachtete sie, bis mir selbst die Augen zufielen.

*

Ich träumte, dass ich in einem Raumschiff war und immer wieder durchgeschüttelt wurde. Jemand rief meinen Namen.

Ich öffnete die Augen. Pyla stand vor mir und rüttelte an meinem Arm.

»Wach doch endlich auf!«

Ich sprang auf und zog sofort mein Caritschwert. Pyla wich instinktiv zurück. Zu meiner Erleichterung befand sich kein Ylors in dem Raum. Ein Blick auf mein Chronometer verriet mir, dass vier Stunden vergangen waren.

»Ich habe draußen Geräusche gehört und da wurde mir etwas mulmig. Als ob jemand die Wand entlang kletterte.«

Ich legte mit wenigen Griffen die Rüstung an und ging langsam zum Fenster. Es war kaum etwas zu erkennen, da der Sturm die dicken Schneeflocken umher wirbelte. Schließlich öffnete ich das Fenster und blickte nach links und rechts. Plötzlich hörten wir einen Schrei.

Sofort eilte ich aus dem Raum. Pyla folgte mir. Danton und Yvonne waren bereits wach.

»Das kam aus dem Raum von Caatu«, sagte die Hexe.

Wir liefen dorthin. Als wir die Tür öffneten, wehte uns kalte Luft entgegen. Das Fenster war zerbrochen. Der Schnee wurde hinein geblasen. Doch viel schlimmer war der Anblick des Somers. Die Kehle war herausgerissen.

»Hatten Sie Sex mit ihm, Yvonne?«, fragte Danton plötzlich.

Die Hexe blickte ihn irritiert an. Ich verstand die Frage nicht.

»Schon gut. Ich musste fragen. Nun, demnach hat der Ylors zugeschlagen und unseren verehrten Gastgeber eliminiert. Die Frage ist nur, wieso?«

Diese Frage war berechtigt. Demnach konnten die Ylors wohl nicht hinter der fremden Kommunikationsanlage und der Riffkarte stecken. Denn offenbar hatte Caatu davon gewusst und war Empfänger der Nachrichten gewesen. Wieso sollte man ihn dann töten?

Inzwischen füllte sich der Raum, denn auch Banson’Mam und Grimm T. Caphorn kamen hinzu.

»Heiliges Scheissle. Der Caatu isch ja dot. Mausedot.«

»Wer bezahlt mich jetzt?«, fragte Banson’Mam sachlich.

»Nun, wir sollten demnach auch die Fenster absichern. Haben Sie Hammer und Nägel? Oder Stahl und Schweißgeräte?«, wollte Danton wissen.

»Nun, das nicht, aber wir haben Stahlrollläden, weil die Stürme sehr stark werden«, erklärte der Haushofmeister.

»Und wieso sagten Sie das nicht vorher? Ihr Brötchengeber könnte dann noch am Leben sein«, meinte Danton vorwurfsvoll.

»Niemand fragte danach. Ich werde die Stahljalousinen aktivieren …«

Pikiert trottete der Somer von dannen.

»Und isch werde für Caatu bete und eine Kerze anzünde.«

Auch Caphorn ging.

»Na toll und wer macht die Sauerei weg?«

Danton seufzte. An der Tür standen die drei Wächter von Caatu, die offenbar ihren Job nicht sehr ernst nahmen.

»Sie drei werden das erledigen«, entschied ich und verließ den Raum.

Pyla stand in der Mitte des Korridors. Sie war nicht allein. Jaaron, Anya und Michael Shorne standen auch dort.

»Caatu ist tot. Geht schlafen.«

In diesem Moment schlossen die Schotten der Fenster.

»Wir sind nun sicher vor einem Angriff von außen. Wir werden am Tage überlegen, wie es weitergeht.«

Ohne Widerworte zogen die anderen von dannen. Pyla ging zurück ins Bett, doch schlafen konnte sie nicht. Ich im Übrigen auch nicht, doch wir schwiegen. Ich nutzte die Zeit, um etwas zu meditieren und Kräfte zu sammeln.

Noch blickte ich nicht hinter dieses Rätsel.

Frühstück und Requiem

15. April 1308 NGZ

Despair

Der Duft von frischem Kaffee und Brötchen drang in meine Nase, als ich aufwachte.

»Guten Morgen!«, grüßte Pyla und zeigte stolz auf das vorbereitete Frühstück.

Ich war doch noch eingeschlafen. Es war bereits 10 Uhr. Peinlich.

»Die anderen sind schon unten. Leben aber alle noch. Leider sind Mathew und Jan nicht viel vorangekommen mit den kaputten Gleitern. Es fehlen zu viele Ersatzteile.«

»Danke für das Frühstück.«

Es tat durchaus gut, mal etwas geschenkt zu bekommen, und war es auch nur ein Frühstück.

»Ich hab übrigens keinen Hunger. Mir ist noch ganz übel. Puh, weiß nicht, ob es am Schnaps liegt oder an dem fauligen Geruch von dieser Hexe. Als die mir im Korridor entgegenkam, nachdem der Caatu ermordet wurde, stank die widerlich.«

Ich grinste innerlich. War eine Runde Zickenkrieg angesagt? Vermutlich war Pyla aber eher duselig, weil sie vom Alkohol einen Kater hatte, und wollte Dampf ablassen. So gehässig kannte ich sie noch gar nicht.

»Iss schnell. Wir müssen uns beeilen, da die Trauerfeier gleich anfängt. Dieser Caphorn hält sie ab.«

Ich nickte, aß ein Brötchen und trank den Kaffee leer. Als wir die Treppen hinab gingen, hörte ich bereits von Weitem das monotone Trommeln und einige Klagelaute. So leise wie möglich traten wir in den Festraum. Vor dem Oranje-Table lag der Leichnam von Caatu aufgebahrt. Dahinter standen Caphorn an der Trommel, Zütünnüü, Uchym, Jay-Fee, Vincent Raabe, Lester Chester Demon, die stille Epsalerin und Debora-Zee sowie der Haushofmeister Banson’Mam und die übrige Belegschaft – darunter auch zwei Ophaler.

Die Ophaler stimmten einen traurigen Gesang zu den Trommelschlägen von Caphorn an.

Ich konnte dieser Trauerszene nichts abgewinnen. Michael Shorne gesellte sich zu mir.

»Jetzt, wo der tot ist, können wir sowieso seine Fabriken übernehmen. Die ganze Sache hat also auch etwas Gutes«, flüsterte er.

»Sobald wir wieder auf der EL CID sind, veranlassen Sie das Nötige. Bevor ein Erbschaftsstreit ausbricht, sorgen wir für klare Verhältnisse.«

Shorne war von der Idee angetan.

»Ich werde eine Division auf diesem Planeten stationieren. CIP-Agenten sollen die Unterlagen sichern und so herausfinden, wer sein potenzieller Nachfolger ist. Sollten wir uns nicht einigen, liquidieren wir ihn«, beschloss ich.

Ich hatte dieses Theater satt. Es war reine Zeitverschwendung gewesen, sich hier zu treffen, und nun saßen wir auch noch in der Falle. Aber der Schneesturm würde nicht ewig anhalten und schon bald würde die EL CID nach uns suchen. Wir mussten nur noch etwas ausharren.

Die Wachmänner von Caatu trugen seinen Sarg hinaus. Banson’Mam erklärte, er würde nun nach somerischen Ritualen beigesetzt werden. Fremde waren bei dieser Zeremonie unerwünscht. Wir respektierten dies. Es waren zu viele, als dass sie von dem oder den Ylors angegriffen werden konnten.

Danton schlug vor, dass jeder wieder an seine Arbeit ging. Mathew Wallace und Jan Scorbit wollten sich weiter um die Reparatur der Vehikel kümmern. Die Hexe Yvonne machte einen Rundgang. Mir missfiel, dass Wallace und Pyla sich so offensichtlich gut verstanden.

Da ich nichts zu tun hatte, wollte ich Caphorn verhören. Er saß am Oranje-Table und zündete eine Kerze an.

»Dasch isch die Lebenskerze für den Caatu. Für schein Lebe nach dem Todle. Nun isch er der kosmogenialen Bewegung ein Stückle nähergekommen tue.«

»Wenn Sie seinem Beispiel nicht folgen wollen, sollten Sie mir Antworten geben«, riet ich ihm.

Er sah mich genervt an. Uchym und Debora-Zee hielten jedoch Abstand zu mir.

»Wer bischt du denn, dassch du so mit mir rede kannscht? Isch bin hier der Cheffe! Du bischt net von Gott instruiert.«

Ich zog unbeeindruckt mein Caritschwert.

»Nein, aber vom Teufel höchstpersönlich«, erwiderte ich in Anspielung auf MODROR. »Wer hat diese Hyperkom-Anlage konstruiert. Und wer sendet euch darüber Nachrichten?«

Plötzlich donnerte ein Knall durch die Halle. Die Wände zitterten. Ich eilte zum Balkon, um auf den großen Hof zu schauen. Ein Gebäude stand in Flammen. Es war das Mausoleum des Caatu.

Wallace, Scorbit und Yvonne eilten herbei. Einige Service-Droiden begannen mit den Löscharbeiten. Vermutlich hatte keiner überlebt. Es wurde immer mysteriöser. Der unbekannte Angreifer hatte alle einheimischen Lebensformen getötet.

Wir waren nun isoliert. Doch wieso verschonte er uns bisher? War es Zufall? Oder steckte ein Plan dahinter? Wenn ja: Wer steckte dahinter? Ich wollte dem Feind ins Gesicht sehen.

Die Verdächtigen

Biografien

Jaaron Jargon

Nachdem Despair, Wallace und Scorbit den eindeutigen Tod von Banson’Mam und dem restlichen Wach- und Dienerpersonal festgestellt hatten, wollten Despair und Danton nicht mehr tatenlos herumsitzen. Danton schloss nicht aus, dass der Mörder unter uns weilte.

Während Mathew Wallace und Cauthon Despair versuchten, einen flugtüchtigen Gleiter oder ein Kommunikationsgerät zu basteln, machten sich Jan Scorbit, Roi Danton und meine Wenigkeit daran, die Verdächtigen zu verhören.

Es bestand nämlich immer noch die Möglichkeit, dass einer der kosmogenialen »Freunde«, ein Quarterialer oder die Hexe Yvonne an den Morden schuld war. Banson’Mam und die Bediensteten waren Caatu unfreiwillig ins Grab gefolgt.

Damit war kein einziger Einheimischer mehr am Leben. Es fiel auf, dass wir als Gäste bisher verschont wurden. Galt dieses Attentat vielleicht nur Caatu?

Jan Scorbit hatte eine portable Syntronik dabei. Als guter USO-Spezialist hatte er alle wichtigen Daten zu den Gästen bereits vor der Abreise darauf gespeichert. Wir gingen zuerst die Lebensläufe von Caatu und Banson’Mam durch. Vielleicht gab es Hinweise auf ihre Mörder.

Scorbit war ebenfalls in der Pionierzeit Cartwheels als USO-Agent auf die Insel gekommen und war schnell zum Chef der USO in Cartwheel aufgestiegen. Der Zwillingsbruder von Remus hatte viele Abenteuer erlebt. So hatte er gegen den gefährlichen Pterus Saron und gegen eine Terrorgruppe von Hauris gekämpft und war nicht zuletzt Teil des Himmelfahrtskommandos auf dem SONNENHAMMER vor zehn Jahren.

Obwohl Scorbit auch immer wieder durch seine Alkoholexzesse negativ auffiel, war er ein fähiger USO-Spezialist, der – wenn es drauf ankam – immer zur Stelle war.

Doch Caatus Lebenslauf schien eher auf konkurrierende Mafiosi als Feinde hinzudeuten. Für gewöhnlich war Caatu stark abgesichert. Es war also verwunderlich, wieso er ausgerechnet bei diesem Treffen auf seine Wachmannschaft größtenteils verzichtet hatte.

Auch bei Banson’Mams Profil fanden wir nichts Wichtiges heraus. Die Familie des Haushofmeisters hatte Generationen dem Caatu-Klan gedient. Banson’Mam hatte die Akademie auf Som besucht und war fünf Jahre beim Militär gewesen.

»Nun, eines können wir jedenfalls ausschließen: Der Butler ist der Mörder«, meinte Danton trocken.

Wir fingen zuerst mit Grimm T. Caphorn an. Sein Lebenslauf war durchaus interessant.

Caphorn war gelernter Gleiterverkäufer. Er war dann in die Versicherungsbranche gewechselt und hatte durch Kundenkontakte in die spirituelle Welt gefunden. Mit dem Sender »Götter Trivid« hatte er in der Milchstraße viel Geld durch Gebührenabzocke ergaunert. Er hatte dabei die verschiedenen Religionen der Völker ausgenutzt und über seine Medien den Anrufern und Spendern eine schöne, spirituelle Absolution versprochen, nach der sie frei sind und auf ewig geliebt werden. Nebenbei war er Produzent von galaxieweiten Erotiksendungen gewesen.

1294 NGZ war er in einen Skandal verwickelt. Bei dem Dreh des Streifens »Gurkensandwich« war ein Unglück geschehen, als eine swoonsche Erotikdarstellerin beim Shooting mit zwei Epsalern in entsprechender Stellung den Tod gefunden hatte.

Caphorns Ruf als seriöses Medium hatte darunter gelitten, denn durch den Prozess wurden weitere Unglücksfälle und jahrelange Abzockerei aufgedeckt und Caphorn hatte die Sendelizenz galaxieweit verloren.

Der geschasste Guru war für ein Jahr in psychiatrische Betreuung gekommen.

Als er entlassen worden war, wanderte er 1298 NGZ mit einer Gruppe Getreuen, die er im Sanatorium kennengelernt hatte und für seine Ideen begeistern konnte, nach Cartwheel aus.

Zu liberaleren Zeiten durfte er dort noch den Trivid-Sender »Channel Universal« nach dem bekannten Schema leiten.

Nach dem Verbot durch das Quarterium war Caphorn in die Lokale Gruppe zurückgekehrt und hatte angeblich die Vision empfangen.

»Gurkensandwich …«, murmelte Scorbit angewidert. »Ich werde nie wieder in meinem Leben ein Gurkensandwich essen!«

Der Guru watschelte barfüßig auf uns zu und verneigte sich mit einem Lächeln.

»Wasch kann isch für die Herren tue?«

Danton bot ihm Platz an und Caphorn folgte der Bitte.

»Wo waren Sie während der Morde?«, fing Scorbit routinemäßig an.

»Na, beim ersten Mordle war isch doch hier und habe musiziert. Beim Todle von dem armen Caatu hab isch schlafen getut. Und alsch der Banschon’Mam und scheine Freunde dot gingen tun, stand isch doch fascht nebe Ihne.«

Das machte ihn in der Tat recht unverdächtig. Er hatte ein stichhaltiges Alibi. Dennoch war er vielleicht der Drahtzieher der Morde. In seinen Jüngern hatte Caphorn sicherlich viele willige Werkzeuge gefunden.

»Nun«, meinte Danton und grinste vor sich hin, als er ein Dokument aus seinem Rock holte. »Da ja nun niemand mehr von den Besitzern des Schlosses am Leben ist, habe ich mir in aller Dreistigkeit den Safe von Caatu angesehen. Und siehe da …«

Danton wedelte mit dem Stück Papier durch die Gegend.

»Ein beglaubigtes Testament, welches kopiert in Som bei einem Rechtsanwalt des Klans liegt. Und raten Sie mal, wer der Erbe ist?«

Scorbit und ich sahen Danton neugierig an. Davon hatte er uns gar nichts gesagt. Das war wieder typisch für ihn.

»Isch weiß es net. Na, wer denn?«

»Sie!«

»Isch? Ja mei! Desch isch ja a Überraschungsle. Da hab isch dasch janze Geldle. Schäffle Raumschiffbaue! Desch isch ja lieb vom Caatu.«

Caphorn lachte. In seinen Augen stand die Gier. Er wirkte ehrlich überrascht und schien sich auch keine Gedanken darüber zu machen, dass er nun ein Motiv besaß.

»Es wäre ja im Bereich des Möglichen, dass der Erbe eines solchen Vermögens durchaus nachhelfen könnte, das vorzeitige Ableben von Caatu zu beschleunigen«, meinte Danton zaghaft und sah Caphorn fragend an.

»Ja, wasch willste denn damit sagen tun?«

Caphorns Miene wurde ernst.

»Dass Sie den Mord an Caatu in Auftrag gegeben haben! Vielleicht wussten einige von den Bediensteten von ihren Absichten und mussten deswegen sterben. Oder sie fanden nur den Tod, um uns abzulenken.«

»Desch isch doch Bledsinn! Isch bin doch ka Mörder! Herrschaftszeitle nochmal!«

Caphorn donnerte mit der Faust auf den Tisch.

»Isch bin der Cheffe von der kosmogenialen Bewegung! Isch bin vom lieben Gott perschönlich auscherwählt worde! Da hob isch es net nötig tun, jemand dot zu mache! Ja? Verschtescht?«

Die Bescheidenheit dieses Terraners war beispiellos. Ich fragte mich, ob Caphorn intelligent genug war, um ein solches Verbrechen zu planen. Und was sollten wir dann hier? Wir waren doch nur lästige Zeugen. Er hätte Caatu doch ohne uns umbringen können und wäre damit durchgekommen.

»Nun, wir werden Ihre kosmogenialen Freunde auch befragen. Vorerst sind Sie Tatverdächtiger Nummer Eins«, sagte Jan kühl.

»Isch? Aber wischo denn? Wasch isch denn mit den Ylors?«

»Falls es die wirklich gibt? Nun, das wollen wir klären. Sie können gehen. Schicken Sie bitte Zütünnüü und Jay-Fee zu uns.«

Jan gebot Caphorn mit einer Handbewegung, nun aufzustehen und zu gehen.

»Es ergibt keinen Sinn«, meinte er schließlich. »Was haben wir in dem Spiel zu suchen? Unnötige Zeugen und viel Aufsehen.«

»Es sei denn, Caphorn hat mit uns noch etwas vor«, ergänzte Danton und aktivierte die Profildatenblätter des Blues Zütünnüü und der Terranerin Jay-Fee.

Der Gataser war früher offenbar drogenabhängig gewesen und hatte mit Jay-Fee, die mit bürgerlichem Namen Sara Snakkbahr hieß, eine Wohngemeinschaft auf Terra gegründet. Nach dem USO-Dossier hatten der Musikant und die selbsternannte »Gute Fee und Biene Sara« wilde Partys gefeiert und jede Menge Klagen wegen Drogenbesitzes an den Hacken. Irgendwann hatten sie sich Caphorn angeschlossen.

Der über zwei Meter große Blue und die kleine, zierliche Terranerin mit den braun gelockten Haaren und den angeklebten Elfenflügeln am Rücken nahmen Platz. Dabei achtete Sara Snakkbahr peinlich genau darauf, ihre Kunststoffflügel nicht zu zerknittern.

Jan seufzte schon, bevor er die erste Frage stellte.

»Bonjour, alles klar soweit?«, fragte Roi.

»Jaaaa! Dass die Männer alle tot sind, ist traurig, aber ich bin soooo glücklich. Ich fliege durch das Universum mit meinen Feenflügeln und lasse mich wie eine Biene vom kosmischen Sternenstaub bestäuben. Huhu, ist das schön.«

Danton und Scorbit lehnten sich zurück. Mir war das jetzt schon alles zu viel.

»Die ist stoned«, flüsterte Jan.

»Mindestens«, erwiderte Danton.

Jay-Fee grinste fröhlich vor sich hin, während Zütünnüü kaum hörbar summte.

»Und was tun Sie jetzt so?«, fragte ich schließlich.

