Was bisher geschah | Hauptpersonen des Romans |
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Das Jahr 1305 NGZ wird durch einen fürchterlichen Krieg überschattet. Das dorgonische Kaiserreich überfällt die estartischen Galaxien und besetzt sie. Die Völker Estartus und dorgonische Rebellen bitten verzweifelt um Hilfe. Saggittor erhört sie und zieht in den Krieg gegen Dorgon. Das wiederum ruft das Quarterium auf den Plan, welches Dorgon Beistand gewährt. Im September 1305 NGZ eskaliert die Situation und es kommt zur offenen Auseinandersetzung. Davon ahnen die Helden um Atlan und Alaska Saedelaere nichts. Sie sind im Grünen Universum gestrandet und erfahren eine düstere Zukunft Terras: In ihr ist Perry Rhodan tot und Monos im Auftrage MODRORs zu neuem Leben erwacht. Intelligente Insekten beherrschen die Erde. Die Menschen werden gejagt und sind geistig unterentwickelt. Atlan beschließt, Jagd auf Monos zu machen, um Perrys Tod zu rächen. Deshalb brechen er und seine Gefährten nach Trokan auf. Dort erwartet sie das Tor zum KREUZ DER GALAXIEN … |
Atlan – Der Unsterbliche macht Jagd auf Perrys Mörder. Monos – Der mörderische Sohn eines Kosmokraten. Denise Joorn – Die Abenteurerin wagt wieder sehr viel. Kalsolo – Der Anführer der Herreach. Alaska Saedelaere – Der Träger von Kummerogs Haut verzweifelt an einer Liebe. Icho Tolot – Atlans halutischer Begleiter. Leopold und Jaques de Funes – Die unfreiwilligen Spaßvögel haben viele Probleme. Roggle – Ein unheimliches Geschöpf. |
1. Auf der Jagd
Ich irrte durch dunkle Korridore. Alle Wände, alle Wege sahen gleich aus. So sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, einen Bezugspunkt im finsteren Irrgarten zu finden.
Wo war ich? Was geschah mit mir?
Da! Da war ein Schatten. Ich fühlte, wie sich meine Kehle zusammenzog und das Herz begann, schneller zu pochen. Meine Stirn war nass, die Beine wurden weich. Was sollte ich tun? Wohin sollte ich rennen? Folgte er mir? Wer war überhaupt der Verfolger?
Ich musste mich selbst dazu zwingen, all diese Fragen zu vergessen. Sie irritierten mich und behinderten mich bei der Flucht, weil sie mich langsamer machten.
Ich lief weiter. Wohin, konnte ich nicht sagen. Immer geradeaus. Dann rechts und dann links. Und dann schien es mir, als sei ich hier schon gewesen. Irritiert hielt ich an. Es war aussichtslos.
Ich spürte den Atem meines Feindes im Nacken. Es gab keinen Zweifel, dass er mich erledigen wollte. Ich konnte meine Haut nur retten, so lange ich vor ihm weglief. So schnell und weit, wie ich konnte. Weder Waffen noch sonst ein Hilfsmittel standen mir zur Verfügung. Ich war völlig auf mich allein gestellt.
Nicht einmal mein Extrasinn meldete sich. Er fehlte einfach! Für einen Arkoniden, der die ARK SUMMIA erlebt hatte, fühlte sich dieses Schweigen wie der Verlust eines Körperteils an.
Eine geistige Leere war eingetreten. Sie fühlte sich an, als riefe ich in einen riesigen, leeren Raum hinein, der bis vor kurzer Zeit noch voller Leben gewesen war und nun hohle Echos gab.
Weiterrennen!, ermahnte ich mich, um die letzten Reserven zu mobilisieren.
Ich stolperte und fiel ins Dunkel, schlug hart auf. Meine Handflächen schürften sich am Kies blutig. Der eigentliche Schmerz war zu ertragen. Hastig wollte ich hochspringen, da entdeckte ich die Leiche, die vor mir lag. Schreiend fuhr ich auf. Dann bannte mich der entsetzliche Anblick.
Als stünde alle Zeit der Welt zu meiner Verfügung und doch vor Schreck gelähmt, starrte ich auf die halb verweste Leiche vor meinen Füßen. In diesem zeitlosen Moment vergaß ich meinen Verfolger völlig. Ich wollte es nicht wahrhaben, doch der zerfetzte blaue Raumanzug identifizierte den Menschen sofort.
Es war mein Freund Perry Rhodan! Tot und zerfallen. Getötet von Monos! Wut stieg in mir auf. Ich schwor mir, den Verbrecher dafür zu töten. Doch im gleichen Moment sprang mein Verfolger aus dem Nebel und packte mich. Seine mechanischen Pranken bohrten sich in meinen Leib. Ich wehrte mich aus Leibeskräften, versuchte den beißenden Schmerz zu ignorieren. Ohne Erfolg!
Dann warf mich der Cantaro zu Boden. Um mich am Weglaufen zu hindern, brach er mir beide Beine. Ich konnte den Schmerz kaum ertragen. Die Bilder verschwammen vor meinem Auge. Ich zwang mich, das Bewusstsein nicht zu verlieren. So leicht wollte ich es meiner Nemesis nicht machen.
Endlich schälte sich seine Silhouette aus der Finsternis. Ich wünschte mir, ihn zu erwürgen, als ich sein hämisches Lachen hörte. Monos! Der Kosmokratensohn trug seine wasserstoffblonden Haare fingerkuppenlang und war leicht gedrungen.
Monos sagte kein Wort, sondern starrte mich nur an. Er hatte Zeit dazu, alle Zeit, die er wollte. Ich versuchte zu reden, doch meine Lippen waren wie versiegelt. Langsam zog er seinen Thermostrahler und richtete ihn genüsslich auf mich. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht gegen ihn kämpfen. Mir blieb nur noch übrig, in seine Augen zu blicken. Diese dunklen, diabolischen Augen. Dann flammte es auf und mein Herz verbrannte …
*
Atlan schreckte aufgewühlt hoch und brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Er lag im Bett und nicht in irgendeinem dunklen Labyrinth. Der Arkonide atmete tief durch.
Ein Alptraum, Barbarenliebhaber, meldete sich sein Extrasinn. Ein höchst interessanter Alptraum. Soll ich dir eine Interpretation nach Sigmund Freud dazu liefern?
Nein, war die knappe Antwort.
Der Extrasinn schwieg. Atlan ließ den Traum noch einmal Revue passieren. Nun beherrschte Monos schon seine Gefühlswelt. Was war nur geschehen?
Der Arkonide dachte über die Erlebnisse der letzten Tage nach. Man schrieb das Jahr 1305 NGZ. Er und der Haluter Icho Tolot befanden sich auf einem Patrouillenflug mit einer Space-Jet der SOL, als sie eine fluktuierende Anomalie in Form einer Raumzeitfalte entdeckten. Irgendwie muss die Space-Jet in den Einflussbereich dieser Raumzeitfalte geraten sein, denn plötzlich hatten die beiden sich in einem grünen Solsystem wiedergefunden.
Dort trafen sie auf Alaska Saedelaere, der ihnen erklärte, sie seien etwa 3000 Jahre in die Zukunft verschlagen worden. Die Menschheit war nahezu ausgerottet. Die Erde wurde von Insektoiden regiert. Perry Rhodan und die anderen Zellaktivatorträger hatten längst ihr Leben verloren. Und wer trug die Schuld an dieser Katastrophe?
Monos!
Der Teufel in Terras Hallen, wie er genannt wurde, schien noch immer am Leben zu sein. Jahrhundertelang blieb sein Bewusstsein gefangen, bis MODROR es befreite. Monos trat in die Dienste des Kosmotarchen und stürzte Terra ins Verderben. Er ermordete Rhodan und die anderen Unsterblichen. Maurenzi Curtiz übernahm die Führung der geschwächten Terraner und floh, wobei er das Solsystem mitnahm. Er nahm dabei die Hilfe der Kemeten, jenem mächtigen Volk aus der Galaxis Chepri, das einst die Kultur der alten, pharaonischen Ägypter so geprägt hatte, und der dorgonischen Technologie in Anspruch. Das Solsystem transferierte in ein grünes Universum. Doch Monos hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst auf Terra eingenistet. Er manipulierte die Genetik der Insekten und ließ sie binnen weniger Jahrhunderte zu Intelligenzwesen mutieren. Sie vernichteten die Zivilisation der Menschen. Curtiz starb und hinterließ jenen Bericht über diese unheilvollen Ereignisse.
Nun waren Saedelaere, Icho Tolot und ich selbst die letzten Unsterblichen. Welch ein bitteres Schicksal! Eine tiefe Leere erfüllte mich. Perry tot. Bully tot. Gucky tot. Alle tot! Ich konnte es eigentlich nicht glauben. So viele Jahrtausende lang hatten wir zusammen alle Gefahren überstanden und nun, einfach tot …
Ich beschloss aufzustehen. Mühsam rollte ich aus meinem weichen Bett. Alle Knochen schmerzten von den jüngsten Abenteuern auf der Erde. Flüchtig dachte ich an die amazonengleiche Virga, die ihr Leben während der Kämpfe gegen eine verwilderte Bande von Terranern verloren hatte. Ich sehnte mich nach ihr.
Sie wird sich in die Reihe der Verflossenen gut einfinden. Wenn du mal in den Himmel kommst, werden tausende Engel dich erwarten, spottete der Extrasinn.
Ich wollte aber nicht in den Himmel – zumindest noch nicht. Es gab noch einiges zu erledigen. Monos, schoss es mir durch den Kopf. Er sollte für seine Taten bezahlen. Deshalb waren wir nach Trokan aufgebrochen. Vielleicht gab es dort Informationen über Monos‘ Aufenthaltsort. Er konnte nicht weit sein, da das Solsystem in diesem grünen Kontinuum gefangen war. Mühsam schleppte ich mich ins Bad, warf mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht und rieb die Augen. Bevor ich unter die Dusche steigen konnte, summte das Interkomgerät auf. Seufzend schlurfte ich aus dem Badezimmer und bestätigte den Funkspruch. Die grollende Stimme des Haluters Icho Tolot erklang.
»Wir erreichen Trokan in zehn Minuten«, meldete er.
Zu wenig Zeit zum Duschen, überlegte ich, streifte meine Sachen hastig ab und spritzte mir in der Nasszelle Wasser über den Körper, rubbelte mich hektisch ab. Dann kleidete ich mich wieder an und lief zur kleinen Kommandozentrale der Space-Jet. Icho Tolot, Alaska Saedelaere und Denise Joorn kauerten in ihren Sesseln und starrten auf die Bildschirme, die die Welt Trokan zeigten.
»Ob wir ihn dort finden?«, fragte Denise Joorn.
Ich warf der ebenso resoluten wie attraktiven Archäologin einen Blick zu und zuckte kurz mit den Schultern. Ich wusste es auch nicht, doch ich hoffte es sehr. Mein Leben hatte nur noch einen Sinn – Monos zu finden und zu töten!
*
»Sie hat einen so schnuckeligen Hintern«, sinnierte der Somer Leopold und klapperte mit dem Schnabel, was eine Art Lachen seines Volkes darstellte. Sein Gegenüber schien weniger amüsiert zu sein. Der cholerische Jaques de Funes tippte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch herum und bedachte Leopold mit einem strafenden Blick.
»Sie sind Somer, Mann! Das ist doch abartig«, meckerte der Terraner los.
Leopold blieb unbeeindruckt. Es gab so viele Dinge im Universum, die für die einen normal, für die anderen unverständlich waren. Das hing stets vom Auge des Betrachters ab. Ein Wesen einer anderen Rasse zu begehren, war nach Leopolds Ansicht nichts Schlimmes. Es vermittelte ihm vielmehr einen sehr exotischen Reiz. Und diese Denise Joorn war, zumindest seiner Meinung nach, ein Musterexemplar der terranischen Weiblichkeit.
Doch sie hatte ihn unentwegt abblitzen lassen. Anscheinend machte sie sich nichts aus Somern. Leopold grinste innerlich. Wenn sein Bruder Sam ihn hören würde. Sam war im Gegensatz zu Leopold immer steif und korrekt. Der extrem konservative Somer hatte Leopolds Neigungen und Lebenswandel stets kritisiert. Dennoch war sein Bruder immer für Leopold da gewesen, wenn er Hilfe benötigt hatte. Sein Halbbruder Sruel Allok Mok hatte Ler Ok Poldm immer wieder aus der Patsche geholfen. Und das war ziemlich oft der Fall gewesen.
Leopold vermisste seinen Bruder. Ob er ihn jemals wiedersehen würde? Er beschloss, an etwas Angenehmeres zu denken. Denise Joorn! Er verstand nicht, wieso Jaques de Funes nichts für diese Frau empfand. Ihre Reize waren so offensichtlich. Jedem heterosexuellen Mann musste das doch ins Auge stechen. Da ging Leopold ein Lichtlein auf.
»Jetzt verstehe ich, Jaques! Sie stehen nicht auf Frauen.«
Verdutzt blickte de Funes den Somer an und schüttelte den Kopf. Dann stützte er sich auf den Tisch und schaute Leopold böse an.
»Wenn Sie dreißig Jahre mit derselben Frau verheiratet sind, ihr ständiges Gequassel tagein und tagaus ertragen müssen, wollen Sie denselben Fehler nicht mehrmals machen«, erklärte der Frankoterraner gereizt.
»Zu Hause war ich ein Geschäftsmann. Das war meine Erfüllung. Außerdem hatte ich dann Ruhe vor meiner Alten.« Er seufzte und ließ sich wieder in den Sessel fallen.
»Außerdem ist diese Joorn viel zu emanzipiert. Die sagt einem, wo es langgeht. Das mag ich nicht. Ständig wollen die Weiber mitreden. Wo sind die guten alten Zeiten geblieben, wo es genügte, der Frau etwas Geld zu geben, damit sie ruhig und zufrieden war?«
Leopold lachte los. Er hatte de Funes falsch eingeschätzt. Der Mann war doch schwer in Ordnung. Beide lagen auf einer Wellenlänge, was ihre Ansichten über Frauen anbelangte.
»Richtig. Mein Traum wäre eine Frau, die sich nach dem Sex in eine Pizza und ein Bier verwandelt.«
Nun musste auch de Funes loslachen, doch sein Lächeln gefror, als er die schlanke, durchtrainierte Terranerin an der Türschwelle bemerkte. Sie hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt und blickte die beiden vorwurfsvoll an.
»Ich meine natürlich …«, stotterte de Funes.
»Leopold! Was sind Sie nur für ein lasterhaftes Wesen. Man sollte die Frauen als gleichgestellte Wesen akzeptieren …«
Leopold, der Denise noch nicht bemerkt hatte, sah sein Gegenüber irritiert an und flatterte aufgeregt mit den Flügeln.
»Was reden Sie da für einen Müll? Ich möchte ein Betthäschen mit dicken Brüsten, das mir jeden Wunsch von den Augen abliest und am besten im Wandschrank verschwindet, wenn ich keine Lust auf sie habe. Und diese Denise wäre meine erste Wahl!«
»Pass nur auf, dass du nicht für immer im Wandschrank verschwindest, mein Dickerchen«, sagte Denise ganz ruhig. Leopold zuckte zusammen, als er ihre Stimme hörte.
Jaques de Funes starrte verlegen auf den Boden und wünschte sich von Herzen, Luft zu sein. Denise schritt auf die beiden zu und setzte sich in aufreizender Pose auf den Tisch. Leopold wäre vor Scham rot angelaufen, doch das ging bei einem Somer nicht. Er blinzelte zögerlich die Frau an, die ihn mit durchdringendem Blick anstarrte. Dann packte sie den dicken Somer am Kragen.
»Noch einmal so ein Spruch und ich verfüttere dich an einen Gurrad, wenn wir wieder zu Hause sind.«
Leopold zitterte am ganzen Leib, nickte hastig und bat Denise, ihn doch loszulassen. Sie kam seinem Flehen nach, stand auf und verließ den Raum. De Funes blickte Leopold vielsagend an. Der Somer vergewisserte sich, dass Denise ihm nicht mehr zuhören konnte.
»Der habe ich es aber gezeigt. Die steht auf mich. Das sieht man …«
2. Trokan
Ich legte meine Hand auf Alaskas Schulter und spürte, wie er leicht zusammenzuckte. Dann blickte er mich traurig an. Ob wir beide dasselbe dachten?
Trokan lag vor uns. Würden wir dort die Antwort auf unsere Fragen finden? Wo war Monos? Wie hatte er all das anrichten können? Gab es für uns noch einen Weg zurück? Es war schwer zu beschreiben, wie wir uns fühlten. Die Last des ganzen Universums schien wieder einmal auf unseren Schultern zu liegen. Für mich nichts Ungewöhnliches, so weh es auch tat, in die frühere Einsamkeit zurückzukehren. Doch Alaska schien damit seine Probleme zu haben. Ein Leben ohne Perry Rhodan, Reginald Bull und Gucky schien beinahe undenkbar.
Mir erging es nicht anders. Ständig musste ich an die ermordeten Freunde denken, fühlte mich wie in einer Traumwelt und hoffte jeden Moment zu erwachen. Und jeden Moment erinnerte mich mein Extrasinn daran, dass dies keine Illusion war. Es war die brutale Realität! Wut stieg in mir hoch. Ich ballte die Fäuste und lief wie ein Tiger im Raum umher.
Monos! Immer wieder kreisten meine Gedanken um Monos! Der Teufel in Terras Hallen trug viele Namen: Pedrass Foch, Ager Catomen, Dorian Waiken und viele mehr. Mein Extrasinn rief mir die nüchternen Fakten ins Gedächtnis:
Monos! Der aus der Retorte gezüchtete Sohn von Gesil und Taurec, ab circa 490 NGZ im Geheimen agierender Herrscher der Milchstraße und Perry Rhodans unversöhnlicher Feind. Seine Macht baute er zunächst dadurch auf, dass er die Kontrolle über die Cantaro übernahm. Monos trat durch seine besondere Mimikry-Fähigkeit in verschiedenen Masken auf, unter anderem in der des Pedrass Foch. Die acht anderen Scheinidentitäten waren jene der acht Herren der Straßen. Die Maske des Pedrass Foch war jedoch seine »ureigene Erscheinung« als Mensch. In ihr mischte er sich unter die Galaktiker und sondierte Stimmungen, erhielt Informationen. In ihr begleitete er auch für längere Zeit Perry Rhodan, bis er scheinbar verschwand und schließlich wieder auftauchte, um Rhodan zum entscheidenden Duell auf dem Planeten Palkaru am 30. Mai 1147 NGZ zu fordern. Monos starb bei dieser Begegnung, da nicht Perry Rhodan, sondern der Vario-500 in Rhodans Gestalt dem Machthungrigen gegenübertrat und sich selbst opferte, um den mörderischen Kosmokratensohn zu töten.
Monos begründet seinen unstillbaren Hass gegen Perry Rhodan damit, dass Rhodan seinem Vater einmal großes Leid zugefügt hatte, was bitter gerächt werden müsse. Monos war von seinem Vater darauf konditioniert worden, zu hassen und zu vernichten. Dieser Konditionierung musste er bis hin zu seinem Selbstmord folgen, wobei der verhasste Rhodan mit in den Tod gerissen werden sollte. All das war Taurecs Werk gewesen. Der Kosmokrat hatte Gesil entführt und züchtete Monos aus Körpergewebe, das er ihr unbemerkt entnahm. Gesil hatte also keine Ahnung von einem Sohn gehabt, bis sie von Perry Rhodan damit konfrontiert wurde. Dennoch hatte sie ihn, zusammen mit Eireene, damals verlassen und war Taurec gefolgt. Soviel zum Vertrauen in einen Kosmokraten.
Taurec und seine Brut, fluchte ich innerlich. Sie hatten uns so viel Verderben gebracht. Und Gesil war nicht besser. Sie hätte sich von Taurec lossagen und bei uns bleiben müssen. Aber alle Kosmokraten hatten in ihrer maßlosen Arroganz die Angewohnheit, die normalen Wesen in den unteren Kategorien des Zwiebelschalenmodells mit Füßen zu treten.
»Atlan, wir tauchen jetzt in den Orbit von Trokan ein«, meldete Icho Tolot. Der Haluter wirkte ruhig und konzentrierte sich voll und ganz auf seine Arbeit. Das hatte er sicherlich seinem Planhirn zu verdanken. Wer die »Bestie« näher kannte, wusste, dass er auch um Perry Rhodan und die anderen trauerte. Nur tat er dies auf seine eigene, stille Weise.
»Ich orte einige Dörfer der Herreach. Keine großartige Technologie. Aber in der Nähe des Pilzdoms identifiziere ich eindeutig cantarische Technik. Sie sind hier!«
Den letzten Satz betonte der Haluter besonders. Anscheinend sann er ebenfalls auf Rache. Warum sollte er auch anders reagieren als ich oder Alaska? Wobei ich mir bei Saedelaere nicht sicher war, was er eigentlich empfand. Der Hautträger verstand es wieder einmal sehr gut, seine Gefühle zu verbergen.
Ich fixierte den Planeten mit meinen Augen. Trokan, der zweite Mars! Einst war er im Tausch mit dem Mars aus dem Arresum transferiert worden, jahrelang in einem Zeitrafferfeld gefangen. Innerhalb von sechzig Jahren durchlebte Trokan eine Entwicklung von 250 Millionen Jahren. Die Herreach entstanden und letztlich hatte das Ganze den einzigen Zweck, dass Perry Rhodan einen Weg zur Brücke in die Unendlichkeit fand.
Aber all das gehörte der Vergangenheit an. Bitterkeit färbte meine Gedanken. Perry war tot!
»Also gut, landen wir abseits der cantarischen Station. Ich vermute, sie ist in der Nähe des Pilzdoms?«
Tolot bestätigte, ohne überrascht zu sein. Er unterschätzte meine dreizehntausendjährige Erfahrung nicht. Ich informierte Alaska Saedelaere und Denise Joorn, dass sie mich begleiten sollten. Tolot landete die Space-Jet einige Kilometer vom Pilzdom entfernt. Sicherlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Ortung der Cantaro uns entdecken würde. Sicherlich waren sie über das Ende Lorsahls informiert. Außerdem war unsere Space-Jet wie eine glühende Kerze in der Dunkelheit für die Sensoren im All. Es gab keine Raumfahrt mehr in diesem System.
Ich wanderte in die Waffenkammer. Entschlossen suchte ich die passenden Waffen aus. Einen Thermostrahler, ein Vibrationsmesser und ein Energiegewehr Typ Krieg 555 X-Kommando. Als sei dieses Gewehr ein treuer Freund, fuhr ich mit meiner Hand zärtlich über den Lauf. Ich überprüfte die Zielvergrößerung und die Munition. Dieses Schnellfeuergewehr sollte Monos Leben beenden! Ich freute mich darauf.
*
»Viel hat sich hier nicht verändert«, stellte Denise Joorn fest, die als letzte die Space-Jet verließ.
Ich musste ihr Recht geben. Die dreitausend Jahre schienen an Trokan spurlos vorbeigegangen zu sein. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Alaska Saedelaere, der schweigend die Gegend betrachtete. Dann begannen wir unseren weiten Weg zum Pilzdom.
Um nicht aufzufallen, trugen wir Kutten, die denen der Herreach ähnelten – ähneln sollten. Wir hofften, dass sich der Grundtyp ihrer Bekleidung nicht im Laufe der Jahrtausende geändert hatte. Und selbst wenn, so konnten die Herreach uns hoffentlich nicht ansehen, dass wir nicht ihrem Volke entstammten.
Außerdem schützten uns die Kutten ein wenig vor der eisigen Kälte, die hier vorherrschte. Es nieselte und ein kühler Wind pfiff durch unsere Kleidung.
Nach zwei Stunden hatten wir eine Siedlung erreicht, die direkt vor dem Pilzdom lag. Sie erstreckte sich über vielleicht zwei Kilometer. Saedelaere studierte die Anzeigen des Ortungsgerätes. Er bemerkte, dass meine Augen auf ihm ruhten.
»Die Station der Cantaro liegt zwei Kilometer südöstlich der Siedlung. Direkt vor dem Pilzdom. Es sind jede Menge Cantaro dort.«
Ich nickte und ging weiter. Wir liefen in die mittelalterlich wirkende Stadt hinein. Denise Joorn betrachtete interessiert die Bauten. Runde Bögen, Fachwerkhäuser und Zitadellen prägten das Erscheinungsbild der Metropole. Wir begegneten einigen Herreach, die uns seltsam anstarrten. Bemerkten sie den Schwindel?
Ich musterte Alaska und Denise. Beide ließen sich nichts anmerken, doch sicherlich war ihnen in diesem Moment ebenfalls unbehaglich. Schließlich erreichten wir einen belebten Marktplatz. Die Herreach kauften und verkauften hier emsig. Sie taten dies auf ziemlich menschliche Art und Weise. Eifrig priesen die Markschreier ihre Ware an, während die Käufer um jeden Galax, oder was auch immer ihre Währung war, feilschten und die Produkte mit Argusaugen auf ihre Qualität überprüften.
Wir mischten uns unters Volk und versuchten etwas von ihrer Kultur mitzubekommen. Die Herreach sprachen ebenfalls Interkosmo, was uns die ganze Sache erleichterte. Dennoch stellte uns die Beschaffung der Informationen vor einige Probleme. Es gab hier kaum Technologie, geschweige denn eine elektronische Bibliothek oder Informationssäulen. Wir mussten uns also durchfragen.
Ich wandte mich an einen Händler. Seine gelben Schlitzaugen über dem handbreiten Rüssel, seiner Nase, standen weit offen, die leicht durchsichtige Haut wirkte schleimig. Der kleine Herreach trug einen massigen Bauch vor sich her. Ich konnte nicht genau definieren, ob er nun ein Doppelkinn oder gar ein Dreierkinn besaß. Die haarlose Gestalt blickte mich fragend an.
»Willst du schöne getrocknete Datteln? Nur zwölf Herrch pro Kilogramm. Ein einmaliges Angebot!«
Seine Kauleisten mahlten auffordernd.
»Nein«, lehnte ich dankend ab. »Ich bin auf der Suche nach Informationen. Ich komme aus den bäuerlichen Gebieten und meine Wissbegier ist groß«, erklärte ich und erntete einen verständnislosen Blick des Mannes, der sich ausgiebig am Gesäß kratzte und anschließend einige der Datteln in eine Tüte packte. Ich blickte Denise an, die mit gerunzelter Stirn auf die zweifingrige und zweidaumige Hand des Lebensmittelverkäufers starrte. Dann richtete ich meinen Blick wieder auf den Einheimischen.
»Weißt du, wo ich hier eine staatliche Bibliothek finde?«
»Oder kennst du die Cantaro?«, warf Alaska Saedelaere ein. Ich zuckte zusammen. Das war nicht gerade ein kluger Schachzug. Ich bedachte Alaska mit einem strengen Blick.
Der Händler sah nervös vom einem zum anderen.
»Jeder kennt die Cantaro. Der Krieger Gottes Mashol ist der Bewahrer des Riesen Shimbaa. Ihr müsst wirklich von weit her sein und niemals eine Schule besucht haben.«
Ich lachte glucksend, um die Vermutung des Händlers zu bestätigen. Besser er hielt uns für Hinterwäldler als für Spione.
»Nun, mir sind die Cantaro durchaus bekannt. Mein etwas naiver Bruder war nie gut in Religion«, meinte ich selbstzufrieden.
»Ah«, machte der Herreach und schenkte einer anderen Kundin seine Aufmerksamkeit. Die zierliche Herreach wollte zwei Kilogramm der Datteln kaufen. Er drückte ihr die eben aufgefüllte Tüte in die Hand. Ich musste schmunzeln, als ich Denise anschaute, die am liebsten der armen Frau vom unappetitlichen Zustand der Finger berichtet hätte, mit der der Mann die Ware anfasste. Wir schwiegen aber beide, da wir uns den redseligen Händler nicht zum Feind machen wollten.
»Wo finden wir denn nun ein Informationszentrum?«, hakte ich nach.
»Willst du Datteln kaufen? Dann sage ich auch, wo sich das Zentrum befindet.«
Schlauer Kerl, stellte mein Extrasinn fest. Wie so oft eine eher unnötige Bemerkung, ich erwiderte allerdings nichts darauf.
Du hast keine zwölf Herrch, erinnerte er mich ungefragt. Als ob ich das nicht selbst wusste. Vielleicht konnte man etwas tauschen. Ich wühlte in meinen Taschen, fand jedoch nichts von Wert. Denise schien das zu bemerken. Sie legte eine silberne Kette auf den Tisch. Ich erkannte ein Abbild der geflügelten Isis als Anhänger. Das war sicherlich mehr wert, als ein paar Datteln.
Der Händler betrachtete die Kette, biss mit den Zähnen darauf herum, dann nickte er zufrieden, reichte uns eine Tüte Datteln und zeigte uns den Weg zu einer Bibliothek. Wir bedankten uns und machten uns auf den Weg.
»War sie echt?«, wollte ich von Denise wissen. Die Archäologin grinste und schüttelte den Kopf.
»Ein Imitat aus Kairo. Trotzdem hübsch gewesen.«
*
Nach einer halben Stunde erreichten wir die Bibliothek. Sie trug den Namen »Kummerogs Haus«. Ich erinnerte mich daran, dass die Herreach früher Kummerog als Erlöser angebetet hatten. Anscheinend bestand dieser Glaube immer noch. Die alte Burg wirkte imposant und altehrwürdig. Wie lange sie wohl schon existierte? Sie kam mir jedoch nicht bekannt vor.
Denise, Alaska und ich gingen hinein und wurden von einem alten Herreach begrüßt, dessen Haut fast transparent und sehr faltig war.
»Wie kann ich euch helfen?«, wollte er wissen.
Wir erzählten ihm, wir würden für ein Referat die Geschichte Trokans recherchieren.
»Trokans? Was ist das?«
Überrascht wechselte ich einen Blick mit Alaska und Denise. Beide guckten mich ebenso verständnislos an.
»Na, diese Welt heißt doch Trokan?«, fragte ich nach.
Der hagere Alte schüttelte den Kopf. Ehrfürchtig sprach er:
»Du irrst dich. Unser gelobtes Land heißt Herreah. Seit Anbeginn der Zeit, seit Kummerog uns erlöst hat, seit der Riese Shimbaa über uns wacht und seitdem die edlen Cantaro uns Schutz gewähren.«
Ich nickte nur knapp und hoffte, er würde nicht weiter auf Trokan eingehen. Das tat er auch nicht. Stattdessen wies er uns den Weg zu den Geschichtsbüchern. Wortlos gingen wir den langen Korridor entlang.
Denise Joorn schien ein besonderes Gespür dafür zu haben, wo man suchen musste. Sie kramte einige interessante Bücher hervor, die uns Aufschluss über Herreah gaben.
»Anscheinend wurde die Geschichte manipuliert. Hier steht, dass vor zweitausend Jahren Finsternis und Tod die Welt regierten und die Herreach sich gegenseitig bekämpften, weil sie von Dämonen beherrscht wurden. Erst Kummerog und die Cantaro brachten die ersehnte Erlösung unter dem Gott MODROR. MODROR und der Riese Shimbaa, die Manifestation von Kummerog, kämpften mit den Dämonen. Die Besiegten wurden in diesen unheiligen Pilz eingesperrt. Seither wacht Shimbaa mit den Cantaro über die Stätte und das gelobte Herreah wurde gegründet«, berichtete Denise Joorn.
Alaska zeigte keine große Überraschung. Das war auch kein Wunder, nach allem, was wir in den letzten Tagen erlebt hatten. Die Geschichte des Ersten Terraners Maurenzi Curtis berührte uns alle immer noch sehr tief. Wieder musste ich an Perry denken.
Reiß dich zusammen, sonst sind wir alle verloren, mahnte mein Extrasinn. Ich gab ihm recht.
Denise stockte kurz, dann sah sie uns ernst an.
»Nun ratet mal, welchen Namen die Dämonen trugen?« Erwartungsvoll sah sie in die Runde: »Terraner!«
*
Das war wirklich eine Überraschung. War das reine Propaganda von Monos oder hatte es wirklich einen Kampf zwischen Cantaro und Terranern auf Herreach gegeben? Meist schrieben die Sieger die Geschichte, daher wäre es nicht verwunderlich, wenn sie die Terraner als Dämonen hingestellt hätten. Eine Manipulation der Herreach war naheliegend.
Was erwartest du von jemanden, der die DNS von Insekten manipuliert, um die Menschheit auszurotten? Dass er vor den Herreach Halt macht?
Manchmal verfluchte ich meinen Extrasinn für seinen überdimensionalen Sarkasmus. Leider hatte er wieder einmal recht.
»Hier kommen wir nicht weiter«, stellte ich nüchtern fest. Die anderen beiden stimmten mir zu. Wir machten uns auf den Weg, das Gebäude zu verlassen, als plötzlich einige Herreach mit gezogenen Waffen vor uns standen. Denise wollte nach den beiden Thermostrahlern unter ihrer Robe greifen, doch ich hielt sie zurück.
»Wessen werden wir beschuldigt?«, wollte ich wissen.
Ein Herreach trat hervor. Seine blauen Augen funkelten unter der Kutte hervor. Von seinem Gesicht konnte ich nur wenig erkennen, doch die durchsichtige Haut schien von Narben übersät zu sein.
Er ging auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Seine Finger umklammerten meine Kapuze. Ich wehrte mich nicht, in der Gewissheit, dass es sowieso sinnlos wäre. Ich konnte mich friedlich enttarnen lassen oder nach einem Feuergefecht. Da wir in der Unterzahl waren und ich sinnloses Blutvergießen verabscheute, ließ ich ihn gewähren. Die anderen Herreach wichen entsetzt zurück, als sie mein Gesicht sahen.
»Terraner!«, fauchte der Vernarbte.
3. Kalsolo
Mit einer Kutsche brachten sie uns fort. Wohin, blieb uns vorerst verborgen. Ich betrachtete Alaska und Denise. Anscheinend stieß meine Vorgehensweise bei den beiden auf Unverständnis. Jedenfalls interpretierte ich das aus ihren finsteren Mienen.
Ich beschloss, nicht näher darauf einzugehen, beide waren vielleicht noch zu jung, um mich zu verstehen. Auf Denise Joorn traf das sicherlich zu und im Vergleich zu mir war Alaska auch noch ein junger Spund.
Hob ich langsam ab? Alaska war älter als jeder Normalsterbliche. Zweifelsohne hatte auch er eine große Erfahrung. Ich war nervös. Vielleicht waren wir alle auch nur so angespannt, weil die Situation so beklemmend war. Die Menschheit existierte quasi nicht mehr auf der Erde. Die meisten von uns waren tot. Alles schien so hoffnungslos und traurig.
Plötzlich öffneten sich die Türen der Kutsche und die Herreach forderten uns auf, das Gefährt zu verlassen. Zog man die Umstände in Betracht, waren sie höflich. Wir kamen ihrer »Bitte« unverzüglich nach. Die auf uns gerichteten Projektilwaffen machten uns die Entscheidung nicht sonderlich schwer.
Vor uns ragte eine gewaltige Burg in die Höhe, die eines englischen Königs würdig gewesen wäre. Die Palastmauer erstreckte sich, soweit ich erkennen konnte, über mehrere hundert Meter.
Die Herreach brachten uns in ein prunkvolles Empfangszimmer. Jede Menge Kostbarkeiten, verzierte Möbel und Gemälde schmückten den königlich wirkenden Raum.
Wenige Momente später betrat eine ganze Schar an Herreach das Zimmer. Sie umringten einen relativ jungen Vertreter ihres Volkes, der ein edles Gewand trug. Sein Kopf wurde nicht von einer Kapuze bedeckt. Ich betrachtete das haarlose Gesicht und das rüsselähnliche Nasenorgan, welches sein junges Gesicht prägte.
Er setzte sich auf den Thron und musterte uns von oben bis unten. Dann gab er den Wachen ein Zeichen. Sie stellten uns Stühle hin und wir nahmen Platz.
»Ihr seid Terraner«, stellte der junge Herreach fest, zweifelsfrei einer ihrer Anführer. Ich beschloss, kein Geheimnis daraus zu machen. Was hatten wir schon zu verlieren?
»In der Tat. Wir stammen von der Erde, jedoch aus einer anderen Zeit. Dies mag für euch ungewöhnlich klingen, und doch es ist wahr. Wir sind auf der Suche nach einem Verbrecher mit dem Namen Monos.«
Der Herreach massierte sein Kinn und starrte uns ausdruckslos an. Was er wohl dachte? Hielt er uns für schwachsinnig oder gar für finstere Dämonen?
»Mein Name ist Kalsolo, ich bin der König Herreahs. Niemand außer der Führungsriege unseres Volkes kennt den Namen Trokan. Diese Bezeichnung unserer Welt ist ein Synonym für das Chaos.«
Ich schmunzelte innerlich. Was wusste der schon vom Chaos? Wenn dieser Knabe wüsste, dass Monos im Auftrage des Chaos die Herreach versklavte, würde er aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Es ihm zu erklären, war jedoch sicherlich vergebliche Liebesmüh.
»Nur den Regenten und ihren Vertrauten ist die Geschichte Herreahs vor der Erlösung bekannt. Wir wissen von der Versklavung durch die Terraner.«
»Das ist eine Lüge«, begehrte Alaska auf. »Euer Planet wurde aufgrund eines Plans von Thoregon in unser System transferiert. Das ist eine mächtige Organisation. Kummerog war nur ein …«. Er stockte. Dann sah er zu mir und Denise herüber. Ich ahnte, was jetzt kommen würde. Warum hatten wir nicht früher daran gedacht. Obwohl – der Zeitpunkt war denkbar günstig!
»Du kennst die Geschichte von Kummerog, dem Erlöser?«, fragte Alaska nun wesentlich ruhiger. Kalsolo blickte ihn misstrauisch an.
»Natürlich. Kummerog, der sich häutet. Seine Häute sind seine Propheten. Sie verkünden das Wort des Kummerog«, intonierte Kalsolo voller Ehrfurcht.
Meine Augen ruhten auf Alaska Saedelaere. Über dessen Lippen huschten ein feines Lächeln, dann streifte er seine Kutte ab, die wallend zu Boden glitt. Er öffnete sein Hemd und entblößte die Haut.
»Ich bin ein Träger von Kummerogs Haut!«
Ein Raunen ging durch die Herreach. Einige riefen »Ketzer« und »Lügner«. Kalsolo blieb ruhig und musterte eingehend jede Gallertblase der Haut, die sich um Alaskas Nacken und Brust gelegt hatte.
»Haut, kläre Kalsolo über Kummerog auf«, befahl Saedelaere. Sofort führte sie seine Anweisung aus, verließ Alaska und kroch auf Kalsolo zu, der sie mit weit geöffneten Augen anstarrte. Die anderen Herreach brüllten in Panik auf und liefen ziellos durch den Raum umher. Einige richteten ihre Gewehre und Lanzen auf das Gallertwesen.
Die Haut blieb direkt vor Kalsolo stehen, der sie ungläubig betrachtete. Zögerlich hob er seine Hand und streckte ihr einen Finger entgegen. Seine Neugier siegte über die Furcht. Langsam berührte die Haut seinen Finger. Es erinnerte mich an den Erstkontakt zu einem scheuen Hund. Ich fragte mich nur, wer hier das Tier war.
Kalsolo zuckte zusammen, als die Haut seine Hand umschloss und seinen Arm entlang zu seiner Schulter kroch, um schließlich Nacken und Brust zu umhüllen.
Der vernarbte Herreach trat an uns heran, richtete seine Pistole auf uns und blickte drohend Alaska an.
»Wenn Kalsolo etwas geschieht, erschieße ich euch alle.«
»Ihm wird kein Leid zugefügt werden«, versicherte Alaska Saedelaere ruhig.
Nach einer Weile glitt die Haut von Kalsolo ab und bahnte sich ihren Weg zurück zu Alaska Saedelaere. Ich bemerkte seine Traurigkeit, als die Haut sich wieder um ihn gelegt hatte.
Kalsolos Gesicht war bleicher denn je. Langsam drehte er den Kopf zu seinen Artgenossen und stierte sie wirr an. Nach einer halben Ewigkeit endlich wandte er sich uns zu.
»Kummerog, der Cantrell … die Herreach in Symbiose mit den Terranern …«, murmelte er leise. »Dann sind die Cantaro …?«
Ich beschloss, Kalsolo unsere Geschichte zu berichten. Er sollte alles über Monos und seine Cyborgs erfahren.
*
Bedrücktes Schweigen. Ich gönnte Kalsolo die Zeit, die er zum Verstehen brauchte. Es war sicher nicht leicht für ihn, all das zu realisieren. Ohne Kummerogs Haut hätten wir den Herreach niemals überzeugen können. Wir verdankten ihr unser Leben.
»Dann sind die Cantaro die Dämonen, die uns seit Jahrtausenden manipulieren und unterdrücken«, schlussfolgerte Kalsolo.
»Aber König! Das ist Blasphemie«, mahnte der Vernarbte.
»Schweig, Chonos! Es ergibt alles einen Sinn. Die brutale Vorgehensweise der Cantaro uns gegenüber: Sie diente nicht dem Glauben an Kummerog und Shimbaa, sondern sollte uns gefügig machen.«
Wütend sprang Kalsolo von seinem Thron auf und lief gereizt hin und her. Ich beobachtete jede seiner Bewegungen. Was mochte in ihm vorgehen? Wer konnte so eine Enthüllung schon leicht verkraften? Eben noch glaubte sein Volk an stählerne Götter und finstere Dämonen, und nun wurde ihm klar, das all dies eine Lüge war!
Plötzlich hörten wir draußen Krach. Schreie! Türen wurden aufgebrochen. Dann Stille! Kalsolo blickte uns an. Ich glaubte, Angst in seinen Augen lesen zu können.
Schritte! Laut.
Metallisch, wisperte mein Extrasinn.
Ich wollte instinktiv zu meiner Waffe greifen, doch die Herreach hatten sie uns abgenommen. Die Schritte kamen näher, dann öffnete sich mit einem Knarren die große Tür zum Thronraum. Die Herreach wichen erschreckt zurück.
Der Anblick eines Cantaro musste für die leichtgläubigen Wesen immer wieder aufs Neue ein Schock sein. Diesem Volk war es das Höchste, den eigenen Körper mit Implantaten auszustatten.
Der rechte Cyborg wirkte normal, doch der linke glich einer ausfahrbaren Kameralinse. Der Kopf war haarlos und bleich. Der gesamte Körper wurde von einem eng anliegenden, schwarzen Panzer umhüllt. Die rechte Hand fehlte. An ihrer Stelle ragte eine Art Thermostrahler heraus. Zahlreiche weitere Implantate übersäten den humanoiden Körper.
Die Herreach warfen sich ehrfürchtig auf den Boden, senkten ihre Köpfe und huldigten dem »Krieger Gottes«. Der Cantaro beachtete sie nicht. Nur Kalsolo blieb stehen. Das fiel dem Cantaro auf. Er musterte den Anführer der Herreach abfällig.
»Ihr beherbergt Dämonen in eurem Palast«, sprach der Cyborg metallisch. Herrisch deutete er auf uns. »Ich werde sie mitnehmen und verhören. Sprecht mit niemandem darüber.«
Kalsolo blickte uns an, dann schaute er unsicher zum Cantaro herüber. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, starrte verlegen auf den Boden und ballte die Fäuste. Dann trat der demonstrativ einen Schritt hervor.
»Ich werde die Fremden verhören, Mashol. Bis jetzt haben sie sich sehr friedlich gezeigt.«
Der Cantaro ging auf uns zu.
»Widerspruch ist zwecklos«, antwortete er beiläufig. Dann hob er seinen Waffenarm und richtete ihn auf uns. Sein Kameraauge zoomte und drehte sich hektisch.
»Atlan, Denise Joorn und Alaska Saedelaere. Kommt mit mir mit, oder ich werde euch töten.«
Kalsolo gab dem vernarbten Herreach ein Zeichen. Der zog sich unauffällig in einen Nebenraum zurück.
»Nein«, widersprach ich entschlossen. »Richte deinem Herrn Monos aus, dass er zu uns kommen soll, wenn er etwas will.«
Der Cantaro stand bewegungslos vor uns und schwieg. Anscheinend versuchte er, neue Instruktionen einzuholen. In diesem Moment kam der Vernarbte aus dem Nebenraum zurück. Er trug unsere Waffen.
Ich nutzte die Gelegenheit und stürzte mich auf den Gegner. Denise und Alaska stürmten zu dem Herreach und holten sich unsere Waffen. Mit einem Schlag drückte mein Gegner mich weg. Dann packte mich seine Pranke am Hals und hob mich hoch.
Der drückende Schmerz in meinem Kehlkopf ließ mich beinahe besinnungslos werden. Die Luft wurde knapp. Mit aller Kraft versuchte ich den Arm des Cantaros wegzuschlagen, doch ich versagte. Mir wurde schwarz vor Augen.
Da zischten Blitze auf. Der stählerne Griff wurde lockerer, dann ließ mich Mashol fallen. Während ich noch nach Luft rang, sah ich wie Denise Joorn und Alaska Saedelaere mehrmals auf den Cantaro feuerten, bis dieser leblos auf den Boden knallte.
»Danke«, keuchte ich benommen.
Du hättest das ja auch Alaska überlassen können, spottete mein Extrasinn. Wie immer war ich ihm sehr »dankbar« für diesen Rat.
Denise Joorn betrachtete den zerstörten Cantaro. Die anderen Herreach erhoben sich und starrten Mashol fassungslos an. Kalsolo und Chonos rissen sich als erste zusammen und gewöhnten sich an den Anblick des toten Gotteskriegers.
»Das sind eure Götter«, rief ich laut. Dann packte ich seinen Waffenarm und riss ihn mit aller Kraft aus der Verankerung.
Lässig warf ich ihn auf den Boden. Die Herreach starrten entsetzt auf den Arm.
»Nichts weiter als ein sterbliches Wesen. Ihr wurdet unterdrückt und hinters Licht geführt.«
Applaus! Jemand klatschte. Ich sah mich überrascht um, konnte jedoch nicht genau ausmachen, von wo der Beifall kam. Dann wurde es wieder still. Kurz danach hörte ich ein lautes Dröhnen. Genaugenommen war es eher ein Summen.