»Ich berate mich mit dem Geist der muurtblauen Kreatur der Begeisterung. Sie müssen wissen, dass ich ihre Inkarnation bin.«

»Und was sagt die so?«, forschte Danton nach.

»Dass ich singen und neue Musikstücke komponieren soll. Für das Heil des Kosmos. Dann wird auch alles gut und die schrecklichen Ylors werden zur Strecke gebracht.«

»Und ich tanze zwischen den Sternen und lasse mich bestäuben, wie eine Biene von einem Blümchen. Oder war das umgekehrt? Herr Danton, möchten Sie Liebe mit mir machen?«

Scorbit vergrub das Gesicht zwischen den Händen, während Roi die illustre Terranerin entgeistert anstarrte.

»Danke. Keine weiteren Fragen. Sie sind vermutlich zu bekifft, um irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn einen perfiden Mordplan auszuhecken. Gehen Sie. Bitte schnell!«

Singend und tanzend sprang Jay-Fee auf, drehte sich um ihre eigene Achse und fragte den Blue, ob sie Liebe machen wollten.

Als sie endlich weg waren, warnte Scorbit: »Das kann auch Taktik sein.«

Roi schüttelte den Kopf.

»Hm, die sind ehrlich irre. Die Nächsten!«

Nun betraten Lester Chester Demon und Vincent Raabe den Raum. Über Chesters Vergangenheit wussten wir sehr wenig. Es ließ sich nichts in den USO-Akten finden. Vermutlich war er einfach nicht vorbestraft. Wir kamen schnell zu dem Entschluss, dass Demon krank oder dumm war, weil er sein gesamtes Vermögen der Kosmogenialen Gemeinschaft überschrieben hatte.

Vincent Raabe war ein anderes Kaliber. Zweifellos war er auch psychisch krank, aber nicht ungefährlich, wie sich beim Lesen seines Lebenslaufes schnell herausstellte.

Vincor da Raanon war Sohn arkonidischer Adliger. Er hatte das Erbe seiner Eltern verprasst und war nach diversen Drogen- und Alkoholexzessen als Vincent Raabe, der Meister des Okkultismus, auf Lepso und Stiftermann III aufgetreten. Dort hatte er als Zauberkünstler gearbeitet, doch eines Tages hatte er seine Assistentin bei einem missglückten Zaubertrick desintegriert.

Nach einer Haftstrafe hatte Raabe der Milchstraße den Rücken gekehrt und war nach Cartwheel ausgewandert, wo er schließlich auf Grimm T. Caphorn gestoßen war.

Offenbar war Caphorn ein Anziehungspunkt für gescheiterte Existenzen. Raabe wirkte auf mich durchaus verdächtig. Er besaß das nötige Gewaltpotenzial, wenngleich jedoch nur wenig Grips. Wie alle anderen beteuerte er seine Unschuld und gab an, immer in der Nähe von uns gewesen zu sein.

Als letzte Verdächtige wurden die engsten Vertrauten von Grimm T. Caphorn befragt, Debora-Zee und Uchym. Die Frau, die vermutlich eine Terranerin darstellen sollte, und der schweigsame Unither wirkten wohl auf uns alle drei unheimlich.

Der dicke und klobige Unither von der Welt Matjuula kratzte ausgiebig seinen Rüssel. Das Datenblatt von Uchym ähnelte dem der anderen. Früher war er ein Alkoholiker und Vagabund gewesen, nachdem die Tolkander 1289 NGZ seine Heimatwelt entvölkert hatten.

»Nun?«, fragte Danton. »Wollen Sie uns etwas sagen?«

»Nö«, meinte der Unither wortkarg.

Debora-Zee kicherte.

»Ich weiß, wer der Mörder ist.«

»Ach? Raus damit!«, forderte Scorbit.

»Es ist Tukihuki, der böse Mönch aus dem Lalla-Land. Der wütete schon in meiner Kindheit immer in meinem Kinderzimmer. Mami sagte, den gibt es nicht und hat mir immer Tabletten gegeben und so einen grünen Schnaps, damit ich ruhig schlafen konnte. Aber Tukihuki ging nie weg. Er ist es. Ganz bestimmt!«

Ihre Kindheit erklärte wohl das Verhalten und das Aussehen dieser Frau, die Caphorn in einer Nervenklinik kennen und offenbar auch lieben gelernt hatte.

»Und hat denn Tukihuki mit Ihnen gesprochen und die Tat gestanden?«, wollte Scorbit wissen.

»Ja, klaro doch! Tukihuki und seine Höllenkatze Puckipussy sind immer in meinem Kopf. Hören Sie nicht die Stimmen? Die vielen Stimmen? Überall! Überall …«

Danton stieß einen Pfiff aus. Uchym trötete danach.

»Wussten Sie, dass ich beinahe Filmstar geworden wäre?«, fragte er plötzlich.

Wir verneinten.

»Ich war beim Casting für den Film ›Rüsselmops‹. Aber diese Ignoranten haben mein Talent nicht erkannt …«

Uchym hatte sich im Laufe der Jahre zur rechten Hand von Caphorn entwickelt. Nachdem Caphorn für ein Jahr in die Nervenheilanstalt eingeliefert wurde, wo er Debora-Zee getroffen hatte, hatte Uchym zusammen mit Zütünnüü und Sara Snakkbahr die Bewegung am Leben gehalten.

»Können Sie uns sonst noch etwas zu den Morden sagen? Alibis? Verdächtige? Irgendwas Ungewöhnliches?«, wollte Scorbit wissen.

»Und etwas, was nicht mit Tukibuki zu tun hat«, fügte Danton hinzu.

»Tukihuki«, korrigierte Debora-Zee verärgert und entblößte dabei ihr lückenhaftes, gelbliches Gebiss. »Ich glaube, Tukihuki kommt vom Riff. Wir müssen ihn besänftigen, damit er uns verschont. Ich weiß auch, wie …«

»Und ich will nichts mehr davon hören. Danke, Sie haben uns nicht weitergeholfen. Sie können gehen! Tun Sie das auch!«

Jan Scorbit war sichtlich frustriert über die Verhöre. In der Tat waren die kosmogenialen Freunde alles andere als unkomplizierte Wesen. Roi Danton atmete tief durch.

»Fazit? Caphorn hat ein Motiv, weil er der Erbe von Caatu ist. Ansonsten haben wir keine Anhaltspunkte. Die Typen sind entweder zu blöde oder zu unfähig, um solche Morde zu begehen«, resümierte Danton.

»Also doch Ylors?«, vermutete ich.

Scorbit und Danton nickten.

»Wir müssen herausfinden, wieso wir wirklich hier sind. Dann haben wir das Rätsel gelöst«, fand Scorbit.

Das war leichter gesagt als getan. Die Tür öffnete sich und Erich Village betrat den Raum. Der schnieke CIP-Agent war sehr blass und verschwitzt. Das war man von ihm sonst eigentlich gar nicht gewohnt.

»Was gibt es, Village?«, wollte ich wissen.

Hach, mir waren diese CIP-Agenten immer unheimlich. Zu lebendig waren die Erinnerungen an Roland Kreupen und das Martyrium durch Cartwheel an der Seite von Nataly und Kathy.

Village ging weiter wortlos auf uns zu. Die Augen waren in die Ferne gerichtet. Dann brach er vor dem Tisch zusammen. Scorbit und Danton sprangen auf. Ich erhob mich und sah, dass im Rücken des CIP-Agenten ein Dolch steckte.

»Er ist tot«, stellte Scorbit unnötigerweise fest.

»Nicht schade um den Kerl, aber trotzdem beunruhigend, denn nun sind offensichtlich wir an der Reihe …«

Der Hilferuf

Mord am Nachmittag

Cauthon Despair

Mathew Wallace und ich hatten es geschafft, einen Gleiter zu reparieren und eine Hyperkom-Anlage wieder funktionstüchtig zu machen. Doch unser Funksignal wurde geblockt.

Während Wallace und ich an der Reparatur saßen, machte er hin und wieder Kommentare über Pyla, dass sie eine »Nette« war, und gab mir indirekt zu verstehen, dass er wenig davon hielt, dass ich mich mit ihr verstand. Er sah mich offenbar weniger als Konkurrenz als einfach als schädlich für sie an.

Ich war nicht in der Stimmung, mich gegenüber dem Ersten Offizier der IVANHOE II zu rechtfertigen. Wer wusste schon, was Wallace mit der bezaubernden Pyla bisher alles angestellt hatte? Allein der Gedanke daran machte mich wütend.

Nachdem wir die Gleiter und Funkanlage mit einem Schutzschirm gesichert hatten, kehrten wir zurück zum Anwesen. Dort erhielt ich prompt die Nachricht vom Tod des CIP-Agenten Erich Village. Das überraschte mich.

Der Dolch im Rücken des CIP-Agenten wies natürlich keine Fingerabdrücke auf und stammte aus der Waffensammlung von Caatus Ahnen.

Niemand hatte etwas gesehen und wusste etwas darüber. Theoretisch hätte es jeder außer Wallace, meiner Wenigkeit, Jan Scorbit, Jaaron Jargon und Roi Danton gewesen sein können, denn sie waren die Einzigen mit einem Alibi.

Ob Village etwas herausgefunden hatte und dafür mit dem Leben bezahlte?

Mit dem Mord an Village war eines klar: Wir waren auch das Ziel der Mörder. Was mich jedoch verwunderte, war die Tatsache, dass Village erdolcht und nicht zerfetzt wurde. Gab es womöglich mehrere Mörder?

Ich traf mich mit Mathew Wallace, Jan Scorbit und Roi Danton. Wir berieten über das weitere Vorgehen und legten fest, dass zumindest unsere Leute nur in Dreiergruppen irgendwohin gehen sollten.

Weil der Funkspruch geblockt wurde, schlug Wallace vor, mit dem Gleiter nach Hertonia zu fliegen, um Hilfe zu holen.

Danton war nicht wohl dabei, denn er vermutete, dass der oder die Mörder nur darauf warteten, dass wir das Anwesen verlassen würden. Wallace und Scorbit gaben sich jedoch zuversichtlich, dass sie es bis zur Stadt schaffen würden. Schließlich willigte Danton ein und auch ich gab meine Zustimmung. Es musste etwas geschehen.

Wallace und Scorbit waren fähige Männer, auch wenn sie auf der Seite des vermeintlichen Gegners standen. Wenn es ihnen nicht gelang, unbeschadet die Stadt zu erreichen, wem dann?

Es oblag nun Danton und mir, auf die anderen aufzupassen. Wallace und Scorbit machten sich am frühen Abend auf den Weg zur Stadt. Ihr Gleiter verließ unbehelligt das Schloss und verschwand kurz darauf im dichten Schneefall.

»Und? Pyla heute Nachmittag schon gesehen?«, fragte Danton süffisant.

»Nein! Ich hatte zu tun!«

»Immer dranbleiben, Cauthon! Immer dranbleiben.«

Danton machte eine Verbeugung und eilte zum nächsten Eingang. Ich dachte darüber nach. Es war nicht verkehrt, Pyla aufzusuchen. Sie war bestimmt mit Jaaron Jargon und Anya Guuze unterwegs. Sie bildeten eine Gruppe. Die zweite Dreiergruppe bestand aus Kruppus, Michael Shorne und Uthe Scorbit. Es war eine passende Einteilung nach Kriegsparteien oder vielmehr ehemaligen Kriegsparteien.

Danton und ich bewegten uns relativ frei umher und koordinierten uns allenfalls mit der entropischen Hexe Yvonne. Ich legte wenig Wert darauf, mit solchen Gestalten durch die Gegend zu wandern.

Ich war Einzelgänger und Einzelkämpfer. Mitstreiter an meiner Seite behinderten mich nur.

Nach ein paar Minuten erreichte ich den großen Saal. Caphorn und seine Leute saßen am Oranje-Tisch und sprachen irgendwelche Zauberformeln vor sich hin.

Die Epsalerin zu Caphorns Linken zündete eine verzierte Kerze an. Das machte Caphorn wütend.

»Wasch mascht denn da, hm? Du entweihscht mein Heiligtum!«, zischte er sie ihn.

Dann stand er auf und lief rot an.

»Isch verschtehe dasch nicht. Ja! Verschtescht? Du kannscht net einfach mei Kerze anzünden tue! Isch fasch dir doch auch net an die Möpse! Dasch isch mein Intimbereich. Der Oranje-Tisch! Verschtescht?«

Die Epsalerin stammelte unverständliches Zeug von sich. Caphorn machte das nur zorniger.

»Isch bin der Cheffe, verschtescht? Da kann net so a dahergelufene Okrillkuh mei Kerze anzündle! Dasch gibt’s net! Au weia. Mit solsche Idiote muss isch misch rumschlage …«

Die Epsalerin blickte traurig auf den Boden und sagte kein Wort mehr. Lester Chester Demon fing an zu lachen.

»Und was lachscht jetzt, ja? Lascht misch ausch oder was? Dasch hab isch net nötig. Hau ab! Geh weg!«

»Aber Meister?«

Demon wurde ernst, fuhr sich unruhig immer wieder mit der Zunge über den Mund.

»Nix Meischter! Hat sisch ausgemeischtert, verschtehscht? Geh raus und denk mal über dein Verhalte nach! Falsch du denke kannscht! Ne, du, wasch für Idiote hier!«

Lester Chester sprang wütend auf, zitterte mit dem Kopf und blinzelte immer wieder. Dann rannte er einfach aus dem Saal.

Ich ging zu Jaaron Jargon, Anya Guuze und Pyla. Sie saßen an einem Tisch abseits der anderen beiden Gruppen. Von dem quarterial-dorgonischen Tisch kam immer wieder versautes Gelächter von Shorne und Kruppus, die offenbar Uthe Scorbit aufzogen. Scorbit blickte finster drein und schien sich nicht wohl in der Gesellschaft zu fühlen. Nun, sie hatte freiwillig das Quarterium ausgewählt. Jetzt musste sie damit leben, dass das Quarterium als auch das Kaiserreich Dorgon seine Schattenseiten hatten.

»Na Sie! Auch wieder da?«, begrüßte mich Pyla.

»Ja. Wallace und Scorbit sind mit einem Gleiter aufgebrochen, um Hilfe zu holen. Ich habe Vertrauen, dass ihnen das gelingt.«

Die drei registrierten die neuen Nachrichten mit gewisser Erleichterung. Sie fühlten sich in dieser Situation nicht wohl. Ich merkte, dass jeder von ihnen Angst hatte, doch sie versuchten, es mutig zu überspielen.

Jargon, Pyla und Anya Guuze saßen an den Chroniken und überlegten, ob in den Schilderungen Jaarons zu den Jahren 1296 bis 1299 NGZ etwas fehlte.

Nun, ich hätte ihnen einiges dazu aus der Perspektive eines Sohnes des Chaos berichten können, doch das wären Informationen gewesen, die nicht für die Öffentlichkeit geeignet waren.

Nach der Entführung der BAMBUS durch die Dscherro und der Entdeckung von Xamour, der Heimatwelt von Cau Thon 1296 NGZ, welche anschließend von Rodrom mit dem SONNENHAMMER pulverisiert wurde, begann der Aufstieg des Bundes der Vier. Aurecs Entführung hatte dabei natürlich den Plänen von Cau Thon in die Hände gespielt.

Der wichtigste Widersacher war ausgeschaltet und dem kometenhaften Aufstieg de la Siniestros hatte nun niemand mehr im Wege gestanden. Ich war zu dieser Zeit zurückgekehrt und hatte mich in die Dienste des Spaniers gestellt, der von MODROR einen Zellaktivator erhalten hatte. Dafür war de la Siniestro ein Sohn des Chaos geworden. Er hatte ebenfalls einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.

Die fingierten Angriffe von Afu-At-Tarkan und seiner Terrorgruppe, der Lingus-Konflikt zuvor, die Unabhängigkeitserklärung der Bestien und die politische Demontierung von Sam als Paxus-Kanzler halfen bei der Festigung des Bundes der Vier, woraus schließlich 1303 NGZ das Quarterium entstanden war.

In dieser Zeit war viel geschehen, das nicht in den Chroniken Cartwheels stand, weil die Machenschaften der Söhne des Chaos natürlich geheim waren. Die Allianz zwischen de la Siniestro, Jenmuhs, Leticron und Torsor als Bund der Vier, dessen Auftraggeber Cau Thon war, war wohl das größte Geheimnis.

Mein Mord an Wyll Nordment, dem Ehemann von Rosan Orbanashol, war nur eine Randnotiz. Er hätte Jenmuhs stark belastet und ihn vermutlich politisch gestürzt. Da der Arkon-Block ein wichtiger Verbündeter war, war Nordments Schicksal besiegelt gewesen.

Uns war es zwar damals gelungen, die Weichen für das Quarterium zu stellen, doch Rodrom hatte auf ganzer Linie versagt. Als 1298 NGZ Aurec nach Cartwheel zurückgekehrt war und die Kemeten eine Allianz mit Rhodan geschlossen hatten, hatte Rodrom alles auf eine Karte gesetzt. Die Milchstraße hatte durch den SONNENHAMMER zerstört werden sollen. Doch er hatte die Schlacht im HELL-Sektor in den letzten Tagen des Jahres 1298 NGZ verloren.

Die Gefahr durch MODROR war für einige Jahre gebannt gewesen. Doch in dieser Zeit hatten wir das Quarterium errichtet und der eigentliche Krieg begann so erst 1305 NGZ mit der Invasion der Dorgonen in den estartischen Galaxien.

Drei Jahre waren seitdem vergangen. Es hatte viele Schlachten und viele Tote gegeben. Das Quarterium hatte sich gefestigt und beherrschte ganz Cartwheel. Doch unser Bestreben, die Milchstraße zu unterwerfen, war gescheitert.

Nun mussten wir auch um die estartischen Galaxien zittern. Und ich saß hier mit einem alten Linguiden, einer bezaubernden Rideryonin und einer ebenso wunderschönen und charismatischen Terranerin an einem Tisch und überlegte, wer uns umbringen wollte.

Plötzlich hallte ein grausamer Schrei durch das Schloss. Ich sprang auf und eilte zur Tür. Yvonne lief mir entgegen.

»Haben Sie das auch gehört?«, fragte die Hexe.

Ich deutete in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war, und wir rannten los. Auf dem Weg begegneten wir auch Roi Danton. Nun war unsere Gruppe ja wieder vereint.

Wir entdeckten einen völlig zerfetzten Kadaver, der früher ein Mensch gewesen war. Ein schrecklicher Anblick, weil die Überreste nur noch aus einem Klumpen Fleisch mit Innereien bestanden. Doch anhand der rotvioletten Kleidung und den roten Haarbüscheln waren wir in der Lage, den Leichnam schnell zu identifizieren.

Es waren die sterblichen Überreste von Lester Chester Demon.

Ein Essen mit Folgen

16. April 1308 NGZ, Mittagessen, 12:35 Uhr

Die Damen hatten das Mittagessen aus den Zutaten, die sie in der Küche gefunden hatten, zubereitet. Die pummelige Epsalerin, deren Namen Danton immer noch nicht kannte, Anya, Pyla und Uthe hatten etwas sehr Schmackhaftes zubereitet, wenn es auch für seinen Geschmack zu stark gewürzt war. Vermutlich hatte irgendjemand ihm bereits den Namen der Epsalerin verraten, doch entweder hatte er nicht zugehört oder es vergessen. Vermutlich war es auch mangelndes Interesse an der Person.

»Meine holde, wohl beleibte Dame von Epsal. Wie lautet noch einmal Ihr werter Name?«

»Gertrude«, lautete die Antwort.

Nun wusste er es. Gertrude. Hoffentlich würde er den Namen nicht wieder vergessen.

Roi hatte darauf bestanden, dass diese Debora-Zee als auch ihre verrückte Bienenfreundin Sara Snakkbahr nicht mitkochen sollten. Die Vorstellung, dass sie die Nahrung berührten, bereitete ihm Unbehagen.

Er blickte in die illustre Runde, die um ein paar Personen kleiner geworden war. Caphorn saß am Kopfende des Tisches und schmatzte schnaufend vor sich hin. Debora-Zee starrte ihn dabei mit ihrem irrsinnigen Blick grinsend an. Sie schien es offenbar zu genießen, Caphorn beim Essen zuzusehen. Jeden Bissen schaute sie ihm ab. Sicher war sie das einzige Wesen im Universum, das so empfand.

Die Tischmanieren von Kruppus ließen ebenfalls zu wünschen übrig, da er sich bekleckerte. Dabei lachte er laut und warf vielsagende Blicke zu Anya und Pyla herüber. Es hatte sich in den drei Tagen nichts verändert.

Nur, dass inzwischen viele Lebewesen gestorben waren. Noch immer hatten wir keinen Anhaltspunkt. Obgleich sich der Verdacht gegenüber Caphorn verdichtete. Er hatte einen Streit mit Lester Chester Demon gehabt. Gut möglich, dass er oder ein noch unbekannter Handlanger für den Mord an dem bleichen Terraner verantwortlich war.

Während er von den zarten Medaillons kostete, überlegte Roi, wer von den Gestalten außer Caphorn noch ein Motiv hatte? Niemand! Vielleicht war Caphorn ein Agent von den Ylors? Oder im Besitz einer reißenden Bestie.

»Schmeckt jemand mein Essen?«, wollte Uthe wissen.

»Vorzüglich«, lobte Roi.

»Dein Essen? Wir haben auch mitgekocht, oder? Anya?«, fragte Pyla verwundert.

Anya nickte genervt und stocherte mit der Gabel in ihrem Menü herum. Man konnte der Terranerin genau ansehen, wann sie schlecht gelaunt war. Im Gegensatz zu einigen anderen nahm Anya die Gefahr, in der sie steckten, durchaus ernst, und hatte für Uthes Egotrip keine Nerven. Ihre Gedanken standen ihr ins Gesicht geschrieben: Was wollte die eigentlich? Wem wollte sie was beweisen? Jargon, der alte Charmeur, sprang in die Bresche.

»Alle Damen haben ein sehr delikates Mahl gezaubert. Pylas Kochkünste weiß ich sehr zu schätzen, aber gleich von drei so himmlischen Geschöpfen bekocht zu werden, ist das Paradies.«

Plötzlich fing jemand an zu lachen. Caphorn wieder? Kruppus?

Nein! Dieses Lachen war anders. Es war nicht so schrill wie das des Dorgonen oder so schnaufend und sonor wie das von Caphorn. Es klang anders. Ewiger. Tödlicher. Ein unangenehmer Unterton schwang in dem Gelächter mit.

Kälte. Tödliche Kälte

Willkommen in der Finalrunde von »Chaos sucht den Superstar«.

Die Anwesenden sahen sich irritiert um. Die Stimme kam offenbar aus versteckten Lautsprechern.

Hier oben!

Ein kleines, rundes Gerät schwebte knapp unter der Decke und drehte sich. Offenbar ein Übertragungsgerät.

Nun, ich hoffe, der Fraß, der Ihnen von den drei Schicksen und dem fetten Stück Fleisch aufgetischt wurde, hat gemundet? Es könnte durchaus das letzte Abendmahl gewesen sein.

Die Stimme fing nun laut an zu lachen. Die anderen am Tisch sahen sich beunruhigt an.

In der Tat waren die Gewürze mit einem sehr seltenen Gift versehen. Ihr alle seid in diesem Moment dem Tode geweiht. Doch wartet, noch ist ja nicht aller Tage Abend.

Caphorn wischte sich mit der Serviette den Schweiß von der Stirn. Uthe fing an zu zittern und Pyla stocherte in ihrem Essen herum, als wollte sie Hinweise auf das Gift finden.

Es ist ein kleines Spiel! Lasst uns erst einmal rechnen. 16 Männer und Frauen sind an diesem Tisch. 16 kleine Springerlein? Hm? Nun, zwei davon sind immun gegen das Gift. Witzig, nicht wahr? Danton und Despair werden es also überleben. Da sind also noch 14 Krieger übrig.

Die Stimme des mutmaßlichen Mörders schwieg. Die anderen wurden immer nervöser. Danton konnte es ihnen nicht verdenken.

Ich habe drei kleine Ampullen mit dem Gegengift hier versteckt. Drei Essen waren nicht vergiftet. Ihr habt drei Stunden Zeit, bis das Gift euch die Gedärme von innen verätzt und ihr qualvoll sterben werdet. Für sechs Leute die Rettung – für sieben weitere der sichere Tod. Vielleicht auch für zehn, wenn ihr das Gegenmittel nicht findet.

Der Mörder lachte und schien sich köstlich zu amüsieren.

Ich werde jede Stunde den Namen eines preisgeben, der nicht vergiftet wurde. Mögen die Spiele beginnen!

Danton blickte in die geschockten Gesichter der Todgeweihten. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Mörder verabschiedete sich mit einem letzten Lachen, dann flog die Kugel surrend durch die Tür und verschwand.

»Was nun?«, wollte Anya wissen.

Despair erhob sich.

»Ruhe bewahren! Wir müssen zuerst das Gegengift finden. Vielleicht können wir es strecken, sodass sechs von euch davon überleben können.«

»Zu riskant«, warf Kruppus ein. »Wer sagt denn, dass das Gegengift dann noch wirkt? Ich teile nicht!«

»Dazu müssen Sie es erst einmal finden.«

Despair klang sehr erbost. Danton ahnte, was in ihm vorging. Er machte sich Sorgen um Pyla!

»Nun, Gentlemen! Wir sollten der Sache wie Männer ins Auge sehen. Wir suchen das Gegengift und warten auf die Namen jener, die nicht vergiftet wurden. Sollten Anya, Pyla und Uthe nicht darunter sein, werden sie das Gegenmittel erhalten«, meinte Danton.

»Leck mich am Arsch!«, fluchte Shorne. »Ich setze mein Leben nicht aufs Spiel für drei Nutten!«

»Ich auch nicht!«, entschied Kruppus.

Die beiden standen auf und machten sich auf die Suche. Zwei gewissenlose Hunde gingen ihres Weges. Danton hoffte, sie würden kein Mittel finden.

Caphorn und seine Jünger wirkten wie gelähmt. Sollten sie nur! Danton wollte nicht tatenlos herumsitzen. Er stand auf und klatschte in die Hände!

»Lasst uns mit der Suche beginnen!«

Die erste Stunde

12:45 Uhr

Jaaron Jargon

Nach dem anfänglichen Schock, dass wir vielleicht nur noch drei Stunden zu leben hatten, machten wir uns auf die Suche nach dem Gegenmittel. Zusammen mit Pyla, Anya und Uthe Scorbit suchte ich die Küchen und Lagerräume durch.

Roi Danton und Cauthon Despair machten uns zwar Mut, doch es war eine Tatsache, dass nicht jeder überleben würde. Selbst wenn der Zufall glücklich war und wir vier das überstanden, dann würden mindestens sieben Lebewesen den Tod finden. Und wenn ich nun dazu zählte? Nun, dann würde dies das letzte Kapitel der Chroniken DORGONS werden. Dabei gab es noch so viel zu berichten. Ich hatte mich auf die Reise auf das Rideryon so sehr gefreut.

Doch lieber sollte ich sterben als Pyla oder Anya. Mein Mitleid hielt sich als gläubiger Mensch trotzdem in Grenzen mit Verbrechern wie Michael Shorne oder dem widerwärtigen Kruppus, der sich offenbar in einer unrühmlichen Reihe an Anführern der Prettosgarde bestens einreihte.

Es tat mir um die Caphorner leid, auch wenn sie allesamt sehr skurrile Wesen waren. Doch am wichtigsten war für mich das Überleben derer, die ich kannte und mochte. Und das waren meine Assistentin Pyla, die tapfere Anya Guuze und Uthe Scorbit.

Die Chance, dass Roi Danton und Despair ein Wunder gelang, das allen Beteiligten das Leben rettete, war unwahrscheinlich. Wir hatten keinen einzigen Mediziner unter uns. Versuche mit dem Pikosyn, das Gift zu bestimmen, schlugen fehl: Es war unbekannter Herkunft.

Pyla war ganz bleich im Gesicht und bewegte sich unaufhörlich. Der drohende Tod schien sie sehr zu belasten. Uthe Scorbit wirkte hysterisch, nur Anya bewahrte einen kühlen Kopf und suchte akribisch hinter jeder Ecke nach einer Ampulle des rettenden Getränks.

Nach einer halben Stunde wurden wir tatsächlich fündig. Mit zitternden Händen kramte Pyla aus dem Mülleimer der Hauptküche ein kleines Fläschchen mit grüner Flüssigkeit heraus.

»Gib mir das Mittel, bevor du es noch mit deiner Tollpatschigkeit fallen lässt«, forderte Uthe.

Pyla blickte sie böse an, starrte dann auf das kleine, lebensrettende Gefäß. Schließlich gab sie es Uthe. Doch bevor Scorbit es in ihrer Tasche verstaute, griffen klobige Finger danach. Uthe jammerte, als der Angreifer ihre Finger aufbog.

»Das ist wohl unseres!«

Kruppus und Michael Shorne. Der Dorgone lachte heiter.

»Jetzt brauchen wir nur noch eins. Aber wir sind nett, wenn wir alle drei finden, geben wir eines ab«, erklärte der Finanzminister des Quarteriums triumphierend.

»Selbstverständlich bekommt es nur die, die ihre sexuellen Dienste anbietet. Ihr könnt euch alle drei gerne bewerben«, fügte Kruppus hinzu.

Das war also einer der ach so schillernden Hoffnungsträger des neuen Dorgonischen Kaiserreichs. Wenn Volcus genauso dachte, würde es sehr bald wieder zum Krieg kommen.

»Ich appelliere an Ihre Menschlichkeit«, sagte ich zögernd. »Denken Sie doch an die Frauen.«

Flehend sah ich Kruppus und Shorne an.

»Tja, als Ökonom mit gesundem Menschenverstand denkt man zuerst immer an sich selbst«, sagte Shorne und zuckte mit den Schultern.

»Wenn Sie uns entschuldigen, wir müssen ein weiteres Gegenmittel finden.«

Kruppus blickte uns aus seinen Schweinsaugen ernst an, dann machten sich die beiden aus dem Staub und ließen uns verdutzt zurück. Was hätten wir auch gegen zwei ausgewachsene Männer unternehmen sollen? Ich war alt, Pyla und Uthe keine Kämpferinnen und Anya zu klein und zu zierlich.

»Mir ist schlecht«, sagte Pyla leise. »Wir müssen nun also sterben. Ich muss mal aufs Klo.«

Die junge Frau verließ wankend die Küche und verschwand in einem der Korridore.

»Wir wissen immerhin, wo eines der Gegengifte ist. Sie werden nicht so blöde sein und es trinken, bevor dieser Mörder die Namen bekannt gibt«, vermutete Anya. »Wir bleiben Shorne und Kruppus auf den Fersen und suchen weiter!«

Anya war energisch. Sie gab sich im Gegensatz zu Pyla nicht auf. Aber Uthe wirkte am Boden zerstörte. Sie spielte an ihren rotblonden Haaren, ihre Augenbraue zuckte immer wieder hoch.

»Ich sagte es ja …«

»Was denn?«, wollte Anya von ihr wissen.

»Sie kommen, um mich zu holen. Ich wusste es ja schon immer. Sie wollen mir schaden, mich töten. Überall sind sie!«

Oje, nun schien sie den Verstand zu verlieren.

Anya beugte sich zu Uthe herab, die auf einem Stuhl saß.

»Hey, noch sind wir nicht tot. Und ich glaube nicht, dass der Mörder speziell dich töten will.«

Uthe nickte hastig.

»Doch, doch! Die Söhne des Chaos, die CIP, vielleicht auch Remus, Mathew oder Aurec. Wer weiß? Alle wollten immer was von mir. Taten so, als seien sie meine Freunde. Aber sie wollten mich nur benutzen. Mich hintergehen, verraten und verletzen. Ja …«

Uthe zitterte am ganzen Körper, starrte Anya mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wahnsinn an. Immer wieder zuckte ihre rechte Augenbraue hoch.

»Ich will nicht sterben! Ich will nach Hause. Sollen die ganzen Abenteurer mich endlich in Ruhe lassen. Die wollten immer nur mein Leben zerstören. Immer! Und du auch!«

»Ich? Wieso das denn? So gut kennen wir uns ja nicht einmal.«

»Du bist doch noch eine Agentin der CIP. Ja, schließlich ist dein Ex-Mann ja CIP-Agent. Und nun verstehst du dich wieder mit ihm. Du hast den Auftrag, mich zu bespitzeln.«

Anya erhob sich und schüttelte den Kopf.

»Du bist ja krank. Reiß dich jetzt zusammen, sonst überlebst du das hier wirklich nicht.«

»Ich hoffe, du krepierst mit!«, schrie Uthe und fing an zu weinen. Sie sprang auf und rannte aus dem Raum. Anya seufzte und blickte mich verständnislos an.

»Und wo ist Pyla?«, wollte sie wissen.

Wir gingen in den langen Flur und klopften an der Toilette, doch es kam keine Antwort. Ich bat Anya, doch mal nachzusehen. Sie ging hinein, doch keine Pyla war in einer der Kabinen. Nur ihre Tasche lag auf dem Fußboden. Anya hob sie auf.

»Sie hat sich doch nichts angetan?«, fragte ich entsetzt.

»Nein, das glaube ich nicht. Sie war hier und hat …« Anya blickte etwas angewidert auf den Inhalt in der Toilette. »Naja, sie wurde wohl überrascht, als sie sich einiges durch den Kopf gehen ließ.«

Anya betätigte die Spülung und blickte mich fragend an.

»Was machen wir jetzt? Pyla oder das Gegengift suchen?«

Offenbar war Pyla verschleppt worden. Das erschwerte die Situation gewaltig. Auf Uthe konnten wir nicht mehr zählen.

»Wir suchen Danton und Despair. Nebenbei auch Pyla und die Gegengifte.« Ich lachte. »Bei so vielen gesuchten Objekten werden wir sicher etwas finden, meine Liebe!«

Doch so leicht war es nicht. Hier und da liefen uns in dem gigantischen Komplex die Jünger von Caphorn über den Weg. Auch die Hexe Yvonne geisterte durch die Gegend. Endlich trafen wir auf Cauthon Despair und berichteten ihm, was geschehen war.

»Pyla entführt?«, wiederholte er mit belegter Stimme.

»Danton geht nicht an den Interkom. Wir wissen nicht, wo er ist. Vielleicht wurde er auch entführt?«, vermutete Anya besorgt.

»Wir suchen weiter und …« Er stockte und blickte auf das Chronometer. »13:45 Uhr! Es ist soweit!«

Wie auf Stichwort erklang die Stimme des Mörders. Sie klang heiter, und doch lag in ihr ein gefährlicher Unterton.

Drei sind’s nicht, einer ist es nicht von dreien. Anya Guuze, Debora-Zee und Michael Shorne. Zwei von euch sind es NICHT. Der oder die andere ist es – nämlich nicht vergiftet worden.

Schallend lachte unser unbekannter Peiniger.

Debora-Zee! Du bist es!

Von irgendwoher kam ein leiser Schrei. Vermutlich der Freudenjubel von Debora-Zee. Ausgerechnet die! Oh, ich trachtete keinem Wesen nach dem Tod, aber hätten es nicht Anya sein können?

Du bist es nicht, Debora-Zee. Tja, Pech. Anya Guuze und Michael Shorne. Ihr seid es vielleicht.

Uhoh! Die schöne, kleine Blondine mit dem Objursha-Trauma und der bösartige, geldgierige Mann mit dem Knetball. Hm? Wer ist aus dem Schneider?

Anya!

Michael!

Anya, Michael, Anya, Michael, Michael oder Anya?

Immer wieder dieses irre Kichern dazwischen.

Es ist der glorreiche Finanzminister des Quarteriums – nicht! Nein, och, jetzt bist du traurig, nicht wahr? Hätte die dorgonische Speckbulette doch dann ganz beruhigt das erste Gegenmittel nehmen können. Nein, es ist Anya Guuze. Sie bleibt am Leben und darf mit etwas Glück mal für den großen Knochen von Nistant herhalten. Tata, bis in einer Stunde.

Das Gelächter des Wahnsinnigen wurde leiser, bis es endgültig verschwand.

Anya atmete tief durch. Ihr war eine gewisse Erleichterung anzusehen. Sie wirkte aber nicht glücklich. Offenbar sorgte sie sich zu sehr um die anderen. Das war eine sehr noble Einstellung.

»Ich setze nun Prioritäten«, erklärte Despair. »Anya ist nicht infiziert. Wir haben damit eine reale Chance, die Leben von Pyla, Uthe Scorbit und Ihres zu retten.«

Das erstaunte mich. Er bedachte mich, aber nicht den Finanzminister seines eigenen Imperiums. Vielleicht wollte er auch Pyla einen Gefallen erweisen?

»Nun, aber es gibt da draußen jede Menge Verzweifelte, die gern das Gegenmittel haben wollen. Wir müssen schnell handeln!«

Anya blickte Despair fordernd an. Obwohl ihr Leben nicht mehr in Gefahr war, wollte sie trotzdem um das Leben der anderen kämpfen. Sie bewies viel Courage!

Wir teilten uns wieder auf. Cauthon Despair ging allein auf die Suche, während Anya Guuze und ich zusammenblieben und hofften, bald ein Gegenmittel, Danton oder Pyla zu finden.

Noch zwei Stunden …

Ticktack, die Zeit läuft ab! 13:50 Uhr

Ich betrachtete die ganzen Narren, wie sie verzweifelt nach dem Gegengift suchten. Wie Ertrinkende klammerten sie sich an den letzten, rettenden Strohhalm. Sie wollten ihrem erbärmlichen, unbedeutenden Leben kein Ende setzen. Sie dachten nicht daran zu akzeptieren, dass ihr unwürdiges Dasein bald vorbei war.

Nein, statt in Würde die letzten Stunden zu begehen, kreischten sie, kotzten sie, pinkelten sich ein und hofften auf Rettung, die nie kommen würde. Typisch für Körperliche.

Ich betrachtete die verschiedenen Gruppen der Suchenden. Danton war niedergestreckt worden. Das fand ich witzig. Mein Handlanger hatte gute Arbeit geleistet. Möglich, dass der Sohn Rhodans alle drei Mittel gefunden hätte. Despair war wie paralysiert. Ihm ging es nur darum, seine Prinzessin Pyla mit dem güldenen Haar zu retten. Wenig schmeichelhaft hatte sie sich noch vor kurzer Zeit auf dem Klo benommen. Feige und voller Angst reiherte sie sich die Seele aus dem Leib, bis sie von jemand entführt wurde. Überall waren Kameras installiert. Mir entging nichts!

Ich wusste, wer sie entführt hatte. Ich konnte sie sehen! Despair auch? Nö, er musste seine infantile Puppe suchen. Ah, huch. Dort! Heiß, gaaanz heiß!

Der Blue Zütünnüü und seine komische Biene Jay-Fee schlenderten durch die Waffenkammer. Ah, und nun fingen sie an zu suchen. Sie zitterten, sie schwitzten. Sie stanken nach Angst!

Tiere! Sie waren nichts als Tiere!

Trotzdem – sie hatten Glück.