Ich kannte dieses Geräusch. Mein Rücken wurde schweißnass. Das konnte nicht sein! Alaska und Denise richteten ihre Energiestrahler in die Richtung, aus der das Summen sich näherte. Ich starrte die Wand an. Mir fiel erst jetzt die Glaskuppel an der Decke auf. Just in diesem Moment wurde sie durchbrochen. Die Splitter prasselten auf uns nieder. So schnell wie möglich wichen wir zurück. Die Herreach schrien in Panik auf und rannten aus dem Saal. Ich starrte auf die zerbrochene Kuppel. Die gigantische Wespe schwebte langsam auf uns zu.
»General Fykkar«, murmelte ich leise.
*
Denise Joorn sprang behände wieder auf und richtete den Strahler auf Fykkar.
»Das würde ich lassen«, rief eine andere Stimme.
Plötzlich stürmten ein Dutzend Cantaro in den Raum und umstellten uns, während Fykkar selbstsicher auf dem Boden landete.
Vier Cantaros rannten auf mich zu, traten mir in den Magen und rissen mir die Waffe aus der Hand. Denise und Alaska erging es nicht anders. Das Klacken von Fykkars Greifzähnen klang amüsiert.
»So begegnen wir uns wieder, Menschen.« Dann zeigte er in die Richtung der Tür. Ich drehte mich dorthin und starrte die sich nahende Person an.
Ich brauchte nur wenige Sekunden, um zu erkennen, wer auf uns zukam. Der untersetzte Mann mit den wasserstoffblonden Haaren und den blauen Augen trug eine schwarze Kombination. Schnellen Schrittes betrat er den Raum. Zwei Meter vor uns blieb er stehen und lächelte souverän.
»Atlan, Alaska – und Miss Joorn!« Denise bedachte er mit einem Augenzwinkern. »Herzlich willkommen! Ich fragte mich schon, wann ihr endlich auftauchen würdet.«
Monos! Ich starrte unseren Feind hasserfüllt an. Auf diesen Moment hatte ich gewartet, doch nun konnte ich keine Rache üben. Der blonde Mann blickte uns amüsiert an.
»Atlan, sieh mich nicht so böse an«, lachte Monos. »Ich habe dir deinen miesen Trick mit dem Vario-500 inzwischen vergeben.« Dann wurde der Sohn von Taurec und Gesil wieder ernst. »Ich fürchte dennoch, dass ihr jetzt sterben werdet.«
Mit stilsicherer Bewegung wandte er sich ab und verließ den Raum. Kurz vor der Türschwelle blieb er stehen, drehte sich erneut zu uns um und hob den Zeigefinger. »Doch keine Sorge, ihr werdet ganz langsam sterben. Es besteht die Möglichkeit, dass ihr noch genügend Zeit haben werdet um zuzusehen, wie euer Herz aufhört zu schlagen.«
4. Monos
»Wie lange sollen wir noch warten?«, fragte Jaques de Funes ungeduldig. Jaques de Funes trat von einem Bein aufs andere. Icho Tolot hingegen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Wir verhalten uns ruhig. Denken Sie daran, dass die Cantaro uns sehr schnell finden können«, erklärte Tolot. »Mich wundert es sowieso, warum sie hier noch nicht aufgetaucht sind.«
Der Haluter blickte seine beiden Gefährten an. Im Grunde war er froh, dass die Cantaro noch nicht aufgetaucht waren. Mit diesen beiden Komikern könnte er sicher keine Schlacht schlagen.
Allerdings machte er sich Sorgen um Atlan und seine Begleiter. Wenn die Cantaro wenig Interesse an der Space-Jet zeigten, hatte dies vielleicht den Grund, dass sie ihr Augenmerk auf Atlan, Alaska und Denise Joorn gerichtet hatten. Dennoch war sich der Haluter sicher, dass er und die anderen beiden unter Beobachtung standen.
Der Haluter versuchte, Funkkontakt mit Atlan herzustellen. Nach dem ersten, misslungenen Versuch, bei dem die Antwort ausblieb, verstand Tolot, dass Atlan und die anderen gefangen waren. Der Gigant wandte sich seinen beiden »Helfern« zu und erklärte ihnen die Situation.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Leopold hilflos.
»Ich gehe da nicht heraus. Ich habe zu hohen Blutdruck, um die zu befreien«, meckerte de Funes.
Tolot stand auf. Beide wichen instinktiv zurück. Die beiden kleinen Wesen hatten sich an die Präsenz des dreieinhalb Meter großen Haluters immer noch nicht so ganz gewöhnt. Vor allem, wenn er sich schnell bewegte und Entschlossenheit ausstrahlte.
»Ich gehe!«, beschloss Tolot. »Sorgen Sie dafür, dass die Space-Jet unentdeckt bleibt. Orten Sie regelmäßig das Terrain. Sollten sich Cantaro nähern, fliehen Sie zur Not mit der Space-Jet in den Schutz der Sonne.«
Leopold und Jaques de Funes sahen den Haluter fragend an.
»Verstanden?«, grollte Tolot absichtlich laut. Die zwei zuckten zusammen und nickten hastig.
»Keine Sorge, Icho! Du kannst dich auf mich verlassen«, meinte Leopold betont lässig. De Funes bedachte ihn mit einem unfreundlichen Blick.
»Auf Sie? Pah, ich übernehme natürlich das Kommando.«
»Sie? Kommt nicht in Frage. Ich bin der geborene Kommandant«, widersprach der Somer aufgebracht. Die beiden gifteten sich an, während Tolot dann doch laut seufzte. Er bewaffnete sich und verließ das Schiff.
*
Die Cantaro brachten uns zum Pilzdom. Während Monos in seinem Gleiter thronte, mussten wir den ganzen Weg zu Fuß gehen. Die Cantaro und einige Herreach, darunter auch Kalsolo und Chonos, begleiteten uns. Monos hatte ihnen befohlen, einer Demonstration beizuwohnen.
Fykkar flog knapp neben uns. Das Knacken seiner Greifzangen ging durch Mark und Bein.
Ein guter Rat wäre jetzt hilfreich, meinte ich zu meinem Extrasinn.
Jetzt kommst du an, entgegnete mein Extrasinn pikiert. Versuche die Herreach zu einer Revolte zu bringen. Tausende Herreach gegen ein Dutzend Cantaro erhöhen unsere Chancen!
Fykkar flog uns direkt an. Seine Fühler streckten sich bedrohlich. Das laute Summen der Flügel erinnerte mich an einen riesigen Schwarm Hornissen. Jedoch war dies »nur« eine Wespe. Dafür umso gigantischer. Fykkar schien voller Genugtuung zu sein.
»Ich frage mich, wieso Monos dich nach Trokan mitgenommen hat? Anscheinend hast du die ganzen neuen Erkenntnisse recht gut verarbeitet«, meinte Alaska scheinbar gelassen zu dem Insektoiden. Fykkar umrundete uns, bis er schließlich direkt neben Saedelaere flog.
»Eure infantilen Bestrebungen, Insekten und Menschen zu vereinigen, werden fehlschlagen. Mit Hilfe der Cantaro werden wir wieder Ordnung nach Insektoida bringen.«
Alaska starrte ihn unbeeindruckt an. Selbst wenn er Gefühle gezeigt hätte, so wäre Fykkar kaum in der Lage gewesen, die Mimik des Terraners zu interpretieren. Für Fykkar sahen alle Menschen gleich aus.
»Im Lager der Cantaro wartet eine Überraschung auf dich, Alaska Saedelaere«, brummte der General der Insekten, stieg dann steil in die Luft und sauste viele Meter vor uns wieder herunter. Das Gespräch schien für ihn beendet zu sein. Alaska blickte mich nun besorgt an. Was meinte Fykkar damit?
Denise stolperte zu Boden, nachdem ein Cantaro sie angestoßen hatte. Alaska lief zu ihr und wollte ihr hoch helfen, doch die schwarzhaarige Frau schaffte es allein. Gereizt schob sie Alaska zur Seite und lief weiter. Nach ein paar Schritten bedankte sie sich trotzdem bei ihm.
Ich musterte die Gegend. Es wirkte hier alles ziemlich surreal. Bizarre Felsformationen, ausgedörrte Bäume, Wüste. Aber es war nicht heiß, sondern eher ziemlich kühl. Der Himmel, von grauen Schleiern bedeckt, spiegelte unsere Zuversicht wieder – trist.
Etwas mehr Enthusiasmus, Barbar, mahnte mein Extrasinn. Welcher Zynismus! Verdammt, warum sollte ich noch frohen Mutes sein? Der einzige Sinn meiner Existenz bestand noch darin, Rache zu nehmen. Monos musste sterben. Wenn es mir möglich war …
Ich blickte mich um. Nein! Zu viele Cantaro! Monos‘ Gleiter wurde bestens bewacht. Sicher verfügte er über einen Schutzschirm. Es war sinnlos, ihn anzugreifen. Zumindest hier. Und wie sollte ich die Herreach zu einer Revolte bewegen? Aussichtslos war das.
Ich seufzte laut. Denise und Alaska sahen mich kurz an. Ich missachtete sie und gesellte mich zu Kalsolo. Der junge Herreach forschte in meinen Augen. Neben ihm trottete Chonos. Dann blieben beide stehen.
Ich erkannte ihre Ehrfurcht, als sie vor dem Pilzdom standen. Ihre Blicke schweiften nach links. Auf dem Gipfel eines Hügels stand majestätisch ein Abbild des Riesen Shimbaa. Ich erkannte das Wesen, welches einst durch die mentale Kraft der Herreach entstanden war. Zweifelsohne verfügten die hageren Humanoiden nicht mehr über diese Gabe.
»Der Riese Shimbaa war einst ein Produkt eures hoch entwickelten Geistes«, erklärte ich ihnen, während ich fasziniert die lebensechte Statue betrachtete. Ich merkte, wie überrascht die beiden Rüsselnasigen waren.
»Ein Symbol eurer Freiheit«, fügte ich leise hinzu.
»Und so stand es geschrieben in den längst vergessenen Büchern«, fügte Kalsolo plötzlich hinzu. Ich schaute ihn fragend an. »Wenn der Riese Shimbaa über uns erwacht, werden die Herreach frei sein.«
Alaska Saedelaere und Denise Joorn hatten Kalsolos Worte mitbekommen. Die Frau bedachte den weißen Riesen Shimbaa mit merkwürdigen Blicken. Dann lief sie weiter und wir folgten ihr.
Endlich erreichten wir den Pilzdom. Um ihn herum waren Container aufgestellt, in denen die Cantaro stationiert waren. Ein etwa zwanzig Meter langes Haus, in jeder Himmelsrichtung mit Wachtürmen bestückt, ragte direkt vor dem Pilzdom aus dem Boden.
Überall erkannte ich bewaffnete Posten. Es mussten insgesamt mehr als fünfzig Cantaro hier stationiert sein. Wir passierten ein Landefeld, auf dem zwei ihrer charakteristischen Buckelschiffe ihren Platz gefunden hatten.
Direkt vor dem Haus parkte Monos‘ Gleiter. Ein Cantaro erstattete ihm gerade Meldung. Mit geneigtem Kopf hörte er zu. Dann sah er uns. Monos schwang sich aus dem Gefährt und schlenderte grinsend auf uns zu. Er breitete die Arme aus.
»Willkommen in meinem bescheidenen Haus. Leider werdet ihr es euch nicht gemütlich machen können.« Er hob die Hand. »Generalfähnrich!«
Ein Cantaro packte mich an der Schulter und drückte mich auf den Boden. Zwei weitere ergriffen Alaska und Denise und zwangen sie, sich ebenfalls hinzukauern. Sie legten uns Ketten an. Monos stellte sich vor uns, stemmte die Arme in die Hüfte und musterte uns amüsiert.
»So unendlich lange habe ich darauf gewartet. Natürlich war Perrys Tod der Höhepunkt meiner Rache. Allerdings sehe ich dieses Vergnügen als Nachtisch an …«
Er drehte sich zum Pilzdom um. Schwacher Wind spielte mit seinem hellen Haar. Dann wandte er sich wieder uns zu. Kalsolo trat unterwürfig an seinen Herrn heran. Er ging auf die Knie und neigte sein Haupt.
»Diese Fremden sind gute Menschen«, bat er. »Zeigt Barmherzigkeit, wie es Shimbaa und Kummerog tun würden.«
Monos verdrehte die Augen und trat Kalsolo mit seinem Stiefel ins Gesicht. Der Herreach brach zusammen. Dann beugte sich Monos zu ihm hinunter und packte ihn an der Kehle.
»Soll ich dir etwas sagen? Euer Kummerog war nichts weiter als ein gewöhnlicher Verbrecher mit ein paar mutantischen Fähigkeiten. Und euer Riese Shimbaa ist nichts weiter als ein Relikt längst vergangener Träume.«
Er ließ den stöhnenden Kalsolo los und stand auf. Gleichgültig blickte er auf ihn herunter.
»Die Herreach sind eine unbedeutende Rasse. Es wäre besser, ihr stellt keine Fragen. Es dauert vielleicht fünf Minuten, deine Artgenossen auszurotten, wenn ihr mir lästig werdet. Kooperation statt Ungehorsam! Verstanden?«
Kalsolo nickte schwach.
»Gut, dann wäre das geklärt.«
Monos klatschte vergnügt in die Hände und rief General Fykkar zu sich. Die Wespe schwebte laut surrend heran.
»Bringe Mister Saedelaere seine Überraschung«, bat Monos.
Fykkar knackte Zustimmung und flog zu einem Container. Er zog eine Frau heraus. Es war Ydira!
»Nein!«, rief Alaska auf. »Sie hat doch nichts damit zu tun. Sie ist ein harmloses Bauernmädchen!«
Fykkar zerrte Ydira zu den anderen und warf sie auf den Boden. Dann landete er direkt neben Monos. Dieses Ungeziefer wurde mir von Sekunde zu Sekunde verhasster. Ich hätte es töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.
»Sie ist dem Gesetz nach deine Frau. Ein primitives, aber in meinen Augen wirksames Gesetz«, bemerkte Monos. »Wie heißt es doch so schön: Bis dass der Tod euch scheidet? Ich würde sagen, vereint über den Tod hinaus. Welche Poesie!«
Saedelaere riss sich vom Cantaro los und drückte Ydira an sich. Die junge Frau war sichtlich verstört.
»Alaska, du gut?«, fragte sie in ihrem gebrochenen Interkosmo. In diesem Moment zweifelte ich nicht daran, dass sich die Menschheit wieder erholen würde. Diese junge Frau dachte nur an ihn. Eine Eigenschaft, die die Terraner immer wieder auszeichnete. Sie ignorierte ihre eigene Angst aus Liebe zu diesem Mann. Alaska nickte schwach und drückte die junge Frau an sich.
»Wie rührselig. Die Schöne und das Biest«, spottete Monos. »Vom Fragmentträger zum Träger einer Gallertmaske. Oh, Alaska. Einmal ein Freak, immer ein Freak.«
Alaska ballte seine Fäuste und richtete sich auf. Dann stürmte er auf Monos zu. Fykkar sprang in die Luft, holte aus und traf Alaska an der Stirn. Der Hautträger fiel rückwärts auf den Boden und blieb benommen liegen. Ydira lief schreiend zu ihm.
»Seien wir ehrlich, Alaska: Während deiner normalen Zeit warst du schrecklich langweilig. Und das bist du eigentlich immer noch. Ich verstehe nicht, wie man dir überhaupt einen Zellaktivator geben konnte«, grübelte Monos laut. »Nun, das wird sich gleich ändern …«
*
Die beiden eher kleinwüchsigen Wesen hockten auf ihren Plätzen und beobachteten die Kontrollen des Schiffes. Die Abtaster zeigten nichts an. Ab und an piepste die Ortungsanlage schrill auf. Zur Erleichterung von Leopold und Jaques de Funes handelte es sich jedoch nur um Tiere, die an der Space-Jet vorbeizogen.
»Warum sitzen Sie eigentlich auf dem Sessel des Kommandanten?«, fragte Leopold plötzlich aufgebracht. De Funes tat so, als sei er beschäftigt und tippte auf der Tastatur herum, ohne wirklich zu wissen, was er da eigentlich eingab.
»Hey, Hakennase!«, rief Leopold laut.
Nun bewegte de Funes betont langsam den Kopf nach links und betrachtete den Somer gelangweilt.
»Jemand wie ich ist eine Führungsperson. Ich bin schließlich Geschäftsführer. Sie sind nur ein Tellerwäscher, Leopold …«
Leopold stemmte die Flügel in die dicken Hüften und klapperte wild mit dem Schnabel. Dann sprang er zum Sessel des Kommandanten und versuchte, de Funes herunterzudrücken. Der kleine Franzose wollte natürlich nicht kampflos den Platz räumen, umklammerte Leopold und versuchte, ihn von sich zu drücken. Beide rangen und polterten schließlich zu Boden, bis plötzlich die Ortung wieder laut aufheulte. Die Kampfhähne ignorierten das Geräusch und widmeten ihre volle Aufmerksamkeit dem Kompetenzgerangel.
»Cantaro in zwei Kilometern Entfernung«, meldete die Schiffssyntronik schließlich mit Nachdruck. Sofort stoppten die beiden die Rauferei und starrten einander entsetzt an. Beide huschten hoch, doch de Funes gelang es als Erster, auf dem Sitz des Kapitäns Platz zu nehmen.
»An die Kontrollen, Offizier!«, befahl der kleine Franzose mit der Halbglatze. Leopold strafte ihn mit einem strengen Blick, dann setzte er sich an die Ortung.
»Mist! Drei Cantaro nähern sich uns. Sie fliegen in einem Gleiter und sind bestimmt bald hier.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte de Funes hilflos.
»Ich dachte, du bist der tolle Anführer?«, erwiderte Leopold sarkastisch. De Funes fuchtelte wild mit den Armen umher.
»Sapperlot, ich bin Handelsvertreter in einem kleinen, terranischen Betrieb. Der einzigen Person, der ich was sagen kann, ist unser Hausmeister. Und der ist halb taub! Außerdem siezen wir uns noch, Mister Leopold …«
Die beiden wurden langsam aber sicher immer hektischer. Leopold hackte wahllos auf den Schaltflächen herum.
»Ich hab eine Idee«, rief er plötzlich. »Wir sperren die Cantaro hier ein. Wir verlassen das Schiff, übertragen aber die Schiffssteuerung auf einen Pikosyn. Wir verstecken uns in den Dünen und wenn die Cantaro das Schiff untersuchen, schließen wir sie ein.«
De Funes machte eine nachdenkliche Pose.
»Das könnte gehen.«
Er musterte Leopold etwas abfällig. Offenbar behagte es ihm gar nicht, dass der Somer diese gute Idee gehabt hatte und nicht er selbst. Die beiden sammelten das Nötigste zusammen und erteilten der Bordsyntronik den Befehl, auf ihr Kommando zu warten. Sobald sie außerhalb des Schiffes waren, würden sie die Syntronik zum Handeln auffordern. Die Koordination des Schiffes wurden auf eine kleine Fernsteuerung übertragen. Jaques de Funes nahm sie demonstrativ an sich.
»Es war aber meine Idee«, tadelte ihn Leopold und versuchte, die Steuerung an sich zu reißen. De Funes hielt sie jedoch geschickt in die Höhe. Die paar Zentimeter Unterschied reichten. Der Franzose konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen, als Leopold verzweifelt und mit ausgestreckten Flügeln hüpfend versuchte, das Gerät zu ergattern.
»Achtung, feindliche Cantaro kommen in Sichtweite«, warnte der Bordrechner. Leopold ließ sofort von seinen Versuchen ab. Hektisch packten die beiden alles zusammen und rannten aus der Luke. Beide prallten seitlich gegeneinander, als sie gleichzeitig durch das Schott wollten. Keiner der Dickköpfe gab nach.
Schließlich zwängten sie sich irgendwie durch und eilten wie von Furien gehetzt den Sand entlang. Keuchend und außer Atem ließen sie sich hinter eine Düne fallen und beobachteten die Cantaro, die langsam auf das Schiff zu gingen.
»Atlan und die anderen werden staunen«, frohlockte Leopold. Jaques de Funes bedachte ihn eines mürrischen Blickes, dann lugte er wieder durch das Fernglas. Leopold wollte sich das auch angucken und tatschte nach dem Feldstecher. Genervt zog de Funes das Gerät weg, doch Leopold ließ nicht locker.
»Alles müssen Sie an sich reißen. Sind Sie immer so?«
»Das sagen gerade Sie, Sie aufgeblasener Truthahn!« De Funes schmunzelte über seinen Vergleich. Leopold schwieg. Inzwischen hatten die Cantaro das Schiff betreten. Hastig kramte de Funes die Fernsteuerung aus der Tasche.
»Welcher Knopf war das noch mal? Oder musste ich den Befehl einfach rein sprechen?«
Leopold verdrehte die Augen und schnappte sich die Steuerung. De Funes wollte sie wieder zurückholen, doch Leopold drehte sich herum und versteckte das Gerät unter seinem rechten Flügel.
»Jetzt muss erst einmal der Meister ran«, sprach er wichtigtuerisch und musterte ratlos die Steuerung. Dann drückte er einfach einen Knopf. Eine Sekunde später verging die Space-Jet in einer lauten Explosion. Die Teile flogen in alle Richtungen und zurück blieb ein brennender, rauchender Haufen Terkonitstahl.
»Ups …«, machte Leopold und ließ die Steuerung fallen. Jaques de Funes starrte entgeistert auf die einstige Space-Jet. Leopold nahm zwei Rucksäcke und lief schon mal los. De Funes bemerkte einige Momente später den flüchtenden Somer, schnappte sich seine Tasche und rannte brüllend hinter ihm her.
*
Monos stand vor uns und musterte jeden von uns. Er schien die Angst in uns auszukosten und zu genießen.
»Es ist Zeit zu sterben. Fykkar, beginne mit deinem Ritual.«
Der Wespenartige ließ sich nicht zweimal auffordern. Er knackte bedrohlich mit den Fängen. Seine Fühler malten das Zeichen der Freude. Dann fuhr er seinen Stachel aus und schwebte zu Ydira herüber. Alaska versuchte sich von den Cantaro loszureißen, doch er hatte keine Chance gegen die Kraft dieser Cyborgs. Keiner von uns hatte sie.
Fykkar schwirrte direkt über Ydira, die auf dem Boden lag und von zwei Cantaro festgehalten wurde. Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu befreien. Auch Alaska kämpfte mit aller Kraft. Doch beide konnten dem Schicksal nicht entkommen. Fykkar senkte sich langsam, bedrohlich kam sein Stachel näher, bis er Ydiras Bauchdecke berührte, hineinstieß und sein Gift in ihren Körper spritzte.
Monos Augen blitzten bei diesem Schauspiel auf. Fykkar zog den Stachel fast schon sanft aus der wimmernden Frau heraus, die anfing, schneller und schneller zu atmen. Ihre Augen rollten, der Körper zitterte unkontrollierbar. Ydira stieß grausame Schreie aus. Das Gift tat seine Wirkung. Ihre Haut färbte sich grünlich.
Die Cantaro ließen sie los. Monos gab dem Leutnant der Cyborgs einen Wink. Dieser warf Alaska zu Boden, der auf Ydira zu kroch und ihre Hand ergriff. Er versuchte sie zu umarmen.
»Du darfst nicht sterben. Nein!«
Tränen schossen aus Alaskas Gesicht. Ich beobachtete Monos, der voller Genugtuung das Ende der jungen Frau beobachtete. Sie zitterte haltlos. Immer heftiger schüttelte sich ihr Körper. Schaum bildete sich vor ihrem Mund. Sie bäumte sich auf, schrie ihren Schmerz heraus. Die Augen schienen aus den Augenhöhlen zu quellen.