»Sieh mal. Ich habe was, Bienchen!«, gellte der Blue schrill. »Bei der muurtblauen Kreatur der Begeisterung. Es ist das Gegenmittel. Wir haben eins gefunden!«

Beide hüpften freudig herum und umarmten sich. Wie süß. Sie hatten es geschafft. Aus dem Hintergrund kam Vincent Raabe näher. Sein toter Korax hing schlaff von seiner Schulter.

»Vince, wir haben ein Gegenmittel. Wir können es noch schaffen. Komm, hilf uns die anderen zwei zu suchen«, rief Zütünnüü glücklich.

Vincent Raabe sah sich in der Waffenkammer um und griff eine Axt.

»Ich bin der Meister der Kommunikation mit den Toten! Ich bin der Tod. Gebt mir das Gegenmittel!«

Ehe Zütünnüü etwas erwidern konnte, holte Raabe aus und schlug dem Tellerkopf den langen Hals ab. Zütünnüü war sofort tot. Jay-Fee alias Sara Snakkbahr kreischte. Doch der seltsame Arkonide kannte keine Gnade für sie. Er erschlug das Bienchen! Mann, das war echt witzig. Ich hatte so einer Nulpe gar nicht zugetraut, die beiden Narren so hübsch zu zerlegen.

Nun nahm Raabe die Ampulle, öffnete und trank das Gift, das er für das Heilmittel hielt. Ja, richtig, das Gift. Oh, wie grotesk! Jetzt sah er, dass etwas auf dem Boden der Flasche geschrieben stand. Er drehte sie herum.

»Niete?«, las er leise vor.

An seinem Gesichtsausdruck merkte ich, dass das Gift anfing zu wirken. Dann wurden die Symptome stärker. Er musste schreckliche Krämpfe haben, denn er krächzte wie ein Rabe, gurrte, würgte und fiel tot um.

Kaputt wie sein Rabe, steif, starr und mausetot! Aber – das war die beste Vorstellung seines Lebens gewesen. Ein Applaus für Vincent Raabe. Möge er mit Korax vereint sein.

Oh, wie die Zeit lief. Schon war es 14:45 Uhr.

Es war nun Zeit, den zweiten Namen preiszugeben. Der Gewinner war Grimm T. Caphorn!

Anya Guuze und Grimm T. Caphorn waren nicht vergiftet. Wen würden Danton und Despair sterben lassen von ihren »Freunden«?

Pyla? Jaaron Jargon? Uthe Scorbit?

Hatten sie überhaupt die Zeit, sich zu befreien? Mussten sie tatenlos zusehen, wie ihre Freunde starben?

Oh, war das schön! Ja, das waren Anarchie und Chaos. Gespannt wartete ich auf die letzte Stunde!

Die dritte Stunde …

14:50 Uhr

Roi Danton war von Dunkelheit umgeben. Der Schädel brummte. Seit über einer Stunde war er gefesselt in Caatus Büro, und keiner kam auf die Idee, nach ihm zu suchen!

Aus den Durchsagen hatte er erfahren, dass Anya und Caphorn außer Gefahr waren. Immerhin war Anya gerettet. Doch für Roi zählten nun die Leben von Jaaron und Pyla besonders.

Anya und Despair hatten mehrmals versucht, ihn über Interkom zu erreichen. Doch Roi konnte mit geknebeltem Mund schlecht antworten. Er war an einen schweren Tisch gefesselt. In den rund 70 Minuten, in denen er wach war, hatte er es mit dem Monsterding fast bis zur Tür geschafft. Doch nun stand er vor dem größten Problem: Die Tür öffnen. Mit Schwung wollte er einfach dagegen treten. Er rückte so nahe es ging heran, holte aus, die Tür öffnete sich zur Seite und er traf mit seinen Stiefeln auf die Brust von Anya Guuze, die hustend nach hinten stolperte.

Hups!

Roi wünschte sich, sie hätte ihn ein paar Minuten früher gefunden. Jaaron kümmerte sich zuerst um Anya, die aber prustend erklärte, es ginge ihr halbwegs gut. Der finstere Blick in Richtung Danton zeigte ihm aber, dass er besser keinen dummen Kommentar abgeben sollte.

Jaaron löste Dantons Fesseln und informierte ihn über die aktuelle Situation. Mit Unbehagen registrierte Danton, dass Pyla verschwunden war und Kruppus und Shorne im Besitz eines Gegenmittels waren.

Dieser geheimnisvolle Mörder spielte ein grausames Spiel. Wie weit würden Danton und die anderen gehen, um ihre Leben zu retten? Roi befand sich in einer Zwickmühle. Sollte er Kruppus und Shorne töten, um an das Gegenmittel zu gelangen? Das Leben von Pyla, Jaaron und wohl auch Uthe Scorbit hatten Vorrang! Doch dann riskierte er wissentlich den Tod der anderen beiden.

Vielleicht sollte er einfach Despair die Entscheidung überlassen. Es war jetzt 14:52 Uhr. Die Zeit wurde knapp, denn es blieben ihnen noch 53 Minuten, bis der letzte Name genannt wurde, und dann vermutlich nur noch Minuten, bis das Gift wirkte. Zumindest Pyla und Jaaron mussten bis dahin ihr Gegengift erhalten, sonst wurde es zu gefährlich. Sie brauchten also mindestens eine Ampulle, obwohl es nicht sicher war, ob das Gegengift auch voll wirkte, wenn jeder nur die Hälfte trank. Sie wussten zu wenig über das Gift. Roi war bekannt, dass Gifte auch je nach Statur unterschiedlich wirken konnten.

Jaaron war ein alter, gebrechlicher Mann und Pylas Leber sicherlich bereits voller Gifte, das härtete entweder ab oder akkumulierte sich.

Der Unither Uchym schlurfte ihnen im spärlich beleuchteten Flur entgegen und wimmerte.

Roi stoppte ihn.

»Was ist?«

»Ich habe das Gegengift gefunden. Aber die Hexe hat es mir abgenommen und getrunken. Nun muss ich sterben. Ich suche jetzt den Grimm. Schönen Tod wünsche ich!«

Roi ließ den weitertrottenden Unither ziehen. Yvonne hatte also die zweite Ampulle gefunden und ausgetrunken. Damit war nur noch eine von ihnen versteckt. Er musste eine Entscheidung fällen. Despair suchte sicherlich Pyla. Er würde sie finden, da war sich Danton sicher. Doch wenn er sie fand und sie kein Gegenmittel besaßen, würden Pyla und Jaaron sterben.

Leben und sterben lassen, schoss es Danton durch den Kopf. Kruppus und Shorne oder Pyla und Jaaron.

»Wir suchen Kruppus und Shorne«, sagte Danton entschlossen.

»Und wenn wir sie gefunden haben?«, fragte Anya.

»Nehmen wir das Gegenmittel an uns!«

Opfergabe

15:08 Uhr

Cauthon Despair

Es waren noch 37 Minuten, bis die drei Stunden vorüber waren. Mir lief die Zeit davon. Wo war Pyla nur? Sie durfte nicht sterben! Ich hatte sie gerade kennengelernt und da sollte sie mir wieder genommen werden? Das war nicht gerecht!

Danton hatte mich darüber informiert, dass er Kruppus und Shorne suchte, um ihnen das Gegenmittel abzujagen. Ich hatte ihm zugesichert, dass es keine diplomatischen Verwicklungen geben würde, sollten der Dorgone und unser Finanzminister dabei den Tod finden. Sie waren nichts im Vergleich zu Pylas Leben! Um es zu retten, würde ich beide eigenhändig zerstückeln!

Ich hatte schon so viele Räume durchsucht, doch nirgends war sie zu finden. Hätte ich doch nur einen Individualabtaster! Ohne Technik war ich aufgeschmissen.

Pyla konnte überall sein. Die Epsalerin wuchtete sich durch einen Flur. Sie hatte mich nicht gesehen und trug einige Kerzen auf einem Tablett. Dann drückte sie gegen ein Wandgemälde, und plötzlich öffnete sich eine Tür. War sie etwa der psychopathische Mörder? Ich folgte ihr, eilte zu dem Bild, während die Tür sich schloss. Wütend trat ich sie auf. Dahinter war ein Raum.

Die Epsalerin ließ vor Schreck die Kerzen fallen. Ich brüllte sie an:

»Wo ist Pyla?«

Es war einen Versuch wert.

»Ich … ich …«

Sofort zog ich mein Caritschwert. Sie wusste es, sonst würde sie nicht so herumstottern. Ohne zu zögern rammte ich die Waffe in ihre Schulter, nagelte sie an der Wand fest. Links von mir stand ein Kerzenständer. Ich nahm ihn, holte zum Schlag aus.

»Wo ist Pyla?«

Sie antwortete nicht, starrte mich nur an. Sie wehrte sich nicht einmal, dabei hätte sie mir allein mit ihrem Gewicht einen schweren Kampf liefern können. Ich hämmerte den Kerzenständer gegen ihr Knie. Sie schrie auf. Dann schlug ich ihr mit der Faust ins Gesicht.

»Wo ist sie?!«

Die Frau schluchzte.

»Sie … in der Kosmogenialen Halle. Dort, wo der Oranje-Tisch steht. Sie ist doch unsere letzte Hoffnung. Caphorn wird sie Nistant opfern. Ich wollte noch seine geheimen Ritualkerzen holen …«

Ich zog ohne Rücksicht auf ihre Schmerzen das Schwert aus ihrem Körper. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, machte ich mich auf den Weg zum Oranje-Tisch.

Verzweiflung

Welch amüsante Vorstellungen. Despair war wütend. Ja, so liebte ich ihn. Dieser verzweifelte Hass in seinem Herzen war wundervoll. Der romantische Ritter würde alles tun, um seine holde Maid zu retten, sogar Unschuldige grausam meucheln. Despair hatte schon immer eine doppelte Moral an den Tag gelegt.

Oh, was war das denn? Uthe Scorbit! War sie traurig, hm? Sie fand Kruppus in der dritten Etage. Er saß in einem feinen Kaminzimmer und trank Vurguzz.

»Wo ist Shorne?«, fragte sie ängstlich.

»Er sucht nach dem dritten Gegenmittel. Die Hexe Yvonne hat die zweite Flasche bereits getrunken, wie wir herausgefunden haben. Und du, meine Süße?«

Kruppus lachte widerlich. Das schien interessant zu werden.

»Würdest du wirklich teilen?«

Uthe zitterte am ganzen Körper.

»Zieh dich aus, du Miststück!«

Haha, das wurde ja immer besser. Uthe sagte mit schwacher Stimme: »Mein Verlobter ist der Sohn des Emperadors. Er wird dich belohnen, wenn du …« Ihre Stimme versagte.

Als Kruppus laut lachte, sah sie traurig zu Boden. Dann öffnete sie ihre Jacke und streifte sie ab. Sie zog ihr Shirt aus und öffnete die Knöpfe an ihrer Hose.

Kruppus wurde sichtlich unruhig. Er riss sich seine Klamotten vom Leib, bis er in einer weißen, ausgebeulten Unterhose vor ihr stand. Uthe hielt wieder inne. Ihre Händchen zitterten. Was sollte sie tun? Hm? Schwierige Entscheidung! Widerlichen Sex mit dem fetten Lustmolch und sich dadurch die Chance erhalten zu überleben, zu ihrem de Siniestro zurückkehren und so tun, als sei nichts gewesen? Oder mit Würde dem Tod ins Auge blicken?

Hach, es war so herrlich, diesen Sterblichen zuzusehen, wie sie die Masken fallenließen. Sie taten alles, um noch ein paar Nuancen länger zu leben. Sie würden wie Tiere übereinander herfallen. Sie predigten Nächstenliebe, Moral und Hilfsbereitschaft, doch wenn es darauf ankam, waren sie nichts weiter als egoistische Schweine!

Kruppus streifte seine Hose ab und stürzte sich auf Uthe, die immer noch halb angezogen war. Er drückte die schreiende Frau aufs Bett.

»Komm schon, das wird geil. Bin schon richtig heiß. Ich besorg es dir besser als dein Verlobter, da kannst du Gift drauf nehmen. Stimmt, das hast du ja schon.«

Von der eigenen Gewitztheit überrascht, stand er einige Sekunden da und überlegte. Dann riss er ihren BH vom Körper, zog die Hose herunter und zerriss ihre Unterwäsche. Dann drang er auch schon in sie ein. Ich fragte mich, was geschah, wenn er länger als – Momentchen – 33 Minuten brauchte? Witziger Gedanke.

Das war ein Schauspiel. Der massige, beharrte Körper des Dorgonen verdeckte Uthes zierliche Gestalt fast vollkommen. Die Ärmste quiekte vor Schmerz und Angst, er grunzte in berauschter Agonie. Dabei hatte er gerade erst angefangen.

Das war ja richtig widerwärtig, was er alles von ihr verlangte. Selbst für mich grenzte sein Vorgehen an eklige Perversion. Und sie machte alles mit, weil sie das Gegengift wollte. Oh nein, Uthchen, da wäre ein würdevoller Tod wohl besser gewesen, nicht wahr?

Kosmogeniales Opfer

15:32 Uhr

Cauthon Despair

Ich rannte so schnell ich konnte in den großen Saal. Was sich mir dort bot, war grotesk und erschreckend zugleich.

Pyla lag gefesselt auf dem Oranje-Tisch und wimmerte leise vor sich hin. Grimm T. Caphorn stand rechts daneben und trommelte. Debora-Zee tanzte wild umher, während Uchym eine Flüssigkeit über Pyla schüttete.

Sie waren in Trance und bemerkten mich nicht.

»Oh, heya heya Nistant. Heya heya ho Nistant. Lasch meine Jünger am Lebe, damit wir dir diene könne. Wir opfern dieses Kindchen dem Feuer, damit du unsch lieb hast. Heya, heya, heya!«

Das würde ich verhindern! Ich stürmte auf sie zu und stieß diese kranke Debora-Zee weg, doch sie krallte sich schreiend an mir fest. Ich kriegte das Biest nicht zu fassen. Uchym warf ihr etwas zu. Damit schlug sie auf mich ein. Es schmerzte.

»Na mach wasch«, rief Caphorn.

»Was denn?«, wollte der Unither wissen.

»Zünd schie an. Na losch, brenn das Kindle nieder! Dann kannscht leben!«

»Was ich?«

Uchym starrte auf Pyla, die verzweifelt an den Fesseln zog, doch sie konnte sich nicht befreien. Der Unither hielt eine Kerze in der Hand.

»Nein!«, schrie ich.

Endlich bekam ich dieses Mistvieh an den Haaren zu packen. Ich riss sie von meinem Rücken und warf sie aus Versehen über Pyla. Dabei kullerte sie über den Tisch und fiel gegen Uchym, der die Kerze bereits angezündet hatte. Die Flüssigkeit an Debora-Zee fing an zu brennen, und die Jüngerin von Caphorn stand in Flammen.

Bevor Uchym auch Pyla anzündete, schlug ich dem Unither beide Arme ab. Dann löste ich die Fesseln, packte Pyla und warf sie so weit von der brennenden Debora-Zee weg, wie es nur ging. Der Todeskampf der Geliebten von Caphorn war grausam. Sie wand sich auf dem Boden und schrie wie am Spieß. Ich dachte nicht daran, ihr Leiden vorzeitig zu beenden. Sollte sie doch so bestialisch enden, wie sie es Pyla zugedacht hatte. Sollte ihr Körper langsam und qualvoll verschmoren!

Uchym starrte mich entsetzt an. Seine Hände lagen vor seinen Füßen. Auch dieses Stück Dreck hätte beinahe Pyla getötet. Während Debora-Zee nur noch röchelte und ab und zu zuckte, packte ich den Unither und drückte ihn auf den Oranje-Table.

»Bitte …«

Mit dem Caritschwert beendete ich kurz und schmerzlos sein Leben.

Grimm T. Caphorn hob die Hände. Er schwitzte.

»Isch wollte meine Freunde rette. Schie ischt doch vom Riffle. Nistant wäre gnädig gewese.«

Ich setzte zum Schlag an, der Caphorns Leben ein Ende setzen sollte.

»Net, Net! Isch kann Pyla rette. Isch hab dasch dritte Gegengift!«

»Gib es mir und ich schone dein Leben!«

Ich meinte es ernst. Wenn er mir das Mittel gab, würde ich ihn am Leben lassen. Es war nun genug Blut geflossen.

Caphorn ging an einen Altar. Dort stand das kleine Fläschchen. Er gab es mir bibbernd. Dann rannte er aus dem Saal. Es stank bestialisch nach dem verkohlten Fleisch von Debora-Zee!

Pyla kauerte in einer Ecke und wischte sich die Tränen von den Wangen. Sie sah mich verstört an.

»Geht es dir gut?«

Sie nickte nur. Sicherlich stand sie noch unter Schock. Ich wollte ihr hoch helfen, doch sie stieß meine Hand weg und stand selbst auf. Entsetzt blickte sie zu den Leichen von Uchym und Debora-Zee.

»Ich muss dir für meine Rettung danken, aber war das nötig? Es war schrecklich. Du warst so grausam!«

»Sie wollten dich töten und hatten keine Gnade verdient.«

»Ich will nur noch weg hier. Komm, lass uns die anderen suchen. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Pyla ging voraus. Ich atmete tief durch. Ihr Leben hatte ich gerettet, hielt die Flasche mit dem Serum in meinen Händen. Doch Pylas Dankbarkeit hielt sich in Grenzen. Sie war angewidert von meiner Form der Rache! Dabei hatten diese Tiere es doch verdient! Sie wollten Pyla töten und hatten dafür den gerechten Preis bezahlt. Das musste sie doch erkennen.

Und es ist …

15:40 Uhr

Dieser Junge war echt krank. Ich fühlte ja fast schon Mitleid mit der armen Uthe Scorbit, die klagend auf dem Boden vor dem Bett kauerte und ihre zerfetzten Kleider an ihren Körper presste.

Naja, beinahe! Im Grunde genommen hatten mich ihr Schmerz und ihre Demütigung geradezu berauscht. Sie so leiden zu sehen, war eine wahre Wonne gewesen.

Ich hatte es geschafft, die Menschen wieder einmal an die Abgründe ihrer schwarzen Seele zu erinnern! Uthe schniefte und schluchzte, während Kruppus nackt durch das Zimmer watschelte und dabei schwer atmete.

»Mann, war ich geil!«

Dieser selbstherrliche Fettwanst kannte wohl keinerlei Maß. Ein interessanter Charakter, dieser Kruppus. Er gefiel mir.

»Wollen wir noch warten, bis der dritte Name genannt wird?«, fragte Uthe stockend.

»Was? Ach so! Sorry, Kleines …«

Kruppus ging zum Tisch und holte das Fläschchen mit dem grünen Inhalt aus einer Schatulle hervor. Dann öffnete er es und träufelte sich alles in den Rachen.

»Nein!«

Uthe sprang auf und wollte ihn daran hindern, doch es war zu spät. Kruppus lachte und warf ihr die leere Ampulle ins Gesicht.

»Immerhin war der letzte Sex in deinem Leben der Sex deines Lebens, mit einem echten Mann«, fügte er hinzu, während er sich ankleidete.

Amüsant. Höchst amüsant. Oh, es war zwar noch etwas Zeit, aber ich wollte mir den Spaß nicht nehmen lassen, den Letzten zu nennen, der nicht vergiftet war.

Ich aktivierte meine Sonden und ließ sie in Position bringen. Huch, es war richtig leer geworden. So viele tot. Sie hatten sich alle umgebracht, bevor das Gift wirkte. Aber das hatte ich beinahe erwartet.

»Nun, meine Lieben. Kruppus: Du bist es! Du brauchtest gar nicht das Serum. Ist das nicht toll?«

Ich lachte los und starrte gebannt auf den Monitor. Uthe fing an zu heulen. Kruppus drehte sich langsam herum und starrte sie an. Sah ich da so etwas wie Bedauern in seinem Gesichtsausdruck? Scham? Uthe wimmerte kläglich. Sie krabbelte zu Kruppus und packte ihn am Arm.

»Töte mich! Erschieß mich! Bitte!«

»Kann ich nicht. Es gibt Dinge, die eine Frau selbst tun muss! Immerhin hast du jetzt mal richtig Sex gehabt, das reicht ja wohl!«

Kruppus stieß sie weg und verließ den Raum. Er schloss die Tür ab, als er Roi Danton und Anya von Weitem erkannte. Clever, der Bursche.

»Haben Sie Uthe gesehen? Shorne?«

»Shorne hat das Serum mitgenommen und ist getürmt. Ich bin froh, dass ich der Letzte war, der nicht vergiftet wurde, sonst wäre ich gleich tot«, log Kruppus. Aber es wirkte sehr glaubhaft.

»Und Uthe?«, hakte Anya nach.

Kruppus blickte Anya tief in die Augen.

»Also wenn ich nicht schwul wäre, dann würde ich über dich herfallen.«

»Wie bitte?«

»Suchen wir doch Uthe Scorbit. Vielleicht ist sie unten«, meinte Kruppus souverän und ging den Flur entlang. Danton und Guuze blickten sich vielsagend an. Dann folgten sie ihm.

Ich schaltete in den Speisesaal Nummer zwei. Dort befanden sich Despair, Pyla, Jaaron Jargon und die Hexe Yvonne. Michael Shorne stürmte hinein. Ihm folgte die Epsalerin. Die Zeit lief gleich ab. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, wie es nun ausging.

»Oh oh, eine Ampulle und vier Menschen, die noch am Leben sind. Nein fünf, doch die ist so gut wie tot.«

Ich lachte. Despair sah zur Sonde hoch.

Shorne zog einen Strahler.

»Gebt mir das Serum. Na los!«

Despair zeigte ihm die Ampulle. Shorne war erleichtert und senkte den Strahler, doch Despair schlug den Finanzminister des Quarteriums einfach nieder.

Nun erreichten auch Danton, Anya und Kruppus den Raum.

Noch zwei Minuten.

Wer würde sterben? Das war spannend. Es hielt mich gar nicht mehr auf dem Sitz!

Despair gab Pyla die letzte Ampulle.

»Trink!«

Sie blickte zu Jaaron.

»Aber was ist mit dir, Onkel Jaaron?«

»Kindchen«, Jaaron legte seine Hände auf ihre. »Ich habe mein Leben gelebt. Du hast es noch vor dir. Ich hoffe, ich konnte dir in der kurzen Zeit ein guter väterlicher Freund sein. Ich habe deine Gesellschaft genossen.«

Er blickte in die Runde und lächelte. Tränen kullerten über Pylas Gesicht.

»Nein! Wir trinken beide!«

Sie öffnete die Ampulle und leerte sie zur Hälfte, dann gab sie sie dem Chronisten. Was für eine rührselige Szene! Erbärmlich! Der alte Sack würde dann nicht krepieren. Gut, sie würden Schmerzen haben, Fieber bekommen, aber es überstehen. Die halbe Dosis hätte völlig gereicht. Doch die Menschen waren gierig gewesen.

Bei den Materiesenken, sie hätten sich gegenseitig retten können. Kruppus hätte die Ampulle Shorne und Scorbit geben können – beide würden überleben.

Die Fetischhexe hätte mit der Getrudilein teilen können. Vier weitere Leben hätten gerettet werden können. Doch diese Heuchler waren einfach zu egoistisch.

Jaaron bedankte sich und rang auch damit, nicht zu weinen. Zumindest waren seine Augen wässrig. Dann nahm er einen Schluck. Die Zeit war abgelaufen!

Shorne wand sich nun vor Schmerzen und die Epsalerin fiel zu Boden. Ja! Auf dem anderen Monitor verfolgte ich den Todeskampf von Uthe Scorbit. Niemand war da für sie. Sie lag zusammengekauert auf dem Bett und schrie vor Schmerzen. Sie weinte und jammerte – echt jetzt, nach ihrem Ex? Was war aus der Grande Dame des Quarteriums geworden! Mehrmals zuckte sie heftig, dann war es vorbei.

Uthe Scorbit war tot.

Ich blickte wieder auf die Bilder aus dem Speisezimmer. Shorne lag zusammen gekrümmt auf dem Boden und starb nun auch.

Michael Shorne war tot.

Auch die stille, unscheinbare Epsalerin namens Gertrude war gestorben.

Nun ging es zum Finale über. Das Gegenmittel wird ihnen nicht lange Freude bereiten. Danton, Anya Guuze, Jaaron Jargon und Pyla würden dieses Schloss nicht lebend verlassen!

Und der Mörder ist …

Pyla und Jaaron Jargon umarmten sich. Es war ein schönes Bild für Roi Danton. Beide hatten es geschafft, klagten aber über Magenschmerzen und Übelkeit.

Es war verständlich. Roi blickte in die Runde. Anya beobachtete die rührende Szene, Despair stand daneben. Kruppus saß am Tisch und trank Vurguzz.

Yvonne lief unruhig auf und ab.

»Hat jemand Caphorn gesehen?«, wollte ich wissen.

»Der hat sich irgendwo versteckt«, vermutete Despair.

»Dann ist er der Mörder. Logische Konsequenz. Sind ja nicht mehr viele übrig, nespa?«

»Nein«, meinte Despair. »Caphorn wollte Pyla opfern, um seine Konsorten zu retten. Er hätte das nicht getan, wenn er der Initiator dieses höllischen Szenarios gewesen wäre. Außerdem traue ich ihm nicht die nötige Intelligenz dafür zu.«

Roi seufzte! Wer dann? Wer? Er hoffte nur, dass Mathew und Jan es geschafft hatten und bald zurückkehrten. Was würde der nächste Streich dieses Wahnsinnigen sein? Oder steckten doch die Ylors dahinter?

»Mir ist da was eingefallen«, flüsterte Pyla.

Sie sah die anderen ernst an.

»Die ersten Opfer sahen so aus, als wären sie von einem Ylors getötet worden. Aber ich habe gelesen, dass es noch ein anderes Volk gibt, dass sich in reißende Bestien verwandelt. Die Entropen. Diese Hexen. Erinnert ihr euch, dass mir Yvonnes Geruch auffiel. Das roch wie rohes Fleisch.«

Sie starrte in die Richtung der Hexe, die plötzlich wie erstarrt dastand.

Yvonne? Lächerlich!

Die Entropen waren zwar seltsam, aber die Verbündeten der Terraner. Auf so eine Schnapsidee konnte auch nur Pyla kommen!

In diesem Moment verwandelte sich Yvonne in einen Sukkubus und kreischte wütend los.

»Es dauerte ziemlich lange, bis ihr darauf gekommen seid. Und ausgerechnet die da hatte des Rätsels Lösung!«

Despair zog sein Schwert. Er und Danton stellten sich vor Jaaron und die beiden Frauen. Kruppus zog es vor, im Hintergrund zu bleiben.

»Wieso?«

Nur diese eine Frage brannte Roi auf den Lippen. Wieso hatte sie das getan?

Yvonne lachte abfällig.

»Ich hatte direkt nach unserer Ankunft die Information erhalten, dass dieser Caatu euch alle umbringen wollte. Der Informant schien aus den eigenen Reihen der kosmogenialen Bande zu stammen. Ich musste handeln und so eliminierte ich alle Leute von Caatu, einschließlich ihn selbst.«

Roi schüttelte den Kopf.

»Du hättest uns warnen können!«

»Ihr seid schwache Männer. Ihr hättet nicht auf mich gehört. Ihr habt mir euer Leben zu verdanken.«

»Und wieso hast du Village und Lester Chester Demon getötet? Die anderen vergiftet?«

Yvonne winkte ab.

»Das war ich nicht. Ich habe nur Caatus Leute getötet. Ich vermute, dass Demon der Informant war und deshalb zerhackt wurde. Um Village ist es nicht schade, doch damit hatte ich nichts zu tun. Vermutlich ist es doch Caphorn.«

Wenn nicht die Hexe hinter diesen Morden steckte, befand sich der gefährlichere Mörder noch unter ihnen. Das wurde immer heikler. Wer konnte es sein? So seltsam es klang, Danton war froh, dass Despair an seiner Seite war und dass er das Techtelmechtel mit Pyla eingeleitet hatte, denn so war er ziemlich sicher, dass Despair nicht die Seiten wechseln würde.

Plötzlich flammte es hinter Yvonne auf. Ein Strahl bohrte sich bis zu ihrem Bauch durch, breitete sich aus und desintegrierte sie. Als ihr Körper verweht war, blickte Danton in das Gesicht des wahren Mörders.

Es war nicht Grimm T. Caphorn.

Es war Lester Chester Demon.

Die wahre Macht des Chaos

Cauthon Despair

Lester Chester Demon! Mit dem hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, zumal er ja in seinen Innereien vor uns gelegen hatte. Offenbar war es ein Trick gewesen.

Demon kicherte zufrieden. Er stellte sich dorthin, wo eben noch die Hexe Yvonne gestanden hatte. Nervös wischte er immer wieder mit seiner Zunge über die spröden Lippen und gab dabei ein widerlich schmatzendes Geräusch von sich.

»Ja, ich bin der Mörder! Und die gute Yvonne hatte ich nur benutzt. Mir war klar, dass die Hexe ihren eigenen Weg gehen und euch nicht einweihen würde. Geschickt trieb ich sie dazu, alle Leute von Caatu umzubringen.

Caphorn zu beeinflussen war auch leicht gewesen. Seine Pseudovision von einem Mann mit weißem Bart konnte ich nutzen, um ihn für mich zu gewinnen. Es war meine Idee gewesen, dieses Treffen zu arrangieren! Ich habe Caatu überreden lassen, nur das Nötigste an Personal hier zu lassen.

Die Gleiter zu zerstören, eure Schiffe zu vernichten, das war eine leichte Übung. Es hat alles viel Spaß gemacht.«

Doch was hatte dieser fremde Lester Chester Demon davon? Wer war er und wieso wollte er uns töten?

»Nun, jetzt fragte ihr euch alle, warum ich das getan habe, hm? Och, da gibt es mehrere Gründe.«

Demon wanderte um uns herum. Er fuhr mit dem Desintegrator durch Anyas Haare.

»Roar! Das heiße Herz der Sterne. Nistant wird betrübt sein, wenn du stirbst.«

Er kicherte.

»Und die liebe Pyla. So selbstlos teilt sie ihr Gegengift mit dem alten Greis. Rührend. Und dann schenkt sie ihr Herz noch dem finsteren Silbernen Ritter. Eine beachtliche Lovestory.«

Pyla sah zu mir, dann kauerte sie sich mit verschränkten Armen und Beinen zusammen. Sie hatte offenbar Angst.

»Nun, wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Wieso das alles? Nun, zum einen war das ein Mordsspaß. Nur drei sind am Gift gestorben, der Rest hat sich gegenseitig getötet. Das war herrlich!

Und außerdem möchte ich endlich wieder etwas Erleben. Ich war eine ganze Zeit außer Gefecht gesetzt, und was gibt es Schöneres, als die guten Rhodanisten etwas zu schwächen. Äh, nespa?«

Lachend drehte sich Lester Chester Demon um die eigene Achse.

»Hören Sie Demon, wir kennen uns doch gar nicht«, meinte Danton.

Demon gackerte wie ein Huhn.

»Doch! Doch! Doch! Tun wir! Ihr dummen Fleischbrocken wisst es nur noch nicht. Ah, lasst mich euch auf die Sprünge helfen. Hm …«

Der Mann nahm neben Anya Platz, die angewidert abrückte.

»Hallo Süße! Schon einmal im fahlen Mondlicht mit dem Teufel getanzt?«

»Schon einmal bei voller Beleuchtung eine gescheuert bekommen?«, erwiderte sie gereizt, doch das amüsierte Demon nur.

»Oh, die hat Temperament. Ich liebe Schlagfertigkeit. Es zeugt von Intelligenz. Nicht so wie das andere Küken dort. Schmollt und flennt gleich wieder, hm?«

Lester Chester Demon zog ein Messer und schwang sich zu Pyla. Er hielt ihr Gesicht fest und drückte die Klinge an ihre Wange.

»Och, so hübsch. Vielleicht bald nicht mehr. Liebst du den da eigentlich, hm? Er wünscht sich das. Ich kenne ihn. Ich weiß das. Aber du kannst den da bestimmt nicht lieben, hm?«

Woher kannte dieser Typ mich überhaupt? Ich grub in meinen Erinnerungen.

Pyla weinte und schüttelte den Kopf. Ein zaghaftes »Nein!« kam aus ihrem Mund. Sagte sie das nur, um Demon zu beruhigen oder meinte sie es ernst? Er sollte endlich aufhören, sie zu quälen.

»Ruhig, Despair! Ich tue deiner kleinen Schlampe nichts. Ach übrigens, der Körper, der für mich herhalten musste, war der Leichnam des LFT-Unteroffiziers Willy »The Rat« Ossy, ein Küchenbulle auf einem alyskischen Gefängnisraumschiff, der mich nett fand. Was für eine trostlose Natur. Durch ihn bin ich auf Caphorn aufmerksam geworden.«

Willy Ossy? Alyskisches Gefängnisraumschiff? Jetzt dämmerte es mir endlich. Lester Chester Demon drückte die Klinge immer noch an Pylas Gesicht. Ich packte ihn am Kragen und riss ihn zurück. Er lachte nur, als er auf den Boden knallte.

»Ah, da wird aber jemand wütend! Dabei mag sie dich doch nicht wirklich. Mit wem würde sie wohl lieber ausgehen? Mit einer Konservenbüchse oder einem smarten Kadetten, hm? Glaubst du wirklich, mit dir?«

Demon lachte mich aus, und er traf einen Nerv – so wie er es immer gekonnt hatte. Ich blickte zu Pyla. Sie sah mich verzweifelt an, dann vergrub sie ihr Gesicht zwischen ihre Hände.

»Ihr seid alle so erbärmlich. Klammert euch an eure Familie. An eure Jobs. Wollt einen schicken Traumpartner haben. Ordentlich vögeln und dann führt ihr ein gefrustetes Familienleben mit einer schwabbeligen Frau, einem versoffenen Mann und plärrenden Gören.

Chaos ist da ganz anders.«

Chaos? Innerlich flüsterte ich den Namen des Wesens, das in diesem Körper steckte. Des Körperlosen, der zurückgekehrt war. Dessen Erhabenheit ich kannte – und nichts davon mehr sah.

»Ach komm schon, Despair! Sieh es doch ein! Du bist ein Freak, so wie ich auch einer bin. Sie würde eher Nonne werden, als dich in die Arme zu schließen. Du bist ein Monster!«

Der Übernommene stand auf, doch ich schlug ihm meine Faust ins Gesicht. Er purzelte zu Boden und lachte. Lachend wischte er sich mit dem Zeigefinger das Blut von seiner Lippe, betrachtete seine Hand und leckte daran.

»Schmerzen sind schön, sie sind das Beste, was so ein Körper leistet. Ich hatte die lange nicht gespürt. Sieh es ein, du bist und bleibst ein Sohn des Chaos. Das ist dein Schicksal!«

»Sei ruhig«, herrschte ich ihn an. Rhodans Sohn mischte sich ein.

»Das Spiel ist aus, Lester Chester Demon. Sie haben wohl verloren, nespa?«

Da war sich Danton zu sicher. Ich wusste nun, wer sich hinter Lester Chester Demon verbarg.

Es war Rodrom! Die Inkarnation MODRORS. Er war auf dem alyskischen Gefängnisraumschiff von Medvecâ befreit worden. Und nun wollte er sich austoben. Er wollte Blut sehen!

Deshalb war auch ich niemals in echter Gefahr gewesen. Er würde einem Sohn des Chaos niemals schaden. Einem – Bruder. Meinem Meister!

»Nespa? Nespa? Nespa, Nespa, Nespa! Michael Rhodan, selbst dich habe ich doch an den Rand des Wahnsinns damit getrieben. Du warst bereit, andere – auch Unschuldige – zu töten, damit du das Leben deiner Freunde rettest. Ich habe gewonnen. Ich habe euch allen gezeigt, dass ihr dem Chaos in seiner reinen Form nichts entgegenzusetzen habt.

Oh, und ich bin nicht Lester Chester Demon. Das ist nur ein Pseudonym. Hätte ich Freunde, worauf ich keinen Wert lege, würden sie mich Rodrom nennen!«

Jetzt wussten es alle! Danton, Jaaron, Anya und Pyla starrten einander an.

»Oh? Angst bekommen?«

»Töten Sie ihn, Despair!«, forderte Danton.

Rodrom erhob sich und grinste. Er wusste, ich konnte ihn nicht töten. Er war mein Befehlshaber. Ich drehte mich um und sah zu Pyla hinüber. Ich hatte mich wirklich in sie verliebt, wäre durchgedreht, wenn sie gestorben wäre.

Doch nun … ich musste meinem Meister dienen. Aber um welchen Preis?

»Ich kann ihn nicht töten«, sagte ich leise und blickte dabei Pyla an. Ihr Blick war schwer zu interpretieren. War es Enttäuschung? Noch vor Kurzem hatte sie mich strafend behandelt, als ich diese Wichte von Caphorn getötet hatte, doch bei Rodrom schien sie keine Gewissensbisse zu haben.

»Nein, das kann er nicht. Er ist doch MODRORS Sohn des Chaos«, sagte Rodrom und klopfte mir auf die Schulter.

»Oh, eine ganze Kompanie Skurit-Soldaten hat zwischenzeitlich das Schloss umstellt. Flucht ist sinnlos. Sie dürften inzwischen auch Wallace und Scorbit getötet haben.«

Nun sprang Pyla auf und rannte auf Rodrom zu. Sie gab ihm eine Ohrfeige und schlug auf ihn ein. Doch Rodrom war wenig beeindruckt. Er amüsierte sich, fing ihre Hand ab und schlug sie nieder. Sofort eilte ich zu ihr und nahm sie schützend in den Arm.

»Niedlich und doch vergeblich. Ich werde die Köpfe von allen abschneiden und Aurec per Post schicken.«

Pyla hielt sich zitternd die Wange. Sie war wohl durchgedreht, als Rodrom erzählte, dass Wallace und Scorbit tot waren.

Nun sollte sie sterben? Ich blickte in die Gesichter von Jaaron, Anya und Danton. Sie auch? Ich gab es ungern zu, doch ich fühlte mich in ihrer Nähe wohl. Sie hatten mir Vertrauen entgegengebracht. Pyla ganz besonders.

Dann sah ich zu Rodrom hinüber. Er grinste überheblich.

Behutsam half ich Pyla hoch und übergab sie Anya. Dann zog ich mein Schwert und streckte es Rodrom entgegen.

»Diese Menschen stehen unter meinem Schutz. Du wirst ihnen nichts tun. Solltest du es versuchen, werde ich dich töten!«

Das Funkgerät des Roten Todes piepte auf. Selbstsicher nahm er den Anruf entgegen. Bildete ich es mir ein, dass er an dem Gerät schnüffelte?

Wir konnten die Antwort hören.

»Zwei großes Schlachtschiffe – die IVANHOE II und SAGRITON sind im Orbit aufgetaucht. Vermutlich haben die beiden Terraner Hilfe geholt.«

»Ihr habt sie nicht getötet?«

»Ich hatte Euch doch Bericht erstattet, dass sie uns entkommen sind.«

Rodrom schnaubte wütend.