Alaska kniete verzweifelt neben ihr. Er konnte nichts mehr für sie tun. Plötzlich fing sie an zu röcheln, der Körper erschlaffte. Sie starrte Alaska an, ihre Augen wurden glasig und schließlich leer, während Saedelaere sich über sie beugte und weinte.
Monos Lippen umspielte ein feines Lächeln.
»Amüsant. Nun, bei Atlan und Alaska wird diese Methode nicht wirken. Fykkar wird wohl etwas durchdringender sein müssen. Aber Miss Joorn wird dasselbe Vergnügen genießen wie diese Barbarenfrau.«
Zwei Cantaro packten Denise und warfen auch sie zu Boden. Sie machte keine Anstalten, sich zu wehren, bemühte sich, ihre Würde zu behalten bis in den unabwendbaren Tod.
Fykkar begann seinen Todesflug. Er fuhr den Stachel aus und senkte sich über Denise Joorn. Sie warf den Kopf zur Seite.
Ein grauenvoller, lauter Schrei lenkte die Riesenwespe von der Frau ab. Ich nutzte den Moment und riss mich von meinem Bewacher los. Freund und Feind blickten auf den Giganten, der mit ausgebreiteten Armen neben der Statue des Riesen Shimbaa stand. Seine drei roten Augen glühten.
»Knallt ihn ab«, brüllte Monos.
Sofort eröffneten die Cantaro das Feuer auf Icho Tolot. Der Haluter riss einen gigantischen Felsbrocken in die Höhe und schleuderte ihn auf die Angreifer. Es schien, als würde er wenig Rücksicht auf uns nehmen, denn der Gesteinsbrocken schlug nur knapp neben uns auf. Kalkuliertes Risiko, vermutete ich. Der Boden bebte. Wir hatten die Gelegenheit, uns von unseren Bewachern loszureißen.
Denise rollte auf die Füße und flüchtete sich zu Tolot. Einige Cantaro feuerten auf sie. Tolot zog einen Strahler, der für uns Menschen eher einer Panzerfaust glich und schoss auf die Angreifer.
Drei wurden von der Wucht des Energiegeschosses auseinander gerissen, der Rest ging in Deckung. Ich suchte Schutz hinter dem großen Stein. Alaska kauerte noch bei Ydiras Leiche und schien wie in Trance.
»Alaska, komm her«, rief ich aufgeregt. In dem Moment hörte ich Fykkars tödliches Surren. Ich hatte keine Waffe. Was sollte ich tun? Der mörderische Insektoide raste auf Alaska zu, der ihn endlich bemerkte und im letzten Moment zur Seite wich. Der schwertähnliche Stachel fuhr ins Leere. Saedelaere riss sich zusammen und rannte zu mir.
»Das wurde aber auch Zeit«, keuchte ich. »Wir müssen uns zu Icho durchschlagen.«
Alaska nickte knapp, schaute über die Kante des Felsbrockens und zog hastig seinen Kopf zurück, als eine Energiesalve knapp an ihm vorbeizischte.
»Ohne Waffen sehen wir ziemlich alt aus«, bemerkte der Hautträger. »Aber haben wir eine andere Wahl?«
»Nein«, stellte ich fest. »Los!«
Wir verließen die Deckung. Weit kamen wir nicht, denn ein halbes Dutzend Cantaro warfen sich uns entgegen. Sie rissen uns zu Boden. Gegen ihr Gewicht kam ich nicht an. Verzweifelt blickte ich zu Kalsolo.
»Helft uns! Befreie dein Volk und hilf uns!«, flehte ich ihn an. Der Herreach starrte uns trübsinnig an. Dann wandte er sich von uns ab. Die Cantaro hatten uns in ihrer Gewalt und richteten ihre Waffen auf uns. Icho Tolot zog sich mit Denise Joorn in die Berge zurück. Schnell verlor ich sie aus den Augen. Knapp zwei Dutzend Cantaro verfolgten sie.
Monos baute sich vor uns auf. Er sagte kein Wort, sondern holte mit dem Stiefel aus und trat mir direkt in den Magen. Ich krümmte mich vor Schmerzen.
»Was für ein infantiler Versuch. Es sieht so aus, als sei euch ein langsamer Tod nicht vergönnt.«
Ich hasste seine Stimme. Monos entsicherte seinen Thermostrahler und richtete ihn auf Alaska Saedelaere, dessen Blick Ydiras Leichnam suchte. Gleichgültig starrte er in die Mündung des Strahlers und erwartete sein Ende.
*
Sie spürte die Cantaro förmlich im Nacken. So schnell sie konnte, kletterte Denise den Hügel herauf, rutschte ab, schlitterte die schroffe Felswand ein, zwei Meter hinab und fand wieder Halt. Sie warf einen kurzen Blick nach unten. Mühelos schwebten die Cyborgs auf ihren Antigravfeldern den steilen Hügel hoch.
Verzweifelt zog sie sich nach oben. Plötzlich ergriff eine riesige Hand ihren Arm und zog sie hoch. Denise realisierte sofort, um wen es sich handelte. Noch während Tolot sie auf seine Schulter setzte, zog sie ihre Thermostrahler und feuerte auf die Cantaro. Drei zerbarsten. Ihre Stücke rollten den Berg hinab.
Tolot beschleunigte auf achtzig Stundenkilometer. Denise krallte sich am roten Stoff seines Raumanzuges fest. Sie drehte ihren Kopf nach rechts.
Aus den Augenwinkeln erkannte sie weitere Cantaro. Sie hakte ihr Bein in einen Träger des Anzuges ein und drehte sich herum. Sofort feuerte sie auf den Cyborg, der krachend auf den Boden prallte. Ein zweiter erwiderte das Feuer und traf Tolot. Denise starrte auf die Wunde.
»Alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut«, brummte der Haluter. Sein verhärteter Metabolismus kompensierte den Einschuss.
Joorn genoss den »Ritt« und feuerte ununterbrochen auf die angreifenden Cantaro. Plötzlich verschwanden sie. Tolot stoppte abrupt.
»Wir müssen Atlan und Alaska retten.«
Denise nickte. Ihr fiel wieder die Statue des Riesen Shimbaa ein. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie löste sich von dem Haluter und sprang zu Boden.
»Du lenkst die Cantaro ab. Ich habe einen Plan.«
»Ich nehme nicht an, dass du mich einweihst«, vermutete Tolot. Dann entblößte er sein mächtiges Gebiss. Offenbar versucht er zu lachen, überlegte Denise. Sie schenkte ihm ein »terranisches« Lächeln.
»Zu wenig Zeit. Wir sehen uns unten …«
Geduckt hastete sie zur Statue des Riesen Shimbaa. Der Schweiß rann ihr von der Stirn. Während des Laufens band sie ihr offenes Haar zu einem Zopf zusammen. Ihre Augen registrierten jede Bewegung. Hinter jedem Stein konnte ein Cantaro lauern. Dann endlich erreichte sie den weißen Riesen.
Sie versteckte sich hinter den säulengroßen Beinen und beobachtete das Szenario in Monos‘ Station. Entsetzt bemerkte sie, dass der Verbrecher eine Waffe auf Alaska richtete.
»Nein«, stieß sie leise aus.
Die Herreach standen daneben und schauten zu. Nur Kalsolo trabte unruhig auf und ab. Ihre Vermutung schien sich zu bewahrheiten. Jetzt kam es auf diesen einen Versuch an.
Sie stellte den Thermostrahler auf eine schwache Leistung ein und begann, die Säulen zu durchtrennen. Ein lautes Brüllen ließ sie hochschrecken und hastig mit dem Strahler in alle Himmelsrichtungen fuchteln.
Das Gebrüll stammte allerdings von Icho Tolot, der einen erneuten Angriff auf die Cantaro wagte. Doch selbst ein Haluter hatte keine große Chance gegen diese Übermacht.
Nervös verfolgte sie den Fortschritt ihrer Arbeit. Warum konnte das nicht schneller gehen, dachte sie unruhig. Ein metallisches Knarren ließ sie in ihren Bewegungen verharren.
»Waffe fallen lassen«, forderte der Cantaro sie auf.
Denise stieß eine Verwünschung aus, erhob sich und drehte sich mit erhobenen Händen langsam um. Sie warf die beiden Strahler vor den Cyborg. Dann verschränkte sie die Arme hinter ihrem Kopf. Unbemerkt fuhr sie mit der rechten Hand in ihren Rucksack und holte den Antigrav heraus.
»Befehlsempfang. Liquidierung von Denise Joorn. Bestätigt!«, murmelte der Cantaro in sein Kollektiv. Er hob die Waffe. Denise ging langsam rückwärts.
»Daraus wird nichts«, meinte sie gelassen, drehte sich um und sprang mit aktiviertem Antigrav auf die Statue. Die durchgetrennten Säulenbeine gaben nach und sie sackte mitsamt dem steinernen Riesen in die Tiefe. Denise rutschte beinahe ab und hielt sich im letzten Moment am Nacken der Statue fest. Der Antigrav stabilisierte ihren Fall. Der Steinkoloss schwebte.
Der Cantaro verstand sehr schnell und eröffnete das Feuer. Ein Schuss streifte sie an der Schulter. Joorn biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf ihren Plan.
Sie legte sich auf den Rücken des Riesen, so dass sie niemand von unten erkennen konnte. Die Herreach schrien voller Ehrfurcht auf, als Shimbaa über ihnen kreiste. Dann schrien sie wieder, denn die Cantaro schossen auf das Symbol ihres Glaubens.
Denise stockte der Atem. Ein Arm der Statue wurde zerfetzt. Sie steuerte ihren »Gleiter« langsam zum Pilzdom und bemerkte den aufkeimenden Tumult unter den Herreach.
»Kommt schon. Kämpft!«, flüsterte sie unhörbar. Es war eine verzweifelte Hoffnung.
5. Kampf im Pilzdom
»Wenn der Riese Shimbaa über uns erwacht, werden die Herreach frei sein«, hörte ich Kalsolo murmeln. Ich riss mich für einen kurzen Moment von meiner Wache los und packte den Herreach.
»Shimbaa ist erwacht. Nun tut etwas für eure Freiheit.«
Ein stechender Schmerz ließ mich zusammensacken. Ich fiel zu Boden und rollte mich herum. Monos! Alaska nutzte die Ablenkung und rannte los. Monos schnellte herum und richtete seinen Strahler auf Saedelaere. Mit aller Kraft zwang ich mich aufzustehen und warf mich auf ihn.
Monos ließ die Waffe fallen, packte mich am Kragen und schlug auf mich ein. Mit einem Dagorgriff löste ich mich und rammte mein Knie in seine Nierengegend. Prustend ließ Monos von mir ab und rollte sich weg. Ich achtete kurz auf Kalsolo, der Monos Thermostrahler aufhob, zu einem Cantaro ging und abdrückte. Der Cyborg brach auseinander.
»Für die Freiheit«, brüllte Kalsolo.
Ein zweiter Cantaro richtete sein Energiegewehr auf den Anführer der Herreach. Doch ein Blitz flammte auf und warf den Angreifer zu Boden. Ich schwenkte nach links und erkannte Chonos.
Die anderen Einheimischen zögerten keine Sekunde. Sie stürzten sich auf die Cyborgs. Einige sammelten die Energiegewehre der gefallenen Cyborgs auf, anderen nahmen Mistgabeln, Speere oder gar ihre bloßen Fäuste.
Konzentriere dich auf Monos!, mahnte mein Extrasinn. Sofort besann ich mich auf meine eigentliche Aufgabe: Meine Rache an Monos. Wo war er? In dem Getümmel konnte ich ihn nicht entdecken. Tolot raste an mir vorbei und schlug etliche Container der Cantaro in Trümmer.
Am Himmel sah ich den schwebenden Riesen Shimbaa, der direkt auf Monos‘ Residenz zuraste. Ich wusste immer noch nicht, wer oder was dieses Wunder bewirkt hatte. Doch da, war das nicht … Ich glaubte an eine Sinnestäuschung! Das war Denise Joorn auf dem Rücken Shimbaas! Sie hielt sich fest und sprang ab, kurz bevor die Steinstatue in Monos‘ Anwesen vor dem Pilzdom krachte.
Suche im Pilzdom nach ihm.
Mein Extrasinn hatte recht. Doch wie kam ich hinein? Nur mit einem … Passantum! Alaska hatte solch ein Gerät! Ich warf mich auf den Boden, um einer Energiesalve auszuweichen, robbte ein paar Meter und fand Saedelaere hinter einem Stein kauernd. Er war leicht verwundet und schoss aus seinem Versteck heraus auf eine Stellung der Cantaro.
»Gib mir dein Passantum«, forderte ich Saedelaere auf. Mein unsterblicher Gefährte blickte mich eine Sekunde fragend an, dann streifte er das Gerät von seinem Handgelenk und übergab es mir.
»Viel Glück«, flüsterte er.
Plötzlich stieß mich etwas von der Seite an. Es hob mich hoch und schleuderte mich auf den Boden. Fykkar! Ich sah den Stachel auf mich zu schnellen, wollte nach links ausweichen, doch der Weg war versperrt. Alaska sprang auf und feuerte auf die Wespe. Ein Schuss traf den Flügel. Fykkar taumelte und krachte auf den Boden.
»Lauf!«, brüllte Saedelaere.
Mühsam raffte ich mich auf, konnte meinen Blick aber nicht von ihrem Kampf abwenden. Fykkar sprang auf, holte mit seinem Greifarm aus und schlug Alaska ins Gesicht. Der Terraner flog auf den Boden und verlor die Waffe.
Ich griff nach der meinen, doch sie war nicht mehr da. Entsetzt starrte ich auf den Platz, wo ich noch eben gelegen hatte. Dort war sie. Zu spät! Fykkar setzte an. Nein! Nicht auch noch Alaska! Der Stachel schoss auf den benommenen Saedelaere zu.
Mit lautem Gebrüll stürzte sich Icho Tolot dazwischen und fegte Fykkar regelrecht weg. Der Wespenartige sauste in hohem Bogen durch die Luft und prallte gegen die Felswand. Er rutschte reglos zu Boden. Das reichte mir, um Alaska in Sicherheit zu wissen. Schnell holte ich meinen Strahler und setzte den Weg zu Monos‘ Behausung fort.
Ich suchte nach Denise. Allerdings fand nicht ich sie, sondern sie mich. Mit einem breiten Grinsen warf sie sich neben mich zu Boden und deutete auf zwei sich nähernde Cyborgs.
»Dir hat der Flug wohl Spaß gemacht?«, vermutete ich.
»Oh ja!« Sie sprang auf und streckte einen Cantaro nieder. Zwei weitere nahmen seinen Platz ein. Denise zielte erneut:
»Mit denen werde ich alleine fertig, erledige Monos!«
Ich nickte und rannte weiter. Der Pilzdom war nur noch wenige Meter von mir entfernt. Ich blickte kurz auf mein Passantum, dann hatte ich auch schon die Wand des Doms erreicht. Ich presste meine Hände auf den kalten Stahl, der plötzlich nachgab und mich durchließ.
*
Die Brücke!
Was sonst, du Narr?
Ich blickte mich fasziniert um. Zu meiner Linken und Rechten schwebten Planeten, Sonnen und ganze Galaxien. Voller Demut vor den Erschaffern dieses Wunders wanderte ich die alte Holzbrücke entlang.
Denk an den Teufel!
Ich drängte meine Begeisterung für die Brücke in die Unendlichkeit zurück, besann mich auf meine Aufgabe und zog den Strahler.
»Monos!«, brüllte ich laut.
Doch niemand antwortete. Plötzlich öffnete sich eine Pforte direkt neben mir und Monos stürmte heraus. Mit einem Tritt schickte er mich zu Boden. Ein zweiter schlug mir meine Waffe aus der Hand. Diese schlitterte die Brücke entlang.
Die Schmerzen in meinem Bein ignorierend, versuchte ich sie zu erreichen, doch Monos war wieder einen Zug voraus. Er trat in meine Wunde, was grausame Schmerzen verursachte. Kraftlos blieb ich liegen, rollte mich zusammen und ließ seine Tritte und Schläge über mich ergehen. Nach einer halben Ewigkeit hörte er auf. Er ging auf die Knie und spuckte mir ins Gesicht.
»Nun, du hast gut gekämpft, alter Arkonide. Aber wie Perry wirst auch du sterben.«
Er blickte zum Seitenende der Brücke, machte eine abschätzende Geste und musterte mich grinsend.
»Wie tief es da wohl runtergeht?«
»Probiere es doch aus«, fletschte ich die Zähne, raffte mich auf, packte ihn am Hals und warf ihn zur Seite. So oft es ging, schlug ich mit den Fäusten auf ihn ein. Immer wieder und wieder. Wie ein Wilder hämmerte ich meine Fäuste in sein Gesicht.
Das Blut strömte aus Nase und Mund. Zu spät bemerkte ich, wie Monos aus seiner Hose ein Messer zückte: Erst als er es mir in die Seite stach. Schreiend krümmte ich mich und ließ von ihm ab.
Auch mein Gegner war angeschlagen: Taumelnd fuchtelte er mit dem Messer umher, stürmte auf mich los. Doch noch hatte ich Kraft und schickte ihn mit einem Tritt auf den Boden. Er krallte sich an meinem rechten Arm fest und drückte das Messer an meine Brust. Instinktiv packte ich seine Hand und drücke es weg. Wir rollten wieder auf die Mitte der Brücke zu. Ich stieß Monos von mir.
Er rollte zurück und kam wieder auf die Beine. Zwei Attacken mit dem Messer gingen ins Leere, doch ich verlor den Halt. Hinter mir dehnte sich der ewige Kosmos, in den ich fallen würde. In letzter Sekunde warf ich mich zur Seite.
Monos stürmte heran. Ich konterte den Angriff, packte seinen Arm und schleuderte Monos herum. Behände brachte sich Monos in eine neue Angriffsposition und wollte zustechen, ich hechtete nach vorne und rammte meine Schulter in seinen Magen.
Monos rutschte nach hinten und fiel über den Brückensteg. Verzweifelt versucht er Halt zu finden. Als er glaubte, sich wieder nach oben ziehen zu können, lachte er kurz auf. Dann rutschte er weiter ab, krallte sich verzweifelt am Holz fest, verlor den Halt und stürzte laut schreiend in die Tiefe des Alls.
*
Kraftlos sackte ich zusammen. Monos war tot! Endlich! Perry war gerächt. Und all meine anderen toten Freunde. Und nun? Leere umfasste mich. Für diesen Moment hatte ich weitergelebt. Nun konnte auch ich sterben. Mein Bein und mein Bauch schmerzten. Blut sickerte aus den Wunden.
Ich starrte in das Weltall. All diese wundervollen Sterne. Sie sollten das letzte sein, was ich sah.
Und Frauenbeine.
Frauenbeine?
Eine Halluzination? Mein Gott, so sexbesessen war ich doch auch nicht, dass ich ausgerechnet jetzt an eine schöne Frau denken musste. Ich musterte das Beinpaar vor mir. Ihre wunderschönen Füße wurden von offenen Schuhen zur Geltung gebracht. Ihre Zehen waren lang und wirkten so weich. Die Fußnägel schimmerten. Mein Blick folgte den langen Beinen. Unwillkürlich bewunderte ich, wie, makellos ihre Haut war. Sie trug ein knielanges, seidenes Gewand. Mein Blick wanderte höher, bis zu einem schönen Gesicht. Es lächelte mich an.
»Hi …«, stammelte ich. »Kennen wir uns?«
Die Schönheit beugte sich zu mir herab. Ich schloss die Augen. Das musste ein Engel sein. Ich war schon tot. Ihre Hände berührten mich und ich schrie auf. Diese Schmerzen!
Sanft war dieser Engel nicht! Sie legte ihre Hand auf meine Wunden. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, so stark wurde der Schmerz. Dann war er weg. Ich starrte auf die durchstochenen Stellen. Sie waren verheilt.
Die Frau reichte mir ihre Hand. Ohne zu zögern ergriff ich sie. Die Haut war sanft und weich. Aber etwas kalt.
»Ich bin Sanna Breen«, stellte sie sich vor.
Ich grübelte eine Weile, dann fiel mir der Name ein. Sie war eine TLD-Agentin gewesen, die die Aufgabe gehabt hatte, Cauthon Despair während der M 100 Expedition zu beschatten.
Dabei hatte sie zu ihm eine beispiellose Freundschaft entwickelt, verliebte sich aber in einen Dorgonen. Despair war blind vor Eifersucht gewesen und während eines Kampfes zwischen den beiden Rivalen, war sie durch sein Schwert gestorben. Das war im Jahre 1292 NGZ gewesen. Warum war sie nun hier? Auf der Brücke in die Unendlichkeit? Oder befand ich mich doch im Himmel?
»Sag mir«, begann ich zögernd, »warum sieht es im Himmel genauso aus wie auf der Brücke in die Unendlichkeit?«
Sanna musste lachen.
»Weil wir uns immer noch auf der Brücke befinden. Du bist nicht tot. Nun steh auf!«
Sie half mir hoch. Verwundert studierte ich ihre Erscheinung. Sie war real, kein Zweifel. Und doch war Sanna Breen seit langer Zeit tot. Wie passte das zusammen?
»Du hast viele Fragen. Das spüre ich.« Ihre Augen funkelten seltsam. Sie ging mit mir die Brücke entlang, bis wir vor einem Gebilde aus vier Galaxien standen.
»Das Kreuz der Galaxien. Das wird euer Ziel sein«, erklärte sie geheimnisvoll.
»Wieso?«, fragte ich nur.
»Eure Mission ist noch nicht zu Ende. Dies alles hier ist nur bedingt Wirklichkeit. Ja, wir sind noch im Jahre 1305 NGZ. Perry Rhodan und die anderen leben.«
Das war ein Hammer! Ich war sprachlos. Freude, Erleichterung, aber auch Unverständnis beherrschten meine Gefühlswelt.
»Dies hier war eine potentielle Zukunft. Sie kann und wird passieren, wenn MODROR nicht gestoppt wird. Vielleicht nicht exakt auf diese Weise, doch ähnlich düster und apokalyptisch«, erklärte sie weiter. Ich hatte weder das Bedürfnis noch die Kraft, ihr Fragen zu stellen. Ich hörte Sanna nur zu.
»Ich bin eine Gesandte DORGONs. Nach meinem Tod hat sich die Entität meiner angenommen. Seit Jahren versuche ich, Cauthon Despair von MODRORs Seite zu holen. Es gelingt mir nicht.«
Bedrückt schaute sie auf den Boden. Ich verstand schnell. Sie hegte immer noch große Gefühle für ihn, wollte ihn eines Besseren belehren und ihm helfen, ein gerechter Mensch zu werden.
Ich kannte Despair nicht persönlich. Zu lange war ich mit der SOL unterwegs gewesen. Von dem Tod Sanna Breens wusste ich auch nur durch Alaskas Schilderungen. Ich hatte jede Menge versäumt.