»Schickt sofort Truppen ins Schloss zu mir. Beeilt euch!«

Dann wirkte Rodrom überrascht. Sein Lächeln gefror.

Zornig warf er das Sprechgerät gegen die Wand. Er hob die Hände, als meine Klinge näher kam.

»MODROR wird darüber nicht erfreut sein. Du bist ihm zur Treue verpflichtet!«

»Viel zu lange habe ich seine Befehle willenlos akzeptiert. Es reicht. Diese Menschen sind vielleicht nicht meine Freunde, weil sie zu viel Angst und Abscheu vor mir empfinden, aber ich respektiere sie.«

Rodrom schrie auf.

»Alles nur wegen der blöden Nutte dort? Was ist sie? Ein Nichts. Nicht mal das! Frauen verderben den Charakter eines Mannes völlig. Deshalb habe ich Frauen lieber von unten nach oben aufgeschlitzt, als sie zu mögen. Am besten sind sie aufzuschlitzen, wenn sie glauben, dich durch Gefühle kontrollieren zu können. Dann muss man sie zerschneiden … Du setzt alles aufs Spiel!«

Ich ließ mich von Rodroms Anfall nicht beirren. Sollte mich MODROR richten. Ich bezweifelte, dass er das tun würde. Ohnehin hatte sich mein selbst ernannter Vater lange nicht gemeldet. Es war an der Zeit, eigenständig zu handeln. Vielleicht wandelten wir wirklich auf dem falschen Pfad und sollten uns ändern, das Quarterium reformieren und MODROR in Frage stellen.

Es widerstrebte mir immer mehr, gegen Terraner zu kämpfen. Und ja, ich wollte Pylas Leben nicht aufs Spiel setzen.

Flüchtig dachte ich an meine Zeit in der Mordred zurück. Schon einmal hatte ich vor so einer Entscheidung gestanden, als Wirsal Cell Perry Rhodan und Sanna Breen töten wollte. Damals hatte ich mich gegen meinen Meister entschieden. Ich hatte das nie bereut, obwohl Sanna mich hintergangen hatte und sie in Dorgon gestorben war. Ich war bereit, die Geschichte sich wiederholen zu lassen.

»Wenn ich zwischen dir oder Pyla und den anderen entscheiden muss, ziehst du den Kürzeren!«

Rodrom fing an zu lachen. Er schüttelte den Kopf und schnaufte laut.

»Ein Mensch ist so leicht zu korrumpieren, wenn seine biologische Programmierung auf Hormone gestellt ist. Das habe ich immer gehasst! Ich wollte eins werden mit dem Kosmos und nicht mit einem Mitmenschen. Liebe macht schwach und willenlos. Sieh dich doch einmal an …«

Der Rote Tod klang nun verbittert.

»Du bist eine wahre Enttäuschung. Doch es ist noch lange nicht vorbei. Das Zeitalter des Chaos hat erst begonnen.«

In diesem Moment stürmten die Skurit-Soldaten herein. Ich ließ von Rodrom ab und tötete die ersten beiden Skurits. Danton ergriff Rodroms Desintegrator und schoss ebenfalls.

Doch es waren zu viele.

»Haltet ein«, befahl ich den anderen und senkte das Schwert.

Die Skurit-Soldaten umstellten uns. Hinter ihnen betraten fremde Wesen den Raum. Ihre Körper waren mächtig, ihre Gesichter glichen Biestern. Einer von ihnen jedoch war gepflegt. Der hoch gewachsene Mann wirkte wie ein Adeliger aus romantischen Zeiten vor der Rhodan-Ära. Die feinen Züge des Gesichts deuteten auf Jugend hin, doch die Art, wie er sich bewegte, die gemessenen Schritte und die aufrechte, stilvolle Haltung gehörten zu einem sehr alten Wesen.

Stellte Danton in seiner Montur einen adeligen Freibeuter und Rebell dar, so war dieses Wesen ein Graf voller Würde. Er warf aus seinen dunklen Augen einen Blick auf Danton. Ein feines Lächeln umspielte die Lippen. Der Mund war leicht geöffnet, so dass man die spitzen Eckzähne sah. Dann wandte sich der elegante Ylors mit einem zynischen Unterton an seinen Verbündeten.

»Wie ich sehe, hast du nichts unter Kontrolle, Rodrom.«

»Och, Medvecâ, das sehe ich anders. Jede Menge Leichen, viel Spaß und wir sind in Besitz von wertvollen Gefangenen.«

Rodrom lachte immer noch. Wann hörte er endlich auf zu lachen? Er hatte sich verändert.

Medvecâ musterte uns. Das war also der Anführer der Ylors.

»Bonjour, Danton«, grüßte Medvecâ und vollzog eine galante Verbeugung.

»Ich sehe in Danton und Anya Guuze wichtige Gefangene. Ah, und die da kenne ich! Die Familie der Kleinen habe ich ausgelöscht.«

Medvecâ schmunzelte Pyla zu, die bleich und starr auf den Boden blickte, jeden Augenkontakt zu Medvecâ meidend.

Zwei Frauen betraten den Raum. Anya gab einen erschreckten Laut von sich, als sie erkannte, um wen es sich handelte. Und auch ich war überrascht.

Nataly Andrews und Kathy Scolar. Doch sie wirkten anders, so düster und kalt. Kathy trug eine pechschwarze Montur, ihre Haut war fahl und ihr Haar dunkel. Nataly trug eine dunkelrote Kombination, war im Gesicht noch weißer und ihr einst so schönes, blondes Haar war ebenfalls dunkel geworden.

»Meine Bräute Natalia und Katharina dürften euch ja hinlänglich bekannt sein«, stellte Medvecâ die beiden süffisant vor.

Roi Danton stakste auf die Frauen zu.

»Kathy! Es ist also wahr, du bist eine Ylors! Aber Aurec sucht dich. Er hat dich nicht aufgegeben. Kämpfe dagegen an.«

Sie blickte den Sohn Rhodans eigentümlich an. Dann verzog sie ihr Gesicht und schlug ihn nieder. Ich war erstaunt über ihre Kräfte, denn Danton ging auf die Knie. Natalia spuckte ihn an.

»Aurec befindet sich in der Tat auf Herton IV. Dieser Scorbit und dieser Wallace haben die SAGRITON und IVANHOE um Hilfe gerufen. Zusammen mit einem Joak Cascal ist er auf dem Weg zur Burg«, erklärte Medvecâ.

Rodrom kommentierte dies mit einem lauten Gekicher und hopste wild durch die Gegend.

»Das wird ja immer besser. Halleluja!«

Er klatschte vergnügt in die Hände.

»Jetzt haben wir nicht nur Danton, sondern auch Aurec und Cascal. Wir werden sie töten! Dann ist diese gesamte Clique an Gutmenschen führerlos!«

»Das Quarterium hat auch ein Raumschiff entsendet, die EL CID. Was machen wir damit?«, wollte der Ylors wissen.

Rodrom blickte mich erwartungsvoll an. Was sollte ich tun? Ich spürte die Blicke von Danton, Anya, Pyla und Jaaron auf mir ruhen. Ihr Leben lag in meinen Händen.

Danton war der Sohn Perry Rhodans, und doch mein Feind. Ein intriganter Maulheld!

Anya war eine bezaubernde, ehrliche Frau. Ich hatte die Gespräche mit ihr in M 87 nicht vergessen. Nur wenige Menschen vermochten mir auf so ruhige, aber ehrliche Weise die Wahrheit zu sagen.

Jaaron Jargon war ein guter Mensch. Er hatte nichts verbrochen. Er war gebildet und wertvoll.

Und Pyla? Nein, sie liebte mich sicherlich nicht. Der anfänglichen Neugier war der Angst gewichen, damit hatte Rodrom recht. So eine Frau würde mich niemals lieben können. Doch sollte sie deshalb sterben? Gewiss nicht!

Ich hatte meine Entscheidung gefällt und bat Rodrom, mir ein funktionierendes Sprechgerät zu geben. Medvecâ reichte mir eine Art Interkom und erläuterte in knappen Worten, wo ich die Frequenz für die EL CID einstellen konnte.

»Hier spricht Quarteriumsmarschall Cauthon Despair an Oberst Tantum. Zusammen mit meinen terranischen Freunden befinde ich mich in Gefangenschaft. Wir sind Geiseln von Rodrom und Fürst Medvecâ. Unterlassen Sie Aktionen, die das Leben der Geiseln gefährden. Das ist ein Befehl!«

Medvecâ entriss mir das Funkgerät. Rodrom spuckte wütend auf den Boden.

»Das bedeutet, die mächtige EL CID wird uns nicht unterstützen«, stellte der Fürst der Ylors fest. »Sichert das Schloss. Aktiviert den Transmitter im Kartenraum.«

Dann wandte er sich an Rodrom. »Wir werden versuchen, Aurec und Cascal in eine Falle zu locken. Scheitert der Versuch, nehmen wir die Geiseln und verschwinden, verstanden?«

»Ruhig, ruhig, Spitzzahn. Vergiss nicht, wer dich zu dem gemacht hat, was du jetzt bist. Das war ich!«

Rodrom schien wütend zu sein.

Medvecâ wirkte unbeeindruckt.

»Vor 42 Millionen Jahren warst du ein anderer Rodrom. Du bist von einer Entität zu einem ordinären Psychopathen geworden. Sollte ich dich mit meinen Entscheidungen kränken, übernehme ich die volle Verantwortung vor MODROR.«

Hohn und Spott klang aus den Worten des Ylors. Ein beeindruckendes Wesen. 42 Millionen Jahre? Er war unglaublich alt. Im Gegensatz zu Rodrom strahlte er Ruhe und Souveränität aus. Und er sprach aus, was ich sehen konnte. Rodrom war ein normaler Irrer geworden, gefährlich und krank. Eine Art Trauer erfüllte mich. Rodrom war groß gewesen, und er hatte seine Größe verloren. Ich sehnte mich nach MODROR: Das Leben war so schmutzig.

Plötzlich fing der Boden an zu zittern. Medvecâ hob die Hände.

»Kein Grund zur Beunruhigung. Die Burg hat einige versteckte Verteidigungsanlagen installiert, die nun aktiviert werden.«

Traurige Gewissheit

Aus den Chroniken Cartwheels

Jaaron Jargon – Notiz 192b

Es ist wohl das bitterste Kapitel, welches ich jemals schrieb. Die bebende Burg verwandelte sich in eine waffenstarrende Festung mit Flugabwehrgeschützen, Schießscharten, Artillerie und einem Schutzschirm. Die finsteren Soldaten der Skurit und Ylors besetzten ihre Posten und warteten auf die anrückenden Truppen der LFT und der Saggittonen.

Die Leichen wurden aus dem großen Saal gebracht. Von den Gästen waren nur noch Danton, Pyla, Anya Guuze, Kruppus und Cauthon Despair übrig geblieben. Ich war ein alter, egoistischer Mensch, denn meine Aufmerksamkeit galt während des Angriffs fast ausschließlich meiner Nichte Nataly. Sie war wieder da, und doch so verändert. Die Geschichten Dantons bewahrheiteten sich. Doch ich war töricht genug, um an eine glückliche Wendung zu glauben.

*

Während die Truppen der Ylors mit der Bemannung der Verteidigungsstellung beschäftigt waren, saßen Nataly und Kathy teilnahmslos am Oranje-Tisch und beobachteten uns. Ich ging zu ihnen. Anya wollte mich erst zurückhalten, doch ich machte ihr klar, dass ich das tun musste. Beide Frauen musterten mich finster. Dann umspielte ein falsches Lächeln Natalys Lippen. Ihre blauen Augen funkelten diabolisch.

»Liebster Onkel! Möchtest du mit mir reden?«

Ich nickte.

»Sag schon, was möchtest du von mir? Willst du dich uns anschließen? Es ist schön bei den Ylors, sach ich!«

»Wieso hast du das nur getan, Nataly?«

»Das sagte ich doch schon. Bei Medvecâ kann ich ganz ich selbst sein. Jonathan war eine Bestie. Er hatte mich niemals verstanden und wie den letzten Dreck behandelt. Ich war seine Magd, doch bei Medvecâ bin ich eine Fürstin.«

Ich war sprachlos. Sie war so verwirrt. Wie konnte ich meine Nichte nur erreichen?

»Kathy, und du? Liebst du denn Aurec gar nicht mehr?«

Kathy Scolar sah mich wütend an.

»Ich bin eine Ylors. Das andere ist jetzt bedeutungslos. Ich habe keine andere Wahl, als mein Schicksal zu akzeptieren …«

Das klang für mich nicht überzeugend. Sie kämpfte gegen das Böse an. Das war gut! Doch wieso tat das Nataly nicht?

»Kindchen, du musst dich von Medvecâ lossagen. Elyn hat von einem Serum gesprochen, welches euch beide wieder zu einem Menschen machen kann. Helft uns und ihr werdet noch heute behandelt.«

Nataly fing an zu schreien und schubste mich zu Boden.

»Was bildest du alter Knacker dir eigentlich ein? Ich habe deine chauvinistische Art satt. Für dich war ich immer nur das liebe Kindchen, was dich und Jonathan bekochen durfte und die Drecksarbeit machen sollte! Damit ist jetzt Schluss, sach ich! Nataly Andrews ist tot. Ich bin Natalia, die Fürstin der Ylors. Und nun verzieh dich, sonst reiße ich dir den Kopf ab, Onkelchen!«

Wie in Trance bemerkte ich, dass Roi Danton und Anya Guuze mir aufhalfen und zurück zu den anderen brachten. Doch ich konnte es nicht glauben. Ich riss mich los und ging zurück.

»Nein, ich glaube nicht, dass Nataly tot ist. Sie ist tief in dir drinnen! Du musst mit dem Herzen denken!«

Nataly spuckte mich an. Ich ignorierte diese Demütigung in Anbetracht ihres Zustandes.

»Nataly ist tot, sach ich! Und wenn du so weiter machst, bist du es auch«, sagte sie kalt und setzte sich auf die Kante des Tisches.

Ich zitterte am ganzen Körper und schämte mich meiner Tränen nicht. Denn eines konnte ich nun mit Gewissheit und tiefster Überzeugung sagen: Meine über alles geliebte Nichte Nataly war wirklich tot.

In der Falle

Roi Danton

Es wurde langsam zu einer ungeliebten Gewohnheit, dass ich mich in Gefangenschaft befand. Nachdem der völlig verwirrte Grimm T. Caphorn auch in den Saal gebracht wurde, hörte ich aus der Ferne erstes Gedonner von Geschützen. Offenbar begann nun der Kampf. Ich war gespannt, was sich Aurec und Cascal einfallen ließen, um uns hier unversehrt herauszuholen.

Anya und Pyla kümmerten sich um den armen Jaaron. Natalias Verhalten hatte ihn mitgenommen. Nun war er sich darüber im Klaren, dass seine Nichte Nataly ein Monster geworden war. Doch was war mit Kathy? Ich beobachtete sie und ging schließlich zu ihr, als Natalia aus dem Saal verschwand.

»Hi Kathy«, sagte ich zögerlich und grinste.

Kathys dunkle Augen musterten mich.

»Mein Name ist jetzt Katharina.«

»Naja, dann eben so. Willst du wirklich eine Ylors sein? Mal unter uns, ich denke das nicht. Du liebst doch immer noch unser smartes Saggittonenprinzchen, nespa?«

Katharina wich meinen Blicken nun aus und atmete tief durch.

»Es ist dafür zu spät«, sagte sie leise. »Kathy Scolar ist gestorben. Sie wurde ermordet. Was auch immer mich zu neuem Leben erweckt hat, es dominiert mich. Das ist nun mein neues Ich.«

»Aurec ist hier, Liebes! Sag ihm das am besten selbst.«

»Vielleicht werde ich ihn sogar töten. Ich bin eine Ylors, eine Mätresse des Fürsten Medvecâ. Ich bin nicht stolz darauf, aber das ist es nun, was ich bin!«

Sie stand auf und schubste mich zurück.

»Fordere mich nicht heraus und geh wieder zu den anderen, sonst könnten sich meine Zähnchen in dein Fleisch verirren.«

Demonstrativ entblößte sie ihr strahlendweißes Gebiss mit den scharfen, dolchartigen Eckzähnen. Nun mischte sich ausgerechnet der Dorgone Kruppus ein. Mit seinem Silberblick glubschte er zu Katharina herüber und schob sich an mir vorbei.

»Entschuldigung, aber du wirkst wie eine kluge und ebenso schöne Frau. Wäre ich nicht schwul, du wärst die Richtige.«

Er gackerte vor sich hin.

»Was willst du ekliger Fettsack von mir?«

Kruppus räusperte sich und tat so, als hätte er das überhört.

»Ich habe doch mit denen gar nichts zu tun. Dorgon steht weder im Krieg mit MODROR noch mit der LFT. Ich bin neutral. Wie wäre es, wenn ihr mich freilasst? Ich führe die Verhandlungen.«

Dann ging er noch näher zu ihr heran. Es war unschwer zu erkennen, dass Katharina davon nicht angetan war, doch sie wich keinen Millimeter zurück.

»Und wenn du eine heiße Nummer willst, die du nie vergessen wirst, hier gibt es allerlei freie Räume. Kein Blümchensex wie mit Aurec, sondern der echte harte Hammer Dorgons!«

Er kicherte und zwinkerte. Katharina trat ihm zwischen die Beine. Dann wandte sie sich von ihm ab und rief Medvecâ.

»Der will sich als Parlamentär anbieten …«

Medvecâ blickte verdutzt auf den sich am Boden wälzenden Dorgonen. Er gab einem anderen Ylors den Befehl, Kruppus aufzuhelfen. Als der Dorgone wieder ansprechbar war, offerierte er sein Angebot. Mir war klar, dass Kruppus nur nach einem Vorwand suchte, um seine Haut zu retten. Doch der Fürst der Ylors schien nicht abgeneigt.

Medvecâ und Kruppus verließen den Raum. Dann packte mich Katharina unsanft am Kragen.

»Du kommst auch mit.«

Ich vermutete, dass sie zum Kartenraum gehen würden. Dort befand sich auch eine Kommunikationsanlage. Auf dem Weg dorthin verstrickte ich die gute Katharina weiterhin in Gespräche.

»Was trinkst du eigentlich jetzt? Blut?«

»In der Tat benötigen die Ylors Blut als Hauptnahrung. Sie essen aber auch Fleisch. Ich bevorzuge synthetisches Blut.«

So etwas hatte ich vermutet. Kathy war noch nicht verloren! Sie war keineswegs durch und durch eine Ylors. Vermutlich war sie zwischen ihrer Menschlichkeit und der Beeinflussung durch den Ylorsvirus hin- und hergerissen. Die Verwandlung in eine Ylors war jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Vielleicht würde Aurecs und Elyns Plan doch funktionieren.

»Habt ihr auch sowas wie Blutschnaps? Oder Blutbier?«

Katharina zeigte den Ansatz eines Lächelns.

»Nein!«

»Ist also so, als würde man nur Leitungswasser trinken? Langweilig.«

»Ja, so in der Art!«

Wir erreichten den Kartenraum. Medvecâ baute eine Verbindung auf. Das Hologramm von Xavier Jeamour, dem Kommandanten der IVANHOE II, erschien.

»Wir sind jene, die die Burg besetzt halten. Ich bin Fürst Medvecâ. Wir wären zu Verhandlungen bereit. Als Zeichen unseres guten Willens werden wir deshalb den Dorgonen Kruppus freilassen.«

Jeamour stellte sich ordnungsgemäß vor. Dann fragte er trocken: »Können Sie nicht jemand anderes freilassen?«

»Bitte?«, zischte Kruppus.

Medvecâ war amüsiert und lachte.

»Wir haben keine Verwendung für Kruppus. Sollte er jedoch in Verhandlungen mit Aurec Erfolg haben, sind wir bereit, die Gefangenen freizulassen. Ich wünsche nun, nicht mit Lakaien zu kommunizieren, sondern mit Aurec persönlich.«

Jeamours Kahlkopf wurde rot. Doch er war Gentleman genug, um sich zu beherrschen. Der Kommandant der IVANHOE II blickte auf über zwanzig Jahre Erfahrung im Umgang mit kosmischen Honoratioren zurück. Obgleich Medvecâ einige Millionen Jahre älter war.

Und das kristallisierte sich für mich immer mehr heraus. Medvecâ hatte eine seltsame Gelassenheit, die jedoch nicht überheblich wirkte. Im Gegensatz zu seinem Artverwandten Eorthor war er sogar ganz manierlich. Doch ich kannte auch die anderen Seiten. Immerhin hatte er zusammen mit Natalia das Heimatdorf von Pyla grausam ausgelöscht.

»Ich warte«, betonte Medvecâ.

»Aurec befindet sich im Gefecht auf Herton IV«, erklärte Jeamour.

»Natürlich. Und Joak Cascal ebenso?«

»Korrekt.«

»Aha«, machte Medvecâ und schmunzelte.

Er ging an die Kontrollen und schien etwas zu überprüfen. Danton bemerkte, dass Xavier Jeamour etwas nervös wurde. Was ging dort vor? Waren Aurec und Cascal womöglich gefallen? Das wäre undenkbar!

»Sie können keine Funkverbindung zu ihnen herstellen? Meine Truppen melden mir, dass die Gefechte derzeit ruhen … oder soll ich das Einsatzkommando unter Aurec und Cascal irgendwo in der Burg suchen?«

Ich bemerkte, dass Katharina zusammenzuckte. Aurec war hier? Natürlich! Sie mussten sich vor Aktivierung des Schutzschirms eingeschlichen haben. Vielleicht war das Mutantenkorps bei ihnen.

Medvecâ informierte Natalia über die ungebetenen Gäste. Er wies sie an, Aurec auf der Stelle zu töten. Er sprach diese Worte mit einem Lächeln aus, welches an Katharina gerichtet war. Doch ich bemerkte, dass ihr nicht wohl dabei war.

»Höchste Wachsamkeit. Sie könnten Mutanten bei sich haben«, riet Medvecâ und wirkte das erste Mal so etwas wie beunruhigt. Das freute mich. Offenbar waren die Vorbereitungen zur Absicherung der Burg nicht bis ins Detail geplant. Ich vermutete, dass Medvecâ und Rodrom nicht mit diesen Ereignissen gerechnet hatten.

»Was geht denn hier vor?«

Rodrom stakste wild schnaufend in den Raum. Als er stehenblieb, zitterte er leicht, die Augen zuckten und die Zunge schnellte schmatzend immer wieder aus dem Mund. Das war wirklich nicht mehr der Rodrom von einst. Die erhabene Gestalt, die Angst und Schrecken verbreitete, war dem Zerrbild eines unkontrollierten Psychopathen gewichen. Er war natürlich dennoch gefährlich, vor allem, weil er so unberechenbar war. Doch sofern er jemals »normal« gewesen war, indem er seine Ziele im Auge hatte, war er jetzt auf jeden Fall völlig durch den Wind.

»Medvecâ, sucht Aurec und seine Handlanger. Ich werde von hier aus helfen«, meinte Rodrom und kicherte. »Lasst mir die Gothikschlampe als Unterstützung hier.«

Medvecâ stimmte zu. Seine Truppen machten sich auf den Weg, die Burg zu durchsuchen. Rodrom zückte sein Messer und hielt es mir unter das Kinn.

»Booh!«

Dann lachte er laut.

»Ihr habt nicht mit angesehen, wie Uthe Scorbit grausam verreckt ist, hm? Sie wand sich in Schmerzen. Sie weinte so sehr. War so verzweifelt. Dann starb sie völlig allein an dem Gift. Oh, ich habe ein besonders schmerzvolles Gift ausgewählt, damit der Tod besonders qualvoll ist.«

Was gäbe ich dafür, endlich sein Maul stopfen zu können. Jede Achtung in mir war erloschen. Doch Rodrom redete ununterbrochen weiter, ergötzte sich an dem Todeskampf seiner Opfer.

»Was ist, Danton? Ich zeige doch nur, zu was Menschen imstande sind. Ich bin jetzt ein Wesen aus Fleisch und Blut. Und diese sind zu allem fähig. Sie töten ihre eigenen Kinder, vernichten Millionen mit einem Knopfdruck oder töten für ein Butterbrot. Alle physischen Wesen sind eine Plage des Universums. Sie sind niedrig, dreckig und stinken!«

Rodrom begann, an mir zu schnüffeln.

»Du stinkst, du schwitzt, du gibst Laute im Schlaf von dir, beim Essen, bei deinen Stoffwechselausscheidungen. Oh, und dann euer Sex. Welch Einfallsreichtum ihr dort habt an Perversion. Und mich nennt ihr einen Geisteskranken?«

Rodrom winkte ab.

»Humbug! Ihr Fleischlichen seid die größte Perversion im Universum. Ich hasste von jeher meinen Körper, es erregte mich nur, wenn ich Sterbliche an die Grenzen ihrer Existenz brachte und anschließend diese auslöschte. Das war Befriedigung! Ihr haltet euch für so unfehlbar. Ihr rennt euren Hormonen, eurer Geldgier und eurer eigenen Biederkeit hinterher. Nein, mein liebes Freundchen. Nicht ich bin der Irre – das Universum ist mir zu großem Dank verpflichtet. Ihr fragt euch nach dem Sinn eures Daseins? Ihr seid kosmisches Ungeziefer. Aasfresser, Schädlinge, Maden im Speck. Ich habe das Universum von Milliarden solcher Maden befreit. Und was ist der Dank?«

Rodrom zitterte, lief unruhig im Raum umher.

»Nun bin ich in diesem Körper gefangen. Es ist ekelerregend. Ich muss atmen, muss essen, trinken und alles wieder ausscheiden. Meine Poren fangen an, nach Schweiß zu stinken. Und … und ich möchte am liebsten mal in Katharinas Vampirhöhle.«

Er kicherte, dann spuckte er angewidert auf den Boden.

»Siehst du diese Zwänge des körperlichen Daseins? Es ist so widerlich! Ich war Gott! 190 Millionen Jahre lang reiste ich im Kosmos umher, sah Dinge, die dein winziges Erbsengehirn niemals erfassen würde. Ich habe Schönheit und Schrecken des Universums gesehen. Der Schrecken seid ihr Körperlichen. Und ich preise den Tag, an dem euer aller Leben durch MODROR beendet wird!«

Rodrom gluckerte vor sich hin, während er an seinen Haaren zog und dann interessiert die ausgerissenen Büschel in der Hand betrachtete. Er schnupperte an den Haaren, dann stopfte er sie sich in den Mund.

Rodrom hatte definitiv die Devolution nicht ohne Schaden überstanden. Mir konnte es recht sein. Auf der anderen Seite war seine neue Unberechenbarkeit gefährlich.

»Und wie gedenkt MODROR das Universum auszulöschen? Mit einer riesigen Raumflotte? Eorthor hat doch schon eine Million Raumschiffe vernichtet, nicht wahr?«

»Ja, Eorthor ist genauso skrupellos wie alle Anhänger der Hohen Mächte. Ihm sind ein paar Milliarden Leben nichts wert. Sein einzig anständiger Zug.«

Rodrom fing an zu würgen und spuckte das Haarknäuel auf den Boden. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Selbst Katharina sah angewidert darauf.

»Das Universum soll doch gar nicht vernichtet werden. Was machst du mit einem wunderschönen Rechner, der aber voller Viren ist? Man formatiert und installiert ihn neu.«

Rodroms Augen leuchteten in glühendem Fanatismus. Ich brauchte eine Weile, um das zu verarbeiten. Demnach wollte MODROR das Universum neu installieren? Aber wie sollte er das anstellen? Es war nun kein Wunder, dass die Kosmokraten, DORGON und SI KITU ständig versuchten, MODROR an allen Fronten zu bekämpfen.

»Muuh … Muuh.«

Verwundert starrte ich auf Rodrom, der immer wieder einen Laut von sich gab, der sich anhörte wie von einer Kuh. Dabei sah er zu Kathy und rieb sich die Brustwarzen.

»Ich hatte schon das widerwärtige Vergnügen mit Natalia. Wir quälten dabei den armen Willy Ossy zu Tode. Das … das war für einen körperlichen Akt schon inspirierend. Ich bin gespannt, was du draufhast.«

»Das geht dich nichts an. Wir sollten uns darauf konzentrieren, dass wir die Eindringlinge finden.«

Rodrom schrie auf.

»Ja, natürlich. Die Eindringlinge. Zehn kleine Eindringlinge, die gingen in die Burg, da wurde einer totgeschossen, da waren es nur noch neun.«

Schallend lachte der Irre über das Lied. Dann wurde er wieder ernst. Er aktivierte die Kommunikationsanlage.

»Hallo Aurec! Hallo Cascal! Und wer noch so dort ist von euch Gutmenschen! Hier spricht Rodrom. In meiner Gewalt befinden sich Roi Danton, Anya Guuze, Pyla, Jaaron Jargon, Cauthon Despair und auch deine Schnalle, Aurec. Sie gehört jetzt zwar zu den Bösen, aber vielleicht töte ich sie ja trotzdem. Ergebt euch unverzüglich, sonst werde ich den Ersten töten. Wer wird es sein, Cascalli? Vielleicht die geile Anya?«

Er wies die Skuritwachen an, die Gefangenen zu holen. Nach wenigen Minuten kamen sie wieder. Rodrom spielte mit seinem Messer. Er breitete die Arme aus.

»Freunde, Freunde – endlich wieder vereint. Ich habe euch vermisst!«

Als er an Anya vorbei ging, spuckte er ihr ins Gesicht und kommentierte das erneut mit einem schrillen Gelächter.

»Medvecâ möchte euch als Gefangene. Doch ich will euch tot sehen. Folgendes Schicksal habe ich für euch auserkoren: Der alte Mann wird erstochen, die dumme Riffschlampe wird von tausend Ylors vergewaltigt, Anya werde ich persönlich in Scheibchen schneiden und Danton schneide ich den Zellaktivator aus seinem erbärmlichen Körper. Ich finde die Idee sehr originell, ihr nicht auch?«

»Nein! Das werde ich verhindern!«, sagte Despair demonstrativ.

In diesem Moment erschütterte eine Explosion die Burg. Ihr folgten ein Dutzend weitere Detonationen. Ich blickte aus dem Fenster. Das bläuliche Leuchten des Schutzschirms erlosch. Rodrom wirkte nervös.

»Du wirst nichts mehr tun. Du bist kein Sohn des Chaos mehr. Ich enthebe dich deiner Stellung, Verräter!«

Drohend hielt Rodrom das Messer in Despairs Richtung.

»Dann eben auf die schnelle und harte Tour! Katharina! Fang an, sie zu töten!«

Geräusche drangen aus dem Korridor in den Raum. Die Gefechte waren nicht weit. Doch würde man sie noch rechtzeitig erreichen? Katharina stellte sich vor die Gruppe und zog ihren Strahler.

»Na los! Knall sie ab!«

Katharina starrte ihn ungläubig an. Ihre Hand zitterte leicht. Ich merkte es ihr an – sie rang mit ihrem Gewissen. In ihr tobte der Konflikt zwischen der Terranerin und der Ylors! Zwischen Menschlichkeit und Boshaftigkeit!

In dem Moment erhielt sie eine Nachricht über ihr Armbandfunkgerät. Es war Medvecâ. Jeder im Raum hörte die Anweisung.

Sie sind durchgebrochen. Rückzug zum vereinbarten Treffpunkt. Mission abbrechen.

Rodrom schnaubte wütend.

»Dann bringen wir es jetzt zuende! Na los, schieß endlich. Schieß! Schieß! Schieß!«

Katharina schüttelte den Kopf. Sie senkte die Waffe, steckte sie zurück in ihren Halfter und warf noch einen Blick auf unsere Gruppe. Dann nahm sie Anlauf und sprang aus dem Fenster. Die Scheibe zerbrach, doch ich war mir sicher, dass ihr nichts geschehen war. Sie folgte dem Befehl von Medvecâ und brach die Mission ab. Und ich wusste, dass ihr das sehr recht kam.

Kathy Scolar war noch lange nicht tot und verloren. Ihr Herz hatte sich für ihre Freunde entschieden und sie gerettet.

Rodrom zog nun selbst seinen Strahler, doch Despair war schneller. Blitzschnell hatte er ihn entwaffnet und schoss die beiden Skurit-Soldaten nieder. Da jagte eine weitere Explosion durch die Burg. Die Druckwelle riss alle zu Boden. Rodrom reagierte am schnellsten, sprang auf und umklammerte Pyla.

»Keine Bewegung, oder ich massakriere sie. Das könnt ihr mir glauben!«

Niemand bezweifelte die Aufrichtigkeit dieser Aussage. Mit Pyla in seiner Gewalt eilte Rodrom aus dem Raum. Despair und ich verfolgten ihn.

Duell der Söhne des Chaos

Cauthon Despair

Rodrom hatte Pyla in seiner Gewalt und rannte mit ihr nach oben. Danton und ich folgten ihnen, doch immer wieder stellten sich uns Skurit-Soldaten in den Weg. Die Ylors waren verschwunden, während Rodroms Truppen noch immer kämpften – offenbar um den Rückzug zu decken oder weil ihnen niemand andere Instruktionen erteilt hatte.

Mitten im Kampfgetümmel entdeckten wir Aurec, Cascal, Wallace und Scorbit. Danton machte eine Pause, um sie über die Situation zu informieren. Mir war das egal. Ich musste Pyla finden, sonst war sie verloren.

Rodroms Weg führte ihn bestimmt auf das Dach. Dort befand sich vermutlich noch ein Raumschiff der Skurit. Sollte er damit fliehen und Pyla mitnehmen, war sie verloren. So schnell ich konnte, rannte ich die großen Stufen entlang. Dort sah ich ihn endlich. Er feuerte auf mich. Rasch wich ich den Schüssen aus. Pyla machte keine Anstalten, sich zu befreien. Sie ließ sich einfach mitzerren.

Ich folgte ihnen nun langsam, passte mich ihrem Tempo an. Die beste Gelegenheit war, Rodrom auf dem Dach zu stellen. Die Treppe führte zu einem schmalen Ausstieg. Ich verlor Rodrom und Pyla aus den Augen, als sie dort hindurch gingen. Vorsichtig stieg ich die letzten Stufen hoch.

Da spürte ich bereits einen Schmerz an meinem Kopf. Ein wuchtiger Tritt Rodroms traf mich und selbst mein Helm vermochte den Tritt nicht vollends zu mildern. Benommen taumelte ich zur Seite, rutschte auf dem glatten Schnee aus und ging auf die Knie. Rodrom sprang auf mich und schlug wie ein Wahnsinniger auf mich ein. Wild lachend drosch er immer wieder auf meine Panzerung. Er hätte mich besser erschießen sollen. Nachdem ich die erste Überraschung überwand, schubste ich ihn einfach von mir.

Rodrom rollte zur Seite weg und kullerte durch den Schnee. Er sprang auf und setzte zu einem Dropkick an, doch ich wich einfach aus. Mit einem dumpfen Knall klatschte Rodrom zu Boden. Unermüdlich raffte er sich auf, bis ich ihn niederschlug. Ich nutzte die kurze Ruhephase, um zu sehen, wo sich Pyla befand. Sie stand nahe der Brüstung und wirkte völlig verängstigt.

Ich wollte zu ihr, da tauchten zwei Skurit-Soldaten aus dem Treppengang auf. Ohne zu zögern, warf ich mich auf sie. Ohne Caritschwert war es schwer, doch mit gezielten Tritten und Schlägen schaltete ich sie aus. Der eine Skurit polterte rücklings die Treppe hinunter, den anderen warf ich über die Brüstung in die Tiefe.

Als ich mich umsah, lag Rodrom nicht mehr im Schnee, sondern hatte erneut Pyla gepackt und sich mit ihr hinter der Brüstung verschanzt. Ich ging vorsichtig zu ihnen und blickte hinab. Das schräge Ziegeldach hatte ein starkes Gefälle. Am Ende des Daches ging es bestimmt mehr als hundert Meter in den Abgrund.

»Lasse sie gehen«, forderte ich.

Rodrom lachte.

»Du hast gar nichts zu fordern, du elende Missgeburt! Ich war immer dagegen, dass MODROR dich züchtete! Du hast nicht den Mut, um ein wahrer Sohn des Chaos zu sein. Du denkst stets mit deinem Herzen, hast Gewissensbisse und suchst nach deiner holden Maid. Doch die hier ist es auch nicht. Schon wieder enttäuscht!«

Rodrom zerrte Pyla an den Haaren. Sie schrie.

»Es ist das, was einen Menschen ausmacht. Ich verstehe das erst jetzt. Du bist nichts weiter als ein wildes Monster. Du willst zerstören und nicht erschaffen!«

»Ja, das Chaos zerstört die bisherige Ordnung, um eine neue Welt zu erschaffen. Das ist unser Ziel. Du hast es niemals verstanden. Ich werde MODROR raten, dich zu töten. Oder es gleich selbst übernehmen. Wenn du so edel bist, dann biete dich an, um Pyla zu retten. Dein Leben gegen ihres!«

Ich nahm meinen Strahler und hielt ihn seitlich in die Höhe. Mir war klar, dass Rodrom uns beide töten würde, sollte ich mich ergeben. Langsam ging ich auf die beiden zu.

»Tue doch was er sagt«, flehte Pyla verzweifelt.

»Ja, wie süß, nicht? Sie ist einverstanden, dass du für sie stirbst. Das nenne ich wahre Liebe! Ist dieses Drecksding wirklich wert, sich gegen MODROR zu stellen? Ist sie das?«

Ich blickte Pyla an. Ihr Gesicht war vom Schmerz verzerrt, Tränen kullerten die Wangen herunter. Sie war verzweifelt. Aber Rodrom hatte recht. War sie es wert? Dabei ging es nicht nur um Pyla. Ich hatte dieses ganze Morden so satt. Die armen, unschuldigen Wesen, die der Artenbestandsregulierung zum Opfer fielen, die Millionen gefallenen tapferen Soldaten auf beiden Seiten …

Wofür?

Für Wesen wie Rodrom? Kreaturen, denen jegliches Mitgefühl fremd war? Die nur vom Hass und der grenzenlosen Verachtung gegenüber aller Freude lebten? Oh, ich wusste, dass ich teilweise genauso war. Doch nur aus Verzweiflung, aus Neid und Trauer, weil ich niemals wahre Freude empfinden durfte.

Aber Rodrom war anders. Er genoss es, andere zu töten und zu quälen. Sein ganzes langes Leben lang hatte er nie menschliche, gute Züge an sich gehabt. Er war von Anfang an ein diabolisches Ungeheuer gewesen und nicht erst dazu geworden.

Der Rote Tod wurde ungeduldig. Er stach sein Messer in Pylas Unterarm.

»Nur etwas ritzen, als Vorgeschmack. Tut nur weh und tötet nicht. Ich warte, Cauthon!«

Im Hintergrund tobte das letzte Gefecht der Skurit. Ein Raumschiff hielt auf das Dach zu. Sie wollten Rodrom abholen.

»Oh, mein Taxi! Nun, dann nehme ich die hier zum Spielen mit. Oder lasse ich sie fallen? Hach, ist das schwer!«

Ich trat näher.