»DORGON ist von einem finsteren Virus befallen. Es ist deine Aufgabe, DORGON zu retten.«
»Wieso ich? Was vermag ein relativ Unsterblicher im Vergleich zu einer Entität zu leisten?«
»DORGONs Wesen ist reine Güte. Er ist zu gut, um sich zu wehren. Das ist seine Schwäche, die MODROR ausnutzt. Ihr habt hier eure Prüfung bestanden und gesehen, was aus der Menschheit werden kann. Nun müsst ihr euren Weg weitergehen.«
Ich war es ja gewohnt, dass Entitäten seltsam waren, aber das ging doch entschieden zu weit.
»Und die vielen Toten?«
»Die Wesen der WITMAE werden mit Ausnahme deiner Gefährten wohlbehalten in Cartwheel eintreffen. Die Wesen in der Zukunft werden erst noch geboren werden – oder auch nicht, wenn ihr die Apokalypse verhindert.«
»Und Monos?«
»Monos ist nicht tot. Er ist es nie gewesen. Doch im Jahre 1305 NGZ ist er auch keine Gefahr für euch.«
»Verstehe«, antwortete ich knapp und betrachtete die vier Galaxien, die seltsam miteinander verschlungen waren. Das Kreuz der Galaxien also, wie Sanna es nannte. Unser Ziel! Sie fuhr fort:
»Suche das Volk der Alysker. Eorthor wird euch weiterhelfen. Findet die Flotte der Kyberklons und befreit das Kreuz vom Joch MODRORs! Erwartet einen loyalen Freund DORGONs dort! Nehmt eines der Buckelschiffe! Das Sternenportal am Ende des grünen Systems bringt euch direkt ins Kreuz der Galaxien. Alles Weitere wird sich dort klären.«
Sanna schenkte mir ein weiches Lächeln, dann löste sie sich auf. Mit ihr verschwanden die Brücke und der Pilzdom, die Herreach, die Cantaro und der ganze Planet Trokan. Wir fanden uns in einer surrealen Welt wieder. Der Himmel war immer noch grün, doch um uns herum lag ein sich verdichtender grauer Schleier.
»Hallo?«, hörten wir zwei einsame Stimmen aus der Ferne rufen. De Funes und Leopold!
Tolot sammelte die beiden ein, die kurz und knapp erklärten, dass die Space-Jet nach einem harten Kampf zerstört worden war.
Deshalb sagte Breen, wir sollen ein Buckelschiff nehmen, erklärte der Extrasinn. Nur das Raumschiff war von der potentiellen Zukunft übrig geblieben.
Ich berichtete den anderen von Sanna Breen und ihrem Auftrag. Die Gefährten schwiegen, dann breitete sich Erleichterung aus. Sie nahmen die Information, dass man sich wieder im Jahre 1305 NGZ befand, wie die Erlösung aus einem Alptraum auf.
Nur Alaska schwieg und starrte in den grauen Dunst. Während die anderen in das Buckelschiff stiegen, ging ich zu meinem Freund und Gefährten. Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
»Du denkst an Ydira.«
Alaska nickte.
»Alles war hier sehr real. Ihre Liebe zu mir …«, er stockte für einen kurzen Moment, sah mich an und dann wieder ins Leere. »Auch wenn sie eine Art Fiktion war, vermisse ich sie jetzt. Und dass sie nie geschehen ist …« Seine Stimme verlor sich. Ich verstärkte den Druck meiner Hand.
»Komm, lass uns gehen. Wieder einmal warten kosmische Aufträge auf uns.«
Alaska drehte sich um und marschierte zum Schiff. Ich warf noch einen kurzen Blick in die graue Dunkelheit, dann folgte ich ihm. Wieder machten wir uns auf den Weg ins Unbekannte …
6. Auf dem Weg zu den Alyskern
Das Buckelschiff hatte den Orbit des vermeintlichen Trokan verlassen und steuerte den Rand des Systems an. Die vierzig Kilometer lange Sanduhr des Sternenportals kam in Sicht. Sie näherten sich der acht Kilometer durchmessenden Halbkugel des Energieschirms über der Transzender-Plattform und tauchten in das als Transmitter funktionierende Energiefeld ein.
Niemand wusste, was sie auf der anderen Seite erwartete. Während Icho Tolot an den Kontrollen saß und die Steuerung des Cantaro-Raumers übernahm, ruhte Atlan in seinem Sessel und versuchte, das Geschehene zu verstehen. Die letzten Worte Sanna Breens gingen ihm durch den Kopf:
Suche das Volk der Alysker. Eorthor wird euch weiterhelfen. Findet die Flotte der Kyberklons und befreit das Kreuz vom Joch MODRORs! Erwartet einen loyalen Freund DORGONs dort! Nehmt eines der Buckelschiffe! Das Sternenportal am Ende des grünen Systems bringt euch direkt ins Kreuz der Galaxien. Alles Weitere wird sich dort klären.
Der Arkonide seufzte. Es war immer wieder dasselbe mit den Entitäten. Nichts als nebulöse Andeutungen. Klare Worte schienen ihnen fremd zu sein. Icho Tolot hatte Atlans Seufzer bemerkt.
»Was bedrückt dich, Atlanos?«
Atlan schilderte dem Haluter seine Gedanken. Tolot stieß ein grollendes Lachen aus.
»Ja, so sind sie, die Entitäten. Aber in diesem Fall haben wir geradezu viele Informationen erhalten, finde ich.«
»Oh ja, wirklich«, stimmte ihm der Arkonide sarkastisch zu. »Befreit das Kreuz der Galaxien vom Joch MODRORs. Wenn es weiter nichts ist! Wir haben ja auch eine riesige Flotte mit Millionen schwer bewaffneten Truppen dabei.«
Icho Tolot winkte lässig ab und lachte so grollend, dass der Raum erzitterte.
»Wir haben doch schon viel schwierigere Dinge geschafft. MODROR hat keine Chance gegen dich, Atlanos.«
»Ich liebe deinen Sinn für Humor, Tolotos.«
»Hilfe! Hilfe! Ein Raumbeben! Es bebt!«, schrie plötzlich eine hysterische Stimme.
Es war Jaques de Funes, der in Unterhosen und Unterhemd in der Kommandozentrale erschienen war. Seinen Warnschrei unterstrich wildes Fuchteln.
»Alle Mann in die Rettungsboote! Gibt es hier überhaupt welche?«, fragte der Terraner ängstlich. Atlan wies ihn zurecht: »Regen Sie sich ab, Mann! Das war nur Icho, der über seine eigenen Witze gelacht hat.«
»Na, ich danke aber! Das hörte sich an wie die Posaunen von Jericho!«
Wieder musste Tolot grollend lachen. Diesmal über den seltsamen Terraner vor ihm.
»Sehen Sie, oder vielmehr hören Sie, de Funes?«, erkundigte sich der Arkonide, auf den Haluter deutend.
»Markerschütternd«, fand der Terraner.
Nun tauchte auch der Somer Leopold in der Zentrale auf. Er trug ein lila Nachtgewand samt Zipfelmütze.
»Was ist denn das für ein Radau hier? Wie soll man dabei schlafen? Ich hatte gerade so schöne Träume«, beschwerte er sich.
»Bestimmt wieder feuchte Träume«, lästerte de Funes.
»Stimmt, von Denise.«
»Sittenstrolch.«
Innerhalb kürzester Zeit waren der Somer und der Terraner wieder einmal in einen handfesten Streit verwickelt. Atlan schüttelte den Kopf.
»Und mit denen soll ich gegen MODROR ziehen? Vergiss es! Außerdem wissen wir ja nicht einmal, wo wir hin sollen.«
Atlan bemerkte, dass der Haluter sich auf den Kontrollmonitor konzentrierte.
»He, hör mir wenigstens zu, wenn ich mein Leid klage.«
»Verzeihung, mein Kleines, aber ich … hier ist etwas, das noch wichtiger als dein Leid ist. Das grüne Universum löst sich auf. Wir scheinen uns nun in einem unbekannten Territorium zu befinden. Ich muss ein paar Berechnungen anstellen, aber dazu benötige ich Ruhe«, meinte der Haluter, auf die sich immer noch lautstark streitenden Kampfhähne deutend.
»He, seid doch mal ruhig. Es gibt wichtige Neuigkeiten!«, rief Atlan, doch die beiden reagierten überhaupt nicht.
»Ruhe!«, grollte Icho Tolot so laut, dass die Kommandozentrale erzitterte.
Das wirkte. Leopold und Jaques de Funes verstummten sofort.
»Na bitte, geht doch«, meinte Atlan und fuhr fort: »Würdet ihr die Güte haben und Denise sowie Alaska wecken? Sie möchten bitte umgehend in die Zentrale kommen.«
»Wird gemacht, Boss. Ich wecke Denise«, stimmte Leopold begeistert zu.
»Kommt gar nicht in Frage! Sie wollen ihr doch bloß wieder was abgucken mit Ihren lüsternen Blicken. Ich wecke Denise und Sie Alaska«, protestierte de Funes, woraufhin der nächste Streit losbrach.
Atlans Gesicht lief rot an.
»Macht schon, ihr Witzfiguren!«
Eingeschüchtert verließen die beiden die Kommandozentrale. Immerhin einigten sie sich darauf, Denise Joorn gemeinsam zu wecken.
Als zehn Minuten später alle in der Kommandozentrale versammelt waren, berichtete Icho Tolot über seine Erkenntnisse.
»Das grüne Universum hat sich vollständig aufgelöst. Nach meinen Berechnungen befinden wir uns nun in einer Galaxis, die von den Terranern Seyferts Sextett genannt wird. Weitere Informationen gibt es wenig. Sie ist 190 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.«
»So weit weg! Meine Termine kann ich endgültig vergessen«, jammerte Jaques de Funes, woraufhin ihm Atlan einen strafenden Blick zuwarf. Danach zog es der Franzose vor zu schweigen.
Icho Tolot fuhr fort. »Die Bezeichnung Seyferts Sextett ist allerdings falsch, da es sich nicht um sechs, sondern nur um vier Galaxien handelt. Der terranische Forscher Seyfert hatte im 20. Jahrhundert eine Sechsergruppe angenommen, doch später fand man durch präzisere Teleskope heraus, dass zwei der Galaxien viel weiter entfernt sind, als anfänglich angenommen wurde«.
»Das ist ja ein Ding!«, meinte Leopold.
»Wir befinden uns damit im Kreuz der Galaxien, wie es von Sanna Breen genannt wurde«, schloss Tolot.
»Womit wir immerhin ein gutes Stück weiter wären, doch wir wissen immer noch nicht, wo unser eigentliches Ziel liegt«, meinte Atlan.
»Das werden wir wohl selbst herausfinden müssen«, bemerkte Alaska Saedelaere.
»Ich werde als erstes dieses Sonnensystem absuchen. Womöglich ist es kein Zufall, dass wir ausgerechnet hier herausgekommen sind«, erklärte Icho Tolot.
»Das ergibt Sinn«, stimmte Atlan ihm zu.
Tolot setzte sich wieder an die Kontrollen. Obwohl sie für ihn etwas zu klein geraten waren, kam er gut damit zurecht. Er war daran gewöhnt, fremde Raumschiffe zu fliegen. Schon bald entdeckte er einen interessanten Planeten. Nachdem er ihn gescannt hatte, berichtete er den anderen davon.
»Der Planet befindet sich ganz in unserer Nähe. Er ist der einzige Planet mit Sauerstoffatmosphäre in diesem System, welches insgesamt sieben Himmelskörper umfasst. Er trägt Spuren von Zivilisation: Ich habe größere Ruinenansammlungen entdeckt.«
»Ruinen? Das klingt gut. Ruinen interessieren mich immer«, meldete sich Denise Joorn zu Wort.
»Dann sollten wir uns dort einmal umsehen. Vielleicht gibt es dort Hinweise auf die Flotte NESJOR oder auf diese Alysker, von denen Sanna Breen sprach«, schlug Alaska vor.
Atlan stimmte ihm zu: »Gut. Bring uns dorthin, Tolotos.«
Eine Stunde später landete das Buckelschiff auf dem unbekannten Planeten. Trotz der dünnen Sauerstoffatmosphäre war er kalt und ungastlich. Er wirkte tot und karg. Der Himmel über der Landestelle war grau und trist. Ruinen erstreckten sich über Wüstenland.
Die Besatzung stieg aus und sah sich in dem Ruinenfeld um.
»Schon wieder so ein langweiliger Ort. Können wir nicht endlich mal auf einem Planeten landen, wo es schön ist und wo sich geile Girls in knappen Bikinis am Strand aalen?«, maulte Leopold unzufrieden.
»Sie können auch immer nur an das Eine denken, Sie Lustmolch! Man sollte Sie kastrieren«, gab de Funes bissig zurück.
»Nun streitet euch doch nicht schon wieder«, mahnte Alaska.
Als die beiden still waren, blickte Alaska versonnen über die faszinierende Ruinenlandschaft. Was mochte zum Untergang dieser einst blühenden Zivilisation geführt haben? Ob MODROR damit zu tun hatte? Hatte er diese Zivilisation vernichtet oder hatten die Bewohner sich selbst ausgelöscht, wie es so oft im Universum geschah?
7. Die fremde Welt
Die systematische Suche nahm einige Stunden in Anspruch. Besonders Denise Joorn, die Archäologin, war in ihrem Element. Sie sammelte viele Gesteinsproben, um sie später zu analysieren. Doch es waren ausgerechnet Leopold und Jaques de Funes, die den wichtigsten Fund machten.
Da der Frankoterraner keine Lust mehr hatte, nach alten Steinen zu suchen, wollte er es sich in einer Höhle bequem machen. Als Jaques de Funes das mitbekam, folgte er ihm und hielt ihm eine Standpauke. Der erneute lautstarke Streit lockte Icho Tolot an. Dabei stellte der Haluter schnell fest, dass es sich bei der »Höhle« um den Eingang zu einer verlassenen Station handelte, die, im Gegensatz zu den anderen Ruinen, noch ziemlich gut erhalten war.
Also versammelte sich die Gruppe vor der Station und machte sich daran, ins Innere vorzudringen. Je weiter sie ins Innere vordrangen, umso besser erhalten war die Anlage. Denise untersuchte die vorhandenen Artefakte gründlich.
Später entdeckten sie die Kommandozentrale der Station. Die dortigen Kontrollpulte waren noch in bestem Zustand. Icho Tolot machte sich daran, sie zu untersuchen.
Atlan wandte sich währenddessen an die Archäologin.
»Haben Sie schon etwas herausgefunden?«, erkundigte sich der Arkonide.
Denise nickte.
»Ich denke schon. Sowohl die Ruinen als auch die Station wurden mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von Humanoiden bewohnt. Ich schätze, diese Anlage und die Siedlung sind seit einigen tausend Jahren verlassen.«
Atlan überlegte.
»Seit einigen tausend Jahren? Dann kann es sich nicht um das Volk handeln, das Sanna Breen gemeint hat.«
»Die Alysker?«
»Richtig. Es sei denn, hier sind irgendwo Spuren, die zu ihnen führen.«
»Möglich. Es kann sich aber genauso gut um eine untergegangene Kultur handeln, die schon seit Jahrtausenden keine Rolle mehr spielt.«
Atlan dachte nach.
»Das wäre denkbar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir völlig ohne Grund ausgerechnet in dieses System geführt wurden. Darum müssen wir so viel wie möglich über diesen Planeten und seine ehemaligen Bewohner herausfinden.«
Icho Tolot winkte Atlan zu. Der Arkonide begab sich zu dem Haluter.
»Was gibt es denn, Tolotos?«
»Ich habe etwas gefunden. Es handelt sich um eine visuelle Aufzeichnung. Leider kann ich die Sprache nicht übersetzen. Aber es könnte interessant sein.«
»Prima, ich hole die anderen, dann spielst du sie uns vor.«
Leopold war nicht sehr begeistert.
»Ein Film ohne Synchronisation und nicht einmal mit Untertiteln, wie langweilig«, maulte er.
»Wir sind hier nicht im Kino. Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Mann«, wies ihn de Funes zurecht.
»Darf ich jetzt anfangen?«, fragte Tolot ungeduldig.
»Aber selbstverständlich, Herr Tolot. Nur zu«, erwiderte der kleine Terraner devot.
Nachdem endlich alle bereit waren, spielte Icho Tolot die Aufzeichnung ab.
Zunächst erschien ein Fischwesen, das wohl den Berichterstatter dieses Films darstellte. Dann erschienen Bilder verschiedener, fremder Welten. Sie alle hatten Idylle und Schönheit gemeinsam.
Das Fischwesen kommentierte offensichtlich jede dieser Welten.
Dann wechselte das Bild zu einem Planeten, der voller Wälder war. Dann kam ein menschenähnliches Wesen mit spitzen Ohren und großen Augen ins Bild. Das Fischwesen gab auch hierzu einige Erklärungen ab.
An dieser Stelle hielt Icho Tolot das Programm an.
»Was ist, Icho?«, fragte Atlan verwundert.
»Ich möchte die Szene noch einmal sehen. Mir ist etwas aufgefallen, aber ich möchte sichergehen.«
Der Haluter ließ das Band noch einmal bis zu der Stelle zurücklaufen, an dem der Humanoide erschien. Alle hielten den Atem an, als sie das Fischwesen das Wort »Alysker« sprechen hörten.
»Alysker! Also sind wir doch auf der richtigen Spur«, meinte Atlan.
Gebannt verfolgten die Gefährten den weiteren Verlauf der Dokumentation. Das Fischwesen wurde ernst und wirkte traurig. Gleich darauf erschienen Bilder von Skelettsoldaten und großen, walzenförmigen Raumschiffen, die einige der vorher gezeigten Welten angriffen. Die Bilder des Friedens verwandelten sich in Bilder der Zerstörung. Damit endete die Aufzeichnung.
Beim Anblick der Skelettsoldaten konnte Denise Joorn nur mühsam an sich halten. Das waren die Skurit-Soldaten MODRORs! Aufgeregt erklärte sie Atlan und Icho Tolot den Sachverhalt und schilderte ihnen ihre Begegnung mit den Skelettkämpfern im Hell-Sektor im Dezember 1298 NGZ während der Ereignisse auf dem SONNENHAMMER.
»Das bedeutet, dass das Kreuz der Galaxien ebenfalls von MODROR angegriffen wurde«, folgerte die Archäologin.
»Dieser Kerl ist aber auch überall. Unerhört!«, schimpfte Jaques de Funes.
»Meiner Ansicht nach wurde auch diese Welt hier von MODRORs Truppen angegriffen und entvölkert«, fuhr Denise Joorn fort.
»Das klingt plausibel«, meinte Icho Tolot.
»MODROR wird immer gefährlicher. Er stellt zweifellos eine gigantische Gefahr dar«, meinte Atlan nachdenklich.
»Wie gehen wir nun weiter vor?«, warf Alaska Saedelaere in die Runde.
»Wir werden diese Station weiter gründlich untersuchen. Wer weiß, was für interessante Hinweise sich hier noch befinden. Vor allem müssen wir nach Spuren der Alysker forschen«, erwiderte der Arkonide.
»Und wenn sie ausgestorben sind?«, fragte Denise beunruhigt.
»Das wäre fatal. Ohne die Hilfe dieses Volkes hätten wir keine Chance, hier etwas auszurichten. Ich glaube es aber nicht. Wären alle vernichtet worden, hätte Sanna Breen keinen Grund gehabt, uns diesen Hinweis zu geben.«
»Ruhe! Hört ihr nichts?«, fragte Jaques du Funes nervös.
Alle lauschten. Tatsächlich hörten sie ein seltsames, röhrendes Geräusch.
»Klingt wie ein Röhren«, meinte Alaska.
»Wie ein Bär im Winterschlaf. Es kommt von da hinten.«
Atlan zeigte auf einige Sessel, die hintereinander aufgereiht am anderen Ende der Zentrale standen.
»Wo ist eigentlich Leopold?«, fragte Denise.
»Himmel, er ist weg! Bestimmt wurde er von einem Monster gefressen. Und ich war immer so streng zu ihm«, rief de Funes entsetzt.
Atlan und Alaska zogen ihre Thermostrahler.
»Ich sehe nach. Ihr bleibt hier. Icho, du gibst mir Deckung.«
Wachsam und mit dem Strahler im Anschlag schlich sich der Arkonide zu den Sitzreihen, von denen das unheimliche Gegrunze kam. Als er den Verursacher der Geräusche erkannte, entspannte er sich und steckte seine Waffe wieder ein.
Leopold lag zusammengerollt in einem der Sessel und schnarchte vor sich hin. Der Film war ihm zu langweilig gewesen.
»Da ist ja unser Monster. Ein schnarchender Somer«, lachte Atlan.
»Da hört sich ja wohl alles auf! Sofort wach werden, aber dalli!«, empörte sich Jaques de Funes. Er begann, ihn zu rütteln.
8. Roggle
Nachdem die Gefährten ins Buckelschiff zurückgekehrt waren, um dort die Nacht zu verbringen, entschloss sich Alaska Saedelaere, der keinen Schlaf fand und sich als Wache freiwillig gemeldet hatte, die Station auf eigene Faust zu erforschen. Sicherlich war dies etwas leichtsinnig, aber er genoss es, einmal in Ruhe für sich selbst zu sein und wollte die paar Stunden ausnutzen, in denen er ohne das ständige Gezänk zwischen Leopold und Jaques de Funes vorgehen konnte, deren Unruhe sich zu oft auf die anderen übertrug. Außerdem war er wirklich alt genug, um solche Entscheidungen alleine zu treffen.
Icho Tolot hatte während der Suche einen Energiegenerator entdeckt und ihn aktivieren können, so dass die ganze Station beleuchtet war. Saedelaere beschloss, die unteren Gewölbe, die sie noch nicht betreten hatten, unter die Lupe zu nehmen.
Der Unsterbliche stieg vorsichtig die Stufen hinab. Er lauschte angestrengt, konnte jedoch nichts wahrnehmen. Alles schien ruhig. Am Fuße der Treppe begann ein großer Korridor, der dem zur Kommandozentrale führenden völlig glich. An seinem Ende befand sich eine Tür.
Saedelaere zögerte. Sollte er doch lieber warten, bis die anderen dabei waren? Doch dann siegte die Neugier. Der Terraner schritt auf die Tür zu und öffnete sie. Der Raum war nur schwach beleuchtet und voller grauer Maschinen und Apparaturen.
Alaska hörte Brummen. Die Maschinen arbeiteten noch. Womöglich schon seit Tausenden von Jahren. Doch wozu dienten sie? Als er weiterging, stutzte er. Was er sah, war eine Glaskuppel. Darin lag ein fremdartiges Wesen. Es war klein und unbekleidet. Es mochte nicht größer als einen Meter sein und war von grauer Hautfarbe. Das fremdartigste an ihm waren seine zwei Köpfe, die auf seltsame Weise miteinander verwachsen waren, ähnlich wie bei einem siamesischen Zwilling.
Zwei kleine Roboter schwebten durch den Raum, ohne Alaska zu beachten. Sie verabreichten dem Wesen intravenös Nahrung. Wer mochte das sein, der noch nach so langer Zeit am Leben gehalten wurde? Womöglich verfügte es über wichtige Informationen über die Alysker und konnte ihnen weiterhelfen.
Saedelaere überlegte kurz, dann entschloss er sich, das Wesen aus seiner Kammer zu befreien. Ihm war klar, dass das nicht risikolos war. Es bestand Gefahr, ihm Schaden zuzufügen. Doch die Aussicht, einen großen Schritt auf ihrer Mission weiterzukommen, überwog.
Außerdem war Saedelaere der Ansicht, dass es Absicht der Erbauer dieser Anlage war, dieses Wesen zu passender Gelegenheit zu wecken. Also wartete er, bis die Roboter wieder weggeschwebt waren. Dann untersuchte er die Schaltanlage und drückte er auf den Knopf, den er für den Öffnungsmechanismus der Kuppel hielt.
Und tatsächlich behielt er Recht: Langsam öffnete sich die Abdeckung. Saedelaere hielt den Atem an. Ein paar Minuten vergingen. Dann schlug das Wesen die Augen seiner beiden Köpfe auf. Es erblickte Alaska und … schrie! Es schrie wie am Spieß. So markerschütternd, dass sich Saedelaere einen Narren schalte, so voreilig gewesen zu sein. Selbstvorwürfe erfassten ihn. Er hätte vorsichtiger sein müssen. Womöglich hatte er dem Erwachenden schweren Schaden zugefügt und ihm große Schmerzen bereitet.
»Es, es tut mir leid. Das wollte ich nicht«, versuchte er das fremde Wesen zu beruhigen.
Der Terraner wollte dem Doppelköpfigen zeigen, dass er ihm nichts Böses wollte und legte ihm sanft die rechte Hand auf die Schulter. Daraufhin schrie das kleine Wesen noch schlimmer, kippte dabei von seiner Liege und fiel auf den Fußboden.
Auch das noch!, dachte Alaska zerknirscht.
Er versuchte dem Wesen aufzuhelfen, doch plötzlich schnellte es hoch und biss dem Terraner ins rechte Bein. Alaska schrie auf vor Schmerzen und ließ es los. Daraufhin sprang es auf und rannte in einem Tempo, welches Alaska nicht für möglich gehalten hatte, davon und verschwand. Saedelaere hielt sich das schmerzende Bein.
»Mistvieh! Hoffentlich hat der nicht Tollwut oder so etwas«, fluchte er.
Es wurde höchste Zeit, die anderen zu informieren.
*
Alaska weckte Atlan über Funk und bat ihn, zusammen mit Icho Tolot und Denise Joorn zur Station zu kommen. Als Alaska den dreien von seinen Erlebnissen berichtet hatte, wirkte der Arkonide alles andere als begeistert.
»Es wäre klüger gewesen, uns zunächst zu informieren, bevor du dieses Geschöpf aus der Kammer holtst. Von einem Mann deines Alters hätte ich mehr Umsicht erwartet«, warf er dem Hautträger vor.
»Du hast ja Recht. Die Neugier war leider stärker als ich«, gab Alaska reumütig zu.
Atlan hielt inne, da sein Extrasinn einen Vortrag darüber zu halten begann, welche Torheiten der Arkonide auch im fortgeschrittenen Alter schon begangen hatte, besonders wenn es sich um seine zahlreichen Liebschaften handelte. Er räusperte sich.
»Ähm, nun gut. Da das Kind nun einmal in den Brunnen gefallen ist, müssen wir es eben wieder herausholen. Wir müssen die Kreatur finden und mit ihr Kontakt aufnehmen.«
»Das Wesen muss sich noch in den unteren Gewölben aufhalten«, meinte Alaska.
»War es in der Aufzeichnung von vorhin zu sehen?«, wollte Denise Joorn wissen.
Alaska schüttelte den Kopf.
»Nein. Möglicherweise ist es gar nicht intelligent, obwohl es zwei Köpfe besitzt. Aber das können wir nur herausfinden, wenn wir es gefunden haben.«
»Richtig«, stimmte Atlan zu. »Mit unseren Ortern müssten wir es schnell aufgespürt haben. Seid äußerst vorsichtig. Wir wollen ihm keinen Schaden zu fügen.«
»Bis jetzt hat es nur mir Schaden zugefügt«, gab Alaska zu bedenken.
»Das kommt davon, wenn man so voreilig ist. Sicher hast du es nur erschreckt«, erwiderte Atlan etwas bissig.
»Also, lasst uns gehen, meine Kleinen«, forderte Tolot sie auf.
Mit Ortungsgeräten und Paralysatoren ausgerüstet begaben sich die vier in die unteren Gewölbe. Alaska zeigte den drei anderen den Raum, in dem er die Kreatur gefunden hatte.
Icho Tolot machte sich sogleich begeistert daran, die Apparaturen zu erforschen, während Atlan, Alaska und Denise sich auf die Suche nach dem Verschwundenen machten. Einige Stunden vergingen und die Nachforschungen verliefen ergebnislos.
Die drei fanden einen riesigen Maschinenpark und teilten sich auf. Denise streifte durch ein Labyrinth von Rohren und wollte schon konsterniert aufgeben, als sie plötzlich unter ein paar Rohren zwei kleine Beinchen erblickte.
Vorsichtig näherte sich die Archäologin dem Wesen, das unter den Metallröhren kauerte. Sie aktivierte ihren Translator und redete beruhigend auf das Wesen ein. Die Kreatur erblickte Denise, blieb aber ruhig. Dann kroch es auf die Terranerin zu, die erleichtert in die Hocke ging. Offenbar hatte das kleine, zweiköpfige Wesen Vertrauen zu ihr gefasst.
»Hallo, ich grüße dich«, sagte sie so sanft wie möglich zu dem kleinen Geschöpf.
Doch ehe sie sich versah, verzog sich einer der beiden Köpfe zu einer hässlichen Fratze und stieß einen hasserfüllten Schrei aus. Dann versetzte die Kreatur ihr eine schallende Ohrfeige, so dass sie das Gleichgewicht verlor und stürzte. Gleich darauf schnellte das Wesen an ihr vorbei und rannte davon. Benommen rappelte sich Denise auf. Sie hörte einen Schrei. Es war Atlans Stimme. Noch immer von der heftigen Ohrfeige benommen, taumelte sie auf den Arkoniden zu.
»Was ist passiert?«, fragte sie den Unsterblichen.
»Das Miststück hat mich gebissen. Was ist mit Ihnen?«
»Diese Kreatur hat eine Kelle wie ein Preisboxer«, erklärte die Terranerin und hielt sich die schmerzende Wange.
»Von wegen harmlos! Jetzt ziehen wir andere Seiten auf«, beschloss Atlan gereizt und holte seinen Paralysator hervor.
»Seien Sie nicht voreilig. Es hat vielleicht nur Angst vor uns«, versuchte Denise ihn zu beschwichtigen.
»Dazu wird es auch gleich Grund haben«, meinte der Arkonide finster.
Nachdem auch Alaska wieder zu ihnen gestoßen war, beschlossen die drei, zusammenzubleiben und gemeinsam die Suche fortzusetzen. Als sie nach einer Stunde keine Spur von dem Wesen gefunden hatten, entschlossen sie sich, in die Anlage zu Icho Tolot zurückzukehren. Auf halben Weg kam ihnen der Haluter entgegen. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie sahen, dass der Haluter das fremde Wesen unter einem seiner vier Arme hielt. Es zappelte und zeterte, hatte aber keine Chance, dem Druck des gewaltigen Arms zu entwischen.
»Hallo, da seid ihr ja endlich. Ich warte schon auf euch«, begrüßte Tolot seine Freunde.
Grimmig steckte Atlan seinen Paralysator wieder ein.
»Wo hast du das Ding denn aufgegabelt?«
»Das war ganz leicht. Es lief mir in der Anlage in die Arme. Der niedliche Kleine wollte wohl wieder in seine Kammer zurück.«
»Darauf hätten wir auch kommen können«, meinte Alaska.
»Ist das Kleine nicht süß?«, fragte Icho Tolot entzückt.
Die drei warfen dem Geschöpf misstrauische Blicke zu.
»Darüber kann man geteilter Meinung sein«, meinte Atlan und massierte sein schmerzendes Bein. »Aber egal. Am besten bringen wir es wieder zurück in seine Kammer. Vielleicht beruhigt es sich dort am schnellsten wieder.«
Icho Tolot brachte das unbekannte Wesen wieder zurück zu seiner Glaskuppel. Dort wurde es von den Robotern sogleich mit Nahrung versorgt. Während das zweiköpfige Wesen meckerte und zeterte, schaltete Icho Tolot den Translator ein, damit dieser Informationen über die Sprache der Kreatur sammelte. Sollte es intelligent genug sein, würde man sich mit ihm verständigen können.
*
Das fremde Geschöpf erwies sich als überaus redselig. Die beiden Köpfe schienen erregt miteinander zu diskutieren. Daher konnte der Translator in relativ kurzer Zeit die Sprache erlernen und mit dem Übersetzen beginnen. Da das Geschöpf zuerst Alaska kennengelernt hatte, sollte er versuchen, den Kontakt herzustellen.
»Ich grüße dich. Ich bin Alaska Saedelaere vom Planeten Terra. Dies hier sind meine Freunde Atlan, Denise und Icho.«
Nacheinander deutete er auf die drei. Das Wesen schien ihm tatsächlich zuzuhören. Misstrauisch beäugten die beiden Köpfe die vier Gefährten. Alaska fuhr fort:
»Wir sind Freunde. Wir wollten dich nicht erschrecken. Sollten wir dich verärgert haben, bitten wir um Verzeihung. Wir kommen von weit her und suchen nach Informationen. Dabei stießen wir auf diese verlassene Station. Außer dir ist niemand hier. Daher wollten wir mit dir sprechen. Außerdem dachten wir, du könntest vielleicht Hilfe brauchen.«
Alaska machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Er war sich nicht sicher, ob der Fremde seine Worte verstanden hatte.
»Wie heißt du? Wie lautet dein Name?«, fragte er.
Die Kreatur, beziehungsweise sein linker Kopf, antwortete. Es hörte sich an wie »Roggle«.
»Roggle?«, vergewisserte sich Alaska.
»Wir sind Roggle, ja«, antwortete das Wesen. Es verstand sie also.
»Wir?«, fragte Atlan misstrauisch. »Gibt es noch mehr von deiner Art hier?«
Das Wesen namens Roggle schüttelte traurig die beiden Köpfe.
»Nein, nur wir. Ich bin Rog und das ist Gle«, sagte der linke Kopf.
»Verstehe. Du brauchst keine Furcht vor uns zu haben. Erzähle uns von dir.«
Erzähle ihnen nichts, Rog! Sie sind Feinde! Sie sind böse! Wir müssen sie töten!
Nein, Gle! Ich glaube, sie sind gut. Wir sind schon so lange alleine hier. Wir brauchen neue Freunde.
Wir brauchen nur den Herrn, du Narr!
Aber der Herr ist nicht mehr da. Er kommt nie, nie wieder!
Wie kannst du nur so was sagen, Dummkopf! Er wird wiederkommen. Und er wird uns belohnen, wenn wir ihm die Körperteile dieser Eindringlinge zeigen. Schneiden wir ihnen die Arme und Beine ab!
Nein, das können wir nicht. Das dreiäugige Monster hat uns gefangen. Es ist viel stärker als wir. Wenn es gewollt hätte, hätte es uns mühelos töten können. Daher glaube ich, dass sie Freunde sind. Außerdem hat uns der eine, der sich Alaska nennt, befreit. Geben wir ihnen eine Chance, Gle.
Wie du willst, Rog. Dann sprich du mit ihnen. Du wirst schon sehen, was du davon hast.
*
»Roggle? Ist alles in Ordnung?«, fragte Alaska verwundert. Während des mentalen Zwiegespräches hatte Roggle still dagesessen und sie nicht beachtet.
»Ja, alles in Ordnung, Alaska. Gle und ich haben miteinander beraten. Gle misstraut euch. Er will noch nicht mit euch sprechen. Aber ich vertraue dir, Alaska. Du hast uns befreit. Dafür danken wir dir«, antwortete das Wesen.
»Bitte erzähle uns von dir, Roggle. Was hast du hier gemacht?«
»Ich war der Haussklave des Herrn dieser Station.«
»Und wie lange bist du hier schon allein?«
»Seit zwei Jahrtausenden. Viel allein. Nicht gut für unsere Köpfe.«
»Das hat man gemerkt«, konnte sich Atlan nicht verkneifen.
Alaska warf ihm einen strafenden Blick zu. Dann wandte er sich wieder Roggle zu.
»Kennst du die Begriffe »Kreuz der Galaxien«, »Dorgon« oder »Alysker«? Kannst du uns darüber etwas berichten?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Ja, das kann ich. Vor zwei Jahrtausenden war das Kreuz der Galaxien das Herz der Dorgonischen Lehre. Die Alysker waren DORGONs treueste Verbündete. Sie verkündeten sein Wort und sorgten für Frieden. Doch sie hatten ein schreckliches Geheimnis.«
»Ein schreckliches Geheimnis? Was denn für eins?«, fragte Denise Joorn neugierig.
»Dieses Geheimnis ist so geheim, dass nicht einmal ich es kenne. Es ist auch nur ein Gerücht, wie ein Windhauch in der Nacht«, sagte Roggle düster.
»Was ist mit dir? Wie kamst du hierher?«, wollte Alaska wissen.
»Roggle war damals noch jung, erst 750 Jahre alt. Rog und Gle waren Brüder und die Hausdiener des Herren dieser Stationen, eines gütigen Cyragonen. Doch dann hatten sie einen Unfall. Sie verschmolzen während eines Transmitterdefekts. So wurde aus Rog und aus Gle Roggle.«
Alaska schluckte. Dieses Schicksal berührte ihn zutiefst, weckte es doch eigene, bittere Erinnerungen. Roggle fuhr fort.
»Nach vierhundert Jahren Zweiseins in dieser Station griffen die Soldaten MODRORs an und verwüsteten das Kreuz der Galaxien. Dieser hinterhältige, überraschende Angriff war nur durch Verrat möglich gewesen, denn alle Planeten der Galaxien wurden von gewaltigen Schutzschirmen und Dimensionsfeldern geschützt.
Doch durch die Schuld der Verräter wurden die Verteidigungsanlagen deaktiviert. Die Verteidiger waren wehrlos und so konnten MODRORs Armeen das Kreuz der Galaxien innerhalb kürzester Zeit ins Chaos stürzen, darunter auch den Planeten Cyragon, auf dem sich diese Station und die umliegende Siedlung befand.
Das gesamte Reich der Cyragonen, dem zweitwichtigsten Volk des Kreuzes der Galaxien, brach zusammen und Dunkelheit brach herein. Die ganze Stadt war verwüstet worden, nur die Station überstand den Angriff. Eines Tages waren die Feinde weg und Cyragon geriet in Vergessenheit. Die Cyragonen waren tot oder geflohen. Doch für Roggle war gesorgt. Er blieb in der Kammer, aus der er ab und zu ausstieg. Gesellschaft hatte er nicht. Nur die Roboter kümmerten sich um ihn und versorgten ihn mit allem, was er zum Leben brauchte.
So blieb Roggle einsam und verlassen, zweitausend Jahre lang, bis auf den heutigen Tag.«
Nachdem das Wesen geendet hatte, schwiegen die Gefährten, bewegt von dem Schicksal dieser Welt, die – wie so viele andere – ein Opfer MODRORs geworden war. Schließlich war es Atlan, der das Schweigen brach.
»Und die Alysker? Weißt du, was aus ihnen wurde?«
»Das weiß Roggle nicht. Nach der Katastrophe wurden sie nicht mehr gesehen. Tut uns leid«, erwiderte der linke Kopf.
»Leid! Leid! Bah, Humbug! Mir tut es nicht leid. Was geht die das an?«, geiferte der rechte Kopf, der sich erstmals zu Wort meldete.
»Weil sie uns geholfen haben und wir ihnen helfen wollen. Freunde tun das«, gab der linke Kopf namens Rog zurück.
»Was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Atlan die anderen.
»Hierlassen können wir ihn nicht«, befand Denise.
»Vollkommen richtig. Wir nehmen ihn mit«, schlug Alaska vor.
Atlan seufzte.
»Ich habe befürchtet, dass ihr das sagen würdet. Mir ist dieses Wesen nicht geheuer. Er wirkt irgendwie schizophren.«
Roggle kam heran.
»Roggle lieb. Roggle ist euer Freund«, versicherte er treuherzig.
»Ich bin auch dafür, ihn mitzunehmen. Er könnte uns als Führer nützlich sein. Und er kennt die Sprache dieser Galaxis«, meinte Icho Tolot.
»Ja, Roggle ist nicht dumm. Er kann euch helfen«, versicherte der Doppelkopf eifrig. »Roggle kennt sich aus mit vielen Maschinen hier.«
Atlan überlegte kurz, dann gab er sich einen Ruck.
»Also gut, Roggle. Wir nehmen dich mit uns.«
»Danke. Ihr seid so gut, danke!«, freute sich das seltsame Wesen.
*
Alaska beschloss, sich des Findlings anzunehmen. Durch den Transmitterunfall, den Roggle erlitten hatte, fühlte er sich mit diesem Geschöpf verbunden. Alaska wusste, was es hieß, solch ein Schicksal zu erleiden. Es war kein Wunder, wenn man dadurch auf andere seltsam wirkte.
Alaska versuchte, sich mit Roggle anzufreunden, was nicht so einfach war. Zwar wirkte Rog, der linke Kopf, freundlich und aufgeschlossen, doch der rechte Kopf, sein Bruder Gle, verhielt sich unfreundlich und abweisend. So gab es oft Dispute zwischen den beiden, die eine Kommunikation erschwerten. Dennoch war Roggle nicht dumm. Er kannte sich gut mit den Apparaturen in der Station aus und konnte Icho Tolot manches Mal erklären, welche Funktionen die Geräte hatten. Dadurch kam der Haluter schneller mit seinen Forschungen voran.
Alles verlief zufriedenstellend, bis Atlan einen Funkspruch aus dem Buckelschiff erhielt. Es war Jaques de Funes, der zusammen mit Leopold auf dem Cantaroraumer als Wache zurückgeblieben war. Der Frankoterraner wirkte verstört.
»Hallo, Sir. Wir, ähm, ich …«, stotterte er, was Atlan erstaunte, da der Mann sonst immer wie ein Wasserfall redete und nie um Worte verlegen war.
»Was ist denn? Gibt es ein Problem?«, fragte der Arkonide ungeduldig.
Er nahm an, dass es wieder Streit zwischen dem kleinen Terraner und dem pummeligen Somer gab.
»Könnte man so sagen, Sir. Also, um es kurz machen: Das Schiff brennt«, ertönte es aus dem Kommunikator.
Atlan glaubte, sich verhört zu haben.
»Was? Das Schiff brennt? Wie ist das möglich?«
»Genauer gesagt: Es brennt im Maschinenraum. Wie dies geschehen konnte, ist mir auch unerklärlich. Leopold versucht, das Feuer zu löschen. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie uns zu Hilfe kommen könnten«, erklärte de Funes umständlich.
»Wir sind schon unterwegs. Halten Sie durch«, gab Atlan durch und schaltete ab.
Er sprang auf. Wenn das Schiff verloren ging, saßen sie auf Cyragon fest.
»Icho, du bringst mich und Alaska so schnell wie möglich zum Schiff. Denise, Sie bleiben mit Roggle hier in der Station«, ordnete der Arkonide an.
Dann eilte er mit Alaska Saedelaere und dem Haluter nach draußen. Vor der Station angekommen, ließ sich der Haluter auf alle viere sinken, damit sich Atlan und Alaska auf seinen Rücken setzen konnten.
Als die beiden sich eine stabile Position gesucht hatten, spurtete der Gigant in Richtung Buckelschiff. Den beiden Unsterblichen wehte der Wind kräftig um die Ohren und sie kamen sich vor wie bei einer Achterbahnfahrt. Doch es dauerte nicht lange, dann hatten sie den Cantaroraumer erreicht.
Rauch quoll aus der offen stehenden Schleuse. Icho Tolot ließ Alaska und Atlan absteigen und die drei betraten das Schiff.
»Das Feuer kommt aus dem Maschinenraum. Ich sehe mich dort um. Geht ihr und sucht nach dem Terraner und dem Somer«, rief der Haluter.
Bevor Alaska und Atlan etwas entgegnen konnten, war der Gigant schon auf und davon. Also gingen die beiden zur Kommandozentrale des Buckelschiffs. Von dort aus konnte man überblicken, wo und wie groß die Schäden an dem Cantaroraumer schon waren.
Alaska hoffte, dass Jaques de Funes und Leopold keine Dummheiten gemacht hatten und wohlauf waren. Als er und Atlan jedoch den Kommandoraum betraten, verschlug es ihnen den Atem.
»Willkommen«, begrüßte sie ein über zwei Meter großes, wespenähnliches Wesen, das eine Projektilpistole auf Leopold und Jaques de Funes gerichtet hatte.
»Fykkar!«, stieß Alaska entsetzt hervor. Mit diesem Feind hatte er nicht mehr gerechnet.
»General Fykkar!«, rief die Hornisse wütend.
»General im Exil, wie es scheint«, gab Atlan spöttisch zurück.
»Der Spott wird euch noch vergehen. Ihr werdet mich nach Insektoidia zurückbringen, wo euch eure Strafe ereilen wird«, verlangte Fykkar.
»Das ist völlig unmöglich. Insektoidia existiert nicht mehr. Ich verstehe nicht, wieso du überhaupt hier bist«, sagte Alaska konsterniert.
»Es gelang mir, mich kurz vor eurer Flucht an Bord dieses Schiffes zu verstecken. Ich wartete geduldig auf eine günstige Gelegenheit, um mich an euch zu rächen. Als ihr so dumm wart, diese beiden Narren hier allein zurückzulassen, schlug meine Stunde. Es war mir ein Leichtes, sie zu überwältigen.«
»Das stimmt nicht! Wir hatten ihn schon fast umzingelt!«, protestierte Jaques de Funes wütend.
»Was für lächerliche Blattläuse ihr doch seid. Bringt mich zurück nach Insektoidia«, verlangte der Insektoide herrisch.
»Du hörst wohl schwer. Alaska hat gesagt, dass Insektoidia nicht mehr existiert. Und dich sollte es eigentlich auch nicht mehr geben. Also verschwinde lieber«, mischte sich Atlan ein.
Fykkar starrte ihn eine Weile schweigend an. In seinen Facettenaugen war keine Regung zu erkennen. Dann sagte er:
»Ihr habt Insektoidia zerstört! Dafür sollt ihr des Todes sein! Ich werde euch allen eine Kugel in den Kopf jagen.«
Plötzlich fing Leopold an zu weinen.
»Oh nein, bitte nicht! Das tut doch weh, und ich bin doch noch zu jung, um zu sterben«, heulte er und ging flehend vor dem Insektenwesen auf die Knie, was Jaques de Funes wiederum erzürnte.
»Mensch, oder vielmehr Vogel: Reißen Sie doch zusammen! Seien Sie ein Mann«, schimpfte er.
»Och, du unsensibler Affe! Du bist doch an allem schuld! Hättest du besser aufgepasst, wären wir jetzt nicht in dieser Lage«, warf Leopold wütend dem kleinen Terraner vor.
»Ich verbitte mir das! Keine Duzerei bitte! Nicht mal meine Frau darf mich duzen. Unerhört ist das«, giftete de Funes zurück.
Plötzlich sprang Leopold den Terraner und an und warf ihn zu Boden, wo die beiden miteinander rangen. Der völlig verwirrte General Fykkar wurde dadurch abgelenkt und achtete einen Moment lang nicht auf Atlan und Alaska.