»Na gut, du hast gewonnen, ich lasse sie los!«

In dem Moment stürzte Pyla in die Tiefe. Ich sprang über das Geländer und rutschte das Ziegeldach herunter. In letzter Sekunde konnte ich sie packen und Halt an einer Rinne gewinnen. Mühsam zog ich sie hoch und ließ erst los, bis sie genügend Halt hatte.

»Huhu, wie ist denn das werte Befinden dort unten?«, rief Rodrom.

Er zielte mit dem Strahler auf uns und schoss. Pyla schrie auf. Der Schuss ging knapp vorbei. Doch weitere folgten. Rodrom kreischte hysterisch auf und hüpfte an der Brüstung herum. Über uns kreiste das Raumschiff der Skurit, suchte wohl eine geeignete Möglichkeit, um Rodrom aufzusammeln. Und wir saßen auf dem Präsentierteller. Rodrom schoss nun auf die Regenrinne – unseren letzten Halt.

»Wie ist es so? Hilflos zu sein? Aber weißt du, was das Schönste ist? Niemand wird dich vermissen. Weder im Quarterium noch bei MODROR! Sieh es endlich ein, Cauthon, du bist und bleibst ein Nichts!«

Rodroms nächster Schuss traf meine Schulter. Mühsam versuchte ich, halbwegs gedeckt das eisige Dach hochzuklettern, doch immer wieder rutschte ich ab. Es war sinnlos.

»Ich will nicht sterben«, rief Pyla. »Mach doch was!«

Wenig konstruktiv. Aber sie hatte recht. Wir saßen in der Falle. Es war vorbei. Die Raumfähre senkte sich und öffnete ihre Luke. Rodrom würde einsteigen und dann würden sie einfach das gesamte Dach zerstören. Es war aus. Doch ich starb als freier Mann.

Dann brauste eine Space-Jet über uns vorbei und feuerte auf den Bauch der Raumfähre. Eine grelle Explosion katapultierte das Skuritschiff zur Seite und ließ es auf die Spitze des Turms stürzen. Eine helle Feuerwalze brauste über uns hinweg. Aus den Flammen fiel uns ein rauchender Körper entgegen. Es war Rodrom. Er prallte auf das Dach, rutschte hinunter und fand an Pyla Halt. Beinahe hätte er sie mit in die Tiefe gezogen, doch ich hielt sie fest.

Rodrom war völlig verbrannt, doch seine verkohlten Hände klammerten sich weiterhin an Pylas Hüfte. Ich versuchte, die Hände wegzutreten, doch nur das verkohlte Fleisch pellte sich von den Knochen. Er schrie und winselte. Sein Gesicht war eine einzige Masse von geschmolzenem und verbranntem Gewebe. Pyla kreischte wie am Spieß. Rodroms verbrannte Hände ließen sie los, dann rutschte er weiter ab und klammerte sich an die Regenrinne, die er selbst beinahe durchgeschossen hätte.

»Es ist so heiß. Ich schwitze. So heiß …«

Seine Worte klangen verzerrt und surreal.

»Scheiß Körper. Alles aus …«

Die Rinne brach langsam auseinander. Stück für Stück sank sie nach hinten. Rodrom klammerte sich daran fest. Dann fing er an zu lachen. Seine Augen hingen inzwischen aus den Augenhöhlen beinahe auf Höhe der Wangenknochen. Das war nun der große Rodrom, die Inkarnation des Kosmotarchen MODROR, der seine gesamte kosmische Würde verloren hatte. Ein verbranntes Häufchen Elend, den ein Rest seines Bewusstseins zusammenhielt.

Und doch lachte er. Zitternd kramte er etwas aus seiner Tasche. Ein Thermaldetonator. Rodrom lachte immer noch. Er würde uns mit in den Tod reißen. Ich nahm alle Kraft zusammen und trat gegen die Regenrinne, bis sie sich aus den letzten Halterungen löste und nach hinten wegknickte. Ich sah Rodrom – lachend mit dem Thermaldetonator in der einen Hand, mit der anderen das Abflussrohr umklammernd – in die Tiefe stürzen, bis er im Dunkel der Nacht verschwand. Ein dumpfer Aufschlag, dann die Detonation.

Rodrom war tot! Nun war Rodrom wirklich tot.

*

Pyla weinte und war völlig fertig. Zwei Space-Jets umflogen uns und leuchteten uns mit ihren Scheinwerfern an. Schließlich erfasste uns ein Antigravstrahl. Pyla wollte erst nicht, denn sie kannte das offenbar nicht. Ich versicherte ihr, es sei gut und sie ließ das Dach los. Wir wurden in die Höhe gehoben. Das Dach über dem Schrägdach brannte. Das Wrack der Raumfähre der Skurits lag dort. Die Space-Jet setzte uns auf der Landeplattform ab, auf denen unsere sabotierten Raumschiffe standen.

Aurec, Joak Cascal, Mathew Wallace, Roi Danton, Anya Guuze und Jaaron Jargon erwarteten uns dort. Als wir endlich auf den Boden herabgelassen wurden, blieb ich vor Erschöpfung auf den Knien. Pyla rannte weinend zu Mathew Wallace und warf sich ihm an den Hals. Ich sah deutlich, wie sie ihn küsste. Ich war zu erschöpft, um mich darüber aufzuregen. Doch Rodrom hatte in einem recht behalten – ich würde allein bleiben.

Die anderen umarmten sich und feierten, dass sie diese Horrortage überstanden hatten. Und ich saß allein abseits und dachte darüber nach, dass ich Rodrom getötet hatte.

»Hey …«

Ich blickte hoch. Anya Guuze stand vor mir. Ihr wollte ich sagen, was ich dachte.

»Ich habe Rodrom getötet. Was habe ich nur getan?«

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter.

»Das Richtige! Du hast unser Leben gerettet. Dafür danke ich dir. In dir schlummert viel Gutes. Du hast heute einen wichtigen Schritt getan.«

Ein neues Kapitel

17. April 1308 NGZ, IVANHOE II

Jaaron Jargon – Notiz 204c

Der Schrecken war vorbei! Wir waren alle froh, dass wir ihn überlebt hatten, und doch traurig über die Toten. Dieses sinnlose Morden hatte nur den perversen Gelüsten von Rodrom gedient. Er wollte uns quälen und demütigen. Immer und immer wieder. Diese zermürbende Taktik sollte das Herz und die Seele der Menschen brechen. Nur zu diesem Zweck hatte er uns nach Herton IV eingeladen.

Und es wäre ihm beinahe gelungen. Doch nun ist Rodrom tot. Die Überreste seiner Leiche wurden gefunden und anschließend desintegriert. Nichts sollte mehr von diesem Monster übrig bleiben.

Ausgerechnet dem Silbernen Ritter Cauthon Despair verdankten wir unser Leben. Es war schwer, sich in die Psyche eines solchen Mannes hineinzuversetzen. Und doch verstand ich, dass er viel riskiert hatte, um uns zu retten. Er widersetzte sich Rodrom und somit MODROR. Wir wussten, dass das Quarterium dem Kosmotarchen diente und Despair wohl seit eh und je sein Handlanger war.

Und doch hatte Despair in diesen Tagen Größe und Herz bewiesen.

Despair hatte Rodrom getötet und sich damit gegen den Teufel in Person aufgelehnt. Und noch jemand hatte sich gegen ihren Herrn aufgelehnt. Katharina alias Kathy Scolar. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, uns zu töten. Als wir Aurec darüber berichteten, keimte große Hoffnung in ihm auf. Er war entschlossener denn je, seine Kathy aus den Klauen von Medvecâ zu befreien.

Jegliche Hoffnung war jedoch für Nataly vergebens. Meine Nichte war tot. Was von ihr übrig war, war nur eine Hülle, in der eine Bestie von unvorstellbarer Abartigkeit und Grausamkeit ihr Unwesen trieb. Ihr Auftritt im Schloss hatte mich zutiefst erschüttert. Ich musste nun den langen und so grausamen Weg der Resignation beschreiten. Nataly war tot.

Ich war froh, wieder auf der IVANHOE II zu sein, die in den nächsten Tagen und Wochen wohl meine Heimat sein würde. Aurec hielt an seiner Entscheidung fest, dass wir in drei Tagen zum Rideryon aufbrechen werden.

Weder Pyla, Anya noch Roi Danton nahmen Aurecs Angebot an, nicht an der Expedition teilzunehmen. Sicherlich hatte der Saggittone das auch erwartet.

*

Ich legte den Stift weg und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Nachdem wir von Mathew Wallace, Aurec und Jan Scorbit gerettet wurden, wurde die Leiche von Uthe Scorbit entdeckt.

Wir wussten ja bereits, dass sie tot war, doch Mathew und Jan schockierte es besonders. Was mich betrübte, war die Tatsache, dass sie ganz allein gestorben war. Niemand war da gewesen, um ihr Beistand zu leisten und ihre Hand zu halten. Es spiegelte wohl Uthes Leben wider. Sie war immer irgendwo in sich gekehrt gewesen. Zuletzt hatte sie sich von ihren alten Freunden distanziert. Doch ihre neuen Freunde vom Quarterium hatten sie im Stich gelassen. Sie waren nicht da gewesen, als Uthe sie am dringendsten gebraucht hatte.

Arme Uthe! Ich trauere um ihren Tod. Sie war ein guter Mensch und hatte ein großes Herz. Doch sie war keine Abenteurerin und ihre große Verunsicherung, all dem gerecht zu werden, ließ sie distanzierter werden. Dann traf sie den falschen Mann, kam in schlechte Gesellschaft – und nun war ihr Weg zuende.

Remus Scorbit, der sich noch von dem Abenteuer auf Entropia erholte, hatte die Nachricht hart getroffen, wie mir Mathew berichtete. Niemand hatte Uthe dieses tragische Schicksal gewünscht. Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich schreibe, dass wir sie immer ehren werden. Schließlich haben wir sie gekannt, als sie noch sie selbst war.

Ich griff wieder zum Stift. Als Randnotiz war zu bemerken, dass der Anführer der kosmogenialen Bewegung Grimm T. Caphorn nach den Kampfwirren völlig verwirrt auf seinem Oranje-Tisch lag und unverständliches Zeug redete. Es stellte sich heraus, dass die Kommunikationsanlage von den Ylors stammte. Sie zerstörte sich jedoch selbst nach den Kämpfen.

Wir hatten eilig das Schloss verlassen und wurden von Beibooten der IVANHOE II erwartet. Auch eine Space-Jet des Quarteriums stand bereit. Despair bot an, Kruppus mitzunehmen. Das war auch richtig so, denn keiner wollte etwas mit dem Dorgonen zu tun haben, der in meinen Augen ein schlechter Mensch war.

Und dann kam der Abschied. Wir dankten Cauthon Despair für seine Hilfe. Anya Guuze gab ihm sogar eine kleine Umarmung und Danton zog seinen Dreispitz. Es schien Despair sogar zu berühren.

Als Pyla an der Reihe war, sich von ihm zu verabschieden, wirkte sie scheu und verunsichert. Sie bedankte sich bei ihm, mied aber den Körperkontakt. Mit gesenktem Kopf verließ der Quarteriumsmarschall Herton IV.

Pyla wollte nicht darüber reden, als wir zur IVANHOE II zurückkehrten. Sie sagte, sie hätte ihre Gründe, Despair nun distanzierter zu behandeln. Sie hätte auch seine grausame Seite gesehen und hätte Angst vor ihm.

Mehr sagte sie nicht. Sie steckte sich kleine Kopfhörer ins Ohr und hörte Musik, während wir zurückflogen. Ich vermutete, dass sie nicht recht wusste, wie sie mit Despair umgehen sollte.

Er war ein Sohn des Chaos und hatte viele schlimme Dinge angerichtet in seinem Leben. Und doch besaß er viel Ehrgefühl und anscheinend ein großes Herz, das aber zu kompliziert für sie war. Despair war ein Rätsel.

Wieder hatten wir ein Abenteuer überstanden, doch ich hätte lieber darauf verzichtet. Noch dazu gab es keine Zeit zum Luftholen.

Das Rideryon lag vor uns!

Epilog

18. April 1308 NGZ, Som-Ussad

Cauthon Despair

Endlich erreichten wir Som-Ussad!

Wortlos verabschiedete ich mich von Kruppus. Was sollte ich mit ihm reden? Ich blickte auf eine Fotografie von Pyla, die mir ausgerechnet Roi Danton in einem Dankesschreiben via Hyperkom gesendet hatte.

Die IVANHOE II würde in zwei Tagen zum Riff aufbrechen. Wieder schwebte Pyla in Gefahr. Diesmal konnte ich nicht helfen, denn ich war nicht eingeladen. Eine eigene Expedition zu organisieren, war zu kurzfristig. Außerdem fehlten uns die technischen Mittel, die Nebelbarriere zu überwinden. Offenbar hatte Aurec etwas gefunden.

Ich dachte über die letzten Tage nach. Ich hatte MODROR verraten und Rodrom getötet. Und doch fühlte ich mich nicht schuldig. Nein, im Gegenteil. Ich hatte das Richtige getan!

Diese Menschen waren gut zu mir gewesen. Sie durften nicht für die Perversionen eines Verrückten sterben! Immer mehr fragte ich mich, ob ich auf der richtigen Seite stand.

MODROR bedeutete Tod und keine Reformen! Es war immer schwerer für mich, ihm zu folgen. Etwas Abstand in Cartwheel würde mir vielleicht guttun. Nur ein paar Tage. Dann wollte ich wissen, welche Erfolge die Expedition von Aurec vorweisen würde.

Ich würde wohl mit dem Emperador über Herton IV reden müssen. Was er wohl dazu sagte? Ich blickte wieder auf Pylas Bild. Dass ausgerechnet sie mich zum Umdenken verleitete, hätte ich auch nicht gedacht. Doch mein Herz schlug für sie. Ihr distanzierter Abschied hatte mir wehgetan, doch er war verständlich gewesen. Je schneller ich sie aus meinem Herzen verbannte, desto besser. Ich löschte das Bild und die Hyperkomnachricht.

In einem hatte Rodrom recht gehabt: Ich war ein Freak und ein Monster. Doch so langsam begriff ich, dass es an der Zeit war, das zu ändern!

Ende

Auch der nächste Roman 115 stammt aus der Feder von Nils Hirseland. Aurec startet eine Expedition zum Rideryon, um seine große Liebe Kathy zu suchen und zu retten. Denn sie ist die

FÜRSTIN DER FINSTERNIS

DORGON-Kommentar I

Mit dem vorliegenden Roman, zumindest meiner bescheidenen Meinung nach, ist Nils ein Geniestreich gelungen. Hier werden die Weichen zum Abschluss des Zyklus gestellt, der schwerpunktmäßig im Riff spielen wird. Nach und nach wird sich die wahre Natur und der wirkliche Zweck dieses kosmischen Wunders enthüllen, und dieses wird sich, das kann ich, glaube ich wenigstens, hier bereits verraten, als eine Gefahr für den gesamten Kosmos, wie wir ihn kennen, entwickeln.

Auch die Entropen werden immer mehr in den Vordergrund treten und ein Name wird wie ein Fanal aus dem Dunkel altterranischer Mythen auftauchen:

Lilith, die mystische erste Frau Adams, die sich gegen Gott gestellt hatte.

Jürgen Freier

DORGON-Kommentar II

Es brauchte ein wenig Herausarbeiten der Sympathielenkung und Zusammenarbeit im Team, damit das Zusammenführen all dieser vielen Stränge ein spannender Krimi mit Action und ein wenig (hüstel) Splatter wurde. Ich bin zufrieden.

Es ist schade um Rodrom … nach seiner Demontage in DORGON 101 (»Schwarze Seele« von Roman Schleifer) war ein spektakulärer Tod jedoch das Einzige, was mit dieser vorher mystischen und geheimnisvollen Figur noch anzufangen war.

Alexandra Trinley

GLOSSAR

Grimm T. Caphorn

Grimm T. Caphorn war ein Terraner. Im Jahre 1308 NGZ war er Inhaber und Initiator der Kosmogenialen Bewegung und leitete den Trivid-Sender »KosmoGenial«. Gegen eine Gebühr in Galax verlieh er seinen Fans und Zuschauern einen kosmischen Energieausgleich. Die Idee entstammte bereits aus dem Jahre 1245 NGZ, als er zusammen mit dem Anführer der »Kinder der Materiequelle« Dannos das Geschäftsmodell erfand.

Caphorn, der einen schwer verständlichen Akzent sprach, verkündete seine Trivid-Botschaften am Oranje-Table, einem orangefarbenen Tisch, meist in Begleitung seiner treuesten Anhänger. Caphorn verkündete Anfang 1308 NGZ, dass das Zeitalter des Rideryons angebrochen sei.

Er war im April 1308 NGZ Gastgeber einer Friedenskonferenz zwischen dem Quarterium, der LFT, den Entropen, Dorgonen und Estarten. Dabei wurde Caphorn selbst nur als Marionette von Rodrom benutzt, der diese Konferenz eingefädelt hatte, um seine Widersacher zu erledigen. Der Plan schlug fehl, Rodrom starb und Caphorn wurde verhaftet. Es ist unbekannt, was aus ihm geworden war.


Trivid-Sender »KosmoGenial«

Der Trivid-Sender »KosmoGenial« war im Jahre 1308 NGZ der Sender des Privatiers Grimm T. Caphorn. Das Prinzip des Bezahlsenders war simpel. Die Übertragung war frei, den Anhängern wurde jedoch suggeriert, dass sie einen kosmischen Energieausgleich für ihr Seelenheil benötigten, welcher über den Sender gekauft werden konnte. Grimm T. Caphorn verbreitete seine esoterischen und egozentrischen Botschaften und stellte sich selbst als einen kosmischen Messias dar.


Herton IV

Herton IV ist ein Planet im Herton-System in der Galaxie Siom Som.

Herton IV kreist um die blaue Sonne Herton im gleichnamigen Sonnensystem. Herton IV ist der einzig bewohnbare Planet des siebzehn Planeten umfassenden Systems.

Auf Herton IV herrschen vorwiegend eisige Temperaturen. Die Durchschnittswerte liegen bei drei Grad Celsius. Es gibt nur wenige gemäßigte Zonen. Die besiedelten Kontinente sind zumeist mit Schnee bedeckt. Ansonsten ist die Welt mit knapp einem Gravo für Terraner recht annehmbar.

Die Flora und Fauna besteht aus sehr kälteresistenten Lebensformen.

Herton IV ist mit etwa drei Millionen Bewohnern sehr spärlich besiedelt. Somer, Pterus, Ophaler und Elfahder stellen die große Mehrheit.

Die größte Stadt trägt den Namen Hertonia und fasst 400.000 Einwohner. Rund fünfhundert Kilometer abseits befindet sich die Residenz von Caatu. Die Bediensteten dort – angeblich rund 500 – leben wochentags auf dem Anwesen und kehren am Wochenende zurück nach Hertonia. Nur eine kleine Stammmannschaft bleibt dort zurück.

Die Residenz von Caatu ist den Aufzeichnungen zufolge eine mittelalterliche Burg. Sie stammt aus den Anfängen der Kolonialzeit von Herton IV und hat einige Jahre auch einem Ewigen Krieger als Sitz gedient.


Katharina

Katharina ist der ylorsche Name der Terranerin Kathy Scolar. Nach der Infektion mit dem Ylorsvirus und der darauf folgenden Mutation zur Ylors, legte sie – wie bei den Ylors üblich, einen variierten Namen an. Da Katharina erst seit kurzem eine Ylors ist, kämpfen ihr Körper und ihre Seele weiterhin gegen das Ylorsvirus an.

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