Der Arkonide nutzte die Gunst des Augenblicks und zog seinen Strahler hervor. Fykkar bemerkte ihn, fuhr herum und eröffnete das Feuer. Mit einem Hechtsprung warf sich Atlan hinter ein Kommandopult, an dem die Kugel abprallte. Auch Alaska war in Deckung gegangen und begann auf Fykkar zu schießen. Der General erkannte, dass er auf verlorenem Posten stand, zumal Icho Tolot jeden Moment zurückkehren konnte. Wild um sich schießend, flog die Hornisse aus der Zentrale.
»Ihr werdet meiner Rache nicht entgehen!«, rief er Alaska und Atlan noch zu. Dann flog er zur Rampe, um den Cantaroraumer zu verlassen. Der Arkonide und der Terraner verfolgten ihn. Auch Icho Tolot, der auf den Lärm aufmerksam geworden war, tauchte aus dem Maschinenraum auf, doch bevor er Fykkar den Weg abschneiden konnte, war der General aus dem Schiff entkommen und flog in die Weite Cyragons. Alaska und Atlan feuerten hinterher, doch der Insektoide war schon außer Reichweite.
»Das war Fykkar«, erklärte Alaska Icho Tolot. »Er hat den Maschinenraum in Brand gesteckt und Jaques sowie Leopold als Geiseln genommen. Aber wir haben sie befreit.«
Der Haluter nickte grimmig.
»Was den Maschinenraum anbelangt, hatte er jedoch Erfolg. Ich konnte den Brand zwar löschen, doch die Schäden sind irreparabel«, erklärte er.
Alaska und Atlan waren wie vor den Kopf geschlagen.
»Also sitzen wir auf Cyragon fest«, stellte Atlan betroffen fest.
»Wir waren schon in aussichtsloseren Situationen«, gab Icho Tolot zu bedenken. »Ich schlage vor, wir holen alles, was wir dringend benötigen, aus dem Schiff heraus und bringen es zur Station. Dort sind wir sicherer, falls Fykkar noch einmal angreifen sollte.«
»Stimmt, der gibt garantiert nicht so leicht auf. Beeilen wir uns. Wir sollten Denise nicht so lange alleine lassen«, meinte Alaska Saedelaere.
Inzwischen hatten sich auch Leopold und Jaques de Funes dazugesellt.
»Da habt ihr ja noch mal Glück gehabt«, sagte Atlan zu den beiden Streithähnen.
»Er war plötzlich da, Sir. Wir konnten nichts dagegen tun«, beteuerte de Funes zerknirscht.
»Es war nicht eure Schuld. Ich hätte daran denken müssen, das Cantaroschiff gründlich zu durchsuchen. Außerdem war ich der Meinung, dass Insektoidia und alles, was dazugehörte, sich aufgelöst hätte. Aber euer Trick, mit dem ihr Fykkar getäuscht habt, war glänzend. So etwas funktioniert doch immer wieder«, lobte der Arkonide.
»Welcher Trick?«, fragten Leopold und Jaques gleichzeitig. Atlan seufzte.
9. In der fremden Station
Nachdem die fünf die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände in die Station gebracht hatten, informierten sie Denise Joorn und Roggle über das Geschehene.
»Dann sitzen wir für immer auf Cyragon fest. Und Fykkar lebt und wird auf uns lauern«, stellte Denise niedergeschlagen fest.
»Vielleicht landet hier irgendwann einmal ein Raumschiff«, hoffte Leopold.
»Wohl kaum. Cyragon ist eine Wüste und unbewohnt. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir hier gestrandet sind – für immer«, meinte Alaska düster.
»Doch, Alaska. Es gibt eine Möglichkeit«, meldete sich Roggle oder vielmehr sein linker Kopf zu Wort.
»Nein, gibt´s nicht!«, keifte der rechte Kopf.
»Nein? Doch? Was denn nun?«, fragte Atlan ungehalten.
»Sag es ihnen nicht! Sag es ihnen nicht!«, giftete Gle.
»Doch, ich muss es ihnen sagen. Sie sind unsere Freunde. Und Freunde helfen sich untereinander.«
Nach einigem Hin und Her setzte sich Rog schließlich durch und begann zu erzählen.
»Einige Kilometer westlich von hier, hinter dem Berg, gibt es einen alten Raumhafen. Dort war die Evakuierungsflotte der Cyragonen stationiert. Ursprünglich sollte sie die gesamte Bevölkerung von hier fortbringen. Doch nach den Angriffen gab es nicht mehr genug von ihnen, um alle Schiffe zu bemannen. Also blieben einige Schiffe hier. Obwohl sie seit zweitausend Jahren auf dem Raumhafen stehen, sind sie noch immer intakt. Roboter warten sie und halten sie instand.«
Atlans Miene hellte sich auf.
»Das ist ja großartig. Kannst du uns dorthin führen?«, fragte er Roggle.
»Ja«, sagte Rog.
»Nein«, sagte Gle.
Atlan schlug entnervt die Hände vors Gesicht.
»Ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette. Das war ein anstrengender Tag, trotz Zellaktivatorchip.«
Alaska legte behutsam eine Hand auf Roggles Schulter. Er spürte, dass das Geschöpf sich vor etwas fürchtete.
»Wir brauchen dringend eure Hilfe. Einigt euch bitte«, sagte er sanft.
»Wir können euch nicht dorthin bringen. Es ist zu gefährlich«, erklärte Roggle.
»Wieso?«
Roggle zögert einen Moment lang, dann sagte er:
»Wegen des Urknurs.«
»Des Urknurs? Was ist das?«, wollte Atlan wissen.
»Das Urknur ist eine furchtbare Kreatur. Früher waren die Urknur Wesen für grobe, schwere Arbeiten und dienten den Cyragonen. Doch seit zweitausend Jahren sind sie wieder frei und verwildert. Es gibt nur noch wenige. Ein Urknur bewacht den Raumhafen. Es wird jeden töten, der dorthin geht.«
Alaska deutete auf Icho Tolot.
»Unser Freund Icho ist auch groß und stark. Er hat bisher jeden Gegner besiegt. Er wird auch das Urknur besiegen.«
»Pah! Niemand kann das Urknur besiegen. Es ist stärker als alle. Es wird euren fetten Icho in Stücke reißen«, giftete Gle.
»Wir werden zum Raumhafen gehen und dort eines von diesen Schiffen in Besitz nehmen. Ob nun mit dir oder ohne dich, Roggle«, erklärte Atlan, der keine Geduld mehr mit dem seltsamen Wesen hatte.
*
Siehst du, Rog? Der Weißhaarige ist böse. Er hasst uns, so wie wir ihn hassen! Er will uns vernichten.
Nein, Gle, du irrst dich! Er ist nicht böse. Er ist nur ungeduldig. Und er hat Recht. Sie sind unsere Freunde, die darauf hoffen, dass wir ihnen beistehen. Aber stattdessen streiten wir uns nur und machen ihnen noch mehr Kummer.
Kummer? Pah! Was interessiert uns ihr Kummer? Haben wir nicht selbst genug davon?
Eben! Wollen wir denn für immer und ewig hier bleiben? Wollen wir nicht endlich wieder frei sein und gehen, wohin wir wollen?
Aber hier haben wir genug zu essen und es ist sicher und warm.
Sind wir ein Haustier oder ein freies Wesen? Zeigen wir den Fremden, dass wir mutig sind. Führen wir sie zum Raumhafen.
Aber das Urknur wird alle töten! Auch uns!
Das ist noch nicht gesagt. Icho Tolot ist stark und sehr klug. Das Urknur ist auch sehr stark, aber nicht klug. Und selbst wenn es siegt, wäre der Tod nicht besser als für immer hier bleiben zu müssen?
Na gut! Dann bringen wir sie zum Urknur. Erfreuen wir uns daran, wie es die Fremden zerfetzt.
*
»Wir sind einverstanden. Roggle bringt euch zum Raumhafen. Aber Roggle warnt euch nochmals vor dem Urknur«, erklärte das zweiköpfige Wesen.
»Wir danken dir und nehmen uns deine Warnung zu Herzen«, entgegnete Atlan versöhnlich.
»Außerdem müssen wir uns vor Fykkar in Acht nehmen. Er wird uns beobachten und auf eine Gelegenheit warten, uns anzugreifen«, gab Denise Joorn zu bedenken.
»Der soll nur kommen!«, grollte Icho Tolot.
»Richtig, dem werden wir es zeigen. Er ist nur einer und wir sind sieben«, prahlte Leopold und stemmte die Flügel in die Hüften.
»Die glorreichen Sieben«, spottete Atlan. »Naja, dann kann uns ja nicht viel passieren.«
10. Der Kampf mit dem Urknur
Einige Stunden später brachen sie auf. Sie gingen im Schutz der Dunkelheit, um zu verhindern, dass General Fykkar sie beobachtete. So hofften sie, dass der insektoide Militarist ihre Spur verlieren würde. Sie gingen davon aus, dass er vorhatte, ihnen aufzulauern.
Der Weg war recht mühsam und wurde immer steiniger. Als sie den Fuß des Berges erreichten, riet Roggle bis zum Morgengrauen mit dem Aufstieg zu warten, da er im Dunkeln zu gefährlich sei.
»Also gut. Warten wir, bis es hell wird«, entschied Atlan.
»Wie weit ist es noch bis zum Raumhafen?«, erkundigte sich Alaska Saedelaere bei dem zweiköpfigen Wesen.
»Nicht mehr allzu weit, Alaska. Gleich hinter dem Berg. Aber dort beginnt das Gebiet des Urknur.«
»Du sprachst vorhin von mehreren.«
»Ja, aber es gibt nur noch wenige von ihnen. Außerdem leben sie als Einzelgänger. Kein Urknur würde es wagen, in das Revier eines anderen zu gehen, außer zur Paarungszeit.«
Die Gruppe setzte sich und machte Rast. Besonders Leopold und Jaques de Funes waren erleichtert. Sie waren sogar zu müde, um sich zu streiten.
Alaska hoffte, dass Roggle mit den Raumschiffen Recht hatte. Immerhin war viel Zeit vergangen, in der alles Mögliche passiert sein konnte. Der Raumhafen konnte zerstört oder die Schiffe im Laufe der Zeit beschädigt worden sein.
Der Hautträger behielt seine Bedenken jedoch für sich, um die anderen nicht zu entmutigen.
*
Als es hell wurde, setzten die sieben ihre Tour fort. Sie erklommen den Berg und als sie oben angekommen waren, deutete Roggle freudig auf das unter ihnen liegende Tal.
»Seht! Dort liegt der Raumhafen.«
Atlan holte einen Feldstecher aus seinem Ausrüstungstornister und suchte die Gegend ab. Schnell entdeckte er am Rand des Landefeldes einige Gebäude und ein paar Raumschiffe.
»Tatsächlich. Ich sehe sie. Du hattest Recht, Roggle. Das hast du gut gemacht«, lobte er das Wesen.
»Jetzt beginnt der schwierigere Teil. Am Fuße des Berges beginnt das Gebiet des Urknur. Es bewacht den Raumhafen und wird jeden töten, der ihn betritt«, warnte Roggle düster.
»Ich werde ihn warm empfangen«, kündigte Icho Tolot entschlossen an und klopfte mit einem seiner vier Arme auf seinen Thermostrahler von der Größe eines leichten Geschützes.
Sie begannen den Abstieg. Als sie ihn etwas zur Hälfte geschafft hatten, griff General Fykkar an.
*
»Achtung!«, rief Atlan. Der Arkonide hatten den Anflug des Insektoiden zuerst bemerkt. Aus dem Schutz eines Felsen war das Wespenwesen plötzlich aufgetaucht und begann zu schießen. Besonders Roggle erschrak vor dem fremden Wesen, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Dabei verlor der Zweiköpfige den Halt und rutschte die Felswand herunter, konnte sich jedoch an einem Ast festhalten. Alaska eilte ihm zu Hilfe.
»Keine Angst, Roggle. Ich hole dich«, versuchte er den Schreienden zu beruhigen. Doch das war nicht so einfach. Alaska musste immer wieder Deckung vor den Kugeln General Fykkars suchen. Atlan und Icho Tolot erwiderten das Feuer und gaben Saedelaere dadurch Deckung. Fykkar musste zurückweichen. Plötzlich war er verschwunden. Alaska nutzte die Gunst des Augenblicks und zog Roggle herauf auf einen Felsvorsprung.
»Danke, Alaska! Du hast mich gerettet. Von nun an sollst du mein Herr und Gebieter sein«, bedankte sich Roggle.
»Unsinn, das war doch selbstverständlich«, winkte Alaska ab. In diesem Moment verwandelte sich Roggles erleichterte Miene wieder in Angst und Entsetzen. Alaska spürte, dass jemand hinter ihm stand.
»Bedanke dich nicht zu früh bei deinem neuen Herrn. Du wirst gleich mit ihm sterben«, sagte General Fykkar, der unbemerkt herangeflogen war. Drohend richtete er seinen Projektilrevolver auf Alaska.
»Du hast mir genug Ärger gemacht. Ich hätte dich gleich zu Anfang töten sollen. Doch nun werde ich diesen Fehler korrigieren.«
Alaska schloss die Augen und wähnte sich am Ende seines langen Lebens. Nach all den Abenteuern und kosmischen Erlebnissen getötet von einer Illusion – welch eine bittere Ironie. Fykkar drückte ab. Doch der Schuss blieb aus. Der Trommelrevolver klickte nur.
»Nanu, keine Munition mehr? Wie schade«, spottete Alaska mit dem Mut des Verzweifelten.
Ungerührt zog Fykkar seinen Säbel aus der Scheide.
»Es gibt so viele schöne Möglichkeiten zu töten. Verabschiede dich von deinem Kopf«, giftete der Insektoide.
Doch dann geschah etwas, womit Fykkar nicht gerechnet hatte. Todesmutig warf sich der kleine Roggle auf das Wespenwesen. Auch Alaska stürzte sich auf Fykkar und versetzte ihm einen schweren Stoß. Der Insektoide verlor das Gleichgewicht und fiel in die Tiefe. Mittlerweile waren auch Icho Tolot und Atlan herangeeilt. Der Haluter zog Alaska und Roggle zu sich hinauf. Wieder in Sicherheit, reichte Alaska Roggle die Hand.
»Diesmal hast du mich gerettet. Wir sind quitt. Lass uns Freunde sein.«
»Ja, Freunde«, stimmte Roggle zu und erwiderte Alaskas Handschlag. Während Rog sich freute, schwieg Gle und blickte nur finster vor sich hin.
»Was ist mit Fykkar?«, wollte Atlan wissen.
»Endlich tot, dank Roggle«, gab Alaska zurück.
»Wenigstens eine Sorge weniger«, meinte der Arkonide.
Nach einer kurzen Verschnaufpause setzten die sieben den Abstieg fort, der ohne weitere Zwischenfälle verlief. Schließlich erreichten sie den Fuß des Berges. Der rettende Raumhafen lag nur noch einen Kilometer entfernt vor ihnen.
*
»Da vorne ist er! Gleich haben wir es geschafft«, frohlockte Atlan.
»Und nirgends ist etwas von einem Monster zu sehen. Hast wohl Märchen erzählt, Roggle«, gab Leopold seinen Senf dazu.
»Urknurs leben unterirdisch. Seid leise! Sie können uns hören«, warnte der Zweiköpfige.
»Ach lass sie doch! Soll das Urknur sie doch zerreißen«, giftete der rechte Kopf.
»Das darfst du nicht sagen! Alaska hat uns gerettet. Er ist jetzt unser Herr und wir müssen ihn beschützen«, protestierte der linke Kopf.
»Hört auf zu diskutieren. Wir gehen weiter und suchen uns ein Schiff aus«, entschied Atlan.
Sie gingen weiter, bis sie zum Rand des Raumhafens gelangten. Dort erblickten sie mehrere schachtelförmige Raumschiffe. Atlan ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Die Gebäude und die Schiffe waren noch erstaunlich gut erhalten. Dieselben Wartungsroboter, die sie in der Station angetroffen hatten, hielten auch den Raumhafen intakt. Atlan zeigte auf ein Schiff mit einem Durchmesser von 100 Metern.
»Das da dürfte für unsere Zwecke am besten geeignet sein«, meinte der Arkonide.
Als sie die Rampe betreten wollten, schnellte jemand aus der Deckung eines Landebeins hervor. Geistesgegenwärtig zog Atlan seine Waffe, doch bevor er abdrücken konnte, traf ihn der Säbel des unerwartet aufgetauchten General Fykkars am Oberarm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ der Arkonide seinen Thermostrahler fallen.
Alaska versuchte ihm zu Hilfe zu kommen, doch Fykkar flog an ihm vorbei und versetzte ihm mit seinem Säbel einen Hieb ins Bein. Alaska stürzte und blieb liegen. Schreiend und gestikulierend eilte Roggle zu ihm. Fykkar wollte sich nun auf Denise Joorn, Leopold und Jaques de Funes stürzen, doch Icho Tolot stellte sich schützend vor seine Gefährten.
Fykkar wich zurück zu den beiden Verwundeten. Tolot zog seine Waffe, doch er konnte nicht auf Fykkar schießen, da er fürchtete, Atlan oder Alaska zu treffen.
»Das nennt man ein Patt«, stellte der General fest.
Roggle wollte sich auf ihn stürzen, doch diesmal gab der Insektoide acht und verpasste dem Zweiköpfigen einen Tritt in die Magengrube. Röchelnd und winselnd ging Roggle zu Boden.
»Diesmal wird dir niemand helfen, Alaska Saedelaere.«
Fykkar beugte sich über den Hautträger und fuhr seinen Stachel aus, um ihn damit zu töten. Doch als er gerade daranging, sich in Alaskas Körper zu bohren, fing plötzlich der Boden unter ihnen an zu beben. Die Erde öffnete sich und Fykkar erschrak vor dem Wesen, das brüllend aus dem Untergrund herausgeschnellt kam. Es war erdbraun und hielt eine riesige, primitive Holzkeule in seiner Pranke.
Der Insektoide wollte wegfliegen, doch das mindestens vier Meter große Wesen packte ihm am Bein und hielt ihn fest. Fykkar versetzte dem Ungetüm einen verzweifelten Hieb mit seinem Säbel. Das Monstrum brüllte wütend, packte ihn und zerriss den Insektoiden in zwei Teile. Dann warf es die Überreste des Generals gegen die Außenwand des Raumschiffes.
»Das Urknur! Das ist das Urknur! Wir haben euch gewarnt! Jetzt sind wir alle des Todes!«, schrie Roggle panikerfüllt.
Das Urknur hatte Atlan und Alaska, die sich gegenseitig stützten, entdeckt und wollte sich ihnen zuwenden. Drohend schwang das Monstrum seine Keule. Doch bevor es die beiden angreifen konnte, war Icho Tolot mit voller Geschwindigkeit herangebraust und hatte sich auf das Urknur geworfen. Umschlungen torkelten die beiden über das Landefeld und prallten gegen eines der umliegenden Schiffe. Das Urknur wurde schlaff, dann packte es wieder zu.
»Geht in das Schiff! Bringt euch in Sicherheit!«, rief Tolot seinen Freunden zu.
Atlan zögerte keinen Moment und rannte mit Alaska und Roggle die Rampe des Schiffes hoch. Denise folgte mit Jaques de Funes und Leopold.
»Wie öffnet man das Schiff?«, fragte der Arkonide den Zweiköpfigen. Hastig betätigte Roggle einen Schalter und das Schott ging auf.
»Schnell, Herr! Wir müssen uns verstecken. Verstecken!«, jammerte er aus beiden Mündern.
Selten waren sich die beiden Köpfe so einig.
So schnell sie konnten, rannten sie hinein. Das markerschütternde Gebrüll des Urknurs trieb sie an. Selbst Atlan hatte solche furchterregenden Laute noch nicht gehört. Denise Joorn legte ihren Strahler an, doch Atlan drückte ihre Waffe nieder.
»Zu riskant. Sie könnten Tolot treffen. Außerdem fürchte ich, dass das dieses Ungeheuer kaum beeindrucken würde«, meinte er.
»Aber wir müssen doch irgendetwas tun«, rief die Archäologin.
»Wir können leider nichts ausrichten. Der Einzige von uns, der mit diesem Monster fertig werden kann, ist Tolot. Keine Bange, der alte Icho ist schon mit ganzen anderen Ungeheuern fertig geworden«, gab sich Atlan zuversichtlich.
Im Innern war der Arkonide nicht so optimistisch. Fykkars schneller Tod hatte ihn ziemlich beeindruckt. Gut möglich, dass Roggles Warnungen berechtigt waren und dieser Raumhafen ihr Grab wurde.
*
Icho Tolot hatte schon viele Gegner. Während seiner Drangwäschen war er zu einsamen Welten aufgebrochen, um sich dort mit allerlei Untieren und primitiven Kämpfern zu messen. Das Urknur machte ihm jedoch zu schaffen.
Er hatte es mit vielen Schlägen eingedeckt, doch das Monstrum überragte den Haluter um eine Kopfeslänge und war noch breiter war als Tolot selbst. Es wankte und wich nicht. Unverdrossen hämmerte es mit seiner splitternden Holzkeule auf ihn ein, was dem Haluter nichts ausmachte, da er seine Molekularstruktur verändert hatte.
Tolot ließ sich auf alle viere und rannte mit voller Wucht gegen das Urknur an. Endlich gelang es ihm, den Hünen zu Fall zu bringen. Jedes andere Wesen hätte einen Zusammenprall mit einem Haluter nicht lebend überstanden, doch das Urknur grunzte nur, stand wieder auf und schlug erneut auf Icho Tolot ein. Als seine Keule an Tolots Schädel zerbrach, nahm es den Haluter in eine heftige Umklammerung
Tolot bekam Probleme mit der Luftzufuhr. Einige Minuten versuchte er sich aus dem Klammergriff zu befreien, doch das Urknur gab nicht nach. Todesangst stieg in Tolot auf.
Da erinnerte er sich an einen alten Actionfilm, den er einmal zusammen mit Gucky gesehen hatte. Das Urknur war nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Tolot ging davon aus, dass es damit sein Geschlechtsteil verhüllte und dass dieses sicherlich höchst schmerzempfindlich war. Der Haluter bekam den Lendenschurz am Hinterteil des Urknurs zu fassen und begann solange zu drehen, bis das Monstrum schmerzvoll aufstöhnte. Tolot drehte immer weiter, bis das Urknur schrie und schließlich seinen Griff lockerte.
Endlich hatte Icho Tolot wieder alle vier Arme frei und schlug seinem Gegner auf den Schädel. Aus seiner Beintasche zog er eine Thermohandgranate hervor. Diese steckte er dem Urknur in den Lendenschurz, wirbelte herum und verpasste dem vor Schmerz stöhnenden Riesen einen kräftigen Tritt in den Hintern. Mit einem Spurt ging der Haluter hinter einem der Landebeine in Deckung. Gleich darauf explodierte die Thermogranate und riss das Urknur in den Tod.
Erleichtert ging Tolot zurück zu den anderen. Innerlich dankte er Gucky dafür, dass er ihn überredet hatte, mit ihm alte terranische Actionfilme zu gucken.
11. Die Alysker
»Wo ist das Urknur?«, fragte Atlan besorgt. In seiner Deckung hatte er nichts gesehen.
»Den hat es mit eingeklemmtem Schwanz zerrissen«, konnte sich Tolot nicht verkneifen zu sagen.
Diesen Satz hatte er aus einem der Actionfilme aufgeschnappt.
»Du bist und bleibst der Größte, Tolotos«, lobte der Arkonide.
Icho rieb sich die schmerzenden Glieder.
»Ich glaub, ich werde allmählich zu alt für diesen Scheiß«, rezitierte der Haluter einen weiteren klassischen Spruch.
»Cool, Alter«, lobte Leopold.
»Typisch, sich die ganze Zeit feige verstecken, aber hinterher wieder die große Klappe aufreißen«, giftete Jaques de Funes den Somer an.
Während die beiden sich ihr nächstes Wortgefecht lieferten, behandelte Denise Joorn Atlans und Alaskas Wunden, die glücklicherweise nicht allzu schwer waren. Den Rest des Tages nutzte die sichtlich erschöpfte Gruppe, um sich auszuruhen. An Bord des Cyragonenschiffes gab es bequeme Quartiere, die sie bezogen hatten. Nur für Icho Tolot war es ein wenig zu eng. Doch das war der Haluter gewohnt und er verstand es, sich Platz zu schaffen.
*
Siehst du, ich hatte Recht. Icho Tolot hat das Urknur besiegt. Es ist gut für uns, dass wir solche Freunde haben, Gle.
Narr, der du bist, Rog! Glaubst du wirklich, solche mächtigen Wesen wollen Freunde wie uns? Für die sind wir nur Dreck!
Aber sie sind doch gut zu uns. Sie retteten unser Leben.
Ja, aber nur aus Berechnung. Sie brauchen uns, solange wir auf diesem Planeten sind. Wir müssen ihnen die Technik und die Einrichtungen der Cyragonen zeigen. Aber wenn wir nicht mehr wichtig sind, dann werden sie uns verraten und fallen lassen. Wirst sehen.
Nein, das glaube ich nicht!
Doch, doch. Wart‘s nur ab.
Aber nicht Herr Alaska. Er ist gütig und unser Freund.
Pah! Der ist der Schlimmste von allen. Er wird uns genauso verraten wie alle anderen. Aber dann werden wir uns rächen!
*
Am nächsten Morgen ging man daran, das Schiff zu erforschen. Icho Tolot und Atlan begutachteten die Kontrollen. Wiederum war Roggle sehr hilfreich, wenn man von seiner anstrengenden Art und Weise absah. Einmal, als er Alaska Saedelaere, den er nun als seinen neuen Herrn und Meister betrachtete, verärgerte, griff er zu einem herumliegenden kleinen Stab und schlug sich damit auf die Finger.
»Was machst du denn da?«, fragte Alaska verwundert.
»Wir bestrafen uns, denn wir haben gesündigt, weil wir den Herrn verärgert haben«, erklärte Roggle treuherzig.
»Hör auf damit! Ich will nicht, dass du dir wegen mir Leid zufügst. Ich bin dein Freund und nicht dein Gebieter«, erwiderte der Hautträger.
»Doch, du bist unser Gebieter, denn du rettetest unser Leben. Dafür schworen wir dir ewige Treue. Wir sind dein Diener und tun alles, was du verlangst, Herr.«
»Du willst es nicht begreifen, oder?«, meinte Alaska unwirsch.
»Ohje, jetzt haben wir dich schon wieder verärgert«, meinte Roggle sichtlich zerknirscht und begann sich von Neuem auf die Finger zu schlagen.
Alaska schüttelte den Kopf und ließ ihn stehen. Der Terraner befürchtete, dass die zweitausend Jahre Einsamkeit dem zweiköpfigen Wesen doch mehr geschadet hatten, als er zuvor angenommen hatte.
*
Am Abend rief Icho Tolot seine Mitstreiter zu einem Treffen zusammen.
»Meine Freunde, ich habe interessante Neuigkeiten. In dem Rechner dieses cyragonischen Schiffes habe ich die Koordinaten des Planeten Alysk gefunden. Außerdem haben Atlan und ich uns mit der Steuerung des Schiffes vertraut gemacht. Wir werden euch in die Bedienung der Kontrollen einweisen. Zusammen werden wir es schaffen, das Schiff zu starten und unser angestrebtes Ziel zu erreichen. Alysk liegt etwa 30.000 Lichtjahre von hier entfernt«, verkündete der Haluter.
»Das ist wunderbar. Damit hat unsere Expedition wieder ein klares Ziel«, freute sich Denise Joorn. »Ich bin neugierig auf die Alysker.«
»Falls es sie noch gibt«, meinte Alaska düster.
»Davon bin ich überzeugt. Ansonsten hätte uns Sanna Breen nicht den Auftrag erteilt«, gab sich Atlan optimistisch. »Sobald wir alle Vorbereitungen abgeschlossen haben, brechen wir auf.«
*
Nach zwei Tagen hatten sie alle Überprüfungen und Tests abgeschlossen. Icho Tolot unternahm einen Probeflug mit dem zweitausend Jahre alten Schiff. Aus den umliegenden Gebäuden versorgte man sich mit Treibstoff und Ersatzteilen, so dass einem Abflug nichts mehr im Wege stand.
Auf Anregung Alaskas hatte man das Schiff YDIRA getauft. Schließlich gab Atlan das Kommando zum Start. Für Unruhe sorgte wieder einmal Roggle, dessen zwei Köpfe sich pausenlos stritten und somit Leopold und Jaques de Funes allmählich Konkurrenz machten. Während Rog sich über den Abflug freute, wäre Gle lieber auf Cyragon geblieben. Atlan fürchtete, dass diese seltsame Kreatur noch einige Probleme machen würde, aber Roggle hatte ihnen geholfen und so konnte man ihn schlecht auf dem einsamen Planeten zurücklassen.
Kurze Zeit später verließ die YDIRA das Cyragon-System und nahm Kurs auf die programmierten Koordinaten, die die Expedition zum Planeten Alysk führen sollten.
*
Das Schiff benötigte eine Woche zum System der Alysker. Der Flug verlief ohne jede Zwischenfälle, so dass sich allmählich Langeweile unter der Besatzung breitmachte. Nun warteten alle gespannt auf die Begegnung mit den Alyskern und mutmaßten, ob es sie überhaupt noch gab.
Icho Tolot brachte die YDIRA näher an den Zielplaneten heran. Atlan tastete mit den Ortungsgeräten die Oberfläche ab.
»Der Planet ist ziemlich kalt und rau. Die Oberfläche ist mit Eis und Schnee bedeckt. Es gibt aber auch Vegetation. Die Bäume ähneln terranischen Tannen«, berichtete der Arkonide.
»Gibt es Spuren von intelligentem Leben?«, fragte Denise Joorn gespannt.
Atlan suchte weiter, während die YDIRA sich dem Planeten näherte.
»Da ist eine Stadt. Sie liegt inmitten eines Gebirges. Mehr kann ich noch nicht feststellen«, berichtete der Arkonide.
»Soll ich dort landen?«, fragte Icho Tolot.
Atlan überlegte kurz. Eine Landung konnte riskant sein, doch er vertraute auf Sanna Breen und darauf, dass die Alysker – sofern sie noch existierten – freundlich gesonnen waren.
»Deshalb sind wir hier. Suche uns einen Landeplatz außerhalb der Stadt, Tolotos«, entschied er.
Der Haluter steuerte das Schiff aus dem Orbit und landete wenig später in einem Talkessel nahe der unbekannten Stadt.
»Sind Sie sicher, dass wir hier auch richtig sind?«, erkundigte sich Jaques de Funes unbehaglich.
»Todsicher«, gab Icho Tolot trocken zurück.
»Sehr beruhigend.«
Die Besatzung stieg aus dem Raumschiff aus und sah sich um. Die Temperaturen lagen deutlich unter dem Gefrierpunkt: Es war empfindlich kühl. Atlan fühlte sich an die terranischen Alpen erinnert.
»Herrliche Bedingungen für Wintersport. Da kriegt man direkt Lust aufs Skifahren. Schade, dass wir keine Skier dabei haben«, meinte der Arkonide.
»Vielleicht haben die ja welche«, sagte Alaska und deutete auf eine Gruppe von Humanoiden, die durch den Schnee auf sie zugestapft kamen.
»Das müssen die Alysker sein«, meinte Denise Joorn.
Atlan aktivierte den Translator. Von Roggle wusste er, dass die Cyragonen dieselbe Sprache hatten wie die Alysker. Daher sollte die Verständigung klappen.
Der Arkonide ging langsam auf die Gruppe aus sieben Personen zu und hob freundlich die Hand zum Gruß. Der Arkonide dachte an die Aufzeichnung, die sie in der cyragonischen Station gesehen. Diese Leute hier wiesen eindeutige Ähnlichkeiten mit denen auf, die sie in dem Film gesehen hatten. Es handelte sich also um Alysker. Sie waren menschenähnlich, hatten aber spitze Ohren und größere Augen als Terraner. Der Arkonide begann zu sprechen.
»Ich grüße euch, Alysker. Mein Name ist Atlan und dies hier sind meine Begleiter.«
Der Unsterbliche zeigte auf seine Gefährten.
»Wir kommen aus der fernen Galaxis Milchstraße und wir sind in einem Auftrag von kosmischer Bedeutung hier. Daher würden wir gerne mit euren Anführern sprechen.«
Als Atlan geendet hatte, schwiegen die Alysker. Ihre Mienen zeigten keine Regung. Der Arkonide vermutete, dass sie Soldaten oder Sicherheitskräfte vor sich hatten. Die konnten manchmal ein wenig stupide reagieren.
Der Anführer der Alysker musterte jeden Einzelnen von ihnen. Bei Icho Tolot glaubte Atlan, etwas wie Beunruhigung in seinem Gesicht zu entdecken. Aber dann entdeckte er Roggle. Jetzt verfinsterte sich die Miene des Anführers. Der Mann gab seinen Leuten einen Befehl, woraufhin diese ihre Waffen zogen und auf die Gefährten richteten.
»Was soll das? Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte Atlan ungehalten.
Der Anführer hob herrisch seine rechte Hand.
»Schweigt, ihr seid verhaftet. Wenn ihr Widerstand leistet, machen wir von unseren Waffen Gebrauch.«
Mit solch einem unfreundlichen Empfang hatte Atlan nicht gerechnet. Doch da er dies in seinem langen Leben nicht das erste Mal erlebte, blieb er ruhig.
»Wir leisten keinen Widerstand. Wir sind Freunde und kommen freiwillig mit euch.«
»Wer unser Freund oder Feind ist, entscheiden wir selbst. Gebt eure Waffen ab und begleitet uns in die Stadt«, erwiderte der Anführer der Alysker barsch.
Widerwillig gaben Atlan und die anderen ihre Waffen ab. Roggle schwieg die ganze Zeit. Er schien sehr große Furcht zu empfinden. Atlan fragte sich, wieso die Alysker so gereizt auf dieses Wesen reagierten.
*
Die Alysker brachten Atlan und seine Begleiter in ihre Stadt, die inmitten des Gebirges lag und wunderschöne Bauten aufwies. Hohe Türme ragten in den blauen Himmel empor. In einen davon wurden die Gefangenen gebracht. Man sperrte sie in einen kargen Raum, in dem sie mehrere Stunden warteten.
»Wären wir bloß nicht auf diesen Scheißplaneten gekommen. Außerdem habe ich Hunger«, maulte Leopold.
»Halten Sie den Rand und ertragen Sie es wie ein Mann«, giftete Jaques de Funes den Somer an.
»Könnt ihr nicht einmal Ruhe geben?«, fragte Denise Joorn genervt.
Die Archäologin war sichtlich nervös. Mit solch einem frostigen Empfang hatte keiner von ihnen gerechnet. Nach einer weiteren Stunde Wartezeit öffnete sich die Tür und der Anführer der Alysker, die sie gefangen genommen hatten, trat ein. Atlan ging ihm entgegen. Zwei Wachen, die ihn begleiteten, richteten drohend ihre Waffen auf den Arkoniden.
»Ich protestiere gegen diese Behandlung. Wir sind in diplomatischer Mission gekommen und wünschen dringend mit euren Anführern zu sprechen«, sagte Atlan kühl.
Der Alysker musterte den Arkoniden geringschätzig.
»Ihr habt gar nichts mehr zu wünschen. Ihr konspiriert mit Handlangern MODRORs.« Er deutete auf Roggle. »Da! Ein Verräter und Diener MODRORs!«
Roggle winselte.
»Ich bin lediglich gekommen, um euch mitzuteilen, dass ihr als Spione zum Tode verurteilt wurdet. Eure Exekution wurde auf morgen früh bei Sonnenaufgang angesetzt. Sprecht eure Gebete und regelt eure letzten Angelegenheiten«, teilte der Hauptmann kalt mit und verließ die Zelle.
Betroffen sahen sich Atlan und seine Begleiter an. War dies nun das Ende ihres Weges?
ENDE
Es sieht alles andere als gut aus für unsere Freunde. Sie haben zwar das Kreuz der Galaxien erreicht und die Alysker gefunden, diese wollen sie aber nun umbringen. Im nächsten Roman schwenkt die Handlung wieder nach Cartwheel um. Heft 81 stammt von Jürgen Freier und trägt den Titel:
PAX CARTWHEEL
DORGON-Kommentar
Das Geheimnis um das »Grüne Universum« ist gelüftet: Atlan und Alaska Saedelaere wurden von DORGON in eine potentielle Zukunft versetzt, um den Galaktikern die Gefahren, die von MODROR ausgehen, drastisch vor Augen zu führen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Aussage Sanna Breens, dass es ein »Test« war, den Atlan und seine Gefährten bestanden hätten.
Dies führt uns zwangsweise zu der Frage, welchen Sinn und Zweck dieser Test gehabt haben soll, mir persönlich erschließt sich dieser nämlich in keiner Weise. Sollte der Zweck darin bestanden haben, die Eignung der Unsterblichen für »kosmische Aufgaben« zu testen, so war diese Maßnahme, meiner Meinung nach, absolut überflüssig, denn sowohl Atlan als auch Alaska dürften ihre Befähigung in der bisherigen Geschichte wohl mehr als bewiesen haben. Um die Informationen über DORGON, das Kreuz der Galaxien und die Alysker an Atlan und Alaska weiterzugeben, wäre eine einfache Information durch Sanna Breen mehr als ausreichend gewesen.
Es bleibt bei mir der Eindruck zurück, dass Sanna Breen hier nicht die volle Wahrheit enthüllt hat und wir der Problematik »Grünes Universum« wohl in anderem Zusammenhang wieder begegnen werden.
Besonders die Aussage, dass der »Herr der Straßen« noch in irgendeiner Form existiert, ist für mich äußerst interessant.
Dies ist zumindest ein Hinweis darauf, dass der Menschheit in der Person von Taurecs Sprössling Monos ein alter und gefährlicher Gegner wieder auferstehen wird. In welchem Verhältnis dieser zu MODROR steht, bleibt auch durch die Enthüllungen Sanna Breens ungeklärt.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass zumindest die Erklärung dafür geliefert wurde, warum DORGON praktisch machtlos zusehen muss, wie sein Projekt CARTWHEEL durch MODROR und die Söhne des Chaos übernommen wird. Wobei sich hier die Frage erhebt, welches »Virus« eine Entität praktisch zur Handlungsunfähigkeit verurteilen kann und welche Bewandtnis es mit der »Flotte NESJOR« hat, die durch die Galaktiker gefunden werden soll.
Unsere Gefährten haben das »Kreuz der Galaxien« erreicht und sind, wie könnte es auch anders sein, gleich in großen Schwierigkeiten. Die Informationen, die sie von Sanna Breen erhalten haben, waren alles andere als vollständig.
Mit Roggle wird ein weiterer interessanter und zugleich skurriler Charakter eingeführt, der noch für manche Überraschung gut sein dürfte. Dass sich vor allem Alaska für das Wesen verantwortlich fühlt, dürfte, in Anbetracht seines eigenen Schicksals, niemanden überraschen. Die Frage ist jedoch, ob hier nicht der Wunsch der Vater des Gedankens ist.
Der erste Auftrag Sanna Breens konnte ohne größere Mühen erfüllt werden, mit Roggles Hilfe wurden die Alysker recht schnell gefunden. Diese scheinen jedoch nicht gerade begeistert darüber zu sein, von den Galaktikern um Hilfe gebeten zu werden.
Interessant ist vor allem, wie die Alysker auf Roggle reagieren, was den Schluss nahelegt, dass dieser (oder seine Rasse) an der Niederlage gegen MODROR entscheidend beteiligt war. Aber hier können wir nur spekulieren, denn, genau wie unseren Helden, fehlen uns im Moment entscheidende Informationen.
Jürgen Freier
GLOSSAR
Roggle, der Vorjul
Mindestens 2000 Jahre alt, nur 1,07 Meter groß, humanoid, durch Transmitterunfall zusammengewachsen, zwei Köpfe, schizophren-paranoid, bestraft sich selbst.
Roggle ist ein Vorjul. Einst ist er Rog und Gle gewesen, doch beide verschmolzen bei einem Transmitterunfall. Roggle ist seit 2000 Jahren allein auf Cyragon, was eindeutig an seinem Verstand genagt hat. Er plagt sich mit Gewissensbissen, da er die Cyragonen auf Befehl MODRORs verraten hat. Das hat zu einer Psychose geführt.
Cyragon
Cyragon ist einst eine der Hauptwelten des Kreuzes der Galaxien gewesen. Die Welt mit den sieben Kontinenten hat eine Schwerkraft von 0,991 Gravo. Sie hat einen Durchmesser von 12.230 Kilometern und benötigt 27 Stunden, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen.
Dort befindet sich auch heute noch ein Pilzdom, da das Kreuz der Galaxien früher ein Thoregon gewesen ist. Nach dem Verrat der Vorjul ist Cyragon nur noch eine leblose Trümmerwüste.
Alysk
Heimatplanet der Alysker. Alysk ist der siebte von acht Planeten der blauen Sonne Murr. Auf Alysk herrscht stets eisige Kälte, eine dünne Luft und wenig Sonnenschein. Die Welt besitzt eine Schwerkraft von 1,23 Gravo, hat drei Kontinente, die die meiste Zeit durch eine feste Eisdecke verbunden sind. Die durchschnittliche Temperatur beträgt minus 10 Grad Celsius.
Hauptstadt von Alysk ist die Silberne Stadt, in der die restlichen Alysker leben.
Kreuz der Galaxien
Terranische Bezeichnung »Seyferts Sextett«, ein Galaxienverbund von vier mit einander verschmelzenden Galaxien. Ein Verbund von vier Galaxien, die vor 190 Mio. Jahren miteinander kollidiert sind und beginnen, ineinander zu verschmelzen. Das Kreuz der Galaxien ist die Heimat der Alysker.
Durch die Kollision der Galaxien sind nur wenige Bereiche der vier Galaxien bewohnbar. Oftmals mussten die Bewohner eines Planeten auch umziehen. Neben den Alyskern bewohnten die Cyragonen, Talsonen und Vorjul die Galaxien. Viel ist jedoch – außer aus den Erzählungen Eorthors – nicht über das Kreuz bekannt.
Wissenschaftliche Meldungen zum Kreuz der Galaxien (terranisch: Seyferts Sextett)
190 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt bahnt sich eine intergalaktische und stellare Massenkarambolage ungeahnten Ausmaßes an. Vier Galaxien liefern sich förmlich einen im wahrsten Sinne des Wortes auf- und zerreibenden Todeskampf.
Benannt ist die Galaxiengruppe nach ihrem Entdecker, dem US-Astronomen Carl K. Seyfert (1911-1960), der die Zusammenballung in den späten 1940ern erstmals beobachtete. Den langsamen Tanz, den die von der Erde zirka 58 Megaparsec entfernten Exo-Milchstrassen scheinbar zelebrieren, darf man getrost als Todestanz bezeichnen, kann doch die sich anbahnende intergalaktische Katastrophe durch nichts mehr aufgehalten werden.
Mittlerweile liegen die im Sternbild Serpens (Schlange) eingebetteten Galaxien so dicht beieinander, dass infolge ihrer gegenseitigen Schwerkraft schon viele Sterne förmlich aus ihrem Umfeld weg gerissen und etliche davon in ihrer Struktur bereits zerstört wurden. In einigen Milliarden Jahren werden die gewaltigen Gravitationskräfte der Galaxien sogar dafür sorgen, dass sich das Welteninseln-Quartett zu einer Einzigen vereinen und dabei vielen Sternen ein stellares Desaster bescheren wird.
Zwar suggeriert der Name der Galaxiengruppe Seyferts »Sextett«, dass an dem Geschehen sechs Galaxien beteiligt sind. Aber in Wahrheit handelt es sich nur um vier kosmische Materie-Oasen, die in fernster Zukunft miteinander und ineinander zu einer weitaus größeren Exo-Milchstraße verschmelzen werden.
Nicht nur einzelne Sterne geraten wie Spielbälle zwischen die »Fronten« der Galaxien und werden aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, sondern auch das gesamte Erscheinungsbild der Galaxien respektive deren Struktur verändert sich deutlich.
Nach Carl K. Seyfert sind im Übrigen auch jene Arten von aktiven Galaxien benannt worden, die vorwiegend spiralförmig sind, einen sehr hellen, optisch nicht aufgelösten, nahezu sternförmigen Kern aufweisen und aus dessen Umgebung Astronomen Strahlung mit hoch angeregten breiten Emissionslinien empfangen. Dieser Galaxientyp, unterteilt in zwei Unterarten, macht etwa zehn Prozent aller Galaxien im Kosmos aus, von denen bis dato einige Tausend bekannt sind. Galaxien dieses Typs emittieren sehr stark im ultravioletten und infraroten Spektralbereich. Aufgrund der intensiven Radiostrahlung, die diese Gebilde abgeben, vermuten die Astronomen im Zentrum solcher Objekte supermassive Schwarze Löcher.
Bei Galaxienkollisionen sind hell leuchtende blaue Regionen mit jungen Sternhaufen auszumachen, was damit zusammenhängt, dass infolge solcher Kollisionen oft heftige Sternentstehungsausbrüche entstehen. Beim Seyferts Sextett konnten die Astronomen diesen Vorgang bislang nicht beobachten. Dies könnte nach Ansicht der Forscher daraus resultieren, dass der heutige Beobachter das »historische« Abbild des Seyferts Sextetts zu einem Zeitpunkt sieht, als der Sternentstehungsausbruch noch kurz bevorstand.
In ferner Zukunft wird das Bild ohnehin ein anderes sein: Spätestens in mehreren Milliarden Jahren, wenn alle vier Galaxien zu einer neuen elliptischen Galaxie verschmolzen sind. HCG 79/NGC 6027 hat insgesamt gesehen »nur« einen Durchmesser von lediglich 100.000 Lichtjahren, wobei jede der vier relevanten Galaxien einen Durchmesser von immerhin noch 35.000 Lichtjahren aufweist. Zum Vergleich: Unsere Milchstraße kann mit einem Durchmesser von 100.000 Lichtjahren aufwarten, zählt damit aber beim weitem noch nicht zu den größten Galaxien im Universum. Die größte, die im New General Catalogue unter der Katalognummer NGC 262 verzeichnet ist, besitzt einen Durchmesser von 1,3 Millionen Lichtjahren.
Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2016
Internet: www.proc.org & www.dorgon.net • E-Mail: proc@proc.org
Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf
— Special-Edition Band 80, veröffentlicht am 7.11.2016 —
Titelillustration: John Buurman • Innenillustrationen: –
Lektorat: Alexandra Trinley und Jürgen Freier • Digitale Formate: René Spreer